Das regionale Netzwerk für Kulturelle Bildung auf der Schwäbischen Alb

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von Judith Bildhauer

Erscheinungsjahr: 2018

Abstract

Kunstschaffende und Kultureinrichtungen, Vereine und Ehrenamtliche, Verwaltung und Politik: Auf der Schwäbischen Alb arbeiten diese Akteure seit 2016 als Lernende Kulturregion zusammen. Ziel des interkommunalen Projektes, das im Rahmen der Initiative TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel der Kulturstiftung des Bundes gefördert wird, ist: Das Kulturangebot in ländlichen Räumen weiterzuentwickeln, Kooperationen anzustiften, Erfahrungen auszutauschen und Beteiligung zu ermöglichen. Derzeit sind sieben Landkreise auf der Schwäbischen Alb an der Gestaltung des Netzwerks beteiligt, der Ostalbkreis hat die Trägerschaft für das Projekt übernommen. Warum sich ein Landkreis kulturpolitisch engagiert und was er tut, um zukunftsweisende Kulturarbeit in ländlichen Räumen zu stärken, das wird im Projekt Lernende Kulturregion deutlich.

Ein Landkreis mit Sinn für Kultur

Der Ostalbkreis liegt im nördlichen Baden-Württemberg am Rande der Schwäbischen Alb. Der Landkreis ist Ergebnis der Kreisreform von 1973 und wird durch die drei Mittelzentren Aalen, Ellwangen und Schwäbisch Gmünd geprägt. Die restliche Fläche des Ostalbkreises ist „ländlicher Raum im engeren Sinne“ (Landesentwicklungsplan Baden-Württemberg 2002:A29). Trotz der Dezentralität bietet der Landkreis günstige Voraussetzungen als Lebens-, Natur- und Wirtschaftsraum sowie eine gute Infra- und Sozialstruktur. Die hohe Patentdichte in der Wirtschaftsregion Ostwürttemberg mit den Landkreisen Heidenheim und Ostalbkreis hat der Region sogar den Slogan Raum für Talente und Patente eingebracht. Bundesweit liegt nur Stuttgart weiter vorn.

Um diesen Erfindergeist zu fördern, investiert der Ostalbkreis sehr viel in eine lebendige Bildungsregion und arbeitet eng mit den Schulen und Hochschulen im Landkreis zusammen. Die Vernetzung der verschiedenen Akteure und Institutionen aus den Bereichen Schule, außerschulische Bildung, Jugend, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft bewirkt eine Bildungsqualität auf einem sehr hohen Niveau. Dass Kreativität und Innovationskraft mehr als professionelle Ausbildungsstätten und attraktive Arbeitsstellen braucht, ist im Ostalbkreis kein Geheimnis. Daher wird kommunale Kulturförderung nicht nur als Daseinsfürsorge, sondern auch als Impulsgeber für Zukunfts- und Erneuerungsfähigkeit der Gesellschaft verstanden.

Das Bewusstsein, dass identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kulturangebote die persönliche und regionale Entwicklung fördern können, entspringt ebenso der reichen Kulturgeschichte der Region: Die Schwäbische Alb gilt nicht erst seit Ernennung der Eiszeithöhlen zum Weltkulturerbe als Wiege der Kultur. Der Ostalbkreis beheimatet einige der schönsten Teilstücke und Einzeldenkmäler des Limes und war einst Stammland des Adelsgeschlechtes der Staufer. Zum Landkreis zählen historische Städte wie Lorch, Schwäbisch Gmünd und Aalen. Die Wertschätzung des kulturellen Erbes und das Selbstverständnis, selbst kulturell aktiv zu sein, sind in großen und kleineren Gemeinden gleichermaßen verbreitet.

Ähnlich anderer ländlicher Regionen sind die Vereine im Ostalbkreis wichtige Träger des kulturellen Lebens in den Gemeinden. Neben zahlreichen Musikvereinen und Chören arbeiten vor allem die Kunstvereine auf sehr hohem Niveau. Renommierte Künstler*innen und Galerien, professionelle Theater, Musikschulen, Ensembles und Festivals sind auch außerhalb der Städte zu finden und zunehmend in Kooperationen aktiv. Mit dem Anliegen, möglichst viele Menschen mit Kunst in Kontakt zu bringen, werden die landkreiseigenen Gebäude für Ausstellungen und Konzerte regionaler und überregionaler Künstler*innen geöffnet. Zudem wurde ein eigenes Sachgebiet Kultur eingerichtet, das Ansprechpartner für die über 60 Museen im Kreis sowie die Künstler*innen, Kulturakteure und Einrichtungen ist.

Von und mit Kultur lernen

Vor diesem Hintergrund fasste der Ostalbkreis 2016 die Entscheidung, die Trägerschaft für die Lernende Kulturregion Schwäbische Alb zu übernehmen. Das Projekt, das im Rahmen des Programms TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel der Kulturstiftung des Bundes entstanden ist, möchte Impulse und Beispiele für ein zukünftiges Kulturangebot in ländlichen Räumen geben. Im Mittelpunkt steht die Transformation hauptamtlich geführter Kultureinrichtungen, die gemeinsam mit den Menschen vor Ort neue Kulturangebote entwickeln, die über die klassischen Bildungs-, Vermittlungs- und Bühnenangebote hinausgehen.

Die Projekte, die in diesem Rahmen entstanden sind, reichen vom Wohnzimmertheater bis zum Kunstfestival, vom Museumsrucksack bis zum Literaturnetzwerk und vom Schulkonzert bis zum Live-Streaming von Orchesterproben. Grundsätzlich kann zwischen zwei Ansätzen unterschieden werden: Zum einen mobile Vorhaben, mit denen sich Kultureinrichtungen aus der Stadt auf die Suche nach interessierten Menschen, Initiativen und Vereinen in kleineren Gemeinden machen. Zum anderen ortsgebundene Angebote von Kulturträgern in den eher ländlich geprägten Gebieten, die ihr Haus und ihre Arbeitsweisen für die Anliegen und Ideen der Region öffnen. So verschieden die Vorhaben sind, verbindet sie etwas Wesentliches: Das ehrliche Interesse der Kultureinrichtungen bzw. Künstler*innen an der Arbeit auf der Schwäbischen Alb und die ernsthafte Beteiligung der Menschen vor Ort.

So war das Landestheater Tübingen, das bisher nur mit Gastspielen in der Region vertreten war, in mehreren Gemeinden unterwegs und hat zusammen mit örtlichen Einrichtungen, Schulen und Vereinen künstlerische Projekte zum demografischen Wandel umgesetzt. Auch das Theater Lindenhof versuchte die eigene Arbeit neu zu denken. Das führte unter anderem dazu, dass ein Theaterstück für Aufführungen in privaten Wohnzimmern konzipiert und die Künstlergarderobe einmal im Monat für einen Friseur bereitgestellt wurde. Neue Wege zu gehen bedeutete bei den Opernfestspielen Heidenheim indes, die Vermittlungsprojekte auf die gesamte Region auszuweiten und die regionalen Kindergärten, Schulen, Musikschulen und Nachwuchsensembles an den Inhalten zu beteiligen. Ähnlich war das Anliegen des Museumsnetzwerks, das seine museumspädagogischen Ansätze zusammen mit Kindern, Jugendlichen und speziell für sehbehinderte Menschen weiterentwickelt hat. Den ländlichen Raum für außergewöhnliche Kunstprojekte zu nutzen und die Interessenten vor Ort durch verschiedene Angebote einzubinden, hatte sich das Kunstfestival inter!m vorgenommen.

Mobile Projekte

Kultur aufs Land zu tragen – das war keinesfalls das Ansinnen der mobilen Projekte, die in der Lernenden Kulturregion realisiert wurden. Ziel war vielmehr, gemeinsam neue Angebote und Ausdrucksformen zu entwickeln und die besondere Konstellation der Zusammenarbeit als Chance zu nutzen. Dennoch wurden die Vorhaben von einigen Bürger*innen mit Skepsis begleitet. Grund waren nicht nur die meist ungewöhnlichen Projektideen und komplexen Förderstrukturen. Allein die Tatsache, dass sich Künstler*innen aus Berlin für eine kleine Gemeinde auf der Schwäbischen Alb interessieren, wirkte auf manche Bürger*innen irritierend. Nicht zuletzt sorgte der Titel Lernende Kulturregion für Aufregung, da vermutet wurde, dass der ländliche Raum etwas von den Städtern lernen muss. Gerade in den Orten, deren kulturelles Leben nur durch das große ehrenamtliche Engagement der dortigen Vereine möglich ist, wurde das als Affront aufgefasst und konnte nur langsam aufgelöst werden.

Für die Künstler*innen, die für die TRAFO-Projekte nicht nur ihren Arbeits-, sondern auch den Wohnort auf die Alb verlegten, war der ungewohnte Kontext daher auch eine tägliche Herausforderung und ein Balanceakt: Zwischen der eigenen künstlerischen, konzeptionellen und organisatorischen Professionalität und dem resoluten Pragmatismus vor Ort. Zwischen dem spezifischem Interesse, mit dem sie das Projekt konzipiert hatten, und der Offenheit für die Ideen und Ansichten der Bürger*innen, mit denen das Projekt realisiert wurde. Und zwischen ihren Vorurteilen gegenüber dem langweilig-ruhigen Landleben und dem vollen Terminkalender der vielfach engagierten Menschen im Ort. Gerade in heiklen Situationen war es für die Künstler*innen daher wichtig, eine Kultureinrichtung als Gesprächspartner, Rückendeckung und Türöffner zu haben.

Da die TRAFO-Fördermittel genutzt werden konnten, um Neues zu entwickeln und zu erproben, stand die Suche nach spannenden Themen und Geschichten, das Sammeln neuer Eindrücke und Erfahrungen sowie das gegenseitige Kennen und Vertrauen lernen am Anfang aller Projekte. Auf diese Weise wurde viel bewegt: Das war nicht immer sichtbar, denn es spielte sich „nur“ in den Köpfen der Beteiligten ab. Manchmal aber auch ganz konkret, indem Ideen ausgearbeitet, Projekte fortgeführt oder Kooperationen geschlossen wurden. Zum Beispiel die Kleinkunstbühne K3, die ihr Programm nach der erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem Landestheater um neue Angebote ergänzt hat. Oder die Gemeinde Engstingen, die die Künstler*innen zu einem erneuten Arbeitsbesuch eingeladen und diesen über Fördermittel finanziert hat. Oder die Gemeinde Hülben, die die gläsernen Mini-Pavillons auch weiterhin für Kunstprojekte mit den regionalen Kindergärten nutzt.

Fakt ist: Damit solche Impulse langfristig wirken können, braucht es einen Kümmerer – die Gemeinde, eine Einrichtung, einen Verein oder eine Initiative –, der an die noch frischen Erlebnisse anknüpft, Ideen weiterverfolgt und Fördermittel generiert. Die ersten Erfahrungen auf der Schwäbischen Alb zeigen aber auch: Nachhaltigkeit gelingt in der Regel nur dann, wenn der Mehrwert groß genug ist und es eine weitere konzeptionelle Begleitung und Fördermittelberatung gibt. Die Lernende Kulturregion versucht, diese Aufgabe wahrzunehmen und bei künftigen Überlegungen zu berücksichtigen. Gleichzeitig stellt sich den Kultureinrichtungen die Frage, wie es gelingen kann, mobile und partizipative Formate weiterzuführen, die deutlich zeit- und kostenintensiver, aber auch publikumsorientierter sind als das klassische Kulturprogramm im eigenen Haus.

Ortsgebundene Projekte

Anders sieht es bei den Einrichtungen aus, die im ländlichen Raum beheimatet sind und mit den Menschen in ihrem Umfeld zusammenarbeiten möchten. Zum Beispiel das Theater Lindenhof: Das hat verschiedene Ansätze entwickelt, um auf die Bedarfe der Menschen vor Ort zu reagieren. So konnten Jugendliche und Erwachsene in den Theaterexperimentierclubs aktiv werden, die selbst Lust am Theater spielen und ausprobieren haben. Das Besondere dabei: Es wurden keine vorgegebenen Stücke einstudiert. Stattdessen stand das Erlernen der darstellenden Kunst im Vordergrund und bereicherte die Teilnehmer*innen auch ganz persönlich. Zudem probierte das Theater Lindenhof eine äußerst pragmatische Form der Regionalentwicklung aus und nahm die Probleme im Heimatdorf Melchingen kurz entschlossen selbst in die Hand. Das Kartenvorverkaufsbüro wurde zum Servicebüro für die Bürger*innen umfunktioniert und übernimmt mittlerweile auch die Aufgaben einer regionalen Tourismusinformation. Da es in der kleinen Gemeinde keinen Friseur gibt, wird kurzum die Künstlergarderobe einmal pro Woche für einen Friseur aus Tübingen bereitgestellt. Zudem kommen in einem Erzählcafé interessante Menschen aus der Region zu Wort und wichtige Themen zur Sprache. Die Projekte des Theaters wurden größtenteils durch die eigenen Mitarbeiter*innen entwickelt und umgesetzt. Für den Theaterbetrieb war das eine zusätzliche Belastung, aber auch die Gelegenheit, die Erfahrungen in die laufende Arbeit zu integrieren und nach Ende des Förderzeitraums nutzen zu können. Bereits jetzt ist klar, dass das Theater Lindenhof die Projekte fortführen will, um sich noch besser mit ihrem Ort und dem Lebensalltag der Menschen zu verbinden und Vorbild für andere Kulturträger zu sein.

Zukunft gestalten

Von den Erfahrungen, die die Kultureinrichtungen im Rahmen des TRAFO-Programms gesammelt haben, sollen weitere Einrichtungen, Vereine und Akteure profitieren. Um diesen Wissenstransfer zu ermöglichen, hat die Lernende Kulturregion die Vernetzung der verschiedenen Kulturträger zum Ziel. Gerade für Einrichtungen, die in ihrer Arbeit nicht an kommunale Grenzen gebunden sind, sondern überregional agieren, ist dieser Austausch hilfreich und nicht selten Quelle neuer Kooperationen. Neben haupt- und ehrenamtlichen Kulturschaffenden bringt die Lernende Kulturregion auch Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung zusammen. Bei der Kulturplattform, die zwei Mal im Jahr an verschiedenen Orten stattfindet, haben sie Gelegenheit, sich über aktuelle Themen und kulturpolitische Fragen auszutauschen und nach neuen Möglichkeiten zu suchen, Kultur zu schaffen und zu fördern.

Ausgehend von der Leitidee des TRAFO-Programms ging es bei den ersten Veranstaltungen der Kulturplattformreihe insbesondere um die Frage, welche Aufgaben Kultureinrichtungen in ländlichen Räumen übernehmen können und wollen. Wie können sie ihre Arbeitsweisen weiterentwickeln, um sich noch besser für die Menschen und Themen in der Region zu öffnen? Wie müssen neue Formate und mobile Angebote aussehen, damit sie nachhaltig umsetzbar sind und wirken? Und unter welchen Umständen kann die Zusammenarbeit zwischen professionellen Einrichtungen und ehrenamtlichen Akteuren gelingen?

Die Frage nach einer zeitgemäßen Ausrichtung des Kulturangebots in ländlichen Räumen geht jedoch über die Verantwortungsbereitschaft kultureller Einrichtungen hinaus. Sie führt weiter zu den alltäglichen Herausforderungen in kleineren Gemeinden und den Bedarfen der dort tätigen Kulturakteure. Bei den weiteren Veranstaltungen der Kulturplattformreihe rückten daher diese Themen in den Fokus. Als Probleme wurden unter anderem Überalterung und bevorstehende Generationenwechsel, Nachwuchssorgen und strukturelle Mängel, veränderte Publikumsinteressen und weniger Geld genannt. In verschiedenen Formaten wurden Ideen für einen zukunftsweisenden Umgang mit diesen Herausforderungen und mögliche Unterstützungsleistungen durch Verwaltung und Politik gesammelt. Vor allem ehrenamtliche Akteure äußerten den Wunsch nach Qualifizierungsangeboten und dem Erfahrungsaustausch mit professionellen Kulturschaffenden. Nachgefragt wurden auch feste Ansprechpartner*innen auf regionaler Ebene, die fachliche Beratung bei Veränderungsprozessen und Hilfe bei der Akquise und Verwaltung von Fördermitteln anbieten. Eine professionelle Netzwerkarbeit, die – wie die Kulturplattform – auch spartenübergreifend und interkommunal funktioniert, stieß auch bei den Vertreter*innen aus Verwaltung und Politik auf Interesse.

Die Rückmeldungen und Ergebnisse der Kulturplattformen fließen daher in die weitere Arbeit der Lernenden Kulturregion ein, die versucht, wichtige Themen aufzugreifen und bedarfsorientierte Beratungs- und Unterstützungsleistungen anzubieten. Um nachhaltige Strukturen der Beratung und Vernetzung zu schaffen, die über die Möglichkeiten der Kulturplattform hinausgehen, ist die Lernende Kulturregion allerdings weiterhin auf die Zusammenarbeit mit den Kommunalverwaltungen angewiesen. Gemeinsame Aufgabe der nächsten Jahre soll daher sein, die Tätigkeiten der Kulturämter an den Unterstützungsbedarf der regionalen Kulturakteure anzupassen und kleine Einrichtungen als Träger der örtlichen Kulturarbeit zu stärken.

Struktur einer Lernenden Kulturregion

Kultur- und Bildungseinrichtungen, haupt- und ehrenamtliche Akteure, Vereine, Initiativen, Verbände, Organisationen und Kommunalverwaltungen: Seit Projektbeginn im Jahr 2016 haben diese Akteure an unterschiedlichen Orten, in verschiedenen Konstellationen und mit vielfältigen Kunstformen gearbeitet. Sie mussten mit Herausforderungen umgehen, die sich in urbanen Räumen nicht stellen, und haben Situationen zu schätzen gelernt, die es nur in ländlichen Regionen gibt. Diese vielen, sehr unterschiedlichen Erfahrungen ergeben im Rückblick ein Bild, an dem sich wichtige Voraussetzungen und Stellschrauben für Kulturelle Bildung und künstlerische Arbeit in ländlichen Räumen ablesen lassen:

Kulturelle Bildung braucht Strukturen

In kulturellen Einrichtungen und Vereinen ist die Arbeit so umfangreich und fordernd, dass kaum noch Zeit für den Blick nach außen bleibt. Neue Ansätze und Ideen kennen zu lernen, mit Kulturschaffenden ebenso wie mit Vertreter*innen aus Verwaltung und Politik in Kontakt zu treten, gelingt vielerorts nur dann, wenn eine professionelle Struktur für Vernetzung, Kooperation und Erfahrungsaustausch vorhanden ist. Die Kulturplattform hat sich als nützliches Format für die Region etabliert. Hier werden zukunftsweisende Formen und Strukturen der Kulturarbeit diskutiert und Projekte vorgestellt, die mit Kunst und Kultur auf gesellschaftliche Veränderungen in ländlichen Räumen reagieren.

Kulturelle Bildung braucht Beratung

Kleine Vereine und Initiativen scheitern oftmals an bürokratische Hürden und dem fehlenden Verständnis der Nachfrageseite. Gleichfalls haben Gemeinden meist wenig Erfahrung oder zu große Vorbehalte, wenn es um innovative Formen der Kulturarbeit geht. Eine individuelle Beratung kann dabei helfen, neue Angebote zu konzipieren und gute Ideen umzusetzen. Zudem sind regelmäßige Qualifizierungsangebote und eine professionelle Hilfestellung bei der Beantragung und Abrechnung von Fördermitteln insbesondere für ehrenamtliche Akteure dienlich.

Kulturelle Bildung braucht Vielfalt

Der zunehmenden Vielfalt an Lebensentwürfen können Vereine als Orte der kulturellen Teilhabe nicht mehr alleine gerecht werden. Es braucht Formen und Inhalte, die Tradition und neue Erfahrungswelten zusammenbringen, neue Ausdrucksräume schaffen und vor allem junge Persönlichkeiten stärken. Die Künstler*innen, die im Namen des Landestheaters Tübingen auf der Schwäbischen Alb unterwegs waren, kamen mit verschiedenen Ansätzen in die Gemeinden, um sie zusammen mit den örtlichen Kulturvereinen und Bürger*innen weiterzuentwickeln, mit Inhalten zu füllen und mit dem kulturellen Leben vor Ort zu verbinden. So entstanden ein Video-Spaziergang, der erzählt, was sein könnte und was war, vier Hörstationen, die persönliche Geschichten sammeln und erzählen, und eine Zeitkapsel, in der vom Verschwinden bedrohte Gegenstände aufbewahrt werden.

Kulturelle Bildung braucht Patner*innen

Gemeinsam geht es besser: Um Zielgruppen anzusprechen, die in der Regel keinen Zugang zu kulturellen Angeboten finden, sind Kulturakteure auf gute Partnerschaften angewiesen. Die Kooperationen, die die Opernfestspiele Heidenheim mit regionalen Musikschulen und Bildungseinrichtungen geschlossen haben, gehen über vorgefertigte Konzepte hinaus und begleiten die Schulen dabei, eigene Projektpläne zu entwickeln. So können bisherige Vermittlungsformate noch besser an die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Schüler*innen angepasst, langfristig ausgebaut und in die Organisation der Schulen übergeben werden.

Kulturelle Bildung braucht Zugänge

Infrastruktur und Mobilität sind in vielen ländlichen Gebieten nicht ausreichend vorhanden. Daher braucht es Kultureinrichtungen, die mobile Formate anbieten und die Chancen der Digitalisierung nutzen. Zum Beispiel die Württembergische Philharmonie Reutlingen, die mittels Live-Streamings von Orchesterproben Schulen erreicht, die aus finanziellen oder organisatorischen Gründen nicht nach Reutlingen kommen könnten.

Kulturelle Bildung braucht Netzwerke

Überalterung und bevorstehende Generationenwechsel, abnehmendes Engagement im Ehrenamt und strukturelle Mängel, veränderte Publikumsinteressen und weniger Geld. Die vielfältigen Veränderungsprozesse in ländlichen Regionen fordern Akteure auf, über den eigenen Tellerrand zu schauen, Kompetenzen und Kapazitäten zu bündeln und neue Wege gemeinsam zu gehen. Das Literaturnetzwerk Oberschwaben hat sich aus acht literarischen Museen gegründet, die vormals in den jeweiligen Heimatorten verstorbene regionale Schriftsteller würdigten. In der öffentlichen Wahrnehmung kaum präsent, haben sie als Netzwerk ein neues Selbstverständnis gefunden: Sie wollen aktiv in die Region hineinwirken, sich mit kulturellen Veranstaltungen und Informationen zu regionalen Schriftsteller*innenn sowie dem Literaturland Baden-Württemberg zu Kultur- und Lernorten für Bürger*innen und Schulen entwickeln. In Zusammenarbeit mit den Vereinen und Menschen vor Ort werden neue Angebote auf die Beine gestellt, die sich an den jeweiligen Interessen und Besonderheiten orientieren. Zum Auftakt organisieren die Akteure Literaturveranstaltungen mit kleinem Programm, die wechselnd ausgerichtet werden und allen Interessenten Gelegenheit geben, an der zukünftigen Ausrichtung des Literaturnetzwerks mitzuwirken. Der Mehrwert des Netzwerks besteht aus der Bündelung von Ressourcen, einer höheren Aufmerksamkeit und professionellen Organisationsstrukturen sowie einem vielfältigeren und publikumsorientierten Angebot.

Kulturelle Bildung braucht Interesse

Ländliche Räume sind voller Chancen und Möglichkeiten: Das ehrenamtliche Engagement, die kurzen Wege, die vielfältigen Räumlichkeiten und Orte. Daher ist das Theater der Stadt Aalen nicht auf dem Härtsfeld unterwegs, um das eigene Kulturprogramm an einem anderen Ort zu zeigen. Stattdessen will das Theater mit den Menschen der verschiedenen Dörfer in Kontakt kommen, um die Besonderheiten der Region mit künstlerischen Mitteln zu erforschen, zu beschreiben und gemeinsam zu beleben. Zum Beispiel mit dem Geräuschorchester, das die typischen Töne und Melodien sammelt: Von der Kirchenglocke über die Schafherde bis zum Lärm der regionalen Holzverarbeitungsindustrie.

Kulturelle Bildung braucht Offenheit

Spannende Angebote gibt es vor allem dort, wo Menschen selbst tätig werden und ihre Ideen und Vorstellungen einbringen können. Das Museumsquartett in Oberschwaben hat eine Ausstellung im Dialog mit sehbehinderten Besuchergruppen entwickelt und deren Interessen und Rezeptionsverhalten zum entscheidenden Faktor für die Konzeption und Präsentation der Ausstellung gemacht. Durch die emotionalen und nicht nur rein kognitiven Rezeptionserfahrungen und das selbstbestimmte Finden von Themen bietet dieser Ansatz beiden Seiten qualitative Entwicklungsmöglichkeiten und Begeisterung.

Kulturelle Bildung braucht Begegnung

OH! für alle heißt das Vorhaben, mit dem die Opernfestspiele Heidenheim Kinder und Jugendliche ansprechen möchten, die bisher noch nicht den Weg in ein Konzert gefunden haben. Erstaunlicherweise gehört auch ein Großteil der talentierten Jungmusiker*innen dazu. Die Opernfestspiele haben daher ein Projekt konzipiert, das eine ideale Ergänzung zu dem Instrumentalunterricht in den Musikschulen und der Orchesterprobe in den regionalen Nachwuchsensembles ist. Ensembles werden aus Profis und Nachwuchsmusiker*innen gemischt besetzt und erarbeiten in Workshops gemeinsame Konzerte und Auftritte. Die jungen Nachwuchsmusiker*innen werden in der konkreten musikalischen Arbeit mit den Profimusiker*innen inspiriert und „mitgerissen“. Durch den persönlichen Kontakt zu den Profis steigt das Interesse an den Opernfestspielen – nicht nur bei den Jungmusiker*innen, sondern auch bei den Musikschulen und Nachwuchsensembles in der Region.

Kulturelle Bildung braucht Überzeugung

Das Kunstfestival inter!m präsentiert Kunstwerke internationaler Künstler*innen auf einer großen Wald- und Wiesenfläche zwischen drei Gemeinden. Die Bürgermeister unterstützten das Vorhaben und bewiesen Rückhalt – den kritischen Stimmen zum Trotz und selbst dann, als eines der Kunstwerke demoliert wurde. Obwohl das Kunstfestival trotz mehrerer Informationstermine und Beteiligungsmöglichkeiten kaum Feedback aus der Bürgerschaft erfuhr, äußerten sich nach der Beschädigung vor allem die Bürger*innen, die mit der Kunst nichts anfangen konnten. Für die Bürgermeister und die Macher*innen des Kunstfestivals eine neue Erfahrung, die in die Kommunikation des nächsten Festivals einfließen muss.

Gesellschaftsgestaltende Kraft von Kultur

Lebendige Orte mit einer guten Nahversorgung, qualitativen Bildungsmöglichkeiten und einem breiten kulturellen Angebot: Diesem Ziel kommen die meisten Städte und Gemeinden im Ostalbkreis und auf der Schwäbischen Alb sehr nahe. Die vielfältigen Veränderungsprozesse erfordern jedoch, dass der ländliche Raum als attraktiver Lebens-, Wohn- und Arbeitsraum erhalten und im regionalen bzw. überregionalen Verbund weiterentwickelt wird.

Kulturelle Bildung kann nicht nur persönliche und soziale Kompetenzen stärken, sondern auch Impulsgeberin für die Regionalentwicklung sein. So gehen die Projekte, die innerhalb der Lernenden Kulturregion entstanden sind, auf die speziellen Begebenheiten vor Ort ein, machen diese zum Thema, zeigen neue Blickwinkel, Schwierigkeiten und Chancen auf. Einige der erprobten Ansätze sind so erfolgreich, dass sie weitergeführt werden oder sogar modellhaft für die künstlerische Arbeit und Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen sein können. Die Erfahrungen, die in den Kooperationen auf der Schwäbischen Alb gesammelt wurden, können auch Anregung und Hilfestellung für Kulturentwicklungsprozesse in anderen Regionen sein.

Verwendete Literatur

Zitieren

Gerne dürfen Sie aus diesem Artikel zitieren. Folgende Angaben sind zusammenhängend mit dem Zitat zu nennen:

Judith Bildhauer (2018): Das regionale Netzwerk für Kulturelle Bildung auf der Schwäbischen Alb. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/index.php/artikel/regionale-netzwerk-kulturelle-bildung-schwaebischen-alb (letzter Zugriff am 14.09.2021).

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Dieser Artikel wurde dauerhaft referenzier- und zitierbar gesichert unter https://doi.org/10.25529/92552.20.

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