Über die künstlerischen Fächer hinaus - Kulturelle Bildung als fächerübergreifende Querschnittsaufgabe
Abstract
In diesem Beitrag wird Kulturelle Bildung als fächerübergreifende Querschnittsaufgabe (in) der Schule gefasst. In diesem Sinne lässt sich Kulturelle Bildung in den künstlerischen Fächern als ‘Schwerpunktfächer’, in allen anderen Unterrichtsfächern, in schulorganisatorischen Formaten fächerübergreifenden Unterrichts sowie auf der Ebene der Schulkultur verorten. Der Beitrag fokussiert den inhaltlich unbestimmten fächerübergreifenden Unterricht als Ort Kultureller Bildung, der als solcher bislang wenig diskutiert ist. Beide Konzepte sind didaktisch-methodisch anschlussfähig. Ihre Verknüpfung wird konzeptionell skizziert und anhand einiger Beispiele aus der schulischen Praxis illustriert. Kulturelle Bildung erscheint damit insgesamt als fächerübergreifender Bildungsbereich, der künstlerische, ästhetische und kulturelle Ausdrucks-, Vermittlungs- und Umgangsformen auch jenseits der künstlerischen Fächer integriert.
Einleitung
Kulturelle Bildung ist fraglos eine wichtige und auch selbstverständliche Aufgabe von Schule, die – unter anderem – die Persönlichkeitsentwicklung von Schüler*innen unterstützt und kulturelle Teilhabe ermöglicht (Hübner 2024). Traditionell kommt den künstlerischen Fächern wie Kunst und Musik eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung Kultureller Bildung zu. Gerade diese Fächer aber stehen unter wachsendem Druck und befinden sich „im Selbstbehauptungsmodus“ (ebd.:17): Sie fürchten angesichts anderer bildungspolitischer Schwerpunktsetzungen um ihren sowieso oft schon als randständig wahrgenommen Platz in der Stundentafel; der gegenwärtige Mangel an Lehrkräften verschärft die Lage. Ein aktuelles Beispiel hierfür liefert eine Entscheidung im Freistaat Bayern: Die Stunden für Kunst, Musik, Werken und Gestalten werden in der Grundschule zusammengefasst, um mehr Zeit für den Deutsch- und Mathematikunterricht zu gewinnen (Wilsdorff/Eichmann 2024).
Diese Entwicklungen verschärfen die grundsätzliche Frage, wo und wie Kulturelle Bildung in der Schule überhaupt stattfinden kann. Klar ist, dass sie sich nicht im Sinne eines engen Verständnisses Kultureller Bildung auf die künstlerischen Fächer beschränken soll, sondern Querschnittsaufgabe ist – ein Begriff, der die (offene) Frage nach dem angemessenen Ort eher stellt als klärt (Bieber 2016). Und das vielversprechende Konzept Kultureller Schulentwicklung, das die Schule als Institution adressiert (Fuchs 2019), konkurriert nicht nur mit vielen (ebenso vielversprechenden) anderen Querschnittsaufgaben von Schulentwicklung, sondern ist in ihrer Wirkung auch begrenzt, denn schulische Bildung findet eben primär im Medium des Unterrichtsfaches statt (Schneuwly 2018).
Ausgehend von einem Verständnis Kultureller Bildung als fächerübergreifend angelegte Querschnittsaufgabe diskutieren wir in diesem Beitrag diejenigen Orte Kultureller Bildung, die sich jenseits enger fachlicher Zuständigkeiten, aber immer noch auf der Ebene des Unterrichts bewegen: Räume fächerübergreifenden Lernens im Fachunterricht und in ergänzenden Formaten, die wichtige, bislang aber wenig(er) beachtete Bausteine einer „Schule als Kulturort“ (Czerwonka 2020) sind. Dazu bestimmen wir zunächst unser Verständnis Kultureller Bildung und klären deren Bedeutung im Kontext Schule. Anschließend skizzieren wir aus der Perspektive einer fächerübergreifenden Didaktik, wo und wie Kulturelle Bildung als integraler Bestandteil von Allgemeinbildung und über die künstlerischen Fächer hinaus realisiert werden kann.
Kulturelle Bildung als schulische Querschnittsaufgabe
Schulische Querschnittsaufgaben
Lehren und Lernen findet in der Schule primär in Fächern statt. Sie sorgen als je spezifische Zugänge zur Welt für eine systematische Auswahl und Ordnung von Inhalten, bieten Lehrenden wie Lernenden Orientierung und garantieren eine „relativ weitgefächerte Bildung für alle“ (Schneuwly 2018:295), die immer auch zum Beispiel ästhetische Modi der Weltbegegnung beinhaltet (Tenorth 2019). Zugleich steht das Fachprinzip lange schon in der Kritik (Huber 2001), da es gegenüber den komplexen Herausforderungen der Gegenwart und den vielfältigen Perspektiven von Schüler*innen als zu starr erscheint: Tendiert die moderne Schule mit ihrer Ausrichtung auf Zukunftskompetenzen (Poitzmann/Sobel 2024) nicht zu einer „Entfachlichung“ (Reh/Caruso 2020) des Unterrichts?
Erstmal (noch) nicht. Neuere gesellschaftliche Herausforderungen, Themen und Zugänge, die bisher keinen festen Platz in der Schule hatten, werden als Querschnittsaufgaben an Schulen und Lehrkräfte herangetragen (Bieber 2016). Das geschieht in Deutschland vor allem über Empfehlungen und Erklärungen der Kultusministerkonferenz (KMK), die diese Aufgaben auch als „übergreifende Bildungsbereiche“ (KMK 2024) fasst, und die dann nach und nach in die Lehrpläne einzelner Bundesländer integriert werden. Sie sind weder einheitlich bezeichnet noch systematisch hergeleitet oder eindeutig voneinander abzugrenzen (Bieber 2016). Das führt zur Wahrnehmung einer gewissen Beliebigkeit und Zufälligkeit: So ist in der ganz zentralen Empfehlung zur „Kulturellen Kinder- und Jugendbildung“ (KMK 2022) auch der Kulturellen Bildung in der Schule ein Kapitel gewidmet. In den Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule firmierte der Bereich in verengter Form unter dem Titel „Musisch-ästhetische Bildung“ (KMK 2015), in der aktuellen Vereinbarung zur Arbeit in der Grundschule (KMK 2024) fehlt er als eigenständiger Bereich völlig.
Bei aller terminologischen und konzeptionellen Unübersichtlichkeit zeichnen sich Querschnittsaufgaben im Sinne fächerübergreifender Bildungsbereiche aber durch gemeinsame Merkmale aus (Dietz et al. 2024): Sie verweisen auf gesellschaftlich relevante Ziele und Themen, für die die pädagogische Arbeit in der Schule eingespannt wird – und sind deshalb durch eine unhintergehbare Normativität gekennzeichnet. Sie sind auf überfachliche Bildungsziele und Kompetenzen bezogen und quer zur Struktur der Schulfächer verankert. Das bedeutet, dass sie als – oft nicht verbindlicher – Anspruch an alle Lehrkräfte formuliert sind, den es innerhalb ihres Fachunterrichts (nicht nur in Kunst und Musik), in fächerübergreifenden Formaten (wie im Epochenunterricht oder an Projekttagen) und in der Gestaltung des Schullebens (Stichwort: Kulturelle Schulentwicklung) umzusetzen gilt (Hübner 2024).

Wenn potenziell alle verantwortlich sind, vereinfacht das nicht gerade die Integration einer Querschnittsaufgabe: Viele Lehrkräfte fühlen sich nicht ausreichend qualifiziert, angesichts der Vielzahl solcher Aufgaben überfordert und nehmen sie als zusätzliche Belastung wahr, die die knappe Zeit für das fachliche Lernen (weiter) beschneidet. Es besteht die Tendenz, (nur) die Schwerpunktfächer und die entsprechenden Fachkolleg*innen als zuständig zu adressieren oder externe Partner*innen zu gewinnen – und sich so auf die eine oder andere Weise zu entlasten. Im Folgenden geben wir ausgehend von Abbildung 1 und im Bewusstsein der genannten Herausforderungen einen Überblick über mögliche Orte Kultureller Bildung in der Schule.
Zum Begriff Kultureller Bildung
Um ein Verständnis von Kultureller Bildung als schulische Querschnittsaufgabe zu begründen, bedarf es einer terminologischen Justierung, da Kulturelle Bildung als Containerbegriff für verschiedene Bildungsbereiche verstanden werden kann (Reinwand 2012, Hübner 2016, Liebau 2016). Grundsätzlich kann Kulturelle Bildung als Teil der Allgemeinbildung verstanden werden, die sich nach Max Fuchs (2018) in drei konzentrischen Kreisen systematisieren lässt: Künstlerische Bildung im Sinne eines rezeptiven und produktiven Umgangs mit den Künsten wird als innerer Kreis von der ästhetischen Bildung als Sensibilisierung für Gestaltung und Form umschlossen. Die aisthetische Bildung, die diese Sensibilisierung um die sinnliche Wahrnehmung erweitert, geht mit der ästhetischen Bildung einher. Damit kann „kulturelle Bildung [...] als Allgemeinbildung verstanden werden, die sich in den spezifischen Arbeitsformen der Kulturpädagogik entfaltet” (ebd.:19).
Kulturelle Bildung ist daher weder von Kunst noch von Kultur zu trennen, da beide (in allen konzeptionellen Varianten) grundlegend für kulturelle Lernprozesse und Aktivitäten sind (Stute/Wibbing 2014). Diese kulturellen Lernprozesse und damit Kulturelle Bildung versuchen mit ganzheitlichen, partizipativen, stärkenorientierten und damit auch interdisziplinären Ansätzen kulturelle Teilhabe und zugleich Kreativität, sinnliche Wahrnehmung und ästhetische Ausdrucks- und Gestaltungsfähigkeit sowie einen kritischen Umgang mit Kunst und Kultur zu fördern (Bielenberg 2007).
Mit dem Begriff der Kulturellen Bildung begegnen wir also nicht nur einer terminologischen Vielfalt, sondern auch einem kontextabhängigen Kulturbegriff (Reinwand 2012). Bildungsorte wie Schule sollen hierbei als Orte der Kulturvermittlung und der Begegnung mit und durch Kunst und Kultur verstanden werden (Liebau 2016), wofür es einen weiter gefassten Begriff von Kultur (auch) als Lebenswirklichkeit, Teil des Menschseins und Wertekonstrukt bzw. Humanisierungs- und Sozialisierungsidee bedarf, was Kulturelle Bildung über einen engen Kulturbegriff, der sich auf die Künste fokussiert, hinaus konzeptionell und praktisch öffnet (Fuchs 2018). Dadurch bleiben bzw. werden die Orte Kultureller Bildung füreinander anschlussfähig (Reinwand-Weiss 2016).
Vor diesem Hintergrund hat Kulturelle Bildung das Potenzial, Freiräume für Weltbegegnung, Perspektivwechsel und Reflexion zu schaffen und über künstlerische und ästhetische Ausdrucks-, Vermittlungs- und Umgangsformen über das künstlerische Tätigsein hinaus allgemein-, selbst- und persönlichkeitsbildend zu wirken (Reinwand 2012, Liebau 2016, Reinwand-Weiss 2016). Löst man Kulturelle Bildung also aus ihrer historischen Tradition als Eigenheit der künstlerischen (Schul-)Fächer, lässt sie sich im Sinne eines fächerübergreifenden Bildungsbereichs als offene Gestaltungsaufgabe verstehen, die ...
- … in spezifischer Weise qualifiziert, ohne rein kognitiv zu vermitteln,
- … kulturelle Erfahrungen ermöglicht und ein kulturelles Wissen vermittelt, ohne dieses explizit zu kanonisieren,
- … persönlichkeitsbildend ist und Chancengleichheit fördert und damit einen Beitrag zur Allgemeinbildung leistet (Lohfeld 2015, Reinwand-Weiss 2016, Witte 2003, Wranka 2012).
Zusammenfassend definieren wir Kulturelle Bildung im Sinne unseres Anliegens dann wie folgt: Kulturelle Bildung verfolgt einen ganzheitlichen, fächer- bzw. bereichsübergreifenden Ansatz und integriert künstlerische, ästhetische und kulturelle (bzw. kulturpädagogische) Ausdrucks-, Vermittlungs- und Umgangsformen.
Als offene Gestaltungsaufgabe erfolgt das Lernen mit und durch Kunst und Kultur in spezifischer Weise erfahrungs- und handlungsorientiert, fächerübergreifend bzw. interdisziplinär sowie partizipativ und subjektorientiert. Dabei besitzen diese Lehr- und Lernprozesse ein kritisches Vermögen, Machtverhältnisse und Konflikte im kulturellen Kontext sichtbar zu machen und produktiv zu reflektieren (Bielenberg 2007, Reinwand 2012). Zudem findet sich Kulturelle Bildung an unterschiedlichen Orten und ist geprägt von Kooperationen verschiedener Akteur*innen des künstlerischen, kulturellen, politischen und pädagogischen Bereichs (vgl. dazu auch Zacharias 2008).
Orte Kultureller Bildung in der Schule
Kulturelle Bildung ist nicht auf Schule und Unterricht beschränkt, sondern findet sich in einem vernetzten Raum von Kulturpolitik, Jugendarbeit und -hilfe sowie Schule wieder, wie dies beispielsweise im „magischen Dreieck“ nach Wolfgang Zacharias (2008) deutlich wird. Hier zeichnet sich Schule als lokale Institution Kultureller Bildung und damit als Teil der Lebenswelt der Lernenden aus. Diese befindet sich dabei in einem kultur- und bildungspolitischen Bedingungs- und außerschulischen Praxisfeld. Schule verortet sich dabei neben anderen Akteur*innen Kultureller Bildung wie zum Beispiel Künstler*innen, Politiker*innen, woraus sich schulinterne und -übergreifende Kooperationen ergeben (können) (Reiss 2015, Hübner 2016).
Nehmen wir folglich Schule als einen Ort Kultureller Bildung näher in den Blick, zeigen sich sowohl außerschulische Einflüsse auf die schulische Praxis als auch umgekehrt. In einer modellhaften Skizze von Schule identifizieren wir Orte Kultureller Bildung in der Schule (vgl. auch Hübner 2024): Als gesamtschulische Rahmung sehen wir das Schulleben und die Schulkultur (Klopsch 2019, Fuchs 2019). Darunter identifizieren wir den fächerübergreifenden Unterricht, in welchem über die Grenzen der Fächer hinaus bzw. ‘zwischen den Fächern’ kulturell gebildet wird (zum Beispiel Bielenberg 2006). Er liegt zwar auf der Ebene des Unterrichts, ist aber in besonderer Weise mit der Schulkultur verknüpft oder Ausdruck hiervon, weil seine Ausgestaltung in der Regel als Aufgabe der ganzen Schule formuliert ist. Auch die Fächer selbst sind fachspezifische Orte Kultureller Bildung, wobei bestimmte Einzelfächer eine Schwerpunktfunktion erhalten (Stute/Wibbing 2014). Daneben finden sich Kooperationen und Netzwerk(bildungen) (beispielsweise Braun 2023). Alle diese Sphären sind in die über- und untergeordneten Bereiche hin durchlässig, bedingen einander und bieten Verbindungsstellen.
Sowohl unser Begriffsverständnis als auch die hieran anschließende, knappe Ortsbestimmung machen deutlich, dass Kulturelle Bildung nicht auf die künstlerischen Fächer beschränkt ist (vgl. auch Czerwonka 2020, Hübner 2024). Aus unserer Sicht ist insbesondere der schulische Rahmen fächerübergreifenden Unterrichts noch nicht gut ausgeleuchtet, weswegen wir diesen im Folgenden genauer in den Blick nehmen.
Fächerübergreifender Unterricht als Ort Kultureller Bildung
Grundlagen fächerübergreifenden Lehrens und Lernens
Die Verankerung Kultureller Bildung in der Schule ist eng mit der Frage verbunden, welche Rolle die künstlerischen Fächer (Schwerpunktfächer) spielen und welche Möglichkeiten sich durch Kulturelle Schulentwicklung (Schulleben und Schulkultur) eröffnen. Beide Zugänge bieten spezifische Potenziale, stoßen jedoch auch an ihre Grenzen (Hübner 2024). Wie im vorherigen Kapitel gezeigt, eröffnet sich ein weiterer, bislang weniger beachteter Ort für Kulturelle Bildung ‚zwischen den Fächern‘. Dabei beziehen wir uns auf das Konzept des Fächerübergreifenden Unterrichts. Dieses Konzept hat eine lange didaktische Tradition und versteht sich als Korrektiv zu einem streng fächergebundenen Unterricht (Klafki 1998, Huber 2001, Duncker 2021).
Wir vertreten die These, dass der Fächerübergreifende Unterricht ein besonderes Potenzial für die Integration von Querschnittsaufgaben bietet (Biehl/Heinrich 2022, Gaubitz 2024) und damit auch für die Kulturelle Bildung Symbiosen ermöglicht: Der Fächerübergreifende Unterricht braucht konkrete Bildungsinhalte, die Kulturelle Bildung einen Ort, an dem sie sich jenseits enger fachlicher Systematiken entfalten kann. Dies gewinnt vor dem Hintergrund an Bedeutung, dass sowohl Querschnittsaufgaben als auch der Fächerübergreifende Unterricht durch terminologische Unschärfen und eine mangelhafte systematische curriculare Verankerung gekennzeichnet sind. Um dieses Potenzial zu verdeutlichen, skizzieren wir im Folgenden die didaktischen Grundlagen des Fächerübergreifenden Unterrichts.
Der Fächerübergreifende Unterricht bietet einen schulischen Ort, an dem bewusst und gezielt Fächergrenzen überschritten werden, um komplexe Probleme zu adressieren, Anknüpfungspunkte an die Interessen und Erfahrungen der Lernenden herzustellen und Metaperspektiven einzunehmen (Moegling 2010; Caviola et al. 2011). Er ist dabei eng mit einer noch nicht vollständig ausgearbeiteten Didaktik inter- und transdisziplinärer Bildung verbunden, die ihn als reflektierte Relationierung fachlicher und lebensweltlicher Perspektiven versteht (Hempel 2024). Im Zentrum des Fächerübergreifenden Unterrichts stehen komplexe Themen, die verschiedene Facetten besitzen und unterschiedliche fachliche Wissensbestände sowie Zugänge erfordern (Hempel 2020). Dieses Prinzip der Mehrperspektivität kann auch für Fachunterricht relevant oder - wie etwa im Sachunterricht - sogar leitend sein, derart konstitutiv ist es aber nur in eigenständigen Formaten Fächerübergreifenden Unterrichts. Dabei können verschiedene inter- und transdisziplinäre Bildungsziele in den Fokus rücken, die jeweils unterschiedliche Modi des Fächerbezugs ermöglichen (Hempel 2024):
a) Perspektiven verbinden
Das Ziel dieses Modus besteht darin, ein komplexes Thema oder Problem in unterschiedlichen Zusammenhängen zu verstehen. Dabei werden verschiedene fachliche Zugänge kombiniert und koordiniert, um eine Vielfalt an Perspektiven aufzuzeigen. Die zugrunde liegende Logik ist die disziplinäre Basis, das heißt, jede fachliche Perspektive bleibt für sich klar erkennbar. Allerdings besteht das Risiko, dass diese Perspektiven unverbunden nebeneinanderstehen und keine integrative Verbindung entsteht, wodurch das Potenzial einer vertieften Einsicht nur unzureichend ausgeschöpft wird.
b) Perspektiven integrieren
In diesem Modus geht es darum, ein komplexes Thema oder Problem nicht nur zu verstehen, sondern auch aktiv zu bearbeiten. Die fachlichen Perspektiven werden so miteinander verknüpft, dass sie zu einer interdisziplinären Konvergenz führen. Dies ermöglicht eine kohärente Problemlösung, indem die unterschiedlichen Zugänge gezielt miteinander verbunden werden. Gleichzeitig birgt dieser Ansatz das Risiko, dass die einzelnen Fachperspektiven vermischt werden und dabei ihre spezifische Eigenständigkeit verlieren.
c) Perspektiven kontrastieren
Hier steht die Reflexion der unterschiedlichen Perspektiven im Vordergrund. Lernende sollen ihre eigenen Sichtweisen mit fachlichen Standpunkten bzw. fachlichen Zugängen als solche vergleichen, um die Vielfalt und Unterschiede zwischen den Perspektiven zu erkennen und zu reflektieren. Dieser Modus basiert auf einer metadisziplinären Divergenz, die das Ziel hat, Perspektivität und deren Bedeutung für Problemlösungen herauszuarbeiten. Das Risiko liegt jedoch darin, dass der Bezug zum eigentlichen Thema oder Problem verloren gehen kann und die Anwendungsperspektive in den Hintergrund tritt.
d) Perspektiven entfalten
Dieser Modus schafft Freiräume, in denen Lernende eigene Interessen verfolgen können. Dabei werden nicht-fachliche Bezüge bewusst in die Themen- oder Problembearbeitung einbezogen, um neue Perspektiven und innovative Lösungen zu ermöglichen. Die zugrunde liegende Logik ist eine transdisziplinäre Überschreitung, die den Rahmen der Fachlichkeit auflöst und lebensweltliche Bezüge integriert. Allerdings besteht hier die Gefahr einer Entfachlichung der Bearbeitung, bei der das Thema seinen wissenschaftlichen und strukturierten Bezug verliert.

Diese Modi zeigen Chancen für mehrperspektivische Zugänge auf, die jenseits eines ‚ganz oder gar nicht‘ Möglichkeiten zur Integration von Inhalten und Zugängen der Kulturellen Bildung eröffnen. Sie schließen sich keineswegs aus, sondern zeigen als didaktische Heuristik mögliche Schwerpunktsetzungen auf. Die nachfolgenden Kapitel verdeutlichen, dass solche Unterrichtsformate an zentrale didaktische Prinzipien Kultureller Bildung anschlussfähig sind. Zudem wird exemplarisch dargestellt, wie sich die skizzierten Modi mit Blick auf Kulturelle Bildung konkretisieren lassen.
Kulturelle Bildung in fächerübergreifenden Zusammenhängen
Kulturelle Bildung ist für den Fächerübergreifenden Unterricht durch eine Anschlussfähigkeit bzgl. ihrer didaktischen Prinzipien gut realisierbar. Fächerübergreifender Unterricht als Konzept, im Lernen und Lehren der Komplexität der Welt adäquat zu begegnen (Rabenstein/Herzmann 2011), kommt dem ganzheitlichen Verständnis Kultureller Bildung und der in ihr notwendigen Ermöglichung, Vielfalt zu erleben, entgegen (Rieß 2019). Der Bezug auf die Interessen und Stärken der Lernenden sowie die Förderung überfachlicher Kompetenzen wie Fehlerfreundlichkeit, Selbstwirksamkeit und Kooperationsbereitschaft sowie Partizipation und Eigenverantwortlichkeit im Arbeitsprozess finden sich als didaktische Momente sowohl im Fächerübergreifenden Unterricht als auch in der Kulturellen Bildung (Labudde 2009, Rieß 2019, Stute/Wibbing 2014). Kulturelle Bildung hat wie der Fächerübergreifende Unterricht innovatives Potenzial im Vergleich zum ‘regulären’ Fachunterricht, da beide Konzepte dem selbstgesteuerten und kooperativen Lernen - nicht zuletzt durch die typische Realisierung mit der Projektmethode - mehr Raum geben (Forsbach 2013, Rieß 2019).
Abschließend nehmen wir nochmals auf die angesprochenen Modi fächerübergreifenden Lehrens Bezug und möchten damit die oben abstrakt gezeigte Anschlussfähigkeit Kultureller Bildung für den Fächerübergreifenden Unterricht beispielhaft illustrieren. Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss (2020) bezieht sich auf das Projekt „Remida – das kreative Recycling Centro“, bei welchem Kulturelle Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung gleichberechtigt zusammengeführt und dabei verschiedene Perspektiven (ästhetisch-sinnliche, technische sowie ethische) zur Bearbeitung des komplexen Themas der ökologischen Nachhaltigkeit eingesetzt werden. Hier zeigt sich in besonderem Maße eine Verbindung unterschiedlicher Perspektiven, indem zum Beispiel die Idee des Upcyclings als ästhetisch-kultureller Lösungsweg für einen nachhaltigen Umgang mit dem Problem der Umweltverschmutzung herausgearbeitet wird.
Als Beispiel einer Integration von Perspektiven kann die Musik- bzw. Tanz- und Bewegungsimprovisation im Unterricht genannt werden. Hier treffen verschiedene (zum Beispiel musikalische, körperliche und raumbezogene) Perspektiven aufeinander, um kreative Improvisationen zu entwickeln und zu präsentieren. Dabei steht die Improvisation zentral und verhandelt nicht explizit die verschieden wirksamen Perspektiven (Bläsing 2023).
Kulturelle Teilhabe als ein Ziel Kultureller Bildung verweist auf den Modus einer Kontrastierung von Perspektiven. Siglinde Lang (2023) stellt verschiedene Projekte vor, bei welchen Künstler*innen mit Schüler*innen in partizipativer Weise Kunst schaffen und somit sowohl inner- als auch außerschulisch kulturell bilden. Dabei stellen diese Projekte besonders einen ästhetisch-künstlerischen, erfahrungsorientierten und auch politisch-sozialen Begegnungsort zur Verfügung. Dort können Schüler*innen (und andere Teilnehmende) das kulturelle Tätigsein nutzen, um sich ihrer eigenen Positionierung bewusst zu werden, diese in Relation zu anderen zu verhandeln und aus verschiedenen Perspektiven betrachten und beurteilen zu können.
Als Beispiel für den Modus einer Entfaltung von Perspektiven möchten wir zuletzt beispielhaft das Konzept der Lernwerkstatt in der (Hoch-)Schule benennen, in welchem in besonderem Maße inter- und transdisziplinär sowie interessengeleitet (kulturell) gelehrt und gelernt werden kann (Hempel/Weigelt, i.E.). Die Lernwerkstatt bietet einen mit vielfältigen Materialien angereicherten Raum, in dem Schüler*innen eigenverantwortlich Interessen verfolgen und die damit einhergehenden Lernerfahrungen reflektieren sollen. Sie kann selbstverständlich auch einen Ort Kultureller Bildung darstellen und beispielsweise im schulischen Ganztag bzw. als ergänzender Ort für Unterricht in der schulischen Praxis Einzug finden (Speck-Hamdan 2006).
Fazit und Ausblick
Kulturelle Bildung als fächerübergreifende Querschnittsaufgabe kann in jedem Fach und über die Fächer hinaus adressiert werden. Somit bedarf es keiner curricularen Beschränkung auf bestimmte Fächer. In einem laufenden Promotionsprojekt zur Praxis des Schul(musik)theaters zeichnet sich wiederum ab, dass die künstlerischen Fächer gleichwohl eine tragende Rolle (selbstgewählt und fremdbestimmt) für die Kulturelle Bildung zugesprochen bekommen. Dennoch möchten wir mit diesem Beitrag einladen, diese schulpraktische Selbstverständlichkeit kritisch zu reflektieren und alle Fächer sowie ganz besonders den Fächerübergreifenden Unterricht in seinen je schulspezifisch ausgeprägten Formaten in die Verpflichtung zur Kulturellen Bildung zu nehmen.
In den Daten des genannten Promotionsprojekts zeigen sich Potenziale und Herausforderungen Kultureller Bildung in fächerübergreifenden Zusammenhängen, auf die wir abschließend hinweisen möchten. Empirische Studien dieser Art sind notwendig, um jenseits konzeptioneller Überlegungen tatsächliche kulturelle Bildungspraxis in den Blick zu bekommen und didaktisch reflektieren zu können. Zuvorderst wird sichtbar, dass kulturelles Lernen im Kontext von Schul(musik)theater fächerübergreifend organisiert wird und zugleich den Einzelfächern zugeordnet und als Beitrag für das fachliche Lernen identifiziert werden kann. Als Beispiel sei ein Projekt an einer weiterführenden Schule angesprochen, bei welchem eine Kinder- und Jugendoper zur Aufführung gebracht werden soll. Die dort beteiligten Lehrkräfte sehen durch das Theaterstück zum Beispiel sowohl Anknüpfungspunkte in Einzelfächern wie Ethik, Religion oder gesellschaftswissenschaftlich orientierten Schulfächern als auch Lernmöglichkeiten im sprachlichen sowie künstlerischen Bereich. Ebenso betonen sie den integralen Beitrag kulturellen Lernens für die Persönlichkeitsentwicklung und formulieren Theater als Ort, sich als Individuum selbst zu erfahren, in der Gruppe produktiv und prosozial zu agieren sowie sich kritisch und intensiv mit einem Thema zu beschäftigen. Ebenso erfahren die Lehrkräfte die Kooperation mit externen Partner*innen und außerschulischen Institutionen als bereichernd und dem Lernen und der individuellen Entwicklung der Lernenden (und Lehrenden) zuträglich. Ein damit erhöhter Zeit- und Arbeitsaufwand und die Notwendigkeit von nicht immer konfliktfreier Kooperation mit den Kolleg*innen, Schüler*innen, Eltern, Schulleitung und so weiter markiert zudem Kulturelle Bildung als didaktische und organisatorische Herausforderung.
Im Anschluss an diese knappe Skizze eines empirischen Einblicks möchten wir mit einem Plädoyer für die Kulturelle Bildung an der Schule schließen. Wie wir im Beitrag zeigen konnten, ist Kulturelle Bildung eine fächerübergreifende Querschnittsaufgabe, die auf verschiedenen Ebenen des Lehrens und Lernens in der Schule stattfindet. Kulturelle Bildung reiht sich in die Liste der Querschnittsaufgaben von Schule ein, die zusammengenommen ein vielfältiges, facettenreiches Verständnis von Allgemeinbildung konstituieren, das sich in und jenseits der Unterrichtsfächer entwickelt. Besondere Potenziale, so haben wir argumentiert, bietet der schulorganisatorische Rahmen des Fächerübergreifenden Unterrichts. Die hier eingebrachten Beispiele zur Erläuterung der Modi Fächerübergreifenden Unterrichts bleiben jedoch im Rahmen unseres Beitrages exkurshaft. Somit bedarf es sowohl weiterer, vertiefender konzeptioneller Betrachtungen als auch hierauf bezogener empirischer Forschung mit Fokus auf die schulische Praxis.