Kompetenznachweis Kultur
Der Kompetenznachweis Kultur ist ein Bildungspass, der an Jugendliche zwischen zwölf und 27 Jahren vergeben wird, die aktiv an Angeboten Kultureller Bildung teilgenommen haben. Er hat die Funktion, ihre personalen, sozialen, methodischen und künstlerischen Kompetenzen zu dokumentieren, transparent zu machen und anzuerkennen. Damit gehört der Kompetenznachweis Kultur zu den standardisierten partizipativen Verfahren, informell und nicht formal erworbene Kompetenzen zu erfassen.
Genese
Die Bedeutung von Kompetenzen, die an verschiedenen Bildungsorten, also formellen, informellen und nicht formalen, erworben werden, ist im bildungs- und beschäftigungspolitischen Diskurs seit Mitte der 1990er Jahre deutlich gestiegen. Dies zeigt sich vor allem im Konzept des Lebenslangen Lernens sowie in den Schlussfolgerungen, die aus den Ergebnissen der großen internationalen Schülerleistungsvergleichstests gezogen wurden (vgl. Europäische Kommission 2000 und OECD 2001). Europäische Union, Bund-Länder-Kommission, Kultusministerkonferenz, Forum Bildung und Bündnis für Arbeit greifen diese Perspektiven auf und betonen die Bedeutung einer umfassenden Bildung sowie der Anerkennung informeller und nicht formal erworbener Kompetenzen für allgemeine Bildungsprozesse und Beschäftigungsfähigkeit. So formuliert etwa das Forum Bildung: „Kompetenzen werden nicht nur in den klassischen Bildungseinrichtungen, sondern in starkem Maße in der Lebens- und Arbeitswelt erworben. Die Orte der informellen Bildung müssen neu entdeckt, als solche ernst genommen, gestaltet und stärker gefördert werden“ (Arbeitsstab Forum Bildung 2000:3).
Zugleich bedurfte es zur Erfassung dieser Kompetenzen adäquater Verfahren zu deren Anerkennung. Auf diesem Wege entstanden unterschiedliche Konzepte für die verschiedenen Bildungsbereiche (vgl. Seidel/Bretschneider 2008). Im Zuge dessen etablierten die VertreterInnen Kultureller Bildung ein eigenes Verfahren. Dies trägt sowohl der Bedeutung des Handlungsfeldes Kulturelle Bildung als eines selbstverständlichen Teils allgemeiner Bildung Rechnung, wie es auch dessen Spezifika berücksichtigt. Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) entwickelte ab 2001 den Kompetenznachweis Kultur und richtete sein Konzept konsequent an den Prinzipien Kultureller Bildung aus. Dieser Bildungspass ist sukzessive weiterentwickelt worden und wird heute in allen Praxisfeldern Kultureller Bildung angewendet. Die Implementation und Organisation liegt federführend bei der BKJ im Verbund mit einem bundesweiten Netzwerk entsprechender Servicestellen.
Konzept
Der Kompetenznachweis Kultur ist in ein umfassendes Theorie- und Qualitätssicherungssystem integriert. Er unterliegt einem standardisierten partizipativen Verfahren und bietet den unterschiedlichen Arbeitsfeldern Kultureller Bildung Platz, Kompetenzen jeweilig kunstspartenspezifisch zu erfassen. Der Kompetenznachweis Kultur erfüllt überdies nachweislich die notwendigen Qualitätsstandards für Kompetenznachweisverfahren (vgl. Erpenbeck 2009:261ff.). Er stellt das sich bildende Subjekt in den Mittelpunkt und versteht Kompetenzen als individuelle Dispositionen, konkrete Probleme lösen und sie auf persönlicher, sozialer und beruflicher Ebene nutzen zu können. Der besondere Schwerpunkt liegt darin, künstlerische und kulturelle Kompetenzen zu dokumentieren (siehe Siegfried J. Schmidt „Kulturelle Kompetenz als Schlüsselkompetenz“). Insgesamt ist die Kompetenzerfassung ergebnisoffen, dialogisch angelegt und fokussiert auf individuelle Stärken.
(Kultur-)Pädagogische Einrichtungen können den Kompetenznachweis Kultur nur vergeben, wenn sie folgende Qualitätskriterien einhalten: (1) Die Angebote müssen freiwillig und teilnehmerorientiert sein sowie Möglichkeiten der Partizipation eröffnen. (2) Die Vergabe ist auch in künstlerischen und kulturpädagogischen Projekten in der Schule möglich, wenn diese Bedingungen erfüllt sind. (3) Die Vergabe kann nur über Fachkräfte erfolgen, die in der Kulturellen Bildung arbeiten und ein entsprechendes Fortbildungszertifikat erworben haben. (4) Für die Vergabe muss das Nachweisverfahren vollständig durchgeführt worden sein. (5) Jeder Jugendliche entscheidet selbst, ob er einen Kompetenznachweis Kultur erhalten möchte. (6) Für den Erhalt müssen die Jugendlichen aktiv an einem Angebot Kultureller Bildung und am Prozess des Nachweisverfahrens teilgenommen haben (mind. 50 Std.).
Potential
Das Deutsche Jugendinstitut und die Universität Eichstätt-Ingolstadt haben den Kompetenznachweis Kultur evaluiert und attestierten ihm folgende Wirkungen (vgl. Timmerberg/Schorn 2009). Durch ihn wird die Bedeutung Kultureller Bildung für allgemeine Bildungsprozesse, Persönlichkeitsentwicklung und Kompetenzerwerb auch für Dritte nachvollziehbar. Sein Kern liegt darin, Jugendliche zu stärken, ihre eigenen Fähigkeiten zu erfassen, verbalisieren, reflektieren und weiter entwickeln zu können. Er trägt zudem zur Professionalisierung der Fachkräfte bei, indem er ihnen ein Instrument an die Hand gibt, die eigene Arbeit sinnvoll zu reflektieren, qualitätvoll zu gestalten und unreduziert Bildungsprozesse von Jugendlichen zu dokumentieren.
Perspektiven
Offenheit, Dialogizität und Kompetenzorientierung des Verfahrens bilden zusammen das besondere Potential des Kompetenznachweises Kultur. Es zeigt exemplarisch, wie Stärkenorientierung und Ergebnisoffenheit bei der Erfassung von Bildungsprozessen mit Qualität und Leistungsanspruch zusammengehen können. Seine Stärke als Bildungspass wurde in der 2006 durchgeführten Begleitforschung hervorgehoben: „Hierin steckt eine große Chance der außerschulischen kulturellen Jugendbildung. Nirgendwo sonst können Zertifikate erstellt werden, an deren Formulierung die Zertifizierten mitarbeiten können“ (Geier 2006:52).
Prinzipiell wäre es denkbar, ihn auch auf andere Bildungsbereiche zu übertragen. Somit könnte er zum Vorbild für eine andere Form der Leistungsbeurteilung in sämtlichen Bildungsbereichen werden, indem er auf Partizipation und Stärkenorientierung fokussiert. Dass es hierfür einen generellen Bedarf gibt, zeigt nicht zuletzt das Interesse von allgemeinbildenden Schulen sowie Aus- und Weiterbildungsinstitutionen an solchen Nachweisverfahren, wie sie der Vergabe für den Kompetenznachweis Kultur zugrunde liegen. Um tatsächlich mit anderen Nachweisverfahren (Zertifizierungen) gleichgestellt werden zu können, bedürfte es der bildungspolitischen und bildungsrechtlichen Anerkennung. Dies ist allerdings längst noch nicht der Fall, wie Sabine Seidel und Markus Bretschneider analysieren. Konzepte zur Anerkennung von Kompetenzen rangieren nämlich in Deutschland weitgehend unterhalb der ordnungspolitischen Ebene (vgl. Seidel/Bretschneider 2008:9). Käme es zu einer formalrechtlichen Anerkennung, müsste jedoch besondere Sorgfalt bei der Weiterentwicklung solcher Instrumente darauf gelegt werden, ihre spezifischen Stärken und Qualität in der Kompetenzerfassung beizubehalten.