Schulen als ländliche Kulturzentren

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von Kristin Naujokat

Erscheinungsjahr: 2018

Abstract

Im bundesweiten Netzwerk Kreativpotentiale im Dialog sind neben urban gelegenen Schulen viele Schulen in ländlichen Räumen eingebunden. Sie verfolgen das Ziel, Kulturelle Bildung nachhaltig in ihrem Schulalltag zu verankern und sich zu einem Kulturzentrum auf dem Land zu entwickeln. Schüler*innen, die in einer Region mit einem zahlenmäßig geringen Kulturangebot aufwachsen, bekommen so einen Zugang zu kulturellen Angeboten garantiert. In diesem Kontext gilt es, die für ländliche Räume spezifischen Herausforderungen und strukturellen Voraussetzungen zu beachten: Wie können Kooperationsprojekte angesichts langer Anfahrtswege für Schüler*innen und Kulturpartner*innen verwirklicht werden? Welche Kulturanbieter*innen kommen auf dem Land als Kooperationspartner*innen in Frage und welche Rolle können große Förderprogramme bei der Initiierung von Kooperationen spielen? Anbieter*innen touristischer Kulturangebote sind in manchen ländlichen Regionen potentielle Kooperationspartner*innen. Es stellt sich die Frage, inwiefern diese die Qualität kultureller Bildungsangebote an und mit Schulen beeinflussen.

Ungefähr neunzig Prozent der Fläche Deutschlands ist ländlich geprägt und bildet die Basis für die Grundversorgung der Bevölkerung. Aus städtischer Perspektive werden ländliche Räume meist als Erholungsräume wahrgenommen. Dementsprechend sind Freizeit- und Tourismusangebote ein wichtiges Standbein der wirtschaftlichen Entwicklung ländlicher Regionen. Jenseits dieser positiven Wahrnehmung prägen strukturelle Herausforderungen, resultierend aus einer stagnierenden Bevölkerungsdichte, in vielen Landkreisen den Diskurs zu ländlichen Räumen (vgl. BMEL 2018).

Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass in den nächsten 30 Jahren mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben (vgl. United Nations 2018). Der ländliche Raum ist Entwicklungsland in Deutschland und Europa, dies zeigt das Engagement der europäischen Staaten im „European Network for Rural Development“.

Als Herausforderungen werden insbesondere die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen Rahmenbedingungen betrachtet. Das schließt das Angebot von Bildungsinstitutionen mit ein. In bevölkerungsarmen Landkreisen haben viele Schüler*innen lange Anfahrtswege von 60 bis zu 90 Minuten zu ihren Schulen. Zu den langen Schulwegen kommen nach Schulschluss Anfahrtswege zu Musikschulen, Theatern und Tanzkursen hinzu. Eltern müssen häufig den Fahrdienst übernehmen. Diese Herausforderungen aufgreifend, sind ländlich gelegene Schulen verstärkt im Fokus von Programmen der Kulturellen Bildung. Neben einer qualitativen Steigerung von Bildung, soll Kulturelle Bildung auf dem Land die Schulen dabei unterstützen, die strukturellen Leerstellen in der Provinz zu überbrücken. Dies verdeutlicht die Begründung der Landesregierung Brandenburgs für die Auswahl von Schulen zur Teilnahme an dem Landesprojekt 3KulturSchulen: „Die Schulen liegen in den ländlichen, strukturschwachen Regionen Brandenburgs und haben die Aufgabe, sich mit der Problematik von Abwanderung und schwacher Infrastruktur auseinanderzusetzen“ (Landtag Brandenburg 2014:33). Die dauerhafte Verankerung Kultureller Bildung an den Schulen soll dazu führen, dass diese gestärkt und zukunftsfähig werden.

In diesem Beitrag werden Schulen und ihre Kulturpartner*innen in den Blick genommen, die mit verschiedenen Lösungsansätzen Kulturelle Bildung für Schüler*innen auf dem Land stärken wollen. Als Partner*innen im bundesweiten Netzwerk Kreativpotentiale im Dialog, an dem auch das Landesprojekt 3KulturSchulen beteiligt ist, verfolgen sie das Ziel, Kulturelle Bildung dauerhaft im Schulalltag zu verankern. Die Wege dieser Schulen dahin sind so unterschiedlich, wie auch die ländlichen Regionen mit ihren Ausgangslagen und Herausforderungen. Anhand von länderübergreifend erarbeiteten Erkenntnissen und Beispielen aus dem Netzwerk werden die für das Vorhaben Kultureller Bildung relevanten strukturellen Voraussetzungen ländlicher Räume diskutiert sowie die Besonderheiten der ländlichen Kooperationsnetzwerke vorgestellt.

Bildungsarbeit der langen Wege

Um Schüler*innen einen Zugang zu den Künsten zu bieten, finden Kulturangebote unmittelbar in den Schulen statt, also dort, wo sich Schüler*innen den Großteil ihres Tages aufhalten. Künstler*innen und Vermittler*innen aus Kunstvereinen sowie aus öffentlich geförderten Kulturinstitutionen der Region bereichern das Bildungsangebot. So erhalten Schüler*innen Zugang zu kulturellen Angeboten. Ihnen bleiben somit die logistischen Hürden auf dem Weg zu einer Kulturanbieter*in erspart. Die Kulturpartner*innen müssen jedoch die weiten Wege in Kauf nehmen. Für die Künstler*innen und Kulturpartner*innen ist es aufgrund des finanziellen und logistischen Aufwands attraktiver, für mehrere Zeitstunden oder ganze Projekttage an die Schule zu kommen. Auch für die Qualität Kultureller Bildung ist es dienlich, flexible Zeiträume und prozessorientiertes Arbeiten zu implementieren, um so den Schüler*innen ein sich einlassen auf die Künste zu ermöglichen. Schulen müssen deshalb aufgrund der äußeren Bedingungen, den Alltag so gestalten, dass flexible Zeiträume für Kulturelle Bildung entstehen. Dies bedeutet, dass Schulen ihre Tagesrhythmen anpassen müssen, um Rahmenbedingungen für die Kooperationen mit außerschulischen Partner*innen zu schaffen und Kulturelle Bildung nicht in den Randbereich des Schultages zu drängen. Kulturelle Bildung muss im Unterricht stattfinden und nicht bloß als AG-Angebot im außerunterrichtlichen Teil des Ganztags. Nur so ist sie ein Teil des formalen Bildungsangebots und alle Schüler*innen zugänglich.

Kulturelle Bildung wird wirksam, wenn Schüler*innen sie nicht nur in der Schule erfahren, sondern auch an außerschulischen Lernorten. Künstler*innen-Ateliers, Theater und Museen bieten sowohl Möglichkeiten der Wissensvermittlung als auch für die künstlerische Eigenproduktionen der Schüler*innen. Neben den Erfahrungen des eigenen kreativen Schaffens ist es bedeutsam, dass sie mit den Bedingungen künstlerischer Professionalität vertraut gemacht werden. Daher erfordern Kooperationen der Kulturellen Bildung auch eine Öffnung von Kulturpartner*innen für die Schulen (vgl. Mandel 2015). In manchen Fällen macht gar die Historizität des Ortes die persönliche Anwesenheit notwendig – etwa wenn eine Künstlerin mit Schüler*innen zum Thema „Gedenkstätten“ arbeitet. Was ist aber, wenn Schüler*innen zwei Fahrstunden mit Bus und Bahn vor sich haben, um den außerschulischen Lernort zu erreichen? In manchen Regionen gibt es keine öffentliche Busverbindung zu Kulturorten. So sind die Künstler*innen oftmals selbst dafür verantwortlich, den Transport der Schüler*innen zu organisieren. Die finanziellen Mittel der Schulen sind dafür begrenzt.

Damit Schulen Kulturelle Bildung fest in ihren Strukturen verankern können, bedarf es Unterstützungsstrukturen, die von der Schuladministration in den Ländern in unterschiedlichem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Für die Schulentwicklungsberatung ist es gerade in ländlichen Räumen eine erhebliche Herausforderung mit den Schulen in regelmäßigem Kontakt zu stehen. Schulbesuche und persönliche Gespräche beziehungsweise schulinterne Fortbildungen zum Thema Kulturelle Bildung sind seltene Termine an den Schulen. Zudem fehlt es bisher an Mitteln und Strukturen, um diese wichtige Prozessbegleitung zu gewährleisten. Eine bisher geringe Anzahl von Schulentwicklungsberater*innen, die eine Expertise im Bereich Kulturelle Bildung aufweisen, sieht sich nicht in der Lage, regelmäßig die weiten Wege an die vielen Orte zurück zu legen. Im Flächenland Niedersachsen: Etwa 30 Prozessbegleiter*innen der Landesschulbehörde Niedersachsens sind für die 2700 Schulen des Landes Ansprechpartner*innen (vgl. Niedersächsische Landesschulbehörde 2018). Bisher können jedoch nur einzelne Prozessbegleiter*innen zum Schulentwicklungsziel Kulturelle Bildung beraten. Diese sind im niedersächsischen Kreativpotentiale-Landesprojekt SCHULE:KULTUR! eingebunden.

Kulturpartner*innen auf dem Land: Wer kommt in Frage?

Trotz der geringen Bevölkerungsdichte und wenigen Kulturanbieter*innen auf dem Land, finden Schulen und Kulturpartner*innen zueinander. Neben den großen öffentlich geförderten Kulturinstitutionen kooperieren ländliche Schulen mit:

  • freien Theatern
  • freien Künstler*innen aller Sparten
  • freien Kreativdienstleister*innen aus der Kreativwirtschaft
  • ehrenamtlich geführten Kunst- und Kulturvereinen
  • ländlichen Museen
  • ländlichen Akademien
  • soziokulturellen Zentren
  • Kunstschulen
  • Musikschulen
  • Kulturzentren.

Zum Teil verfügen diese Partner*innen, wenn sie institutionell verankert sind, über feste Strukturen. Häufig sind es jedoch Einzelpersonen. Manche dieser Kulturpartner*innen zeichnen sich durch ehrenamtliches Engagement aus. Dies zeigt u.a. die Begleitstudie zur Modellphase des Kulturagentenprogramms: „Eine große und bezüglich ihrer Organisationsform sehr heterogene Zahl von Kulturpartnern (z.B. freie KünstlerInnen aller künstlerischen Sparten, Museen, Theater, Musikschulen, Soziokulturelle Zentren, Vereine und Kommunen) war in die Projekte und damit auch in die Zusammenarbeit mit Schulen involviert“ (Fink 2016:2).

Für die Gemeinschaftspflege und Identifikation mit der Region spielt die Breitenkultur auf dem Land eine wichtige Rolle, wenngleich auch ihr Bestand aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen bedroht ist. Bereits bestehende Kooperationen zwischen Breitenkultur und Soziokultur eröffnen auf dem Land neue Wirkungspotentiale (vgl. Kegler 2014).

Kooperationen mit Schulen sind somit nicht nur für die Schulen, sondern auch für die kulturellen Akteure wirksam und machen diese zukunftsfähig. Für viele Vereine auf dem Land ist die Zusammenarbeit mit Schulen eine Möglichkeit, um die nächsten Generationen zu erreichen und damit eine Form von Audience Development. Diese Kontakte zwischen Kulturpartner*innen und Schulen sind häufig bereits vor Jahren geknüpft worden und bestehen auf der Grundlage persönlicher Beziehungen. Oftmals sind Lehrer*innen selbst in den Kulturvereinen aktiv. Lokale – kommunale als auch private – Förderstrukturen ermöglichen finanziell eine Vielzahl der Kulturprojekte an den Schulen, die beständig über einen längeren Zeitraum zusammenarbeiten. So entstehen verlässliche und zum Teil langjährige Kooperationsstrukturen in der Region: „Man kennt sich halt“, so formulieren viele Lehrer*innen der ländlich gelegenen Kreativpotentiale-Schulen die lokalen Kooperations- und Förderbeziehungen.

Förderprogramme, die unter anderem die Zusammenarbeit von Schulen und außerschulischen Partner*innen auf dem Land stärken wollen, können in diese etablierten und zum Teil festgefahrenen Kooperations- sowie Förderstrukturen etwas Neues, „neuen Wind“ einbringen. Dies ist wichtig für Schulen und Kulturpartner*innen, denn neue Kooperationspartner*innen bringen mit ihren Angeboten ungewohnte Sichtweisen, Lernzugänge und andere Kompetenzen an die Schulen. Und in manchen Regionen entstanden so innovative Netzwerke.

Kriterien für die Auswahl von Partner*innen

Die Realschule Dornum, die kleinste Realschule Niedersachsens und Mixed Up-Preisträgerin 2016 in der Kategorie Ländlicher Raum, ist seit 2014 beteiligt im niedersächsischen Kreativpotentiale-Landesprojekt SCHULE:KULTUR!. Ausgezeichnet wurde die Schule für ihre Kooperation mit dem Kunst- und Kulturfreunde Dornum und Umgebung e.V.. Das schuleigene Kulturbüro ist eine Schüler*innen-Firma, die unter anderem Ausstellungen und Wandelkonzerte des ehrenamtlich geführten Vereins im lokalen Umfeld und an der Schule selbst organisiert. Dadurch werden Kompetenzen und Erfahrungen im Kulturmanagement an Schüler*innen vermittelt. Der Musiklehrer ist Kulturkoordinator der Schule und zugleich Mitglied im Verein.

Zusätzlich kooperiert die Realschule im Rahmen des Schulentwicklungsprojekts mit der Kunstschule Norden. Bereits vor Jahren gab es eine Zusammenarbeit zwischen beiden Akteuren. Durch die Teilnahme am Projekt SCHULE:KULTUR!, ein externer Impuls, wurde diese Verbindung wieder aufgenommen. Ein Kriterium für die Auswahl des Partners war auch dessen Mitgliedschaft in einem Landesverband der außerschulischen Jugendbildung sowie die geografische Nähe zur Schule. Aufgrund der Zusammenarbeit mit der Kunstschule kann die Schüler*innen-Firma ihre Offerten durch kunstpädagogische Angebote ergänzen.

Dritter Bestandteil des Kulturangebots sind ganzjährige Projekte, an denen die ganze Schule beteiligt ist. Der Kulturkoordinator wirbt die Mittel dafür bei landesweiten Stiftungen sowie privaten Förder*innen ein, bringt Künstler*innen aus seinem Netzwerk an die Schule und arbeitet mit den Schüler*innen musikalisch. Die künstlerischen Arbeiten der Schüler*innen werden wiederum in die Ausstellungen des Kunstvereins integriert.

Das Beispiel der Realschule Dornum in Ostfriesland verdeutlicht, welche Rolle die lokalen Netzwerke spielen und welche Unterstützung Landesprogramme für die Kontakte mit neuen, außerschulischen Partner*innen bieten können.

Um Partnerschaften zu initiieren, sind bestimmte Kriterien für die Auswahl von Schulen und Kulturpartner*innen wichtig. In der außerschulischen Jugendbildung werden dazu bereits seit Jahren Leitlinien erarbeitet (vgl. BKJ 2017). Lokale Netzwerke, persönliche Verbindungen sowie Empfehlungen durch Fachstellen bestimmen die Auswahl von Kulturpartner*innen auf dem Land. Darüber hinaus orientieren sich die schulischen Akteure an den bisherigen Erfahrungen anderer Schulen mit Kulturpartner*innen sowie an der künstlerischen Qualifikation. Ebenso fließt die Haltung des Kulturpartners in Bezug auf ihre/seine Rolle an der Schule mit in den Auswahlprozess ein. Ausschlaggebend ist zudem das Renommée der/des Kulturpartner*in als Kunstproduzent*in: Ländlich gelegene Schulen in Nachbarschaft zu großen Städten suchen oft Kooperationen mit großen, bekannten Kulturinstitutionen wie Staats- oder Landestheatern, um sich zusätzliche Anerkennung seitens der Eltern zu sichern. In diesem Fall haben die freien Theaterbetriebe auf dem Land, trotz räumlicher Nähe zur Schule, das Nachsehen. Ihre kulturellen Bildungsangebote sowie die künstlerische Expertise müssen jedoch nicht unbedingt schlechter sein, weil sie kleinere oder schlanker aufgestellte Organisationen sind. Die Erfahrung zeigt: Große Institutionen bekommen zahlreiche Anfragen von Schulen, jedoch kleinere Organisationen können sich aufgrund ihres flexiblen Agierens besser auf die Partner-Schulen einlassen. Zudem haben sie oftmals ein großes Interesse daran, ihre lokale Bildungslandschaft mit zu gestalten – nicht, weil sie den institutionellen Auftrag haben, sondern weil sie selbst Teil dieser Landschaft sind. In diesem Licht müssen auch die Angebote der ehrenamtlichen Vereine betrachtet werden: Mit ihrem großen Engagement übertragen sie ihr Interesse an dem Erhalt lokaler Kulturpraxis auf die Schüler*innen.

Qualität Kultureller Bildung mit touristischen Partner*innen

Touristische Angebote sind zu den strukturellen Voraussetzungen ländlicher Räume zu zählen: Museen mit Regionalbezug wie Landschafts- und Kulturkunde, Führungen, Freilichttheater, Festivals, Rad- und Wanderwege etc. richten sich an Urlauber*innen und Besucher*innen der Region sowie an die Einheimischen. Sie ergänzen das kulturelle Angebot auf dem Land. Flächenländer wie Niedersachsen nehmen die „spezifisch ländliche Kultur“ in der Weiterentwicklung des Tourismusangebots in den Blick (vgl. NMWAV 2015). Anbieter*innen im Bereich Tourismus sind potentielle Kooperationspartner*innen und Förder*innen von Kulturprojekten mit Schulen. Touristische Angebote können einen kulturellen Bildungseffekt erzeugen, auch wenn sie mitunter die Zwecke Unterhaltung, Freizeitgestaltung und Infotainment verfolgen (vgl. Mandel 2012). Es stellt sich die Frage, welchen bildungsbezogenen Mehrwert Kooperationen mit Akteuren der Tourismuswirtschaft haben.

Sind die Angebote partizipatorisch angelegt und die „Einheimischen“ mit einbezogen, besteht ein Zusammenhang von touristischen Angeboten, die sich auf Kulturveranstaltungen sowie die lokale Kultur beziehen, und der sozialräumlichen Entwicklung der Region (vgl. Katja Drews „Ländlicher Kulturtourismus – ‚Dritte Orte‘ für (raum)produktive Transformation und partizipative Begegnung“). Kunst und Kultur sorgen in diesem Rahmen für Interaktionen zwischen Besucher*innen und Anwohner*innen sowie eine gemeinsame Auseinandersetzung mit der lokalen, kulturellen Praxis. Diese Wirkung auf Einheimische, die einen stärkeren Bezug zu ihrer Region entwickeln und Besucher*innen, die ein „authentisches“ Erlebnis angeboten bekommen, kann ebenso in Kooperationsprojekten zwischen Akteuren des Tourismus und Schulen entstehen. Wichtig ist, dass der künstlerische Prozess der Schüler*innen zur Geltung kommt und wertschätzend präsentiert wird, denn dies ist ein Kriterium wirksamer Kultureller Bildung in Schulen (vgl. Seidel 2004).

In Dornum sind die Schüler*innen mit dem Management der Ausstellungen des Kunstvereins betraut. In diesem Rahmen wird auch das musikalische Jahresprojekt der Schule präsentiert. Das künstlerische Schaffen der Schüler*innen steht souverän neben den Arbeiten anderer Künstler*innen und kommt damit angemessen zur Geltung. Diese Ausstellungen und Konzerte werden von der Tourismus GmbH der Region öffentlich angekündigt. Die Schule wird somit an der Gestaltung des kulturellen Angebots in ihrer Region aktiv beteiligt. Die Kooperation wirkt sowohl inner- als auch außerschulisch. Durch die Öffnung der Veranstaltung für Touristen erhält die künstlerische Arbeit der Schüler*innen zusätzliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung.

Wie verändern sich jedoch Qualität und Wirksamkeit kultureller Bildungsangebote, wenn Akteure aus der Tourismuswirtschaft die Rolle des Förderers einnehmen? Wie in jeder Förderbeziehung mit Schulen sollten Bildungsziele den absoluten Vorrang hinsichtlich der erwarteten Wirkung dieser Projekte haben. Allerdings werden Kooperationsprojekte mit Schulen immer wieder kritisch betrachtet, etwa weil wirtschaftliche Interessen vermutet werden (vgl. Greiner 2017).

In einem Kunstprojekt des Tourismusbeirats der Stecknitz-Region in Kooperation mit der Grund- und Gemeinschaftsschule Stecknitz wurden Holzbänke bereitgestellt, die von Schüler*innen sowie Teilnehmer*innen weiterer Jugendeinrichtungen unter der Anleitung von Künstler*innen bemalt wurden. Die Ergebnisse sind Motive aus der Region, die Förder*innen wurden inhaltlich in die Gestaltung mit einbezogen. Anschließend wurden die Bänke an den örtlichen Wanderwegen platziert. Auch hier ist das Kooperationsprojekt im Kern partizipativ, denn die Schüler*innen sind an der Gestaltung ihrer Region beteiligt.

Wirksame Kulturelle Bildung zeichnet sich durch einen künstlerischen Zugang in Bildungsprozessen aus (vgl. Bamford 2006). Da touristische Angebote auf einen wirtschaftlichen Mehrwert abzielen, ist es fraglich, inwiefern die künstlerische Qualität in den Kooperationsprojekten mit Schulen zum Tragen kommt. Ausgenommen sein dürften an dieser Stelle Angebote, die auch von kunstinteressierten Tourist*innen besucht werden, wie die documenta in Kassel, die ebenfalls mit Schulen kooperiert.

Die künstlerische Qualität des Beispieles der Gemeinschaftsschule Stecknitz wurde durch die beteiligten Künstler*innen gewährleistet, die im Rahmen des Kreativpotentiale-Landesprojekts Schule trifft Kultur – Kultur trifft Schule zuvor qualifiziert wurden. Sie sind dafür zuständig, dass der künstlerische Prozess in dem Projekt voll zum Tragen kommt. Bei der Auswahl von Kulturpartner*innen sind Kriterien für die Beurteilung der künstlerischen Qualifikation und der Vermittlungskompetenz unabdingbar. Bislang wird dies durch landesweite Zertifikate in Form von Fortbildungen sichergestellt, etwa im Programm Kreativpotentiale. Zudem gibt es wenige zentrale Weiterbildungsträger, die eine zertifizierte Qualifikation im Bereich Kulturelle Bildung für Lehrer*innen und Künstler*innen anbieten wie die Bundesakademien für Kulturelle Bildung sowie der Weiterbildungsmaster „Kulturelle Bildung an Schulen“ an der Philipps-Universität Marburg. Diese raren Qualifizierungsangebote können nur von einigen Interessierten wahrgenommen werden, da es nur wenige Plätze in den Angeboten gibt. Weitere Hürden sind: Interessierte Akteure werden – vom Schuldienst ­– nicht freigestellt und die Gebühren für die Fortbildungen müssen aus privaten Mitteln finanziert werden – dies stellt vor allem für freischaffende Künstler*innen ein Problem dar. Nur wenige Stipendien können für die Qualifizierungsangebote vergeben werden.

Der Bedarf an Fortbildungen ist angesichts der vielen Kooperationsprojekte zwischen Schulen und außerschulischen Partner*innen aus Kunst und Kultur jedoch groß. Für Schulen ist es zudem schwierig, die Relevanz der verschiedenen Qualifizierungswege von Kulturpartner*innen zu beurteilen. Diese Herausforderung bleibt bestehen, bis es ein länderübergreifend anerkanntes Zertifikat für Kulturelle Bildung an Schulen gibt, welches fest verankert in den systemischen Fortbildungsstrukturen für Lehrer*innen, Schulleitungen und Künstler*innen ist und somit den Zugang für einen Großteil der interessierten Akteure gewährleistet.

Schulen als Kulturzentren auf dem Lande

Regionale Netzwerke füllen auf dem Land infrastrukturelle Leerstellen. In diesem Kontext hat sich nach den aktuellen Entwicklungen in der Bildungspolitik der Länder auch die Rolle von Schulen verändert: Denn Bildung ist nicht mehr allein die Aufgabe von Schulen, sondern wird von vielen Schultern in der Region getragen. Von den Schulen wird erwartet, dass sie „ihre raumstrukturelle Relevanz als Bildungsstandort und sozialer Integrationsort in einem erweiterten räumlichen Kontext verdeutlichen“ (AlR e.V. 2014:79).

Für Schulen, die sich auf Kulturelle Bildung als Querschnittsaufgabe fokussieren, sind Partnerschaften mit außerschulischen Partner*innen in der Region unerlässlich. Im Sinne einer sozialräumlichen Orientierung nehmen diese Schulen eine zentrale Rolle in ihrer Bildungsregion ein. Nicht nur die Schule selbst profitiert davon, sondern alle daran beteiligten Akteure der Region (vgl. Wolfgang Mack „Kulturelle Bildung in lokalen Bildungslandschaften“). Idealerweise entstehen somit ländliche Kulturzentren, in denen Bildung und Kulturproduktion sowie -vermittlung stattfinden. Dafür bedarf es personeller Ressourcen, um die Kommunikation zwischen diesen Akteuren zu gewährleisten und das regionale Netzwerk langfristig zu sichern. Um auch den Bedarf von ländlichen Kultureinrichtungen wie Kunst- und Kulturvereinen zu integrieren, könnte das Schulgebäude nach Schulschluss für deren Angebote geöffnet werden. Zum Teil passiert dies bereits, da öffentliche Räume für Initiativen und Vereine knapp sind. Hieran geknüpft sind jedoch oft Fragestellungen der personellen und sicherheitstechnischen Art.

Jenseits von Regionalentwicklungsplänen gibt es verschiedene Motivationen der Schulen, sich zu einem Kulturzentrum auf dem Land zu entwickeln. Häufig sind sie daran interessiert, ihre Schüler*innen zur Auseinandersetzung mit der regionalen Kultur anzuregen. Ländliche Museen sind beliebte Kooperationspartner*innen, denn diese agieren oft als Vermittlungsstellen regionaler Kulturgeschichte und -praxis. Die Anbindung dieser Kooperationsprojekte an den Unterricht fällt Lehrer*innen zum einen leichter, etwa wenn kulturhistorische Themen aufgegriffen werden. Zum anderen wird eine Auseinandersetzung der Schüler*innen mit ihrem Herkunftsregion gefördert. Dies hat eine besondere Relevanz für Schüler*innen auf dem Land, denn viele von ihnen verlassen die Region perspektivisch nach der Schule. Im Sinne der Persönlichkeitsbildung ist die Beschäftigung mit der Herkunft, also der lokalen Kultur und Tradition jedoch ein wichtiger Prozess: Bildung ist laut Bamford mit kultureller Entwicklung verbunden: „(…) es wird angenommen, dass damit ein Verständnis sowohl für die Tradition als auch für die gegenwärtige und zukünftige Gesellschaft und deren Praktiken einhergeht“ (Bamford 2010:37). Schulen in ländlichen Räumen, in denen Kulturelle Bildung eine wichtige Rolle spielt, nehmen sich der Vermittlung der lokalen kulturellen Praktiken und Traditionen deshalb an und bewirken die Auseinandersetzung der Schüler*innen mit ihrer Herkunftsregion. Ob sie damit dem Drang der Schüler*innen, nach dem Schulabschluss die Region zu verlassen, entgegenwirken können, ist bisher nicht belegt.

Eine weitere Motivation der Schulen speist sich aus der Notwendigkeit, den Schulstandort zu sichern. Wie in den Städten gibt es eine Konkurrenzsituation zwischen Schulen. Auf dem Land beeinflussen demografische Entwicklungen die Situation insofern, dass sich immer weniger Schüler*innen auf die Schulen verteilen. Manche Schulen müssen ihre Attraktivität für Eltern und Schüler*innen steigern, um stabile Anmeldezahlen vorweisen zu können. Die Veränderung von Schule mit und durch Kulturelle Bildung stellt hier eine Möglichkeit dar. Dies zeigte sich unter anderem an den beteiligten Schulen in Brandenburg. Die Schulen sahen sich zu Beginn ihrer Teilnahme mit einem Nachfragerückgang seitens der Schüler*innen konfrontiert. Es bestand eine Konkurrenz zu anderen Schulen in der Region, die Schließung von weniger frequentierten Schulen wurde befürchtet. Die Teilnahme an dem Programm verbanden die Projektschulen mit der Erwartung, ihr Fortbestehen zu sichern.

Diese Erwartungen wurden nur zum Teil erfüllt: An einer der teilnehmenden Schule fand keine nennenswerte Veränderung statt. „Die Geflüchteten-Klasse wird aufgelöst. Die Verlegerin wird entlassen. Der Musiklehrer bekommt keine Gruppe für die Projektwoche und der Bildhauer keine Projektarbeit mehr. Die Schule entscheidet sich für einen anderen Kurs“ (LISUM 2018:23). Diese Entscheidung hängt mit dem Wechsel des Leitungsteams der Schule zusammen. Darüber hinaus muss jedoch beachtet werden, dass ebenso wie an Schulen in urbanen Räumen, kulturelle Schulentwicklung ein komplexer Prozess ist, der von vielen Faktoren abhängig ist (vgl. Fuchs 2015). Die Unsicherheiten sind gerade an bedrohten Schulstandorten groß. Für Schulleitungen bedeutet die Etablierung von Kunst und Kultur im Schulalltag ein Wagnis, denn viele Lehrer*innen und Eltern sind nicht von dem Zusammenhang von Kultureller Bildung und schulischer Qualitätsentwicklung überzeugt. Dies führt auch dazu, dass Kulturelle Bildung ihr Potential für die Veränderung der Schulkultur nicht voll entfalten kann: Zum Teil gibt es nach der Teilnahme an den Programmen zwar weiterhin Kooperationsprojekte mit Kulturpartner*innen, die sich aber nicht in die Gestaltung der Schulkultur „einzumischen“ haben. Diese Projekte finden dann meist im Nachmittagsbereich statt, isoliert vom Unterricht.

An zwei anderen Schulen in Brandenburg hingegen trug die Teilnahme an dem Landesprojekt zu einer positiven Gesamtentwicklung der Schule bei. Zu einer der beiden Schulen wird resümiert: „Heute ist sie stabil dreizügig, eine feste Größe im Kulturleben der Stadt und auch die Schulaufsicht stellt ein gutes Zeugnis aus. Sie ist stark angefragt bei Eltern, Schülerinnen und auch bei Lehrerinnen: Eltern und ihre Kinder, auch Lehrerinnen bewerben sich an diese Schule. Die neuen Methoden ziehen junge engagierte Lehrerinnen an.“ (LISUM 2018:23) Die Schule sei zudem internationaler geworden, es kommen neue Lehrer*innen mit verschiedenen Nationalitäten. An der zweiten Schule, die ebenfalls eine positive Bilanz nach Projektende vorzeigt, wird das musikalische Profil der Schule überregional wahrgenommen: „Kürzlich war der Ministerpräsident da, auch andere Funktionsträgerinnen melden sich an: Alle wollen das Orchester hören – da spielen alle zusammen: Schülerinnen, Lehrerinnen und Ehemalige“ (LISUM 2018:23).

An den Schulen etablierte sich nach und nach eine demokratische Schulkultur, das Kollegium arbeitete im Team, Schüler*innen engagierten sich für die Schulgemeinschaft. Insgesamt stieg die Zufriedenheit der Schulgemeinschaft, was auch den Ruf der Schulen in der Region positiv veränderte. Diese beiden Beispiele zeigen, dass die Unterstützung von Schulentwicklung mit und durch Kulturelle Bildung an ländlichen Schulen wirksam sein kann: Für die Schulen und für die Region.In dem Flächenland Brandenburg, das sich durch viele ländliche Räume auszeichnet, gibt es im Schuljahr 2018/19 739 Schulen. Sie könnten ebenso wie Schulen in anderen Bundesländern von den Erfahrungen der Schulen aus Kreativpotentiale profitieren. Das dazu erforderliche Wissen, wie Schulen sich zu Kulturzentren auf dem Land entwickeln können, wird nun auf der Grundlage des Kreativpotentiale-Netzwerks, an dem derzeit zehn Bundesländer beteiligt sind, aufbereitet. In Brandenburg ist beabsichtigt, lokale Schulnetzwerke zu begleiten und Fortbildungen für Schulen umzusetzen, um so einen praxisbasierten Wissenstransfer zu garantieren.