Das Studium der Kulturvermittlung an Hochschulen in Deutschland
Abstract
Das Angebot an Studienmöglichkeiten der Kulturvermittlung in Deutschland ist in den letzten 35 Jahren stark gestiegen: Waren es 1987 noch elf Studiengänge der Kulturpädagogik, die bei einer ersten Bestandaufnahme durch die Kulturpolitische Gesellschaft e.V. erfasst wurden, so konnten Anfang der 1990er Jahre in einem Forschungsprojekt bereits 43 Studienangebote der Kulturpädagogik, Kulturarbeit und Kulturellen Bildung (vgl. Liebald/Wagner 1993) verzeichnet werden. Wenn auch die Angaben nur bedingt vergleichbar sind (aufgrund von leicht divergierenden Grundgesamtheiten) zeigen sie eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die Umgestaltung in Bachelor- und Masterangebote noch deutlich verstärkt hat. Im Dezember 2011 existierten 364 Studienangebote der Kulturvermittlung an Hochschulen in Deutschland. Dies ist ein Ergebnis des Forschungsprojektes „Studium – Arbeitsmarkt – Kultur“, das das Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. von 2008 bis 2011 durchgeführt hat. Ziel des Projektes war es unter anderem, einen Überblick über die Studienangebote der Kulturvermittlung zu erarbeiten (vgl. Blumenreich 2012). Ausgewählte Aspekte der Studienlandschaft werden in diesem Beitrag vorgestellt.
Begriff der Kulturvermittlung
Der Begriff „Kulturvermittlung“ wird im wissenschaftlichen Diskurs und in der praktischen Arbeit mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht, nicht selten wird er auf ein ausschließlich kulturpädagogisches Verständnis reduziert. Im o.g. Forschungsprojekt wurde von einem deutlich weiteren Verständnis ausgegangen und die Definition von Birgit Mandel (Mandel 2008b:17) nochmals erweitert (siehe Birgit Mandel „Kulturvermittlung, Kulturmanagement und Audience Development als Strategien für Kulturelle Bildung“). Kulturvermittlung wird danach definiert als Analyse und Gestaltung der Beziehung zwischen kultureller Produktion, Rezeption und Distribution.
Bei den Studienangeboten wurden daher die Bereiche Kulturwissenschaft(en), Kulturmanagement, Kulturpädagogik, Kulturarbeit, Kulturjournalismus, Kulturphilosophie, Kulturelles Erbe, Kulturtourismus, Kultur und Technik, Kulturanthropologie/Ethnologie, Europäische Ethnologie/Volkskunde und Interkultur in die Untersuchung einbezogen, soweit sie – gemäß ihren Selbstdarstellungen und eigenen Internetpräsentationen – im weiten Verständnis für den Arbeitsmarkt Kulturvermittlung qualifizieren. Einbezogen wurden auch spartenspezifische Studienangebote wie beispielsweise Theaterpädagogik und Musikvermittlung sowie institutionenbezogene Studienangebote wie Bibliotheksmanagement. Berücksichtigt in struktureller Hinsicht wurden Aus- und Fortbildungsangebote der Kulturvermittlung an Hochschulen in Deutschland (eigenständige Studienangebote sowie Weiterbildungsangebote mit Zertifikatsabschluss), die mit einem Bachelor, Master, Magister, Diplom oder sonstigem Zertifikat abschließen.
Nicht erfasst wurden ausschließlich auf die künstlerische Produktion und ausschließlich auf Medien ausgerichtete Studienangebote.
Stetige Veränderungen der Studienangebotslandschaft
Die Landschaft der Studienangebote befindet sich in stetiger Veränderung. Allein zwischen 2008 und 2011 entstanden 63 Studienangebote, von denen sich 47 aus bereits existierenden Disziplinen entwickelt haben. 16 sind vollkommen neu eingerichtet worden. Sieben haben in dieser Zeit ihren Betrieb eingestellt. Eine Reihe von Studienangeboten hat in den letzten Jahren die Bezeichnung geändert, etwa von „Kultur- und Medienmanagement“ zu „Arts and Media Administration“, von „Kulturpädagogik“ zu „Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis“, von „Musikjournalismus für Rundfunk und Multimedia“ zu „KulturMedia Technologie“. Teilweise sind mit den Namensänderungen auch inhaltliche Neuausrichtungen der Studienangebote verbunden, teilweise sind sie auf neue Marketingkonzepte zurückzuführen. Neben der Änderung der Bezeichnungen der Studienangebote wechseln nicht selten auch die Studiengangsverantwortlichen.
Inhaltliche Ausrichtung der Studienangebote
Bei der inhaltlichen Ausrichtung dominieren bezogen auf die Bereiche der Kulturvermittlung die Kulturwissenschaft(en), das Kulturmanagement und die Kulturpädagogik.
Die Grafik (Abb. 1) zeigt, dass etwa die Hälfte der ermittelten Studienangebote in den Bereichen Kulturwissenschaften(en), Kulturmanagement und Kulturpädagogik zu verorten sind (25 % Kulturwissenschaften, 13 % Kulturmanagement, 12 % Kulturpädagogik). Kleinere Anteile in den Nennungen verzeichnen die Bereiche Interkultur (6 %), Kulturanthropologie/Ethnologie, Kultur und Medien sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde (je 5 %) und Kulturarbeit (4 %). Noch geringere Anteile werden in den Bereichen Kulturjournalismus, Kulturelles Erbe, Kultur und Technik, Kulturphilosophie sowie Kulturtourismus offeriert.
Unter den Studienangeboten überwiegen mit 59 % diejenigen mit Spartenbezug. Den größten Anteil unter den Sparten weisen Medien (37 %) und Musik (36 %) auf. Es folgen Tanz/Theater (21 %), Literatur/Bibliothek (18 %), Bildende Kunst (14 %) und Musik (13 %). Jeweils weniger als 10 % der Studienangebote weisen Spartenbezüge zur Kinder- und Jugendkultur, zur Soziokultur, zum Museum oder zur Baukultur auf.
Ein Problem für die Orientierung und Einschätzung besteht darin, dass selbst gleichnamige Studienangebote häufig unterschiedlich inhaltlich gefüllt sind, umgekehrt unter unterschiedlichen Studiengangsbezeichnungen auch gleiche inhaltliche Elemente zu finden sind (siehe dazu auch die Studiengangsprofile in der Datenbank unter www.studium-kultur.de).
Berufsfelder
Die Studienangebote bilden für eine Vielzahl an Berufsfeldern aus bzw. weiter, wie in der nebenstehenden Grafik (Abb. 2) dargestellt.
Neben dem eigentlichen Berufsfeld Kulturvermittlung sind es insbesondere Wissenschaft und Forschung (64 %), Kulturmanagement (62 %), Medien (60 %) und Kulturelle Praxis (58 %), für die die Studienangebote aus- bzw. weiterbilden. Im mittleren Bereich mit Werten zwischen 49 und 34 % der Nennungen sind es die Berufsfelder Lehre/Bildung/Pädagogik, Kulturverwaltung, Kulturberatung, Kulturplanung, Kulturpolitik, Interkultur sowie Werbung/Marketing. Jeweils weniger als ein Drittel der Studienangebote zielt auf die Berufsfelder künstlerische Praxis, Archiv/Dokumentation, Tourismus oder Denkmalpflege.
Dabei ist die Mehrheit der Studienangebote nicht (mehr) auf einen der drei Sektoren – den staatlichen, den privatwirtschaftlichen oder den frei-gemeinnützigen – festgelegt: 52 % der Studienangebote bilden für alle drei Sektoren aus bzw. weiter. Etwa ein Drittel hat jeweils zwei Sektoren für die zukünftige Tätigkeit ihrer AbsolventInnen im Fokus. 13 % der Studienangebote haben ihre inhaltliche Ausgestaltung auf lediglich einen Sektor ausgerichtet, dabei ist der Anteil mit dem Fokus auf den privatwirtschaftlichen Bereich mit 8 % am größten.
Struktur der Studienangebote
Das „Durchschnitts-Studienangebot“ wird an einer Universität offeriert, schließt mit einem Bachelor oder Master ab und ist ein Präsenz-Vollzeit-Studiengang.
Etwa zwei Drittel der Studienangebote der Kulturvermittlung werden an Universitäten vorgehalten. Deutlich geringer ist die Anzahl der Angebote an Fachhochschulen wie auch an Kunst- bzw. Musikhochschulen mit jeweils 16 %. Nur 3 % der Studienangebote finden sich an sonstigen Hochschulen, wie beispielsweise Wirtschafts- und Verwaltungsakademien.
Die Umwandlung der Studiengänge in Bachelor- und Masterstudiengänge als Auswirkung des Bologna-Prozesses ist weit vorangeschritten: Diplom oder Magisterabschlüsse sind fast gar nicht mehr vorgesehen. 43 % Studienangebote werden als grundständige Studiengänge mit Bachelorabschluss angeboten, etwas höher ist der Anteil der Masterstudiengänge mit 49 %. Der Anteil der Weiterbildungsangebote mit Zertifikatsabschluss liegt bei lediglich 5 %.
Bei fast allen Studienangeboten handelt es sich um Präsenz-Angebote (97 %). Bei 90 % handelt es sich um ein Vollzeitstudienangebot, nur 10 % der Studienangebote sind berufsbegleitend konzipiert.
Arbeitsmarktorientierung
Die Arbeitsmarktvorbereitung wird von den befragten StudiengangsleiterInnen als sehr wichtiges Ziel ihrer Studienangebote angesehen. Auf einer Skala von 1 (sehr wichtig) bis 5 (unwichtig) wird ein Durchschnittswert von 1,81 erreicht. Lediglich 5 % der StudiengangsleiterInnen betrachten die Arbeitsmarktvorbereitung in ihrem Studienangebot als „sehr wenig wichtig“ bis „unwichtig“.
Bei der Beurteilung der Umsetzung der Arbeitsmarktorientierung stellen sich die Studiengangsverantwortlichen selbst gute Noten aus. Fast drei Viertel der Antwortenden sind der Meinung, dass sie in ihren Angeboten eine sehr gute bzw. gute Arbeitsmarktorientierung erreichen.
Dabei verfolgen die Studienangebote durchaus unterschiedliche Strategien zur Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt: von einer direkten Orientierung auf als zukunftsträchtig eingeschätzte Berufsfelder über eine Orientierung auf das Entdecken von neuen Berufsfeldern bis hin zu einer fachspezifischen Fokussierung ohne engen Bezug zur beruflichen Praxis (letzteres wird aber von nur 16 Studiengängen als alleinige Strategie angegeben.)
Zur Arbeitsmarktorientierung setzen die Studienangebote unterschiedliche Methoden ein. In mehr als 80 % der Studienangebote werden Lehrkräfte aus der Praxis eingebunden, bei drei Vierteln in Form von Projekten mit Partnern aus der Praxis. Praktika sind weit verbreitet, in 68 % der Studienangebote ist das Absolvieren von mindestens einem Praktikum sogar Pflicht. Informationsveranstaltungen zum Arbeitsmarkt, z.B. durch Vorträge ehemaliger Studierender, finden sich in etwa 40 % der Studienangebote. Die Career Center haben in den letzten Jahren einen deutlichen Aufschwung erfahren; etwa ein Drittel der Studienangebote der Kulturvermittlung arbeitet inzwischen mit derartigen Einrichtungen zusammen, teilweise sind sie bereits Bestandteil der Hochschule. Dagegen ist die Zusammenarbeit mit Gründerzentren bislang noch wenig umgesetzt, lediglich 10 % der Studiengänge nutzen diese Möglichkeit.
Perspektiven der AbsolventInnen auf dem Arbeitsmarkt
Ähnlich positiv wie die Bedeutung des Ziels der Arbeitsmarktvorbereitung und deren Umsetzung im Studienangebot sehen die StudiengangsleiterInnen auch die beruflichen Perspektiven der AbsolventInnen. Auf einer Skala von 1 (sehr gut) bis 5 (sehr schlecht) wurde ein Durchschnittswert von 1,77 ermittelt.
Diese positive Einschätzung der Studiengangsverantwortlichen stimmt nicht unbedingt mit den Ergebnissen der Sekundärauswertung von Absolventenbefragungen überein, die im Rahmen des Projektes ebenfalls vorgenommen wurden (vgl. Jöhnk/Blumenreich 2011). Die Arbeitslosenraten der AbsolventInnen lagen danach jeweils zwischen 3 und 23 % und der Anteil an Teilzeit- und befristeten Stellen war erheblich. Auch die im Rahmen des Projektes durchgeführten Befragungen von Akteuren des Arbeitsmarktes, beispielsweise in Interviews mit 45 ExpertInnen aller Sektoren und Sparten, zeigen auf, dass die ExpertInnen überwiegend eine Verschlechterung der Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt Kultur erwarten. Etwa die Hälfte der ExpertInnen geht davon aus, dass ein Stellenabbau zu erwarten ist, dieser wird insbesondere für den öffentlichen Sektor prognostiziert. Aber es gibt durchaus auch optimistische Einschätzungen: mit einen Anstieg der Stellenanzahl rechnet etwa ein Viertel der befragten ExpertInnen (vgl. Blumenreich/Strittmatter/Iber-Rebentisch 2011).
Diskussionsanregungen
Anzahl der Studienangebote
Mit 364 Studienangeboten halten die Hochschulen in Deutschland ein sehr großes Angebot vor, das insbesondere in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist. Die Studienlandschaft ist dabei sehr vielfältig, strukturell ist allerdings auffällig, dass nur ein sehr geringer Anteil an berufsbegleitenden oder Fernstudienangeboten der Kulturvermittlung an Hochschulen offeriert wird.
Die hohe Anzahl an Studienangeboten hat die UntersucherInnen überrascht – aber vor allem die Studiengangsverantwortlichen selbst und auch die befragten VertreterInnen des Arbeitsmarktes.
Bemerkenswert ist, dass die StudiengangsleiterInnen in der Regel selbst keinen umfassenden Überblick über die Landschaft der Studienangebote haben. Dies zeigt sich sowohl in den Ergebnissen der Fragebogenerhebung und wird darüber hinaus in vielen persönlichen Gesprächen bestätigt, die während des Projektes mit Studiengangsverantwortlichen geführt wurden.
Vor diesem Hintergrund lassen sich zwei – zugegebenermaßen provokante – Fragen stellen:
>> Ist es notwendig, dass StudiengangsleiterInnen, Hochschulen, Verwaltung bzw. Länderministerien (und Politik) – also diejenigen Akteure, die Studienangebote planen, konzipieren, zulassen und umsetzen – einen Überblick über die bestehenden Studienangebote der Kulturvermittlung haben?
>> Gibt es ein Überangebot an Studiengängen der Kulturvermittlung?
Eine Antwort wird abhängig von der Betrachtungsperspektive sein: Vielleicht gibt es kein Überangebot mit Blick auf die Interessen der Hochschulen oder auf die Interessen von potentiellen Studierenden. Möglicherweise aber gibt es ein Überangebot in Bezug auf die auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden beziehungsweise auch noch zu schaffenden Stellen? (Interessanterweise ist ein Drittel der StudiengangskoordinatorInnen, die eine Bewertung hierzu abgegeben haben, selbst dieser Auffassung.)
Arbeitsmarktvorbereitung der Studienangebote
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es war nicht Grundannahme des Projektes, dass ein Studium an einer Hochschule eine Berufsausbildung darstellt, die „Fertigkeiten“ für einen konkreten Beruf vermittelt. Aber es war Grundannahme des Projektes, dass es Ziel eines Studiums an einer Hochschule ist, „employability“, also Beschäftigungsfähigkeit zu erreichen, wie es bereits im – inzwischen außer Kraft gesetzten – Hochschulrahmengesetz §2 formuliert war: „Sie [die Hochschulen] bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und wissenschaftlicher Methoden oder die Fähigkeit zur künstlerischen Gestaltung erfordern.“ Nach Auffassung der StudiengangsleiterInnen ist die Arbeitsmarktorientierung ein wichtiges Ziel der Studienangebote, welches bereits gut erreicht wird. Aber: Was beinhaltet denn eine gute Umsetzung von Arbeitsmarktorientierung, die Herstellung von „employability“ in einem Studienangebot?
In der Operationalisierung von „employability“ sieht etwa Jürgen Kohler die zentrale Herausforderung, die von den Hochschulen zu leisten ist: „Die Art und das Maß, in der bzw. dem das pädagogisch gelingt, wird über die Qualität und den Erfolg der Institution in der Lehre entscheiden“ (Kohler 2004:15). Aber ist dies wirklich eine Herausforderung, die die Hochschulen allein bewältigen können beziehungsweise müssen oder braucht es dafür weitere Partner? Wenn ja, welche Partner sollten in einen Diskussions- und Operationalisierungsprozess eingebunden werden? Und ist dafür bei den StudiengangsleiterInnen nicht ein Überblick über die Landschaft des Arbeitsmarktes bzw. eine Beschäftigung mit zu erwartenden Entwicklungen des Arbeitsmarktes erforderlich?
Die Perspektiven der Studierenden auf dem Arbeitsmarkt
Die StudiengangsleiterInnen schätzen die Perspektiven ihrer AbsolventInnen als sehr gut bis gut ein, der hier erzielte Durchschnittswert liegt bei 1,77. Aber: Wie viel soziale Erwünschtheit liegt in dieser Auffassung? Und was bedeuten „gute Perspektiven“ in einem zumindest teilweise prekären Arbeitsmarkt? Bedeutet es einen schnellen Einstieg in diesen? Bedeutet es eine existierende oder neu zu schaffende Arbeitsstelle, von der man leben kann? Bedeutet es eine möglicherweise neue, umfangreichere Gestaltungsfreiheit von Entscheidungen und Arbeitsinhalten? Für die Beantwortung nicht nur dieser Fragen bedarf es des Dialogs zwischen StudiengangskoordinatorInnen, AbsolventInnen, VertreterInnen des Arbeitsmarktes, der Verwaltung und der Politik.