Zur Dringlichkeit einer rassismuskritischen Perspektive für die Kulturelle Bildung in der Migrationsgesellschaft
Machtkritische Reflexionen zu Kultur, Sprache, Nation
Abstract
Der Beitrag orientiert sich an dem gleichnamigen Vortrag der Autorin auf der 9. Tagung des Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung (2019) zum „Auftrag Kunst“ an der Universität Osnabrück. Er nimmt Bezug auf ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für den Projektzeitraum 01.11.2016 bis 30.04.2020 gefördertes Forschungsprojekt, welches mit einer rassismuskritischen Diskursanalyse kultureller Bildungsangebote im Kontext von Flucht und Migration untersucht und insbesondere Anträge zum Bundesprogramm `Kultur macht stark` in den Blick nimmt. Dabei geht es um die Frage, in welcher Weise Migrationsgesellschaft als eine gesellschaftliche Normalität in der deutschen Kulturellen Bildung thematisiert wird oder aber, ob eine migrationsgesellschaftliche Normalität für die Kulturelle Bildung eher fragil ist und welchen inhaltlichen Ausdruck eine solche Infragestellung erfährt.
Herausgearbeitet wird die Problematik, dass sich in der Wissensproduktion der Kulturellen Bildung national, kulturell und ethnisch kodierte Differenzmarkierungen verfestigen und abwertende Rassekonstruktionen vitalisieren. Hierbei tragen die Künste und die Kultur als Bedeutungsträger einer als deutsch konstruierten Nationalkultur in spezifischer Weise bei und verbinden sich mit vereinheitlichenden Diskursen zu Sprache, Kultur und Volk. Ebenso zeigt sich als wesentlicher Effekt der Kulturalisierung von sozialen und politischen Problemlagen, dass Themen gesellschaftlicher und sozioökonomischer Ausschließung im Diskurs der Kulturellen Bildung in der Hauptsache kulturalistisch verhandelt werden. Argumentiert wird für einen Richtungswechsel in der Wissensproduktion der Kulturellen Bildung, welcher hegemoniale Strukturen machtkritisch reflektiert und die ihnen eigene epistemische Gewalt zurückweist sowie zur Entwicklung eines kulturkritischen Kulturbegriffs beiträgt. Mit Blick auf das konkrete Forschungsprojekt und herrschende Förderlogiken in der Kulturellen Bildung bedeutet der geforderte Richtungswechsel dann auch, dominanzkulturelle Machtverhältnisse, Wissensbezüge und Normalitätsvorstellungen zu dekonstruieren und produktiv in Frage zu stellen.
„Er liebte die Theorie, aber in seiner Arbeit ging es nie um sie,
sondern immer darum, die Realitäten und Möglichkeiten dessen verstehen
und verändern zu können, wie Menschen auf der Welt zusammenleben können.“
(Lawrence Grossberg zu Stuart Hall, Nachruf (Gates Jr., 2018: 20)
1. Einführende Überlegungen zur Dringlichkeit einer rassismuskritischen Perspektivität
Gemeinsam in einem Forschungsteam forsche ich seit 2016 an der Katholischen Hochschule NRW Abteilung Aachen aus einer rassismuskritischen Perspektive zur Kulturellen Bildung im Kontext von Flucht und Migration. Das Forschungsprojekt Flucht − Diversität − Kulturelle Bildung. Eine rassismuskritische und diversitätssensible Diskursanalyse kultureller Bildungsangebote im Kontext von Flucht und Migration (FluDiKuBi) wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für den Projektzeitraum 01.11.2016 bis 30.04.2020. Die im Titel dieses Beitrages benannte Dringlichkeit einer rassismuskritischen Auseinandersetzung verbindet sich mit Eindrücken von kulturalistischer und rassistischer Sagbarkeit in dem hier untersuchten Diskurs der Kulturellen Bildung. Diese Dringlichkeit verbindet sich ebenfalls mit der Wahrnehmung von beträchtlicher Resistenz gegenüber einer Dekonstruktion und Ablösung von dominanzkulturellen Wissensbezügen in Diskursen der Kulturellen Bildung, und sie knüpft an Erfahrungen als Rezipientin von kulturellen Bildungsangeboten mit jungen Menschen mit Fluchtbiografie an, in denen Paternalismus und ethnisierende Fixierung offenbar werden und zumeist unhinterfragt bleiben. Möglicherweise werden in diesem Zusammenhang generelle Umgangsweisen und Reaktionen im Diskurs und in der Praxis der Kulturellen Bildung auf das Phänomen ‚Migration‘ erkennbar, das „dazu beiträgt, dass Gegebenes und die Ordnungen des Gegebenen irritiert, aufgewühlt, beunruhigt, provoziert und herausgefordert werden.“ (Mecheril 2016: 102) Möglicherweise reflektiert der Diskurs der Kulturellen Bildung auf migrationsgesellschaftliche Veränderungen in einer Weise, die bestehende Ordnungen von Zugehörigkeit reproduziert, sich hierbei auf die Verfestigung von Fremdheit konzentriert und die eigene Verwobenheit von Rassismus in der Referenz auf die Kategorien Kultur, Nation, und Künste eher verschweigt oder dethematisiert (vgl. Gaztambide-Fernández 2017). Mit diesen Aufmerksamkeitsrichtungen stellen sich Fragen zur Wissensproduktion im Diskurs der Kulturellen Bildung, die an das „Grundmotiv kritischer Migrationsforschung“ (Mecheril et. al. 2013: 50) anschließen, welches „die Legitimität jener migrationsgesellschaftlichen Phänomene zurückweist, die Menschen in ihren Möglichkeiten für eine freiere Existenz behindern, degradieren und entmündigen“ (ebd.) und die damit zugleich dem subversiven und entgrenzenden Potential ästhetischer Bildung entgegenlaufen. Bezugnehmend auf Klaus Melter und Paul Mecheril wird Rassismus „als machtvolles, mit Rassekonstruktionen operierendes oder an diese Konstruktionen anschließendes System von Diskursen und Praxen“ verstanden, „mit welchen Ungleichbehandlungen und hegemoniale Machtverhältnisse erstens wirksam und zweitens plausibilisiert werden“ (Mecheril/Melter 2011: 15f.). Die folgenden Überlegungen verbinden sich mit dem Konzept von Rassismuskritik als „kunstvolle, kreative, notwendig reflexive, beständig zu entwickelnde und unabschließbare, gleichwohl entschiedene Praxis“ (ebd.: 10) und mit dieser rassismuskritischen Hinwendung werden „macht- und selbstreflexive Betrachtungsperspektiven auf Handlungen, Institutionen, Diskurse und Strukturen“ (ebd.: 14) der Kulturellen Bildung gelegt.
Für das rassismuskritische Anliegen dieses Beitrages wird einführend der Begriff der Dringlichkeit bezugnehmend auf die Verschränkung der Phänomene Rassismus und Klimawandel geschärft. Mit Dringlichkeit wird auf Erfordernisse bzw. die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Veränderung abgezielt und zugleich ist dieses Veränderungsanliegen und die wissensbezogene Deutungshoheit hierzu oftmals gesellschaftlich und politisch umkämpft. Mit dem Ansprechen einer Dringlichkeit werden inhaltliche und zeitliche Prioritäten vermittelt und damit geht die Annahme einher, dass die Nichtbeachtung von Dringlichkeit mit risikoreichen Konsequenzen verbunden ist. Eine außerordentliche Dringlichkeit betrifft den als solchen bezeichneten Klimawandel aufgrund des Risikos einer gravierenden globalen Beschädigung der Ökologie, und eine außerordentliche Dringlichkeit betrifft ebenso den Rassismus, aufgrund des Risikos der gravierenden globalen Beschädigung von Menschsein. Beide Phänomene haben existentielle Auswirkungen auf das menschliche Zusammenleben und sind über die „historische Verknüpfung von Rassismus und Raubbau“ (Riedel 2019: 21) sowie in gegenwärtigen rassistischen Mustern der geopolitischen Hegemonie, einer kolonial und imperial gefütterten „Besitzstandswahrungsideologie“ (vgl. ebd.: 21), untrennbar miteinander verwoben. Das Begehren nach Besitztum wird
„aller geschichtlichen Erfahrung nach mit dem Fortschritt der Ausbeutung endlicher Ressourcen nicht abflauen, sondern zunehmen. Der historisch gewaltsam angeeignete gesellschaftliche Reichtum erzeugt Beraubungsängste bei den Besitzenden. Das Schreckensbild von Millionen von Klimaflüchtlingen trägt zur Legitimation des Entzugs von Empathie bei. Der Empathieentzug der vergangenen Jahre ist typisch für die Vorbereitung von Makrogewalt. Dass sich weite Teile der Gesellschaft in pathologischer Ruhe verhalten, wenn massenhaft Menschen ertrinken, lässt sich durch die Attraktivität der Besitzstandswahrung erklären“. (Riedel 2019: 21).
Mit der diesen Beitrag fundierenden machtkritischen Perspektive ist es demnach unumgänglich, die rassistische Motivation von Diskursen und Praxen zur Zerstörung des Weltklimas zu dekonstruieren und die „Veränderung des globalen Klimas innerhalb der geschichtlich durch den Rassismus geprägten globalen Ökonomie“ (vgl. ebd.: 23) zu begreifen. Allerdings sind Rassismuskritik und Kapitalismuskritik mit dem Anliegen der globalen „Umverteilung von […] akkumuliertem Reichtum“ in den vorherrschenden Diskursen zum Klima wenig hörbar und der Kampf um weiße Privilegien leistet rechten Bewegungen, aber auch nationalstaatlicher und supranationaler Hegemonie mit impliziten und expliziten rassistischen und neoliberalen Denkmustern Vorschub (vgl. ebd.: 22f.). Weiß wird hier als analytischer Begriff und ebenso als Selbstbezeichnung der Autorin verwendet, „um eine gesellschaftliche Positionierung zu bezeichnen, die die AdressatInnen nicht als „rassifizierte Andere markiert und somit unmarkiert und ‚neutral‘ belässt. Die AdressatInnen der gesellschaftlichen Zuschreibung weiß bzw. Weiße befinden sich daher in einer privilegierten und dominanten Position. Schwarz und People of Color sind Selbstbezeichnungen, die rassistischen Fremdbezeichnungen entgegengesetzt werden.“ (Anh Mai 2016: 12).
Es ist die rassistische Logik des Neoliberalismus, zeigt Achille Mbembe, mit der „die Verschmelzung von Kapitalismus und Animismus“ voran schreitet, so dass es „beispielsweise nicht mehr sicher [ist], dass ein Subjekt kein Objekt ist“, dass es „nicht mehr sicher [ist], dass nicht alles arithmetisch berechnet, verkauft und gekauft werden kann“ und dass es „nicht mehr sicher [ist], dass es Werte gibt, die keinen Preis haben.“ (Mbembe 2015). Dieses fließende Zusammenspiel von Rassismus und Neoliberalismus verunmöglicht entscheidende Veränderungsprozesse in Richtung Deprivilegierung und Umverteilung trotz der gegebenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und empirischen Erfahrungen zu den Ursachen der Klimazerstörung. Und auch im Bildungskontext zeigt die unhinterfragte Allianz von neoliberalen und eurozentristischen Wissensordnungen rassistische Wirkungen. In Folge der Abwesenheit einer rassismuskritischen Perspektivität erfährt Rassismus als strukturelle Dimension sozialer Ungleichheit geringe Aufmerksamkeit (vgl. Linnemann/Mecheril/Nikolenko 2013: 11) und im gesellschaftlichen Bewusstsein ist Rassismus als ein die Gesellschaft strukturierendes Machtverhältnis, das bestimmte Subjekte und Gruppen privilegiert und anderen Subjekten und Gruppen solche Privilegien vorenthält, noch immer wenig verankert (Mecheril 2018). Ebenso sind weiterhin Distanzierungsmuster im Umgang mit Rassismus diskursiv wirksam, die diesen sekundär bestätigen und normalisieren oder aber Rassismus als bearbeitungswürdig in den Rechtsextremismus verlagern (vgl. Messerschmidt 2011: 41ff.). Auch wenn rassismuskritische und postkoloniale Theorie in Kontexten von Bildung und Forschung allmählich an Bedeutung gewinnen (Mecheril 2018: 3; Safiye/Stauber 2014: 133ff.), erscheint es als eine noch weite Strecke, bis Rassismuskritik als selbstverständliches Querschnittthema (vgl. Paschalidou 2019: 92) für den Bereich der Bildung und eben auch für die Kulturelle Bildung etabliert ist.
Der Entzug von Empathie im Handeln und Sprechen Deutschlands und Europas gegenüber geflüchteten Menschen verweist insbesondere auf die Dringlichkeit eines globalen und solidarischen Bildungsverständnisses, wie es von Wolfgang Klafki für die allgemeinbildende Bildung als Notwendigkeit dargelegt wird. In diesem Sinne ist es die Aufgabe von Bildung, Solidaritätsfähigkeit über die Problematisierung epochaltypischer Schlüsselprobleme anzuregen und zu entwickeln (Klafki 1991). „Allgemein gebildet zu sein“ – und Allgemeinbildung betrifft die Kulturelle Bildung – meint, so Paul Mecheril, „sich in ein Verhältnis zu den epochaltypischen Schlüsselproblemen zu setzen“ (Mecheril 2016: 103f) und als Bildungsziel des 21. Jahrhunderts „Solidarität unter einander Unvertrauten“ (ebd.: 104) zu erkennen und zu vertreten. In diesem Bildungsvorhaben konkretisiert sich das eigentliche normative Wesen wissenschaftlicher Forschung und Theorie, die, wie in dem diesem Beitrag vorangestellten Zitat von Lawrence Grossberg zur Erinnerung an Stuart Hall, in einem gleichwertigen und gewaltlosen Zusammenleben aller ihren eigentlichen Sinn erfahren.
In diesem Beitrag wird Kulturelle Bildung als eigener Begriff in Großschreibung gesetzt. Angesprochen werden damit hegemonial strukturierte kultur-, bildungs- und migrationspolitische Diskurse, die sich auf ästhetische und künstlerische Medien beziehen und in einem bestimmten Duktus eine Art Verbesserung des Selbst- und Weltverhältnisses von Menschen intendieren. Mit Hegemonie wird nach Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (1985) grob gesprochen ein wirksames gesellschaftliches Machtverhältnis beschrieben, das hier für den migrationsgesellschaftlichen Kontext wie selbstverständlich vorherrschende Wahrheiten und Subjektpositionen erzeugt. In den folgenden Kapiteln wird Rassismus als ein solches wahrheitserzeugendes Machtverhältnis in der Kulturellen Bildung mit Refugees, mit einer Aufmerksamkeit auf die koloniale Prägung der Künste und der Kultur, in den Blick genommen (Kap. 2). Von hieran weiterdenkend wird das machttheoretische Konzept der Gouvernementalität auf die Kulturelle Bildung übertragen und bezugnehmend auf Sprache und Mündigkeit gouvernementale Techniken der Integration hinterfragt (Kap. 3). Abschließende (Selbst)Beobachtungen aus einer rassismus- und machtkritischen Forschungsperspektive reflektieren Erfahrungen der eigenen Wissensproduktion und vertiefen die rassistische Dimension der Kultur-Kategorie im Diskurs der Kulturellen Bildung (Kap. 4).
2. Künste, Kultur und Othering. Zur politischen Dimension der Kulturellen Bildung im Kontext Flucht
Mit dem „lange[n] Sommer der Migration“ und den „Reaktionen auf die unerwarteten Bewegungen im Spätsommer 2015“ etablierte sich ein „Regieren im Notfall-Modus“ (Hess/Kasparek et al. 2017: 12) und im politischen Umgang mit Fluchtmigration sowie im Verhalten zu Refugees wurde
„unter der Ausrufung einer humanitären Katastrophe [möglich], das diskursive, politische und rechtliche Terrain in Richtung von Mitleids- und Wohltätigkeitspolitiken zu verschieben und damit die ganz elementare politische Aneignung der Flucht- und Migrationsbewegungen des letzten Sommers, nämlich des Rechts auf Flucht und Selbstpräsentation, abzuerkennen“, so wurden „aus politischen Akteur_innen Bittsteller_innen und aus Rechtsakten willkürliche Gnadenakte (vgl. Calhoun 2004; Fassin 2011)“. (Hess/Kasparek et al. 2017: 12).
In diese Wohltätigkeitspolitiken lassen sich zahlreiche der kulturellen Bildungsangebote verorten, die Refugees, die minderjährig oder als junge Erwachsene mit oder ohne Familienangehörige in Deutschland Zuflucht suchen, als attraktive Zielgruppe identifizieren und adressieren (vgl. Micossé-Aikins/Sharifi 2016: 76ff.). Diese Angebote fanden (finden) improvisiert mit Mal- und Spielutensilien in Sammelunterkünften ebenso statt, sowie in öffentlichkeitswirksam beworbenen Produktionen insbesondere mit den ästhetischen Medien Musik, Tanz und Theater. Die kreativen und befähigenden Aspekte der Erfahrung mit künstlerisch-ästhetischen Medien werden dabei betont und im Fokus stehen das einander Kennenlernen, ein sich „Zuhause zu fühlen“ und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (vgl. Castro-Varela/Heinemann 2016: 61). In solchen künstlerischen Praxen der Kulturellen Bildung werden die jungen Menschen oftmals mit ihren eigenen oder zugeschriebenen biografischen Erfahrungen einem zumeist weißen Publikum zuerst als die Anderen, die Flüchtlinge präsentiert. Diese Inszenierungen der Veranderung, also der „Konstruktion von Anderen vor dem Hintergrund hierarchischer und asymmetrischer Differenzordnungen“ (Riegel 2016: 52), lassen sich mit dem Konzept des Othering theoretisch-analytisch fassen:
„Mit dem Begriff des Othering wird die Konstruktion des_der Anderen als Prozess des ‚Different-Machens‘ (Castro Varela/Dhawan 2005: 60) markiert, der sowohl Elemente der Festschreibung, der Ausgrenzung als auch der Unterwerfung enthält. Das entscheidende Moment von Othering liegt darin, dass in einer wirkmächtigen Verschränkung und im Zusammenspiel von hegemonialen alltäglichen, fachlichen, wissenschaftlichen und politischen Diskursen und Bildern, mit Mitteln der Zuschreibung, Essentialisierung und Repräsentation eine bestimmte Gruppe erst als solche, dann als Andere diskursiv hervorgebracht und identitär festgeschrieben wird.“ (Riegel 2016: 52).
Die performativen Formate des „Ausstellen[s] von Differenz“, wie es Nanna Heidenreich im Gespräch mit Nuray Demir benennt, verweisen auf Exotisierung als diskursive Praxis des Othering, welche
„genau in dem Moment [beginnt], in dem etwas ausgestellt oder eingetütet wird. Z.B. der Mehrwert, den man gewinnt, in dem man mit Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten oder derzeit tatsächlich auch mit Geflüchteten arbeitet. Über die momentanen Ausmaße dessen bin ich selbst fassungslos.“ (Demir/Heidenreich 2017: 186).
Wenn geflüchtete Kinder und Jugendliche als Zielgruppe der Kulturellen Bildung identifiziert und angesprochen werden, ist diese Adressierung
„weder zufällig noch neutral, sondern von den Perspektiven und Interessen der Einladenden geformt. Mit der Praxis eines exotisierenden Othering werden rassistisch konnotierte Macht- und Herrschaftsverhältnisse aufgerufen, legitimiert und aufrechterhalten. Diese haben nicht nur die Funktion, das Andere herzustellen, sondern auch, das Eigene als angestrebte Norm zu bestätigen.“ (Mörsch 2016a: 69).
Für Kinder und Jugendliche, die entlang der Differenzkategorien race, Klasse, Geschlecht, Körper, Nation als bildungsferne oder bildungsbenachteiligte Andere subjektiviert werden, verhält sich Kulturelle Bildung so als ein normalisierendes Bildungssetting, in dem ästhetische Erfahrungen mit dem Erlernen dominanzkultureller Werte verknüpft werden. Zum Tragen kommt hier ebenso ein konservativ-bürgerliches Narrativ der Kulturellen Bildung, welches die Kultur und die Künste in distinktiver und stratifizierender Weise ausformt und mit rassistischen Denkmustern korreliert (vgl. Castro Varela/Heinemann 2016: 61). Werden junge Refugees als Zielgruppe der Kulturellen Bildung markiert, steht die Vermittlung „national geprägte[r] kultureller Bezugspunkte“ (ebd.) in Verbindung mit gesellschaftlicher Integration im Vordergrund. Dabei unterliegen sie in besonderem Maße dem Risiko, als „rassifizierte ‚Andere‘ […] in hierarchisierende soziale Ordnungen enkulturalisiert oder assimiliert [zu] werden“ und in diesen zugleich „am Rand gehalten zu werden.“ (Gaztambide-Fernández 2017: 30): Eine vorbehaltlose, „postkommunitäre Solidarität“ (Mecheril 2018: 5ff.) ist nicht das Versprechen der Kulturellen Bildung.
Die Verwobenheit von Kultureller Bildung und Rassismus im Spiegel Europas als Quellcode für Kultur, Künste und Zivilisation macht darauf aufmerksam, dass die Künste eben nicht „unschuldig oder apolitisch“ sind, sondern „weiterhin auf kolonialisierende Art“ operieren (vgl. Gaztambide-Fernández 2017: 27). Dies hat zur Konsequenz, dass Vorstellungen europäischer Überlegenheit ihre Wirksamkeit nicht verlieren und in die Instrumentalisierung kultureller Bildungsangebote für staatlich organisierte Integrationspolitik einfließen. Kulturalisierende und exotisierende Diskurse mit grenzziehenden Konstruktionen zwischen einem europäisch-zivilisierten Wir und nichteuropäisch-unzivilisierten Anderen werden in ihren machtvollen Unterscheidungen zumeist nicht in Frage gestellt und geschehen in großer Selbstverständlichkeit. Ein „kolonial geprägtes Weltverständnis [mit] rassistischen Taxonomien im Sinne von ‚eigener‘ und ‚fremder‘ Kultur“ (Mörsch 2016b: 179) wird in prototypischer Weise greifbar in einem Homepagetext, anlässlich der Auszeichnung eines Tanztheaterstücks mit geflüchteten Jugendlichen:
„Dabei zeigten die Jugendlichen einen zunächst ruhigen, dann immer energetischeren Tanz. Sie wirkten gehetzt, wie auf der Flucht, sie zogen sich gegenseitig, mussten sich loslassen, sprangen übereinander, trommelten unterschiedliche, mitreißende Takte auf Stühlen. Sie sprachen und riefen in einem fast babylonischen Sprachgewirr um plötzlich zu verstummen – untermalt von unruhiger, disharmonischer Musik. Die mehr als 400 Zuschauer waren berührt und begeistert, die jungen Tänzer stolz.“ (StädteRegion 2015).
Offensichtlich wird, dass hier auf naturalisierende und primitivisierende Weise in doppelter Hinsicht machtvoll ‒ bezugnehmend auf Körper und eine künstlerische Praxis ‒ eine rassifizierende Differenz hergestellt wird (vgl. Heidenreich 2017: 187f.). Mit Stuart Halls Überlegungen in Das Spektakel des ‚Anderen‘ (Hall 2004) kann diese Verwobenheit von Repräsentations-, Differenz- und Machtverhältnissen rassismuskritisch ausgeleuchtet werden. Hall betont hierzu die diskursive Dynamik des Othering, der spaltenden Konstruktion von binären Gegensätzen, von Natur vs. Kultur, von „‚Zivilisation‘ (weiß)“ vs. „Wildheit (schwarz)“ und dem „offenen[n] Ausdruck von Emotion und Gefühl anstelle von Intellekt“ (Hall 2004: 127). Er zeigt auf, dass in rassistischen Diskursen des Othering Stereotypisierung in dreierlei Hinsicht wirksam ist: Stereotypisierung „reduziert, essentialisiert, naturalisiert und fixiert ‚Differenz‘“ (ebd.: 144), sie ist eine „Praxis der ‚Schließung‘ und des ‚Ausschlusses‘“ (ebd.) und sie ist besonders dann relevant, wenn „große Ungleichheiten in der Machtverteilung“ (ebd.) bestehen:
„Der rassistische Diskurs hat eine eigentümliche Struktur: Er bündelt die den jeweiligen Gruppen zugesprochenen Charakteristika in zwei binär entgegengesetzte Gruppen. Die ausgeschlossene Gruppe verkörpert das Gegenteil der Tugenden, die die Identitätsgemeinschaft auszeichnet. Das heißt also, weil wir rational sind, müssen sie irrational sein, weil wir kultiviert sind, müssen sie primitiv sein, wir haben gelernt, Triebverzicht zu leisten, sie sind Opfer unendlicher Lust und Begierde, wir sind durch den Geist beherrscht, sie können ihren Körper bewegen, wir denken, sie tanzen usw. Jede Eigenschaft ist das umgekehrte Spiegelbild der anderen. Dieses System der Spaltung der Welt in ihre binären Gegensätze ist das fundamentale Charakteristikum des Rassismus, wo man ihn findet. Das meine ich, wenn ich von der Konstruktion der Differenz durch die rassistischen Diskurse spreche.“ (Hall 2000: 14).
Die rassistischen Machtverhältnisse, denen minderjährige Refugees in dem weißen, hochkulturellen Raum Tanztheater ausgesetzt sind, und die hierbei explizit ausschließende Fixierung auf binär angelegte Differenzierung und Nicht-Zugehörigkeit (vgl. Hall 2004: 144) sind unverkennbar. In dem Homepagetext findet ein kolonial fundierter und ausstellender Exotismus Ausdruck, es wird klassifizierendes Wissen verstetigt, das über das Aufrufen binärer Codes ‒ kultiviert, vernunftbezogen, mündig vs. primitiv, animalisch, infantil ‒ in die Figur des Flüchtlings eingeschrieben wird, und das sich konträr zu Vorstellungen verhält, die jungen Menschen als politische und gleichwertige Subjekte zu erkennen. Diese Denkmuster und Bedeutungen sind für den rassistischen Diskurs bezeichnend, „zum einem [wird] die Subjektivität derjenigen, die als Andere markiert werden, systematisch ignoriert und verfehlt, zum anderen werden marginalisierte Standpunkte übergangen und unsichtbar gemacht.“ (Riegel 2016: 53).
Mit einer postkolonialen herrschaftskritischen Analyse verweist Rubén Gaztambide-Fernández darauf, dass sich Kulturelle Bildung aus ihren „Anfängen im 18. Jahrhundert […] immer [als] ein zivilisierendes Projekt der Enkulturation, basierend auf der Überlegenheit der europäischen Zivilisation und der Unterlegenheit des rassisch definierten ‚Anderen‘“ (Gaztambide-Fernández 2017: 25) verstanden und vergewissert hat:
„Mit dem Konzept der Künste „als Metonymie für alles Gute und Schöne […] sowie für die angenommene Fähigkeit der europäischen Kultur zur Schönheit, entwickelt sie sich in ihrer scheinbar harmlosen Enkulturation, im Gegensatz zur rohen Gewalt. Diese Perspektive lässt die Besonderheit der Kolonialprojekte außen vor und bringt Kulturelle Bildung wieder in den Kontext der Bildung als besondere Form der Verbesserung.“ (Gaztambide-Fernández 2017: 25).
Gaztambide-Fernández spricht für das Erfordernis, die Künste und die Kultur nicht aus dem „sozialen und kulturellen Kontext ihrer Entstehung [zu] lösen“, anderenfalls würde es den „Diskursen über ‚die Künste‘ [erlaubt], ihre intime Beziehung zu Zivilisationskonzepten und dem zivilisierenden Projekt Bildung“ (ebd: 27) auszulöschen. Koloniale Kontinuitäten in der Entwicklung der Kulturellen Bildung rekonstruiert ebenfalls Carmen Mörsch in den gemeinwesenorientierten Projekten bürgerlicher Sozialarbeit, „Toynbee Hall“ und „Hull Houses“, im 19. Jahrhundert (vgl. Mörsch 2016b: 177ff.). Eine besondere Motivation des „Bildens durch Kunst“ in diesen Wohltätigkeitsprojekten bestand in der „Assimilierung von neuen Gruppen in die national-identitären Werte des Aufnahmelandes“ (ebd.: 179). Die Entwicklungslinien dieser Praxen, die sich mit der Idee der Partizipation durch die Künste zugleich mit Vorstellungen von Disziplinierung und Unterwerfung der zu bildenden Subjekte verschränkten, führt Mörsch auf „die Zeit der ersten Formierung des autonomen künstlerischen Feldes“ zu Beginn des 18. Jahrhunderts zurück, das für „das national-identitäre Selbstverständnis“ des besitzenden Bürgertums konstitutiv war.
„Damit aufs Engste verschränkt wurde das Konzept für ein kolonial geprägtes Weltverständnis, in rassistischen Taxonomien im Sinne von ‚eigener‘ und ‚fremder‘ Kultur verwendet. Solche Abgrenzungsfunktionen – die zwischen gesellschaftlichen Schichten und die, welche das vermeintlich ‚Eigene‘ und das vermeintlich ‚Fremde‘ festzuschreiben und voneinander hierarchisch zu unterscheiden sucht – sind in den heutigen Verwendungen von ‚Kultur‘ wie von ‚Bildung‘ wirkmächtig, genauso wie Kapitalismus und Kolonialismus, die für die Entstehung des Konzeptes den Rahmen bildeten.“ (Mörsch 2016b: 179)
Sie betont ebenso wie Gaztambide-Fernández die Folgenschwere der Ausblendung der kolonialen Imprägnierung im gegenwärtigen Diskurs der Kulturellen Bildung, wenn diese mittels der Künste und der Kultur weiterhin auf eine „besondere Form der Verbesserung“ der Anderen abzielt.
„Auf diese Art berufen wir uns jedes Mal, wenn wir uns auf ‚die Künste‘ berufen, auch auf ihre Verbindung mit der europäischen Zivilisation und deren Überlegenheit, auch wenn diese Assoziation als Funktion eines Assimilierungsprojekts ausgelassen wird.“ (Gaztambide-Fernández 2017: 30)
Ein anderes Wissen ist für die Kulturelle Bildung erforderlich. Ein Wissen, das sich in der Kulturellen Bildung im Sinne von Paulo Freire „als Prozess einer kritischen Bewusstwerdung (conscientização) über gesellschaftliche Verhältnisse und die eigene Eingebundenheit darin mit der Perspektive der Veränderung hin zu weniger gewaltvollen Verhältnissen.“ (vgl. Linnemann/Mecheril/Nikolenko 2013: 10) äußert. Ein Wissen, das geflüchtete Menschen als „Träger_innen dekolonialen Wissens und dekolonialer Perspektiven“ erkennt (vgl. Micossé-Aikins/Sharifi 2016: 77) und selbstkritisch die eigene Eingebundenheit in koloniale, rassistische und kapitalistische Zusammenhänge reflektiert. Ohne eine solche machtkritische Selbstreflexion läuft die Kulturelle Bildung weiterhin Gefahr, der „Herstellung von inferiorer Alterität – von als zu benachteiligt und unterlegen entworfenen Anderen, die es zu heilen, zu verbessern, zu bilden gilt“ (Mörsch 2016b: 179), verhaftet zu bleiben. Dementgegen kann die Kulturelle Bildung mit einem machtreflexiven und machtkritischen Fokus auf die eigene politische Dimension verantwortungsvoll dafür eintreten,
„[…] postkoloniale Kontinuitäten in der Darstellung des ‚Anderen‘ und der Selbstbeschreibung Europas aufzudecken, kulturelle Muster und Diskurse zu dekonstruieren und deren machtvolle Klassifikationsmechanismen verständlich zu machen. Politische Bildung sollte Lernende dazu befähigen, in diesen Kontexten ‚Expertenwissen‘, kulturelle Produktionen wie Gemälde, Poesie und Filme sowie die Rolle internationaler Arbeitsteilung im globalisierten Kapitalismus kritisch zu reflektieren.“ (Müller 2017: 408).
In dem 10-Punkte-Forderungskatalog der australischen Refugee-Organisation RISE wird die politische Dimension der Kulturarbeit hervorgehoben: „Art is not neutral“ (Canas 2015). Mit dieser Unterstreichung verdichtet sich die Notwendigkeit, weiße Privilegien und die tatsächliche Motivation für ein Kunstprojekt mit geflüchteten Menschen einer reflexiven Selbstkritik zu unterziehen (vgl. Linnemann/Ronacher 2016) und essentialistische Konzepte der Zugehörigkeit wie Staatsbürgerschaft und deutsche Sprache aufzulösen und zu hintergehen (vgl. Salgado 2010: 11-5).
3. Gouvernementalisierte Kulturelle Bildung im Spiegel der Integration: Kultur – Sprache – Nation
In den vorherigen Überlegungen zu Diskursen und Praxen der Kulturellen Bildung wurden Diskurse zur Herstellung von kultureller Differenz über Rassifizierung und Kulturalisierung der Anderen und zu der Auslassung der kolonialen Geschichte in Bezug auf rassistische Machtverhältnisse in der Kulturellen Bildung untersucht. Im Folgenden wird hieran anknüpfend eine zweite machttheoretische Einordnung der Kulturellen Bildung vorgenommen und diese als gouvernementale Regierung mit diskursiven Praktiken im Kontext von Kultur, Sprache und Nation als Techniken gouvernementaler Regierung befragt. Mit Gouvernementalität als Bezeichnung für „moderne Regierungsrationalität“ (Beljan 2008: 284) wird auf eine machttheoretische Konzeption Michel Foucaults Bezug genommen, die aufbauend auf Untersuchungen zu Biomacht und Biopolitik die Aufmerksamkeit auf Regierung und auf staatliche Regierungstechnologien legt (vgl. Sarasin 2005: 183f). Diesen „Machttypus“ (Foucault 2004: 162f.) einer „aktive[n], wachsame[n] und intervenierende[n] Regierung“ entfaltet Foucault in den genealogischen Untersuchungen zu Liberalismus und Neoliberalismus (vgl. Foucault 2006: 190). Demnach zielt die moderne bzw. liberale Gouvernementalität auf „eine Verwaltung der Risiken im Rahmen der Gesamtbevölkerung […], und damit auf die ‚Sicherheit‘ in ihrem ganzen Territorium“ (Sarasin 2005: 184). Gouvernementalität kann insofern „als das strategische Feld beweglicher, veränderbarer und reversibler Machtverhältnisse bestimmt“ werden, dieses nicht im Verständnis eines lokalisierbaren Machtzentrums (vgl. Junge 2008: 48), sondern als die „Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, mittels dere[r] man die Menschen lenkt, von der Verwaltung bis zur Erziehung“ (Beljan 2008: 284). Regierung meint hierbei gleichermaßen „Praktiken der Fremdführung [als] auch solche der Selbstführung“ (ebd.) und somit ein Ensemble von Selbsttechniken und Regierungstechnologien der Machtausübung, die sich in Wechselwirkung zueinander verhalten und bedingen (vgl. Lemke 2006: 482; Duttweiler 2016). Das Machtspezifische der Regierung ist die Führung, nicht Gewalt oder Unterwerfung (vgl. Lemke 2006: 482), und „Freiheit ist von daher weniger ein Gegenbegriff, sondern vielmehr als Grundvoraussetzung von Machtverhältnissen zu denken“. (ebd. 482; dazu Demirović 2008). Filippa Lentzos und Nikolas Rose verweisen auf den unmittelbaren Zusammenhang von gouvernementaler Regierung, Sicherheit und sozialstaatlicher Rationalität westlicher Demokratien und zeigen hierzu auf, dass „die Herstellung von Sicherheit stets eine Kernaufgabe sozialer Regierungsformen“ darstellt und der Wohlfahrtsstaat in seiner historischen Entwicklung schon immer zugleich auch als ein „Sicherheitsstaat“ zu verstehen ist (vgl. Lentzos/Rose 2008: 77f.).
Signifikant ist die diskursive Verschränkung von race und Nation im Sprechen über geflüchtete Menschen als Bedrohung des gouvernementalisierten Sozialstaats. Das Sprechen über „Asylmissbrauch“ und einer „Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme“ (Goebel 2017: 252f, dazu Hall 2014: 117f.) öffnet den Blick für das rassistische Potential in der Verknüpfung einer (imaginierten) kulturellen Homogenität mit Annahmen zu nationaler Sicherheit. Angesichts von staatlich legitimierten Restriktionen und gewaltvollen Praxen des Ausschlusses stellt sich mit Foucault die Frage nach der „vitale[n] Bedeutung“ von Rassismus für staatliche Gouvernementalität. In der 1976 gehaltenen Vorlesung Verteidigung der Gesellschaft thematisiert Foucault, dass die repressiven, rassistischen Verfahrensweisen der Souveränitätsmacht auch im „Staat nach dem Modus der Bio-Macht“ weiterhin wirksam sind (Foucault 1999: 297; vgl. Steyerl 2012: 39): „Die Tötungsfunktion des Staates kann […] nicht anders gesichert werden als durch Rassismus. (Foucault 1999: 297), Foucault erläutert hierzu:
„Selbstverständlich verstehe ich unter Tötung nicht den direkten Mord, sondern auch alle Formen des indirekten Mordes: jemanden der Gefahr des Todes auszusetzen, für bestimmte Leute das Todesrisiko oder ganz einfach den politischen Tod, die Vertreibung, Abschiebung usw. zu erhöhen. (Foucault 1999: 297f. ).
Für die Kulturelle Bildung haben sich infolge der Neoliberalisierung des Sozialstaats gouvernementale Machttechniken herausgebildet, die mit ihrer präventiven, aktivierendenden und sichernden Ausrichtung gerade auch in Förderprogrammatiken einfließen. Solche „[m]ehr oder weniger systematisierte[n], regulierte[n] und reflektierte[n] Formen der Machtausübung“ (Lemke 2006: 482) im programmatischen Konnex von Bund und Bundesländern, Verbänden, Stiftungen und Auswärtiger Bildung und Kultur (vgl. Wolf 2017) strukturieren und entwickeln Institutionen, Programme, Bildungsmaßnahmen und Forschungen zur Kulturellen Bildung und facettieren zugleich das Selbstverständnis dieser. Lisa Unterberg benennt in diesem Zusammenhang eine ideologische Aufladung der Kulturellen Bildung in Bezug auf Wirkungen, Werte und Prinzipien (vgl. ebd.: 290) und macht deutlich, „dass das Feld der Kulturellen Bildung eine diskursive Anschlussfähigkeit an neoliberale Steuerungs- und Regierungskonzepte entwickelt hat“ (Unterberg 2018: 292). In Anschluss an Ulrich Bröcklings Konzeption der neoliberalen Figur des unternehmerischen Selbst analysiert sie die diskursive Figur des mündigen Subjekts als bedeutungsvoll für den gegenwärtigen Diskurs der Kulturellen Bildung (vgl. Unterberg 2018: 291).
Ich halte es jedoch für zutreffender, Kulturelle Bildung selber als einen gouvernementalen Diskurs zu begreifen, der nicht außerhalb von neoliberaler Gouvernementalität steht, sondern sich vielmehr als Inneres gouvernementalen Regierens mit Techniken der Fremd- und Selbstführung der Bevölkerung entfaltet. Zielsetzungen und Techniken der Kulturellen Bildung zur Herstellung der anvisierten Mündigkeit verbinden sich hierbei mit hegemonialen Vorstellungen von employability und einer deutsch markierten Kultur. Dieser disziplinierende und normalisierende Aspekt zur Herstellung des mündigen Subjekts ist wesenhaft für die gouvernementale Regierung, die Normalfelder konstruiert „in denen sich die Individuen statistisch verteilen und innerhalb derer sie ‚regierbar‘ werden.“ (Schröder/Wrana 2015: 17). Für den „soziale[n] Raum der Migration“ wird das Normalfeld „mit dem Integrationsdispositiv gleichsam gekerbt“ und diese „Kerbung ist ein Vorgang, bei dem der gelebte Raum reterritorialisiert, d. h. zählbar, regierbar und planbar gemacht wird.“ (Tsianos/Karakayali 2008: 331). Eine migrationsgesellschaftliche Perspektive auf den Zusammenhang von Integration und Kultureller Bildung lenkt den Blick auf die gültigen Wissensbestände, auf die sich die Kulturelle Bildung in dem Spannungsverhältnis fragloser natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit vs. prekärer natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit (vgl. Mecheril 2003) bezieht. Fluchtpunkte zur migrationsbezogenen Wissensproduktion entlang der Kategorien race‚ Nation, Klasse, Kultur, Religion vermittelt das „größte Förderprogramm des Bundes im Bereich der kulturellen Bildung“ (Antrag SPD/CDU Bundestag 2016: 2), Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung. (Anm. Im Jahr 2013 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Programm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ erstmals aufgelegt. „Mit dem Programm werden außerschulische Maßnahmen der kulturellen Bildung für Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 18 Jahren gefördert. Die Maßnahmen werden als Bildungskooperationen – Bündnisse für Bildung – mit mindestens drei Partnern umgesetzt. Bis Ende 2017 haben fast 600.000 Kinder und Jugendliche in mehr als 7.000 lokalen Bündnissen an rund 17.000 Projekten teilgenommen. Ergänzt wurde das Programm im Jahr 2016 durch ‚Kultur macht stark plus“ für geflüchtete junge Erwachsene bis 26 Jahre‘ (BMBF 2019).
„Mehr als jedes vierte Kind in Deutschland (28 Prozent) wächst ausweislich dieses Berichts [„Bildung in Deutschland 2016“] in mindestens einer sozialen, finanziellen oder bildungsbezogenen Risikolage auf. Kinder Alleinerziehender und von Eltern mit Migrationshintergrund sind überproportional häufig betroffen. Diese Kinder und Jugendlichen brauchen unsere besondere Förderung. Dies gilt ganz besonders mit Blick auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit und ihrer sozialen Kompetenzen. Ein Schlüssel dafür ist kulturelle Bildung. Die geflüchteten jungen Menschen sind mit sehr verschiedenen Bildungserfahrungen nach Deutschland gekommen. Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e. V. stellt den besonderen Nutzen von kulturellen Bildungsprojekten für geflüchtete Jugendliche fest: ,So können junge Menschen [...] zum Ausdruck bringen, wofür ihnen Worte noch fehlen. Sie werden als Individuen sicht- und hörbar.‘ Die Angebote der kulturellen Bildung können zudem die Begegnung der verschiedenen Religionen und Kulturen in der Gesellschaft fördern und sind Mittel der kulturellen Integration.“ (Antrag SPD/CDU Bundestag 2016: 2).
Die hier erkennbar werdenden kulturalistischen und paternalistischen Grundlegungen der Kulturellen Bildung und das beharrliche Sprechen von Migrationshintergrund verweisen auf prototypische Normalitätsannahmen von Zugehörigkeit (vgl. Dausien/Mecheril 2006: 164) und auf eine über „Differenzbehauptungen die Andersheit der Anderen erzeugenden Praxis“ (Kalpaka/Mecheril 2010: 84). Paternalismus gelesen als “väterliche Herrschaftsordnung“ (Castro Varela/Heinemann 2016: 60), eingewoben in die „Erfindung der Nation“ (Anderson 1998) zeigt sich in einem Diskurs der Sorge, ob Integration denn gelingen möge. „Mit dem Ausdruck Paternalismus wird auf eine gesellschaftliche Figuration aufmerksam gemacht, die das Sprechen und Handeln in der Migrationsgesellschaft prägt“ (CfP Universität Wien 2012) und es werden Unterscheidungen hergestellt zwischen den Anderen, die als hilfs- und integrationsbedürftig konstruiert werden und den als zugehörig Konstruierten, denen es zusteht, Hilfe und Integration zu vermitteln (vgl. ebd.). Paternalismus besetzt in diesem scheinbar wohlmeinenden migrationsgesellschaftlichen Machtverhältnis Begrifflichkeiten wie Emanzipation und Empowerment und befördert wird eine Art diskursives Doublebind, welches dazu beiträgt, Entmündigung und Abhängigkeit zu normalisieren (vgl. ebd.). Hiervon sind als Flüchtlinge markierte Menschen in Besonderem betroffen.
Wenn von einer „Begegnung der verschiedenen Religionen und Kulturen“ als Medium der kulturellen Integration gesprochen wird, wird demnach ein geschlossenes Kulturverständnis aufgerufen und „,kulturelle Differenz‘ zur Stärkung des „national-ethnischen Unterscheidungsschemas“ erzeugt (vgl. ebd.: 87). Es wird ein nationales und monolinguales Konzept vorgebracht (vgl. Dirim/Mecheril 2010; Mecheril 2015: 39f.), über welches Refugees im Diskurs der Kulturellen Bildung zuerst als nicht sprechfähige Subjekte hergestellt und als solche dann der Mehrheitsgesellschaft präsentiert werden. Diese diskursive Praxis des Othering ist nicht nur paradox, sondern performiert eine rassistische Normalität des deutschen Asylregimes: Erst mit dem Erwerb der deutschen Sprache ist die Position eines mündigen Subjekts denkbar, hingegen erscheint es nicht vorstellbar, dass die Entscheidung der Menschen zur Flucht eine mündige Subjektposition darstellt. Bezugnehmend auf Gayatri Charkavorty Spivak wird hierbei die Logik eines imperialen Macht- und Wissensdiskurses deutlich, in welchem „die Perspektiven und Stimmen von marginalisierten Anderen nicht gehört werden bzw. diese ‚sprachlos‘ gemacht werden.“ (Riegel 2016: 53). Im Anschluss an Spivaks Can the Subaltern speak (1988) wird mit dem Aberkennen von Sprechfähigkeit und dem mehrheitsgesellschaftlichen Nicht-Hören eine diskursive Gewalt produktiv (vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 199), mit der im Sinne Foucaults der politische Tod droht. Inci Dirim und Paul Mecheril verweisen darauf, dass es in „der Auseinandersetzung um Sprache […] um mehr als bloß ‚technische‘ Fragen [geht]. Es geht in einem sehr grundsätzlichen Sinne um Zugehörigkeiten und Identitäten.“ (Dirim/Mecheril 2010: 105).
Die hegemoniale Setzung der deutschen Sprache als gouvernementales Konzept der Zugehörigkeit wird explizit in den 15 Thesen Zur Kulturellen Integration, die von einer Allianz gesellschaftlicher und politischer Institutionen unter Moderation des Deutschen Kulturrats im Jahr 2017 in den öffentlichen Diskurs gebracht wurden:
„These 12. Deutsche Sprache ist Schlüssel zur Teilhabe. Unsere gemeinsame deutsche Sprache ist der Schlüssel zur Teilhabe aller in Deutschland lebenden Menschen am gesellschaftlichen Leben. Sie ist das unverzichtbare Mittel zu gleichberechtigter Kommunikation und damit Grundvoraussetzung für Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sprache ist aber nicht nur Kommunikationsmittel, sie ist zugleich Kulturgut, das in Dichtung und Literatur ihren Ausdruck findet und den Zugang zu Kultur und Gesellschaft ermöglicht.“ (Initiative Kulturelle Integration 2016).
Aufgerufen wird ein deutsches Wir, für welches die deutsche Sprache als nationales „Kulturgut“ mit einem kulturellen Imperativ für gesellschaftliche Zugehörigkeit versehen wird. Weiter noch präzisiert wird das hiermit verknüpfte Integrationsverständnis im Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ (2007):
„Ohne Sprache gibt es keine Mitsprache. Für die Integration von Migranten ist der Erwerb der Sprache des Aufnahmelandes daher eine zentrale Bedingung. Jede weitere Sozialintegration der Migranten außerhalb ihres ethnischen Kontextes ist erst durch Beherrschen der deutschen Sprache möglich. Eine gemeinsame Sprache wirkt als Symbol von Zusammengehörigkeit und gegen Abgrenzungen oder Diskriminierungen.“ (Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ 2007: 212).
Ohne Sprache gibt es keine Mitsprache: Die Androhung des Ausschlusses, die Ethnisierung von Sprache und die Rechtfertigung von Diskriminierung grundieren diese Position der Enquete-Kommission. Eine Ablösung des natiolingualen leitkulturellen Verständnisses scheint hier undenkbar. Deutsch als alleinige „legitime Sprache“ (Mecheril 2015: 39) wird hier zur formgebenden Kerbung des Integrationsdispositivs, welches dazu beiträgt, Unterscheidungen zwischen einem „natio-ethno-kulturellem ‚Wir‘ und ‚Nicht-Wir‘“
zu plausibilisieren und zu legitimieren (vgl. Mecheril 2011). Die natio-ethno-kulturell kodierte Infragestellung von Zugehörigkeit (vgl. Kooroshy/Mecheril 2019: 81f.), gelesen als hegemonial strukturierte Regierungstechnik, (re)produziert diskursives Wissen zu Normalitätsvorstellungen einer national gedachten Bevölkerung (vgl. Schröder/Wrana 2015: 17). Die gouvernementalisierte Kulturelle Bildung ist in diesen Diskurs maßgeblich involviert, indem, wie im vorangegangenen ausgeführt, ihr Normalfeld auf ein homogen gedachtes weißes deutsches Wir rekurriert und hierzu als abweichend konstruierte ethnische Risikogruppen (vgl. Demirović 2008: 243) als defizitäre und fragwürdige Andere erzeugt werden. In diesem Machtverhältnis etablieren sich im Zusammenspiel von „stereotypisierenden Zuschreibungen“ und „sozialen Bedeutungskonstruktionen“ symbolische Ordnungen eines „Zugehörigkeitsregime[s]“, das mit national-kultureller Hegemonie und rassistischer Ideologie eng verbunden ist (vgl. Scharathow 2014: 45). Eine rassismuskritische Perspektive für die Kulturelle Bildung bedarf einer reflexiven Aufmerksamkeit der eigenen Verstrickung in postkoloniale und gouvernementale Machtverhältnisse: Den Blick auf die „rassistische[n] Logik des Neoliberalismus“ (Mbembe 2015) und auf eurozentristische und rassistische Füllungen der Kultur und der Künste. Diese selbstkritische und politische Auseinandersetzung ist notwendig, wenn die Kulturelle Bildung die eigene Involviertheit im „Kampf um Zugehörigkeiten“ (Dirim/Mecheril 2011: 106) zum Thema machen will und sich dafür interessiert, den eigenen instrumentellen Diskurs und den, im Integrationsdispositiv wirkenden, ausschließenden Mustern des Othering zu entgegnen.
4. (Selbst) Beobachtungen aus einer rassismus- und machtkritischen Forschungsperspektive zur Wissensproduktion im Diskurs der Kulturellen Bildung
Die mit diesem Text verbundene Forschungsarbeit (Kap. 1) versteht sich als Beitrag zu einer kritischen Migrationsforschung, die Abstand davon nimmt, zu Wirkungen der Kulturellen Bildung mit einem Interesse daran zu forschen, ob Kulturelle Bildung in irgendeiner Weise Menschen „besser machen kann“ (Gaztambide-Fernández 2017: 24) oder aber, ob Flüchtlinge mittels der Künste dazu befähigt werden können, sozial kompetente und demokratiefähige Subjekte zu werden (vgl. Chrusciel 2017a). Insofern ist es das Anliegen der macht- und rassismuskritischen Forschung, Othering und Kulturalisierung nicht zu (re)produzieren, sondern diese ebenfalls als Gegenstand im Forschungsprozess miteinzubeziehen (vgl. Chrusciel 2017b: 4f.; Mecheril 2015: 45; Frieters-Reermann/Genenger-Stricker et. al. 2019: 195ff.; Hess 2013). Wesentlich ist hierzu die kontinuierliche Reflexion zum Forschungsgegenstand, zu den leitenden Fragestellungen sowie zur Erhebung und Auswertung von Daten mit der Haltung einer „reflexive[n] Offenheit“ (Breuer 2009: 28f.).
Es „bedarf einer Standpunktsensibilität und -reflexivität, die eigene Verstrickungen, Vor- und Nachteile in einer von Rassismen und anderen Herrschaftsformen strukturell beeinflussten Gesellschaft berücksichtigt. Rassismuskritik bedarf der Reflexion, einer kontinuierlichen Selbst-, Kultur-, Interaktionen- und Institutionenbeobachtung.“ (Mecheril 2018: 2)
Die gemeinsame Reflexionsarbeit in einem Forschungsteam ist für die Forschenden beides, eine Einladung und eine Herausforderung dazu, „sich selbst im Machtgefüge der gefundenen Diskurse zu begreifen“ (Großkopf 2012: 224) und in diesem Prozess „ein Bewusstsein über die eigene Position innerhalb von rassistischen Strukturen zu gewinnen und so eine Sprache für die eigenen Erfahrungen zu entwickeln.“ (Linnemann/Mecheril/Nikolenko 2013: 11). Mit dem reflexiven Denk- und Aushandlungsraum der Diskurswerkstatt ist in unserem Forschungsprozess ein konkreter und ideeller Ort entstanden, der von besonderer Bedeutung dafür ist, normative Vorannahmen der Forschenden zu dekonstruieren und die Eingebundenheit in Machtverhältnisse zu diskutieren und zu hinterfragen (vgl. Bücken et al. 2018: 21f.; Jäger 2012: 146). Einbezogen werden hierbei auch die im institutionellen Kontext Hochschule wirkenden widersprüchlichen und hierarchischen Machtverhältnisse.
In dieser Forschungsarbeit wird das wissenschaftstheoretische Ideal der Objektivität von Forschung und Forschenden und das Paradigma der „Unabhängigkeit der Erkenntnis von der erkennenden Person“ (Breuer 2009: 120) einer grundlegenden Infragestellung unterzogen und mit dieser kritisch-reflexiven Selbstbeobachtung eine ausdrückliche Sorgfalt auf die intersubjektive Nachvollziehbarkeit von Entdeckungszusammenhang und Begründungszusammenhang gelegt. Bezugnehmend auf die Konzeption des „situierten Wissens“ von Donna Haraway (2002) werden eigene soziale und körpergebundene Verortungen im Zusammenspiel mit strukturell wirkenden Normen und Machtverhältnissen in den Forschungsprozess einbezogen und mitgedacht, dieses betrifft auch mögliche Tendenzen der Vereindeutigung im Erkennen von Rassismus. Der forschungsethische und -methodische Richtungswechsel der Wissensproduktion fordert von den Forschenden ein, Verantwortung für die diskursiven Machteffekte der eigenen Wissensproduktion zu übernehmen. Mit der Distanzierung von der Annahme einer vermeintlichen Objektivität von Forschung wird zugleich der Versuch unternommen, das Risiko zu mindern, dass weiße, koloniale und paternalistische Einschreibungen in wissenschaftliches Wissen unerkannt bleiben und Rassismus und andere Machtverhältnisse im Forschungsprozess normalisiert werden (Kap. 3).
Mit dem Interesse daran, den Diskurs der Kulturellen Bildung im Kontext von Flucht und Migration zum Thema zu machen und intersubjektiv begründbares Wissen für eine rassismus- und machtkritisch interessierte Kulturelle Bildung zur Verfügung zu stellen, geht es dem hier skizzierten Forschungsprojekt darum, für eine bestimmte historische Situation Wahrheiten und Wissensordnungen mit „implizite[r] epochenspezifischer Logik“ freizulegen und sichtbar zu machen, die daran beteiligt sind, mittels „Klassifikationsschemata, Wahrnehmungsformen und Wertmuster die Wissensproduktion einer Gesellschaft stillschweigend [zu] beeinflussen“ (Rosa/Strecker/Kottmann 2007: 282). Dabei beeinflussen diese Macht-Wissen-Komplexe die materielle Praxis ebenso, wie „die körperlich verankerten Wünsche und Bedürfnisse, sowie die Selbstbilder der Menschen“ (ebd.: 294). Andreas Reckwitz schreibt hierzu, dass Diskurse „die Klassifikationsraster [vermitteln], nach denen Subjekte überhaupt vorgestellt, unterschieden und entsprechend produziert werden bzw. sich selber produzieren können“ (Reckwitz 2008: 25). Anders als in rekonstruktiv-methodologischen Ansätzen der Diskursanalyse ist für die hier angesprochene Forschung der analytische Ansatzpunkt nicht, dass Diskurse durch Intersubjektivität konstruiert werden, sondern es ist nach Foucault der Bezugspunkt, dass Diskurse an der Herstellung von sozialer Wirklichkeit und Intersubjektivität beteiligt sind (vgl. Link 2005: 80). Es steht insofern nicht im Fokus, die von handelnden AkteurInnen produzierten und geteilten Sinn- und Wissensvorräte zu untersuchen, vielmehr ist mit einem dekonstruierend-methodologischen Zugang der Ausgangspunkt, dass Subjektpositionen und Ordnungen von Wissen durch den Diskurs erzeugt werden und sich in diesem abbilden (vgl. Angermüller 2005).
Mit der unserer Forschung zugrunde gelegten macht- und rassismuskritischen Analyseperspektive wird auch ein machtheoretisch informiertes forschungsmethodisches Vorgehen erforderlich, um zumindest annäherungsweise „Daten zu sammeln, welche die Bedeutung oder die fehlende Bedeutung von ‚race‘, ‚class‘, ‚gender‘, ‚body‘ für die erforschte Situation explizit berücksichtigen“ (Bücken et al. 2018: 20; vgl. Clarke 2005: 116). Für die forschungstheoretische- und methodische Modellierung der diskursanalytischen Untersuchung wurden diskurstheoretische Überlegungen Foucaults (1986/1991) sowie der Kritischen Diskursanalyse (Jäger 2012) und der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (Keller 2011) hinzugezogen und ein induktiv wie deduktiv abgesichertes Instrumentarium entwickelt. Für den empirischen Forschungszugang liegt das Interesse insbesondere auf der Untersuchung von bewilligten Anträgen der Förderprogramme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Kultur macht stark und Kultur macht stark plus (vgl. Bücken et al. 2018: 20ff). Bei diesem nicht öffentlich zugänglichen Antragsmaterial von kommunalen Institutionen und AkteurInnen aus der pädagogischen, künstlerisch-kulturellen und sozialen Praxis handelt es sich mit einem Antrag bzw. Projektantrag aus textlinguistischer Sicht um eine begründende und „argumentative Textsorte“ mit einem „definierten Kommunikationszweck“ (vgl. Lutz 2015: 143; dazu Rolf 1993: 253; Keßler 2009: 104). Ein solcher Projekt- bzw. Bewilligungsantrag der staatlichen Förderprogramme Kultur macht stark bzw. Kultur macht stark plus fügt sich hierbei in ein Verfahren der Bewilligung einer finanziellen Zuwendung zur Durchführung einer Maßnahme – gemeint ist hiermit ein kulturelles Bildungsangebot – für eine spezifische, sozial prekär verortete Zielgruppe. Aus machtkritischer Perspektive kann dieses programmatische Bewilligungs- und Förderverfahren als gouvernementale Technik einer sorgenden, vorsorgenden und fürsorgenden Politik gedeutet werden, die im Aufrufen der sozialen Kategorien ‚race‘, ‚class‘, ‚gender‘, ‚body‘ zugleich Andersheit erzeugt und soziale Zugehörigkeit in Frage stellt. In dem hier untersuchten Diskurs bzw. Interdiskurs (vgl. Link 2005; Link 1986) der Kulturellen Bildung wird gemäß einer solchen förderspezifischen Ausrichtung bezugnehmend auf Headlines, wie „Nennung der Zielgruppe“ und „Welche Art der Bildungsbenachteiligung liegt vor?“ subjekt- und gesellschaftkonstituierendes Wissen produziert. Die in diesen Wissensbeständen erkennbar werdenden regelgeleiteten Verkettungen von Aussagen bzw. diskursiven Formationen (vgl. Foucault 1986: 58) vermitteln Hinweise zu vorherrschenden Normalitätsvorstellungen im migrationsgesellschaftlichen Diskurs der Kulturellen Bildung.
Die Erkenntnisse unserer Forschung zum hegemonial strukturierten Wissen im Diskurs der Kulturellen Bildung machen nachdrücklich deutlich, dass Migration und Flucht als kategorisch abweichende soziale Verhältnisse im Vergleich zu einer natio-ethno-kulturell imaginierten Normalität konstruiert werden (vgl. Bücken et al. 2018). Bezugnehmend auf diese entschiedene diskursive Sagbarkeit entsteht der Eindruck, dass erklärendes und begründendes Wissen für etwas angeführt wird, das bereits geklärt und gültige Wahrheit ist: Das Festschreiben von kultureller Differenz. Hierzu trägt maßgeblich die diskursive Praxis des Othering in Verbindung mit einem geschlossenen Kulturverständnis bei (vgl. Melter 2018: 39). Refugees werden mehrheitlich als kulturell, ästhetisch und sozial positionierte Andere erzeugt und oppositionelle Dualismen verstärkt die (Re-)Produktion der etablierten natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnung (vgl. Bücken et. al. 2018: 20; vgl. Mecheril 2003). Symbolische Grenzziehungen der nationalen und territorialen Zugehörigkeit zeigen sich in einer „Essentialisierung von Kultur“ (Kalpaka/Mecheril 2010: 85) und die durchgängige Wissensproduktion zu „anderen Kulturen“ und „anderen Kulturkreisen“ erzeugt „Fremdheit und kulturelle Unterschiede […] als an sich und immer schon gegebene Verhältnisse“ (ebd.: 86):
„Flüchtlinge entstammen anderen Kulturen, haben andere Sitten und Lebensgewohnheiten, sind oft Anhänger einer der Mehrheit der deutschen Bevölkerung fremden Religion.“ (Kultur macht stark: 451).
Die Kultur-Kategorie formt diskursive Formationen, die Subjekte als national, ethnisch und religiös Andere herstellen. In der Verlinkung mit den Kategorien Sprache und Geschlecht erfährt der Diskurs der Kulturellen Bildung einen weiteren Moment der Rassifizierung, wenn auch die Psyche das Fühlen und Denken der Refugees als abweichend (vgl. Mecheril 2009), weniger ausdrucksfähig und weniger mündig subjektiviert und zugleich von einem unmarkierten Wir unterschieden wird:
„In den Kulturkreisen aus denen die jungen Menschen stammen, ist die Verbalisierung von Beobachtungen und damit verbundenen Gefühlen und Gedanken insbesondere unter den männlichen Teilnehmern nicht verbreitet […]“ (Kultur macht stark plus: 338).
Die diskursive Konstruktion einer kulturbedingten Sprachlosigkeit verweist auf zwei zentrale Denkfigurationen im Diskurs der Kulturellen Bildung: Auf die deutsche Sprache als Indikator für symbolische und nationale Zugehörigkeit (vgl. Hall 2018: 152) sowie auf die diskursive Anschlussfähigkeit der Figur des unmündigen Flüchtlings (Kap. 3). Es wird deutlich, dass sich in der Wissensproduktion der Kulturellen Bildung national, kulturell und ethnisch kodierte Differenzmarkierungen verfestigen und die hierbei entstehenden Synergieeffekte essentialisierende, verandernde und abwertende Rassekonstruktionen vitalisieren (Kap. 2). Hierbei tragen die Künste und die Kultur als Bedeutungsträger einer als deutsch konstruierten Nationalkultur in spezifischer Weise bei und verbinden sich mit vereinheitlichenden Diskursen zu Sprache, Kultur und Volk (vgl. Dirim/Mecheril 2010: 106). Ebenso zeigt sich als wesentlicher Effekt der Kulturalisierung von sozialen und politischen Problemlagen, dass Themen gesellschaftlicher und sozioökonomischer Ausschließung im Diskurs der Kulturellen Bildung in der Hauptsache kulturalistisch verhandelt werden (vgl. Ha 2009: 56f.).
Mit dem hier eingangs geforderten Richtungswechsel für die Wissensproduktion der Kulturellen Bildung wird eine machtkritische Reflexion der ihr eigenen epistemischen Gewalt (Spivak 1988) notwendig. Hierzu gehört, die der Kultur und den Künsten eingeschriebene koloniale Geschichte einer kritischen Re-Lektüre zu unterziehen und die Entwicklung eines kulturkritischen Kulturbegriffs zu etablieren (vgl. Messerschmidt 2008: 16). Ein Richtungswechsel ist insofern auch für die „herrschenden Förderlogiken“ (Mörsch 2016b: 175) in der Kulturellen Bildung erforderlich und bedeutet, dominanzkulturelle Machtverhältnisse, Wissensbezüge und Normalitätsvorstellungen zu dekonstruieren und produktiv in Frage zu stellen (vgl. Chrusciel 2017a: 4; Mörsch 2016b: 175). Veränderte Förderprogrammatiken für die Kulturelle Bildung sind ein wichtiger Schritt zu einer Verschiebung des hegemonialen Diskurses, doch bleiben Fragen dazu offen, wie sich der Diskurs der Kulturellen Bildung zukünftig zum dominanten Flucht- und Migrationsdiskurs verhält. Die Verfestigung bestehender Ordnungen gesellschaftlicher Zugehörigkeit als vorherrschende Reaktion auf das diskursive Ereignis Flucht, und damit verbunden die Affirmation des Integrationsregimes, scheinen tief eingraviert in den Diskurs der Kulturellen Bildung. Othering, Kulturalisierung und Paternalismus als geübte Instrumente der gouvernementalisierten Kulturellen Bildung legitimieren weiterhin das rassistische Unterscheidungsschema.
Solidarität unter einander Unvertrauten wurde als zentrales Bildungsziel einführend in diesem Beitrag genannt, als Prämisse für institutionelle und diskursive Reaktionen auf die gesellschaftlichen Phänomene Rassismus und Klimazerstörung. Hierzu möchte ich an Nora Sternfeld anknüpfen, die in Anlehnung an Gayatri Spivak und Judith Butler von einem „Ver-Lernen“ und „Gegen-Lernen“ (Sternfeld 2014: 10f.) im Zurückweisen epistemischer Gewalt spricht und von der Unumgänglichkeit, „sich mitten in der Struktur der Wissensproduktion mit dem Apparat der Wertekodierung anlegen zu können“ (ebd.: 10). Die Dringlichkeit, sich mit dem eigenen Apparat rassistischer Wertekodierung anzulegen und hegemoniale Wissensproduktion in Frage zu stellen, betrifft beide, den Klimadiskurs und den Diskurs der Kulturellen Bildung. Für die Kulturelle Bildung versteht sich dieser Text als Versuch einer solchen Auseinandersetzung.