Theaterpädagogik in Pflegeeinrichtungen: Forschungsprojekt zur kulturellen Teilhabe von Menschen mit Demenz

Artikel-Metadaten

von Jessica Höhn, Stefanie Seeling, Franziska Cordes

Erscheinungsjahr: 2020

Peer Reviewed

Abstract

Aktuell sind weltweit 50 Millionen Menschen an Demenz erkrankt, laut Weltgesundheitsorganisation wird sich die Zahl bis 2050 fast verdreifachen. Zwangsläufig erfordert diese Prognose ein Umdenken in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen. Das Forschungsprojekt TiP.De – Theater in der Pflege von Menschen mit Demenz an der Hochschule Osnabrück/Campus Lingen widmete sich dieser Herausforderung. In einer dreijährigen Untersuchung wurde ein theaterpädagogisches Konzept entwickelt, in zwei Pflegeeinrichtungen implementiert und dessen Wirksamkeit überprüft. Dabei lautete die forschungsleitende Fragestellung: Welche Auswirkungen haben theaterpädagogische Methoden auf die Lebensqualität, das agitierte Verhalten und den Krankheitsverlauf von Menschen mit Demenz im Setting der Altenpflege? Im Prä-Post-Vergleich zeigten die Ergebnisse, dass der Einsatz theaterpädagogischer Methoden zu einer Stagnation der Erkrankung und einer deutlichen Verbesserung emotionaler und sozialer Effekte führen kann.

Hintergrund

Im interdisziplinären Forschungsprojekt TiP.De – Theater in der Pflege von Menschen mit Demenz der Hochschule Osnabrück/ Campus Lingen widmeten sich Theaterpädagogik und Pflegewissenschaft einem bisher wenig erforschten Praxisfeld. Aufgrund des demographischen Wandel steigt die Zahl der älteren Menschen in unserer Gesellschaft und damit auch die Zahl derer, die an einer Demenz erkrankt sind. Während 2018 fast 1,9 % der Bevölkerung in Deutschland betroffen sind, gehen Expert*innen von einem Anstieg auf 3,4 % im Jahr 2050 aus (vgl. Alzheimer Europe 2019). Menschen mit Demenz benötigen eine individuelle und bedürfnisorientierte Versorgung, die ihnen weiterhin eine Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ermöglicht (Storm 2018:197). Der Mangel an qualifiziertem Fachpersonal in der Altenpflege erschwert die Entwicklung neuer, bedürfnisgerechter Angebote (vgl. DiP 2018). Diese Entwicklung kann nur mit deutlichen Veränderungen des Pflege- und Gesundheitssystem bewältigt werden. Eine adäquate Betreuung für Menschen mit Demenz „braucht verschiedene Akteure, die ihre jeweilige Expertise zum Wohle der Betroffenen einbringen“ (Nebauer/de Groote 2011:49). Durch eine Integration von Fachkräften der Kulturellen Bildung kommt eine neue Berufsgruppe ins Team, die die individuelle Betreuung durch kreative (Gruppen-)Angebote bereichern kann. Kulturelle Veranstaltungen sind wertvolle und perspektivisch wichtige Angebote, die einen „zentralen Schlüssel zu sozialer Teilhabe, zur Lebensqualität und Zufriedenheit, zu sinnerfüllter Zeit und damit zu einem erfolgreichen Altern“ darstellen (Wickel 2011:15). Sie ermöglichen dem Menschen, nach dem Einzug in eine Pflegeeinrichtung die eigene Persönlichkeit zu bewahren, sich künstlerisch zu entfalten, im sozialen Austausch mit anderen zu sein und das Zusammenleben kreativ mitzugestalten. Erste Erhebungen zeigen einen positiven Einfluss auf die Teilnehmenden, wobei noch eingeschränkte wissenschaftliche Evidenz besteht (van Dijk/van Weert/Dröes 2012:372 ff.; Boersma et al. 2019:784 ff.; Tischler et al. 2019:2).

Forschungsdesign

Im Fokus der dreijährigen Forschung stand das Ziel ein Interventionskonzept für Menschen mit Demenz im Setting der Altenpflege zu entwickeln, zu implementieren und auf seine Wirksamkeit hin zu evaluieren. Konkret wurde der Frage nachgegangen: Welche Wirkungen haben theaterpädagogische Gruppenangebote auf die Lebensqualität, das agitierte Verhalten, die Emotionalität und den Krankheitsverlauf von Menschen mit Demenz? Die Studie sollte nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse generieren und methodische Standards setzen, sondern auch Orientierung in einem theaterpädagogisch bisher wenig erprobten Praxisfeld geben. In der konkreten Umsetzung wurden theaterpädagogische Interventionen in zwei Altenpflegeeinrichtungen durchgeführt. Insgesamt wurden im Frühling und im Herbst 2018 vier Interventionszyklen durchlaufen. Ein Zyklus gliederte sich in zehn Interventionseinheiten, die zwischen 45 und 70 Minuten andauerten und einmal pro Woche zu einem festgelegten Zeitpunkt stattfanden. Neben den ausgewählten Bewohnern*innen waren die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Theaterpädagogik als Spielleitung, eine Demenz-, bzw. gerontopsychiatrische Fachkraft als Spielbegleitung und die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Pflegewissenschaft als Beobachterin im Raum (vgl. Höhn/Seeling/Cordes 2018). Die Datenerhebung und -auswertung wurde im Mixed-Methods-Designs durchgeführt. In einer Prä- Posterhebung wurden als Instrumente das QUALIDEM 2.0 (Dichter et al. 2016:10 ff.), die Cohen-Mansfield Agitation Inventory (CMAI) (Finkel/Lyons/Anderson 1992:488ff.; Radzey 2009:78 ff.), die Heidelberger Instrumente zur Erfassung der Lebensqualität demenzkranker Menschen (HILDE-ES) (Becker et al. 2005:120) und der Mini-Mental-Status-Test (MMST) (Folstein/Folstein/McHugh 1975:196) angewandt. Die erfassten quantitativen Daten wurden mit den qualitativen Ergebnissen aus Gesprächen mit den teilnehmenden Menschen mit Demenz und den Fachkräften kombiniert. Hierfür wurden die einzelnen Einheiten videografisch dokumentiert (vgl. Seeling/Cordes/Höhn 2018).

Stichprobe

Insgesamt nahmen 30 Menschen mit Demenz an dem dreijährigen Forschungsprojekt teil. 80 Prozent der Teilnehmenden waren weiblich und im Mittel 85,02 (±5,95) Jahre alt. Voraussetzungen für die Teilnahme waren das Vorliegen einer leicht bis schwer ausgeprägten Demenz (exklusive Korsakow-Syndrom) als gesicherte medizinische Diagnose (Mini-Mental-Status-Test 12,7 (+/-4,16)), krankheitsspezifische Pflegediagnosen, operationalisiert nach den European Nursing Care Pathways® (ENP), sowie die gesicherte Mobilität durch Rollstuhl oder Rollator. Im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs wurde den potentiell Teilnehmenden das Forschungsvorhaben in leichter Sprache erläutert, die informierte Einwilligung der Teilnehmenden und der gesetzlichen Betreuung eingeholt (vgl. Seeling/Cordes/Höhn 2018).

Ethischer Diskurs

In der Vorausauswahl zeigten einige Teilnehmende und deren gesetzliche Betreuung große Vorbehalte gegenüber dem Theaterspielen und der Intervention selbst. Dies war sowohl auf fehlende Erfahrungen mit dem Medium Theater als auch auf Sorge vor Diskreditierung zurückzuführen. Um den ausgewählten Personen diese Angst zu nehmen, wurde stets die Freiwilligkeit zur Teilnahme kommuniziert. Vor jeder Interventionseinheit wurde von den Mitarbeitenden der Pflegeeinrichtung an das Angebot erinnert und erneut das Einverständnis erfragt. Die Beteiligten konnten jederzeit und ohne Konsequenzen von der Studienteilnahme zurücktreten.

Vor der praktischen Umsetzung des entwickelten Interventionskonzepts wurde ein Votum der Ethik-Kommission der Hochschule Osnabrück eingeholt (Votum HSOS/2017/1-7). Die Kommission beriet die Forschenden zum ethisch vertretbaren Vorgehen im Studienverlauf und sensibilisierte das Team für die Arbeit mit einer vulnerablen Zielgruppe. Für den Fall einer Krisensituation wurde ein Handlungsplan entwickelt, der in kritischen Situationen greifen und negative Folgen abwenden sollte. Im Verlauf der Intervention ist kein Eingreifen im Sinne einer Krisenintervention erforderlich gewesen.

Interventionskonzept

Das theaterpädagogische Interventionskonzept formulierte sich aus dem wissenschaftlichen Design der Studie und verknüpfte theaterpädagogische Methoden mit erprobten Konzepten aus der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz. Es galt eine ausgewogene Balance zwischen den strukturellen Bedingungen einer Pflegeeinrichtung und den Bedürfnissen einer vulnerablen Zielgruppe zu finden und dabei künstlerisch-methodisches Handeln in forschungsstrukturellen Rahmenbedingungen mit naturwissenschaftlichen Qualitätsansprüchen einzubetten. Das Interventionskonzept sollte mehrfach anwendbar sein und nach dem Projekt in die Praxis implementiert werden. Auch musste jede Einheit möglichst identisch sein, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Gleichzeitig wurde versucht sich nach den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmenden zu richten, die in der Ausprägung ihrer Erkrankung und ihrem Tagesbefinden sehr unterschiedlich waren. Folgte der Ablauf jeder Interventionseinheit stets der festgelegten Konzeption, konnte ein Gleichgewicht zwischen dem engen Forschungssetting und den heterogenen Bedürfnissen der Teilnehmenden nur durch eine individuelle Anpassung der Dauer, sowie einer methodischen Modifikation gelingen.

Didaktische und methodische Grundlagen

Theatralität war der Ausgangspunkt des Gesamtkonzeptes und zusammen mit dem Ansatz der Integrativen Validation® (IVA) bildeten sie den Bezugsrahmen der Studie. IVA ist in der Pflege von Menschen mit Demenz ein praxiserprobtes Konzept und orientiert sich an deren Lebenswelt (vgl. Richard/Richard/Gunzelmann 2016). Auf dieser Grundlage wurde in den Interventionen eine Atmosphäre geschaffen, die frei von Voraussetzungen und Erwartungen war. Es wurde ein zweckfreier Raum etabliert, in dem sich die Teilnehmenden wohlfühlen konnten, der ihnen Sicherheit gab und in dem der Mensch mit Demenz die Regeln der Interaktion mit den vorhandenen Fähigkeiten und Kompetenzen bestimmen konnte (vgl. Höhn 2016). So entstand im Zeit-Raum-Gefüge des Theaterspielens ein „kommunikatives Vakuum“ (Ruping, 2001:12ff.), das von den Teilnehmenden gestaltet wurde. Gemeinsame Regeln und Rituale fanden hier ihren Platz, Vereinbarungen wurden getroffen, die nur für die Zusammenarbeit in dieser Gruppe, an diesem Ort, zu genau dieser Zeit galten. Vordefinierte Ziel- und Rollenzuschreibungen (in der Pflegeeinrichtung) traten in den Hintergrund.

Thematische Ausrichtung

Jede Interventionseinheit war thematisch in sich abgeschlossen, da aufgrund der Erkrankung nicht auf vorhandenes Wissen aus vorherigen Terminen aufbaut werden konnte. Es wurde nicht auf eine Aufführung hingearbeitet, sondern ästhetische Erfahrungen des ‚Spielens im Moment‘ standen im Mittelpunkt. Ausgangspunkt waren allgemeingültige Anlässe oder (Handlungs-) Gewohnheiten, die den Teilnehmenden vertraut waren. Sie orientierten sich an einem Oberthema, welches vor Beginn der Interventionen aus der kollektiven Erinnerungskultur der Teilnehmenden formuliert wurde. Im Mittelpunkt stand das ‚Leben auf dem Lande’ mit dem Fokus auf den Verlauf der Jahreszeiten in ländlichen Strukturen (Höhn/Seeling/Cordes 2018:54).

Beobachtungen in den Interventionen

Im Theaterspiel von Menschen mit Demenz war ein ständiges Flanieren zwischen spielerischen Momenten, meta-spielerischer Kommunikation über die Szene, sowie eine wiederholte Verständigung über das Setting selbst zu beobachten. Gleich einer prozessualen Dramaturgie, die sich ins szenische Spiel schiebt, folgten die Teilnehmenden konzentriert dem Agieren der Anderen, sind aktiv (und ungefragt) in die spielerische Handlung mit eingestiegen oder äußerten sich von außen verbal zum Geschehen. Unter der Prämisse der Darstellenden Kommunikation (vgl. Günther/Ruping/Wiese 2006) unterliegen solche kommunikativen Prozesse einer ästhetischen Funktion, gerahmt durch die gemeinsame Spielidee. Agierend, mitten im Fokus der anderen, entwickelte sich eine spielerische Präsenz, die die Beteiligten in eine neue Beziehung treten ließ. Die Teilnehmenden nahmen dabei keine reflexive Distanz zum Theaterspiel ein. Sie agierten im Moment und ‚spielten im Spiel‘. Es entwickelte sich eine gemeinsame Geschichte – eine Beziehung im dritten Raum des spielerischen Moments. Unter dieser Voraussetzung stand ‚handeln‘, vor ‚verstehen‘.

Die Struktur jeder Einheit kennzeichnet das Motiv der Wiederholung. Eine regelmäßig wiederkehrende, sich in Form und Ablauf ähnelnde Struktur bot den Teilnehmenden Sicherheit. Wiederholungen festigen neue Erfahrungen und vermitteln Menschen mit Demenz das Gefühl von Selbstwirksamkeit (Oerter 2013:307 ff.). Es entstanden Routinen, die Orientierung gaben und trotz der Erkrankung erinnert wurden.

Zur Herstellung einer theatralen Atmosphäre an einem bühnenfernen Ort, wie einer Pflegeeinrichtung, wurden Theatermittel zu atmosphärischen Verstärkern (Schouten 2005:13). Die Auswahl der Materialien orientiert sich nicht nur am thematischen Leitmotiv, sondern auch an der „performativen Qualität des Objekts“ (ebd.:15). Hierzu zählten Gegenstände mit einer besonderen Wirkung, die sich multisensorisch erfahren ließen. Die Materialien wurden zum Narrativ, in der die zu erzählenden Inhalte über möglichst alle Wahrnehmungskanäle erlebbar und zugänglich gemacht wurden. Sie waren Impulsgeber für den Einstieg in die theatrale Spielgeschichte und luden zum biografischen Erzählen ein. In Verbindung mit Theatermitteln gelang der Einstieg in die Szene auch über einen spielerischen Handlungsimpuls, der keine Worte brauchte.

Ebenso waren imaginative Stimuli ein Impuls zum Theaterspielen. Mit dem Motiv: ‚Handle so, als ob‘ oder ‚Handle so, als wenn‘ wurde reales Tun in einer fiktiven Situation ausgeführt und es kam zu einer Verbindung von Imagination und Handlung (vgl. Stanislawski 1983). Die Aktionen entwickelten den Charakter einer szenischen Behauptung, die spielerische Interaktionen in der Gruppe anregte. Es entstanden ästhetische Momente, die sich im kollektiven Spiel zeigten oder sich auch in kleinen, individuellen Sequenzen in- oder unterhalb des Spielbogens manifestierten, die nicht wiederholbar waren. Voraussetzung für den Wechsel in die Fiktion war nicht nur das gleiche „Wissensrepertoire“ über das gemeinsame Motiv, sondern auch eine Sensibilität in der Interaktion mit dem Gegenüber (Oerter 2013:45). So wurden die Teilnehmenden von Spielleitung und -begleitung stets in der Rolle des Experten angesprochen und alle agierten gleichberechtigt im Spiel (Höhn 2016:149 ff.).

In den Interventionen übernahm die Spielbegleitung pflegerische Aufgaben, reagierte auf gesundheitliche Veränderungen und achtete besonders auf Teilnehmende, die nur eingeschränkt hören und sehen konnten. Auch gewährleistete sie eine Kontinuität für die Gruppe, da sie nach Ende des Forschungsprojekts ein fester Bezugspunkt in der Einrichtung blieb (Höhn/Seeling/Cordes 2018:54).

Ergebnisse der Forschung

Zu Beginn der Studienteilnahme waren die Teilnehmenden im Mittel 85,02 Jahre (±5,95) Jahre alt, wobei die gesamte Altersspanne zwischen 74,67 und 96,57 Jahren lag. Sie lebten im Durchschnitt 1,67 Jahren (±0,82) in den Pflegeeinrichtungen. 80,0 % der Teilnehmenden waren weiblich. Im gesamten Studienverlauf wurde ein Drop-Out von 10,0 % verzeichnet. Der Prä-Wert der Messung der kognitiven Einschränkungen und des Demenzgrades lag im Mittel bei 12,70 (±4,16). Die Gesamtstichprobe der Teilnehmenden wies im Durchschnitt eine mittelschwere dementielle Erkrankung auf. Der Post-Wert nach Abschluss der zehnwöchigen Interventionszyklen zeigte eine leicht positive Veränderung der kognitiven Einschränkungen und des Demenzgrades auf 13,26 (±4,45), welche jedoch statistisch nicht signifikant war (p=0,27). Auch die Steigerung des Gesamtwertes der Lebensqualität war nicht signifikant (p=0,19). Allerdings waren bei der Betrachtung der einzelnen Subskalen des Qualidem 2.0 drei Veränderungen als positiv signifikant zu verzeichnen. Der Wert der Subskala Negativer Affekt stieg signifikant (p=0,00) von 75,37 (±18,15) auf 88,89 (±12,23) an. Ähnlich verhielt es sich mit der Subskala Soziale Isolation, deren Werte von 79,26 (±16,69) auf 89,30 (±11,83) signifikant (p=0,02) anstiegen. Auch die Subskala Sich zuhause fühlen entwickelte sich signifikant (p=0,01) von 74,58 (±17,14) auf 84,10 (±19,55) und wies ebenfalls auf eine Steigerung der Lebensqualität hin. Es zeigte sich in der Gesamtstichprobe, dass während des Interventionszyklus die positiven Stimmungslagen im Gesamteindruck von 36,7 % auf 52,0 % wesentlich deutlicher zunahmen als die negativen Stimmungslagen, die von 3,3 % auf 4,0 % anstiegen. Nicht erkennbare Stimmungslagen reduzierten sich deutlich von 60,0 % auf 44,0 %. Wenngleich die Aussagekraft der Ergebnisse aufgrund der geringen Zahl an Teilnehmenden begrenzt ist und eine Übertragbarkeit auf andere Versorgungssituationen nicht ohne Anpassungen möglich erscheint, so zeigt sich, dass theaterpädagogische Methoden einen positiven Beitrag für Menschen mit Demenz leisten.

Diskussion der Forschungsergebnisse

Das Forschungsprojekt TiP.De ist eine Pilotstudie, welche als erste Methoden der Pflege und Theaterpädagogik in der Versorgung von Menschen mit Demenz in Pflegeeinrichtungen kombinierte. Die Stichprobe ist insgesamt klein und sogar kleiner, als vorher erwartet. Dadurch konnten ausschließlich nichtparametrische Tests in der Auswertung verwendet werden, die die Aussagekraft und Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse eingeschränkt. Die generierten Testergebnisse sprechen trotz dieser Einschränkungen für den positiven Effekt des entwickelten Interventionskonzeptes. Sie zeigen, dass sich der Grad einer progredienten Erkrankung und das Vorkommen des agitierten Verhaltens während der zehn Wochen nicht signifikant veränderte. Auch die Zahl der Menschen mit Demenz, die im Verlauf der Studie ausgeschieden sind, war wesentlich geringer als erwartet und hinsichtlich der Krankheits- und Altersstruktur der Stichprobe ungewöhnlich niedrig (vgl. DGN/DGPPN 2016: 91). Die emotionalen Reaktionen auf verschiedene Impulse während der Interventionseinheiten waren äußerst positiv und zeigten sich durch herzliches Lachen und Scherzen, rege Beteiligung am Geschehen durch Erzählungen und durch Interaktion mit den anderen Teilnehmenden, was kein übliches Verhalten dementiell erkrankter Personen ist. Die zu Beginn des Angebots geäußerten Vorbehalte gegenüber der Theaterpädagogik wechselten in Vorfreude auf die nächsten Stunden. Zwischen zwei Teilnehmenden ist im Verlauf der zehn Interventionseinheiten eine Freundschaft entstanden. Eine der Pflegenden schilderte, dass ein Teilnehmender sie am Abend nach einer Theatereinheit darum bat, ihm sein Strohbett für die Nacht herzurichten. Das Interventionskonzept wirkte sich nicht nur auf die Beteiligten selbst aus, es war in der gesamten Einrichtung spürbar. Die wöchentliche Vorbereitung des Raums und das Zusammenkommen einer Gruppe in einem sonst für alle Bewohner*innen zugänglichen Aufenthaltsraum erregte Interesse für das Angebot. Durch die Integration der Interventionseinheiten in den Alltag der Pflegeeinrichtungen erlebten die beteiligten Mitarbeiterinnen einen Wissenszuwachs.

Fazit

Die Erkenntnisse des Forschungsprojekts TiP.De zeigen, dass es ein Anliegen der Kulturellen Bildung sein sollte, neue Wege in der Gestaltung des Alltags in einer Pflegeeinrichtung zu finden. Eine Institution der Altenpflege sollte als offener Begegnungsort für ein kulturelles Miteinander verstanden werden. Ein Erlebnisort, wo sich Pflegende und Bewohner*innen gemeinsam als Subjekte, nicht als Objekte eines Systems erleben können, in denen ein zweckfreies Miteinander (theaterspielend) und sich Begegnen möglich ist. Auch eine Öffnung eines regelmäßigen (Theater-)Angebots für Angehörigen kann sinnvoll sein. So könnte sich die persönliche Intention des Besuchs in der Pflegeeinrichtung, von einem Pflichtbesuch hin zu einer erfüllenden Zeit verändern. „Ohne eine Innovation in der Angebotsstruktur kann gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe nicht gelingen. Es muss sich eine ‚Ermöglichungsstruktur‘ für die kulturelle Teilhabe Älterer etablieren, die innovativ, kreativ und eigensinnig denkt und handelt“ (vgl. Lauterbach-Dannenberg: Kulturelle Teilhabe Älterer in ländlichen Räumen – Ermöglichungsstrukturen schaffen durch Innovation, Vernetzung, Partizipation und Eigensinn).

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Anmerkungen

Das theaterpädagogische Interventionskonzept erscheint im Sommer 2020 als Praxishandbuch. Es dient Fachkräften aus Theaterpädagogik und Pflege als Handreichung zur Theaterarbeit mit Menschen mit Demenz in der stationären Altenpflege.

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Jessica Höhn, Stefanie Seeling, Franziska Cordes (2020): Theaterpädagogik in Pflegeeinrichtungen: Forschungsprojekt zur kulturellen Teilhabe von Menschen mit Demenz. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/index.php/artikel/theaterpaedagogik-pflegeeinrichtungen-forschungsprojekt-zur-kulturellen-teilhabe-menschen (letzter Zugriff am 16.07.2024).

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