Rechtsextremes Framing auf YouTube: Darstellungsformen und Ästhetik von Influencer*innen der Identitären Bewegung
Abstract
Die deutschsprachige rechtsextreme Szene ist auf YouTube aktiv. Rechtsextreme Influencer*innen veröffentlichen regelmäßig Videos, in denen sie politische Themen aufgreifen. Mit ihren Inhalten erreichen sie zum Teil hunderttausende Menschen. Dieser Beitrag analysiert anhand der Erkenntnisse der Framing-Theorie, die davon ausgeht, dass die Art, wie ein Ereignis beschrieben und dargestellt wird, Auswirkungen auf dessen Interpretation durch die Rezipierenden hat, fünf Videos von Produzierenden der rechtsextremen Identitären Bewegung (ID) mittels qualitativer Inhaltsanalyse. Dabei wird deutlich, dass sich die Produzierenden der gängigen Ästhetik der Plattform anpassen und dass sie sich humoristischer Stilmittel bedienen, um ihre Inhalte weniger radikal wirken zu lassen. Außerdem nutzen sie teilweise Ästhetiken und Strategien, die aus Nachrichtenformaten bekannt sind. So bedienen sie bekannte Sehgewohnheiten der Rezipierenden. Außerdem erhalten die Videos so den Anschein, journalistisch recherchiert und belegt zu sein, obwohl dies nicht der Fall ist. Diese Ergebnisse bieten nicht nur einen Einblick in die Kommunikationsstrategien rechtsextremer Gruppierungen, sondern auch wichtige Anknüpfungspunkte für die praktische Arbeit gegen Rechts.
Right-Wing Extremist Framing on YouTube. Forms of Representation and Aesthetics of Influencers of the German Far-Right Movement ‹Identitäre Bewegung›
The German-speaking right-wing extremist scene is active on YouTube. Right-wing extremist influencers regularly publish videos in which they address political issues. Some of them reach hundreds of thousands of people with their content. Based on the findings of the framing theory, which assumes that the way an event is described and presented has an impact on the interpretation of the event by the recipients, this study analyses five videos by influencers of the far-right movement ‹Identiäre Bewegung›, using qualitative content analysis. It is evident that the YouTubers adapt to the common aesthetics of the platform and that they use humorous stylistic devices to make their content seem less radical. In addition, they partly use aesthetics and strategies that are familiar from news formats. This way, they serve familiar viewing habits of the recipients. In addition, the videos appear to be journalistically researched and verified, although this is not the case. These results not only offer an insight into the communication strategies of right-wing extremist groups, but also important starting points for practical work against the far right.
Dieser Beitrag basiert auf Erkenntnissen und Reflexionen von Matthias Heider, vorgetragen im PANEL 3 „Ästhetik, Digitalität, Aktivismus“ der 11. Tagung des Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung zu „Ästhetik – Digitalität – Macht", März 2021.
Einleitung
Online-Videos, wie sie zum Beispiel auf den Plattformen YouTube, TikTok oder Instagram angeboten werden, sind, noch vor Fernsehen und digitalen Spielen, die primäre mediale Freizeitbeschäftigung von Jugendlichen (Feierabend, Rathgeb und Reuther 2020, 12). Dort lassen sich jedoch nicht nur Tutorials, Let’s Plays oder Comedy-Videos finden; auf den Plattformen werden regelmäßig auch Videos mit politischen Inhalten hochgeladen. Wie in nahezu allen Bereichen des Internets sind auch hier teilweise extremistische Ansichten vertreten. Die rechtsextreme Identitäre Bewegung (IB) erkannte früh das Kommunikationspotenzial der sozialen Medien und setzt seit ihrer Gründung auch auf Online-Videos, um ihre Ideologie zu verbreiten (Bruns, Glösel und Strobl 2018, 269). Doch nicht nur die Organisation selbst setzt auf Bewegtbildinhalte im Netz, auch die Schlüsselfiguren und inhaltliche Führung der IB ist in den sozialen Medien zu finden. Obwohl der Bundesverfassungsschutz nur etwa 600 Unterstützende der Identitären Bewegung Deutschland (IBD) zählt, erreichen die YouTuber*innen mit ihren Videos teilweise Hundertausende. In ihren Videos setzen diese Influencer und Influencerinnen der IB (nach Schach 2018, 31) Bezüge zu politischen Themen und reichern diese mit ihrer ideologischen Weltsicht an. Wie dieses Framing vonstattengeht und welche ästhetischen und inhaltlichen Stilmittel die Akteure dabei verwenden, soll im folgenden Text näher aufgezeigt werden. Hierfür werden fünf Videos von YouTubern der IB qualitativ analysiert und die darin verwendeten Stilmittel aufgezeigt. Um diese Inhalte besser einzuordnen, geht dem eine genauere Betrachtung der IB voran. Zum Abschluss der Analyse wird die Bedeutung um das Wissen solcher Stilmittel aufgezeigt, wenn es um die wichtige Aufgabe der Wissenschaft und besonders der Medienpädagogik im Widerstand gegen rechtsextreme und anti-demokratische Ideologie geht.
Die Identitäre Bewegung (ID)
Die IB ist eine international operierende Gruppierung vor allem junger Menschen. Sie kann der sogenannten Neuen Rechten zugeordnet werden (Bruns, Glösel und Strobl 2018, 28) und zeichnet sich anhand von vier Alleinstellungsmerkmalen aus: «Jugendlichkeit, Aktionismus, Popkultur und die Corporate Identity» (Bruns, Glösel und Strobl 2018, 68). Dabei rekrutiert sie ihre Anhängerschaft vor allem aus dem Schülerinnen- und Schüler-, Lehrlings- und Studierendenumfeld. Schwarz (Schwarz 2020, 35) bezeichnet die IB als «Scheinriesen», weil sie über nicht sonderlich viele Mitglieder verfügt und ihre Aktionen meist nur wenige Teilnehmende anziehen. Ihre Aktionsformen sind jedoch so angelegt, dass auch immer wieder Massenmedien über sie berichten und sie so die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erlangen (Hentges 2018, 95). Hinzu kommt ein großes Publikum, das über eigene Medien und Internetpräsenzen erreicht wird.
Auch ideologisch steht die IB der Neuen Rechten nahe, die vor allem auf einen positiven Bezug zur nationalen Identität setzt (Hentges, Kökgiran und Nottbohm 2014, 2). Dabei bemühen sie sich zumindest in der Öffentlichkeit um eine klare Abgrenzung zum historischen Faschismus und vor allem zum Nationalsozialismus, sowie zur extremen Rechten nach 1945. In der Praxis zeichnet sich die IB trotzdem stark durch solche rassistischen Diskurse aus, welche «in den westlichen Gesellschaften bereits verbreitet sind» (Bruns, Glösel und Strobl 2017, 82) und deren Grundlage der sogenannte ‹Ethnopluralismus› (Anm.: Eine modernisierte Form des Rassismus, der das Individuum vor allem durch die Zugehörigkeit zu einem ‹Volk› oder einer ‹Kultur› definiert. Das Aufeinandertreffen verschiedener ‹Kulturen› wird dabei als Ursache globaler Konflikte angesehen und davon ausgegangen, diese könnten vermieden werden, wenn diese ‹Kulturen› streng getrennt voneinander existieren würden (vgl. Bruns, Glösel und Strobl 2018, 228ff.).) bildet. Diese Ideologie eignet sich bestens dazu, «mittels akzeptabel scheinender Begriffe und Menschenbilder, Rassismus für das als wünschenswert gedachte Spektrum der bürgerlichen Mitte aufzuarbeiten» (Bruns, Glösel und Strobl 2017, 82). In der Realität wird die propagierte ‹Gleichheit der Völker› von den Identitären selbst nicht gelebt. Immer wieder schlagen eine klare Hierarchisierung von Menschengruppen und offenerer Rassismus durch. Vor allem muslimische Menschen und Persons of Color werden verbal (und teilweise körperlich) angegriffen. Doch auch innerhalb des vermeintlichen eigen ‹Volkes› sehen die Identitären Feinde. Eine dekadente und hedonistisch-liberale Gesellschaft habe Deutschland und Europa in eine existenzielle Krise geführt. Vor allem der politische Liberalismus und Marxismus, aber auch alles andere, was als politisch ‹links› wahrgenommen wird, dient als Feindbild (Bruns, Glösel und Strobl 2018, 219–41). Die IB sieht sich als Opfer einer vermeintlich linken Hegemonie, die die Akteurinnen und Akteure der Neuen Rechten durch Zensur und Political Correctness daran hindern möchte, frei zu denken, zu schreiben und zu reden (Aftenberger 2007, 206ff.). Diese Argumentation wird vor allem dafür genutzt, um anti-demokratische oder rassistische Aussagen als richtig zu legitimieren und sich gleichzeitig selbst als Verteidigerinnen und Verteidiger demokratischer Meinungsfreiheit zu inszenieren (Bruns, Glösel und Strobl 2018, 242f.).
In den letzten Jahren, sehen Beobachtende die IB jedoch in einem Abwärtstrend. Aktionen bleiben aus, die offiziellen Social-Media-Kanäle der IB werden immer seltener betreut und einige Aktivistinnen und Aktivisten haben neue Organisationen gegründet oder sich anderen angeschlossen (Sulzbacher 2020). Der scheinbare Rückzug der IB bedeutet aber keineswegs, dass deren Ideologie und Ansichten der Vergangenheit angehörten. Einzelpersonen mit starken Verbindungen zur IB treten nun vermehrt in den sozialen Medien auf und erreichen dort ein großes Publikum. So erzielte Martin Sellner, Leiter der IB Österreich, mit seinen YouTube-Videos durchschnittlich 1,5 Millionen Videoaufrufe pro Monat. Es hat den Anschein, dass die IB ihre Arbeit vom gruppenbasierten Aktivismus hin zur Onlinekommunikation über Einzelpersonen verschoben hat.
Politik und Rechtsextremismus auf YouTube
Das Thema der politischen Akteurinnen und Akteure und Influencerinnen bzw. Influencern auf YouTube fand in der Wissenschaft bisher nur sehr moderate Beachtung. Zwar liegt eine Vielzahl von Werken vor, die sich mit politischer Kommunikation im Internet befasst. Häufig beschäftigen sich diese aber nur mit den Inhalten etablierter Parteien oder journalistischer Werke, wie die Beiträge im Sammelband von Schweitzer und Albrecht (2011) zeigen. Trotzdem sollen an dieser Stelle einige herausstechende Forschungen vorgestellt werden, die besonders für diesen Beitrag relevant sind. Bachl (2011), der sich mit Videos etablierter Parteien beschäftigt, leitet aus seiner Arbeit die Erkenntnis ab, dass politische YouTube-Videos vor allem dann erfolgreich sind, wenn sie Inhalte auf humorvolle Art und Weise aufgreifen. Düring (2011) kommt in ihrer Untersuchung von Videos von Gentrifizierungsgegner*innen zu dem Schluss, dass es für eine kleine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten möglich ist, durch Videos Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommen Sayre et al. (2010), die herausgefunden haben, dass politische YouTube-Videos Einfluss auf die Nachrichtenberichterstattung zu bestimmten Themen haben können. Eine Studie von Studierenden der Filmuniversität Babelsberg erforschte 2018 die Arbeitsweise und das Selbstbild politischer YouTuber*innen. Die Ergebnisse dieser Studie sind in zwei Publikationen zusammengefasst und zeigen auf, dass diese Akteurinnen und Akteure vor allem an einem Diskurs, nicht an einer Persuasion ihrer Rezipierenden interessiert sind (Wegener 2019; Wegener und Heider 2019). Allerdings beschäftigt sich diese Arbeit lediglich mit pro-demokratischen YouTuber*innen, die vor allem auf einen Bildungsprozess abzielen. Ekmans (2014) Beitrag über rechtsextremen Videoaktivismus in Schweden zeigt hingegen, dass extremistische Gruppierungen mit ihren Videos die Ziele verfolgen, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen, ihre Anhängerschaft zu stärken, zu mobilisieren und das eigene Bild für die Öffentlichkeit ansprechender zu gestalten. Eine Arbeit über das Twitter-Verhalten rechtspopulistischer Politikerinnen und Politiker legt Außerdem nahe, dass sich diese in ihren Online-Auftritten auf ihre politischen Kernthemen, vor allem die Migrationspolitik fokussieren (Alonso-Muñoz und Casero-Ripollés 2018). Besonders interessant für das Verständnis visueller rechtsextremer und rechtsterroristischer Inhalte im Internet sind die Werke von Maik Fielitz. Sie zeigen, dass sich die rechtsextreme Kommunikation an die Internetkultur angepasst hat und dort Ästhetiken und Konventionen z. B. der Meme-Kultur zum Einsatz kommen (vgl. Bogerts und Fielitz 2018, 2019; Fielitz und Staemmler 2020). Er liefert Außerdem wichtige Beiträge zum Umgang mit rechtsextremistischen Hasskampagnen, die als Grundlage medienpädagogischer Konsequenzen dieser Arbeit zur Rate gezogen werden können (Fielitz 2020). Einen besonders wichtigen, wenn auch nicht wissenschaftlichen Beitrag liefern Stegemann und Musyal mit ihrem Vortrag auf der re:publica 2019. Dort zeigen die Journalisten eindrucksvoll an etlichen Beispielen auf, wie rechte Influencer*innen, vor allem der IB, plattformspezifische Inhalte publizieren und sich selbst mit intimen und emotional-authentischen Inhalten zur Pop-Figur machen, um ihre Ideologie zu verbreiten (re:publica 2019). Auch die Publizistin Karolin Schwarz (2020) zeigt in ihrem Werk «Hasskrieger», wie der neue globale Rechtsextremismus funktioniert und wie bekannte Mechanismen des Influencer-Marketings eingesetzt werden, um demokratiefeindliche Ideologien zu verbreiten.
Es zeigt sich, dass rechtsextremistische Inhalte auf YouTube zwar wissenschaftliche und gesellschaftliche Beachtung fanden, die ständig wechselnden Rahmenbedingungen der digitalen Verbreitungsmöglichkeiten sowie der Kommunikationsstrategien rechtsextremer Gruppierungen machen es jedoch notwendig, sich kontinuierlich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Besonders ein Blick auf die Ästhetik und die verwendeten Stilmittel rechtsextremer Akteurinnen und Akteure scheint sinnvoll, da dieser einen Beitrag leisten kann, diese besser zu erkennen und so das Wissen um sie in der praktischen medienpädagogischen Jugendarbeit Verwendung finden kann.
Framing
Es war Erving Goffman (1986), der den Forschungsbereich des Framings hin zum Kollektiv und der Gesellschaft öffnete. Er geht davon aus, dass die Menschen ihre Umwelt niemals voll verstehen können und deshalb gemachte Lebenserfahrungen interpretieren und klassifizieren, um sie zu verstehen. Er schreibt:
«[W]e tend to perceive events in the terms of primary frameworks, and the type of framework we employ provides a way of describing the event». (Goffman 1986, 24)
Wie ein Ereignis beschrieben wird, ist also keinesfalls naturgegeben, sondern hängt von den Frames ab, die die Beschreibenden anwenden. Dies impliziert, dass es mehrere Sichtweisen auf ein Ereignis geben kann und diese davon abhängen, welche Frames die Berichtenden anwenden (D. A. Scheufele 2000, 301). Dieser Ansatz rückt das Framing-Konzept weg vom bloßen logischen Verstehen von Informationen und hin zu einer gezielten Selektion von Fakten und Argumenten (Cacciatore, D. A. Scheufele und Iyengar 2015, 10). Entman (1993) definiert Frames nach ihrer Funktion. Demnach definieren sie Probleme, analysieren Gründe für diese Probleme, geben eine moralische Einschätzung und Evaluation der Kausalfaktoren des Problems und schlagen, im letzten Schritt, Lösungen vor (Entman 1993, 52). Es ist dabei nicht nur entscheidend, welche Informationen zur Nachricht werden, sondern auch, wie diese aufbereitet sind.
Framing funktioniert durch «selection, emphasis, exclusion and elaboration» (Tankard et al. 1991, 3). In diesem Prozess kommen sehr verschiedene Mittel zum Einsatz, um ein Ereignis auf eine bestimmte Art und Weise darzustellen. So können unterschiedliche Teile eines Interviews, unterschiedliche Foto- oder Videoaufnahmen oder die Verwendung anderer Begriffe ein Ereignis in einem anderen Frame darstellen. Wie Ardévol-Abreu (2015, 429) anmerkt, ist es bei identischen Informationen und Quellen möglich, eine Nachricht unterschiedlich zu framen. Eine positive bzw. negative Darstellung in den Medien bewirkt, wie verschiedene Studien belegen, bei den Rezipierenden häufig eine äquivalente Evaluation des Ereignisses (B. Scheufele 2004, 407). Es muss aber auch darauf geachtet werden, wer kommuniziert. Denn die Einstellung gegenüber der absendenden Person einer Nachricht dürfte Einfluss auf deren Wirkung haben (Eichhorn 2005, 92).
Die Framing-Theorie stammt aus einer Zeit, «in der die traditionellen Massenmedien die zentrale Instanz für die Vermittlung (politischer) Informationen in der Bevölkerung waren» (Gleich 2019, 126). Durch eine Diversifizierung des Medienangebots stehen Rezipierenden immer mehr und spezialisiertere Informationsquellen zur Verfügung. Diese zunehmende Komplexität des Medienangebots sowie sich verändernde Mediennutzung sorgen dafür, dass nicht nur Journalistinnen und Journalisten Framing betreiben. Auch Laien können Nachrichten oder nachrichtenähnliche Inhalte veröffentlichen, die auf den ersten Blick häufig kaum von professionellen journalistischen Inhalten zu unterscheiden sind. Das ermöglicht auch politischen Gruppierungen und Parteien, diese Kommunikationswege für ihre Mobilisierung oder für politisches Marketing zu nutzen (Skogerbø und Krumsvik 2014, 350). So lösen sie zumindest teilweise ihre Abhängigkeit von den Massenmedien zur Aufmerksamkeitsgenerierung und können direkt mit Anhängerinnen und Anhängern oder Wählenden in Verbindung treten. Durch die sozialen Medien haben sie die Möglichkeit, selbst ein großes Publikum zu erreichen (Gleich 2019, 132). Dadurch sind selbst kleine Gruppierungen befähigt, ihre Interessen publik zu machen, auch wenn sie gegen die der vermeintlichen (medialen) Machtelite stehen (Antony und Thomas 2010, 1284). Bekkers et al. (2011) fanden heraus, dass es durch geschicktes Framing in sozialen Medien zu einer effektiven Mobilisierung von Anhängerinnen und Anhängern kommen kann. Sie kommen zu dem Schluss:
«These technologies enable rapid and massive sharing of experiences, which helps to create a shared understanding or a shared story between loosely coupled individuals. This facilitates a process of frame alignment, which helps to expand both the issue and the group of people to be mobilized.» (Bekkers et al. 2011, 217)
Ekman (2014) sieht gerade den Videoaktivismus als essenzielle Strategie der Aufmerksamkeit im mediatisierten Protest. Er zeigt auch auf, wie Symboliken, Ästhetik und andere visuelle Nachrichten genutzt werden, um Wiedererkennungswerte für solche Gruppierungen zu schaffen und einen Vergemeinschaftungseffekt unter den Unterstützerinnen und Unterstützern zu erzielen. Diese Elemente können zusammen mit ansprechendem, emotionalem Framing verwendet werden, um eine möglichst überzeugende Nachricht zu vermitteln, die die Zuschauerinnen und Zuschauern affektiv anspricht und einen grossen persuasiven Effekt erzielt (vgl. Ekman 2014, 82–96). Auch nicht-journalistische politische Akteurinnen und Akteure framen also aktiv und haben, wie die Forschung zeigt, damit auch teilweise grossen Erfolg (vgl. Alonso-Muñoz und Casero-Ripollés 2018; Antony und Thomas 2010; Bekkers et al. 2011; Ekman 2014; Huckins 1999; Ragas und Kiousis 2010; Sayre et al. 2010). Dass diese nicht immer demokratische und freiheitlich-soziale Ziele verfolgen, befürchteten schon Antony und Thomas (2010) in ihrem eigentlich positiven Text zu «Citizen Journalism». Die folgende Betrachtung rechtsextremer Inhalte von YouTuber*innen der Identitären Bewegung wird zeigen, wie solche anti-demokratischen Kräfte agieren und welche Stilmittel sie in ihrem Framing anwenden.
Empirische Untersuchung
Methodisches Vorgehen
Um dem explorativen Charakter dieser Studie gerecht zu werden, wurde für die Analyse ein qualitatives Vorgehen gewählt. Diese, für die Framing-Forschung ungewöhnliche Methode, ermöglicht, rhetorische und stilistische Mittel deutlich herauszustellen – ein Problem, das in einem quantitativen Forschungsdesign häufig außer Acht gelassen wird (Russell Neuman et al. 2014, 207). Um die Analyse den audiovisuellen Inhalten anzupassen, wurden Methoden aus der Medien- und Filmwissenschaft genutzt, genauer gesagt die Film- und Fernsehanalyse nach Mikos (2008). In einem speziell an diese Forschung angepassten Sequenzprotokoll, in dem sich auch das Transkript der Videos finden lässt, wurden die ausgewählten Videos quantifiziert und so erforschbar gemacht. Mittels qualitativer Inhaltsanalyse (nach Mayring 2016) wurden dann die Methoden und Stilmittel herausgearbeitet, die von den YouTuber*innen der IB genutzt werden, um ihre Ideologie zu verbreiten. Die Kodierung und Analyse wurden unter Zuhilfenahme des Computerprogramms ATLAS.ti (Version 8.4.24.0) durchgeführt.
Um möglichst typische Videos auszuwählen, wurde wie folgend vorgegangen: Eine Vorabanalyse anhand von journalistischer Berichterstattung und Quellen aus der Arbeit gegen Rechtsextremismus sollte helfen, YouTuber*innen zu ermitteln, die in enger Verbindung mit der IB stehen. Anschließend sollte anhand folgender Kriterien entschieden werden, ob diese sich für eine Analyse eignen:
1. Deutschsprachig
2. Relevante Grösse von über 10.000 Abonnentinnen und Abonnenten (Stand Mai 2020)
3. Regelmäßige Uploads
4. Erfahrbare Einzelakteure bzw. Einzelakteurinnen
5. Persönliche Kanäle (keine Kanäle von Organisationen)
Von den so ausgewählten YouTuber*innen wurde das – gemessen an den Aufrufzahlen – erfolgreichste Video aus dem Jahr 2019 analysiert. Diese Auswahlmethode wurde gewählt, weil so eine Relevanz gegeben war und sich durch den zeitlichen Abstand eine Einordnung in das politische Tagesgeschehen einfacher und klarer gestaltete. Außerdem sollten Videos, in denen die YouTuber*innen ausschließlich ein Interview mit einem anderen Menschen durchführen, von der Analyse ausgeschlossen werden. So wurde verhindert, dass Videos analysiert werden, deren Erfolg maßgeblich an prominenten Gästen festzumachen ist. Die Videos wurden mittels der Analyseseite www.socialblade.com ermittelt.
Ausgewählte Kanäle und Videos
In der Bestandsaufnahme von Kanälen, die mit der IBD oder IBÖ in Verbindung stehen, konnten insgesamt zwölf Kanäle ermittelt werden. Nach den oben genannten Kriterien wurden folgende fünf Kanäle mit ihren meistgesehenen Videos aus dem Jahr 2019 ausgewählt:
Kanalname |
Moderator |
Abonnentinnen und Abonnenten (Mai 2020) |
Meistgesehenes Video 2019 |
Uploaddatum |
Aufrufe des Videos |
Martin Sellner |
Martin Sellner |
139.000 |
«!! Diese Migrationsbilder aus Bosnien schockieren alle – UN-Umsiedlung beginnt.» |
18.01.2019 |
251.044 Stand: 30.06.2020. |
Laut Gedacht |
Alexander «Malenki» Kleine & Phillip Thaler |
53.800 |
«Ist Klima-Greta ein Fake? | Laut Gedacht #112» |
31.01.2019 |
202.612 Stand: 12.06.2020. |
Martin Sellner Live! |
Martin Sellner |
43.400 |
«Mein Verhör & eine Warnung an alle Unterstützer» |
16.04.2019 |
111.354 Stand: 12.06.2020. |
Malenki |
Alexander «Malenki» Kleine |
49.100 |
«Multikulti Propaganda für Kids» |
04.02.2019 |
49.214 Stand: 09.06.2020. |
Ruhrpott Roulette |
Marius König & Kai Naggert |
14.300 |
«Heikle Strassenumfrage | Ruhrpott Roulette #03» |
29.03.2019 |
135.346 Stand: 02.07.2020. |
Tab. 1: Zwölf ermittelte YouTube Kanäle, die mit der IBD oder IBÖ in Verbindung stehen.
Die resultierende Auswahl von Kanälen gibt einen vergleichsweise breit gestreuten Überblick der vorhandenen YouTuber*innen der IB. Mit den beiden Kanälen von Martin Sellner und Alexander «Malenki» Kleine werden Videos von Soloakteuren analysiert. In den Videos von Laut Gedacht und Ruhrpott Roulette tritt hingegen ein Moderatorenteam auf. Außerdem werden Identitäre aus verschiedenen deutschsprachigen Regionen betrachtet. Während Kleine und Thaler der ostdeutschen IB zuzuordnen sind, bieten König und Naggert die Möglichkeit, eine Westdeutsche Gruppe von IB Influencer*innen näher in die Analyse einzubeziehen. Seller steht dabei als Repräsentant der IBÖ. Durch seinen Einfluss und seine Bekanntheit kann er jedoch auch als prototypisch für sämtliche deutschsprachigen Gruppierungen der IB angesehen werden.
Ergebnisse der Analyse
YouTube
Der Plattform angemessen, bedienen sich auch die untersuchten YouTuber*innen bestimmter Ästhetiken und Stilmittel, die man als typisch für die Plattform beschreiben kann und die sonst vor allem durch Video-Bloggerinnen und -Blogger sowie Lifestyle-YouTuber*innen bekannt sind. Dies wird schon bei der ersten Betrachtung der Titel klar. Der Einsatz von Sonderzeichen ganz zu Beginn des Titels (vgl. Martin Sellner 2019), die gewählten Formate wie z. B. «Heikle Straßenumfrage» (Ruhrpott Roulette 2019), aber auch das Verwenden von aufsteigenden Nummern zur Kennzeichnung des Contents (vgl. z. B. Laut Gedacht 2019), sind bekannte Praktiken. Auch verwenden fast alle Videos ein animiertes Intro, das den darauf folgenden Content klar als dem Kanal zugehörig kennzeichnet (vgl. z. B. Malenki 2019 [00:00-00:05]). Auch ein Abspann wird bei einigen Videos verwendet und ruft, wie z. B. bei Laut Gedacht (vgl. Laut Gedacht 2019 [08:27-08:35]), Ruhrpott Roulette (vgl. Ruhrpott Roulette 2019 [11:11-11:16]) und Martin Sellner Live (vgl. Martin Sellner Live! 2019 [11:31-11:44].) die Nutzerinnen und Nutzer auf, den Kanal zu abonnieren und mit Spenden zu unterstützen. Solche sogenannten Endcards sind unter professionellen und semi-professionellen YouTuber*innen stark verbreitet und werden u. a. auch dafür genutzt, die Nutzerinnen und Nutzer über Videolinks zu weiteren Videos des Kanals zu führen (vgl. Martin Sellner Live! 2019).
Ein weiteres YouTube-typisches ästhetisches Mittel, das verwendet wird, ist die direkte Ansprache in die Kamera (Anm.: Alle untersuchten Videos tragen dieses Merkmal.), die bei Video-Blogger*innen üblich ist. Häufig wird diese mit Jumpcuts kombiniert, die das Video dynamischer erscheinen lassen. Letztere werden, wenn sie verwendet werden, allerdings nur spärlich eingesetzt (vgl. Laut Gedacht 2019; Martin Sellner Live! 2019). Das Video des Kanals Ruhrpott Roulette weist eine weitere Besonderheit auf. Dort wird auffallend häufig von grafischen Einblendungen Gebrauch gemacht. Das ist zwar per se nicht ungewöhnlich, da solche in fast jedem Video zu finden sind, allerdings bedienen sich die Macher hier u. a. auch eines bekannten Memes, das John Travolta in dem Film PULP FICTION (1994) zeigt (vgl. Ruhrpott Roulette 2019, [03:58-04:42]). Normalerweise ist dieses Meme Ausdruck einer gewissen Planlosigkeit, hier wird es jedoch zur Visualisierung eines fremden Mannes und Vergewaltigers verwendet. Man bedient sich hier also gängiger Praktiken der Internetkultur und setzt diese in einen neuen Kontext.
Sofern ein Set vorhanden ist, erinnert es ebenfalls an die Sets klassischer YouTube-Videobloggender. Während sich Martin Sellner in Web-Cam-Ästhetik scheinbar aus seinem Schlafzimmer an seine Zuschauerinnen und Zuschauer wendet und in ein gut sichtbares Mikro spricht, verwenden Alexander «Malenki» Kleine und Philip Thaler auf ihrem Kanal Laut Gedacht eine aufwendigere Hintergrundausstattung mit Details. Ihr Aufbau erinnert ebenfalls an den klassischer Video-Blogger*innen, ist allerdings mit nationalistischen und völkischen Symbolen angereichert. Neben Socken in den Farben der BRD findet sich auch ein T-Shirt mit dem Logo des Kanals und ein kleines Schild, auf dem ein Schwert und in Fraktur geschrieben die Worte «Sachsen muss stabil bleiben» (Laut Gedacht 2019) zu lesen sind. Auch ein klassisches Ölgemälde einer Seeidylle ist zu erkennen, das eine Anspielung auf eine vergangene, nationale Idylle früherer Zeiten, gleichzeitig aber auch eine Anlehnung an eine beliebte Retro-Ästhetik nahelegt (Laut Gedacht 2019). Es kann vermutet werden, dass diese dort absichtlich platziert worden sind, um diesen klaren nationalistischen und kämpferischen Bezug zu schaffen. Dies erinnert an Produktplatzierungen, wie sie z. B. im Influencer-Marketing üblich sind (Müller 2020, 59).
Ein weiteres interessantes Beispiel, bezogen auf die ästhetischen Praktiken, stellt das Video von Alexander «Malenki» Kleine dar, in dem er in einer Bibliothek Kinderbücher bewertet. Sein Kleidungsstil, die Farbgebung des Videos und vor allem die Schnitte, in denen zum Teil ein Effekt verwendet wird, der das Ausbrennen eines analogen Films simuliert, ist stark an eine Ästhetik angelehnt, die vor allem unter Lifestyle- und Fashion-Influencer*innen auf YouTube, aber auch Instagram gängig ist (Müller 2020, 51–77). Auch die Moderatoren von Ruhrpott Roulette kleiden und frisieren sich im Stil junger, modischer Menschen (vgl. Ruhrpott Roulette 2019). So tritt rechtsextremes Gedankengut und Ablehnung einer offenen Gesellschaft in einem Gewandt in Erscheinung, das vermutlich die wenigsten Zuschauer*innen erwarten und das stark vom Stereotypenbild springerstiefeltragender Rechtsextremer abweicht.
Diese ästhetischen Stilmittel, aber auch dramaturgische Anlehnungen an bekannte YouTube-Formate wie z. B. Umfragen, Video-Blogs und Life-Style-Videos zeigen, dass die Identitären sich an die gängigen Praktiken der Plattform anpassen. Die YouTuber*innen der IB adaptieren den Stil großer YouTube-Kanäle. Damit soll vermutlich versucht werden, den Übergang von normalem YouTube-Content zu den rechtsextremen Inhalten der Identitären so einfach und fließend wie möglich zu gestalten. Den Rezipierenden könnte sogar entgehen, dass es sich hierbei um rechtsextremen Content handelt. Vielmehr finden sie sich in Formaten und Ästhetiken wieder, die ihnen wohlbekannt sind.
Humor und Zynismus
Eng mit der Anlehnung an klassische YouTube-Praktiken ist der Einsatz von Stilmitteln verknüpft, die den Bereichen Humor bzw. Zynismus zugeordnet werden können. In allen Videos war dieser Aspekt vorhanden. Jedoch unterscheiden sie sich in ihrer Ausprägung teilweise stark. Während sich Martin Sellner in seinen Videos weitgehend zurückhält, fusst das Video von Ruhrpott Roulette fast ausschließlich auf komischen Elementen. Die Produzierenden machen sich vor allem über die Teilnehmenden ihrer Umfrage lustig oder stellen sie als gefährlich oder dumm dar. Dabei nutzen sie aber auch Einblendungen von Memes, kleinen Grafiken oder Animationen. So zum Beispiel bei der Frage, wie viel Haut Frauen zeigen dürfen, ohne Gefahr zu laufen, vergewaltigt zu werden (vgl. Ruhrpott Roulette 2019, [03:58-06:15]). Das Foto der Frau, die immer weiter verhüllt wird, bis sie einen Niqab trägt, weist erneut auf die starke Islamfeindlichkeit der IB hin. Zwei weitere Mittel, mit denen sich die Produzierenden über die Befragten lustig machen, ist einerseits das schnelle Vorspulen bei langen, vermeintlich unverständlichen Antworten (vgl. z. B. Ruhrpott Roulette 2019, [06:15-06:51]). So wird suggeriert, das Gegenüber könne sich nicht richtig ausdrücken. Andererseits delegitimiert das Einspielen von aus dem Kontext gerissenem Fremdmaterial, zum Beispiel eines alten, als sexistisch zu bewertenden Werbespots (vgl. Ruhrpott Roulette 2019, [02:08-02:30]) oder einer Doku über den Hinduismus (vgl. Ruhrpott Roulette 2019, [09:33-10:21]) die Aussagen der Befragten. Die Antworten der Befragten werden mit vermeintlich komischen oder unpassenden Fremdszenen kontrastiert, was sie lächerlich erscheinen lässt. Dabei darf der Selektions- und Produktionsprozess nicht außer Acht gelassen werden. Die Produzierenden wählen hier vermutlich gezielt solche Aussagen aus, die das Video gleichzeitig «witzig» machen und ihrer politischen Agenda nutzen sollen.
Auch der politische Gegner wird als lächerlich, unfähig und/oder gefährlich dargestellt. Die beiden Moderatoren der Sendung Laut Gedacht verwenden vor allem Zynismus, um Aussagen des politischen Gegners ins Lächerliche zu ziehen oder sie als falsch und gefährlich darzustellen. So benutzen sie zum Beispiel, als sie die Geschichte einer angeblich glücklosen und für die Frau psychisch schädlichen Ehe zwischen einer Deutschen und einem Asylbewerber erzählen, einen ironischen Unterton sowie kontrastierende Einblendungen:
«Kleine: Aber es gibt in Deutschland auch tolerante Menschen. Die offen sind für fremde Kulturen. Progressive Menschen. Die auch bereit sind, sich zu verändern. Nicht so wie die liebe Anna.
Thaler: Ich bin mir sicher, wir werden in den kommenden Jahren noch weitere märchenhafte Geschichten hören. Geschichten von alten, vertrockneten Jungfern, die ihren Traumprinzen aus fremden, fernen Ländern gefunden haben. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.» (Laut Gedacht 2019 [04:23-05:35])
Während Thaler diesen letzten Satz sagt, wird ein Zeitungsartikel eingeblendet: «Asylbewerber ersticht in Borna seine Frau» (Laut Gedacht 2019 [04:23-05:35]). Hier zeigt sich auch, dass häufig mehrere Elemente gleichzeitig eingesetzt werden.
Gleichzeitig nimmt der Einsatz von Humor dem Gesagten und Dargestellten die Härte. Es klingt weniger aggressiv und lässt sich besser an den gesellschaftlichen Diskurs andocken. So wird nicht nur der Rahmen des Sagbaren erweitert, so werden auch bestimmte Attribute wie Gewalt, Frauenfeindlichkeit oder Terror mit dem Thema Migration verknüpft oder wird der politische Gegner in ein schlechtes Licht gerückt. Gleichzeitig eröffnen Humor und Zynismus auch eine große Zielgruppe. Nach Bachl (2011) sind politische YouTube-Videos vor allem dann erfolgreich, wenn sie «ihre Inhalte humorvoll und lustig verpacken». Lustige Videos zählen zudem zu den beliebtesten Inhalten auf der Plattform. So geben über ein Drittel der Jugendlichen, darunter vor allem Jungen, an, mehrmals pro Woche lustige Clips bzw. Comedy oder lustige Videos von YouTuber*innen zu rezipieren (vgl. Feierabend, Rathgeb und Reuther 2020, 40). Mit dieser Art von lustigen Videos werden also vor allem jüngere männliche Rezipienten angesprochen, was der Zielgruppe der IB entspricht.
(Pseudo) Journalismus
Es mag auf den ersten Blick verwunderlich sein, dass die Identitären eine (pseudo)journalistische Art der Darstellung wählen, sehen sie doch die Medien als Feinde und nutzen, wie beschrieben, Stilmittel, die nicht intuitiv dem Journalismus zugeschrieben werden. Doch bei genauerer Analyse fällt schnell auf, dass sich die Identitären auch stark journalistischer Stilmittel und deren Ästhetik bedienen. Deutlich wird das vor allem bei den Kanälen von Martin Sellner und dem News-Format Laut Gedacht. Blickt man zunächst auf die ästhetischen Aspekte des Letzteren, werden schon im Bildaufbau Parallelen zu klassischen Nachrichtenformaten deutlich. Zwar werden die Videos nicht in einem TV-Studio gedreht. Das Bild der beiden, aufrecht an einem Tisch sitzenden Moderatoren, die direkt in die Kamera sprechen, sowie der gestaltete Hintergrund, der mit verschiedenen Details geschmückt ist, folgt aber deutlich dem üblichen Aufbau von Nachrichten- oder Magazinformaten (vgl. Laut Gedacht 2019). Auch das Aufzählen der Themen der Sendung (vgl. Laut Gedacht 2019, [00:00-00:07]) und die Blenden zwischen den Sendungssegmenten (vgl. Laut Gedacht 2019, [03:23-03:24]) erinnern in ihrer Ausführung an Formate, die aus dem Fernsehen bekannt sind. Kleine und Thaler inszenieren sich hier als Nachrichtensprecher und reklamieren somit auch der Glaubwürdigkeit und Deutungshoheit dieser Berufsgruppe für sich.
Ein weiteres bildgestalterisches Mittel sind Einblendungen und Einspieler. Sowohl in Sellners Videos als auch in Laut Gedacht lassen sich verschiedene Arten davon identifizieren, die an journalistisches Arbeiten erinnern. So werden hauptsächlich Online-Artikel, teils mit, teils ohne Quellenangabe, aber auch Bewegtbildmaterial eingespielt. Darüber hinaus lassen sich in den Videos auch Tweets, Fotos und Grafiken finden. Inhaltlich beziehen sich diese Einblendungen meistens auf das zuvor Gesagte oder das momentane Thema. So zeigt Sellner (2019) vermeintliche Videoaufnahmen von Geflüchteten, die eine Strasse entlanggehen, während er darüber spricht, dass «hunderte von Illegalen aus einer komplett überfüllten bosnischen Stadt […] laut dem Bürgermeister […] im Endeffekt weiter nach Norden und Westen, also alle zu uns [wollen]». Das Behauptete wird mit Bildern und zusätzlichen Quellen untermauert und gewinnt so an Legitimität und Glaubwürdigkeit. Die Sendung bekommt den Anschein, gut und gründlich recherchiert worden zu sein. Laien können hier durchaus denken, dass es sich um eine junge, aber trotzdem nach journalistischer Maxime recherchierte und glaubwürdige Sendung handelt. Dass dies hier nicht der Fall ist, lässt sich allerdings schnell herausfinden. Nicht nur fehlen bei einigen Einblendungen Quelle und Datum (vgl. z. B. Martin Sellner 2019, [01:15-03:10]; Laut Gedacht 2019 [04:41-05:04]), andere sind sogar komplett aus dem Kontext gerissen, so zum Beispiel die Einblendung eines Kommentars von Außenminister Heiko Maas vom 27.01.2019 im Onlineauftritt der Zeitung Welt mit dem Titel «Das Unwissen der jungen Deutschen ist gefährlich» (Laut Gedacht 2019 [03:18-03:21]). Im Video wird es so dargestellt, als kommentiere der SPD-Politiker hier die vermeintliche Ahnungslosigkeit der Fridays for Future-Demonstrierenden über mögliche wirtschaftliche Folgen des Klimaschutzes für Deutschland. Allerdings schreibt Maas in dem besagten Artikel mit keinem Wort über die demonstrierenden Schülerinnen und Schüler. Sein Kommentar handelt von der Gefahr des wachsenden Antisemitismus und der Geschichtsvergessenheit in Deutschland und davon, dass rechte Provokateure den Holocaust relativieren und Hass und Hetze im Internet verbreiten (Maas 2019). Hier wird klar, dass es sich bei den Formaten der IB eben nicht um wirklich journalistische Inhalte handelt, auch wenn sie äußerlichen diesen Eindruck erwecken mögen, sondern um politische Botschaften, deren Produzierende auch nicht davor zurückschrecken, Fakten verkürzt oder gar falsch darzustellen.
Fazit
Die hier durchgeführte Analyse von fünf Videos von Influencer*innenn der rechtsextremen Identitären Bewegung hat gezeigt, dass sich diese einer breiten Palette an Stilmitteln bedienen, um ihre Inhalte ansprechend und wirkungsvoll aufzuarbeiten. Diese Mittel lassen sich in drei Kategorien unterteilen. Erstens werden bekannte ästhetische, stilistische und inhaltliche Konventionen von YouTube aufgegriffen und für die eigenen Videos, teilweise in abgewandelter Form, verwendet. So entstehen für die Rezipierenden visuell und stilistisch bekannte Formate, die jedoch mit politischer Ideologie angereichert werden. Die YouTuber*innen der IB erstellen Videos, die für die User*innen leicht zugänglich sind, denn sie entsprechen deren Sehgewohnheiten. Als zweite übergeordnete Darstellungsform ist die Verwendung von Humor und Zynismus zu benennen. Diese ist eng mit den gängigen YouTube-Praktiken verknüpft und unterscheidet sich in ihrer Ausprägung je nach Produzierenden teilweise stark. Humor wird hier vor allem dafür genutzt, sich über Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund und den politischen Gegner lustig zu machen. Neben dem gesprochenen Wort kommt der Witz vor allem durch den Einsatz von eingeblendeten Grafiken oder Animationen sowie durch die Verwendung verschiedener Schnittabfolgen zur Geltung. Als Hauptziel dieser Darstellungsform kann eine bessere Zugänglichkeit, vor allem für ein jüngeres Publikum, festgestellt werden, da diese oft lustige Inhalte auf YouTube rezipieren. Darüber hinaus ist hier eine Verharmlosung der rassistischen und rechtsextremen Inhalte zu erkennen. So kann leichter an den breiten Diskurs angedockt werden, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Gleichzeitig wird der Rahmen des Sagbaren erweitert. Die dritte Form der Darstellung ist die Verwendung (pseudo-)journalistischer Stilmittel. Einige der YouTuber*innen nutzen aus Nachrichtensendungen bekannte Elemente, um auf visueller Ebene den Eindruck einer seriösen journalistischen Sendung zu erwecken. Zusätzlich wird darauf geachtet, dass getroffene Aussagen mit scheinbar faktischen Quellen versehen werden, um die Glaubwürdigkeit zu stärken. Allerdings findet häufig eine Verzerrung der Faktenlage bis hin zur Präsentation eindeutiger Lügen statt. Es scheint ein Ziel dieser Darstellungsform zu sein, sich selbst als glaubwürdige Alternative zu den etablierten Informationsquellen zu inszenieren. Bei diesen Darstellungsformen ist jedoch zu beachten, dass sie durchaus in gemischter Form auftreten können. Ein Video kann sowohl (pseudo-)journalistische Elemente enthalten als auch in klassischer YouTube-Ästhetik mit lustigem Unterton gefilmt sein.
Das Wissen um die hier benannten Darstellungsformen kann helfen, andere Inhalte der Influencer*innen der IB zu analysieren und zu verstehen, selbst wenn sie auf anderen Plattformen präsentiert werden. Die Frage, ob die Plattform und das angenommene Publikum die Themenauswahl und das Framing beeinflussen, könnte im Vordergrund zukünftiger Forschungen stehen. Auch wenn vorstellbar ist, dass sich die Kommunikationsstrategie der Neuen Rechten radikal ändert, bietet die hier durchgeführte Analyse wichtige Ansatzpunkte für weitere Forschungen. Der Fokus rechtsextremer Gruppen auf die sozialen Medien sollte weiter ein bedeutender Bestandteil der Auseinandersetzung mit ihnen sein. Da sich sowohl die Akteurinnen und Akteure als auch die Plattformen zum Teil rasant verändern, bedarf dieses Forschungsgebiet ständiger Betrachtung. Abschließend, aber womöglich am bedeutendsten, bietet der hier vorliegende Beitrag einen Mehrwert im Kampf gegen rechtsextreme, rassistische und antidemokratische Kräfte. Durch zahlreiche Arbeiten zur Framing-Theorie ist bekannt, dass die Macht der Medien nicht absolut ist. Nur dass ein Frame ein Interpretationsschema nahelegt, heisst noch nicht, dass die Rezipierenden dieses auch bedingungslos übernehmen. Vorkenntnisse, moralische oder politische Grundeinstellungen und andere Faktoren beeinflussen diese Effekte nachweislich. Das Wissen um die Strategien und Darstellungsformen rechtsextremer Influencer*innen kann und sollte also in der politischen Medienbildung Verwendung finden. Anschließend an das Konzept einer social media literacy (vgl. Banaji 2015) können Erkenntnisse, wie sie in diesem Beitrag präsentiert wurden, sowohl Jugendliche, aber auch Erwachsene befähigen, die manipulativen ideologischen Dynamiken rechtsextremer Inhalte in den sozialen Medien zu dechiffrieren und kritisch zu reflektieren. Eine kritische, selbstreflexive Herangehensweise an die politische Medienbildung, die im selben Zuge eigene Privilegien hinterfragt, wie sie z. B. von Waldmann (2020) gefordert wird, erscheint hier als vielversprechender Ansatz. Menschen könnten so eine Art Immunsystem gegen rechtsextreme Inhalte aufbauen, wodurch, selbst bei längerer und wiederholter Rezeption, nur geringe bis keine Framing-Effekte auftreten könnten – eine Vermutung, die allerdings weitere Forschung benötigt.
Es ist unabdingbar, dass die Wissenschaft weiterhin streitbar gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Nationalismus und natürlich auch Sexismus sowie alle anderen Formen der Diskriminierung steht. Nur wenn Forschende auch weiterhin solche Phänomene untersuchen, darauf aufmerksam machen und dabei neue Entwicklungen aktiv analysieren, ist es in unserer Gesellschaft möglich, gemeinsam und stark gegen diese zu stehen.