Zur Volks- und Laienkunst, zum Bildnerischen Volksschaffen in der DDR
Abstract
Was verstand man unter Volks- und Laienkunst sowie Bildnerischen Volksschaffen in der Deutschen Demokratischen Republik? Welche kulturpolitischen Ideen, Ziele und Wirkungen waren damit verbunden? Dieser Beitrag bietet Antworten auf die Fragen aus zwei Perspektiven. Zum einen thematisiert er folgende Aspekte retrospektiv: Das Verständnis von Volkskunst, insbesondere des Bildnerischen Volksschaffens sowie einen Überblick über Strukturen und künstlerische Präsenz des Amateurschaffens in der DDR. Offeriert wird zudem eine Befragung zum Selbstverständnis der Zeitzeug*innen aus Zirkeln des Bildnerischen Volksschaffens und eine Bewertung, wie der kulturpolitische Transformationsprozess auf diesem Gebiet zu verstehen sein könnte. Zum anderen bietet der PDF-Artikel „Vom konfliktreichen Werden“ als Originaldokument die Sicht der Autorin auf das Bildnerische Volksschaffen im 40. Jahr der DDR: Beschrieben werden die (kultur-)politischen Ansprüche und Wandlungen sowie die künstlerischen Entwicklungen.
Kunstschaffen nach Vorgaben oder auch infolge gemeinsamen Erlebens und politischer Überzeugungen der Akteure blieb vor allem bei der Gestaltung grafischer Kollektivarbeiten dominant: „Den Frauen unseres Werkes gewidmet“, „Dresden – Erlebnisse einer Brigade“, „Leningrader Sinfonie“. Die Mitglieder des Grafikzentrums Pankow, angeleitet seit 1960 von dem Maler und Grafiker Wolfgang Speer, hatten 1966 mit „Vietnam – das geht Dich an!“ zu einer Solidaritätsaktion aufgerufen und eine breite Palette grafischer Arbeiten zum Thema geschaffen. Dem jahrzehntelangen Leiter des Grafikzentrums Pankow und Kurator der zentralen Ausstellungen des Bildnerischen Volksschaffens, Wolfgang Speer, kommen besondere Verdienste bei der künstlerischen Förderung junger Talente und bei der Bereicherung vor allem der politischen Grafik zu. Das Thema Volkskunst, Laienschaffen und Volksschaffen in der DDR provoziert in mehrfacher Hinsicht, vor allem der Terminus „Volkskunst“ signalisiert diese Provokation, haften ihm doch auch Traditionalismus, Missbrauch und Gegenmoderne an. Deshalb sprach ich in meinen Forschungen von „Freizeitkunst“ (Mohrmann 1983), obwohl in der offiziellen Sprache der DDR vor allem während der 1950er und beginnenden 1960er Jahre „Volkskunst“ der für das Amateurschaffen übliche Terminus war.
Manch einer kritisierte die damaligen Zielstellungen und vorhandenen Praxen. Dietrich Mühlberg etwa sah in der Kulturpolitik der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der frühen DDR, „in dem Bemühen, die ‚wirklichen Werktätigen‘ mit den traditionellen Kunstpraxen vertraut zu machen, einen doppelten Unsinn. Es passte nicht zur Lebenspraxis moderner arbeitender Menschen; Industriearbeiter tanzen nicht feiertäglich um die Linde. Und es befestigte, wo es tatsächlich auf Interessenten stieß, ein konservatives Kunstverständnis im Volke.“ (Mühlberg 2008) Das Zitat modifiziert Mühlberg im weiteren Text und verweist zurecht auf die Gretchenfrage: Inwieweit bestimmten nicht zuletzt sozialromantische Perspektiven und die Vereinnahmung von Begriff und Sache auch in der DDR das humanistische Partizipationsversprechen, die (noch immer aktuellen) Vorstellungen von „Kultur für alle“?
Aktuell sollte es uns um eine Verständigung über Sinn und Unsinn der DDR-eigenen „kulturellen Massenarbeit“ aus gegenwärtiger Sicht gehen, denn nur so ist diskutierbar, ob und inwiefern wir im Transformationsprozess der Nachwendezeit einen Verlust erlitten haben.
Forschungsgegenstand: Zum Verständnis von „Volkskunst“
In der ethnologischen Forschung wie in den unterschiedlichsten kulturpolitischen Praxen wurde der Begriff „Volkskunst“ stark strapaziert. In Deutschland kommt der Begriff als wissenschaftliches Konstrukt erst in Gebrauch, als die vorwiegend bäuerliche, handwerkliche und hausindustrielle Kultur – die vor allem an Rituale, an ländliche Feste und religiöse Feiertage gebundene bildnerisch-gegenständliche Kunst wie auch Volkslied und Volkstanz – seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren historischen Niedergang erlebt und deshalb Aufmerksamkeit erregt. Inzwischen – innerhalb von mehr als 150 Jahren – präsentieren die rekonstruierten und gewandelten Überlieferungen populäre Verlängerungen. Dazu zählen der internationale Folklorismus und re-ethnisierte Kulturen, die im traditionellen Gewand „fröhliche Urständ feierten/feiern“, aber auch Folkmusik als politischen Protest kreierten wie zum Beispiel die amerikanische Folk-Ikone Pete Seeger, der kanadische Musiker Perry Friedman in den frühen 1960er und die Folkmusiker der 1970er Jahre in der DDR und der BRD. Gegenwärtig präsentiert sich unter anderem „Volk-Rock“ als kommerzielle Unterhaltungsmusik wie die des Lederhosenrockers Andreas Gabalier. Diese Verlängerungen von „Volkskunst“ besaßen/besitzen also eine reale, nicht zuletzt mediale Existenz. In der DDR waren neue Formen einer Volkskunstszene entstanden, deren spezifische Strukturen bis etwa 1990/91 erhalten blieben.
„Wandel und Erfindung“ von Volkskunst im Geschichtsverlauf fanden immer wieder Aufmerksamkeit und unterschiedlichste Interpretationen. Hier können nur Stichworte den ideologischen Gebrauch seit Beginn des 20. Jahrhunderts punktuell illustrieren (vgl. Korff 1996). Zu den Ideologisierungsschüben gehören zum Beispiel Volkskunst als Medium vaterländischer Begeisterung während des Ersten Weltkrieges und als „völkischer“ Garant des Arteigenen in der Zeit des Nationalsozialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt Volkskunst in der SBZ/DDR als Abwehr formalistischer Kunstavantgarden, als Weg zu den „Höhen der Kultur“, als „Basiskultur“ und als regionales wie ethnisches Identitätsmodell.
In der DDR wie in anderen sozialistischen Staaten war Volkskunst ein Segment der ideologisch definierten und finanziell begünstigten „Massenkultur“. Offiziell wurde sie als Volkskunst, Laienkunst und Künstlerisches Volksschaffen betitelt. Dahinter verbarg sich im Spannungsfeld von Kulturpolitik, lenkender Vermittlung durch die Kulturfunktionäre und finanzieller Förderung – vor allem durch Staat und Kommunen, Gewerkschaft und Betriebe sowie durch die Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) – eine außerordentlich differenzierte kulturelle Bewegung: Das waren Betätigungen meist in kollektiven, von akademisch ausgebildeten Künstler*innen betreuten Organisationsformen, in Chören, Musik-, Tanz- und Theatergruppen, in Zirkeln schreibender Arbeiter*innen und Fotograf*innen, in Singeklubs, Amateurfilmklubs und in Zirkeln der bildenden und angewandten Kunst. Diese hatten beachtliche künstlerische Potentiale hervorgebracht.
Zu meinen persönlichen Erlebnissen gehört meine Zugehörigkeit zum Ernst Hermann Meyer-Ensemble der Humboldt-Universität zu Berlin während meiner Studienzeit. Erinnert bleibt der Gewinn des kollektiven Erlebens, der Zugang zu einer vielschichtigen Gesangs-, Tanz- und Musikkultur, begleitet von Prominenten des Musiklebens wie Kurt Schwaen und Helmut Koch sowie angeleitet von profilierten Pädagogen und Künstlern wie Paul Rahner, Heinz Roscher, Fritz Höft, Willi Hinzert und Siegfried Matthus.
Meine Lehr- und Forschungsarbeit bezog sich allerdings nicht auf Lied, Gesang oder Tanz, die in der Volkskunde zu den Spezialgebieten der Folkloristik zählen, sondern auf das Bildnerische Volksschaffen: So seit 1956 benannt und seit 1963 mit der Zeitschrift „Bildnerisches Volksschaffen“ ausgestattet. Die empirische Basis meiner wissenschaftlichen Arbeit bildeten Einzelschaffende und Zirkel der Malerei, Grafik und Plastik, der Textil- und Holzgestaltung sowie der Keramik. Zu meinen Forschungsgrundlagen gehörten eine volkskundliche und kunstwissenschaftliche Ausbildung, meine Lehrtätigkeit in Kunstethnologie und Volkskunstforschung sowie die mit der wissenschaftlichen Recherche verbundenen Ehrenämter in Interessenvertretungen der Laienschaffenden. Ich war über viele Jahre Mitglied und Vorsitzende der Berliner wie der Zentralen Arbeitsgemeinschaft Bildnerisches Volksschaffen, gehörte der Ausstellungsjury der „Arbeiterfestspiele“ an. Mein gegenwärtiges Interesse am Thema verbindet sich mit der seit 2014 in Berlin/Brandenburg agierenden Initiativgruppe Amateurkunst, die dem Kunstverein MAL-HEURE/Studio Otto Nagel e.V. in Berlin angeschlossen ist. Zu ihren Verdiensten gehören die Kontaktaufnahme zu Amateurkünstler*innen, die Durchführung von Ausstellungen wie die digitale Aufnahme von archivalischen und musealen Beständen des Bildnerischen Volksschaffens aus der DDR z.B. in der Akademie der Künste und dem Berliner Museum Europäischer Kulturen.
Zugang zum Forschungsfeld und Forschungsansätze
Anregungen, mich mit dem Laienschaffen in der DDR zu beschäftigen, erhielt ich vor allem von Wolfgang Steinitz und Paul Nedo, den Protagonisten der „Volkskunde des Neubeginns“.
Wolfgang Steinitz (1905 – 1967), der auch als Autor des ersten Russischlehrbuches in der DDR bekannt war, kehrte nach der Emigration in der Sowjetunion und in Schweden 1946 nach Ost-Berlin zurück, leitete das Institut für Volkskunde an der Akademie der Wissenschaften, lehrte an der Humboldt-Universität zu Berlin und engagierte sich vornehmlich während der 1950er Jahre in der Laienkunstbewegung. Paul Nedo (1908 – 1984), sorbischer Volkskundler und wie Steinitz politisch Verfolgter des NS-Regimes, war Vorsitzender der Domowina, Abteilungsleiter in der Sächsischen Landesregierung und von 1952 bis 1962, Leiter des Instituts für Volkskunstforschung beim Zentralhaus für Laienkunst/ Volkskunst in Leipzig, dem späteren Zentralhaus für Kulturarbeit. Danach war Nedo am Sorbischen Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig und von 1964 bis 1968 als Lehrstuhlinhaber am Institut für Volkskunde und Völkerkunde der Humboldt-Universität zu Berlin tätig.
Die Beziehungen beider zur traditionellen Volkskunst waren eng. Ihr Plädoyer für die Pflege der Überlieferungen im gegenwärtigen Volkskunstschaffen erklärt sich aus ihrer Herkunft, ihren Kontakten zur slawischen beziehungsweise sowjetischen Kultur und dem Nachkriegsenthusiasmus. Sie waren bereit, die vom Faschismus missbrauchten Werte des Nationalen – gleich anderen kommunistischen Intellektuellen und Re-Emigrant*innen – als „gereinigte Ideale“ (Mittenzwei 2003:23) zu nutzen. Unter der Volkskunde des Neubeginns verstanden sie die Erforschung der Volkskultur als Teil des nationalen Kulturerbes und eine vor allem mit der Laienkunstbewegung verbundene Disziplin. Ihre Präsenz in der Kulturpraxis – wie der spätere Rückzug beider daraus – waren neben neuen beruflichen Herausforderungen nicht zuletzt begleitet vom Wandel der kulturpolitischen Konzepte der Macht, die fortan verstärkt auf politisch-ideologische Inhalte auch des Laienschaffens orientierte. In mehreren Publikationen wurden bereits diese Zusammenhänge erörtert (vgl. Kühn 2013, 2015; Leo 2005; Mohrmann 2006, 2009).
Erwähnt sei hier der spätere Rückgriff auf die von Wolfgang Steinitz gesammelten historischen Arbeitervolkslieder, Bauernklagen und Deserteurslieder während der 1970er Jahre in beiden deutschen Staaten. Hannes Wader und Dieter Süverkrüp, ebenso die Folk-Bands in Leipzig, Cottbus und Plauen gehörten zu den Repräsentant*innen des Folk-Revivals. Dieses hat Wolfgang Steinitz allerdings nicht mehr erlebt.
Meine Forschungen zu „Volkskunst und Laienschaffen“ seit Beginn der 1960er Jahre erforderten eine wissenschaftsgeschichtliche Aufarbeitung, die auch die Positionierung gegenüber sozialromantischen und antimodernen Tendenzen der 1950er Jahre einschloss. In der Volkskunde waren im darauffolgenden Jahrzehnt neue Ansätze erarbeitet worden, die auch mir einen neuen Zugang zum gegenwärtigen Volkskunstschaffen eröffneten.
Volkskunst als „Engagierte Freizeitkunst“ sollte einen sozialkulturellen Blick auf das Thema lenken und zudem die künstlerischen Potenzen würdigen. Der Versuch, die Entfaltung bildnerischer Kreativität als nebenberufliche Freizeitkunst im Kontext der sich wandelnden offiziellen Kulturkonzepte darzustellen, beschrieb im Großen und Ganzen eine „Aufwärtsentwicklung“, die nur partiell kritische Deutungen einschloss. 1989 schließlich resümierte ich das „Konfliktreiche Werden. Vier Jahrzehnte Entwicklung des bildnerischen Volksschaffens“ (vgl. Mohrmann 1989 – im Anhang als PDF). Einsichten waren gewachsen, aber der Kulturpraxis halfen sie nun nicht mehr.
Die umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung und Darstellung des Themas Volkskunst und Laienschaffen in der DDR aus heutiger Sicht stehen noch weitgehend aus. Zu erwähnen sind jüngste Publikationen zu den kulturpolitischen Konzepten (vgl. Kühn 2013; 2015) und zu verschiedenen Genres des Künstlerischen Volksschaffens wie beispielsweise zum Volks- und Amateurtanz (Klotzsche/Römer 2006; Goewe 2019), zur Folkmusikszene (Ley 2016), zur Bewegung Schreibender Arbeiter (Bernhardt 2016) und zur Textilgestaltung (Wassermann 2017). Sie gründen vornehmlich auf Erinnerungen und Erfahrungen von Akteuren, sind zudem Graduierungsarbeiten junger Wissenschaftlerinnen.
„Engagierte Freizeitkunst“ in der DDR war und ist im Diskurs von Kulturwissenschaft(en) und Volkskunde/ Europäischer Ethnologie in der alten Bundesrepublik bzw. in den alten Bundesländern fast gänzlich ausgeblendet, da die spezielle kulturelle Praxis unbekannt und kaum mit der „Basis- und Stadtteilkultur“ wie der Soziokultur in der BRD vergleichbar war. Der künstlerisch bemerkenswerte Beitrag der DDR-Laienschaffenden an den Ruhrfestspielen konnte dies ein wenig relativieren, vor allem auf Seiten der westdeutschen Gewerkschaften Akzeptanz erfahren.
Zu Strukturen und ästhetischen Praxen der Freizeitkunst
„Arbeit ist Quelle aller Kultur“ war das Motto betrieblicher Kulturarbeit in der frühen Nachkriegszeit. Es begleitete die Entstehung der ersten Mal- und Zeichenzirkel, vor allem in den Chemiebetrieben um Halle, meist in SAG-Betrieben (Sowjetische Aktiengesellschaft) – das waren Betriebe, die von der sowjetischen Besatzungsmacht gegründet und geleitet wurden. Mit den Werkvolkshochschulen und den Kulturabteilungen der Betriebe waren Voraussetzungen für eine „betriebliche Kulturarbeit“ geschaffen worden. Hinzu kam die Bereitschaft eines kleinen Kreises Hallenser Künstler mit zu tun. Das Angebot von jährlich einem Waggon Deputatkohle soll 1950 den Maler und Grafiker Bernhard Franke bewogen haben, den Zirkel im Braunkohlenwerk Bitterfeld anzuleiten: Das tat er schließlich mit Erfolg über Jahrzehnte.
Neben den keineswegs reibungslosen Bemühungen der Betriebe, der Gewerkschaft und der Jugendorganisation FDJ entstand seit Anfang der 1950er Jahre eine zunehmend perfektionierte staatliche Lenkung der Laienkunstbewegung. Mit dem Zentralhaus für Laienkunst (später für Volkskunst, ab 1962 Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR in Leipzig) – einer dem Ministerium für Kultur nachgeordneten Einrichtung – und den Bezirks-, Kreis- und Stadtbezirkskabinetten war ein Netzt staatlicher Leitungsgremien geschaffen worden.
Das öffentliche Gebrauchtwerden bereits während der „Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ 1951 in Ost-Berlin, der „Deutschen Festspiele der Volkskunst“ 1952 und weiterer zentraler Kulturfestivals führte zu vielfältigen, zunächst auch gesamtdeutschen Aktivitäten. Die Mal- und Zeichenzirkel trugen vor allem mit der Gestaltung von Flugblättern, Wandzeitungsbeiträgen, Plakaten und Fotomontagen als politischer Tageskunst zu aktueller Agitation – zur Meinungsbildung im Sinne der herrschenden Auffassung – bei. Damit gewann die Druckgrafik, insbesondere der Holz- und Linolschnitt, an Bedeutung.
Dieser Anfang erfährt Einordnung und Wertung nicht zuletzt durch seinen historischen und kulturpolitischen Kontext, der von der Formalismusdiskussion über enge Realismuskonzeptionen bis zu überhöhten Erwartungen an das Künstlerische Volksschaffen auf dem „Bitterfelder Weg“ reicht.
Die Vorstellungen von der immer enger werdenden Beziehung von Volks- und Berufskunst – vor allem ein Postulat der 2. Bitterfelder Konferenz 1964 – und der Appell zur „Weiterführung des künstlerischen Volksschaffens als Massenbewegung der ästhetischen Erziehung des Volkes“ – Aufgabenstellung aus dem Beschluss des Staatsrates vom November 1967 – charakterisierten die überzogenen Erwartungen an unbegrenztes Wachstum und an die Wirkungen eines stringenten Erziehungskonzeptes.
Besonders seit Beginn der 1960er Jahre hatten sich immer mehr Berufskünstler*innen zur Anleitung von Laien eingebracht. In der Tat war die Mehrheit von ihnen als Künstler*innen keineswegs überregional bedeutend, aber unter ihnen gab es ausgezeichnete Pädagog*innen und Initiativpersonen. Die prominenten Künstler*innen waren eher die Ausnahme. So war der junge Maler Werner Tübke Mitarbeiter des von Werner Kühn geleiteten Zentralhauses für Laienkunst. 1963 gründete Franz Nolde, Mitglied der Dresdner Künstlergruppe „Das Ufer“, im Schwedter Erdölverarbeitungswerk einen Mal- und Zeichenzirkel. Seine Teilnehmer*innen bestimmten das Leistungsniveau im DDR-Maßstab entscheidend mit.
Die Mal- und Zeichenzirkel hatten neben ihrer Anbindung an Betriebe seit den 1950er Jahren Eingliederung in kommunale Einrichtungen, Klubs und Kulturhäuser gefunden. Die Durchführung zentraler Lehrgänge sowie die Einrichtung von Spezialschul- und Förderklassen, nicht zuletzt von Abendschulen an den künstlerischen Hochschulen ab 1960/63 ermöglichten nicht wenigen Amateuren eine Weiterbildung und stimulierten damit zugleich das künstlerische Niveau des Bildnerischen Volksschaffens.
Neben dem Holz- und Linolschnitt setzten sich in den 1960er Jahren kompliziertere Druckverfahren wie Lithographie, Siebdruck, Radierung, Monotypie und Aquatinta durch. Die Bildniskunst bot allerdings mit vorwiegend deskriptiven Arbeiter*innen-Porträts und Arbeitsplatzdarstellungen sowie Industrielandschaften, Städte- und Heimatbildern weitgehend naturnahe Widerspiegelungen. Erst seit den späten 1970ern zeigten sich in Malerei und Grafik kritische, mitunter satirische und drastisch realistische Darstellungen über das Leben in der DDR, Individualisierungen in der Porträtkunst, damit immer deutlichere Anlehnungen an die akademische Kunst.
Das wachsende künstlerische Niveau befruchtete auch die Textilgestaltung als Teil des Bildnerischen Volksschaffens. Neben der Beschäftigung in Handarbeitszirkeln und der explosionsartigen Verbreitung von Modegruppen vor allem in den 1970er/80er Jahren hatte sich im Ergebnis ernsthaften Experimentierens eine anspruchsvolle Textilgestaltung hervorgetan. Zu den Wegbereiterinnen gehörten Helga Graupner und Ingeborg Bohne-Fiegert. Beide akademisch ausgebildete Fachfrauen führten das angewandte und dekorative Laienschaffen über Jahrzehnte durch Vermittlung und Einsatz moderner, auch tradierter handwerklicher Fertigkeiten zu repräsentativen Ergebnissen. Dazu gehörten applizierte Wandbehänge und Gobelins. Sie waren meist als „Auftragswerke“ entstanden und fanden in öffentlichen Einrichtungen, in Klubs, Gaststätten und Erholungsheimen Platz.
Öffentlichkeit erfuhren die herausragenden künstlerischen Werke des Bildnerischen Volksschaffens besonders in den Kunstausstellungen der DDR in Dresden und in Ausstellungen zu den seit 1959 stattfindenden „Arbeiterfestspielen“. Die Präsentationen fanden zunächst jährlich als gemeinsame Ausstellungen von Berufs- und Volkskunstschaffenden statt. Ab 1969 wurde ein maßvolleres Ausstellungswesen praktiziert: Die Ausstellungen des „Bildnerischen Volksschaffens“ wurden im vierjährigen Rhythmus durchgeführt.
Zur vornehmlich politischen Repräsentation der DDR fanden Ausstellungen des „Bildnerischen Volksschaffens“ in Äthiopien, Österreich, Italien, Mexiko, Irak, Indien, den sozialistischen Ländern sowie in Genf, New York und Paris statt. Diese Ausstellungen zeigten auf einem hohen künstlerischen Leistungsniveau Werke einer privilegierten „Spitze“. Die Auswahl der ausgestellten Werke fand in Fachgremien, teils unter Einflussnahme politischer Funktionäre statt. Ausgrenzungen einiger Zirkel waren die Folge von Reglementierungen. Distanz und Skepsis begegneten der „Spitze“ des Bildnerischen Volksschaffens vor allem aus den Reihen der Berufskünstler*innen: Worin besteht die Spezifik laienkünstlerischen Schaffens? Lösen sich die Grenzen zwischen akademischer und nichtakademischer Kunst auf? Ist Konkurrenz zum Beispiel bei der Auftragsvergabe zu fürchten? Diese Debatte hielt bis zum Ende der DDR an. Schließlich konnten Anliegen und Resultate künstlerischen Tuns nicht dekretiert werden.
Die Spitzenleistungen im Amateurbereich wurden zunehmend auch vom Volkskunst-Alltag relativiert. Es setzten sich immer differenziertere Motivationen der Laien für ihre Betätigung in der Freizeit durch. Geselligkeit und Kommunikation waren dabei wichtig. Es hatten sich gewissermaßen „Breite und Spitze“ deutlich herausgebildet und voneinander abgegrenzt.
Die – eher euphorische – Statistik wies zu Beginn der 1980er Jahre 70 000 Mitglieder in 5 000 Zirkeln für Malerei und Grafik, für Plastik und Keramik, für Schnitzen und Holzgestaltung sowie für Textilgestaltung aus (vgl. Mohrmann 1983:150). Die unorganisierten Akteure waren dagegen nicht zu zählen.
Der Spaß am Werkeln, Basteln und Schneidern – am Selbermachen, was im Verkaufsangebot nicht zu erhalten war – nahm in den 1980er Jahren rasant zu. Bald klinkte sich die offizielle staatliche Lenkung ein, so mit der erfundenen Losung „Komm mach mit, das kannst auch Du!“ oder mit dem neuen Ausstellungstyp „Freizeit, Kunst und Lebensfreude“. „Hobbykunst“ fand als vielfältige Betätigungen in der „Breite“ neben der künstlerisch qualifizierten Laienkunst als „Spitze“ zunehmend Akzeptanz.
Dieses heterogene Bild populärer ästhetischer Praxen verlangte nach neuen Sichten, die unter anderem zögerlich auf der „IV. Volkskunstkonferenz“ 1984 in Gera angesprochen wurden. Es deutete sich ein Konsens an, der auf den Prozess des Machens, des Sich-Selbst-Entdeckens, auf das Freilegen kreativer Alternativen und auf Selbstbestimmtheit zielte.
Das korrespondierte mit dem Rückzug vor allem Jugendlicher aus reglementierten Freizeitangeboten, zugleich mit der Suche Vieler nach ‚Lebensstilen‘, die in den verschiedensten kreativen und sozial-bindenden Gruppen gesucht, zudem in Szenen halber Illegalität gefunden wurden.
Was blieb?
Der vom Zentralhaus für Kulturarbeit gesammelte Fundus befindet sich – seit Abwicklung der zentralen Institution und seiner Nachfolgeeinrichtungen 1990/94 – mit circa 7 000 Exponaten der Malerei, Grafik und Plastik sowie der Textilgestaltung und Keramik im Archiv der Akademie der Künste. Das Kunstarchiv Beeskow bewahrt Exponate der von den Massenorganisationen der DDR angekauften Werke. Eine Auswahl der Arbeiten wurde 2015/ 2016 unter dem Titel „Freizeit, Kunst & Lebensfreude. DDR-Laienschaffen aus dem Kunstarchiv Beeskow“ im Dokumentationszentrum der DDR-Alltagskultur in Eisenhüttenstadt überaus erfolgreich ausgestellt. Das Museum Junge Kunst in Frankfurt (Oder) verfügt über eine ausgezeichnete Sammlung der bildenden Kunst des Laienschaffens. Arbeiten der Textilgestaltung sammelt und betreut seit Jahrzehnten das Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem, vorher das Museum für Volkskunde Berlin (Ost) (Neuland-Kitzerow u.a. 2014). Bleibt als Resultat, was wahrnehmbar an künstlerischem Potential geschaffen wurde: Es sollte bewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Der Gewinn eines Diskurses über das DDR-Laienschaffen ist vor allem auch durch die Akteure selbst gegeben. Ihre Porträts, ihre Lebensläufe, ihre Wege zur Kunst können Beeindruckendes aussagen. Der DDR-Wirtschaftshistoriker Jürgen Kuczynski empfahl mir einmal: „Schreib doch weniger über Kulturpolitik und Kunst, sondern mehr über die Akteure und ihre Kunst!“.
Teilnehmende Beobachtung und Befragungen gehörten zu meinen ethnologischen Arbeitsmethoden. 1985 publizierte ich die Ergebnisse eines Lebenslauf-Projektes mit dem Titel „Autobiographisches von Freizeitkünstlern in der DDR“ (Mohrmann 1985). Nach 1990 folgte – unter dem Eindruck der Abwicklung der Trägereinrichtungen und der Zirkel selbst – eine weitere Recherche, die allerdings unveröffentlicht blieb. Das Erzählen der unterschiedlichsten Lebensverläufe sagte viel über die Bedeutung der nebenberuflichen künstlerischen Tätigkeit als wichtigen Lebensinhalt der Aktiven aus. Dabei wurde zugleich deutlich, dass nicht mehrheitlich „Arbeiter und Genossenschaftsbauern“ die „Volkskunst“ repräsentierten. Ihr Anteil war eher gering. Zugang fanden vor allem Angehörige von Berufsgruppen, die durch professionelle oder familiäre Voraussetzungen privilegiert waren: Werbefachleute, Betriebshandwerker*innen, Ingenieur*innen, Architekt*innen, Angestellte, Lehrer*innen, Schüler*innen und Student*innen, nicht zuletzt Hausfrauen und Rentner*innen.
Im Vorfeld dieses Beitrags kontaktierte ich 15 ehemalige Zirkelteilnehmer*innen, eine eher zufällige, keineswegs repräsentative Auswahl. Doch interessant waren die Gespräche für die Charakterisierung künstlerisch ausgewiesener Gruppen, für die sogenannte „Spitze“ im Amateurschaffen. Von den 15 ehemaligen Zirkelmitgliedern waren vier als Arbeiterin, Gebrauchswerberin, Maschinenbauer/ Kraftfahrer und als Funk-Fernmeldemonteur tätig, bevor sie in den 1960er und 1970er Jahren, also während oder nach ihrer Zirkelmitgliedschaft, eine künstlerische Hochschulausbildung absolvierten. Einer musste zwangsweise abbrechen, war aber fortan – wie die anderen – freischaffend tätig. Darüber hinaus gelang es weiteren drei, einem gelernten Baumaler, einem Fräser und einem Werbeleiter, in den Verband bildender Künstler der DDR aufgenommen zu werden. Eine gelernte Chemotechnikerin arbeitete als Zirkelleiterin.
Sechs der 15 waren während oder vor ihrer Zirkeltätigkeit Student*innen unterschiedlicher Fachrichtungen. Sie arbeiteten schließlich als Lehrer und Journalisten, als Fotograf, Fachärztin und Doktorand. Seit der „Wende“ und nach einigen Brüchen in ihrem Arbeits- und Lebensumfeld betrieben beziehungsweise betreiben sie Kunstgalerien, gründeten mit viel persönlichem Aufwand und Enthusiasmus ihre eigenen künstlerischen Werkstätten, gehören künstlerischen Berufsverbänden und Kunstvereinen an oder betätigen sich als Ausstellungsgestalter und in der Denkmalpflege, sind Lehrkräfte in Schulen und geben Kurse. Fast alle stellen ihre eigenen künstlerischen Werke am Wohnort, in der Region oder auch im Ausland aus. Viele von ihnen sind jetzt Rentner*innen, erhalten eine entsprechende finanzielle Grundsicherung und beteiligen sich ehrenamtlich am Kulturleben.
Einer meiner Zeitzeugen sprach aus, was für die Meisten zutrifft: „Meine Kunst habe ich immer weitergeführt, aber mich davon ernähren, kann ich nicht.“ Die Erinnerungen an eine existenziell gesicherte Berufstätigkeit und die nebenberufliche Freizeitbeschäftigung in der DDR mögen nostalgisch anmuten. Die Erinnerungen gehören zum gelebten Leben der Zeitzeug*innen, die gelernt hatten, kreativ zu sein und dies bis heute sind.
Die „gesellschaftlichen Träger“ dessen, was in der DDR Künstlerisches Volksschaffen hieß, sind im Transformationsprozess nach 1990 verschwunden. Eine systematische und methodisch fundierte oder begleitete Förderung von Laienschaffen durch staatliche oder kommunale Institutionen existiert heute nicht; gleichwohl es vielerorts Laienschaffen gibt, Kurse angeboten werden wie an Volkshochschulen oder in Jugendkunstschulen und Angebote in den Bereichen der Kulturellen Bildung für alle Altersklassen existieren. Dabei wäre allerdings nach den „DDR-Erbschaften“ im „Beitrittsgebiet“ näher und speziell zu fahnden. Der maßgebliche kulturpolitische Rahmen indes, die Entwicklungserwartung bei den Menschen, die Verschränkung von Leben und Arbeiten oder aber die spezifischen Agenturen der Förderung und Anleitung sind mit der DDR untergegangen.
Vor allem in den ersten „Nachwendejahren“ war ein Desinteresse an diesen durchaus auch soziokulturellen Aktivitäten verbreitet, gestützt von der offiziellen Abwertung alles Gewesenen. Hinzu kam, dass die Aufarbeitung der DDR primär von deren Eingriffen und Bevormundungen ausging. Ohne Zweifel war das Künstlerische Volksschaffen eng an Konzepte zur Erziehung der sozialistischen Persönlichkeit und die DDR-Kunstdoktrin gebunden. Doch gehören die vorhanden gewesenen Freiheits- und Emanzipationsgrade sowie die individuellen Entwicklungswege ebenso zu diesem Erbe. Sie sollten sorgsam aus der pauschalen Verdrängung herausgehoben werden. Dies ist ebenso wie eine institutionelle Aufarbeitung angezeigt.