Quo vadis baukulturelle Bildung? Eine Einordnung der baukulturellen Bildungspraxis
Abstract
Ziel der baukulturellen Bildung ist es, Kinder, Jugendliche und Erwachsene für die sie umgebende gebaute Umwelt zu sensibilisieren und diese als Lerngegenstand und -ort zu nutzen und mitzugestalten. Baukultur stellt hierbei ein Querschnittsthema dar, das in vielen Bildungsbereichen aufgegriffen wird und eine kaum überschaubare Vielfalt an Deutungsmustern hat. Der Beitrag ordnet die Begriffe „Baukultur“ und „baukulturelle Bildung“ in verschiedene Bildungsfelder ein und stellt Bezüge zu einer internationalen baukulturellen Bildungspraxis her, in der sich vor allem Architekt*innen und Planer*innen, aber auch Pädagog*innen (Museumspädagog*innen, Lehrer*innen unterschiedlicher Fächer, Sozialarbeiter*innen), Künstler*innen, Handwerker*innen verschiedener Gewerbe u.v.m. engagieren. Fokussiert werden die Überschneidungen mit den Bildungsbereichen der Architekturvermittlung, Denkmalpädagogik, Kulturellen Bildung und Kunstpädagogik, Umweltbildung und Bildung für Nachhaltigkeit, MINT, politische Bildung und Demokratiepädagogik. Dabei könnte die baukulturelle Bildung in Zukunft vor allem integrierend zwischen Bildungsfeldern wirken, weil die Vermittlung baukultureller Aspekte als eine gesamtgesellschaftliche und disziplinübergreifende Aufgabe zu gestalten ist.
Baukulturelle Bildung umfasst ein breites Feld von Aktivitäten, Schwerpunkten, Bildungsansätzen und Formaten. Alle diese Lernaktivitäten für Kinder und Jugendliche haben die Nutzung von Gebäuden, Orten und Räumen als Themen und Lernkontexte gemeinsam. Vielfach geht es Akteur*innen und Programmen der baukulturellen Bildung darum, Kindern und Jugendlichen zu helfen, ihre Kritik- und Urteilsfähigkeit zu stärken, ein Verständnis für das Bauen und das Planen und damit verbundene Entscheidungsprozesse zu entwickeln sowie ihre Einflussmöglichkeiten auf die (zukünftige) Gestaltung ihrer Umwelt zu vergrößern. Das Engagement in diesem Bereich ist groß, die Überschneidung und Überlagerung mit anderen Bildungsbereichen riesig (Million et.al. 2019:10-20) . Das birgt Chancen, aber auch Herausforderungen, weil die Positionierung der baukulturellen Bildungspraxis schwerfällt. Im Folgenden wird dies durch die Einordnung baukultureller Bildungspraxis in gesellschaftliche und wissenschaftliche Diskussionen um Baukultur und baukulturelle Bildung deutlich. Es werden gezielt Bezüge zu anderen Feldern der Bildungspraxis aufgezeigt, ohne vertiefend Strukturen und Akteure zu systematisieren, wie es bereits für die Kulturelle Bildung als solche vorliegt (u.a. siehe: Birgit Wolf „Bundesweite Akteure der Kulturellen Bildung“).
Von der Baukultur zur baukulturellen Bildungspraxis
Der Begriff der Baukultur wird in öffentlichen und fachspezifischen Debatten des Planens und Bauens in Deutschland seit dem Start der Initiative Architektur und Baukultur des Bundes 2000 und der Gründung der Bundesstiftung Baukultur 2007 stärker thematisiert (Reiterer 2017:134). Bei der Baukultur geht es im Wesentlichen um vier Aspekte:
- Gebaute Umwelt und ihre Gestaltung
- Partizipative Bau- und Planungskultur
- Mehrdimensionalität und Multiprofessionalität
- Kommunikation und Vermittlung.
Baukultur wird dabei oft als Produkt, aber auch als Prozess verstanden. Dieser Prozess ist immanent und stetig (Schröteler-von Brandt 2014:118). Er schließt das Planen, Bauen, Umbauen und Instandhalten als Prozess mit ein. Somit muss Baukultur „als Planungskultur, einer Kultur des Miteinanders beim Bauen in Form von partizipativen Prozessen und Bauen als Teil unserer Kultur“ (Reiterer 2017:135) betrachtet werden.
„Baukultur versteht sich als Beitrag zum Allgemeinwohl und gleichsam als Gemeinschaftsaufgabe“ erläutert Koll-Schretzenmayr (2017:2). Die Autorin führt weiter aus, dass sich die Baukultur hierbei nicht nur mit der Kleinteiligkeit einzelner Bauten beschäftige, sondern „diese als Teil eines Ganzen“ (ebd.) sehe. Somit beschreibt der Begriff der Baukultur ein interdisziplinäres und maßstabsübergreifendes Feld, ein Zusammenspiel zwischen Architektur, Stadtplanung, Landschaftsarchitektur, Ingenieurwissenschaften, Bauhandwerk und Denkmalpflege (ebd.). Trotz dieser oft geschilderten Interdisziplinarität wird Baukultur in den Disziplinen nicht immer als solche thematisiert, denn Querschnittsthemen zwischen den Disziplinen werden selten aktiv bearbeitet.
Baukulturelle Bildung war zunächst ein Randthema. Wurde lange Zeit noch unbestimmt von der Aufgabe gesprochen, „die Bedeutung von Baukultur für das alltägliche Lebensumfeld der Bevölkerung näher zu bringen" (Schröteler-von Brandt 2017:118), wird im Baukulturbericht 2014/2015 eine stärkere „Baukulturpädagogik“ (Bundesstiftung Baukultur 2014:110) gefordert. Sie „schafft die Grundlage für zukünftige qualifizierte Diskussionen um die Ausgestaltung der gebauten, urbanen Lebenswelt und ein gestärktes Bewusstsein jedes Einzelnen für seine wichtige Rolle in diesem Prozess“ (ebd.). Mittlerweile gibt es im deutschsprachigen Raum verschiedene Netzwerke, welche den Austausch zur baukulturellen Bildung unterstützen, wie das Netzwerk baukulturelle Bildung in Deutschland der Bundesstiftung Baukultur, den Verein Plattform Architekturpolitik und Baukultur, die Initiative Baukulturvermittlung für junge Menschen in Österreich und den Verein Archijeunes in der Schweiz. Damit wird deutlich, dass baukulturelle Bildung mittlerweile als wesentlicher Teil der deutschsprachigen Baukulturpolitik wie auch entsprechender Initiativen verstanden wird.
Auch auf europäischer Ebene verstärkt sich das Interesse an Baukultur. Im Rahmen des Europäischen Kulturerbejahres 2018 wurde zum Auftakt des Kulturerbejahres im World Economic Forum (WEF) die Davos Declaration zum Thema Baukultur verabschiedet. Neben der Forderung nach einer hohen Qualität von Baukultur wird auch die Notwendigkeit eines größeren Engagements im Bereich baukultureller Bildung thematisiert (Schweizerische Eidgenossenschaft 2018:20).
Baukulturelle Bildung und ihre Bezüge – nationale und internationale Entwicklungen
Trotz der oben genannten Ausführungen zum Wesen und Inhalt der Baukultur unterliegt diese einer kaum überschaubaren Vielfalt an Deutungsmustern innerhalb der unterschiedlichen Akteursgruppen. Was unter baukultureller Bildung verstanden wird, darüber herrscht trotz regem Austausch keine Einigkeit. Erste definitorische Betrachtungen werden vor allem aus den bauenden und planenden Disziplinen heraus gemacht, unter anderem der Architektur, der Stadtplanung, Landschaftsarchitektur und -planung sowie auch der Denkmalpflege. International findet der Begriff mit „built environment education“ eine Übersetzung, wobei häufig und synonym durchaus auch einfach von „architecture education“ gesprochen wird.
In der Praxis verfolgt die baukulturelle Bildung häufig bewusst einen breiteren Ansatz als die Architekturvermittlung, was sich auch darin zeigt, dass die Anleiter*innen beruflich interdisziplinär aufgestellt sind, in dem sich hier sowohl Pädagog*innen (Museumspädagog*innen, Lehrer*innen unterschiedlicher Fächer, Sozialarbeiter*innen) als auch Kulturwissenschaftler*innen, Künstler*innen, Handwerker*innen verschiedener Gewerbe u.v.m. engagieren. Dennoch sind es gerade die planenden und bauenden Disziplinen, welche zuerst den Austausch über Ziele und methodische Ansätze der baukulturellen Bildung intensiviert haben. Vielfach zitiert werden die Dokumente der International Union of Architects - UIA Built Environment Education Network (1999 gegründet) und des englischsprachigen Netzwerks PLAYCE - International Association of Architecture Education (gegründet 2003). Beide Zielkataloge haben unterschiedliche Schwerpunkte:
- Das UIA Built Environment Education Network formuliert vor allem Lernziele und -themen.
- Das Netzwerk PLAYCE reflektiert darüber hinaus in den Zielen, die eigene pädagogische Position in der baukulturellen Bildung, die Adressat*innen und methodische Ansätze.
Aus den oben dargestellten Zielen ergeben sich drei potenziell gegensätzliche, sich aber nicht ausschließende und durchaus überlagernde Bildungsbereiche, welche in der Praxis verfolgt werden:
- Erstens liegt der Schwerpunkt auf Beteiligungsprozessen mit der Absicht, Kinder und Jugendliche (und Erwachsene) mit den Methoden und Ansätzen zur Herstellung, Reproduktion und Gestaltung von Räumen vertraut zu machen. Programme in diesem Bereich sollen den Teilnehmenden helfen, räumliche Planungsprozesse und ihre Ergebnisse zu verstehen und eine aktive Rolle in solchen Prozessen zu spielen. Diese Programme geben somit auch Einblicke in die Funktionsweise der demokratischen Gesellschaft und haben inhaltliche Überlagerungen mit Projekten der baukulturellen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen.
- Der zweite Schwerpunkt ist ein Verständnis von baukultureller Bildung, das die gebaute Umgebung als Lernressource einbezieht. Dieses Lernen kann sich auf Mathematik, Physik, Kunsthandwerk, Geografie oder Geschichte beziehen; in der Tat auf fast jedes typische Schulfach oder sogar auf Themen des informellen Lernens. Es ist beabsichtigt, dass jede dieser disziplinären Erkenntnisse in einem gleichzeitigen, manchmal zufälligen Verständnis der gebauten Umwelt wurzelt.
- Drittens hat baukulturelle Bildung noch eine andere Seite, nämlich die Qualifikation der (zukünftigen) Architekt*innen und Planer*innen für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit: „Um einen Dialog mit den Nutzern führen zu können, müssen den Designern, Architekten und Stadtplanern in ihrer Ausbildung verstärkt die Belange der Nutzer und soziale bzw. gesellschaftliche Zusammenhänge vermittelt werden. Ihre Kommunikationsfähigkeit für die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Gruppen muß in der Ausbildung stärker gefördert werden” (Deutscher Kulturrat 1995:140).
In den letzten zehn Jahren wurde ein reger internationaler Austausch zwischen Anleiter*innen über Ziele und Methoden der baukulturellen Bildung aufgebaut. Dabei spielen die bereits genannten Netzwerke wie das englischsprachige Netzwerk PLAYCE, das spanisch-portugiesisch-sprachige Netzwerk Playgrounds sowie das Union of Architects (UIA) - Built Environment Education Network eine große Rolle. Letztere vergibt seit 2011 den Golden Cube Award und honoriert innovative Projekte, Medien und Methoden der baukulturellen Bildung, welche auch Online dokumentiert sind - zusammen mit Akteursprofilen von Mitgliedern aus 26 Ländern.
Zudem gibt es regelmäßig internationale Veranstaltungen wie das Symposium Get involved!, das seit 2012 von der österreichischen Initiative Baukulturvermittlung bink im Rahmen der Architekturbiennale in Venedig aller zwei Jahre veranstaltet wird. 2018 fand zudem in Spanien die erste International Biennial of Architecture Education for Children and Young People - Ludantia statt. Die Einreichung von 80 Projekten aus 18 Ländern zeigt, dass baukulturelle Bildung eine weltweite Bewegung ist.
In allen genannten Netzwerken und Initiativen ist vor allem die Profession der Architekt*innen und Planer*innen aktiv. Bei der Herausbildung der baukulturellen Anbieter*innenstrukturen im deutschsprachigen Raum spielen internationale Vorbilder und Pionier*innen, wie Kunst- und Architekturschulen, eine Rolle (z.B. Arkki – eine Architekturschule für Kinder und Jugendliche in Helsinki, mittlerweile mit Franchise-Schulen in Athen, Prag sowie Ho Chi Minh Stadt). Auch die Bildungspolitik der nordeuropäischen Staaten im Bereich Architektur und Gestaltung oder die regionalen Architekturzentren im Vereinigten Königreich Großbritannien, die jedoch heute nur noch vereinzelt existieren, dienen als Vorbilder. Dabei zeigt ein Blick in diese Netzwerke und Vorbilder, dass sich das Feld der baukulturellen Bildung mehr und mehr konsolidiert und nach Abgrenzung und Überschneidung zu anderen Bildungsfeldern gesucht wird.
Architekturvermittlung und Denkmalpädagogik
Es wurde bereits deutlich, dass die baukulturelle Bildung vor allem ihre Wurzeln in der Architekturvermittlung und dem hier vorhandenen Engagement der weltweit verbreiteten Architekt*innenkammern hat, das in den 1970er Jahren startete, aber erst in den 1990er Jahren intensiviert wurde (Sakai 2006). Um die Zusammenarbeit zwischen den Ländern hinsichtlich Fragen der architektonischen Qualität und Ausbildung zu kultivieren, wurde das European Forum for Architectural Policies (1995) gegründet. Unter anderem sollte das Bewusstsein der Entscheidungsträger*innen und der Öffentlichkeit sowie deren Beteiligung hinsichtlich architektonischer Themen gefördert werden (Schweizerische Eidgenossenschaft 2018).
In Finnland steht, wie bereits erwähnt, die Architekturvermittlung seit den 1980er Jahren besonders im Fokus. Finnland (wie auch Dänemark und Schweden) experimentierte mit Projekten und entwickelte das Konzept der "Civic Education in Architecture". 1998 wurde die finnische Architekturpolitik mit einer Grundsatzerklärung verabschiedet. 2003 wurde in Finnland Architektur in den Lehrplan der Schulen aufgenommen: Finnland gilt seitdem als Vorreiter in Bezug auf Architekturpolitik und Architekturvermittlung in Schulen.
Parallel zu diesen politischen Bewegungen sind die bereits genannten Netzwerke der Vermittlungspraxis gewachsen. Etabliert ist seit vielen Jahrzehnten das Programm der Berufsverbände, in dem Architekt*innen an Schulen vermittelt werden – in Deutschland heißt das Programm „Architektur macht Schule!“, in den USA „architects in schools (AiS)“.
Im Vergleich dazu hat sich die Denkmalpädagogik vor allem in Reflexion zur historischen, geisteswissenschaftlichen Kulturpädagogik und der Denkmalpflege entwickelt. Frühe Impulse wurden durch das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 gesetzt (Richter 2009). Unterstützt wurde die Entwicklung durch eine Reihe von Programmen der Deutschen Stiftung für Denkmalschutz, darunter das Programm „denkmal aktiv – Kulturerbe macht Schule“ (ab 2002). Denkmalpädagogik versteht sich als Kulturaneignung, bei dem (Bau-)Denkmäler als Mittler zwischen Raum und Zeit fungieren und zeigt damit deutliche Bezüge zu Zielen und Inhalten der baukulturellen Bildung auf. Dabei wird im Idealfall von einem erweiterten Denkmalbegriff ausgegangen, „der Alltagskultur und jüngere Relikte der Vergangenheit mit einbezieht“ (Richter 2009:544). Aktiv in der Denkmalpädagogik sind vor allem Denkmalpfleger*innen, Museumspädagog*innen, Historiker*innen und Archäolog*innen, Architek*innen und Handwerker*innen. Im Europäischen Kulturerbejahr wurde eine Vielzahl von Projekten mit Kindern und Jugendlichen gefördert, wie das Projekt LOST TRACES… (der Landesarbeitsgemeinschaft Architektur und Schule Bayern e.V. 2017-2019), das sich als baukulturelle Spurensuche des gebauten Erbes und Denkmalpädagogik in der baukulturellen Bildung versteht.
Kulturelle Bildung und Kunstpädagogik
Der Deutsche Kulturrat betont, dass angesichts der zunehmenden gewünschten und praktizierten Partizipation der Gesellschaft an der Zukunftsgestaltung des gebauten Raums Bildung an Bedeutung gewinnt:
„Die Mitwirkung von Bürger*innen bei der Planung ihrer Lebenswelt setzt ästhetische und kulturelle Kompetenz voraus. Deshalb gilt es, die Kritik- und Urteilsfähigkeit der Bürger*innen zu stärken und ihre Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung ihrer Umwelt zu vergrößern. Voraussetzung dafür ist eine Sensibilisierung für diese Notwendigkeit in allen Bereichen unseres Kultur- und Bildungswesens“ (Deutscher Kulturrat 1995:140).
In der Bildungspraxis und -wissenschaft zeigt sich, dass häufig die Architekturvermittlung als Baukunst über die Kunstvermittlung und Kunstpädagogik in der Kulturbildung verortet wird (Ruismäki, Ruokonen 2012, Reiterer 2017). Ein Blick in die Ausbildung und Praxis von Kunstpädagog*innen verdeutlicht, dass hier viele Themen des Bauens und Gestaltens von Raum und Architektur aufgegriffen werden (vgl. hierzu Veröffentlichungen und Schwerpunktausgaben der Zeitschriften Kunst+Unterricht 2005, 2011, 2014 und IMAGO. Zeitschrift für Kunstpädagogik 2016). Im Fokus der kunstpädagogischen Praxis steht dabei häufig „die Ermöglichung ästhetischer Erfahrung“ (siehe: Georg Peez 2013/2012 „Kunstpädagogik“). Damit einhergehend stellt sich die Frage, ob die Gelegenheit besteht, „sich vom behandelten Gegenstand ergreifen zu lassen, um das Erlebte intermedial zum Ausdruck zu bringen“ (Brenne 2012:444). In der übergeordneten Diskussion wird jedoch ebenfalls kritisch grfragt, inwiefern dies der baukulturellen Bildung wirklich gerecht wird, da im Gegensatz zu den bildenden Künsten diese nicht zweckfrei, sondern auch handlungsorientiert sei (Wüstenrot Stiftung, Krämer 2017:6-7).
Dass die Einordnung in die Kulturelle Bildung explizit gewünscht ist, zeigt die Richtlinie des Kinder- und Jugendplans (KJP) des Bundes. Hier heißt es:
„Kulturelle Jugendbildung: Angebote kultureller Bildung schaffen für junge Menschen aktive und rezeptive Zugänge zu ästhetischen, künstlerischen und kulturellen Ausdrucksformen, fördern ihre eigene ästhetisch-kulturelle Praxis und befähigen sie, sich die Welt über Kunst und Kultur differenziert zu erschließen sowie sich aktiv gesellschaftlich zu engagieren. Sie fördern die gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen sowie gleichermaßen personale, soziale und methodische Kompetenzen. Die Landschaft der kulturellen Kinder- und Jugendbildung umfasst alle künstlerischen Sparten und Formen ästhetisch-kultureller Praxis. Die Kulturelle Jugendbildung zeichnet sich durch vielfältige Angebotsformen, Bildungsorte, Zugangsformen und Zielgruppen aus“ (Bundesministerium des Innern 2016:813).
Im Rahmen von Förderprogrammen der Kulturellen Bildung (z.B. „Kinder zum Olymp“) und den BMBF Förderprogrammen (z. B. „Kultur macht stark“) werden vereinzelt Projekte mit baukulturellem Fokus gefördert.
Umweltbildung und Bildung für Nachhaltigkeit
Bereits 1980 wurde Umwelterziehung mit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz der Bundesrepublik zu einer schulischen Aufgabe erklärt (KMK 1980). In der Folge entstanden in diesem Handlungsfeld zahlreiche pädagogische, umwelt- und naturbezogene Konzepte, die in der Literatur unter anderem mit den Begriffen Naturschutzerziehung, Umwelterziehung, Umweltschutzerziehung, ökologische Bildung, ökologisches Lernen, naturbezogene Pädagogik, Umweltbildung bezeichnet wurden. Heute hat sich der Begriff Umweltbildung, der 1987 im Rahmen der Bildungs- und Umweltpolitik geprägt wurde, als Sammel- und Oberbegriff pädagogisch-praktischer Aktivitäten bezüglich der Natur und Umwelt durchgesetzt. Gerade in der Auseinandersetzung Mensch, Natur und gebaute Umwelt ergeben sich zur baukulturellen Bildung zahlreiche thematische Verbindungen, ohne dass die gebaute räumliche Umwelt den alleinigen Fokus darstellt. Dies wurde darüber hinaus durch die 1992 verabschiedete Agenda 21 verstärkt, die eine nachhaltige Entwicklung fokussiert und damit noch deutlicher das Schnittfeld zwischen Umwelt und Bau- und Planungskultur bezeichnete. Der Begriff Umweltbildung wurde somit durch die Etablierung des Begriffs Bildung für nachhaltige Entwicklung, kurz BNE, abgelöst (Becker 2001:9-11).
Der Begriff Bildung für nachhaltige Entwicklung fasst diverse Disziplinen zusammen. Die zu erlernenden Schlüsselkompetenzen, die mit BNE verfolgt werden, sind zusammenfassend interdisziplinäres Wissen, autonomes Handeln und Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen (Hauenschild/Bolscho 2015:196). Diese Ziele basieren auf den 2015 verabschiedeten Sustainable Development Goals, in denen folgende Prämisse gestellt wird:
„Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung“ (United Nations 2015:18).
Aus der öffentlichen Internetseite des „UNESCO-Weltaktionsprogramm: Bildung für nachhaltige Entwicklung“ lässt sich unter dem Punkt Was ist BNE eine definitorische Beschreibung finden. Hier heißt es:
„BNE steht für Bildung für nachhaltige Entwicklung. Entwicklung ist dann nachhaltig, wenn Menschen weltweit, gegenwärtig und in Zukunft, würdig leben und ihre Bedürfnisse und Talente unter Berücksichtigung planetarer Grenzen entfalten können. Eine solche gesellschaftliche Transformation erfordert starke Institutionen, partizipative Entscheidungen und Konfliktlösungen, Wissen, Technologien sowie neue Verhaltensmuster. […] BNE ermöglicht es jedem Einzelnen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen“ (Deutsche UNESCO-Kommission e.V. 2019).
Damit sind zentrale Elemente beider Vermittlungsformate – des Formats BNE und der baukulturellen Bildung – angesprochen. Querschnittsthemen stellen die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten zur Wahrnehmung und Sensibilisierung, aber auch zur Gestaltung der Umwelt dar. Die durch die BNE zu vermittelnden Schlüsselkompetenzen (siehe oben) stimmen mit den Zielen baukultureller Bildung überein. In beiden Bildungsformaten ist zudem die Langfristigkeit und Nachhaltigkeit der Bildungsformate durch das Verständnis, Kinder und Jugendlicher als Akteur*innen und deren Befähigung, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, von hoher Relevanz. Anders als die baukulturelle Bildung ist BNE nicht auf die gebaute Umwelt beschränkt, sondern thematisiert die natürliche Umwelt und umfasst damit ein weitaus größeres Themenfeld, wie zum Beispiel Fragen der Biodiversität und Belastbarkeit von Ökosystemen (Hauenschild/Bolscho 2015:196).
Baukulturelle Bildung in den MINT-Fächern
Wie bereits erwähnt, umfasst die baukulturelle Bildung die Möglichkeit der Vermittlung physischer und mathematischer, aber auch politischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge. Hierzu wird eine Verknüpfung mit den MINT-Fächern gefordert (Wüstenrot Stiftung, Krämer 2017:6-7, 15). Lehrmaterialien der Wüstenrot Stiftung enthalten Bezüge zu Form und Raum sowie Größen, Funktionen, Daten und Zufall in der Mathematik und Geometrie sowie Aspekte der Baustatik oder Materialphysik. Im schulischen Unterricht werden aber eher selten die Verbindungen zu Fragen der Baukultur und nur manchmal zur Architektur und zum Ingenieurswesen gezogen (vgl. Gaus-Hegner et.al. 2019).
Baukulturelle Bildung im Bereich der politischen Bildung und Demokratiepädagogik
Die Bundeszentrale für politische Bildung benennt das Potenzial baukultureller Bildung wie folgt:
„Kinder und Jugendliche mit Methoden und Prozessen der Produktion des Raumes vertraut zu machen, befähigt sie nicht nur, diese Prozesse und deren Ergebnisse (unsere Umgebung) zu verstehen und sich einzubringen, sondern vermittelt auch tiefe Einblicke in die Funktionsweise unserer demokratischen Gesellschaft“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2012).
Ziel ist die Entwicklung eines besseren Verständnisses für baukulturelle Prozesse und deren Wirkung sowie die Partizipation an diesen Prozessen. Entsprechend wird baukulturelle Bildung von vielen Akteur*innen im Feld als eine gesellschaftspolitische Aufgabe gesehen, welche eng verbunden ist mit der Befähigung zur Beteiligung an Fragen des Planens und Bauens sowie der Mitgestaltung des persönlichen und öffentlichen Umfelds (vgl. UIA 2008). Baukulturelle Bildung soll eben nicht nur die Identifikation und Vertrautheit oder die Neugierde auf die gebaute Umwelt fördern, sondern auch den Wunsch und die Befähigung, an den komplexen Prozessen des Bauens und Planens mitzuwirken (UIA 2008:4).
In der Literatur und in der Praxis wird nicht selten eine Unterscheidung zwischen Bildungs- und Beteiligungsprozessen vorgenommen. Studien legen aber nahe, dass Beteiligung an einem Thema eine gewisse Bildung in diesem Bereich voraussetzt (Mullahey/Susskind/Checkoway 1999:1; Heinrich/Million 2015) und umgekehrt Kinder- und Jugendbeteiligung auch aktiv mit Bildungsprozessen gekoppelt werden kann (Francis/Lorenzo 2002:161). Diese positiven Erfahrungen deuten darauf hin, dass baukulturelle Bildung ein Instrument zur Stärkung der Beteiligung der Jugend sein kann. Jedoch fehlen in der Forschung bisher Langzeitstudien, die untersuchen, inwieweit die Beteiligung an Stadtentwicklungs- und Gestaltungsprozessen durch baukulturelle Bildung (in der Kindheit, Jugend und im Erwachsenenalter) tatsächlich beeinflusst und qualifiziert werden kann.
Überschneidung und Abgrenzung der baukulturellen Bildung mit anderen Bildungsfeldern
Baukulturelle Bildung als Querschnittsthema
Baukulturelle Bildung erweist sich als Querschnittsthema, das aufgrund der zahlreichen Verweise Schnittstellen zu vielen Bildungsbereichen enthält, aber bisweilen auch schwer zu greifen ist. Hinzu kommt die Verwendung anderer Bildungsbegriffe in weiteren akademischen Disziplinen (Erziehungswissenschaft, Umwelt- und Naturwissenschaften, Politikwissenschaften, u.v.m.), die unmittelbar mit Baukultur verknüpft sind. Diese unterschiedlichen Sprechweisen können dazu führen, dass sich die Disziplinen stärker voneinander abgrenzen, obwohl sie sehr ähnliche Themenfelder vermitteln wollen. Insofern stellt sich die Frage, inwiefern trennscharfe Einordnungen und Zuordnungen angebracht sind und wie das Integrative und Verbindende der baukulturellen Bildung als Positivum für eine ganzheitliche und disziplinübergreifende Bildungsarbeit genutzt werden kann.
Obwohl der Wissensaustausch zwischen den Praktiker*innen existiert – es gibt zahlreiche Veranstaltungen, Netzwerktreffen, Methodenhandbücher –, wird die akademische Welt in die baukulturelle Praxis bisher selten einbezogen bzw. wurde die baukulturelle Bildung als Forschungsfeld kaum entdeckt. Das zeigt sich in einem überschaubaren Forschungsstand, der viele Anleihen zu anderen Bereichen der Bildungs- und Sozialraumforschung braucht, um Erklärungsansätze zu bieten oder die Praxis zu bereichern. Hier leistet die kürzlich erschienene interdisziplinäre Studie zu den Bildungsorten und Lernwelten der Baukultur (Million et.al. 2019) einen wichtigen Beitrag hinsichtlich des Verständnisses, wie Kinder und Jugendliche die Angebote und Programme der baukulturellen Bildung erleben, was sie lernen und in ihren Lebensalltag mitnehmen. In diesem Forschungsprojekt wird zudem das breite und vielfältige Spektrum an Bildungsangeboten innerhalb der Baukultur-Szene im deutschsprachigen Raum gesichtet und daraus erste Charakteristika der baukulturellen Bildung abgeleitet. Diese gilt es in den kommenden Jahren weiterzuentwickeln und hierbei die Chance zu nutzen, (baukulturelles) Lernen an vielen Orten und in vielen Situationen zu erreichen (vgl. BMFSFJ 2005). Wünschenswert ist, dass dies im Austausch und in Zusammenarbeit mit anderen Bildungsfeldern geschieht und baukulturelle Bildung als Sparte der Kulturellen Bildung angesehen wird.