Transformation, Digitalität und BNE: Was war? Was ist? Kommt was?
Abstract
Zentrale Themen Kultureller Bildung – und somit auch auf der Wissensplattform Kulturelle Bildung Online besonders präsent – sind Teilhabe und Partizipation, Diversität sowie Transformation, Digitalität und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Im folgenden Auszug aus der Studie „Kulturellen Bildung: Was war? Was ist? Kommt was?“ werden die Entwicklungslinien des vergangenen Jahrzehnts bezüglich des Themenfeldes Transformation, Digitalität und Bildung für nachhaltige Entwicklung skizziert, die spezifischen Diskurse nachgezeichnet und zusammengefasst sowie mit den abschließenden Erkenntnissen der Studie verknüpft. Somit soll das Wissen der 45-seitigen Studie themenfokussiert zugänglich gemacht werden. Die Studie „Kulturellen Bildung: Was war? Was ist? Kommt was?" gibt einen Überblick über Themen und Diskurse zur Kulturellen Bildung, wie sie auf kubi-online in vielen Fachartikeln reflektiert werden. Des Weiteren zeigt sie auf, in welcher Form und mit welchen Grenzen sich die Wissensplattform als Akteurin in den Diskurs einbringt und zum Wissenstransfer Kultureller Bildung beiträgt. Entstanden ist die Studie als Auftrag der Trägerorganisationen der Wissensplattform Kulturelle Bildung Online anlässlich des zehnjährigen Bestehens von kubi-online.
Grundlagen des Beitrags
Seit 2013, besteht mit der Wissensplattform Kulturelle Bildung Online (kubi-online) ein digitaler Wissensspeicher für Kulturelle Bildung, der Fachdebatten in diesem Feld nicht nur abbildet, sondern diese miteinander vernetzt, neue Diskurse erschließt und das kostenfrei zugängliche Wissen stetig erweitert. kubi-online ist die digitale Fortschreibung des Handbuchs Kulturelle Bildung (2012), herausgegeben von Hildegard Bockhorst, Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss und Wolfgang Zacharias. Aus dem Handbuch, das „erstmals systematisch 179 Beiträge, die die Theorie und Praxis der Kulturellen Bildung umfassend darstellten“ (Über uns) und die alle auf der Wissensplattform zur Verfügung stehen, hat sich kubi-online mit inzwischen über 750 Artikeln zu einem zentralen Akteur des Wissenstransfer in der Kulturellen Bildung entwickelt.
Die Studie „Kulturellen Bildung: Was war? Was ist? Kommt was?" versucht im Auftrag von Redaktion und Rechtsträger von kubi-online, einen themenbezogenen Überblick zu geben, worüber und wie auf der Wissensplattform kubi-online in den letzten zehn Jahren geschrieben – d.h. nachgedacht – wurde. Sie stellt sich auf dieser Grundlage auch das Ziel, Lücken aufzuzeigen und Impulse für ein weiteres Nachdenken auf kubi-online zu geben.
Vom Wandel zur Transformation
Eingangs soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich übergreifend eine erste begriffliche – und grundsätzliche – Verschiebung zeigt: jene vom „gesellschaftlichen Wandel“ hin zur „Transformation“. Die ersten Texte auf kubi-online, die sich mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen und ihrer Bedeutung für Kulturelle Bildung auseinandersetzen, nutzen fast ausschließlich den Begriff des „Wandels“ (Göschel 2013/2012, Keuchel 2016/2015). Unter diesem Begriff verweist Albrecht Göschel bereits auf die Komplexität, Diskontinuität, Bruchhaftigkeit und Ergebnisoffenheit der damit verbundenen gesellschaftlichen Prozesse, die später in Texten zur Transformation ebenso als Merkmale betont werden. Er stellt in seinem Beitrag insbesondere kulturelle Dimensionen des Wandels heraus – wie sie z.B. Lebensformen und Persönlichkeitsbilder, Normen und Orientierungen prägen und wie sich mit ihnen Generationen profilieren. Michael Dartsch erwähnt zehn Jahre später wiederum, dass es sich beim Thema Transformation um politische, ökologische, ökonomische und soziale Veränderungsprozesse handelt, die auch den Aspekt der Kultur bedenken müssen – und zwar in einem weiten Kulturbegriff, der Visionen, Narrative, Lebensstile, aber auch Denken, Kommunikation und Kunst umfasst (Dartsch 2022).
Die von Albrecht Göschel 2013/2012 benannten Megatrends sind: demografischer Wandel, Globalisierung, Anstieg von Bildung, Anstieg von Urbanisierung, Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft, Connectivity bzw. Informationsgesellschaft. Diese Themen spiegeln sich gut zehn Jahre später unter anderen Nuancierungen, Zuspitzungen bzw. Vorzeichen wider und sind zum Teil auch Inhalt dieser Auswertung: als Generationengerechtigkeit, als Postkolonialität und Bildung für nachhaltige Entwicklung, als Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe, als Ländliche Räume (siehe Dossier) oder Digitalität. Und sie werden nunmehr häufiger unter dem Begriff der Transformation gefasst, auch wenn in den Texten Begriffe wie Wandel bzw. Veränderung bestehen bleiben. Zum Teil wird Transformation definiert: Michael Dartsch (Dartsch 2022) und Ute Pinkert (Pinkert 2022) beziehen sich dabei gleichermaßen auf das Forschungszentrum für Nachhaltigkeit, nach dem Transformation weitreichende Veränderungen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft bezeichnet und zugleich berücksichtigt, dass diese Teilsysteme und Veränderungen miteinander verbunden sind und zum Teil auch in Konkurrenz zueinander stehen. Warum der Begriff „Transformation“ den des „Wandels“ abgelöst hat, wird im Konkreten in den Texten nicht erläutert. Es steht zu vermuten, dass es sich nicht um eine rein semantische Verschiebung handelt, sondern dadurch soll ggf. verdeutlicht und anerkannt werden, dass die Veränderungsprozesse tiefgreifender, komplexer, nachhaltiger und beschleunigter scheinen. Dies geschieht unabhängig davon, ob sie es tatsächlich sind, da die menschliche Geschichte stets durch Transformationsprozesse begleitet wurde.
Der Transformationsbegriff kann – passender als der des Wandels – zudem offenbar gut auf unterschiedliche Systeme bezogen werden, wie es die kubi-online Tagung 2022 und die daraus entstandenen Beiträge nahelegen. Cornelie Dietrich nutzt ihn bspw., um das Bildungssystem – im Engeren die Organisation Schule – mit ihren Reformnotwendigkeiten zu beschreiben und mit gesellschaftlichen Veränderungsanforderungen zu konfrontieren (Dietrich 2023). Bei ihr sind es fast deckungsgleich zu den behandelten Schwerpunkten (Post)Digitalität, Inklusion, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Demokratie(bildung). Ute Pinkert macht es ganz ähnlich für den Theaterbetrieb (Pinkert 2022). Auch Vanessa Reinwand-Weiss vertieft in ihrer „Zustandsbeschreibung“ Kultureller Bildung und gesellschaftlicher Transformation (Zukunft Kultureller Bildung in Zeiten der Transformation 2023) weniger die gesellschaftlich-thematischen Diskurse der Transformation, sondern erläutert ihre Auswirkungen auf die (kulturellen) Bildungsstrukturen – v.a. in der formalen und non-formalen Bildung. Sie reißt an, wie diese Systeme von Transformation beeinflusst werden, wie sie reagieren und wie sie Transformation (mit)gestalten. Ihre Schlussfolgerung ist u.a., dass sich mit den Transformationsbewegungen in der Gesellschaft und in den Systemen auch Selbst- und Weltverhältnisse verändern. Diese Dimension klingt bereits bei Göschel an und wird auch durch Dietrich hervorgehoben: Kultur und Subjekt befinden sich in epocheprägenden Veränderungsprozessen und führen zum Ergebnis, dass sich das Menschen- und Bildungsverständnis als Wechselverhältnis von Ich und Welt wandelt und in dieser Polarität dekonstruiert wird. Transformation unter Bildungsperspektive betrachtet bedeutet, dass es kein von Welt getrenntes Selbst gibt, sondern dass diese immer wechselseitig aufeinander bezogen und miteinander verwoben sind. Diese Perspektive stärkt nochmals eine selbst- und sozialreferentielle Betrachtung von Bildung. Es wird also versucht, Transformationsprozesse und Kulturelle Bildung so zu reflektieren, dass Subjektfragen, soziale Gemeinschaft und Künste (für ein gutes Leben) verbunden werden (Dartsch 2022). Münden könnte dies darin, das Konzept der „transformatorische Bildung“ (z.B. nach Koller) zu nutzen.
Kultureller Bildung werden Potenziale zuerkannt, um Transformation zu bewältigen. Dazu zählen in den Texten die Entwicklung von Wahrnehmungsfähigkeit und Gestaltungsmöglichkeit – und zwar als Gestaltung von Material, ebenso von Sinn- und Ausdrucksmöglichkeiten. Während viele der folgenden Transformationsthemen bildungstheoretisch und kulturwissenschaftlich reflektiert werden, greift insbesondere das Dossier (Zukunft Kultureller Bildung in Zeiten der Transformation 2023) unter diesem Titel, in denen sich auch die Beiträge von Dietrich, Pinkert oder Reinwand-Weiss verorten, die strukturelle Transformationsfrage auf. Dies trifft auch auf Keuchel (Keuchel 2016/2015) zu.
Digitalität als neues Zeitalter
Einer der ersten Beiträge zum Thema Digitalität ist „Digitale Medienkulturen“ von Petra Missomelius (Missomelius 2013/2012). Diesen ordnen die Herausgeber*innen des Handbuchs Kulturelle Bildung dem Kapitel „Mensch und Kultur“ zu und definieren damit Mediatisierungs- und Digitalitätsprozesse als kulturelle Prozesse. Missomelius‘ Überblicksartikel weist zudem ein ähnliches Themenspektrum auf, wie es anschließend in weiteren Beiträgen auf kubi-online genauer beleuchtet wird: Sie erwähnt die umfassenden Auswirkungen digitaler Medienkulturen auf das private und berufliche Leben, auf private und öffentliche Räume, auf kulturelles Bewusstsein oder auf neue sinnliche Wahrnehmungskonstellationen. Torsten Meyer umschreibt dies 2015 mit dem „sehr grundsätzlichen Wandel der Betriebsbedingungen für Gesellschaft“ (Meyer 2015). Ebenso verweist Missomelius auf die Bedeutung der hinter den Oberflächen des Medialen/Digitalen verschwindenden Funktionsweisen, die heute vielfach mit Algorithmizität gefasst werden, mit der Aussage, diese Funktionsweisen würden kaum noch erkannt und hinterfragt. In einem weiteren Grundlagenartikel des gleichen Handbuch-Kapitels von Benjamin Jörissen sind viele spätere Diskursstränge angelegt (Jörissen 2013/2012). Besonders relevant scheint seine grundlagentheoretische Verknüpfung von Anthropologie und Medialität sowie die medientheoretische Argumentation – angelehnt an Oswald Schwemmer – nach den kulturellen Formen stets medial situiert sind. Am Phänomen der Artikulation – ein Motiv, das in einem weiteren Beitrag von ihm 2017 unter dem Stichwort Digitalität wieder aufgegriffen wird – zeigt er den dreiseitigen Zusammenhang von kultureller Formation/Performanz, Medialität und körperlich-leiblichen Formen der Subjektivation auf, was eine zentrale Bildungsfrage ist (Jörissen 2017).
Ein dritter Beitrag aus 2013/2012, Kai-Uwe Huggers „Bildung im gegenwärtigen Mediatisierungsprozess“, beschreibt „Mediatisierung als Metaprozess sozialen Wandels, innerhalb dessen ‚immer komplexere mediale Kommunikationsformen (entwickeln), und Kommunikation [...] immer häufiger, länger, in immer mehr Lebensbereichen und bezogen auf immer mehr Themen in Bezug auf Medien‘ (Krotz 2007:38) stattfinden“ (Huggers 2013/2012). Interessanterweise ist dieser nicht in den theoretischen Grundlagenkapiteln des Handbuchs Kulturelle Bildung verortet, sondern wird den Praxisfeldern unter „Medien“ zugeordnet. Für den medienpädagogischen Fachdiskurs einer kulturellen Medienbildung, der zu diesem Zeitpunkt aus dieser Position heraus noch kein die gesamte Kulturelle Bildung umfassender Fachdiskurs zu sein scheint, leitet er zwei Tendenzen zum Verhältnis von Subjekt und Bildung ab: „Während Medienkompetenz [Hervorhebung d.V.] ein vor allem kompetenz- und kommunikationstheoretisch begründetes Modell mit unterschiedlichen Wissens- und Fähigkeitsdimensionen darstellt, betont Medienbildung [Hervorhebung d.V.] in bildungstheoretischem Verständnis den Aspekt des Prozesses der Freisetzung des Subjekts zu sich selbst und der Medien-Reflexion.“ (Huggers 2013/2012) Sein Schluss ist, beide Aspekte integrativ zu betrachten.
Grund für diese insgesamt sehr weitsichtigen Blicke auf die digitale Transformation von Mensch, Welt und Bildung könnte sein, dass sich bereits vor zehn Jahren wesentliche Themen der Digitalität abzeichneten und dass die (bildungs-, medien- und kultur-)theoretischen Diskurse und Betrachtungen am Schnittfeld Kulturelle Bildung und Medienbildung für diese Entwicklungen besonders anschlussfähig bleiben.
Es entsteht eine kleine Lücke von etwa fünf Jahren, bevor sich viele weitere Beiträge auf kubi-online mit Digitalität auseinandersetzen. Ihnen liegt zu diesem Zeitpunkt gemeinschaftlich die Überzeugung zugrunde, dass Digitalität alle kulturellen (und gesellschaftlichen wie auch Lebens-)Bereiche durchzieht und durchsetzt (z.B. Jörissen 2017, Hofhues 2021, Leeker 2022). Eine weitere Gemeinsamkeit vieler Beiträge ist, dass, weil sich das Digitale nicht mehr vom Nicht-Digitalen trennen lässt, von „Postdigitalität“ und längst von der Verwobenheit mit sozialen, kulturellen, politischen und geografischen Umwelten gesprochen wird (z.B. Klein 2019, Hofhues 2021, Meißner 2021, Autenrieth/Nickel 2022, Leeker 2022, Traulsen/Büchner 2022). Während Digitalisierung, die als Diskurs kaum aufgegriffen, ja fast „übersprungen“ wird, v.a. das technische und technologische Phänomen beschreibt, werden mit dem bevorzugten Begriff der Digitalität die grundsätzlichen Verschiebungen von Wahrnehmungsbedingungen und -ordnungen (Jörissen 2020 nach Hofhues 2021, Autenrieth/Nickel 2022) bis hin zu neuen Wissensordnungen hervorgehoben. Durch sie verändern sich Denk- und Handlungsweisen, die sich sogar zunehmend von den Technologien entkoppeln können. Außerdem sei der Digitalitätsbegriff, so Felix Büchner und Sören Yannik Traulsen, eine diskursive und damit produktive Gegenposition zur oft negativ konnotierten und ökonomisch geprägten Debatte um Technologisierung (Büchner/Traulsen 2022): Digitalität ist ein Mindset (Deeg 2023). Bezugspunkt ist vielfach Felix Stalder mit seiner Beschreibung einer „Kultur der Digitalität“ (z.B. Hallmann et al. 2021, Autenrieth/Nickel 2022, Korte/Unterberg 2022, Deeg 2023), die durch die Eigenschaften Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität gekennzeichnet ist. Diese Eigenschaften werden in den vorliegenden Texten zum Teil bildungstheoretisch reflektiert.
Digitalität ist eine Transformation in der Gegenwart. Das ist deshalb wichtig zu betonen, weil es auf die Notwendigkeit von Bildungsprozessen im Jetzt hindeutet und zugleich auf eine Verhältnisbestimmung von diesen Bildungsprozessen der Zukunft verweist. Einen Ausblick auf das entsprechende Zukunftspotenzial gibt Sandra Hofhues, die einen Zusammenhang mit den künstlerisch-ästhetischen Möglichkeiten des Digitalen und der Digitalität herstellt. Sie betont, dass es sich dabei weder um utopische noch dystopische Konzepte aus der fernen Zukunft, sondern um die gesellschaftliche und kulturelle Gegenwart handelt (Hofhues 2021). Aus der digitalen Gegenwart heraus zeigt Robert Hausmann Wege auf, wie sich Zukunft mit künstlerischen Ausdrucksmitteln explorieren lässt – ebenso wie Hofhues mit dem Verweis, dass weder das Utopische, noch das Dystopische wahrscheinlich sei, sondern dass Zukunft aus jenen Entscheidungen erwächst, die menschliche und mittlerweile auch nicht-menschlichen Akteur*innen gegenwärtig treffen (Hausmann 2022). Diese neue Bedeutung nicht-menschlicher Akteur*innen wird mehrfach reflektiert – bspw. bei Kristin Klein, die unter Subjektkonstellationen und -konstitutionen hervorhebt, dass durch die digitalen Transformationen Dichotomien zwischen Natur-Kultur/Mensch-Technologien überwunden werden würden (Klein 2019). Torsten Meyer fasst dies 2015 unter dem Begriff der Post Nature (Meyer 2015).
Auf kubi-online hat sich die Bewegung weg von der technischen hin zu einer kulturellen Perspektive und hin zur Frage, wie sich Subjektivierungsprozesse im postdigitalen Zeitalter vollziehen bzw. wie diese gesellschaftliche Transformation mit Bildungsprozessen untersetzt und begleitet werden können, bereits früh vollzogen. Damit geht einher, ein Bildungsverständnis unter dem Einfluss von Digitalität zu entwerfen, das den damit einhergehenden Prozessen entspricht und unweigerlich verbreitete kulturelle Bildungsverständnisse infrage stellt (vgl. auch Meyer 2015): Benjamin Jörissen bspw. beschäftigt sich intensiv mit Subjektivation und Subjektivierung in der postdigitalen Kultur und grenzt diese von historisch gewachsenen subjektivistischen Freiheitsverständnissen in Bildung und Pädagogik ab, die von einem relationalen Verständnis abgelöst werden (Jörissen 2017). Denn: Aus digitalen Praktiken gingen neue Selbst-Welt-Verhältnisse (also Beziehungen) hervor, die performative (Code/Software), symbolische (Daten/digitale Objekte), konnektive (Netzwerke) und materielle (Interfaces/Hardware) Aspekte von Digitalität verbinden müssen. Der Bruch ist (noch) nicht grundsätzlich: Wenn er das Verhältnis von Bildung und Kultur „nicht nur als Kultivierung im Modus der pädagogischen Vermittlung und/oder subjektiven ‚Aneignung von Kultur‘“ (Jörissen 2019) versteht, sondern als eine Praxis der Reflexion auf (hier dann digitalen) Kultur - „nämlich als implizit machtförmiges Formenrepertoire der Gestaltung von Selbst- und Weltverhältnissen“ (ebd.), die in einer Positionierung und Artikulierung münden, dann finden sich solche Überlegungen auch in älteren Theorien Kultureller Bildung.
Wie Bildung im Zeitalter der Digitalität verstanden werden müsse, ist – das deutete sich soeben schon an – eine zentrale Fragestellung in diesem Diskursfeld. Martina Leeker schlägt aus ihren medienwissenschaftlichen Zugängen heraus anstelle „von Kritik und vermeintlich emanzipatorischen humanistischen Bildungszielen […] medienwissenschaftlich informierte ‚Kulturen der operativen Vermittlung‘ als ‚posthumane Bildung‘ in digitalen Kulturen“ (Leeker 2022) vor. Sie bestehen aus einem diskursanalytischen Zugang zu Bildung, aus „Daten-Bildung“ und aus einem Training für ein „engagiert-zauderndes Mitspielen in techno-humanen Performances“ (ebd.). Die Nähe zur Medienbildung wird hier ebenso offensichtlich wie eine weitere Herausforderung für Bildungsprozesse: Digitalität löst den Anthropozentrismus auf. Damit lässt sich Bildung nicht mehr nur menschlich denken. Zugleich, auch das wird in diesem Zusammenhang hervorgehoben, sei Mediennutzung, hier Bildung ganz ähnlich, trotz Digitalität weder entmaterialisiert noch entkörperlicht (Jörissen nach Hofhues 2021). In welcher Weise sich Bildung in den komplexen „Postdigital Conditions“ (Meyer 2015), die sich als veränderte soziale, politische, technologische und wirtschaftliche Normalität (ebd.) kognitiv gar nicht mehr erfassen lassen, entfaltet, ist fraglich und zugleich eine Chance Kultureller Bildung, die zunächst nicht-kognitive Zugänge sucht. Postdigitale Bildung sei zudem von kultureller Medienbildung zu unterscheiden, weil sie zusätzlich zur Medien- und Informationskompetenz die kreativen Potenziale und Grenzen der Digitalität ins Zentrum rücke (Deeg 2023).
Andere Positionen kommen bezüglich „Bildung“ zum Schluss, dass es auch im Zeitalter der Digitalität immer darum geht, „persönlichkeitsbildende Prozesse zu initiieren, gemeinschaftsbildende Dynamiken zu gestalten und im Hinblick auf den Umgang mit digitalen Medientechnologien Impulse zu geben“ (Büchner/Traulsen 2022), um demokratische Werte zu erproben und ihnen kreativ, kritisch, fragend und produktiv zu begegnen (ebd.). Hier klingen Konzepte einer Kritischen Kulturpädagogik (vgl. Fuchs 2017) oder einer noch immer notwendigen emanzipatorischen Bildung an. Mit diesem Anspruch sind auch konkrete pädagogische Selbstverständnisse verbunden: Weil Strukturen von Medien zunehmend undurchsichtig sind, „ergibt sich die permanente Notwendigkeit zur Selbstpositionierung, zu kritischer Reflexion und letztlich zur pädagogischen Bearbeitung anderer Phänomene“ (Hofhues 2021). Auch Büchner/Traulsen gehen darauf ein, dass in digitalen Transformationsprozessen Fragen nach Verantwortung gegenüber digitalen Infrastrukturen, Inhalten und Kommunikationsformen ebenso wichtig für postdigitale Bildung seien wie das Verstehen und Mitgestalten von Technologien und Netzwerken in ihrem Einfluss auf die (Neu)Formung des Menschseins (Büchner/Traulsen 2022). Stefan Meißner nutzt in diesem Zusammenhang den Begriff der Maker-Literacy, um den doppelten Anspruch auf Bildung auch in der (Post)Digitalität einzulösen: einerseits jenen, der nach ganz konkreten Fertigkeiten fragt, andererseits jenen, der die Reflexion darauf betont (Meißner 2021). Auch sein Verständnis weist Parallelen zu einem emanzipatorischen Bildungsbegriff in der (Post)Digitalität auf, indem er die Gestaltungsmöglichkeiten die „eigensinnige Ermächtigung gegenüber Digitaler Kultur“ (ebd.) fokussiert.
Eine weitere Dimension in den Fachbeiträgen kommt in Form ethischer Reflexionen hinzu. Diese begründet sich vor allem in der großen Bedeutung von Algorithmen und KI. Martina Leeker erachtet ethische Fragen bspw. für das Zusammenwirken von Mensch und Technik im Rahmen techno-humaner Ko-Operationen als notwendig, aber ebenso für die umfängliche und dauerhafte „Konnektivität menschlicher Agierender an digitale Kulturen“ (Leeker 2022) bis hin zum neuen Zusammenspiel von Nutzer*innen, Programmierer*innen und Algorithmen. Benjamin Jörissen betont bereits 2017, dass mit Algorithmen neue epistemische Akteur*innen entstanden sind, die neue Denkweisen einführen und mit denen wir unsere Kultur recodieren (Jörissen 2017). Er zieht unter den Bildungsaspekten den Schluss, dass daher künstlerische Reflexion nicht nur eine Reflexion digitaler Aisthesis (Wahrnehmung) und Episteme sein solle, sondern auch dazu führen müsse, digitale Prozesse gestalten und umgestalten zu können. Sandra Hofhues schlägt vor, dass Themen wie Algorithmenethik in der Kulturellen Bildung zu bearbeiten wären (Hofhues 2021). Sie bezieht sich dazu auf das von Benjamin Jörissen beschriebene Potenzial, das in der bildenden Auseinandersetzung bzw. der Kulturellen Bildung liegt, nämlich Sinne, Emotionen, Wissen, Werte und ästhetisches Urteil zusammenführen zu können. Auch Reflexionen zur Körperlichkeit des Menschen und zu seiner Sozialität gehören dazu. Sie fordern, wie Kristin Klein, Digitalität als Knotenpunkt „quantitativer wie qualitativer Veränderungen materiell-kultureller Bedingungen, gesellschaftlicher Strukturen sowie individueller Wahrnehmungs- und Handlungsweisen“ (Klein 2019), zu verstehen und dies im Rahmen von Bildung zu berücksichtigen.
Kritisch zu betrachten seien die marktwirtschaftlichen Mechanismen und Pragmatiken der Digitalität, die z.B. durch Algorithmen verstärkt werden (Hofhues 2021). Diese Mechanismen führen dazu, dass Diskurse über das Digitale immer auch Diskurse über politische und ökonomische Fragestellungen seien (Allert 2020 nach Hofhues 2021). In dieses politisch konnotierte Themenspektrum fällt auch unmittelbar die Frage, ob eine Kultur der Digitalität immer auch eine Kultur der Partizipation sei (Autenrieth/Nickel 2022). Daniel Autenrieth und Stefanie Nickel modellieren eine politisch-kulturelle Medienbildung im Schnittfeld von Medienbildung, Kultureller Bildung und Demokratiebildung. Sie begründen diesen Ansatz darin, dass die aktuelle Macht großer Konzerne eben nicht zur Dezentralisierung und Demokratisierung des Netzes beitragen würde, sondern Machtkonzentration und Kontrolle bedeute (ebd.). Umfassende Medienbildung – die damit unter diesem (älteren) Begriff als eigenständige Disziplin wieder gestärkt wird – habe demnach die Aufgabe, gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation im öffentlichen Raum und in politisch-demokratischen Prozessen zu stärken (ebd.). Torsten Meyer führt aus, dass Kulturelle Bildung nicht nur Wissen über Codes vermitteln solle, sondern darin unterstützen kann, „Kontrolle über die globale Lebenswirklichkeit … zu erlangen … in Formen von partizipativer und kollektiver Kreativität“ (Meyer 2015).
Diese Texte sind sehr grundsätzlich, gerade auch in ihren Reflexionen und Schlussfolgerungen für zeitgemäße Bildungsbegriffe und -ansätze im Zeitalter der Digitalität. Sie sind meist theoretisch, Übersetzungen in ein verändertes kultur- und medienpädagogisches Handeln bzw. eine Praxis Kultureller Bildung können sie nicht bzw. selten leisten. Manche der Autor*innen beziehen sich indes ausdrücklich auf ästhetische Dimensionen oder auf ein neues Verständnis von künstlerischer Partizipation und Produktion (Meyer 2015). Daher wäre es ein möglicher nächster Schritt, die Zusammenhänge zur kulturellen Bildungspraxis weiter auszuarbeiten. Überhaupt wird in diesen Beiträgen Kulturelle Bildung im Engeren selten explizit erwähnt bzw. wird das Begriffsverständnis Kulturelle Bildung kaum erläutert. Durch den umfassenden Transformationsprozess, der sich an der Schnittstelle von Bildung, Kultur, Medien und Digitalität vollzieht, rückt Kulturelle Bildung offenbar (noch) eher in den Hintergrund. Betont wird viel eher, Digitalität als kulturellen Prozess und als Bildungsanforderung, auch als Medienbildungsprozess zu fassen. Jule Korte und Lisa Unterberg debattieren in ihrem Beitrag „(re)united!?“ u.a., inwiefern Kulturelle Bildung und Medienbildung im Zeitalter der Digitalität voneinander getrennt werden und inwieweit dies sinnvoll ist – auch angesichts dessen, dass sich viele Träger Kultureller Bildung zu (neuen) Medien distanzieren und sich umgekehrt auch die Medienbildung gegenüber der Kulturellen Bildung als eigenständig hervortun möchte (Korte/Unterberg 2022). Ihr Plädoyer lautet, diese Binarität von Kultur und Technologie/Medien aufzubrechen und dabei „Technologie als Teil der Kultur anzuerkennen und Kultur als unhintergehbar mit medialen Strukturen verbunden zu verstehen“ (ebd.). Weil mediale und kulturelle Phänomene untrennbar miteinander verbunden sind, ist es notwendig, pädagogische Handlungsfelder als netzartig darzustellen. Eine weitere spannende Vertiefung – im Übrigen eine, die schon stärker angegangen wird – wäre die grundsätzliche Frage danach, inwieweit Konzeptionen von Bildung und Subjektivierung, wie sie für Kulturelle Bildung über Jahrzehnte entwickelt wurden, überhaupt auf die sich verändernden Bedingungen und Ausdrucksformen des Subjektes im (post)digitalen Zeitalter anwendbar und sinnvoll sind. Damit wäre ein sehr zentraler Kern des Selbstverständnisses Kultureller Bildung berührt.
Es finden sich im Diskurs auf kubi-online auch praxisbezogene Texte: Sabine Jank stellt konkrete Digitalisierungsfragen, indem sie für den digitalen Wandel in Kultureinrichtungen reflektiert, wie sich digitale Aktivitäten und Fähigkeiten in die gesamte Organisation einbeziehen lassen. Sie plädiert dafür, dies von der Nutzer*innen-Seite – und weniger von der organisationsbezogenen Seite – zu betrachten und dabei eine Verschiebung des Expert*innen-Status in Richtung Nutzer*innen anzuerkennen. Ihr Verweis auf neue Kompetenzen, die Organisationen, Vermittler*innen, kulturelle Bildner*innen etc. benötigen, läuft Gefahr, Digitalität wieder stark auf „technische“ Perspektiven zu reduzieren (Jank 2020). Mechthild Eickhoffs erweitert dies in ihren Beiträgen aus zwei Praxisfeldern heraus: dem UZWEI im Dortmunder U (Modelleinrichtung für die Kulturelle Bildung im Digitalen Zeitalter) und beim Fonds Soziokultur mit dort geförderten Projekten (Eickhoff 2019 und 2023). 2019 betont sie, dass es bei Kultureller Bildung im Rahmen von Digitalität nicht vornehmlich auf den Einsatz von Hardware, sondern auf ein verändertes Denken bezüglich Projektverläufen, zeitlichen Taktungen und Aufgabenverständnissen ankommt, was zunächst die organisationale Seite betont. Sie fordert nicht nur andere Handlungsethiken und ein anderes Rollenverständnis – inkl. Kontroll- und Machtverlust – von den Fachkräften, sondern auch, dass Subjektbezug in der Kulturellen Bildung nun immer mit den (digitalen) Kontexten zu verknüpfen sei (Eickhoff 2019). Damit gibt sie einen Ausblick auf die konzeptionelle Seite. In der von ihr beschrieben Praxis spielen neue künstlerisch-ästhetische Ausdrucksformen durch digitale Techniken und Tools eine Rolle, aber auch die oben angerissenen Bildungsdiskurse: Praktiken des Hackings oder der Maker-Kultur werden nicht nur zu kreativen Räumen, sondern zeigen Alternativmodelle für gesellschaftlich-technische Fragen auf. „Kulturskripte neu schreiben“ ist ihr Credo (Eickhoff 2023). Felix Büchner und Sören Jannik Traulsen beschreiben in ihrem Beitrag ein postdigitales Schultheater – und zwar in vier verschiedenen Grundhaltungen der Anleitenden, die zu unterschiedlichen Positionierungen und Praktiken des Postdigitalen führen und als spannende Reflexionsfläche für die eigene Positionierung dienen können (Büchner/Traulsen 2022).
Eine entscheidende Leerstelle im Diskurs ist das Thema der Teilhabe und der Zugänge, insgesamt bleiben die Nutzer*innen bzw. Akteur*innen in den Beiträgen sehr unkonkret, allgemein und abstrakt – die Fachbeiträge verallgemeinern stark. Eine Ausnahme bildet Susanne Keuchel, die deutlich nach der kulturellen (digitalen) Teilhabe oder nach der staatlichen Verantwortung dafür fragt (Keuchel 2020). Hallmann et al. verweisen 2021 in ihrem Text zu Partizipation und Interaktion in der Kulturellen Bildung auf Digitalität und die enge Verwobenheit zu anderen (Teilhabe)Schwierigkeiten: strukturelle Ungleichheiten, Barrierearmut, Diskriminierungskritik und Postkolonialismus, die auch bezüglich Digitalität gelten (Hallmann et al. 2021).
Bildung für nachhaltige Entwicklung als Aufforderung
Eines der Bildungskonzepte, die in den letzten Jahren starke Aufmerksamkeit erfahren hat, ist die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Stehen die ersten Texte auf kubi-online, die kurz nach 2010 entstanden sind, noch in unmittelbaren Zusammenhang und unter dem Eindruck der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, verorten sich die neueren Texte – etwa zehn Jahre später veröffentlicht – im Umfeld der 17 Sustainable Development Goals (SDG). Diese politischen Bezugskontexte zeigen auf, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung ein zutiefst im politischen Raum verankertes und gefördertes Thema ist. Gleichwohl heben die kubi-online Autor*innen die Bedeutung von Nachhaltigkeit als globaler Herausforderung und Leitbild des 21. Jahrhunderts hervor – auch als paradigmatisch für die Kulturelle Bildung. Diese historische Dimension wird betont, weil „erstmals“ in der Geschichte durch Nachhaltigkeit globale Prozesse von Denk- und Verhaltensänderungen beschrieben werden (Pinkert 2020/2011).
Häufiger als auf die mit BNE verbundenen Bildungskonzepte verweisen die Autor*innen auf die rahmengebende Entwicklung von Bezugspapieren bis hin zur UN Agenda 21 bzw. 2030 (Fischer 2013/2012, Leipprand 2013/2012, Goehler 2020, Wagner 2020). Interessant ist, dass zugleich historische Linien, die es mit der Umweltbildung, der Friedensbildung oder unterschiedlichen entwicklungsbezogenen Bildungskonzepten durchaus gibt, in den hier gelesenen Texten vollständig ausgespart werden. Ebenso bildungswissenschaftliche Betrachtungen sind selten. Eine historisch-konzeptionelle Einbettung von BNE findet auf kubi-online nicht statt; einzig das Globale Lernen wird als Bezugskonzept etwas stärker ausgeführt. Das verstärkt den Eindruck, dass es sich bei BNE stark um eine politische und Top-down-Strategie handelt.
Wichtig ist es für die meisten Autor*innen, zunächst BNE zu definieren, was meist von den Zielen her geschieht. Hier zeigt sich ebenfalls: Methodische oder konzeptionelle Spezifika der BNE oder sogar Gemeinsamkeiten mit Kultureller Bildung sind nicht im Fokus. BNE soll Menschen dazu befähigen, an der nachhaltigen Gestaltung ihres eigenen sowie des gesellschaftlichen Lebens aktiv mitzuwirken und das Leben zukünftiger Generationen zu ermöglichen. Die Erhaltung der Zukunftsfähigkeit bzw. tragfähiger Zukünfte (Fischer 2013/2012, Klepacki 2020) ist ein zentraler Topos und zugleich ein wichtiger motivationaler Aspekt, denn es geht um eine positive Zukunftsvision, die ein – nicht näher definiertes – gelingendes Leben aller ermöglichen soll. Die Zukunft werden aber nur Menschen gestalten können, die davon überzeugt sind, dass sie dazu in der Lage sind (Ebel 2020). Entsprechend werden in der BNE Teilnehmer*innen als selbstermächtigte Zukunftsgestalter*innen definiert (Steinborn 2020). Es wird darauf verwiesen, dass zukunftsfähiges Denken und Handeln (ästhetische) Wahrnehmung und Reflexion voraussetzen (Ebel 2020) – auch durch einen emotionalen und sinnlichen Zugriff auf Wirklichkeit, um Urteile bilden zu können. Hier kommt Kulturelle Bildung ins Spiel.
Alle Autor*innen, die explizit BNE zum Thema machen, verweisen auf die Verbindung der drei zentralen Dimensionen, die sich in den SDGs und der BNE spiegeln:
- die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit;
- die ökologische Verträglichkeit;
- die soziale Gerechtigkeit (z.B. Fischer 2013/2012, Reinwand-Weiss 2020).
Sie positionieren dazu die kulturelle Dimension, indem sie diese entweder in den Aufzählungen hinzufügen (z.B. Pinkert 2020/2011), als vierte Säule ergänzen (Stoltenberg 2020/2010: Nachhaltigkeitsviereck), als Querschnittsaufgabe verstehen, als kritisch-reflexive Instanz einzusetzen oder Nachhaltigkeit grundsätzlich als kulturellen Prozess definieren (Leipprand 2013/2012). Letztere Position wird bspw. darin begründet, dass Bildung sich kritisch mit kulturellen Beständen, Werten und Normen sowie kulturellen Prozessen auseinandersetzt und sich ein zunehmendes (trans)kulturelles Verständnis von Welt etabliert hat (Wagner 2020). Dies müsse auch BNE zur Grundlage machen. Interessant und zugleich diese Debatte der Verhältnisbestimmung von BNE und Kultur erschwerend ist, dass der Kulturbegriff in diesen Texten nur selten erläutert bzw. präzisiert wird. Ausnahmen bilden hier Leopold Klepacki, Vanessa Reinwand-Weiss und Ute Pinkert mit ihren systematischen Annäherungen an unterschiedliche Kulturbegriffe (ethnologisch, anthropologisch, normativ, soziologisch, kunstbezogen) (Klepacki 2020, Reinwand-Weiss 2020, Pinkert 2020/2011). Daraus ergeben sich vielschichtige, nicht immer aber konkret für die Praxis übersetzbare Anknüpfungspunkte. Ute Pinkert erwähnt z.B. den Kulturbegriff sowohl im weiten Sinne von Kultur als Grundlage menschlichen Zusammenlebens als auch im engen Sinne als Künste und humanistische Bildung (Pinkert 2020/2011). Ute Stoltenberg wiederum unterscheidet als für BNE relevante kulturelle Dimensionen: Kultur als materieller Ausdruck der Gestaltungskraft von Menschen, Kultur als System von Werten, Orientierungsmustern, Bedeutungen sowie Kultur als Prozess (Stoltenberg 2020/2010). Damit eine Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit gelingt, stellt sich laut Autor*innen die Frage, inwieweit sich kulturelle Praxis wandeln muss (Klepacki 2020). Eine solcher Wandel könnte bspw. bedeuten, dass das Leitbild der Nachhaltigkeit in die kulturellen Symbolsysteme und auch in die alltagskulturellen Handlungen Eingang findet (Pinkert 2020/2011). Umgekehrt wird die Frage aufgeworfen, inwieweit kulturelle Praxis diese nachhaltige Transformation überhaupt erst ermöglicht. Während Kunst und Kultur hier eine neue Rolle zugeschrieben wird (Goehler 2020), besteht zugleich die Gefahr, dass Kunst, Kultur und Kulturelle Bildung mit Erwartungen überfrachtet bzw. instrumentalisiert werden, um BNE normativ zu fördern. Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Die kulturelle Dimension einer Bildung für nachhaltige Entwicklung ist weitestgehend unbearbeitet, es zeigt sich ein noch offener – vielleicht auch unabschließbarer – Prozess der Positionierung von Kultur im Bereich der BNE bzw. SDG.
Ein Grund für diesen Eindruck ist, dass auf kubi-online die Begriffe unscharf genutzt werden bzw. die Konzeptionen sehr heterogen sind. Das liegt an den unzähligen Begriffsverständnissen und zugehörigen Kombinationsmöglichkeiten von Bildung, Kultur und Nachhaltigkeit. Auch das Konzeptverständnis Kultureller Bildung „zwischen“ Kultur(en), Künsten und Bildung verwässert oft klare Beziehungen zur BNE. Daraus ergeben sich „neue“ Begriffskombinationen, z.B. „Ästhetische Nachhaltigkeit“ (Goehler 2020), die darauf zielt, Zusammenhänge auf dem Fundament der Sinne herzustellen oder „Bildung für eine nachhaltige kulturelle Praxis“ (Klepacki 2020), die auf die Entwicklung einer transformationsorientierten Haltung hinsichtlich kultureller Wirklichkeit ausgerichtet ist. Schon hier wird deutlich, dass teilweise Unterschiedliches gemeint ist und ebenso, dass Ähnliches mit anderen Begriffen umschrieben wird.
Dies ist ein spannender und diskursiver Raum, der aber insbesondere dann zu Herausforderungen führt, wenn konkret nach einer Verbindung von BNE und Kultureller Bildung gesucht wird. Die Texte lassen i.d.R. definitorisch offen, was sie mit Kultureller Bildung meinen. Markiert werden indessen auf sehr allgemeiner Ebene Gemeinsamkeiten und Widersprüche. In vielen Grundsätzen – z.B. im Anspruch, in der Intention, in den didaktischen Prinzipien, in den Lernzielen – sind laut Bianca Fischer Kulturelle Bildung und BNE kohärent, was aber nicht näher erläutert oder gar in anderen Texten bewiesen wird (Fischer 2013/2012). Eine gemeinsame Grundlage ist in beiden Bildungskonzepten dadurch gegeben, dass sie von der potenziellen Transformation des Individuums in den jeweiligen Bildungsprozessen ausgehen, was beide Konzepte in die Nähe transformatorischer Bildung rückt (Reinwand-Weiss 2020). Nachhaltige Entwicklung wird als individueller und gesellschaftlicher Lern-, Such- und Gestaltungsprozess beschrieben (Stoltenberg 2020/2010), der eine Transformation individueller und gesellschaftlicher Praxis notwendig macht, um dafür auch wirklich Realisierungsbedingungen zu schaffen. Das kann ebenso auf Kulturelle Bildung zutreffen. Gemeinsamkeiten werden zudem dort identifiziert, wo beide Bildungskonzepte Kompetenzen wie Reflexions-, Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit fördern (z.B. Leipprand 2013/2012, Liebig 2022). Eine weitere wichtige gemeinsame Schlüsselkompetenz ist Gestaltungskompetenz (z.B. Wagner 2020), wobei nicht genauer erläutert wird, ob es eigentlich ein gemeinsames Verständnis dieser Kompetenz in der Kulturellen Bildung und der BNE gibt.
Um beide Bildungsbereiche zu kontrastieren, wird nicht mehr auf den Widerspruch zwischen „Wissensvermittlung“ (BNE) auf der einen und „emotional-sinnlicher Vermittlung“ (Kulturelle Bildung) auf der anderen Seite zurückgegriffen, wie es lange Zeit für die Verhältnisbestimmung von Kultureller zur Politischen Bildung verbreitet war. Vielmehr wird die Normativität von BNE, der Prozess- und Teilnehmenden-Orientierung in der Kulturellen Bildung (Steinborn 2020) sowie der Zweckfreiheit von ästhetischer Rezeption und Produktion (Wagner 2020) entgegengesetzt. Kulturelle Bildung solle sogar ein Korrektiv zur normativen Ausrichtung (und zur Oberflächlichkeit) der BNE sein. Dass dieser Widerspruch nur bedingt tragfähig ist, weil Kulturelle Bildung auch normativ sei, wird mehrfach betont (z.B. Wagner 2020, Reinwand-Weiss 2020). Ebenso bedeute die Eigengesetzlichkeit der Künste keinesfalls, dass auf ihre gesellschaftliche Wirksamkeit verzichtet werden müsse. Bei aller normativen Orientierung von BNE wird auch festgehalten: Bildung lässt sich nicht von außen steuern und auch ein Leitbild „Nachhaltigkeit“ lässt sich nicht verordnen.
Möglichkeiten, wie sich Kulturelle Bildung und BNE zueinander verhalten können, zeigt Vanessa Reinwand-Weiss auf: KuBi für BNE und/oder BNE für KuBi, KuBi als BNE und/oder BNE als KuBi, KuBi mit BNE und/oder BNE mit KuBi (Reinwand-Weiss 2020). Verschiedene Autor*innen suchen bzw. benennen Potenziale von Kultur und Kultureller Bildung für eine BNE. Zu diesen Potenzialen zählt kritisch wahrnehmen, reflektieren und gestalten zu können (Stoltenberg 2020/2010) oder der potenzielle Perspektivwechsel (Ebel 2020, Klepacki 2020, Reinwand-Weiss 2020). Kulturelle Bildung macht es dadurch möglich, alternative Denkweisen anzugehen, wie sie für die Zukunftsfähigkeit (siehe oben) aber auch die Weiterentwicklung der BNE wichtig seien. Ein weiterer wichtiger Impuls der Kulturellen Bildung für die BNE liegt darin, dass sie persönliche Selbstwirksamkeitserfahrung mit Wissensvermittlung und Handlungsoptionen verbindet (Braun-Wanke/Ebel 2020, Reinwand-Weiss 2020). Diese Handlungsorientierung zeige sich auch im Alltags- und Lebensweltbezug (z.B. Steinborn 2020) und werde dadurch unterstützt, dass Kulturelle Bildung ein Lernen mit allen Sinnen und eine leibliche Wahrnehmung – „BNE erleben“ – ermöglicht. Die Bedeutung der Lebenswelt wird auch in praxisbezogenen Beiträgen zum Thema hervorgehoben (Bergdolt 2020) und durch Praktiker*innen als elementar angeführt, um für globale Themen zu motivieren und das Verstehen globaler Zusammenhänge zu unterstützen (Braun-Wanke/Ebel 2020). Für einzelne Autor*innen ist dies nur dann möglich, wenn Kulturelle Bildung in Abgrenzung zur ästhetischen Bildung in ihrer gesellschaftlichen Funktion wahrgenommen wird: In der Kultureller Bildung setzen sich Individuen mit ihrer kulturellen Umwelt auseinander und emanzipieren sich. BNE bzw. SDGs spielen auch immer wieder als Thema eine Rolle in der kulturellen Bildungspraxis (Reinwand-Weiss 2020, Steinborn 2020, Wagner 2020). Kulturelle Bildung könne quasi als Gastgeberin von BNE fungieren. Weniger Potenziale werden in der umgekehrten Richtung benannt: Was hat Kulturelle Bildung von der BNE? Ute Pinkert sieht in der BNE weniger ein neues Paradigma, sondern vielmehr einen Impuls für die kritische Hinterfragung von Werten, Zielsetzungen und Inhalten/Methoden in der Kulturellen Bildung – bis hin zum der Kulturellen Bildung „eingeschriebenen“ Menschenbild (Pinkert 2020/2011). Das Verhältnis von Kultureller Bildung und BNE wird also als Möglichkeitsraum beschrieben, ohne konkrete konzeptionelle, didaktische oder methodische Fragen zu klären.
Bezogen auf die SDGs wird Kulturelle Bildung in den Fachbeiträgen dem SDG 4 zugeordnet (Qualitativ hochwertige Bildung). Insofern in den Beiträgen weitere SDGs oder Nachhaltigkeitsthemen verhandelt werden, fällt die starke Präsenz von ökologischen Themen auf. Dabei geht es sowohl darum, ökologische Themen in den Künsten zu vermitteln, als auch darum, Kunst und Natur materiell-sinnlich miteinander zu verbinden, z.B. in Landartprojekten. Das überrascht zunächst nicht, weil es schon seit längerer Zeit eine Konjunktur der Natur in den Künsten und der Kultur gibt (Sawer 2020) und sich darum bemüht wird,
- Natur als kulturelle Interpretationen, Konstruktionen und Prozesse des Menschen zu verstehen (Gebhard 2020);
- den Oppositionsbegriff „Natur“ zu Kunst/Kultur aufzulösen und den Dualismus durch ein integratives Verständnis zu ersetzen (Sawer 2020);
- einen Paradigmenwechsel im Verhältnis von Mensch und Natur herbeizuführen (Pinkert 2020/2011) bzw. Narrative zum Verhältnis von Mensch und Natur/Umwelt zu transformieren (Wagner 2020).
Kommt was?
Auf dieses Spannungsfeld kann hier nicht weiter eingegangen werden. Bezogen auf die Fachbeiträge geht es auch nicht darum, die Bedeutung dieser naturbezogenen Dimension infrage zu stellen. Was aber auffällt: Die ökonomische und/oder soziale Dimension der BNE wird in den Diskursen zur Kulturellen Bildung nicht konkret und rückt deutlich in den Hintergrund, was einem gesellschaftspolitischen Verständnis Kultureller Bildung geradezu widerspricht. Die Auswertung von kulturellen Bildungsprojekten durch Karola Braun-Wanke und Anke Ebel zeigt ebenso, dass Ökologie in Praxisprojekten stark gewichtet wird, ökonomische und soziale Themen dagegen deutlich weniger (Braun-Wanke/Ebel 2020). Auch die durch Braun-Wanke/Ebel aufgezeigte große Bandbreite kultureller Sparten in BNE-Projekten fehlt auf kubi-online (noch). Dass ökologische Fragestellungen nicht losgelöst von gesellschaftlichen Kooperationen sind, zeigen einzelne Praxisprojekte (Bergdolt 2020, Ebel 2020). Kollaborationen, insbesondere interdisziplinäres Arbeiten zwischen künstlerischen und wissenschaftlichen Perspektiven und Wissensformen, werden eingefordert (Braun-Wanke/Ebel 2020, Steinborn 2020) bis dahingehend, dass die Trennung von künstlerischen, alltäglichen und wissenschaftlichen Praktiken aufgehoben werden könnte (Pinkert 2020/2011).
Gibt es also Beiträge mit einem grundsätzlichen konzeptionellen Charakter und (weniger) Fachtexte auf der konkreten praktischen Ebene, braucht es auf kubi-online noch Reflexionen, die BNE und Transformation auf der institutionellen Ebene verhandeln. Die Trägerstrukturen und Fachkräfte sowie ihre Kontexte stehen noch im Hintergrund. Das verwundert vor allem deshalb, weil die politische-systemische Einbettung und Legitimation des BNE-Themas so offenkundig ist (Pinkert 2020/2011). Notwendige strukturelle Rahmenbedingungen werden in den Texten maximal angerissen, aber nicht ausgeführt (Braun-Wanke/Ebel 2020). Einzig Volkmar Liebig (Liebig 2022) bezieht sich auf Organisationen als Akteur*innen des Wandels.
Vielleicht liegt es an der noch relativ begrenzten Geschichte der BNE, dass in den Beiträgen noch viele Fragen offen bleiben:
- Geht ein kultureller Transformationsprozess zu mehr BNE auch ohne Kulturelle Bildung? Oder anders gefragt: Inwieweit wäre es falsch und fatal, die kulturelle Dimension der Nachhaltigkeit allein der Kulturellen Bildung zu überlassen?
- Wenn Gemeinsamkeiten zwischen Kultureller Bildung und BNE betont und Kontraste sehr vorsichtig betrachtet werden: Warum gibt es dann dennoch so offenkundige Unterschiede in den Bildungskonzepten, die über den (inhaltlichen) Gegenstand hinausgehen?
- Wo werden auf kubi-online Forschung und die Vielfalt der Sparten zu diesem Thema sichtbar?
Generelles Fazit der Studie
Die Wissensplattform kubi-online ist durch ihren breiten Diskursansatz sehr harmonisch. Positionen, die in einem grundsätzlichen Widerspruch zueinanderstehen, werden nicht sichtbar. Ggf. werden konträre Positionen davon überdeckt, weil die unterschiedlichen Artikel nebeneinanderstehen. Die vermutlich treffendere Begründung aber ist, dass die Wissensplattform einen Facettenreichtum bietet, der die hohe Integrationsfähigkeit des Containerbegriffs Kultureller Bildung und seiner Diskurse nutzt. Über die zehn Jahre ihres Bestehens hinweg sind Diskurse daher erweitert und differenziert worden, stellen aber – so mein Eindruck – zentrale Säulen Kultureller Bildung nicht infrage. Es zeichnen sich indes Veränderungen ab, die nicht nur historische Linien weiterentwickeln, sondern die weitere Impulse einläuten könnten:
- Das Verständnis der Künste und ästhetischen Praktiken ist spätestens mit den Themen Diversität und Digitalität einem massiven gesellschaftlichen Wandlungsprozess unterworfen. Längst hat sich ein enger und auf Künste oder Hochkultur begrenzter Begriff als obsolet erwiesen, was sich auch im Diskurs und in der Praxis Kultureller Bildung spiegelt. Je weiter aber der „Kultur“-Begriff genutzt und auch zusehends kritisch reflektiert wird, um so mehr stellt sich die Frage, was der zentrale Gegenstand Kultureller Bildung ist, wie sich also ihre Spezifik fachlich-methodisch beschreiben und entwickeln, in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung erklären und auch strukturell-politisch fassen lässt.
- Das Bildungsverständnis Kultureller Bildung fußt auf bestimmten anthropologischen und kulturellen Annahmen dessen, was Subjekte und Identität auszeichnet und wie Prozesse der Subjektivierung verlaufen. Bildung als subjektive Seite von Kultur ist untrennbar mit Subjektivierung und Subjektivität verbunden. Spätestens mit der digitalen Transformation hin zu Künstlicher Intelligenz oder mit Theorien zum Posthumanismus werden diese Grundannahmen neu verhandelt, Debatten, wie sie auf kubi-online gerade erst sichtbar werden. Wie lässt sich die Idee vom kritischen Subjekt, das der Aufrechterhaltung des aufklärerischen Modus (Leeker 2022) und auch vielen Leitideen Kultureller Bildung entspricht, halten bzw. den Transformationen entsprechend weiterentwickeln?
- Der Begriff „Kulturelle Bildung“ und seine Konzepte geraten von zwei Seiten unter Druck – sowohl in Hinsicht auf „Kultur“ als auch bezüglich „Bildung“. Dieser Druck wird im Zuge der Transformation oft positiv gerahmt und inhaltlich-fachlich verhandelt, ist aber letztlich Ausdruck gesellschaftlicher und politischer Krisen und Transformationen, zu denen sich Kulturelle Bildung positionieren muss. Längst ist auch Kulturelle Bildung vom Verteilungskampf um Aufmerksamkeit, Deutungshoheit und Ressourcen betroffen – nach innen wie nach außen. Daher sind die Akteur*innen – die Praxisbezogenen, die Forschenden, die Lehrenden, die Politischen – gefordert, den Begriff „Kulturelle Bildung“ weiterhin nicht nur auf seine Eigenständigkeit, Anschlussfähigkeit und Tragfähigkeit in den Bereichen von Jugend, Bildung/lebensbegleitendes Lernen und Kultur sowie zu allen verknüpften gesellschaftlichen Bereichen hin zu prüfen, sondern ihn offensiv in Debatten einzubringen, weiterzuentwickeln und zu stärken. Und dies sollte mindestens in dreierlei Hinsicht geschehen: als fachliches Konzept, als strukturelle Weiterentwicklung und ebenso als politische Strategie.
Gerade ein Begriff, der in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Funktionen erfüllt, braucht Plattformen für den gemeinsamen Diskurs. - Die Anforderungen und Ansprüche wachsen. Im Feld der Kulturellen Bildung gibt es dazu bereits historisch viele Programmatiken, z.B. „Kultur für alle“. Durch die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen nehmen, dieser Eindruck entsteht, Programmatiken eher zu. Gesellschaftliche Transformationsdiskurse sind in der Kulturellen Bildung längst angekommen, aber: „Wenn die Programmatik prominenter wird als die Praxis, besteht dann nicht die Gefahr der Überfrachtung der Praxis?“ (Sting 2017). Inwieweit und wann aus Programmatiken (neue) Paradigmen werden, wo normativ-ideologische Überformungen oder politische Instrumentalisierungen stattfinden könnten und wie es um Kulturelle Bildung als Ort für Aushandlung, als kritisches Korrektiv, als Plattform für unterschiedliche Werthaltungen zukünftig tatsächlich bestellt ist, das wären zentrale Fragestellungen.
- Auf kubi-online finden sich reichhaltige theoretisch-konzeptionelle Grundlagen, gesellschaftliche Diskurse und Praxisbeschreibungen zu Kultureller Bildung. Perspektiven auf die Träger- und Förderstrukturen Kultureller Bildung dagegen fehlen vielfach. Diese Akteur*innenstrukturen sind aber nicht nur in die fachlichen und gesellschaftlichen Kontexte eingebettet, sondern sind Gestaltungsakteur*innen bzw. Schaltstellen. Sie ‚übersetzen‘ z.B. Theorie unter den politischen Bedingungen in Praxis. Durch diesen engen Zusammenhang sollten dringend gouvernementale Perspektiven auf der Wissensplattform gestärkt werden – sowohl als Reflexion der Praxis zu ihren Rahmenbedingungen, als auch als Forschung zum öffentlichen System Kultureller Bildung oder zu zivilgesellschaftlichen Trägerstrukturen, zu Förderstrategien oder zu struktureller Transformation und Innovation.
Und hier schließt sich der Kreis: Die Differenzierung und Diversifizierung Kultureller Bildung in unterschiedliche Handlungs-, Professions-, Forschungs- und Politikfelder hat einerseits dazu beigetragen, dass Kulturelle Bildung starke und breite Relevanz entfalten konnte. Zugleich sind die Fragen, wie sie auf kubi-online kaleidoskopartig betrachtet werden können, oft sehr spezifisch und kleinteilig. Die Autor*innen versuchen i.d.R., diese Einzelaspekte in größere Zusammenhänge einzubetten. Welche Eindrücke dennoch bspw. entstehen: Obwohl gesellschaftliche Fragen verhandelt werden, fehlt i.d.R. eine gesellschaftspolitische undinsbesondere eine gesellschaftskritische Perspektive, die über das Einzelthema hinausweist. Obwohl einzelne Sparten ihre spezifische Wirksamkeit aufzeigen können, mangelt es i.d.R. an einer Kontextualisierung in übergreifende Diskurse. Wichtige inhaltlich-methodische oder auch akademische Debatten laufen so Gefahr, einem Rückzug in die Fachlichkeit und der Selbstreferenzialität Vorschub zu leisten. Kulturelle Bildung nicht nur als gesellschaftspolitisches Feld, sondern als politische Akteurin wiederzuentdecken, wäre eine wichtige Aufgabe.