Überblick: Forschungsvorhaben zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung
Abstract
2017 veröffentlichte das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Richtlinie zur Förderung von „Forschungsvorhaben zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung", um die Konsequenzen und Potenziale der digitalen Transformation für die Kulturelle Bildung umfangreich erforschen zu lassen. Die 13 ausgewählten Forschungsvorhaben, die von 2017 bis 2021 realisiert werden, verbindet das spezifische Forschungsinteresse nach den Implikationen ihrer Befunde für die Praxis der Kulturellen Bildung. Zudem erfolgt in allen Projekten eine Weiterentwicklung des Methodenrepertoires zur Erforschung Kultureller Bildung. Dabei geht es sowohl um die Entwicklung gegenstandsadäquater methodischer Zugänge zu Phänomenen der Digitalisierung als auch um die Erprobung und Weiterentwicklung digitaler Erhebungs- und Auswertungsmethoden im Hinblick auf Lehr- und Lernprozesse.
Einleitung
Unsere Lebenswelt und ebenso die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen haben sich im Zuge der Digitalisierung in den letzten Jahrzehnten radikal verändert (vgl. Aufenanger 2015; Hartmann 2010; Hugger 2010; Wagner 2014). Dabei verweist „Digitalität“ auf mehr als nur auf die Dominanz von technologischen Geräten in unserem Alltag: „Der Begriff ist mithin nicht auf digitale Medien begrenzt, sondern taucht als relationales Muster überall auf und verändert den Raum der Möglichkeiten vieler Materialien und Akteure“ (Stalder 2017:18). Die Veränderungen durch die Digitalisierung ermöglichen neue Konstitutionen und Verknüpfungen unterschiedlichster Akteure – menschlicher wie nichtmenschlicher. Verstehen wir also Digitalität nicht nur als ein technologisches Phänomen, sondern als einen sozialen und kulturellen Transformationsprozess, erhält Kulturelle Bildung insofern eine besondere Relevanz, als dass die digitale Transformation unserer Gesellschaft neue Kulturtechniken erforderlich macht. Es reicht nicht mehr, dass Medien als ein Gegenstandsfeld Kultureller Bildung betrachtet werden und der Umgang mit Mediendingen wie bspw. Smartphones oder Medienphänomenen wie bspw. Werbung im Zentrum des Interesses steht. Digitalität muss als ein Bedingungsgefüge von kulturellen, ästhetischen, technologischen und medialen Aspekten verstanden werden und als solche ein umfassendes Bedingungsgefüge in der Kulturellen Bildung Berücksichtigung finden. Hier eröffnen sich neue Freiräume, alternative Artikulationsformen werden möglich und eine kritisch-reflexive Haltung zu dieser Entwicklung wird notwendig. Wir haben es mit einer „Kultur der Digitalität“ zu tun, die sich durch Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität auszeichnet (vgl. Stalder 2017) und die so komplex, heterogen, vielschichtig, unübersichtlich, opak, dynamisch und unvorhersehbar in ihren Effekten ist, dass sie selbst für Fachleute schwer zu fassen ist (vgl. Missomelius 2013).
Die Konsequenzen und Potenziale, die die digitale Transformation für die Kulturelle Bildung mit sich bringt, sind bis lang weitestgehend unerforscht. Diesem Desperat begegnet die Richtlinie zur „Förderung von Forschungsvorhaben zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung", die im Februar 2017 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung veröffentlicht wurde.
Im Folgenden wird der Kontext der Förderrichtlinie beschrieben werden, bevor auf der Grundlage der Vorhabenskizzen ein Überblick über die Fragestellungen und Anliegen der geförderten Forschungsvorhaben sowie den theoretischen und methodischen Bezügen gegeben wird.
Förderrichtlinie „Forschung zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung“
Ziel der Richtlinie war die Förderung von Vorhaben, „die sich durch einen bildungswissenschaftlich fundierten und in den Diskursen kultureller Bildung verankerten interdisziplinären Forschungsansatz auszeichnen und dabei die Auswirkungen des digitalen Wandels auf die kulturelle Bildung auf der Grundlage einschlägiger Theoriebildung (insbesondere aus den Bildungs-, Kultur-, Kunst-, Medien- und Sozialwissenschaften) mittels quantitativer und/oder qualitativer sozialwissenschaftlicher Methoden empirisch untersuchen“ (BMBF 2017).
In drei Themenfelder fragt die Ausschreibung:
- nach den Veränderungen künstlerisch-ästhetischer Inhalte kultureller Bildungsangebote und den Chancen und Herausforderungen für die Reflexion digitalisierungsbedingter Entwicklungen in Kultur und Gesellschaft,
- nach dem Wandel von ästhetischen Wahrnehmungs- und Rezeptionsmustern und -prozessen und den Folgen für Lehr-Lernprozesse in der Kulturellen Bildung und
- nach den Implikationen und Potenzialen mit Blick auf die Teilhabe an Kultureller Bildung (vgl. BMBF 2017).
Das Fördervolumen für die Jahre 2017 bis 2021 beträgt in dieser Förderlinie 10 Millionen Euro. Ende 2017 erhielten 13 Forschungsvorhaben, verteilt im ganzen Bundesgebiet, die Förderzusage und nahmen die Arbeit auf. Darunter sind sieben Verbundvorhaben, die sich in insgesamt 23 Teilprojekte aufteilen.
Ausgeschrieben wurde die Richtlinie im Vorgriff auf das zweite Rahmenprogramm „Empirische Bildungsforschung“ und kann als eine Weiterführung und Ergänzung der 2015 gestarteten Förderrichtlinie zur „Forschung in der Kulturellen Bildung“ verstanden werden.
Erstmals wurde in der Förderrichtlinie ein Metaforschungsvorhaben ausgeschrieben und bewilligt. Das Metavorhaben unter der Leitung von Prof. Dr. Benjamin Jörissen und Prof. Dr. Stephan Kröner (beide Friedrich August Universität Erlangen-Nürnberg) hat zum Ziel über theoretische Modellbildungen, qualitative Meta-Analysen und quantitative Forschungssynthesen die gesellschaftliche und bildungswissenschaftliche Bedeutung der Ergebnisse zu reflektieren und die unterschiedlichen Themenbereiche der Förderrichtlinie auf dieser Grundlage zusammen zu führen. Neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ist es ein wesentliches Ziel des Metavorhabens die Ergebnisse der Forschung auch für die Innovation in den Praxisfeldern der Kulturellen Bildung fruchtbar zu machen und die Befunde und Ergebnisse über den Fachdiskurs hinaus für die Zivilgesellschaft und politische Entscheidungsträger*innen verständlich und handlungsorientiert zu kommunizieren.
Fragestellungen der Forschungsvorhaben
Die Fragestellungen und Anliegen der Forschungsvorhaben sind insgesamt von einer hohen Diversität geprägt. Als übergreifendes und verbindendes Element lassen sich zwei Anliegen benennen, die auch bereits in der Ausschreibung als zentral benannt worden sind.
Alle geförderten Projekte verbinden ihr Forschungsinteresse mit der Frage nach den Implikationen ihrer Befunde für die Praxis der Kulturellen Bildung und deren Gestaltung. Insofern sind aus den geförderten Projekten wesentliche Impulse für die kulturelle Bildungspraxis in Bezug auf Digitalisierung zu erwarten.
Darüber hinaus erfolgt in allen geförderten Projekten eine Weiterentwicklung des Methodenrepertoires zur Erforschung Kultureller Bildung. Hierbei geht es sowohl um die Entwicklung gegenstandsadäquater methodischer Zugänge zu Phänomenen der Digitalisierung, wie digitalen Alltagspraktiken oder post-digitaler Kunst, als auch um die Erprobung und Weiterentwicklung digitaler Erhebungs- und Auswertungsmethoden im Hinblick auf Lehr- und Lernprozesse. So werden in einigen Projekten Technologien wie ‚learning analytics’ zur Erhebung oder computerlinguistische Verfahren zur Auswertung von großen Datenbeständen genutzt.
Über diese übergeordneten Fragestellungen hinaus lassen sich fünf Kategorien der Fragestellung bzw. Ausrichtung der Vorhaben identifizieren:
- Angebotsstruktur,
- Lernen & Kompetenzentwicklung,
- Digitale Alltagspraktiken,
- Gestaltung von Anwendungen,
- Post-Digitalität in den Künsten.
Angebotsstruktur
Wesentlicher konzeptioneller Bestandteil der Kulturellen Bildung ist ihr Lebensweltbezug (vgl. BKJ 2015). Wenn sich die Lebenswelt, wie oben beschrieben, durch die Digitalisierung verändert, stellt sich die Frage, wie sich Angebote in der Kulturellen Bildung verändern. Bisher liegen kaum empirische Befunde bezüglich der Implementierung digitaler Medien in den Angeboten der Kulturellen Bildung und den hieraus folgenden Chancen und Herausforderungen vor. Dieser Forschungslücke widmen sich zwei Forschungsvorhaben der Förderlinie zum einen in Bezug auf die non-formale kulturell-ästhetische Jugendbildung (AKJDI) und zum anderen in Bezug auf Kulturelle Erwachsenenbildung mit dem Fokus auf Volkshochschulen (VHS) in Deutschland (FuBi_DiKuBi).
Ziel der Forschenden von der Universität Kassel und der Philipps Universität Marburg im Rahmen des Forschungsvorhaben „Angebote in Handlungsräumen der kulturellen Jugendbildung im Prozess der Digitalisierung“ (AKJDI) ist es die Veränderungen von Angeboten der außerschulischen kulturellen Jugendbildung durch die zunehmende Digitalisierung zu beschreiben und zu analysieren. Dies geschieht aus zwei Perspektiven: aus der Perspektive der Organisationen und Träger mit der Frage: In welcher Form hier Veränderungen und Innovationen durch Digitalisierungsprozesse ausgelöst wurden und durch wie dieser Wandel motiviert war und ist. Zweitens werden Jugendliche danach befragt, auf welche Weise, wie lange und bei welchen Gelegenheiten sie im Kontext ihrer kulturellen Tätigkeiten sich an der Gestaltung von Digitalisierungsprozessen beteiligen und auf welche Angebote sie im Rahmen der non-formalen Kulturellen Bildung zurückgreifen.
Im Rahmen des Forschungsvorhabens „Funktionen und Bildungsziele der Digitalisierung in der Kulturellen Bildung: Systematisierung und Analyse aktueller VHS-Angebote (FuBi_DiKuBi) systematisieren und analysieren Forscher*innen der Leibniz Universität Hannover und des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung das Angebot der Volkshochschulen in Deutschland. Im Rahmen einer Programmanalyse werden Funktionen und Bildungsziele, Zugangsportale und Zielgruppen sowie die Integration des Digitalen im Angebot selbst herausgearbeitet und systematisiert. Darüber hinaus wird anhand exemplarischer Angebote und im Rahmen von Interviews ein vertiefter Einblick in die Angebotsplanung seitens der Anbieter*innen und die Nutzungsprozesse der Teilnehmenden gewonnen. Auf diese Weise werden die Chancen und Herausforderungen für die Digitalisierung Kultureller Erwachsenenbildung am Beispiel der VHS empirisch herausgearbeitet.
Lernen & Kompetenzentwicklung
Digitale Lernumgebungen, neue Hard- und Software verändern die Formen des Lernens im Rahmen von kulturell-ästhetischen Praktiken und ermöglichen die Entwicklung von Kompetenzen hinsichtlich des Umgangs mit digitalen Artefakten als auch hinsichtlich künstlerischer Rezeptions- und Produktionsprozesse.
Dabei bieten digitale Technologien nicht nur Lernanlässe, die es zu untersuchen gilt, sondern eröffnen auch neue Möglichkeiten der Datenerhebung sowie der Datenauswertung. Diese Möglichkeiten nutzt das Verbundvorhaben „Musikalisches non-formal situiertes Lernen in digitalen Lernumgebungen“ (<musicalytics>). Gemeinsam untersuchen Wissenschaftler*innen des Instituts für musikpädagogische Forschung der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und des Instituts für Informationsmanagement Bremen der Universität Bremen das Lernverhalten bei der Aneignung musikbezogener Inhalte in nicht digitalen Lernumgebungen. Die im Rahmen eines eigens entwickelten nicht linearen online Kurses für Songwriting erhobenen Log- und Videodaten werden sowohl qualitativ unter fachdidaktischer Perspektive ausgewertet als auch quantitativ mit Hilfe von „learning analytics“. Auf diese Weise sollen die Lernwege und -strategien erforscht werden, die von den Nutzer*innen im Rahmen der rezeptiven und produktiven Auseinandersetzung mit dem Lernangebot angewendet werden.
Im Projektverbund „Musikalische Bildung mit mobilen Digitaltechnologien“ (MuBiTec) geht es ebenfalls um die Erforschung der Veränderung künstlerisch-musikalischer Praxis. Hier stehen aber digitale Mobiltechnologien (Apps) im Fokus des Forschungsverbundes von der Universität zu Köln, Musikhochschule Lübeck, Universität der Künste Berlin, Universität Erfurt, der Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam und der Nord University Levanger. Zwei der drei Teilprojekte beziehen sich dabei auf die Fragen nach Lernen und Kompetenzentwicklung, ein drittes Projekt fokussiert die technologische Bedingungen musikalischer Subjektivierungsprozesse. Das Teilprojekt „Lernprozesse und ästhetische Erfahrung in der Appmusikpraxis“ (LEA) untersucht die Praktiken der individuellen und kollaborativen Rezeption und Produktion mit Musikapps und arbeitet heraus, was und wie im Umgang mit Musikapps gelernt wird und welche ästhetischen Orientierungen und Bedeutungen von Jugendlichen hervorgebracht werden. Im Rahmen der längsschnittlichen Studie werden hierfür Nutzer*innen von Musikapps begleitet, beobachtet und befragt.
Im Teilprojekt AppKOM werden Effekte von Songwriting-Angeboten in Band-AGs und Appmusik-AGs vergleichend untersucht. In einem quasi-experimentellen Design stehen die Kompetenzentwicklung und die Kompetenzstrukturen im Zentrum des Interesses der Forschenden. Im Rahmen von wöchentlich stattfindenden AGs setzen sich die jungen Studienteilnehmenden in zwei Experimentalgruppen mit musikalischer Produktion auseinander: In der Band-AG werden ‚übliche‘ populärmusikalische Instrumente verwendet, in der Appmusik-AG arbeiten die Teilnehmenden auf Smartphones und Tablets mit entsprechenden Musikapps. Hieraus erhoffen sich die Forschenden die Folgen des Einsatzes unterschiedlicher Instrumente bzw. Technologien für das Lernen und die Entwicklung musikbezogener Kompetenzen sichtbar machen zu können.
Mit einem anderen Fokus beschäftigt sich das Projekt „Bedeutung spezifischer Musik-Apps für die Teilhabe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit komplexen Behinderungen an kultureller Bildung“ (be_smart). Die Forschenden der Universität Siegen und Fachhochschule Bielefeld widmen sich der Frage nach den Potenzialen und Herausforderungen von Musik-Apps bei der Sicherung und Ausweitung kultureller Teilhabe für junge Menschen mit komplexen Behinderungen. Diese Studie bewegt sich in den Themenfeldern Musikpädagogik, behinderungsspezifische Förderung und inklusionssensible Bildungswissenschaften und erfasst sowie analysiert die individuellen Erfahrungs- und Deutungsmuster von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit komplexen Behinderungen in unterschiedlichen musikpädagogischen Settings. Darüber hinaus wird die gegenwärtige Nutzung digitaler Medien durch Musikpädagog*innen in schulischen und außerschulischen Settings dokumentiert und die immanent zu Grunde liegenden Beliefs, Deutungs- und Bewertungsmuster identifiziert. Neben der Frage nach verändertem Lernen und der Entwicklung neuer Kompetenzen geht es um den Aspekt der Teilhabe und Inklusion mit Hilfe von digitalen Medien.
Digitale Alltagspraktiken
Die immer stärker werdenden Präsenz digitaler Technologien im Alltag und die enorme Vervielfältigung der kulturellen Möglichkeiten im Rahmen der Kultur der Digitalität (vgl. Stalder 2017:10) bringen veränderte Alltagspraktiken mit sich. Auch wenn alle Projekte diesen Aspekt implizit mit einbeziehen, so gibt es Forschendenteams, die diese informellen Alltagspraktiken in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit stellen.
Am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität Frankfurt am Main ist das Projekt „Virale #Raumkonstruktionen in kulturellen Bildungsprozessen“ (ViRaBi) beheimatet. Das Vorhaben erforscht die Mechanismen der Sozialraumkonstruktion bei Jugendlichen vor dem Hintergrund neuer künstlerisch-ästhetischer Aspekte in mediatisierten und digitalisierten Lebenswelten. Dabei werden parallel zu der empirischen Rekonstruktion des Sozialraums Jugendlicher Posts in sozialen Medien analysiert, um die sozialräumlichen Aneignungsprozesse zu erfassen und hieraus aktuelle Anforderungen für kulturelle Bildungsangebote auf Quartiersebene zu entwickeln. Das exemplarische Untersuchungsgebiet ist der Stadtteil Ostend in Frankfurt am Main. Ziel ist es auf diese Weise die empirische Erkenntnisse für den Einbezug der sozialräumlichen Perspektive in Prozessen der kulturellen Bildung zu gewinnen.
Eine weitere digitale Praxis ist die der Rezension. Hiermit beschäftigt sich ein interdisziplinäres Forschendenteam der Universität Hildesheim im Projekt „Digitalisierung kultureller Rezensionsprozesse“ (Rez@Kultur). Hierfür arbeiten Forschende aus dem Institut für literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft, dem Institut für Kulturpolitik, dem Institut für Informationswissenschaft und Sprachtechnologie sowie dem Institut für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik zusammen. Am Beispiel der Prozesse kritischer Rezeptionen kultureller Praxis und der kreativen Produktion von Rezensionen im digitalen Raum werden Mechanismen und Auswirkungen der digitalen Transformation auf Kulturelle Bildung erforscht. Dabei werden Rezensionen von Literatur oder Artefakten der bildenden Kunst als eine Form produktiver und kreativer Auseinandersetzung mit den Künsten verstanden. Im Rahmen des gemischtmethodischen Ansatzes werden sowohl Massendaten aus Onlineforen als auch Einzelfalluntersuchungen zu Rezensionsprozessen erhoben und analysiert.
Deutlich breiter gestreut sind die Praktiken, die im Rahmen des Vorhabens „Onlinelabor für Digitale Kulturelle Bildung“ (DiKuBi-on) an der Christian Albrechts Universität zu Kiel. Es befasst sich mit der Rezeption, Reflexion und (Re-)Produktion ästhetischer Artikulationen im Rahmen digitaler Alltagspraktiken. Dabei werden ästhetische Artikulationsformen untersucht, in denen in Kombination aus bildlichen verbalen Codes narrative Formen des Selbstausdrucks erzeugt werden. Die Forschenden beziehen sich vor allem auf selbstrepräsentative Darstellungen in sozialen Medien. Eine wesentliche Fragestellung im Rahmen des Vorhabens ist die nach den empirischen Möglichkeiten zur Erhebung und Analyse von informellen digitalen Alltagspraktiken. Hierzu wird unter partizipativer Einbindung der Akteure ein Onlinelabor entwickelt in dem Praktiken und Erfahrungen aus regionalen Forschungsworkshops dokumentiert werden und anschließend untersucht werden können.
Gestaltung von Anwendungen
Die Chancen und Potenziale der Digitalität für die Kulturelle Bildung hängen in erheblichem Maße von der Gestaltung der Anwendungen ab, die für den Einsatz in Angeboten der Kulturellen Bildung genutzt werden. Wie die Interfaces und Software gestaltet ist, bestimmt nicht nur wie die Nutzer*innen die jeweilige Anwendung wahrnehmen und bedienen werden, sondern kann an sich bereits als ein kulturelle Artikulation verstanden werden (vgl. Manovich 2001:64).
Wie virtuelle Realitäten als Lernumgebung für kulturelle Bildungsangebote genutzt werden können, widmet sich das Forschungsvorhaben „Gestaltungsrichtlinien für virtuelle Ausstellungsräume zur kulturellen Bildung“ (GEVAKUB) an der Universität Stuttgart, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und der Universität Bayreuth. Im Rahmen des Projektes werden Richtlinien zur Gestaltung virtueller Realitäten zur Erschaffung kultureller Lernräume entwickelt. Schwerpunkt hierbei sind Museums- und Ausstellungsräume und die Frage danach, wie die Virtualität so gestaltet werden kann, dass kulturelle Bildungsangebote als partizipative und soziale Erfahrung zugänglich gemacht wird. Im Rahmen des Projektes werden solche virtuellen Lernräume exemplarisch umgesetzt, um die systematisch entwickelten Gestaltungshypothesen empirisch zu evaluieren.
Wie digitale Technologien im Rahmen von Projekten im Bereich Tanz in Schulen gestaltet und genutzt werden können, erforschen die Mitarbeitenden aus dem Arbeitsbereich Sportpädagogik und Sportdidaktik der Johannes Gutenberg Universität Mainz und des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule Mainz im Vorhaben „Digitalität und Tanz in der kulturellen Bildung“ (#digitanz). Dazu werden Technologien im Rahmen eines Projektangebots erprobt. Die verwendeten Technologien sind bereits in der professionellen zeitgenössischen Tanzpraxis erprobt und werden im Rahmen des Projektes für die Nutzung mit Jugendlichen adaptiert. Mit Hilfe eines qualitativen Forschungsdesigns wird den Fragen nachgegangen, wie der Einsatz digitaler Technologien sich auf das Verhältnis zum Körper und die Ästhetik des Tanzes auswirkt, ob diese möglicherweise den Zugang zum Tanz positiv unterstützen können und welche methodisch-didaktischen Implikationen für die Gestaltung digitaler Medien einerseits, aber auch Prozesse in der Kulturellen Bildung andererseits, hieraus gezogen werden können.
Post-Digitalität in den Künsten
In Zeiten, in denen die Digitalisierung so weit vorangeschritten ist, dass die Trennung zwischen online vs. offline keinen Sinn mehr ergibt, hat das Konzept des „Post-Digitalen“ aus den kritischen Medienkulturen seinen Einzug in den Diskurs der Kulturellen Bildung gefunden. Cramer macht deutlich, dass der Begriff darauf verweist, dass „neue ethische und kulturelle Konventionen, die in Internet-Communitites und Open-Source-Kulturen zum Mainstream wurden, nun auch in der Herstellung von nichtdigitalen Medienprodukten ebenfalls Anwendung finden“ (Cramer 2014). Praktiken, die sich zunächst innerhalb der digitalen Medien entwickelt haben, tauchen in anderen Kontexten und in sehr unterschiedlichen Materialitäten auf. Dabei wird auch kritisch die gesellschaftliche Durchdringung mit digitalen Medien reflektiert.
Mit der Frage danach, wie an der Schnittstelle von Kunst und Technologie innovative Formate ästhetischer Aneignung, Produktion und Vermittlung hervorgebracht werden, beschäftigt sich das Projekt „Postdigitale Kunstpraktiken in der Kulturellen Bildung“ (PKKB) an der Fachhochschule Potsdam. Das Vorhaben untersucht die postdigitale Kulturszene hinsichtlich der Akteure, Ausdrucksformen sowie Aktivitäten. In den Blick genommen werden die Besonderheiten der Produktions- und Rezeptionskontexte postdigitaler Kunstpraktiken ebenso wie die biographischen Hintergründe der Kunstschaffenden. Hieraus werden konkrete Inhalte, Technologien und Ideen zur Gestaltung von Aktivitäten in der Kulturellen Bildung entwickelt und in Form von Prototypen erprobt.
Das etwas anders gelagerte Feld der Post-Internet Art erschließt das Projekt „Post-Internet Art(s) Education Research“ (PIAER) an der Universität zu Köln. Zum einen geht es um die begriffliche und theoretische Fundierung des Forschungsfeldes der Post-Internet Art. Durch Künstler*inneninterviews sowie Werkanalysen soll ein Orientierungswissen über diese Kunst entstehen, dass im Rahmen kunstpädagogischer Professionalisierung wirksam werden kann und das Digitalisierungsdynamiken und ihre Effekte künstlerisch beobachtet und beforscht. Zum anderen geht es den Forschenden um die Entwicklung einer Methode zur bildungstheoretischen Strukturanalyse postdigitaler Ästhetiken und auf diese Weise das bildungstheoretische Potenzial der Post-Internet Art aus allgemeinpädagogischer Perspektive zu erforschen und zu systematisieren.
Das instrumentale Musizieren unter den veränderten kulturellen aber auch materiell-dinglichen Aspekten der Digitalität untersucht das Projekt „Musikalisches Interface-Design: Augmentierte Kreativität und Konnektivität“ (MIDAKuK) der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg und der Leuphana Universität Lüneburg. Das Projekt untersucht die veränderten Formen künstlerischer Produktion und Ästhetik durch neue hybride, digitale-materielle „MusikmachDinge“ (vgl. Ismaiel-Wendt 2016) als Aktanten in informellen und formalen Settings des Musikmachens und -produzierens. Dabei stehen das Verhältnis von Design und Subjektivation, der digitalisierungsbedingte Wandel ästhetischer Praktiken, Wahrnehmungsmuster und Bildungspotenziale sowie Erkenntnisse im Hinblick auf die Teilhabe und Partizipation sowie die Herausforderungen für die musikpädagogische Praxis im Fokus der Forschenden.
Ebenfalls im Bereich der Musik, jedoch mit dem Fokus auf Subjektivierungsprozesse im Kontext digital vernetzter Vergemeinschaftung, beschäftigt sich das Teilprojekt „LINKED – Musikalische Bildung in Mixed-Reality-Netzwerken“ des Forschungsverbundes „Musikalische Bildung mit mobilen Digitaltechnologien“ (MuBiTec). Den Ausgangspunkt für die Forschung bildet die Technologie Ableton Link, die Musikanwendungen auf mobilen Geräten in nicht-hierarchischen Netzwerken einbindet und synchronisiert. Alle beteiligten Geräte bzw. Akteure können sich gleichberechtigt an der Musikproduktion beteiligen. Was in Online-Communities als radikale Demokratisierung digitaler Musikpraxis betrachtet wird, stellt die Forschenden vor die Frage, wie in solchen Online-Offline-Communitites Subjektivierungs- und Vergemeinschaftungsprozesse verlaufen.
Resümee
Wie Reinwand-Weiss (2013) deutlich macht ist das weite Feld der Kulturellen Bildung nur mittels interdisziplinärer Zugänge und aus der Perspektive sehr unterschiedlicher Disziplinen zu beforschen. So ist es nicht verwunderlich, dass dieser Aspekt bei der Betrachtung der Forschungsvorhaben in der vorgestellten Förderlinie besonders ins Auge sticht. Neben den bisher mit der Kulturellen Bildung befassten Disziplinen von der Pädagogik, über die Kulturwissenschaften bis zu den Neurowissenschaften ist im Rahmen der Ausschreibung zu dieser Forschungslinie auch der Einbezug von Disziplinen notwendig geworden, die bisher nicht im Feld der Kulturellen Bildung geforscht haben. Die Perspektiven beispielsweise aus Computerlinguistik, Humangeographie, Informatik und Betriebswirtschaft erweitern die Forschungsperspektiven im Feld der Kulturellen Bildung noch einmal enorm und ermöglichen die Entwicklung neuer Forschungsmethoden.
Dabei sind die meisten Forschungsvorhaben interdisziplinär angelegt und zeichnen sich durch multiperspektivische Forschungsansätze aus. Dies fordert die Forschenden in besonderem Maße dazu auf eigene und in der Kulturellen Bildung etablierte Konzepte zu hinterfragen und neu zu denken. Im weiteren Verlauf der Forschung wird eine wesentliche Herausforderung darin bestehen, die unterschiedlichen Datensorten innerhalb der Projekte, aber auch über die Forschungslinie als Ganzes hinweg im Rahmen des Meta-Forschungsvorhabens, aufeinander zu beziehen und in der Analyse und Auswertung fruchtbar zu machen.
Neben den sehr verschiedenen Bezügen zu wissenschaftlichen Disziplinen wird auch deutlich, wie divers der Bezug zu den kulturellen und künstlerischen Gegenständen in den einzelnen Vorhaben ist. Da gibt es Forschende, die sich auf die klassischen Künste wie Tanz oder Musik beziehen. Es zeigt sich aber auch, welche Bedeutung Alltagspraktiken im Zuge der Auseinandersetzung mit ästhetischen Produktions- und Rezeptionsvorgängen im Zuge der Digitalität gewinnen. Darüber hinaus erschließt sich mit den Forschungen zur postdigitaler bzw. Post-Internet Art ein neues künstlerisch-ästhetisches Feld, dass in der Zukunft für die Kulturelle Bildung an Bedeutung gewinnen wird, wenn sie den Bezug zu aktuellen Diskursen nicht verlieren will.
Der Überblick über die Projekte der Förderlinie „Digitalisierung in der Kulturellen Bildung“ macht deutlich, in welchem vielfältigen und komplexen Themenfeld sich die Forschungsvorhaben bewegen. Es wird offensichtlich, dass eine Erforschung der Phänomene, Praktiken und Gegenstände nur exemplarisch und niemals vollständig erfolgen kann. Insofern decken die hier vorgestellten Forschungsvorhaben in ihrer Vielfalt einen breiten und exemplarischen Bereich im Zusammenhang mit Fragen zur Digitalisierung und Kulturellen Bildung ab.
Dennoch werden im Rahmen des Förderschwerpunktes Desiderate sichtbar. Ein wesentliches Desiderat besteht im Bereich der Darstellenden Künste bzw. des Theaters im weitesten Sinne. Auch dieses künstlerische Feld sieht sich enormen Veränderungen angesichts der Digitalisierung. Hierzu fehlt ebenso wie zu dem großen und stetig wachsenden Feld der Games ein entsprechendes Forschungsvorhaben im Portfolio.
Unsere Gesellschaft befindet sich in einem Kulturwandel. Für die sich hieraus ergebenden Fragen und Herausforderungen werden die vorgestellten Forschungsvorhaben erste empirische Erkenntnisse liefern, die auch über die Kulturelle Bildung hinaus dabei helfen können die gesellschaftliche Transformation zu beschreiben, ihre Potenziale zu erkennen und eine Grundlage für ihre Gestaltung bieten.