Subjektivation und „ästhetische Freiheit“ in der post-digitalen Kultur

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von Benjamin Jörissen

Erscheinungsjahr: 2017

Der Begriff der „Subjektivation“ oder „Subjektivierung“ hat in den aktuellen bildungstheoretischen und -philosophischen Diskussionen eine zentrale Bedeutung erlangt (Ricken/Rieger-Ladich 2004; Ricken/Balzer 2012; Jergus 2012; Alkemeyer/Budde/Freist 2013). Im Sinne der subjekt- und machtkritischen Einwürfe insbesondere Michel Foucaults und Judith Butlers hinterfragt er die klassische, für das pädagogische Selbstverständnis und Ethos nicht selten zentrale Emphase für das emanzipierte, aufgeklärte und kompetente Subjekt, wie es im Stil der emanzipativen Gesellschaftstheorien der 1970er und 1980er Jahre insbesondere durch Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns entworfen und als Bildungsziel – unter dem Titel der kommunikativ auszubalancierenden „Identität“ – eingefordert wurde (Zirfas/Jörissen 2007).

Die Forderung nach einem „starken Subjekt“, wie sie nicht nur im bildungspolitischen Diskurs, sondern auch im Diskurs der Kulturellen Bildung eine programmatische Forderung darstellt (vgl. Braun/Fuchs/Taube 2017), verdient vor diesem Hintergrund zunächst als solche eine kritische Würdigung, bevor nachfolgend Fragen der Digitalisierung diskutiert werden – nicht zuletzt angesichts der bildungspolitischen „starken“ Besetzung dieses Adjektivs, zum Beispiel im Programmtitel „Kultur macht stark“, die eine Konfundierung der öffentlichen versus wissenschaftlichen Begriffsverständnisse geradezu provoziert. So muss sich die Rede vom „starken Subjekt“ in der Pädagogik aus der Perspektive der gegenwärtigen Diskurslage etwa daraufhin befragen lassen, wie er sich zur Geschichte des Subjekts der Moderne als eines im Kern eurozentrischen Projekts verhält, das nicht nur zentraler Akteur von Aufklärung und Modernisierung ist, sondern wesentlich auch durch die regierungstechnologischen, ökonomischen, technologischen und medialen Umbrüche im Übergang zu den bürgerlichen Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts hervorgebracht wurde. (Vgl. etwa Foucault 1974; 1978; 2004; Taylor 1996; Veith 2001; Reckwitz 2006; Zirfas/Jörissen 2007). Charles Taylor zeigt in seiner monumentalen historischen Rekonstruktion der Quellen des (europäisch-neuzeitlichen) Selbst auf, wie Innerlichkeit, Reflexivität und Expressivität – die Kernmomente „unseres“ gegenwärtigen, hier kulturell situierten Selbstverständnisses – sich allmählich zur modernen Subjektivität zusammenfügten. Er zeigt zugleich auf, wie schon Michel Foucault vor ihm, dass die damit verbundenen kulturellen Weichenstellungen in Bezug auf moderne Selbstverhältnisse keineswegs alternativlos waren, sondern dass sie als Ergebnis konkreter historischer Prozesse – Diskurse und Praktiken – verstanden werden müssen. An die vielfältige Geschichte subjektkritischer Reflexionen anknüpfend, ist hier erstens die von der Kritischen Theorie bis hin zu den gegenwärtien gouvernementality studies gestellte Frage in Erinnerung zu rufen, ob oder inwieweit nicht eben diese Forderung nach „starker Subjektivität“ von mehr oder weniger implizit normativen Prämissen getragen wird, die in das Gegenteil des Gemeinten umschlagen können (Horkheimer/Adorno 1969; Butler 2001; Ricken 2006). Das Subjekt ist notwendig nur als Prinzip (s)einer Unterwerfung zu haben – sei es im Rahmen disziplinierender, normativer oder auch flexibilisierender gouvernementaler Anerkennungsverhältnisse.

Diese epochale Einsicht hat in den avancierten Bildungsdiskursen des letzten Vierteljahrhunderts, also längst, ein breites Spektrum durchaus unterschiedlich argumentierender, jedoch gleichermaßen relational angelegter Subjekt- und Bildungstheorien hervorgebracht, die „das Subjekt“ eben nicht voraussetzend behaupten und damit implizit seine Unterwerfung verdoppeln, sondern ihm gerade dadurch gerecht zu werden versuchen, dass sie es als – und zwar je und immer wieder – aus Beziehungen hervorgehend verstehen, also gerade nicht als einseitig verortbar, immer schon individuiert, etc. (für das Spektrum relationaler Subjekt- und Bildungstheorie vgl. etwa Meyer-Drawe 1984; Gebauer/Wulf 1992; Meder 2004; Reckwitz 2006; Ricken 2006; Nohl 2011; Ricken/Balzer 2012; Schaller 2012; Welsch 2012; Alkemeyer/Budde/Freist 2013; von Felden/Schäffter/Schicke 2014; Clemens 2015; Jörissen/Meyer 2015; Jörissen 2016).

Zweitens ist auf der Höhe der aktuellen Diskurslage an transaktionale (Nohl), postanthropische (Welsch), körpertheoretische (Wulf) sowie neuere akteurstheoretisch-materialistische Diskursbeiträge (Stengers) zu erinnern, die gerade in Bezug auf die Frage des Subjekts seine dingliche, evolutionäre und materielle Eingebundenheit vielfach belegen.

Drittens schließlich ist vor einem globalen und glokalen Horizont daran zu erinnern, dass die Forderung „starker“ Subjektivität als Neuauflage einer individualistischen Hypostasis erscheinen kann, die sich in internationaler Diskursperspektive gerade für den hier relevanten Kontext der Kulturellen Bildung oder – international umschrieben aesthetic, arts and cultural education – als durchaus problematisch erwiesen hat, insofern er als eurozentristisch und – teilweise – eher Relikt kolonialer Beschädigung denn als Empowerment-Begriff aufgefasst wird (Akuno/Klepacki/Lin e.a. 2015). Sicherlich wäre es –zumindest in den aktuellen akademischen Diskussionen –kaum legitimierbar, das klassisch-eurozentrische Subjektmodell in der transkulturalisierten Gegenwart zu affirmieren.

Vor diesem Hintergrund versteht es sich, dass ein Konzept des „Subjekts“ als unhinterfragter Ausgangspunkt theoretischer oder empirischer Forschung nicht mehr haltbar ist. Vielmehr sind die Kontexte, Bedingungen und Dynamiken zu befragen, aus denen je und immer wieder Subjekte und Subjektivität – hier auch verstanden als ideengeschichtlicher Akteur – hervorgehen.

Dass hingegen der Diskurs der Pädagogik geradezu gespickt ist mit Blaupausen zur Herstellung derjenigen Formen von Subjektivität, diedas Projekt einer nachrevolutionären aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaft – je nach Staatsauffassung und Gesellschaftsmodell utilitaristisch, universalistisch oder individualistisch –wesentlich ermöglichen würde: dieses Moment des strategischen Akteursstatus der Pädagogik als Teil des Projekts der Moderne maskiert sich immer wieder, bevorzugt unter Verweis auf letztlich metaphysische, normativ-anthropologische Annahmen. Diese Tradition der Maskierung gesellschaftlicher Involviertheit zeigt sich historisch an dem notorischen Mangel gesellschaftstheoretischer Reflexion (etwa der geisteswissenschaftlichen Pädagogik vor der realistischen Wende).

Dass jedoch Theorie(bildung) de facto Praxis ist, Theorie also nicht einer (sozialen) Welt nur beschreibend gegenübersteht, sondern diese durch Strategien des Sichtbarmachens –und somit unweigerlich auch des Unsichtbarmachens –maßgeblich mitgestaltet –und dies insbesondere im Rahmen einer „Praxiswissenschaft“ wie der Pädagogik –liegt, allerspätestens seit den praxeologischen Arbeiten Pierre Bourdieus, wohl auf der Hand. Mit der Forderung nach einer im praxeologischen Sinne „reflexiven Erziehungswissenschaft“ (Friebertshäuser/Rieger-Ladich/Wigger 2006; 2009) ergeht zwingend der Auftrag an die Bildungstheorie – und auch Bildungsforschung –, die eigene Positionalität im Diskurs zu reflektieren.

Relationales Subjekt und „ästhetische Freiheit“

Wie also ließe angesichts der Legitimationsverluste klassisch-subjekttheoretischer Annahmen eine Idee „starker“ Subjektivität noch verstehen? Nicht als Stärke „des“ als solches isolierten, idealisiert autonom handelnden Subjekts, sondern als ein Potential zur Entfaltung von Kräften, die auf die Veränderung der – kulturellen, sozialen, dinglich-materiellen, symbolisch-medialen, sinnlichen oder körperlichen – Relationierungen abzielen, aus denen es als Subjekt je hervorgeht.

Es folgt daraus, dass das Verhältnis von Kultur und Subjekt in bildungstheoretischer Hinsicht sich keineswegs sauber getrennten präexistenten und dann dialektischen Polen zuordnen lässt. Kognition und Reflexivität sind keineswegs eine genuine „Leistung“ autonomer Subjekte, sondern Ergebnisse relationaler historischer (auch naturgeschichtlicher; vgl. Welsch 2012; Tomasello 2014) Prozesse, die auf menschliche, materielle, symbolische und mediale Akteure verteilt sind. Umgekehrt ist das „Subjekt der Bildung“ Effekt einer Hervorbringung von Subjektivität in wiederum relationalen sozialen Praktiken, die ihrerseits auf kulturellen –und das heißt, als solche normativen, performativ wirksamen und von werdenden Individualsubjekten nicht zu kontrollierenden – Formen basieren. Diese Formen reichen von Sprach- und Bildgrammatiken über religiöse oder mythische, über philosophische, pädagogische, über institutionelle und juridische bis hin zu den diversen alltagstheoretischen (eklektizistischen) Lebensvorstellungen und Menschenbildern, je nach sozialer Ordnung in institutionalisierte Lebensbereiche untergliedert; sie finden ihre Verkörperung, wie bereits genannt, in Praktiken und Ritualen, aber etwa auch in Architekturen, Artefakten und Infrastrukturen.

Die Relationalität des gleichermaßen von Kultur durchzogenen Somatischen und Sozialen, aus der Subjektivität je hervorgeht, diskutiert die Philosophin Juliane Rebentisch in einem philosophisch situierten, bildungstheoretisch ausgesprochen spannenden Blick auf den Zusammenhang von ästhetischer Freiheit und Selbstbestimmung (Rebentisch 2012a; 2012b). Ihre Relektüre des romantischen Subjektverständnisses begegnet den in der Pädagogik allseits spürbaren, und vielerorts problematisierten Tendenzen neoliberaler Funktionalisierung von Ausdruck, Freiheit, Kreativität, Flexibilität, Tentativität und „Bildung“ (in bestimmten zugerichteten Verständnissen des Wortes) auf eine Weise, die durchaus eine nähere Betrachtung verdient. Ihre Argumentationsfolie bezieht sich auf den Rahmen einer freiheitstheoretischen Kritik der – seit Hegel (1970) –verkürzten Rezeption romantischer Subjekttheorie, welche den romantischen Diskurs auf die „innere Natur“ auf rückzügliche Innerlichkeit, ironische Weltleugnung und vergöttlichtem Geniekult – und somit subjektivistische Ideologie – reduziert. Dagegen zeigt Rebentisch anhand der romantischen Praxis der Selbstironie – als exemplarisches Moment – auf, dass im Gegenteil ein faktischer Bezug dieses „Inneren“ auf die „geltenden sittlichen Gehalte“ und die reale „Welt, in der der Ironiker lebt“ (Heide 2000 zit. n. Rebentisch 2012b:178) notwendig einbezogen sind. Die romantische Ironie ist also eine Praxis der Distanzierung, die gleichwohl nur „als ein Moment in der sozialen Praxis“ verstanden werden kann (Rebentisch 2012b:179). Was die Romantik praktiziert, ist somit „Ausdruck eines distanzierten Verhältnisses zu den Selbstbildern der zweiten Natur –der eigenen Tugendhaftigkeit ebenso wie der eigenen Genialität. Von deren Bann befreit sich das selbstironische Subjekt offenkundig nicht durch die Behauptung einer diesen noch überlegenen Position eines Gottes, sondern durch deren Brechung in den Grimassen seiner unwillkürlichen Vitalität. In deren Erscheinungen wird sich das Subjekt (und zwar gerade das narzisstisch auf ein überzogenes Selbstbild fixierte Subjekt) selbst fremd –und (über sich lachend) potentiell zu neuen, unter Umständen angemesseneren Bildern seiner selbst frei“ (ebd.:184).Dabei setzt sie gegen „die in der Philosophie dominante Tradition, welche Freiheit einseitig mit dem Vermögen zur vernunftgemäßen Selbstbestimmung gleichsetzt“ –und dies gilt, wie sich ergänzen ließe, durchaus auch für autonomietheoretische Subjekt- und Kompetenzfixierungen in pädagogischen Diskursen – „die romantische Integration von unwillkürlichen, irrationalen, anarchischen Impulsen […], das, was Adorno ‚Dialektik der Freiheit‘ genannt hat: ein im Herzen des Begriffs wirksamer Antagonismus, der das Vermögen zur Selbstbestimmung mit einem ihm gegenläufigen Impuls zusammenspannt“ (Rebentisch 2012b:184).

Diese a-rationale „innere Natur“, die freilich seit der Romantik vielfältige diskursive Karrieren hinter sich gebracht hat, ist, soviel lässt sich über die heterogenen Versuche ihrer Entschlüsselung als wohlbekannt festhalten, nicht objektivierbar. Wesentlich jedoch ist, dass sie gleichwohl nicht verabsolutiert werden darf: die Verabsolutierung eines schon aus logischen Gründen nicht Objektivierbaren wäre nichts anderes als Metaphysik, die wiederum den subjektivistischen Reflex einer apriorischen Absonderung des Subjekts in eine abermals enthobene Sphäre verlegte. Wenn Rebentisch zu Recht darauf hinweist, dass unsere entzogene „innere Natur“ nur im Modus der Ereignisses zugänglich ist:nicht als statische Immanenz, sondern „uns zugänglich allein durch das Verhältnis, in dem wir immer schon zu unserer Umwelt stehen“ (ebd.:181), so ist dies ein maßgeblicher Hinweis darauf, dieses eben nur vermeintlich „Innere“ nun schließlich – auch empirisch –dort zu suchen, wo es in Erscheinung tritt: in den situativen Praktiken der Bezogenheit innerhalb der Netzwerke aus Körpern, Dingen, Räumen, Medialitäten, Symbolen, epistemischen Strukturen und Akteuren, kulturellen Formen, materiellen Praktiken und Dispositiven, sinnlichen, ästhetischen, kognitiven Wahrnehmungsereignissen.

An dieser Stelle kann nun einsichtig werden, dass der theoretische Verzicht auf die vorgängige Setzung des Subjekts „Subjektivität“ nicht verwirft, sondern im Gegenteil diese als wesentliches Moment – aber eben als Moment, und das heißt: als ein Moment in Beziehung zu anderen Momenten – verstehen lässt. Subjektivität im emphatischen Sinn ist selbst nicht Einheit einer Substanz (Identität), sondern im Gegenteil eine Differenz von Prozess und Ereignis. Je nach Perspektivierung kann man allerdings die Einheit dieser Differenz selbst entweder als Prozess reflektieren, d.h. als das Prozessieren ereignishafter Differenzen, wie es in den insofern klassischen Subjektkonstruktionen der Biografieforschung im Vordergrund steht (der transformative biographische Prozess besteht wesentlich aus der sinnhaften Konstruktion, De- und Rekonstruktion von zumeist krisenhaften Ereignissen), oder aber man kann es als Ereignis reflektieren, im Sinne einer Einkerbung auf relationaler Ebene, als lebensgeschichtliche transgressive Diskontinuierung, die ihrerseits Prozesse ermöglichen und somit Artikulationen evozieren, aus denen potenzielle Identitäten hervorgehen.Es würde, um an dieser Stelle meine kritischen Eingangsbemerkungen zur Forderung nach einem „starken Subjekt“ aufzugreifen, semantisch wenig Sinn ergeben, eine „starke Differenz von Prozess und Ereignis“ einzufordern. Was sich ereignishaft und situativ artikuliert, ist dennoch in seiner disruptiven Qualität durchaus eine Kraft. Doch die „Kraft solcher Bestrebungen ist […] nicht als substanzielle Größe zu verstehen, die der Einheit des Subjekts (oder seinem somatischen Kern) zugerechnet werden könnte. […] Aufgrund ihres konstellativen Charakters gehört die Kraft solcher Bestrebungen nicht allein dem Subjekt zu. Dennoch wird das Subjekt durch das Ereignis solcher Bestrebungen, die es aus seinerm jeweiligen sozialen Selbstverständnis herausrücken, zugleich mit einer Dimension seiner selbst konfrontiert, die ihm unverfügbar (vor-) gegeben ist. […] ‚Innere Natur‘ ist in diesem Verständnis indes kein Programm, das sich in Kultur, die Kultur einer sozialen Identität, umschreiben lässt; im Gegenteil: sie macht sich als deren jeweilige Krise bemerkbar“ (ebd.:180f.).

Rebentisch sucht in ihrer Relektüre der romantischen Auffassung ästhetischer Freiheit nach einem Weg, die soziale Konstituiertheit des Subjekts theoretisch unbeschränkt in den Blick nehmen zu können, und dennoch –oder vielmehr: aus diesem Blick heraus –ein Verständnis von Freiheit sichtbar zu machen, das sich deutlich von neoliberal-subjektivistischen Freiheitsverständnissen abgrenzt. Damit empfiehlt sich, bildungstheoretisch gewendet, die Bedeutung des Ästhetischen als einer alternativen, wesentlich ereignishaften und somit nicht kontrollierbaren Quelle der Relationierung –einer Relationierung, der Sozialität und Kulturalität zutiefst eingeschrieben sind –denn es „gibt“ keine innere Natur jenseits von Kultur und Sozialität; das „Innere“ ist als gerichtetes Ausdrucksgeschehen schon Bezogenheit; seine Äußerung ist immer kulturell durchdrungene Artikulation, wenn sie irgend als Zeichen anerkennbar sein soll (Taylor 1992; Meuser 2006; Jung 2009) –daher steht auch die ästhetische Artikulation keineswegs außerhalb normativer Rahmungen, wenn sie sich auch immer implizit von diesen zu lösen und zu ihnen verhalten zu vermag. Als Relationierungsgeschehen ist „Bildung“ dann auch nicht mehr plausibel als alleine „in“ einem Subjekt „verortet“ konstruierbar: „Die so verstandene Dialektik der Freiheit vollzieht sich […] nicht jenseits des Sozialen, sondern als dessen Dynamisierung. Tatsächlich verstünde ich die Veränderung meiner selbst falsch, verstünde ich sie als rein private Veränderungen. Durch sie verändere ich die Praxis, deren Teil ich bin. […] Dass ich mich von nun an anders verstehen will, kann auch heißen, dass ich […] in einen Kampf um Anerkennung eintreten muss. Die Welt muss dann, damit ich sie weiterhin bewohnen kann, eine andere werden“ (Rebentisch 2014b:185).

Relationale Bildung und Digitalität

In Bezug auf das Thema „Digitalität“ und die Problematik der „Digitalisierung“ ist aus dem Vorangegangenen ein ganzes Bündel von Positionierungen abzuleiten. Lediglich verwiesen sei an dieser Stelle auf die tiefgreifenden historischen Bedingtheiten von Digitalisierungsprozessen, insbesondere im Hinblick auf die Isomorphien zwischen konstitutiven Strukturelementen des Digitalen einerseits und der Rekonfiguration der neuzeitlichen Episteme andererseits, die sich in unserer hochtechnologisierten Zivilisation auch maßgeblich in die Selbstverhältnisse eingeschrieben haben (vgl. Jörissen 2016b). Das individuelle Verhältnis zu den Effekten und Potentialitäten des Digitalen ist vor diesem Hintergrund maßgeblich von den tradierten kulturellen Praktiken und Dispositiven, innerhalb derer Menschen zu Subjekten werden, abhängig –alleine aus diesem Grund müssen allgemeine und universalisierende Aussagen über den Zusammenhang von Bildung und Digitalität mit großer Vorsicht behandelt werden. Wo etwa Selbstverhältnisse seit hunderten von Jahren wesentlich auch auf quantitativen Daten basieren – im wesentlichen Daten der verwaltungsseitigen und polizeilichen Erfassung, Daten des Bildungs- und Gesundheitssystems (Foucault 1977) – ist das Spektrum möglicher Verhältnisse zu diesen Daten, und insbesondere zu der technischen Digitalisierung der ohnehin bereits „digitalen“, weil auf Zahlen abstellender, Selbstverhältnisse mir ihren explodierenden Datenerhebungs-, Fremd- und Selbstregierungstechnologien, ein anderes als dort, wo derartige Daten etwa eine erste Form der öffentlichen (und somit politisch) bedeutsamen Sichtbarkeit eines Menschen herstellen. Evidenterweise sind die machtbezogenen Implikationen datenmäßiger Erfassung kontextabhängig. Wenn im einen Kontext Datenerhebung eine disziplinierende oder gouvernementale subjektivierende Machttechnologie darstellt, bedeutet im anderen die Unterlassung oder Verweigerung der datenmäßigen Erfassung eines Individuums, es zum „Abjekt“ zu machen (Kristeva 1982), es in die abgründige Unsichtbarkeit derer zu verstoßen, die nicht einmal von Maschinen gezählt werden; digitale Untouchables.

Im Blick auf die Vielfalt der theoretischen Bezugsdimensionen, die zu einem auch nur annähernd adäquaten Verständnis von Digitalität/Digitalisierung unabdingbar sind, sei als heuristisches Schema die Einteilung dieses Gegenstands in die vier Strukturbereiche Code/Software, Daten/Datenstrukturen/digitale Objekte, Netzwerke und schließlich Interfaces/Hardware vorgeschlagen – wenn man so will, repräsentieren diese Strukturbereiche die performativen, symbolischen, konnektiven und materiellen Aspekte von Digitalität. Das „Mediale“ –für diejenigen, die an dieser Stelle danach suchen – ist ein Effekt spezifischer Interaktionen dieser vier Bereiche, die allerdings auch zahlreiche andere, nichtmediale (oder genauer: nicht auf Mediatisierungsprozessen i.S.v. Mersch 2002 aufsetzenden) Effekte –z.B. mechanische, infrastrukturelle, informationale –hervorbringen. Sie lassen sich, das ist der heuristische Vorteil, unterschiedlichen Diskursbereichen (einigermaßen plausibel) zuweisen: Softwarestudies, Data Studies, Netzwerktheorie und -soziologie, schließlich medientheoretischen, psychologischen, ergonomischen, anthropologischen etc. Betrachtungen von Interfaces und Hardware. Andererseits ist es evident, dass zum Verständnis von Digitalität die vier Bereiche im Grunde immer in ihren interaktiven, emergenten Bezügen zueinander betrachtet werden müssen. Dies erklärt einerseits die enorme Vielfalt digitaler Phänomene, verweist andererseits auf die Notwendigkeit der Entwicklung entsprechender neuer Frage- und Methodenperspektiven, mit denen pädagogische relevante Aspekte auf nicht-reduktionistische Weise in den theoretischen und empirischen Blick geraten können.

Die Thematisierung von Bildung im Kontext von Digitalität muss zunächst einmal ein Verständnis der Bedeutungen digitaler Transformation von Kultur hervorbringen – im Sinne der explorativen Frage nach dem, was einerseits als genuine Sphäre digitaler Kulturalität in Betracht gezogen werden muss, andererseits nach dem, was durch die remediatisierenden, rematerialisierenden, aggregierenden, konnektiven, algorithmisierenden, resemantisierenden etc. Prozesse gegenwärtiger Digitalität in Bezug auf die konstitutiven symbolischen, medialen und auch (epistemisch wie ästhetisch) formalen Momente von Kultur, die aufgrund der autopoietischen Beschleunigung digitaler Innovationszyklen (immer mächtigere Technologien bringen die jeweils nächste Generation noch mächtigerer Technologien hervor) eine disruptive Entkopplung tradierter kultureller Transformationsgeschwindigkeiten erfährt. Digitale Transformation verändert die kulturellen Bedingungen von Relationierungsprozessen maßgeblich.

Trotz der angedeuteten Komplexität von Digitalität als solcher dürfen dabei ihre kulturellen Einbettungen nicht übersehen werden. Wenn sich beispielsweise neue Interface/Software-Hybride entweder neue oder maßgeblich transformierte Praktiken des Selbst, wie etwa das „quantified self“-Phänomen hervorbringen, dann liegt dem (auch ökonomischen) Erfolg dieser Technologien beispielsweise auch eine Geschichte des Designs als Wissensform (Mareis 2011) zugrunde. Wenn umgekehrt in diesem Fall die Potentiale der Transformation oder Transgression solcher gouvernementalen Relationierungsangebote verstanden werden sollen, ist eine Kentnnis des partizipatorischen Design-Diskurses (Mareis/Held/Joost 2013; vgl. Jörissen 2015) ebenso notwendig wie eine zumindest basale Einsicht in netzwerktheoretische Logiken und Effekte (Barkhoff/Böhme/Riou 2004; Galloway/Thacker 2007; Hepp 2010; Fuhse/Mützel 2010; vgl. Jörissen 2016). Im nachfolgenden sollen einige dieser Transformationsprozesse exemplarisch aufgezeigt werden.

Ästhetische Bildung in der post-digitalen Kultur

„Post-Digitalität“ ist der passende Begriff für einen Zustand, in dem die Digitalisierung so weit abgeschlossen ist, dass das Digitale eine omnipräsente, ubiquitäre Infrastruktur darstellt (vgl. Cramer 2015). Man kann sich das Digitale wie ein Myzel vorstellen: Der eigentliche Organismus besteht aus den unsichtbaren, miteinander zusammenhängenden großen unterirdischen Verflechtungen. Was wir gemeinhin als „Pilz“ bezeichnen, ist lediglich ein Fruchtkörper des Myzels; eine sekundäre Manifestation. Das Digitale ist einerseits ein Netzwerk aus den Maschinen, Leitungen, Satelliten, Software, Algorithmen, Protokollen, Datenstrukturen, Daten, Interfaces, RFID-Sendern, GPS-Sendern, zahllosen Endgeräten mit ihren medialen und sensorischen Komponenten usw. Es ist jedoch längst mehr, indem die Strukturen digitaler Infrastruktur sich in die materiell-ökonomischen, die kommunikativ-sozialen und die artikulativen und individuellen Sphären, letztlich in die Kultur in ihrer ganzen Breite und Tiefe, längst eingeschrieben haben. Das Buch, das Sie ggf. noch als materielles Artefakt in der Hand halten, beginnt sich in eine ephemere Manifestation digitaler Prozessketten zu verwandeln, die primär auf datenseitig standardisierte (XML-) Content-Einheiten abheben. Ganze Architekturen sind längst, auch hinsichtlich ihrer ästhetischen Prozesse, Ausdruck komplexer Algorithmen –bis zum materiellen 3D-„Ausdruck“ ganzer Architekturen; in jedem Fall aber folgen sie den Bedarfen digitaler Infrastruktur, insbesondere Steuerungs-, Überwachungs- und Kontrollfunktionalitäten (Kitchin/Dodge 2011; Parisi 2013).

Vor diesem Hintergrund sind en masse „postdigitale“ Transformationen kultureller Praktiken zu verzeichnen – etwas verkürzt ließen sich Praktiken der Subjektivität, der Sozialität und der öffentlichen Dinge unterscheiden; aus Raumgründen beschränke ich mich auf erstere Kategorie. „Quantified Self“ etwa ist einer der neueren Trends im Rahmen der postdigitalen Praktiken der Subjektivation. Quantified Self ist die Herstellung eines quantifizierten, steuerungsbasierten, optimierten und optimierenden Selbstverhältnisses. Die diversen Tracking-Gadgets haben das Messen von Blutzucker, Blutdruck, Puls, Kalorien, Bewegung binnen kürzester Zeit vom kassen-beigen Hilfsmittel für Senior*innen zum Lifestyle-Chique umgekrempelt, inklusive der üblichen warenfetisch-kompatiblen („coolen“) Produkästhetiken. Die ersten Krankenkassen beginnen mit solchen Technologien zu arbeiten, um dann auf der Basis dieser Daten die Beiträge billiger zu machen. Das Selfie ist eine weitere Subjektivationspraxis, die ebenfalls auf Gadgets, Algorithmen und digitale Netzwerke im Rahmen einer Sichtbarkeitsregimes basiert.

Beide Phänomene haben in hohem Maße mit Selbstkontrolle und Selbstführungstechniken zu tun; sie stehen im Zeichen der von Michel Foucault mit dem Kunstwort „Gouvernementalität“ belegten Mentalitäten und Praktiken der Selbstführung. Diese Führungsmentalität – Selbstführung keineswegs als Urheberschaft an den Regeln, sondern zunächst als gleichsam proaktive Unterwerfung unter bestehende Regelsysteme der Führung, durch die ein Subjekt im modernen Sinne erst hervorgebracht wird, verstanden – hat sich im 20. Jahrhundert weitreichend entwickelt und ist im Kontext des Digitalen sehr umfassend ausgewälzt worden. Interessant ist hier auch der Umstand, dass Führung und Steuerung – das Gouvernementale und das Kybernetische – digital zusammenwachsen. Im Bereich der Nachhaltigkeitsforschung beispielsweise verbinden „Sensor Networks for Sustainable Development“ (Ilyas e.a. 2014) beliebige Lebensbereiche und Strukturen, vom Ackerbau über Energienetzwerke, von der Smart City zum „sustainable behavioral change towards healthy lifestyle“. In diesem Zusammenhang taucht auch die Frage auf, wie mit solchen Mechanismen die Menschen dazu zu bringen sind, ihre Selbstführung in Bezug auf Gesundheitsfragen zu optimieren. Ob Menschen darauf achten, dass es ihnen gesundheitlich besser geht oder ob man Autos steuert, so dass die Städte weniger belastet sind, gehört ins gleiche Paradigma dieses Führungsdenkens.

So zeigt beispielsweise die Philosophin Luciana Parisi auf, dass mit den Algorithmen – wie man sagen könnte: epistemische Akteure entstanden sind, die neue Denkweisen einführen: ein „automatisches, aber doch nicht-reflexives Denken, das eine bestimmte Betriebsart der Kalkulation, Klassifikation und Organisation von Daten bezeichnet und dabei Environmentalität funktionieren lässt, Environmentalität hier verstanden als ein räumlich denkender Modus der Macht“ (Hörl/Parisi 2013:41). Diese Denkweise basiert auf algorithmischen Formen des Wahrnehmens. Wenn sich auch freilich zahlreiche phänomenologische und anthropologische Argumente gegen die Anwendung der Begriffe „Wahrnehmen“ und „Denken“ auf algorithmische Akteure nennen ließen, so registriert Parisi hier begrifflich nicht grundlos die neuen emergenten Qualitäten der digitalen Sphäre, die längst von der bloßen Datenverarbeitung zu semantischer Mustererkennung und „deep learning“ in digitalen neuronalen Netzwerken übergegangen ist, und dies auf der Basis eines Datenkörpers, dessen quantitative und qualitative Dynamiken nicht nur kulturgeschichtlich beispiellos sind, sondern, zumal in ihren Aggregationsmöglichkeiten, längst das individuelle menschliche Vorstellungsvermögen überschritten haben.

Es ginge darum, so schlägt Parisi vor, zu überlegen, was Algorithmen sein können. Als Maschinen der Emergenz sind sie nicht nur Agenten einer inzwischen ubiquitären Kontrolle, sondern auch Maschinen des Unberechenbaren. Wir haben es, wenn wir Parisis Überlegungen folgen, offensichtlich mit einem Akteur zu tun, der viel aktiver strukturiert ist, viel proaktiver, viel unkontrollierbarer als alle anderen nicht menschlichen Akteure der kompletten Kulturgeschichte. Dieser Akteur beginnt dadurch, dass er erfolgreich ist, unsere Kultur zu recodieren.

Dieser postdigitale Diskurs verweist also im Kern auf Fragen der Hegemonie,wie man sie etwa dort anhand der Rekonfiguration des Ästhetischen in der Wahrnehmung aufzeigen kann, wo Psychoakustik und Psychovisualistik (in Form von Kompressionsalgorithmen – mp3, jpg, h.264) die massivsten Umbrüche visueller, auditiver und kinästhetisch basierter Rezeptionspraktiken ausgelöst haben. Jonathan Sterne (2012) spricht in seiner ausführlichen Studie zu dem vom Fraunhofer entwickelten Audiokompressionsformat von einem „perceptual capital“ – beziehungsweise vielmehr einem „imperceptual capital“. Der Erfolg von MP3 beruhe darauf, dass ein Musikstück auf ein Zehntel geschrumpft werden kann und somit ein Zehntel der Transferkosten über das Netz erzeugt. Anbieter wie die Telekom oder AT&T sparen somit circa neunzig Prozent der Kosten für die Datenlieferung. Natürlich kann man ein digitales Musikstück auf zehn Prozent seines Informationgehaltes reduzieren, wenn man es schafft, auditive Glaubwürdigkeit zu simulieren. Pyschoakustik ist nichts anderes, als eine Entscheidung darüber, was Menschen nicht unbedingt hören müssen. „AT&T“, schreibt Jonathan Sterne, „was trying to make money from people who don’t hear it“. Das ist sozusagen das Geschäftsmodell: die Sinne zu steuern und die Konsumenten an die passenden Standards zu gewöhnen. Die künstlerisch adäquate Antwort hierauf findet sich in der Glitch-Ästhetik (Menkman 2011).

Fazit

Wenn Digitalität in diesen Formen als hegemonialer Akteur auftritt, erhalten einerseits sub- und gegenkulturelle sowie künstlerische Reflexionsformate des Digitalen eine unmittelbare emanzipative Funktion. „Ästhetische Freiheit“ bedeutet vor diesem Hintergrund gleichermaßen ein Distanzierungspotential hinsichtlich normativer Gehalte tradierter Kulturformen und ein Distanzierungspotential gegenüber ihren digitalen Transformationen. In einem relationalen Subjekt- und Bildungsverständnis heißt dies aber weder, auf dem Boden tradierter Subjektbegriffe das „alte“ Subjekt den „neuen Technologien“ entgegenzusetzen („Medienkritik“, „digitale Souveränität“ als Gegenübersetzung von Subjektivität und Digitalität) – noch bedeutet es, das Subjekt bereitwillig in die von anderen unter anderen Interessen definierten und programmierten Netzwerke und digitalen Produktionsbedingungen aufzulösen (Nutzer, Produser). Die in medienbezogenen Diskursen – etwa auch medienpädagogischen Forschungsdiskursen – gerne naiv verwendete Figuration des „Nutzers“ sollte aufgegeben werden, denn sie steht auf ungute Weise auf beiden Seiten: erstens der Illusion eines auf die Welt instrumentell zugreifenden autonomen Subjekts (die angesichts der enormen Transformationskräfte von Digitalisierungsdynamiken völlig illusorisch ist); andererseits als gouvernementales Identifikationsangebot eines medientechnologischen Rahmungen sich rituell unterwerfenden, neoliberal „freien“ Konsumsubjekts. Es bedeutet vielmehr erstens, digitale „Hybridisierungsangebote“ als Erweiterung von Möglichkeitsräumen zu verstehen. Dies impliziert jedoch zweitens, zu den „encodierten“ Interessen der (post-) digitalen Sphären, sei es in ihrern funktionalen Rationalitäten (Nützlichkeit) wie ihrer scheinbar nicht funktionalen Ludizitäten (Unterhaltung), als weitgehend gouvernementale und ökonomischen Logiken folgende Subjektivationsangebote in ein Verhältnis zu treten. Das hierzu nötige Moment ästhetischer Freiheit ist allerdings selbst zentraler Gegenstand der digitalen Transformation. Mithin ist „ästhetische Freiheit“ unter Bedingungen der Mediatisierung und Digitalisierung der Lebenswelten immer auch als eine gedoppelte, als ästhetische Freiheit zweiter Ordnung, zu denken und zu praktizieren. Bisweilen etwa mag das Verhältnis zu den multiplizierten Angeboten und Aufforderungen, von ästhetischen „Freiheiten“ Gebrauch zu machen, zur transgressiven ästhetischen Veränderung ihrer Ermöglichungsstruktur – etwa in der Logik des „cultural hackings“ (Düllo/Liebl 2004) – oder gar zur Freiheit ästhetischer Enthaltung führen.

In der postdigitalen Kultur ist vor diesem Hintergrund nicht nur die Reflexion digitalisierter Aisthesis und Episteme ein zentrales Anliegen künstlerischer Reflexion, sondern vielmehr auch die Gestaltung und Umgestaltung des Digitalen in künstlerischen Prozessen. Dabei geht es erstens um eine generelle zeitdiagnostische Perspektive, etwa im Sinne der aufgezeigten technikphilosophischen Frage nach dem Phänomen der Digitalisierung von Kultur und ihrer jeweiligen Bedeutung (vgl. Parisi a.a.O.; Hörl 2011, Stalder 2016). Zweitens geht es im Hinblick auf die Frage der Bedeutung des Digitalen um eine im engeren Sinn kulturpädagogische Perspektive. Zwei Fragen tauchen in diesem Kontext als zentrale auf: Erstens die Frage nach der ästhetischen Reflexion des Digitalen, der digitalen Transformation von Kultur, der digitalen Praktiken in Bezug auf „Selbst und Welt“ als Moment digitaler Bildung. „Bildung in der digitalen Welt“ muss in diesem grundlegenden Sinne als kulturelle Bildung verstanden werden, weil sie die veränderten Grundlagen von Kultur und die veränderten Grundlagen des Subjektwerdens reflexiv in sich aufnehmen muss: Was bedeutet es, in einer immer stärker von algorithmischen Logiken und datenbankkompatibler Weltproduktion abhängigen Kultur Subjekt zu sein? – Diese Frage scheint mir von zunehmender bildungstheoretischer Relevanz zu sein. Im zweiten, engeren kulturpädagogischen Sinne stellt sich die nicht minder wichtige Frage, welche Bedeutung und welche Potentiale digitale Ästhetiken und digitale Artikulationsformen und -praktiken im Kontext postdigitaler Artikulationskulturen bieten. Im Sinne der ersten Frage geht es um ästhetisch-transformative Aspekte von Bildungsprozessen unter Bedingungen der Digitalisierung; im Sinne der zweiten Frage um Partizipation an der Reflexivität der Formdiskurse ästhetischer Praktiken. Wie zu sehen ist, sind beide Fragen aufs engste miteinander verbunden.

Verwendete Literatur

  • Akuno, E./Klepacki/L., Lin/M.-C., O’Toole/J., Reihana, T./Wagner, E./Zapata Restrepo, G. (2015): Whose arts education? International and intercultural dialogue. In M. Fleming/L. Bresler/J. O’Toole (Hrsg.): The Routledge International Handbook of the Arts and Education (79–105). London: Routledge.
  • Alkemeyer, Thomas/Budde, Gunilla/Freist, Dagmar (Hrsg.) (2013): Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung. Bielefeld: transcript.
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Anmerkungen

Der vorliegende Text wurde für die Veröffentlichung auf der Wissensplattform formal leicht angepasst und erstmals veröffentlicht in: Taube, Gerd/Fuchs, Max/Braun, Tom (2017): Handbuch Das starke Subjekt. München: kopaed.

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Benjamin Jörissen (2017): Subjektivation und „ästhetische Freiheit“ in der post-digitalen Kultur. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/artikel/subjektivation-aesthetische-freiheit-post-digitalen-kultur (letzter Zugriff am 14.09.2021).

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Dieser Artikel wurde dauerhaft referenzier- und zitierbar gesichert unter https://doi.org/10.25529/92552.421.

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