Straße oder Jugendclub: Reaktivierung der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit in den neuen Bundesländern
Abstract
Ein dichtes Netz von Jugendklubs in der Stadt und auf dem Land existierte in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Diese Jugendklubs waren mit ihrer künstlerisch-kulturellen Zirkelarbeit, der gezielten Förderung junger Talente ebenso wie den breitenwirksamen Film-, Tanz- und Konzertveranstaltungen wohnortnahe Einrichtungen kultureller Teilhabe junger Menschen sowie deren Familien. Wie diese Einrichtungen sich nach der Auflösung der DDR veränderten, schildert der gekürzte Artikel aus dem Jahr 1993 exemplarisch anhand der Landschaft der kommunalen Kinder- und Jugendclubs der Stadt Halle an der Saale: Der Status quo von neun Kinder- und Jugendclubs wird vorgestellt und gibt Einblicke in deren räumliche, inhaltliche und personelle Situation der Nachwendejahre. Eine Befragung der Besucher*innen spiegelt zudem deren Lebensverhältnisse wider. Diese Ergebnisse werden in Vergleich mit der westdeutschen Alterskohorte gesetzt.
Aus der damaligen Perspektive wird abschließend der Frage nachgegangen, wohin sich die außerschulische Kinder- und Jugend(kultur)arbeit in den neuen Bundesländern entwickeln könnte. Und für die Gegenwart kann dieser Beitrag vielleicht Auskunft geben über das Woher – Wohin und warum der Osten heute noch so anders „tickt".
Jugendklubs in der DDR
Die regional breite Jugendklublandschaft der DDR am Ende der 1980er Jahre verdankt sich einem – auch von jugendlichen Selbstinitiativen mitgetragenen – expansiven Aus- und Neubau von Jugendfreizeiteinrichtungen, partiell auch von Kinderfreizeiteinrichtungen ab Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre. Diese Ausweitung realisierte sich demnach mit einer leichten zeitlichen Verzögerung in demselben Jahrzehnt, in dem in den Ländern der Bundesrepublik die offene Kinder- und Jugendarbeit personell und räumlich ihre bisher intensivste Expansionsphase erlebte.
Die Angaben über die tatsächliche Anzahl der Jugendklubeinrichtungen in der DDR variieren leicht. Ausgegangen wird allgemein von ca. 10.000 Jugendklubhäusern, Mehrraumjugendklubs und Jugendklubzimmern (vgl. Lindner 1991; Müller 1990). Die offizielle Statistik des Amtes für Jugendfragen der DDR erfasste 1988 allerdings lediglich 9.499 Jugendklubeinrichtungen in der Trägerschaft von Betrieben, Schulen, Universitäten und Hochschulen, staatlichen Organisationen und von Kommunen. Allein 6.797 ehrenamtlich verwaltete Jugendklubeinrichtungen befanden sich in kommunaler Trägerschaft. Die 823 hauptamtlich geleiteten Jugendklubs unterstanden ebenfalls zumeist den kommunalen Räten (vgl. Seidenstücker 1990; Weicht/Weicht 1992).
Allein in Berlin-Ost konnten in dem Zeitraum zwischen 1981 und 1985 2.356 neue Plätze für ältere Kinder und Jugendliche in Klubeinrichtungen geschaffen werden. Die Schaffung dieser Plätze erfolgte im Rahmen des neuen Wohnungsbauprogramms und stützte sich auf Meinungsumfragen, die festhielten, dass die qualitative Ausgestaltung und Beschaffenheit von Wohnumfeldern im starken Maße die Wohnzufriedenheit und das familiale Zusammenleben, aber auch die Art der kulturellen Aktivitäten beeinflusst (vgl. Aßmann/Winkler 1987). Die sozialistische Idealvorstellung, der zufolge mit der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln die entfremdende Differenz von Arbeit und Freizeit sich gleichfalls negiert und die Verwirklichung der individuellen Bedürfnisse zur gesellschaftlichen Aktivität avanciert, beförderte in diesem Zeitraum den Ausbau von staatlichen und halbstaatlichen Dienstleistungsangeboten in eine höhere Planungspriorität. Die Etablierung eines breitflächigen Freizeitangebotes entsprach vollends der programmatischen Intention, die Entwicklung der sozialistischen Lebensweise durch „sinnvolle", kulturelle Gestaltungen der Freizeit und „gesellschaftlich nützliche" Tätigkeiten zu fördern und zu sichern (Aßmann/Winkler 1987:138f.; vgl. auch Akademie der Pädagogischen Wissenschaften 1978). (…)
Der Freizeitbereich in der DDR war (...) mit einem hohen Bildungsanspruch belegt – zumindest auf der Proklamationsebene. So existierten neben den Jugendfreizeiteinrichtungen in nahezu allen größeren Kommunen Volkshochschulen. Musikschulen waren an 89 Orten zu finden. Im Kulturbund waren neben den (Alltags-)KünstlerInnen und (Alltags-)LiteratInnen auch die BriefmarkenfreundInnen und NumismatikerInnen organisiert. Die von ihnen, aber auch von den Kommunen, Betrieben und Gewerkschaften betriebenen 670 Kulturhäuser bildeten eine eigene Kulturraumlandschaft neben den Kultur„palästen" der staatlichen Organisationen wie der Freien Deutschen Jugend (FDJ), die Jugendorganisation, und dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) sowie der Polizei und Armee und den sieben Häusern des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi). Zusammen mit den 1.663 Volks-, Kinder-, Gewerkschafts- und Betriebsbibliotheken, den 66 Theatern und 450 Museen konstituierten sie das räumlich-institutionalisierte Tableau der Kulturarbeit in der DDR (vgl. Groschopp 1991). Und auch die quantitativ durchaus beachtliche „Kleingärtner-, Siedler- und Kleintierzüchterkultur" mit eigenen Bildungs- und Kulturhäusern prägte die Spezifik der realsozialistischen Alltagskultur unterhalb der Verlautbarungskultur ebenso mit wie die kleinen, aber durchaus lebendigen autonomen Jugendkulturen, Literaten- und Künstlerszenen. Darüber hinaus gab es etwa 2.400 künstlerische Interessengemeinschaften mit über 37.000 TeilnehmerInnen in den diversen Freizeiteinrichtungen (Zahlen für 1986). Die sich hier entwickelten „künstlerisch-kulturellen" Initiativen entsprachen allerdings nicht durchgängig den Erwartungen des zentralistischen Staats- und Parteiapparates. Die Selbstinitiative und die Eigenaktivitäten in den Projekten der kulturellen Arbeit wurden kritisch angefragt und zum Forschungsfeld. Unter anderem interessierte, welche „Gestaltung des Erziehungsprozesses zu beachten ist, wenn ein aktives Verhalten zu den Zielen und Aufgaben der Pionierorganisationen auf dem künstlerisch-kulturellem Gebiet herbeigeführt werden soll“ (Geidel 1978:8). Die Ergebnisse der Untersuchungen hielten fest, dass „die Herausbildung von Initiative in der kulturell-künstlerischen Tätigkeit" von den Leitungen der Pioniergruppen optimaler gefördert werden kann, wenn die „kulturellen Beziehungen im Kollektiv bewußter" und „stets in Verbindung mit den politischen Anliegen des Pionierauftrages gestaltet werden" (Geidel 1978:11).
(…) Über 90% der Jugendklubgründungen ging eine Initiative von Jugendlichen voraus und annähernd ebenso viele unterstanden einer jugendlichen „Selbstverwaltung" (vgl. Müller 1990). Dennoch waren die Jugendklubs keine politikfreien Oasen. Insbesondere die Grundorganisationen der Freien Deutschen Jugend kooperierten mit den Selbstverwaltungsorganen der Jugendklubs und nahmen mehr oder weniger massiv Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung der Programme und Angebote in den Einrichtungen. Die im Verlauf der 1980er Jahre zunehmende Präsenz der staatlichen Organisationen kann als eine sukzessive sich verstärkende Form sozialer und politischer Kontrolle interpretiert werden (Bernd Lindner 1991; vgl. auch Weicht/Weicht 1992). Resultat dieser Einmischung war, dass viele aktive KlubbesucherInnen sich gegängelt und gemaßregelt fühlten, die Lust und das Interesse an der Klubarbeit verloren und sich zurückzogen. Dem entgegen hebt Margrit Müller (1990) den relativ eigenaktiven Freiraum in den DDR Jugendklubs auch noch in den 1980er Jahren hervor. Der Widerspruch zwischen diesen beiden Deutungsweisen ist hier nicht aufzuklären und so muss undeutlich bleiben, wie direkt und intensiv kulturpolitische Vorgaben auf die Programme und die Freizeitgestaltungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in den Jugendklubeinrichtungen einzuwirken vermochten. (…) So legte der Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (FDJ) zu Beginn der 1980er Jahre auf der Rostocker Jugendklubtagung zwar fest, dass die Jugendklubs von den Kreisleitungen, den FDJ-Grundeinheiten zu führen sind. In der 1987 erlassenen Jugendklubverordnung wurde diese allgemeine Leitlinie präzisiert. Planungsprozesse, die Leitung und das Finanzwesen unterlagen ab diesem Zeitpunkt einer stärkeren Kontrolle (vgl. Weicht 1991:41). Damit wurden die formale Entscheidungsstrukturen zwar örtlich zentralisiert und die „freien" Gestaltungsmöglichkeiten in den Einrichtungen eingeschränkt, aber nicht vollständig verunmöglicht. Kaschiert über das „Notwendige", konnten unter Ausblendung konfliktträchtiger Inhalte die Freizeitangebote in den Klubeinrichtungen häufig weiterhin „frei" geplant und realisiert werden.
Der vorliegende Beitrag versucht (…) dem Prozess der Reorganisation der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit in der deutsch-deutschen Nachwendezeit nachzugehen. Exemplarisch wird die Entwicklung in der Saalestadt Halle betrachtet. Die außerinstitutionellen, selbstorganisierten Initiativen und die konzeptionellen Pläne der Kommunalverwaltung, die Reaktivierung der außerschulischen Pädagogik in den Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie die Freizeitinteressen der diese Einrichtungen besuchenden Kinder und Jugendlichen werden (…) referiert. Abschließend wird ein vorläufiges Fazit der bisherigen Umwälzungen und ein Ausblick zu benennen versucht.
Jugendliche Selbstorganisation und kommunalpolitische Konzeptualisierung der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit
Mit dem Zerbersten der zentralbürokratischen Organisationsgesellschaft Deutsche Demokratische Republik standen nicht nur die politischen und ökonomischen Systeme vor der Aufgabe, sich zu reorganisieren, sondern ein bis dato zumindest äußerlich funktionierendes Netzwerk von Sozialstrukturen und sozialer Absicherung geriet ins Wanken. Die staatlichen und jugendpolitischen Organisationen, die zu DDR-Zeiten die Biographien der Heranwachsenden wesentlich begleiteten und abstützten, verloren für die Kinder und Jugendlichen ihre inhaltliche und strukturierende Bedeutung. Das Altbewährte konnte keine verlässlichen Sicherheiten mehr liefern. (…)
Aus dem „Runden Tisch der Jugend" heraus entstand im Frühjahr 1990 die Arbeitsgemeinschaft „Demokratischer Jugendbund" mit 33 Mitgliedsorganisationen und dem Anspruch, die unterschiedlich ausgerichteten Jugendinitiativen in den neuen Bundesländern zu fördern und deren Probleme und Interessen gemeinschaftlich zu artikulieren. Aus der Rückblende sicherlich kein gescheiterter, sicherlich aber auch kein gelungener Orientierungsversuch. Denn die offiziellen Angaben des Demokratischen Jugendbundes von über 2 Millionen Mitgliedern wurden schon bald kritisch angefragt und reale Schätzungen gingen fortan davon aus, dass in keinem der neuen Jugendverbände mehr als 10% der angegebenen Mitglieder mitarbeiten (vgl. Pogundke 1991; Benner 1990). So hatte der Landesjugendring Sachsen zum Beispiel Ende 1992 21 Mitgliedverbände. Zusammen repräsentieren diese jedoch lediglich 2000 aktive Mitglieder (vgl. Lang/Tully 1993). Viele Landes-, Kreis- und Stadtjugendringe gründeten sich, lösten sich wegen Inaktivität wieder auf, gründeten sich erneut und lösten sich wieder auf, noch bevor inhaltliche und strukturelle Konturen sich herauszubilden vermochten. Der Reorganisationsprozess der kinder- und jugendverbandlichen Landschaft in den neuen Bundesländern zeigt heute ein gebrochenes Bild. (…)
Diese allgemeine Tendenz konkretisiert sich in den Kommunen – exemplarisch verdeutlicht in diesem Beitrag an der Stadt Halle. Von den in Halle in den Jahren 1989 und 1990 gegründeten Kinder- und Jugendverbänden existierte im Jahr 1992 keine Initiative mehr als reiner Mitgliederverband. Die sich in die Kinder- und Jugendpolitik noch einmischenden Initiativen und die Projekte, die aktiv mit Kindern und Jugendlichen kulturell oder sozialpädagogisch arbeiteten, hatten sich schnell zu Dienstleistungsverbänden mit einer minimalen aktiven Mitgliederschaft entwickelt oder strebten eine dementsprechende Fortschreibung ihrer Arbeit an. Einige bemühten sich um eine Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe, um den Verlust an ehrenamtlichem Engagement über die Einstellung von hauptamtlichem Personal, zumeist über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, auszugleichen.
Parallel entstanden in Halle (…) Interessengemeinschaften und sozialkulturelle Leistungsanbieter wie die „Kindervereinigung", der „Kanena Jugendtreff", der „Freie Kulturverein", der „Verein für Freizeit und Erholung", der „Verein für Jugend, Bildung und Kommunikation" und die „Vereinigung Kommunale Kultur Halle". Teilweise knüpfen sie an Initiativen aus der DDR-Zeit an, führten diese unter anderem Namen fort oder institutionalisierten ehemalige „Nischenkulturen" unter den veränderten Bedingungen. Projekte wie das „Antifa-Café", die „Kellnerstraße e. V.“, das „Objekt 5", das „Fahradies", das „Pfusch", das „Gig" sowie das „Reformhaus" entsprangen hingegen einer alternativen Aufbruchsstimmung. (…)
Die öffentliche außerschulische Kinder- und Jugend(kultur)arbeit, die in der DDR nicht in das Ressort der Jugendhilfe fiel (vgl. Münder 1990; DJI 1990), reorganisierte sich gegen Ende 1990 problembezogen. Im Gegensatz zu anderen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe – wie den Kinderkrippen, -gärten und -horte, die sich auf ein dichtes räumliches und personelles Versorgungsnetz stützten – konnte sich der Reorganisationsprozess der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit nicht an bestehende Strukturen anschließen. (…) Zu den ersten wohlfahrtsstaatlichen Jugendprojekten, die in Halle 1990 neu entstanden, gehörte ein dezentralisiertes Streetwork-Projekt in sechs Stadtteilen. Schon zum 1. September 1990 wurden zudem 10 Jugendclubs von der Kommune reaktiviert. Von den circa 40 Jugendklubs, die 1988 in Halle existierten, wurde damit die Mehrzahl der Mehrraumeinrichtungen und größeren Jugendfreizeitklubs in die kommunale Trägerschaft übernommen. Ab dem späten Frühjahr 1991 wurde, in Kooperation mit VertreterInnen aus westdeutschen Jugendämtern, an einer „langfristigen Strategie zur Entwicklung der Jugendfreizeiteinrichtungen in der Stadt Halle" gearbeitet. Die Situation der Kinder und Jugendlichen in Halle wird in diesem Konzeptionspapier in alarmierender Schärfe vorgetragen:
„Die aktuelle Problem- und Bedürfnislage der jungen Generation im Osten Deutschlands hat sich seit dem Herbst 1989 grundlegend verändert. (...) Konkret für die Stadt Halle stellt sich die Situation folgendermaßen dar:
- ca. 500 Jugendliche ohne Lehrstelle (...)
- 5.900 Jugendliche sind arbeitslos
- 33% der Jugendlichen sind alkoholgefährdet
- (...) rund 2.000 psychosozial auffällige Kinder und Jugendliche, wobei eine sehr hohe Dunkelziffer anzunehmen ist.
Aufgrund der besonderen sozialen Bedingungen ist davon auszugehen, daß ca. 50.000 der 85.000 Kinder und Jugendlichen suchtgefährdet sind. Bei über 400 Problemfelder zum Einstieg in die Drogenszene ist in zunehmendem Maße mit mehreren tausend Drogenkonsumenten zu rechnen" (Informationsvorlage 1991:2).
Unbestreitbar ist, dass Halle an der Saale aufgrund seiner topographischen Lage – die Stadt liegt im Zentrum der maroden Industriezonen Buna, Leuna und Bitterfeld – mit besonderen sozialen, ökonomischen und infrastrukturellen Problemen und Risiken belastet ist. Doch die subjektiven Risikobelastungen, die die zitierte Vorlage nennt, liegen jenseits jedweder empirischen Solidität.
(…) Die soziale, freizeitbezogene, kulturelle und pädagogische Kinder- und Jugendarbeit wird de facto reduziert auf ein Präventionsprogramm gegen Gewalt, Devianz und angenommener Psychopathologien. Damit wird die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit ihres Normalitätsanspruches entkleidet. Zweitens wird der Eindruck erweckt, als sei die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit imstande, die aufgezeigten problematischen Lebenslagen und selbstzerstörerischen Fluchtbewegungen von Kindern und Jugendlichen durch soziale und pädagogische Interventionen zu kompensieren. Eine solche pädagogische Omnipotenz fordert geradezu dazu heraus, die Öffentlichkeit und die Politik dazu anzuhalten, die praktische Arbeit auch an den formulierten Vorgaben im Nachhinein zu beurteilen. Zu befürchten und leider auch schon abzusehen ist, daß die MitarbeiterInnen in den entsprechenden Projekten sich dann gegen das Argument „gescheitert durch Unfähigkeit" zu wehren haben, also einem Argument entgegnen müssen, dem durch die konzeptionelle Anlage die Rede bereitet wurde. Programmatische Sätze wie "Wer heute Jugendarbeit verhindert, muß sich über die Gewalt von Morgen nicht wundern" (Informationsvorlage 1991:5) stützen diese Tendenz und erwecken Erwartungen an die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit (…).
Zwischen „Heavy-Café", Hanteln und Selbstorganisation: Porträts der kommunalen Kinder- und Jugendclubs
Die vom Autor durchgeführte Untersuchung wurde im Frühjahr 1992 abgeschlossen. Neun von zehn existierenden kommunalen Jugendfreizeiteinrichtungen der Saalestadt Halle wurden in die Untersuchung einbezogen – freie Träger unterhalten bis heute keine nennenswerten, kommunalpolitisch gewollte und unterstützte offene außerschulische Freizeiteinrichtungen für Kinder und Jugendliche in dieser Stadt. Die Ergebnisse lassen grob und nur minimal konturiert drei unterschiedliche Typen erkennen. (…)
Einrichtungen der „klassischen" Jugendarbeit
Die überwiegende Mehrzahl der kommunalen Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen sind Orte einer als „klassisch" zu bezeichnenden Kinder- und Jugendarbeit: Kinder und Jugendliche finden sich hier zwanglos ein, treffen ihre Freunde und Freundinnen, kommunizieren, spielen, planen ihre Aktivitäten, auch die, die sie zunächst außerhalb der Einrichtung zu verwirklichen suchen, und beteiligen sich je nach Motivation an den sporadischen Angeboten. Sieben Einrichtungen können diesem Typus zugeordnet werden.
- Jugendfreizeiteinrichtung „Gimritzer Damm"
Die Jugendfreizeiteinrichtung „Gimritzer Damm" besteht seit 1983, liegt in Halle/Neustadt und ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Die jugendlichen StammbesucherInnen sind hauptsächlich zwischen 14 und 18 Jahre alte SchülerInnen aus allen Schularten. Viele Eltern der BesucherInnen arbeiten oder arbeiteten noch bis vor kurzem in den Chemiekombinaten in Leuna oder Schkopau. Die Unklarheit über die Zukunft dieser „chemischen Giftzonen" bestimmt die Gespräche in den Familien, trägt an sie ein Risikopotential heran, das hier, zumal Verarbeitungserfahrungen fehlen, häufig eine rasch emotional eskalierende Atmosphäre entstehen lässt. In der Einrichtung herrscht (…) eine freundschaftliche Stimmung unter den Jugendlichen und zwischen ihnen und den MitarbeiterInnen. Es arbeiten hier zurzeit jeweils drei ABM-Kräfte hauptamtlich sowie mehrere ehrenamtliche MitarbeiterInnen. Die Einrichtung besitzt einen gut ausgestatteten Kraftraum, einen EDV-Raum, in dem der Computerclub tagt, einen relativ selten genutzten Raum für soziales Spielen und Lernen, einen großen Saal für Discoveranstaltungen sowie eine Küche und eine Werkstatt für den Hausmeister. Das ehemalige Fotolabor wird heute als Abstellkammer genutzt. Es finden Schach-, Tischtennis- und Skatturniere, Pantomimekurse und Mini-Playback-Shows statt. Der offene Treff in der Bar sowie der Computer- und Kraftsportraum werden von den Jugendlichen gut angenommen. Die weiteren Angebote werden nur von wenigen genutzt. Die Jugendfreizeiteinrichtung „Gimritzer Damm" hat dienstags bis sonntags von 13 bis 19 Uhr geöffnet, am Videoabend donnerstags und zur Disco freitags bis 22 Uhr. Sonntags haben nur Clubmitglieder Zutritt. Das Mobiliar der Räume wurde kürzlich erneuert und viele Gesellschaftsspiele wurden angeschafft, die Räume befinden sich jedoch in einem renovierungsbedürftigen Zustand. - Jugendfreizeiteinrichtung „Roxy"
Die Jugendfreizeiteinrichtung „Roxy" wurde ebenfalls Mitte der 1980er Jahre erbaut. Sie ist, obgleich im Südpark von Halle/Neustadt gelegen, gut erreichbar für die Neustädter Jugendlichen. Jugendliche aus anderen Stadtteilen müssen allerdings lange Anfahrtswege in Kauf nehmen. Den gemischten BesucherInnenstamm stellen Kinder zwischen 6 und 10 Jahren sowie Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren. Nach der Wende wurden drei hauptamtliche MitarbeiterInnen neu eingestellt. Ferner engagieren sich 15 Ehrenamtliche in der Einrichtung. Das Haus ist mit einem Discoraum, einem Sitzraum, einem Barbereich mit Sitzecke, einem Club- und Billardraum mit Kicker und einer kleinen Küche ausgestattet. Des Weiteren wird Zirkelarbeit zu bestimmten Themen angeboten. Die Disco, Ferienfreizeiten, Sportfest, Basteln und Faschingsfeten komplettieren die Angebotsstruktur. Am Vormittag treffen sich regelmäßig arbeitslose Jugendliche und junge Mütter in den Räumen. Die Jugendlichen entwickeln starke Eigeninitiative bei der Durchführung der Discoveranstaltungen, der Innen- und Außengestaltung des Hauses sowie der Organisation des Reinigungsdienstes. Während die Mädchenarbeit und neu eingeführte Angebote nur wenig Resonanz finden, werden Kinderveranstaltungen, Disco, Sportveranstaltungen sowie die Spielautomaten besonders gut genutzt. Bei den Ferienfreizeiten besteht eine überaus große Nachfrage. Die Einrichtung ist täglich außer sonntags von 9 bis 23 Uhr geöffnet, wobei verschiedene Zirkel an verschiedenen Tagen sowie dreimal wöchentlich Disco stattfindet. Es wurden neue Spielautomaten und eine Videoanlage angeschafft. Die Discoanlage und die Einrichtung müßten nach Auskunft der MitarbeiterInnen jedoch erneuert werden.
Die Freizeiteinrichtungen „Gimritzer Damm" und „Roxy" sind augenblicklich die beiden einzigen Freizeiteinrichtungen in Halle/Neustadt, dem größten, in den 1960er Jahren errichteten Neubaustadtteil Halles. Ein weiteres Freizeitzentrum wurde schon im Frühjahr 1990 geschlossen. Inzwischen ist in den ehemaligen Räumlichkeiten des Kinder- und Jugendfreizeitzentrums der Technische Überwachungsverein (TÜV) Halles untergebracht. (…) - Jugendfreizeiteinrichtung „Heide"
Randständig liegt die erst 1990 eröffnete Jugendfreizeiteinrichtung „Heide" im Norden Halles. Halle-Nord, der jüngste Stadtteil Halles, ist von der Innenstadt aus nur mit dem Bus und nach mehrmaligem Umsteigen zu erreichen. Die BesucherInnen des Hauses sind SchülerInnen und Auszubildende im Alter zwischen 13 und 20 Jahren, wobei der offene Treff vornehmlich von den 13- bis 16-Jährigen besucht wird. Der Umgangsstil ist sehr aufgeschlossen und vertraut, auch zu den MitarbeiterInnen. Es sind zurzeit drei hauptamtliche und 20 ehrenamtliche MitarbeiterInnen in der Einrichtung tätig. Die räumliche Ausstattung ist ausreichend. Die Billard- und Bücherecke, der Tischtennisraum, die Sitzecke und die zwei Bars werden täglich genutzt zum Klönen, Hausaufgaben erledigen und zum Lesen. Im großen Discoraum findet regelmäßig am Samstag eine Tanzveranstaltung statt. Sonst ist er von der Theatergruppe, dem Seidenmal-Kurs oder dem sich im Aufbau befindlichen Gitarrenunterricht belegt. Weitere Angebote sind die Zeichenzirkel und ein Zirkel für darstellendes Spiel, die einmal wöchentlich stattfinden. Die Jugendlichen übernehmen den Reinigungsdienst, die Gestaltung von Werbeplakaten und die Organisation der Disco. Sie werden auch in die Renovierungs- und Ausgestaltungsarbeiten einbezogen. Die Einrichtung ist montags bis freitags von 8 bis 22 Uhr, sonnabends von 15 bis 24 Uhr und sonntags von 15 bis 20 Uhr geöffnet.
Im Gegensatz zum Jugendfreizeitzentrum „Heide" liegen die drei Einrichtungen im südlichen Halle auch für die Kinder und Jugendlichen, die im Zentrum Halles wohnen, infrastrukturell und verkehrstechnisch günstiger. - Jugendfreizeiteinrichtung „Neuerer"
Die Jugendfreizeiteinrichtung „Neuerer" befindet sich seit 1986 in einem Neubaugebiet mit hoher Bevölkerungsdichte in günstiger Verkehrslage. Die BesucherInnen sind 13- bis 16-Jährige aus der näheren Umgebung. Es herrscht eine stark ausgeprägte Cliquenbildung vor, die eine ausgrenzende und abschreckende Wirkung auf andere Jugendliche ausübt. Nach der Wende wurde die MitarbeiterInnenstruktur und das Gesamtkonzept völlig geändert. Gegenwärtig sind 3 hauptamtliche MitarbeiterInnen und eine ABM-Kraft tätig. Die Haupträume des Hauses werden als Tischtennis-, Musik-, Bar- und Spielraum genutzt. In einem kombinierten Computer- und Bastelraum finden Mädchen- und Computergruppen statt. Die nicht genutzte Küche soll in Kürze in eine Nähstube umgebaut werden. Die Ausstattung wirkt unzweckmäßig. Die BesucherInnenzahl zeigt, dass der Club mit seinen Angeboten wie Tischtennis und Gesellschaftsspiele bei den Jugendlichen Resonanz findet. Aktiv beteiligen sie sich jedoch nur selten. Der Club ist von Dienstag bis Sonntag von 13 bis 19 Uhr geöffnet, bei besonderen Veranstaltungen wie der wöchentlichen Bandprobe bis 22 Uhr. - Jugendfreizeiteinrichtung „Bummi"
In dem infrastrukturell wenig erschlossenen Neubaugebiet Silberhöhe befindet sich seit 1983 die Jugendfreizeiteinrichtung „Bummi" in verkehrsgünstiger Lage. Den BesucherInnenstamm bilden fast ausschließlich Jugendliche über 18 Jahre aus den hoch problembelasteten Wohngebieten der Silberhöhe. Ein BesucherInnenkern hat sich zur sogenannten "Clubmannschaft" von ca. 25 Personen gefunden und fordert besondere Privilegien. Der Club besteht aus einem Saal mit Tischtennisplatten, einer Bar und angrenzender Küche, einer RaucherInnen- und Automatenecke, zwei kleinen Lagerräumen, einer Werkstatt für Bastel- und Reparaturarbeiten im Keller und einem Raum, der den Mitgliedern der Clubmannschaft vorbehalten ist. Diese nehmen auch vornehmlich an den gemeinsamen Fahrten und anderen internen Aktionen teil. Für die weiteren BesucherInnen gibt es offene Angebote wie Discoabende, das „Heavy-Café", Gymnastikstunden und eine Arbeitslosen- und Konfliktberatung. Letztere wurde aber bisher so gut wie nie in Anspruch genommen. Die Eigeninitiative der Jugendlichen ist sehr dürftig. Am häufigsten besucht werden die Angebote in der Disco und der offene Bereich. Die Art und der Zustand der räumlichen und materiellen Ausstattung erscheint mangelhaft. Nur der Clubraum wurde renoviert und ist freundlich eingerichtet. Für die weitere Renovierung fehlt es an Geld. Der Club ist täglich von 15 bis 22 Uhr geöffnet. Zweimal in der Woche werden Discoabende veranstaltet, einmal in der Woche wird das „Heavy-Café" oder Hardrockmusik angeboten. - Jugendfreizeiteinrichtung „Eule"
Die Jugendfreizeiteinrichtung „Eule" besteht seit 1985 und liegt in dem dichtbesiedelten Neubaugebiet Halle-Süd. Die 14- bis 20-Jährigen, hauptsächlich aus dem Stadtteil kommenden BesucherInnen können, im Gegensatz zu den wenigen, die die Einrichtung aus anderen Stadtteilen kommend besuchen, diese zu Fuß erreichen. Im Frühjahr 1992 waren drei hauptamtliche MitarbeiterInnen und ABM-Kräfte hier beschäftigt sowie 20 bis 25 ehrenamtliche MitarbeiterInnen engagiert. Die Mitarbeit der Jugendlichen beschränkt sich auf die Organisation der Discoveranstaltungen und die Teilnahme an dem Computerclub. Zur Freizeitgestaltung steht eine Druckerwerkstatt, ein Fitness- und Computerraum, eine Küche, eine Fahrrad- und Holzwerkstatt und eine Siebdruckanlage für Papier, Textilien und Folie zur Verfügung. Der offene Bereich besteht aus mehreren Räumen mit Billardtischen, Tischtennisplatten und Gesellschaftsspielen. Bevorzugte Angebote sind die Discoveranstaltungen, die Ferienfahrten und der Kinderzirkel. Die Einrichtung ist täglich von 14 bis 22 Uhr geöffnet. Alle 14 Tage finden am Freitag, Samstag und Sonntag Discoveranstaltungen statt. Durch einen Zuschuss vom ehemaligen DDR-Übergangsministerium für Jugend und Sport in Höhe von 150.000 DM waren viele Neuanschaffungen und eine Renovierungsmaßnahme im Juni 1990 möglich, so dass das Haus und die Ausstattung in einem guten Zustand sind.
Eine weitere Einrichtung der „klassischen" Jugendarbeit weist ein Profil auf, das in Richtung „soziokulturelles" Zentrum ausgerichtet ist und weiteren Aufgaben der kommunalen Jugendhilfe Räume zur Verfügung stellt. - Freizeiteinrichtung „Weiße Rose"
Die Freizeiteinrichtung „Weiße Rose" wurde vor 22 Jahren eröffnet und ist damit die älteste der hier vorgestellten Einrichtungen. Zum Untersuchungszeitpunkt – März 1992 – waren drei hauptamtliche sowie ABM-MitarbeiterInnen in der Einrichtung tätig. Die neurenovierte Jugendstil-Villa steht unter Denkmalschutz und bietet mehrere, verschieden nutzbare Räume: ein Mädchen-, Spielzimmer und Beratungsraum, der einmal in der Woche von der Jugendgerichtshilfe, der Jugendarbeitslosenhilfe und der Adoptionsvermittlung für Beratungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene belegt wird. Ein weiterer Raum wurde als Café eingerichtet, in welchem nach der Wiedereröffnung offene Kinder-, Jugend- und Familientreffs durchgeführt werden sollen. Im Keller befindet sich eine Art Nachtbar mit großen Nischen und einer Tanzfläche, die für Discoveranstaltungen genutzt wird. Eine große Rasenfläche bietet die Möglichkeit zum Spielen und Toben im Freien. Weitere Angebote sind Kinder- und Jugendzirkel, Keramikzirkel, gemeinsame Freizeitgestaltung für Kinder der 1. bis 5. Klasse. Das Mobiliar ist in gutem Zustand. Gesellschaftsspiele, Tischtennisplatten, Zelte und ein Grill sind vorhanden; Fernseher, Plattenspieler und Musikanlagen gibt es in der Einrichtung nicht. Die Einrichtung wird nach Beendung aller Renovierungsarbeiten von Sonntag bis Freitag zwischen 14 und 22 Uhr geöffnet sein. Bei Bedarf wird am Samstag eine Disco durchgeführt.
Selbstverwaltung als Prinzip
Fiel schon bei den bisher vorgestellten Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen der hohe Selbstaktivierungsgrad der BesucherInnen in den Clubs auf, erreicht er in dem Jugendcafé „Völkchen" einen Grad, der stark in Richtung innerer Selbstverwaltung tendiert. Insgesamt ist dies ein überraschender Befund, ist doch allgemein in Bezug auf das Sozial- und Erziehungssystem in den neuen Bundesländern seit 1990 eine deutliche Abnahme von ehrenamtlichen Aktivitäten und Hilfsformen aus den lebensweltlichen Milieus heraus festzustellen. Der im Vergleich zu den anderen Freizeiteinrichtungen höhere Bildungsgrad der jugendlichen BesucherInnen sowie die periphere Lage des Stadtteils können neben der Existenz einer weiteren Einrichtung in unmittelbarer Nähe, die ein kulturell anders orientiertes BesucherInnenspektrum anspricht, Indizien sein, die diese Entwicklung beeinflussten:
- Freie Begegnungsstätte „Jugendcafé Völkchen"
Die freie Begegnungsstätte „Jugendcafé Völkchen" wurde 1985 in einem Neubaugebiet der Südstadt eröffnet. Die Einrichtung wird von einem festen SchülerInnenstamm zwischen 12 und 25 Jahren genutzt. In den Abendstunden kommen auch einige Auszubildende und berufstätige Jugendliche. Durch den hohen Bekanntheitsgrad untereinander ist der Umgangston zwischen den Jugendlichen und den LeiterInnen sehr freundschaftlich und vertraut. Die Leitung des Clubs obliegt einem jungen Ehepaar. Das Raumangebot umfasst drei große, miteinander verbundene Zimmer mit Tischtennisplatte, Spielautomaten und Poolbillard, Couchecke und einer großen Terrasse. Freizeitangebote sind Gesellschaftsspiele und Discoveranstaltungen; außerdem gibt es einen Computerraum und ein Videofilmstudio. Die Zirkelarbeit – wie Zeichnen – ist noch im Aufbau. Momentan gibt es keine finanziellen Mittel für KursleiterInnen. Die Jugendlichen sind sehr aktiv bei der Umsetzung eigener, neuer Ideen und haben den Club im letzten Sommer in Eigenregie umgebaut. Sie organisieren den Reinigungsdienst sowie die Discoabende und den Bardienst. Durch das große Engagement der Jugendlichen ist das ganze Haus in einem sehr guten Zustand. Die Einrichtung ist montags bis freitags von 14 bis 21 Uhr geöffnet. Während der Schulferien gibt es ganztägige Aktivitäten.
„Kommerzialisierte" Einrichtungen
Zwei stärker kommerziell ausgerichtete Freizeitstätten komplettieren die Jugendclublandschaft in Halle:
- „Sportzentrum Steg"
Das im November 1990 eröffnete „Sportzentrum Steg" wird überwiegend von männlichen Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren aus problembelasteten Milieus besucht und dient hauptsächlich sportlichen Zwecken. Das Team besteht aus einem hauptamtlichen und drei ehrenamtlichen MitarbeiterInnen. Das Zentrum besteht aus zwei großen Räumen für sportliche Aktivitäten sowie einem Umkleide- und Aufenthaltsraum. Unter folgenden Angeboten kann gewählt werden: Trimmfreizeitangebote, Kindersportfeste, Fitnesstraining, asiatischer Kampfsport, wobei die beiden letzten Angebote am häufigsten genutzt werden. Alle BesucherInnen müssen den gleichen Monatsbeitrag von fünf DM entrichten. Die räumliche Ausstattung kann durch die große Anzahl neuer Sportgeräte als sehr gut bezeichnet werden. Täglich trainieren hier bis zu 120 Jugendliche, schwerpunktmäßig an „Kraftmaschinen". - Freizeitstätte „Die Lampe"
Die Freizeitstätte „Die Lampe", eine Diskothek, befindet sich ebenfalls, wie der zur Zeit renovierte Jugendclub „Wasserturm" und das „Bummi" in dem Stadtteil Silberhöhe. Der ehemalige Jugendklub „Die Lampe" wurde im Dezember 1991 von einem Geschäftsmann gepachtet. Vier Angestellte leiten das Projekt. Die Finanzierung geschieht mit eigenen Mitteln. Das Publikum besteht überwiegend aus berufstätigen StammbesucherInnen ab 16 Jahren. In dem größten Raum finden die Discoveranstaltungen statt. Zusätzlich gibt es einen kleinen Saal (…) und einen Raum mit einer Bar, Billardtischen, Spielautomaten und Sitzecken. Der große Saal wird dreimal im Monat für das Puppentheater zur Verfügung gestellt. Das Billard-Café ist sonntags bis donnerstags von 18 bis 24 Uhr geöffnet. Am Freitag finden von 18 bis 3 Uhr und am Samstag von 20 bis 4 Uhr Discoveranstaltungen statt. Der Discosaal ist ebenso wie die übrigen Räume gut ausgestattet.
Die BesucherInnen
Die Porträts der Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen vermitteln unabhängig von institutionellen Strukturschwierigkeiten und einer noch nicht entwickelten pädagogischen Professionalität das Bild von aktiven Handlungsfeldern. Obwohl die offiziell angegebene BesucherInnenquote nicht erreicht wird, erscheint das Alltagsleben in den Einrichtungen vielfältig, auch bezüglich der kultureller Aktivitäten, und bunter entwickelt als in vielen Jugendfreizeiteinrichtungen der alten Bundesländer (vgl. Thole 1993). (…)
Allgemeine Hinweise zur Untersuchungspopulation
Zu Beginn des Jahres 1992 füllten 262, 150 männliche (57,3%) und 112 weibliche (42,7%) BesucherInnen der vorgestellten Jugendfreizeiteinrichtungen einen standardisierten Fragebogen zu ihren Freizeitaktivitäten und zu den Motiven ihres Besuches der kommunalen Freizeiteinrichtungen aus. Über 80% der Befragten gehörten der Altersgruppe der 14- bis 18-Jährigen an. Die Altersverteilung deckt sich mit der Beobachtung, dass die kommunalen Jugendfreizeiteinrichtungen der Stadt Halle primär von Mädchen und Jungen der „klassischen Adoleszenzphase" frequentiert werden. Knapp die Hälfte der Jugendlichen und älteren Kinder, die in die Befragung einbezogen werden konnten, besuchten eine Realschule (48,5%). Ein Gymnasium besuchten zum Untersuchungszeitpunkt 13% und eine Berufsschule 19%. Lediglich 3,1% der Befragten gaben an, eine Hauptschule zu besuchen. Die schulische Bildungsaspiration der Hallenser JugendclubbesucherInnen dürfte damit auf einem leicht höheren Niveau liegen als die in vergleichbaren Einrichtungen in den alten Bundesländern.
Die familiale Situation der JugendclubbesucherInnen ist disparat. Lediglich gut die Hälfte (55,3%) leben in familialen Gemeinschaften mit beiden leiblichen Eltern. Nur mit der Mutter zusammen leben 16% und nur mit dem Vater zusammen 1,9%. Knapp 15% wohnen mit der Mutter und einem Stiefvater zusammen und immerhin 6,5% der jugendlichen ClubbesucherInnen leben in einem Haushalt, dem weder die leibliche Mutter noch der leibliche Vater angehören. Ein Vergleich mit der „Schülerstudie '90" (Behnken u. a. 1991) zeigt, dass in Halle prozentual deutlich mehr ClubbesucherInnen in unvollständigen oder gebrochenen familialen Verhältnissen aufwachsen. 73 von 100 Kindern und Jugendlichen wuchsen laut der „Schülerstudie" (Behnken 1991:112; vgl. Büchner 1993) bei den leiblichen Eltern auf. Von den ClubbesucherInnen konnten nur 55 von 100 entsprechend antworten und im Vergleich zur Schülerstudie wachsen doppelt so viele Kinder und Jugendliche der „Jugendclubstudie" in Lebensgemeinschaften auf, in der weder der leibliche Vater noch die leibliche Mutter gegenwärtig sind. Der Prozess der Pluralisierung lebensweltlicher Orientierung hat den schon zu DDR-Zeiten begonnenen Prozess der Auflösung und Vervielfältigung familialer Lebensformen (vgl. Kabat vel Job 1991) in den letzten zwei Jahren beschleunigt und verschärft. Kinder und Jugendliche, die die kommunalen Freizeiteinrichtungen besuchen, scheinen in familialen Lebensgemeinschaften zu wohnen, die von diesem Prozess besonders betroffen sind.
Befragt nach den außerhäuslichen Berufstätigkeiten notierten die ClubbesucherInnen in jeweils fast gleicher Häufigkeit, dass ihre Mutter einer Anlern- oder Hilfstätigkeit, einem handwerklich-technischen Beruf, einer kaufmännisch verwaltenden Tätigkeit oder einer pädagogisch-medizinischen Dienstleistung nachgeht. Arbeitslos waren 18,7% der Mütter. Die Tätigkeiten des Vaters haben einen eindeutigen Trend zu handwerklich/technischen Berufen (28,6%). 8,8% der Väter waren den Angaben der Kinder und Jugendlichen zufolge arbeitslos. (…)
Freizeitorientierungen
Die JugendclubbesucherInnen verbringen ihre Freizeit am liebsten mit ihren Freunden und Freundinnen in der Clique (84%) oder mit ihrem Freund oder Freundin allein (61,5%). In einem Verein oder in einer Jugendgruppe verbringen immerhin knapp 40% einen Teil ihrer freien Zeit. (…)
Befragt nach den Freizeitorten, an denen sie sich oft in ihrer Freizeit aufhalten, rangiert der Jugendclub mit deutlichem Abstand an der Spitze. 78,6% der befragten Kinder und Jugendlichen halten sich vornehmlich hier auf. Daneben bevorzugen 39,7% einen bestimmten Treffpunkt. Signifikante Unterschiede zeigt die „Jugendclubpopulation" damit zu anderen Untersuchungen, wo für die Freizeitorte „zu Hause", „auf der Straße" und „im Gelände" ausgeprägter votiert wurde (vgl. u.a. Büchner 1993). Für eine Mehrheit der JugendclubbesucherInnen scheint die gewählte kommunale Freizeiteinrichtung der Ort zu sein, auf den sich, zumindest für eine gewisse Zeit, die Freizeitansprüche konzentrieren und wo insbesondere der Wunsch, sich mit FreundInnen zu treffen, fast ausschließlich realisiert wird.
Die Freizeitvorlieben (…) wurden anhand einer Liste mit 25 Aktivitätsvorgaben abgefragt. „Musikhören" genoss bei den weiblichen wie männlichen Befragten eine hohe Priorität (61,8%). Auch Reden oder „Quatschen" wurde durchschnittlich hoch (59,5%) notiert. Die Mädchen (70,8%) votierten hier jedoch höher als die männlichen Befragten. In der Rangfolge folgt dann bei allen Kindern und Jugendlichen Fernsehen, Sport, Computer, Treffen auf der Straße, Tanzen, Lesen, Interesse an Tieren, Schreiben von Briefen oder Tagebüchern, Malen, Zeichnen und Fahrrad fahren. (…)
Langeweile in der Freizeit ist gerade im Kontext der Diskussionen um die „Offene Jugendarbeit" ein immer wieder zitiertes Thema. Langeweile in der Freizeit empfinden von der befragten Jugendclubpopulation „oft" 6,1%, „manchmal" 42,2% „selten" 40,8% und „nie" 10,7%. Auffällig ist, dass die ab 19-Jährigen weniger Langeweile verspüren als die jüngeren Jugendlichen und Kinder. Die 13-Jährigen erleben am häufigsten Langeweile.
In den letzten drei Jahren wurden die schulischen Freizeitangebote in den neuen Bundesländern drastisch reduziert. 53,8% der befragten BesucherInnen gaben an, dass an ihren Schulen keinerlei Freizeitangebote mehr vorhanden sind. Die vorhandenen Möglichkeiten werden jedoch auch nur noch von 12,2% der Befragten genutzt. 37,7% befragten BesucherInnen der kommunalen Freizeiteinrichtungen lehnen diese sogar vollständig ab. Die wohnortnahen Freizeitangebote werden von 62,2% als ungenügend beziehungsweise nicht ausreichend eingestuft. Als fehlend werden Sportangebote (23,3%), öffentliche Räume (15,3%), Diskotheken und Tanzveranstaltungen (7,3%) genannt. Die Ambivalenzen der Umbruchsituation dokumentieren sich hier besonders drastisch. Einerseits werden die freizeitorientierten Zirkelangebote und Kabinette an den Schulen nicht mehr genutzt, zum Teil weil sie unattraktiv erscheinen, aber auch, weil sie strukturell immer noch eine DDR-Verpflichtungsmentalität dokumentieren. Andererseits wird die qualitative und quantitative Infrastruktur der außerschulische Freizeitengebote als ungenügend empfunden. Insgesamt zeigt sich aber auch, dass konsumtive Angebote der „Trivial-/Populärkultur" relativ schnell eine wohnortnahe Infrastruktur etablieren konnten. 84,4% der Kinder und Jugendlichen gaben an, in der näheren Umgebung eine Videothek zu haben. 61,5% konnten auf eine Spielothek in Wohnortnähe verweisen und knapp 80% auf eine Kneipe und/oder eine Diskothek. Lediglich Bibliotheken sind den Kindern und Jugendlichen zufolge vergleichbar dezentralisiert gestreut. Über 48% gaben an, in ihrer näheren Umgebung befände sich eine Bücherei.
Die Jugendclubs im Erleben der BesucherInnen
Auch die Jugendclubs liegen für die meisten Kinder und Jugendlichen in der Nähe ihres Wohnortes. Knapp 90% der BesucherInnen der kommunalen Freizeiteinrichtungen wohnen in der näheren Umgebung der Einrichtungen. Die gegebene Fußläufigkeit der Jugendclubs mag auch erklären, dass 76% der befragten Kinder und Jugendlichen sich mehr als dreimal wöchentlich dort einfinden. Am intensivsten werden die kommunalen Freizeiteinrichtungen von der Altersgruppe der 14- bis 16-Jährigen frequentiert. Auffallend ist die hohe Besuchsfrequentierung der Mädchen. 78% von ihnen kommen mehr als dreimal und 16% immerhin zwei- bis dreimal in der Woche. Die Jugendclubs weisen demnach eine stabile, regelmäßig kommende BesucherInnenstruktur auf. Doch lediglich 12,5% der Jungen und 10,5% der Mädchen kommen wegen der „tollen" Angebote. Dass sie auch in die Jugendclubs kommen, weil es außerhalb der Clubs keine attraktiven Angebote gibt, sagen 34%. Knapp 70% geben an, auch wegen der FreundInnen zu kommen. (…)
Besuchen die befragten weiblichen und männlichen Kinder und Jugendlichen nicht die Clubeinrichtungen, dann treffen sie sich auf der Straße oder langweilen sich (55%). Das gilt besonders für die weiblichen Jugendlichen, die keinen anderen Freizeitort sehen und auch nur im geringen Umfange andere Jugendeinrichtungen besuchen würden. Die meisten Kinder und Jugendlichen empfinden die Atmosphäre im Club „locker und aufgeschlossen" (61,8%). Dennoch stellen eine gereizte Stimmung immerhin 27,1% der Befragten fest. 35,9% sagen, dass in den Einrichtungen eine Cliquenbildung vorherrschend ist. Die Gestaltung des besuchten Jugendclubs gefällt 74,8% der Befragten und nur 14,5% lehnen die derzeitige Gestaltung ab. (…)
Resümieren wir die Ergebnisse der „Jugendclubbefragung" (…), ist die insgesamt positive Grundeinstellung der Kinder und Jugendlichen zu „ihren" Freizeiteinrichtungen augenfällig. Besonders herauszustreichen ist, dass die befragten Kinder und Jugendlichen von den MitarbeiterInnen einen überwiegend positiven Eindruck mitteilen, obgleich die von ihnen offerierten Angebote, vornehmlich von den Mädchen, eher skeptisch und häufig als nicht ausreichend empfunden werden.
Die Jugendclubs, auch das zeigt die Untersuchung deutlich, sind für die befragten Kinder und Jugendlichen nicht nur ein zentraler, sondern der Freizeitort schlechthin. Ohne die Jugendclubs, zumindest machen das die Befragungsergebnisse für Halle deutlich, wären viele Kinder und Jugendliche ohne Bindung und ohne einen Ort zum Treffen. Andere Freizeitorte haben einen nicht annähernd so hohen Stellenwert und sind zudem auch nicht geeignet, die Funktionen und Aufgaben, die die Kinder und Jugendlichen auf die Jugendclubs konzentrieren, zu übernehmen. Die neuen Freizeitorte wie Spielhallen, Videotheken oder Diskotheken haben aufgrund ihres kommerziellen Charakters zwar einen attraktiven Stellenwert, aber wegen ihrer finanziellen Voraussetzungen sind viele Jugendliche nicht in der Lage, diese regelmäßig zu besuchen. Auch darüber bekommen die Jugendclubeinrichtungen einen höheren Stellenwert. Im Vergleich zu den kommerziellen Freizeitorten sind die Jugendclubs für die befragte Kinder- und Jugendlichenkohorte jedoch nicht nur der preisgünstigere, sondern auch der attraktive Ort für die Realisation ihrer Wünsche in der Freizeit. Die zentrale Bedeutung der Jugendclubeinrichtungen zeigt (…) keine signifikanten geschlechts- und altersspezifischen Differenzierungen, auch wenn die getroffenen Aussagen sich primär auf die Jungen und Mädchen der Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen beziehen. Inwieweit sie auf die älteren Kinder und „jüngeren" Jugendlichen in gleicher Weise zutreffen, ist hier nicht eindeutig anzugeben.
Versuche in Richtung Fazit: Wohin entwickelt sich die außerschulische Kinder- und Jugend(kultur)arbeit in den neuen Bundesländern?
(…) Wir leben heute inmitten eines sozial-kulturellen Großversuchs, von dem nicht abzusehen ist, wie er endet (Offe 1992). So sehr diese Problemskizze allgemein auf die andauernden politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Umwälzungen zutrifft, so sehr trifft sie auch im Konkreten auf das Feld der außerschulischen, sozialpädagogischen wie kulturellen Kinder- und Jugendarbeit zu (vgl. DJI 1990; Backhaus-Maul/Olk 1991). (…) Lediglich Konturen des zukünftig Möglichen schimmern durch. Noch ist nicht eindeutig auszumachen, welche inhaltlichen und strukturellen Formen der Umbau- und Reorganisationsprozess letztendlich annehmen wird. (…)
- Deutlich erkennbar ist erstens, (…) dass kommunale Aufgabenfelder, deren Übernahme nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, finanziell mangelhaft ausgestattet und von einer festen kommunalen Etatisierung ausgegrenzt bleiben. Die kulturelle, soziale und politische Jugendarbeit sowie die sozialpädagogische Kinder- und Jugendarbeit werden mittelfristig (…) nur auf einem geringen Finanzniveau in den kommunalen Haushalten Berücksichtigung finden. Insbesondere die Etatisierung von Planstellen wird zurückhaltend geschehen. Projektmittel und zeitlich befristete Förderprogramme können wegen ihrer begrenzten Dauer die notwendigen Handlungsinitiativen nur kurz- bis mittelfristig kompensieren. Hierdurch wird die Organisation einer kontinuierlichen und konstanten sowie konzeptionell langfristig und grundlegend angelegten Pädagogik des Kindes- und Jugendalters in den außerschulischen Handlungsfeldern auf einen noch nicht absehbaren Zeitraum verschoben. (…) Eine bedarfsorientierte Kinder- und Jugendhilfeplanung, die auch die Bestandteile der kommunalen Kulturplanung integriert, die die Bereiche von Kinder- und Jugendkulturarbeit betreffen, und ein hierauf fundierter Ausbau der sozialpädagogisch und kulturell ausgerichteten Kinder- und Jugendarbeit, die mehr ist und mehr zu sein wünscht als kommunale Kinder- und Jugenddisco, Bastel- oder Spielstube, ist gefordert.
- Zweitens überdeckt die partiell zu schnelle und unreflektierte Übernahme westdeutscher Strukturen auch in der Kinder- und Jugendhilfe die DDR-typische Ausformulierung von Angeboten für Kinder und Jugendliche. Die noch in DDR-Sozialisationskontexten gewonnenen kulturellen Kompetenzen konnten sich unter den neuen sozial-politischen Bedingungen nicht mehr überall entsprechend ihrer Artikulationsfähigkeiten entfalten. Die Zirkel-Kultur der DDR hatte, fast schon vergessen, eine breite Kleinkunstlandschaft entwickelt, die heute zu veröden droht. (…) Zu hoffen ist, dass die noch bestehenden kulturellen Projekte sich nicht ihrer „künstlerischen" Orientierung durch aus dem „Westen" transformierte sozialpädagogische Programme entledigen. Schon jetzt ist zu erkennen, dass nur noch die wenigsten Jugendklubs in den neuen Bundesländern explizit kulturelle Projekte mit Kindern und Jugendlichen initiieren. Zielgruppenspezifische Angebote ohne konkret inhaltliche Akzentuierungen überwiegen. (…) Auch die Reaktivierung der Verzahnung von Schule und Freizeit, schulischen und außerschulischen Freizeitangeboten, die in der DDR eine entwickelte Tradition vorweisen konnte, erscheint überlegenswert.
- Als mangelhaft entwickelt zeigt sich noch die subsidiäre Unterfütterung der kommunalen Jugend- und Kulturlandschaft durch freie Träger. Ein plural gegliedertes Gebilde von an unterschiedliche Milieus und Interessen gerichtetes Angebot bedarf der ausdrücklich gewollten Förderung. (…)
- Deutlich artikulieren die Ergebnisse viertens ein auch schon anderorts mehrfach konstatiertes Fachkräfteproblem (vgl. u. a. Backhaus-Maul/ Olk 1991, 1992). Weniger in den kulturell ausgerichteten, stark jedoch in den sozialpädagogischen Handlungsfeldern ist ein enormes Professionalisierungsdefizit auszumachen. Pädagogische Interventionen z.B. werden wenig bis gar nicht argumentativ abgestützt und reduziert auf eine Wenn-Dann-Interaktion. Damit verbundene Unsicherheiten werden im Alltag zudem versuchsweise immer wieder durch rechtliche Inbeziehungssetzungen kompensiert. Häufig erlangt das Kinder- und Jugendhilfegesetz den Rang einer „pädagogischen Theorie" der Kinder- und Jugendhilfe. (…)
- Der Zerfall kollektiver Identitäten und lebensweltlicher Milieus (…) mit seinen enttraditionalisierenden und individualisierenden Effekten zeigt in den neuen Bundesländern deutliche Spuren. Die Herstellung von Sozialität und kultureller Identität wird zunehmend deutlicher auch in den Landschaften der neuen Bundesländer lebensweltlich entfremdet und zur Aufgabe der Individuen selbst. Parallel hat ein neues soziales und kulturelles Dienstleistungsnetz aber einen flächendeckenden Organisationsgrad auch nicht nur annähernd erreicht, um den kulturellen Freisetzungsprozess entlastend abzufedern. (…)
- Hervorzuheben ist sechstens, dass den Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen im großstädtischen Umfeld auch weiterhin eine zentrale Bedeutung als freizeitkulturelle Treffpunkte für die heranwachsende Generation zukommt. Für viele Kinder und Jugendliche sind die kommunalen Einrichtungen neben öffentlichen Treffpunkten wie die „Straße" die einzigen Orte, sich mit Altersgleichen zu treffen, insbesondere für die Altersgruppe der 14- bis 18-Jährigen (…). Vor dem Hintergrund der oben referierten Ergebnisse ist ausdrücklich auch vor einer weiteren Kommerzialisierung der kommunalen Jugendclubeinrichtungen zu warnen. (…)
Die Diskussion zeigt, dass die Dynamik der Neuorganisation der kulturellen und sozialpädagogischen Kinder- und Jugendarbeit in den neuen Bundesländern nicht ungebrochen, aber auch nicht völlig ohne erkennbares Profil erfolgt. Wie erfolgreich sie letztendlich sein wird, hängt auch davon ab, inwieweit es gelingt, tradierte Denk- und Verhaltensfiguren der „realsozialistischen" Ära zu überwinden, aber auch davon, inwieweit von unreflektierten Übernahmen altbundesrepublikanischer Lösungen abgesehen werden kann. Dazu gehört auch, die Differenz zwischen Schule und Kinder- und Jugendhilfe sowie zwischen kulturellen und sozialpädagogischen Inhalten und Arbeitsformen in der Kinder- und Jugendarbeit weniger konkurrenzvoll, vielleicht mehr kooperativ zu verstehen und mit entsprechenden Modellen in der Praxis zu experimentieren. Gelingt das, dann werden die Entwicklungen in den neuen Bundesländern vielleicht sogar innovative Potentiale und Ideen für die Praxis in den Alt-Bundesländern vorlegen können.