Transformative Bildungsansätze im digitalen Kapitalismus
Abstract
Die Ermächtigung von Lernende zum Gestalten, Hinterfragen und Verändern einer zunehmend digital-geprägten Welt erfordert nicht nur das Erlernen der Nutzung von digitalen Werkzeugen, sondern auch ihre Gestaltung. Transformative Bildungsansätze können in diesem Sinne die Gestaltung einer eigenen Website, die Nutzung von Open Educational Resources (OER) im Rahmen einer Kultur des Teilens und der Aufbau eines Online-Vernetzungsraums im Fediverse (= föderiertes Universum) sein.
Hinweis: Dies ist eine Zweitveröffentlichung des Beitrags aus dem Sammelband Bildung und digitaler Kapitalismus, herausgegeben von Valentin Dander, Nina Grünberger, Horst Niesyto und Horst Pohlmann im kopaed-Verlag, München 2024. Kubi-online dankt der Autorin für diesen Beitrag und freut sich, diesen gelungenen Text über das Dossier „Kulturelle Bildung und digitaler Kapitalismus“ (2025) der Wissensplattform Kulturelle Bildung Online breit teilen zu können.
1. Einleitung
In diesem Artikel stelle ich ausgehend von der Definition eines Leitbilds guter Bildung drei Möglichkeiten für transformative Bildungsansätze im digitalen Kapitalismus vor. Der erste transformative Bildungsansatz ist die Möglichkeit einer eigenen Website. Zweitens betrachten wir das Fediverse als dezentralen und offenen Raum für Online-Vernetzung. Und drittens lernen wir Open Educational Resources (OER) und die damit verbundene Kultur des Teilens kennen. Das Ziel des Artikels ist es, pädagogisch tätigen Menschen sowohl Orientierung als auch praktische Ideen für die Gestaltung guter Bildung im digitalen Kapitalismus an die Hand zu geben.
2. Leitbild transformativer Bildung im Kontext der Digitalisierung
Wenn wir über Digitalisierung und Bildung sprechen, dann sind erste Assoziationen häufig die Nutzung von digitalen Werkzeugen zum Lehren und Lernen. Dafür gibt es viele Beispiele: Das zuvor an einem gemeinsamen physischen Ort abgehaltene Treffen findet als Videokonferenz statt, Lernende erhalten interaktive Online-Übungen anstelle analoger Arbeitsblätter und anstatt Ideen auf bunte Karten aus Papier zu notieren, nutzt man eine Online-Pinnwand. Die Nutzung solcher digitalen Werkzeuge kann Lehren und Lernen oftmals einfacher und flexibler machen. Zudem gehören solche digitalen Angebote zu einer ‘zeitgemäßen’ Bildung für viele anscheinend auch einfach dazu. Für pädagogisch tätige Menschen ergibt sich vor diesem Hintergrund erstens die Herausforderung, in einem sich schnell entwickelnden Angebot ständig nach guten (und am liebsten kostenfrei nutzbaren) Werkzeugen zu suchen. Zweitens müssen sowohl Lehrende als auch Lernende die Nutzung dieser Werkzeuge lernen. All das hat durchaus seine Berechtigung. Mit einer umfassenden Gestaltung guter Bildung und erst recht mit einer transformativen Bildungsstrategie hat es allerdings noch wenig bis nichts zu tun. Im Prinzip findet lediglich eine Übertragung eines zuvor analogen Bildungsverständnisses in den digitalen Raum statt.
Erfreulicherweise setzte sich in der pädagogischen Debatte in den letzten Jahren mehr und mehr die Auffassung durch, dass Bildung und Digitalisierung deutlich breiter verstanden werden müssen. Es geht dieser Auffassung nach bei Bildung und Digitalisierung nicht primär um Lernen und Lehren mit digitalen Werkzeugen, sondern auch und vor allem um Lernen in einer zunehmend digital geprägten Gesellschaft. Oft taucht in diesem Zusammenhang der Begriff der Digitalität auf, mit dem der mit der technologischen Entwicklung (= der Digitalisierung) einhergehende gesamtgesellschaftliche Wandel beschrieben wird (= die Digitalität). Konkret bedeutet das, dass auch nicht-digitale Aktivitäten in einer digital-geprägten Gesellschaft anders gestaltet sind, als in einer analog-geprägten Gesellschaft. Das offensichtlichste Beispiel ist hierfür die Art und Weise unserer Kommunikation. Die Verfügbarkeit von Messengern auf unseren Smartphones hat dazu geführt, dass wir punktueller und flexibler miteinander kommunizieren, als früher via Festnetztelefon. In diesem Zusammenhang verändert sich auch der Blick auf Kompetenzen. Während es im Buchdruckzeitalter beispielsweise durchaus sinnvoll war, über ein großes Faktenwissen zu verfügen, werden in einer digital geprägten Gesellschaft Kompetenzen wie Zusammenarbeit oder Kommunikation wichtiger. Um die Entwicklung solcher Kompetenzen zu unterstützen, reicht es nicht aus, nur digitale Werkzeuge in die Bildung zu integrieren. Vielmehr muss sich die Gestaltung von Bildung insgesamt verändern. Das führt zur Forderung nach Veränderung der Lernkultur. Dazu gehört beispielsweise, dass Lernendenorientierung einen größeren Stellenwert bekommt oder dass projektorientierte Lernszenarien an Bedeutung gewinnen.
Diese Perspektive ist bereits ein großer Schritt nach vorne im Vergleich zu einer ‘Toolifizierung’ von Bildung im Kontext der Digitalisierung. Wenn es uns um transformative Bildungsstrategien geht, ist sie aber immer noch nicht ausreichend. Um das zu verstehen, muss man sich klar machen, dass zu gesellschaftlicher Veränderung in einer zunehmend digital geprägten Gesellschaft auch und gerade die Veränderung des Prozesses und der Ausprägungen der Digitalisierung gehört. Lernende müssen diesen Prozess und seine Ausprägungen als menschengemacht und damit gestaltbar erkennen. Darauf aufbauend können sie zum Hinterfragen und zur Veränderung ermächtigt werden.
Wie aber lässt sich so etwas praktisch realisieren, wenn der Fokus der Digitalisierung im Bildungskontext auf der Nutzung von möglichst passgenauen und einfach nutzbaren Werkzeugen von monopolisierten Anbietern liegt? Meine Antwort ist: Man muss für eine alternative Form der Digitalisierung eintreten, die im offenen Internet ihre Grundlage hat. Digitalisierung in der Bildung ist dann nicht nur Werkzeug, sondern vor allem auch Lerngegenstand.
3. Praktische Ansätze für transformative Bildung im Kontext der Digitalisierung
Um zu transformativen Bildungsstrategien im digitalen Kapitalismus zu kommen, braucht es ein Leitbild guter Bildung, das auf gesellschaftliche Handlungsfähigkeit der Lernenden zielt und dabei auch den Prozess der Digitalisierung einschließt. Denn Lernende zu ermächtigen, bestehende Rahmenbedingungen zu verstehen, zu hinterfragen und wo nötig zu verändern, bedeutet in einer zunehmend digital geprägten Gesellschaft auch, dass der Prozess der Digitalisierung gestaltet und verändert werden muss. Die Versprechungen vieler kommerzieller Anbieter von EdTech (Educational Technology, deutsch: Bildungstechnologie), nach Einfachheit, passgenauer Integration und möglichst wenig ‘unter die Haube blicken’ bei den von ihnen angebotenen digitalen Werkzeugen sind dann kein wünschenswertes Angebot mehr, sondern hinderlich für das Ziel guter Bildung.
Für den alternativen Weg einer gestaltenden Perspektive auf die Digitalisierung in der Bildung gibt es nicht die eine richtige Lösung. Aus der Vielzahl von potentiellen Möglichkeiten möchte ich drei Ansätze vorstellen, die ich in meiner pädagogischen Tätigkeit sehr gerne nutze und die mir sehr vielversprechend erscheinen. Im Folgenden stelle ich jeweils zuerst vor, was mit dem Ansatz konkret gemeint ist und wie die Umsetzung möglich ist. Anschließend gehe ich auf pädagogische und transformative Potentiale ein.
3.1 Hoheit mithilfe einer eigenen Website
Eine eigene Website bedeutet, dass man einen eigenen Raum im Internet hat, über den man selbst bestimmen kann. Es ist nicht nötig, dass man tatsächlich selbst einen eigenen Server hat. Stattdessen kann man bei einer Vielzahl von Hosting-Anbietern für wenige Euro im Monat einen Serverplatz mieten und in diesem Zusammenhang auch direkt die gewünschte Domain (= die eigene Adresse) dazu reservieren. Wichtig ist allerdings, dass man tatsächlich Zugriff auf den Server hat und diesen gestalten kann. Die Alternative sind oft Angebote wie beispielsweise Wordpress.com, bei denen man nur scheinbar einen eigenen Raum hat, aber tatsächlich Inhalte für eine zentralisierte Plattform produziert, die damit dann über Werbeeinblendungen Geld verdient. Und zu allem Übel hat man auch kaum eigene Gestaltungsmöglichkeiten.
Wenn man das Projekt ‘eigene Website’ dagegen wie beschrieben richtig angeht, dann lässt sich darüber sehr viel gestalten. Gerade im pädagogischen Kontext ergibt sich ein riesiges Potential. Ich rate Kolleg*innen beispielsweise oft zur selbst verwalteten Installation der Open Source Software Wordpress auf ihrer eigenen Domain (nicht zu verwechseln mit dem oben beschriebenen Wordpress.com). Mit solch einer Installation lassen sich nicht nur Inhalte mit Lernenden teilen, Feedback über Kommentare einholen oder Videos bereitstellen. Zugleich kann die Software auch über weitere Plugins wie z.B. die Open Source Software H5P erweitert werden. H5P ist ein technischer Rahmen zu einer sehr niederschwelligen Gestaltung von interaktiven Online-Übungen, wie beispielsweise Videos, die zwischendurch für eine kurze Reflexion unterbrochen werden oder auch Drag and Drop Aufgaben. Mithilfe des Plugins von H5P für Wordpress können direkt über die eigene Website solche interaktiven Online-Inhalte erstellt werden.
Da Lehrende heutzutage um die Nutzung des Online-Raums in der Lehre kaum noch herumkommen, ist das pädagogische Potential mit solch einer eigenen Website offensichtlich: Man kann so gut wie alles, was man benötigt, entwickeln, bereitstellen und teilen. Warum aber kann solch eine eigene Website auch ein transformatives Potential entfalten?
Für mich entsteht das transformative Potential dadurch, dass Lehrende durch eine eigene Website zu Gestalter*innen im Internet werden und damit von Nutzer*innen zu Produzent*innen. Während sie ansonsten immer in einer abhängigen Rolle gegenüber Edtech-Anbietern sind, sind sie mit der eigenen Website frei. Sie sind nicht mehr angewiesen auf Edtech-Anbieter, die jederzeit das Geschäftsmodell ändern und plötzlich beispielsweise die zuvor vorhandene Gratis-Version einschränken. Es ist kein ständiges Suchen mehr nötig, ob es irgendwo vielleicht doch bessere Möglichkeiten gibt. Man bringt sich selbst und vor allem auch Lernende nicht mehr in datenschutzrechtlich, schwierige Situationen, weil die eigenen Daten, wie es bei den meisten der vorherrschenden Edtech-Tools der Fall ist, auf US-Servern gespeichert sind. So wie ich mir einen kleinen Garten hinter meiner Wohnung anlegen kann, so kann ich auch einen eigenen Raum im Internet hegen. Wer damit erst einmal beginnt, wird sich sehr schnell und fast automatisch auch mit anderen ‘Ich habe eine eigene Website’-Menschen vernetzen – und damit Teil des offenen und selbstgestalteten Internets werden.
Von dieser Situation profitieren nicht nur die Lehrenden selbst, sondern genauso auch die Lernenden, die konkret erleben können, dass Internetnutzung nicht zwangsläufig immer fremdbestimmt sein muss.
3.2 Vernetzung und Austausch im Fediverse
Das Fediverse (= föderiertes Universum) ist ein dezentraler und offener Raum zur Online-Vernetzung. Der Microblogging-Dienst Mastodon, der als Twitter-Alternative zum bekanntesten Dienst des Fediverse wurde, ist zum Beispiel ein Teil davon. Insgesamt kann man sich das Fediverse am besten wie ein riesiges Netzwerk mit mehreren Knotenpunkten vorstellen. Die Knotenpunkte können unterschiedliche Dienste in unterschiedlichen Größen, von unterschiedlichen Anbietern und mit unterschiedlichen Regeln sein. Alle Dienste sind grundsätzlich offen. Das verbindende Element im Fediverse ist das ebenfalls offene Activity Pub Protokoll. Es verbindet die einzelnen Dienste und Instanzen miteinander. So ist es möglich, dass eine Person, die einen Account auf einer selbst gehosteten Pixelfeld-Instanz hat und darüber Bilder teilt, sich mit einer anderen Person vernetzt, die auf der Mastodon-Instanz ihrer Bildungsinstitution einen Account hat. Oder dass diese Person mit ihrem Mastodon-Account ein auf einer Peertube-Instanz bereitgestelltes Video kommentiert.
Diese Vielfalt und Offenheit macht das Fediverse nicht nur allgemein als Kommunikations- und Austauschraum, sondern auch und gerade für das Lehren und Lernen sehr spannend. Zwei Gründe sind dafür vor allem zu nennen:
Erstens ermöglicht das Fediverse eine Vernetzung und einen Austausch mit anderen pädagogisch tätigen Personen. Es gibt dabei keinen intransparenten Algorithmus, der einem gezielt Beiträge in die Timeline spült, die über Emotionalisierung versuchen, einen möglichst lange auf der Plattform zu halten. Stattdessen sieht man chronologisch sortiert all die Beiträge der Menschen, mit denen man selbst entschieden hat, dass man mit ihnen im Fediverse vernetzt sein will. Auf diese Weise ist es erst wirklich möglich, ein funktionierendes, persönliches Lernnetzwerk aufzubauen. Solch ein Netzwerk ist eine wichtige Grundlage, um neuen Herausforderungen aktiv und gestaltend begegnen zu können.
Zweitens ist das Fediverse selbst als ein riesiger Lernraum für digitale Mündigkeit einzuordnen. Insbesondere, wenn Menschen sich auf kleineren Instanzen registrieren, bekommen sie dort sehr direkt mit, dass beispielsweise über die Weiterentwicklung der verwendeten Software reflektiert wird, dass Fehler gemeldet und behoben werden oder dass anderweitig Updates eingespielt werden. Das technische Innenleben eines Tools ist nicht mehr versteckt, sondern wird als von Menschen gemacht und gestaltbar präsentiert. Dabei lässt sich auch erfahren, dass es zur Gestaltung des digitalen Raums nicht nur technische Kompetenzen braucht, sondern auch viele andere Kompetenzen eine Rolle spielen. Wenn eine Person zum Beispiel gar nicht programmieren kann, kann sie dennoch einen Fehler melden oder sich an einer Übersetzung beteiligen.
Ich führe das Fediverse hier als eine Möglichkeit für eine transformative Bildungsstrategie auf, weil es ein Raum im Internet ist, der frei von kommerziellen Interessen ist und der von den und für die beteiligten Menschen selbst gestaltet wird. Wenn man außerdem davon ausgeht, dass gesamtgesellschaftliche Veränderungen immer gegen die herrschenden Interessen durchgesetzt werden müssen, dann ist klar, dass es in einer digitalisierten Gesellschaft dazu auch einen Online-Kommunikationsraum braucht, der selbstverwaltet ist und nicht einfach ‘abgestellt’ werden kann. Wie schnell ansonsten ein aufgebauter Online-Raum kaputt gemacht werden kann, zeigt exemplarisch der Twitter-Kauf von Elon Musk: Während das Netzwerk früher – bei aller auch damals schon berechtigter Kritik – ein wichtiger Austausch- und Lernraum gerade auch für eine links-alternative Öffentlichkeit war, ist die Plattform inzwischen für diesen Zweck kaum noch zu gebrauchen und viele haben ihr den Rücken gekehrt.
3.3 Open Educational Resources (OER) und eine Kultur des Teilens
OER sind offen lizenzierte Bildungsmaterialien, die eine offene Weiternutzung je nach den ausgewählten Lizenzbedingungen erlauben. Im Bildungskontext werden meist die Lizenzen von Creative Commons verwendet. Als Urheberin kann ich festlegen, ob ich einen von mir erstellten Inhalt ganz freigeben will (= CC0), mit der Bedingung der Namensnennung freigeben will (CC BY). Oder mit der zusätzlichen Bedingung freigeben will, dass ein mit meinem Inhalt eventuell neu erstellter Inhalt wieder unter dieser gleichen Lizenz geteilt werden muss (CC BY-SA). Die Lizenzbedingungen NC (= no-commercial) und ND (= no-derivates) zählen dagegen meist nicht zu OER im engeren Sinn, da durch sie eine offene Weiternutzung deutlich begrenzt wird. Was sich auf den ersten Blick eher nach juristischem Seminar denn nach pädagogischem oder gar transformativem Potential anhört, beinhaltet bei genauerem Hinsehen aber genau das letzere. Dazu muss man OER dem geltenden Urheberrecht gegenüberstellen:
Im Urheberrecht ist festgelegt, dass eine Person, die etwas erstellt, automatisch zur Urheberin wird und damit auch ihr erstellter Inhalt urheberrechtlich geschützt ist und nicht öffentlich weitergenutzt werden darf. Dahinter steht die Auffassung, dass Menschen allein aus sich selbst heraus etwas erschaffen, was ihnen dann auch allein gehören soll.
OER verfolgen eine hierzu genau gegenteilige Auffassung: Neue Ideen und Fortschritte entstehen nicht isoliert, sondern durch Zusammenarbeit und Austausch. Niemand ist für sich alleine stark, sondern immer nur gemeinsam mit anderen.
In der Pädagogik können OER vor diesem Hintergrund dafür führen, dass mit dem überholten und falschen Sichtweise von Pädagog*innen als Einzelkämpfer*innen aufgeräumt wird. Es schafft den Raum für mehr Kollaboration. Ganz nebenbei wird außerdem mehr Nachhaltigkeit erreicht, denn nicht jede Person muss das Rad immer wieder neu erfinden.
Diese Perspektive weist zugleich auch auf den transformatorischen Charakter von OER hin: Es geht darum, gemeinsam mit anderen etwas zu entwickeln. Solidarität steht über Einzelkämpfer*innentum, offenes Teilen vor Abgrenzung und Eigentum. Auf dieser Basis lässt sich nicht nur die Bildung, sondern auch die Gesellschaft insgesamt verändern.
Als ganz praktisches Transformationsprojekt im Hinblick auf den digitalen Raum sind OER zudem deshalb entscheidend, weil damit oft ein umfassender Begriff von Offenheit verbunden ist. Das bedeutet insbesondere, dass es nicht nur um rechtliche, sondern vor allem auch um technische Offenheit von Inhalten geht. Die Anforderung an ein OER ist somit, dass es in einem Format gestaltet ist, das für alle eine offene Weiternutzung ermöglicht. Das steht im klaren Widerspruch zur Sammlung von Inhalten auf geschlossenen Plattformen, die dann nur dort weiterbearbeitet, geteilt und genutzt werden können. Wer OER deshalb ernst nimmt, arbeitet automatisch auf Alternativen zum digitalen Plattform-Kapitalismus hin.
4. Fazit und Ausblick
Wenn man die drei Transformationsstrategien der eigenen Website, des Fediverse und von Open Educational Resources (OER) zusammenbringt, dann hat man eine wunderbare Basis, um ganz konkret offene Bildungsprojekte umzusetzen. Ich möchte dazu abschließend eine mögliche technische Struktur erläutern:
Die Basis könnte ein einfacher Wordpress-Blog (= eine eigene Website) mit Anbindung ans Fediverse über das für Wordpress verfügbare Activity Pub Plugin sein. Über den Blog werden dann die entsprechenden Lerninhalte gemeinsam von den Lernenden entwickelt und offen als OER geteilt. Die Entwicklung und Auseinandersetzung darüber findet jeweils verankert in den persönlichen Lernnetzwerken der beteiligten Personen statt, da die Inhalte dank des genutzten Activity Pub Plugins von der Website ins Fediverse gespiegelt werden. Alle beteiligten Personen behalten die Hoheit über ihre Inhalte und alles kann von allen jederzeit weitergenutzt werden. Lernende erleben neben dem inhaltlichen Thema des jeweiligen Lernangebots zugleich, dass Online-Lernen und digitale Mündigkeit kein Widerspruch sein müssen.
Solch eine technische Infrastruktur legt zugleich die notwendige Basis für Open Educational Practices (OER). Lernende lernen im Austausch von- und miteinander, ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen und Interessen und mit der Möglichkeit zu zahlreichen Selbstwirksamkeitserfahrungen. Genau solche Bildungsansätze sind es, mit denen die oben beschriebene Ermächtigung zu gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit gelingen kann.
Angesichts der vielfältigen Herausforderungen, vor denen Lehrende und Lernende stehen, ist es wenig verwunderlich, dass die Entwicklung und Nutzung solcher Ansätze nur sehr schleppend vorankommt. Zu groß ist oft die erstmalige Hürde, sich in solch ein ganz anderes Prinzip von Digitalisierung hineinzudenken und für sich selbst oder die jeweils eigene Bildungsinstitution eine entsprechende Infrastruktur aufzubauen. Deshalb gehört mehr zeitlicher Freiraum zum eigenen Lernen und für Austausch in der pädagogischen Praxis zu einer zentralen und wichtigen Forderung.
Persönlich bin ich optimistisch, dass wir uns in der Bildung insgesamt auf einem guten Weg befinden. Denn erstens nehme ich an sehr vielen Bildungsorten eine zunehmende Unzufriedenheit mit den vorherrschenden Ausprägungen der Digitalisierung wahr. Damit verbunden ist dann auch eine größere Bereitschaft, sich auf Alternativen einzulassen. Zweitens erlebe ich immer mehr spannende Projekte, die mit den oben beschriebenen und auch vielen weiteren offenen Bildungsansätzen experimentieren. Und drittens bleibt das offene Internet eine beständige Quelle von geballter menschlicher Kreativität und Freude, die trotz aller Widrigkeiten nicht kleinzukriegen ist.