Der Raum als Lehr-Kraft: Zum ästhetischen Bildungspotenzial von Räumen
Abstract
Dass Raum Unterricht, Erziehung und Bildung beeinflusst, ist unumstritten. Baukulturelle Bildung beinhaltet diesbezüglich nicht nur die Vermittlung von Baukultur, d.h. Kinder und Jugendliche zu unterstützen, die gebaute Umwelt bewusst wahrzunehmen, zu „lesen“ und entsprechend einordnen zu können. Baukulturelle Bildung sollte darüber hinaus Lehrer*innen wie auch Erzieher*innen befähigen, Raum bewusst als Lehr-Kraft einsetzen zu können, d.h. ästhetische Bildung über den Raum zu initiieren. Den Raum als Lehr-Kraft zu engagieren, erfordert jedoch, das ästhetische Bildungspotenzial von Raum zu erkennen, wertzuschätzen sowie zur Wirkung zu bringen und somit verfügbar zu machen. Vor diesem Hintergrund werden in folgendem Beitrag, angeregt von den Veränderungen in der Gestaltung von Schulbauten heute, die Bedingungen für eine ästhetische Bildung durch den Raum aufgezeigt. Dabei wird der Frage nachgegangen, was wir uns unter einem Raum als Lehrkraft vorstellen können. Es wird gefragt, wie und wo diese Potenziale von Räumen auszumachen sind. Und vor allen Dingen, welche Aspekte bei Raumgestaltungen als relevant beachtet werden müssen, wenn diese ästhetische Bildung fördern sollen.
Nach einem einführenden Beispiel als Schlüsselereignis zur Bedeutung von Raum im Kontext von Schule und ästhetischer Bildung und Ausführungen zu den Veränderungen im Schulbau heute, folgt eine Analyse der Spezifika des ästhetischen Bildungspotenzials des Schulraumes unter besonderer Berücksichtigung relativistischer Raumtheorien. Vor diesem Hintergrund werden drei Raumkonzepte für die Initiierung ästhetischer Bildung entwickelt und am Beispiel der grund_schule der künste der Universität der Künste (UdK) Berlin, einem Bildungsraum an der Schnittstelle von Hochschule und Schule, in den Diskurs gebracht.
Schulraum
„Am liebsten lerne ich unter deinem Tisch“ schrieb ein achtjähriger Grundschüler im Rahmen einer Befragung in einer Grundschule. Die Befragung richtete sich auf die Orte, an denen die Schüler*innen einer jahrgangsübergreifenden Klassen 1–3 aus ihrer Perspektive bevorzugt arbeiten und lernen. Bei dem Tisch, unter dem der Schüler sich besonders gerne aufhielt, handelte es sich um den Tisch der Klassenlehrerin. Was erzählt uns diese Äußerung? Unabhängig davon, ob es sich dabei um einen Einzelfall handelt, macht diese Äußerung des Schülers noch einmal besonders deutlich, was aus der Kindheitsforschung schon lange bekannt ist: Bildung ist nicht nur an die Zeit, sondern auch an den Raum gebunden. Dabei vollzieht sich die Raumwahrnehmung und -erfahrung als vielfältiger sinnlich-leiblicher Prozess, in dem Räume aktiv angeeignet, umgestaltet und umgedeutet werden. Nicht selten geschehen diese raumgebundenen Bildungsprozesse von Kindern nach dem Phänomenologen und Erziehungswissenschaftler Wilfrid Lippitz eigensinnig oder sogar gegensinnig zu den Vorstellungen der Erwachsenen (vgl. Lippitz 1990:93). In den Bildungs- und Erziehungswissenschaften lassen sich diesbezüglich Arbeiten zur Schulraumentwicklung aus historischer Perspektive (vgl. Göhlich 1993; Jelich/Kemnitz 2003), Theorien zu Bildungspotenzialen von Raum und Architektur (vgl. Liebau/Kipp/Müller 1999; Bilstein 2003; Westphal 2007; Winderlich 2008, 2010; Bernd/Kalisch/Krüger 2016; Stadler-Altmann 2016), zunehmend Literatur über Konzepte zum Schulbau der Gegenwart (vgl. Kajetzke/Schroer 2009) sowie Untersuchungen zur Wirkung von Architektur im Hinblick auf Lernen und Bildung (vgl. Böhme/Hermann 2009, Rittelmeyer 1994, 2016) ausmachen. Allen Forschungsarbeiten ist dabei gemeinsam, dass der Raum der Schule als Medium begriffen wird, und zwar auf folgenden Ebenen:
- Der Schulraum impliziert ein Bild vom Kind und einer entsprechenden Pädagogik. Der Schulraum erzählt über seine Architektur und Atmosphäre gewissermaßen von der Art und Weise, wie an diesem Ort gelehrt und gelernt werden soll, inwieweit die leib-sinnliche Aneignung der Räume beispielsweise gewünscht und gefördert wird. Der Schulraum vermittelt Kindern wie Erwachsenen demnach Botschaften, die sich auf ihr Handeln und Erleben und damit auch auf ihr Lernen und ihre Bildungsprozesse auswirken. Diese Botschaften sind nicht immer als positiv zu werten. Sie können Schüler*innen durchaus auch abwerten, beschämen und kränken und damit negative Auswirkungen auf die Selbstachtung haben (vgl. Rieger-Ladich/Grabau 2016:109).
- Der gestaltete Raum eröffnet ganz konkrete Bildungsräume für die Schüler*innen und schafft eine Atmosphäre, die ästhetische Bildung bremsen oder anregen kann.
- Der Schulraum ist auch als Ort der individuellen Äußerungen der Schüler*innen zu verstehen, also nicht nur Erfahrungsraum sondern auch Bühne, Vermittler von Erfahrung (vgl. Winderlich 2012:252).
Veränderungen im Schulbau
Betrachten wir näher, wie sich die Gestaltung aktueller Schulneu- oder (Um-)bauten (vgl. Harbusch 2019; Montag Stiftung/Urbane Räume 2017) in Bezug auf das implizite „Bild vom Kind“ auswirkt, welche „Bildungsräume“ entstehen und inwieweit Nutzer*innen die Schule als Bühne für die Vermittlung eigener Erfahrung verstehen, dann lassen sich folgende Veränderungen feststellen: Der Außenraum wird im Zusammenhang mit der Gestaltung des Schulgebäudes mitgedacht. Niedrigschwellige Übergänge zwischen den Innen- und Außenräumen sorgen in diesem Zusammenhang für eine Erweiterung des Schulgebäudes. Überdachte Vorzonen – z.B. Arkaden oder Vordächer – begünstigen einen wetterunabhängigen sowie geschützten Aufenthalt im Außenbereich. Im Schulgebäude finden wir darüber hinaus häufig raumhohe Fenster vor, die nicht nur für Licht in den Innenräumen sorgen.
Bemerkenswert ist weiter, dass die Räume im Schulgebäude, auch jenseits von Foyer und Aula, unterschiedliche Raumgrößen und -höhen aufweisen. Entsprechend finden wir unterschiedliche Raumtypen vor, die zwischen Nische und Kabinett bis hin zur Arena, Saal und Halle differieren.
Insgesamt sind die Räume nicht ausschließlich auf eine Funktion oder ein Fach hin zugeschnitten, sondern flexibel für unterschiedliche Funktionen und Vorhaben gestaltet. Im Hinblick auf die ganztägige Ausrichtung des Schulalltags bieten die Räume Aufenthaltsqualitäten, die den Schüler*innen auch zwischen den Zeiten von Unterricht Ruhe und Entspannung sowie informelle Austausch- und Bildungsmöglichkeiten eröffnen. Die Gestaltung der Verkehrs- und Erschließungszonen wie Flure und Treppen dient nicht mehr ausschließlich einer reibungslosen Bewegung von einem Unterrichtsraum in den anderen, sondern ermöglicht durch raumgebende Flächen eine Erweiterung des Unterrichtsraumes sowie Aufenthaltsgelegenheit in den Pausen. Flure bilden in diesem Sinne beispielsweise Nischen aus und Treppen weisen Stufen und Podeste auf, die zum Verweilen einladen.
Veränderungen im aktuellen Schulbau sind auch im Hinblick auf das Mobiliar festzustellen. Mobile Schränke und Boxen unterstützen die räumliche Flexibilität bzw. die Möglichkeit die Räume umzugestalten. Des Weiteren ist das unterschiedliche Sitzmobiliar den individuellen Bedürfnissen der heterogenen Schüler*innenschaft angepasst und entsprechend divers. Neben den herkömmlichen Schulstühlen finden wir Sitzmöbel in Form und Gestalt von Hockern in verschiedenen Höhen, Bänken, Sitzwürfeln und -säcken, Sesseln sowie Sitz- und Liegelandschaften, die sowohl Aufmerksamkeit und Konzentration wie auch Rückzug und Entspannung sowie ungezwungenes Beisammensein unter den Schüler*innen unterstützen.
Die Veränderungen im aktuellen Schulbau und -umbau laden Kinder ein, sich im gesamten Schulgebäude, im Innen- wie im Außenraum zu bewegen und sich dieses buchstäblich zu eigen zu machen. Darüber hinaus vermittelt der aktuelle Schulbau, dass Bildung nicht nur im Klassenzimmer oder Fachraum stattfindet, sondern durchaus an anderen Orten, auch ohne Anwesenheit eine*r Lehrer*in. Er vermittelt idealerweise ein „Bild vom Kind“, das sich das Schulgebäude eigenaktiv aneignet, sich mit diesem identifiziert und dabei in der Lage ist, unterschiedliche Raumqualitäten wahrzunehmen und für die eigene Bildung zu nutzen.
Raum und ästhetische Bildung
Betrachten wir die Spezifika des aktuellen Schulbaus im Kontext ästhetischer Bildung, dann lässt sich erkennen, dass die Raumgestaltung von Schulen heute verstärkt anregt, Raum und Architektur ästhetisch wahrzunehmen und zu erfahren. So eröffnen die Flexibilität der Räume sowie der Bewegungsraum den Kindern Differenzerfahrungen zu den gewohnten Räumen ihrer Lebenswelt, die sie insbesondere durch eine leib-sinnliche Aneignung vollziehen. Bildung über den Raum ist in diesem Sinne immer auch als Subjektbildung zu verstehen. Die Erziehungswissenschaftlerin Kristin Westphal (2016) unterscheidet diesbezüglich „zwischen einem Raum der Wahrnehmung als einem Raum des Gewahrens, einem pathisch geprägten Raum der Widerfahrnisse, einem atmosphärischen Raum der Gestimmtheit, einem Bewegungs- und Handlungsraum als dem Raum des Wirkens, aber auch einem Phantasie- und Medienraum als Spielraum von Möglichkeiten.“ (Westphal 2016:10 f.) Mit diesem Raumverständnis knüpft Westphal an Maurice Merleau-Ponty (1966) an, der in seiner „Phänomenologie der Wahrnehmung“ den „geometrischen Raum“ von einem „anthropologischen Raum“ abgrenzt und damit den Menschen und seine Wahrnehmung in den Blick gerückt sowie die existentielle Dimension des Raumes untermauert hat. Otto Friedrich Bollnow (1963) untersuchte in diesem Zusammenhang das Wechselverhältnis von Mensch und Raum. Ihn interessierte, wie Räume menschliches Erleben und Verhalten beeinflussen, wie Atmosphäre und Stimmungen entstehen. Seine Arbeit, insbesondere seine Ausdifferenzierung in den „gestimmten“ Raum und den „orientierten“ Raum, stellt eine wichtige Basis für den Raum im Kontext ästhetischer Bildung dar. Den „gestimmten“ Raum, d.h. den emotional erlebten Raum, nehmen wir diesbezüglich nach Bollnow in seinem Ausdrucksgehalt und in seiner Atmosphäre wahr (vgl. Bollnow 1963:229 ff.). Im Gegensatz zum „gestimmten“ Raum wird der „orientierte“ Raum aus der Bewegung heraus erschlossen (vgl. ebd.:191 ff.). An dieser Stelle wird eine Nähe zum hodologischen Raumverständnis des Psychologens Kurt Lewin (1969) deutlich. Der Raum wird nach Lewin als Ensemble von Orten, Wegen und Richtungen verstanden, die auf das jeweilige Subjekt bezogen sind. Der auf das Subjekt bezogene Raum verändert sich entsprechend seiner Bewegung. Das Subjekt bewegt sich also nicht im Raum, sondern stellt den Raum durch seine Bewegung her (vgl. ebd.).
Die Aspekte der Leibgebundenheit der Raumwahrnehmung und -konstitution werden durch Michel de Certeau (1988) um die Perspektive des Performativens erweitert. Konkret begreift de Certeau Raum als Resultat performativer Vorgänge und widmet sich diesbezüglich insbesondere dem Akt des Gehens. Raum wird hier also nicht als Behälter oder Hintergrund unserer Handlungen verstanden, sondern kommt erst durch unsere Handlungen zustande, durch unser Wahrnehmungshandeln und -erleben und unseren Umgang mit dem Raum (vgl. ebd.:179 ff.).
In Anlehnung an die Soziologin Martina Löw (2001) entstehen Räume nicht nur durch raumbildende Handlungen, sondern darüber hinaus im Zusammenspiel mit raumbildenden Strukturen (vgl. ebd.:224). Räume sind dabei als Anordnungen und Beziehungen der einzelnen raumkonstituierenden Körper und immateriellen Qualitäten wie Licht, Temperatur, Geräuschen und Gerüchen zu verstehen. Raumkonstituierende Körper können sowohl Gegenstände und Gebautes als auch Bedeutungen von Objekten sein (vgl. ebd.:153). Wenn wir uns an das einführende Beispiel erinnern: Der Tisch der Klassenlehrerin ist nicht nur der „verlängerte Arm“ der Lehrerin, sondern kann für die Schüler*innen auch „Höhle“ sein, in die sie sich zurückziehen können.
Wie die Gegenstände und die immateriellen Qualitäten sind auch die Menschen raumbildend und raumprägend (vgl. ebd.:155). Schulräume werden nicht nur durch Wände, Fenster, Bodenbelag und Mobiliar gebildet und verändert, sondern auch durch die Menschen und die Menge der Menschen, die sich in den Räumen aufhalten und bewegen.
Das Subjekt trägt also auf drei Ebenen zur Raumgestaltung bei:
- als Teil des Raumes bzw. als raumkonstituierender Körper,
- durch seine Wahrnehmung und sein Erleben der raumbildenden Strukturen sowie
- durch sein Handeln und Gestalten der Raumanordnungen.
Vor dem Hintergrund des dargelegten Raumverständnisses stellt sich nun die Frage, wie das ästhetische Bildungspotenzial des Raumes zur Wirkung gebracht werden kann.
Ästhetisches Bildungspotenzial von Raum zur Wirkung bringen
Zu fragen ist entsprechend, wie der Raum das eigene ästhetische Wahrnehmen, Erleben, Handeln und Erfahren auf der körperlich-sinnlichen und szenisch-situativen Ebene anregen und dabei den Einzelnen für das Unerwartete und Neue sensibilisieren kann.
Betrachten wir die wesentlichen Merkmale des Schulbaus heute in Hinblick auf Spezifika unterschiedlicher Raumanordnungen, lassen sich für eine Förderung ästhetischer Bildung folgende Raumkonzepte ableiten.
- Das Konzept „eigener Ort“, als Möglichkeit bei sich zu sein,
- das Konzept „Umgebung“, als Möglichkeit ins Handeln zu kommen sowie
- das Konzept „leerer Raum“ als Möglichkeit für Spiel und Experiment.
Wollen wir ästhetischer Bildung in der Schule Raum geben, bedeutet dieses erstens eigene Orte zur Verfügung zu stellen bzw. dem Subjekt zu ermöglichen, sich selbst eigene Orte zu suchen. Im Sinne Löws würde dem Subjekt eine raumbildende Struktur in Form einer „auf einen Blick“ wahrnehmbaren Anordnung raumkonstituierender Körper angeboten werden.
Über den Raum ästhetische Bildungsprozesse anzubahnen, heißt zweitens Umgebungen zu gestalten, die ästhetisch wahrgenommen und erlebt werden und die entsprechend zu einem handelnden Entdecken und Erkunden einladen (vgl. Winderlich 2016:124 ff.). In diesem Fall wäre für die raumbildende Struktur eine raumgreifende Anordnung der raumkonstituierenden Körper als Wahrnehmungsangebot charakteristisch.
Und drittens können über ein Freiräumen Spielflächen geschaffen werden. Den Begriff des „leeren Raumes“ verstehe ich in diesem Zusammenhang als einen Raum, der sich durch Weite und Platz im Sinne einer flexiblen Anordnung der raumkonstituierenden Körper auszeichnet. Darüber hinaus weist ein leerer Raum eine Vielfalt an Möglichkeiten auf, in die Anordnung der raumkonstituierenden Elemente zu intervenieren, ins Experimentieren und ins Spiel zu kommen.
Im Sinne eines Raumverständnisses, das Raumkonstitution als offenen, fließenden und vom jeweiligen Subjekt abhängigen leibgebundenen Prozess begreift, sind die einzelnen Konzepte in der Praxis nicht eindeutig voneinander abzugrenzen, sondern stehen vielmehr in engem Wechselspiel und Austausch zueinander. Das Gemeinsame der vorgestellten Konzepte, der Konzepte des „Ortes“, der „Umgebung“ und des „leeren Raumes“ ist hierbei in dem „Unfertigen“ zu sehen: Dem „Unfertigen“, das nach dem Architekturtheoretiker Lars Lerup (1986) eine Vielfalt an Möglichkeiten der Aneignung, Deutung und Nutzung von Räumen bereithält (vgl. ebd.:139) – also dem eigentlichen Motor für Bildung (vgl. Winderlich 2013:80 ff.).
Die grund_schule der künste
Für die grund_schule der künste der Universität der Künste Berlin wurden die genannten Konzepte in Kooperation mit Künstler*innen, konkret mit Olafur Eliasson und Judith Seng, umgesetzt und Bildungsräume an der Schnittstelle von Hochschule und Schule geschaffen.
Die grund_schule der künste ist am Standort der UdK Berlin in der Berliner Bundesallee, einem achsial symmetrisch angelegten, klassizistisch geprägten Bau untergebracht, im Erdgeschoss, hinter vergitterten Fenstern. Sie fügt sich in einen Raumbestand ein, der erst einmal nicht ideal für die gemeinsame Arbeit mit Kindern und Studierenden anzusehen ist. Ziel war es, Raumlösungen zu finden, die über die oben genannten Konzepte das ästhetische Bildungspotenzial der Räume zur Wirkung bringen. Aufgabe des Kooperationspartners „Bildung“ war dabei, genau zu formulieren, was der Raum können muss, ohne gestalterisch vorzugreifen.
Der Künstler Olafur Eliasson erhielt in diesem Sinne den Auftrag die Bilderbuchwerkstatt zu gestalten, die er „Raum für Bildung und Bilder" nannte. Entstanden ist einen Raum, der Kindern die Möglichkeit gibt, aus unterschiedlichen Raum-Lage-Beziehungen Bücher zu lesen und Bilder zu betrachten und gleichzeitig Studierenden ermöglicht, die Kinder zu beobachten, ohne sie zu stören. Darüber hinaus sollte der Raum für die Bilderbuchrezeption eigene Orte bereithalten wie auch Gemeinschaft ermöglichen (vgl. Winderlich 2019).
Eliasson hat entsprechend einen Wald entworfen. Entstanden ist in dem circa 7,50 x 7,00 Meter großem Raum, der sich durch großflächige Fenster zu zwei Seiten öffnet, eine endlos erscheinende Waldlandschaft. Die Verglasung mit Farbverlauf bietet Sichtschutz, lässt zugleich Tageslicht einfallen und sorgt für Farbspiele im Raum. Der Boden ist als bewegte Topografie ausgeführt und mit farbigem Teppich ausgelegt: Die Bodengestaltung ermöglicht Sitzen, Liegen, Laufen und Klettern. Die Gestaltung des Bodens sprengt die konventionellen Grenzen des Raumes und zieht sich bis in den Vorraum hinein.
Die Stämme des Lesewalds sind als Holzkonstruktion realisiert, gepolstert und mit farbigem Textil ummantelt. Eingelassen in die Stämme sind Regalfächer für Bücher, die in ihrer Maßstäblichkeit auf die Besucher*innen der grund_schule abgestimmt sind. Die raumhohe Verspiegelung der zwei Seitenwände gibt der Lesewaldlandschaft zusätzlich Tiefe; Spiegelscheiben an der Schnittstelle von Stämmen und Decke sorgen für eine optische Verlängerung der Bäume in die Höhe (Abb. 1-3).
Die Räume für Tanz, Theater, Musik und Bildende Kunst wurden, in Kooperation mit der Designerin und Künstlerin Judith Seng, als Kette von drei miteinander verbundenen Räumen realisiert. Anders als die Bilderbuchwerkstatt, die eine Lernumgebung gewissermaßen als „totale Installation“ bereithält, liegt der Schwerpunkt in der Kooperation mit Judith Seng auf den Konzepten „Umgebung“ und „Leerer Raum“, konkret der „Erzählenden Wand“ sowie auf der Schaffung von flexiblen Räumen als Spielfläche (Abb. 4/5).
Seng sollte in diesem Zusammenhang u.a. ein räumlich flexibles Atelier entwickeln und dabei ein Regal integrieren, das nicht nur funktional als Lagerstätte von Material und Stühlen dient, sondern im Sinne des Prinzips der „Erzählenden Wand“ ästhetisch anregend ist. Unterschiedlich große und in Bezug auf die Tiefe variierende Regalfächer ermöglichen, das Regal auch als Ausstellungsmöbel zu nutzen (Abb. 6/8).
Als „Erzählende Wand“ ist auch die Lochbrettwand an der Seite der Fenster des Ateliers zu verstehen. So kann an dieser mit Hilfe von Haken, die variabel in den einzelnen Löchern montiert werden, Werkzeug an der Wand befestigt werden. Die Lochbrettwand, die auf signalfarbigen Leisten an der Wand angebracht ist und damit als eigenständiges raumkonstituierendes Element wahrgenommen wird, bietet darüber hinaus über ihren Verlauf eine anregende Grafik: Die Struktur und Dichte der Löcher lösen sich nach oben hin auf (Abb.6).
Die Tische im Atelier sind flexibel in Bezug auf die Höhe wie auch auf die Maße der Tischplatte. Die Tischgestelle und -platten können als Einzelarbeitsplätzen sowie als Gruppentischen in unterschiedlichen Größen kombiniert werden. Sowohl für die Stühle als auch für die Tische sind direkt im Atelier Lagerungsmöglichkeiten vorgesehen, so dass das Atelier problemlos und somit auch kurzfristig leergeräumt werden kann.
Das dem Atelier mit einer Doppelflügeltür unmittelbar angegliederte Studio ist ein Raum, der bewusst „leer“ gehalten ist und auf diese Weise Platz für performatives Arbeiten bieten soll (Abb. 5, 6). Die Präsentationswand ist so gestaltet, dass sie nicht nur von den Kindern unmittelbar bestückt werden kann, sondern darüber hinaus neben zweidimensionalen Arbeiten die Präsentation von Objekten ermöglicht. Die Kinder sollen dadurch anregt werden, eigene Arbeiten zu „mappen“ und in immer wieder neuen Konstellationen zu betrachten.
Das Studio und die Garderobe sind über eine Nische miteinander verbunden, für die Judith Seng mobile Kofferschränke entwickelt hat. (Abb. 7) Durch das Aufklappen der filzverkleideten Türen, die akustisch wirksam sind und zudem als Sitzlehne oder als Pinnwände dienen, können Spiegelwände erzeugt werden. Die Kofferschränke sind also nicht nur als Aufbewahrungsort konzipiert, sondern eröffnen durch ihre Mobilität niederschwellige Raumgestaltungsoptionen, Räume sowie Orte im Raum herzustellen. Ein besonderes Element der Garderobe sind handgedrechselten Garderobenhaken, die bewusst rhizomartig und alinear an der Wand angebracht wurden und damit die Möglichkeit zur Installation bieten.
So unterschiedlich die Räume der grund_schule der künste die genannten Konzepte aufgreifen und ausbilden, gemeinsam ist den Räumen, dass sie sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen Differenzerfahrungen initiieren, d.h. zu unerwarteten, nicht gewohnten Handlungen anregen und dabei eine Atmosphäre herstellen, die zu Kontemplation und Genuss während der eigenen Tätigkeit führen, sei es im Rahmen der Produktion oder Rezeption (Abb. 9). Für eine konkrete Umsetzung, z.B. in Schule oder Kindertagesstätte, ist wichtig den vorhandenen Raum auf die ausgeführten Konzepte raumbildener Strukturen hin wahrzunehmen und zu analysieren. Wie kann ich „Spielflächen“ schaffen? Wie kann ich die Raumgestaltung derart organisieren, dass diese flexibel für weitere Raumanordnungen ist? Spannend für die baukulturelle Bildung bleibt, welche „Spielregeln“ die Akteur*innen dabei immer wieder aufs Neue erfinden und anwenden.