Wohlergehensfreiheit – Welche Lebenschancen brauchen junge Menschen? Der Capability-Ansatz als möglicher Orientierungsrahmen
Jugendpolitik als Investition in Humankapital?
In der Kinder- und Jugendpolitik dominiert derzeit die Orientierung an der ökonomischen Funktion von Bildungsangeboten (siehe Klaus Schäfer „Jugendpolitik und Kulturelle Bildung“). Kindheit und Jugend ist in diesem politischen Diskurs nicht primär als eine eigenständige Lebensphase thematisch, in der ein besonderer Bildungsbedarf anfällt, sondern als Phase des Aufbaus von Humankapital. Nun ist es aber bereits aus einer rein ökonomischen Perspektive wenig sinnvoll, Kinder- und Jugendpolitik ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Humankapitalinvestition zu betrachten. Kinder- und Jugendpolitik muss vor allem auch Gerechtigkeitsfragen im Blick halten, und darunter fällt auch die Frage nach der Verteilung von Bildungsgütern, die wir um ihrer selbst willen anstreben, selbst wenn sie keinen unmittelbaren ökonomischen Ertrag zeigen.
Zu betonen, dass der Wert von Bildungsgütern nicht ausschließlich aus einer ökonomischen Effizenzperspektive betrachtet werden sollte, bedeutet aber nicht, dass die Realisierung gerechter Verteilung von Bildungsgütern stets im Konflikt mit der Realisierung ökonomischer Ziele stünde. So läßt sich zeigen, dass jeder Begriff von ökonomischer Effizienz zwingend auf das soziale Wohlergehen der Bevölkerung bezogen sein muß (vgl. Otto/Schrödter 2007).
In diesem Sinne schlägt etwa John Roemer (2006) vor, ökonomische Entwicklung als die Rate zu operationalisieren, in der die Chancen zur Erzielung von Einkommen in einer Gesellschaft angeglichen werden. Umfassender noch wird ökonomische Entwicklung bei Amartya Sen (1999) als Angleichung von Verwirklichungschancen bzw. als Zunahme an Freiheit im Sinne einer Ökonomie für den Menschen bestimmt. In vergleichbarer Weise kann auch die Effizienz des Bildungssystems betrachtet werden, indem es daran bemessen wird, inwiefern es den am schlechtesten Gestellten gleiche Bildungschancen eröffnet.
Normativer Referenzrahmen von Gerechtigkeitsurteilen
Welche Konzepte sind nun geeignet, Bildungsungleichheiten normativ gehaltvoll zu fassen, sodass sich eine Bildungspolitik, die sich der sozialen Gerechtigkeit verschrieben hat, daran orientieren kann? Bislang werden in Politik und Wissenschaft vor allem die Konzepte des Wohlbefindens, der Grundgüter, der Kompetenz und der Verwirklichungschancen verwendet. Diese Konzepte formulieren normative Referenzrahmen, innerhalb deren jugend- oder bildungspolitische Entscheidungen als vernünftig, rational und geboten erscheinen. Mit ihnen wird jeweils beurteilt, ob und inwiefern Gerechtigkeit vorliegt oder nicht.
(1) Im Rahmen des klassischen Utilitarismus orientieren sich Gerechtigkeitsurteile am subjektiven Wohlbefinden, d.h. an der erfolgten Befriedigung subjektiver Bedürfnisse. Eine Gesellschaft gilt dann als gerecht, wenn die BürgerInnen (in ihrer Gesamtheit) so glücklich sind, wie es technologisch maximal erreichbar ist. Gerechtigkeitsurteile orientieren sich hier an den tatsächlich erreichten Zuständen. Würde aber eine Jugendbildungspolitik sich an den subjektiven und womöglich wenig reflektierten Wünschen der Bedürfnisbefriedigung der Jugendlichen orientieren, würde mitunter auch das subjektive (Un-)Zufriedenheitsniveau affirmiert werden. Wenn Jugendliche aus der Existenz von umfassenden Bildungsmöglichkeiten zunächst keine unmittelbare subjektive Befriedigung erfahren – und für Bildungsprozesse ist dies wahrscheinlich, da Bildungsprozesse immer krisenhaft sind, weil sie das eigene Welt- und Selbstverständnis transformieren –, gäbe es für eine solche Politik keinen Grund, diese Möglichkeiten auszubauen.
(2) John Rawls (1975) hat daher mit seinem Grundgüteransatz vorgeschlagen, dass sich Gerechtigkeitsurteile an dem Ausmaß verfügbarer zentraler Güter wie Grund-, Freiheits- und Zugangsrechte und basaler, materieller Ressourcen orientieren sollen. Demnach gilt eine Gesellschaftsordnung dann als gerecht, wenn gewährleistet ist, dass jedem Bürger unabhängig von seinen individuellen, subjektiv geäußerten Bedürfnissen ein gewisses Maß an Mitteln zur Verfügung steht. Problematisch an dem Referenzrahmen „Grundgüter“ ist allerdings, dass er bestimmte Ungleichheiten nicht in den Blick bekommt. So haben Menschen unterschiedliche Möglichkeiten, die Mittel zur Verwirklichung ihrer Bedürfnisse zu nutzen. Diese Verwirklichungsmöglichkeiten werden zum einen durch große Unterschiede in der körperlichen und geistigen Konstitution bestimmt und zum anderen können die jeweiligen sozialen Umweltbedingungen die Verwirklichungsmöglichkeiten beeinflussen (vgl. Roemer 1998:6; Sen 2009:253ff.). Diese Variation ist der Normalfall, nicht der Ausnahmefall, weil Menschen über unterschiedliche interne Fähigkeiten verfügen. Jugendliche mit Behinderungen, Jugendliche unterschiedlicher Sozialmilieus oder Jugendliche mit Migrationserfahrungen brauchen oftmals ein Mehr an bestimmten Gütern, um ein gewisses Maß an Autonomie zu realisieren. Gerechtigkeitsurteile können also nicht lediglich die Mittel und Ressourcen in den Blick nehmen, da beispielsweise die Forderung nach Chancengleichheit im Sinne der Gleichverteilung von Mitteln zu starken Ungleichheiten führt, die sich mitunter als strukturelle Diskriminierung bezeichnen lassen.
(3) In der derzeitigen, durch die Schulsystemvergleichsstudien (PISA) angestoßenen bildungspolitischen Diskussion dominiert derzeit der Begriff der Kompetenz, sei es zur Beschreibung der Ziele von formeller, nonformeller und informeller Bildung (vgl. Jude/Hartig/Klieme 2008). Der Kompetenzbegriff bezieht sich auf eine Handlungsfähigkeit und -bereitschaft in konkreten Situationen bzw. für konkrete Aufgaben, die zugleich in ähnlichen Situationen bzw. für ähnliche Aufgaben nutzbar ist. Als Ziel von Bildungspolitik erscheint es in diesem Rahmen, Jugendliche in die Lage zu versetzen, auf Basis von flexiblen Fähigkeiten auch in neuen Situationen angemessen handeln zu können (vgl. Otto/Schrödter 2010) (siehe Kerstin Hübner „Bildungspolitik für Kulturelle Bildung“). Kompetenzkonzepte beanspruchen, die funktionalen Vermögen des Menschen zu explizieren, die er benötigt, um in modernen hochkomplexen Gesellschaften gut zu leben. Es empfiehlt sich aus zweckrationalen Gründen, sich bestimmte Schlüsselkompetenzen anzueignen. Schlüsselkompetenzen (z.B. Flexibilität) werden nicht in erster Linie aus wertrationalen Gründen um ihrer selbst willen angestrebt. Menschen eignen sie sich nicht deshalb an, weil sie sich andernfalls nicht mehr als Menschen im Spiegel anblicken könnten. Kaum jemand will deshalb „flexibel“ sein, weil er glaubt, dass ihn dies menschlicher macht. BürgerInnen moderner Gesellschaften müssen flexibel sein, wenn sie in der Gesellschaft „mithalten“ wollen.
(4) Als alternativer normativer Referenzrahmen von Gerechtigkeitsurteilen im Rahmen von Bildungspolitik und -forschung wird hier im Sinne des Capability Approach die Orientierung an „Vermögen“ (capabilitys) vorgeschlagen. Hier liegen die Möglichkeiten für einen realistischen und zugleich tragfähigen Ansatz einer kritischen empirischen Bildungspolitik, die die Einsicht begründet, dass Bildung mehr ist als Humankapitalpolitik.
Das Konzept der Verwirklichungschancen
Der von Amartya Sen und Martha Nussbaum entwickelte Capability Approach nimmt die umfassenden Potentiale des Menschen in den Blick. „Capabilitys“ sind nicht als „Fähigkeiten“ oder „Kompetenzen“ zu betrachten, sondern werden von Martha Nussbaum als das Potential eines Menschen verstanden, etwas Bestimmtes zu tun. „Capabilitys“ wird daher auch als „Befähigung“ oder „Verwirklichungschance“ übersetzt, um zu betonen, dass ein solches Vermögen nicht auf das von seinen sozialen Kontextbedingungen abstrahierte Individuum allein reduziert werden kann. Vielmehr ist es immer schon sozial kontextualisiert. In diesem Sinne befähigen Kontextbedingungen das Individuum. Doch was ist nun das Besondere des Vermögensbegriffes, den der Capability Approach der Aristotelischen Begriffstradition entnimmt?
Es ist zunächst zu unterscheiden zwischen den Dispositionen des Individuums und den externen Verwirklichungsbedingungen, die diesen Dispositionen zur Realisierung verhelfen (vgl. Abbildung 1).
Als Verwirklichungsbedingungen, die unmittelbar zu einem solchen Vermögen selbst gehören, kommen aber – wie unten deutlich werden wird – nur die wesentlichen, nicht die akzidentellen bzw. nebensächlichen Realisierungsbedingungen in Betracht. Es ist Sens und Nussbaums Verdienst, nicht nur den Vermögensbegriff für die politische Philosophie reetabliert, sondern ihn vor allem der empirischen Forschung zugänglich gemacht zu haben. Nussbaum bezeichnet die Dispositionen als „I-Capabilitys“, die wesentlichen Verwirklichungsbedingungen als „E-Capabilitys“ und die daraus zusammengesetzten Vermögen als „Combined Capabilitys“ (siehe Abbildung 2).
Nun steht und fällt die Bildungspolitik, die sich auf empirische Daten stützt mit der Operationalisierung der Vermögen im Sinne solcher kombinierter Fähigkeiten. Je nachdem, wie die jeweils interessierenden Vermögen beschrieben werden, geraten unterschiedliche
personale und soziale Bedingungen in den Blick. Dies lässt sich am Beispiel des Vermögens zur politischen Partizipation illustrieren (siehe Larissa von Schwanenflügel/Andreas Walther „Partizipation und Teilhabe“). Martha Nussbaum hat eine Liste von zehn Vermögen ausgearbeitet, die als jene Vermögen gelten, die unser Menschsein ausmachen. Die Capability Nr. 10 ihrer Capability-Liste beschreibt das Vermögen, „Kontrolle über die eigene Umgebung“ zu haben. Im politischen Sinne meint dies, imstande zu sein, „effektiv an politischen Entscheidungen teilzuhaben, die das eigene Leben betreffen; das Recht der politischen Teilnahme und des Schutzes der Redefreiheit und der Versammlungsfreiheit genießen“ zu können. Die Unterscheidung zwischen Dispositionen, wesentlichen und unwesentlichen Verwirklichungschancen zwingt dazu, die Bestandteile herauszuarbeiten, die wir in der Rede von politischer Partizipation oftmals unexpliziert lassen (siehe Abbildung 3).
So könnte als dispositionale Komponente die Kompetenz zum moralischen Urteilsvermögen und die Kompetenz der Literalität definiert werden und als externe Verwirklichungsbedingung die Rede- und Versammlungsfreiheit, der freie Zugang zu Information und ausreichend freie Zeit zur Beteiligung. Ohne diese externen Verwirklichungsbedingungen könnten sich die Kompetenzen gar nicht verwirklichen. Ohne diese externen Bedingungen bestünde das Vermögen der politischen Mitbestimmungsfähigkeit gar nicht.
Damit die Kompetenzen sich im Zusammenspiel mit den externen, wesentlichen Verwirklichungsbedingungen realisieren können, das Vermögen also besteht, müssen unzählige weitere Bedingungen erfüllt sein. So muss die Person, um partizipieren zu können, beispielsweise hinreichend gut ernährt und ausgeschlafen sein, sie sollte – wenn es um Beteiligung an einer Demonstration geht – nicht an einer Agoraphobie leiden und die Versammlung sollte nicht durch Erdbeben oder Stromausfälle gestört werden, die das Verkehrsnetz lahmlegen. Zwar mag es – unter gegebenen Umständen(!) – eine Voraussetzung für die Realisierung der politischen Mitbestimmungsfähigkeit sein, gut ernährt und ausgeschlafen zu sein, keine Angst vor öffentlichen Plätzen zu haben und nicht durch Erdbeben und Stromausfälle gestört zu werden, solche externen Verwirklichungsbedingungen erscheinen uns aber für die Definition des Vermögens der Mitbestimmungsfähigkeit als analytisch nebensächlich, als akzidentell. Es handelt sich hier um externe, akzidentelle Verwirklichungsbedingungen. Mit dieser komplexen Konzeption von Vermögen lässt sich bestimmen, was es bedeuten kann, wenn Jugendbildungspolitik sich an dem Vermögen zur Verwirklichung von Wohlergehen ausrichtet.
Wohlergehen und Realisierung des Menschseins
Der Begriff des „Wohlergehens“ dient der Beurteilung einer Lebenspraxis in Hinblick auf soziale Ungleichheit. Sen unterscheidet zwischen der (1) Freiheit, zielgerichtet zu handeln (agency freedom), der (2) Freiheit, Wohlergehen anzustreben (wellbeing freedom), dem (3) Erreichen von gesteckten Zielen (agency achievement) und (4) Erreichen von Wohlergehen (wellbeing achievement). Mit dem „zielgerichteten Handeln“ und dem „Wohlergehen“ sind zwei Aspekte von Lebenspraxis bezeichnet, die nicht aufeinander reduziert werden können (siehe Abbildung 4 ).
Im Begriff des zielgerichteten Handelns ist der Mensch thematisch, der handelnd in die Welt eingreift, wertend Stellung nimmt und sich begründet Handlungsziele setzt, die er verwirklichen will. Mit dem Begriff des Wohlergehens geht es um den Menschen, dem etwas in der Welt widerfährt, der von ihr profitiert oder unter ihr leidet. „Wohlergehen“ ist dabei nicht als egoistische Orientierung misszuverstehen. Das Wohlergehen kann sich durchaus aus der Hinwendung zu Dingen oder anderen Menschen ergeben. So kann es mir wohlergehen, wenn ich meinen Mitmenschen helfe oder mich für eine gute Sache einsetze. Solche Tätigkeiten tragen dann indirekt zu meinem Wohlergehen bei.
Die Maximierung von Wohlergehen ist häufig ein wichtiges Handlungsmotiv, jedoch lediglich eines unter vielen anderen. Zwar liegt in der Regel das Wohlergehen im Horizont der persönlichen Handlungsziele – wir setzen uns das Ziel, Wohlergehen durch unser Handeln zu verwirklichen. Aber unsere Handlungsziele müssen nicht notwendigerweise zu unserem Wohlergehen beitragen. So kann ich mir zum Ziel setzen, anderen Menschen zu helfen oder mich für eine gute Sache einzusetzen, auch wenn sich dies nicht auf mein Wohlergehen auswirkt. Menschliches Handeln ist oft auch durch deontologische Forderungen, wie der Pflicht gegenüber anderen motiviert. Damit können meine Handlungsziele sogar meinem Wohlergehen zuwiderlaufen. Wenn ich in dem Moment, in dem ich (etwa aus religiösen oder gesundheitlichen Gründen) faste, leide, dann laufen meine Handlungsziele meinem aktualen Wohlergehen entgegen. Auch im künstlerischen oder politischen Engagement, bei dem ich große persönliche Entbehrungen auf mich nehmen muss, laufen meine Handlungsziele meinem Wohlergehen entgegen. Die Lebenspraxis kennt Zustände wie „kreativen Unmut“ oder „schöpferische Unzufriedenheit“. Wohlergehen ist insofern lediglich ein erstrebenswerter Aspekt von Lebenspraxis von vielen anderen. Es wäre reduktionistisch, menschliches Handeln so zu konzipieren, als sei es grundsätzlich auf die Steigerung des Wohlbefindens gerichtet. Wenn aber menschliches Handeln auch auf andere Dinge als Wohlbefinden gerichtet ist, dann ist Wohlergehen bestenfalls ein Indikator der subjektiven Konzeption des guten Lebens. Wohlergehen bezeichnet lediglich, wie glücklich eine Person mit bestimmten Aspekten ihrer Lebenspraxis ist, nicht aber, ob es ein gutes Leben ist und nicht einmal ob die Person selbst dies für ein gutes Leben hält.
Für das „gute Leben“ spielen viel mehr Dinge eine Rolle als realisiertes Wohlergehen. Mit dem Fall der Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland mag mein aktuelles Wohlergehen nicht tangiert sein, sofern ich nicht beabsichtige, auszureisen. Allerdings wird durch den Fall der Mauer meine Freiheit erhöht, Wohlergehen zu erreichen. Schließlich könnte ich ja irgendwann beabsichtigen, auszureisen und daher wirkt es sich auf unser Wohlergehen aus, wenn wir Handlungsfreiheiten haben. Handlungsfreiheit ist also zum einen notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung, um Wohlergehen zu erreichen. Ohne die Freiheit zu zielgerichtetem Handeln kann ich nicht die Dinge tun, die mein Wohlergehen befördern. Zum anderen ist Handlungsfreiheit zugleich Selbstzweck. Es geht uns gut, wenn wir wissen, dass wir viele Handlungsoptionen haben.
Aus der Perspektive des Befähigungsansatzes hätte Jugendpolitik zu gewährleisten, dass alle Kinder und Jugendlichen ein soziales Minimum an Chancen bekommen, ihr Wohlergehen zu verwirklichen. Dabei ist es entscheidend, Kindern und Jugendlichen die Freiheit zu geben, darüber entscheiden zu können, ob sie ein bestimmtes Vermögen ausbilden und realisieren wollen oder nicht. Erst diese Freiheit, zwischen der Realisierung von bestimmten Potentialen entscheiden zu können – und das bedeutet dann, entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt zu bekommen –, charakterisiert aus der Perspektive des Capability Approach reale menschliche Freiheit. Diese positive Freiheit, wertvolle Dinge tun zu können, repräsentiert den Referenzrahmen, innerhalb dessen Gerechtigkeitsurteile zu bilden sind.
Die basalen menschlichen Verwirklichungschancen (wie Nussbaum sie beschreibt) können lediglich als ein Ausgangspunkt von Jugend- und Bildungspolitik dienen. Sie sind jeweils regional- und kontextspezifisch zu konkretisieren. Diese Konkretion soll zum einen vor dem Hintergrund des technisch Möglichen in einer Gesellschaft stattfinden, sodass das soziale Minimum in hochentwickelten Industriegesellschaften anders angesiedelt wird als beispielsweise in sogenannten Entwicklungsgesellschaften. Zum anderen ist jede konkrete, lokale Politik anleitende Liste von Verwirklichungschancen unter Einbeziehung aller relevanten AkteurInnen – hier vor allem: der Kinder und Jugendlichen selbst – zu konzipieren. Eine Liste von Verwirklichungschancen kann vernünftig nur in deliberativen Prozessen der Aushandlung zwischen den betroffenen AkteurInnen entstehen. Eine solche Liste kann dann beanspruchen, jene essentiellen Vermögen zu explizieren, die in dieser Gesellschaft für einen Menschen gegeben sein müssen, damit überhaupt von einem guten menschlichen Leben die Rede sein kann. Die so bestimmten Verwirklichungschancen gelten dann als Ausdruck eines Lebens in Würde. Eine umfassend verstandene Bildungspolitik muss in diesem Sinne Kindern und Jugendlichen die reale Freiheit geben, entscheiden zu können, welche Vermögen sie ausbilden wollen, um ihr Wohlergehen zu realisieren.