Qualität – eine Leitformel zwischen Entwicklungsimpuls und Kampfbegriff

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von Max Fuchs

Erscheinungsjahr: 2018

Abstract

Was ist Qualität? Was ist Qualität in der künstlerisch-ästhetischen Praxis und was sind deren Kriterien? Wer bestimmt mit welcher Legitimation und welchen Begründungenüber Qualitätskriterien? Diesen Fragen geht der Beitrag kritisch nach: Aus welchem Kontext gelangen Evaluationen in den 1990er Jahren in die Bereiche der Kulturellen Bildung? Wer sind die Auftraggeber*innen der Studien und Evaluationen und welche Ziele verfolgen sie damit? Dieser Beitrag bietet ebenso gute Beispiele aus der künstlerisch-ästhetischen Praxis und offeriert somit den Akteuren aus den Feldern der Kulturellen Bildung positive Ansätze, die Evaluation ihrer (Vermittlungs)Praxis selbst in die Hand zu nehmen.

Annäherung an den Begriff Qualität

Begriffe sind keineswegs rationale und abstrakte Gegebenheiten, sie haben auch eine emotionale Qualität. Man denke an das positive Gefühl bei Begriffen wie Friede, Liebe oder Gehaltserhöhung. Oder an ein Gefühl des Widerwillens oder sogar des Abscheus bei Begriffen wie Folter, Sklaverei oder Steuererklärung.

Der Begriff der Qualität ist in diesem Zusammenhang positiv besetzt. Ein Alltagsbeispiel: Das Auto ist kaputt. Man bringt es in eine Werkstatt und rechnet bei der Rechnung mit dem Schlimmsten. Am nächsten Tag holt man das Auto ab, die Rechnung ist überraschend niedrig und das Auto funktioniert wieder. Offensichtlich hat die Werkstatt die Erwartungen in vollem Umfang erfüllt. Sie hat „gut“ gearbeitet.

Dieser Gedanke, dass etwas gut ist, wenn es seinen Zweck erfüllt, ist alt. Die antiken Griechen sprachen von Ergon. Das Ergon eines Messers ist es, schneiden zu können. Das Ergon des Autos besteht darin, von A nach B zu fahren. Und das Ergon der Werkstatt ist es, eine Funktionsstörung des Autos zu beseitigen.

Dieser Gedanke lässt sich auch auf den pädagogischen Kontext anwenden. Man kann davon sprechen, dass das Ergon der Schule darin besteht, bei der Entwicklung der Persönlichkeit, der Bildung zu helfen. Das Ergon von Bildung ist es, Menschen zu unterstützen, ein gutes, gelingendes und vielleicht sogar glückliches Leben führen zu können (vgl. Fehige u.a. 2000; siehe Peter Bieri). In diesem Verständnis bedeutet Bildung Lebenskompetenz (Münchmeier 2002; Fuchs 2017). Auch diese Überlegung trägt dazu bei, bei der Verwendung des Qualitätsbegriffs ein positives Gefühl zu entwickeln.

Dieser Beitrag dient allerdings dazu, dieses gute Gefühl infrage zu stellen. Ein erstes Beispiel: Anne Bamford, eine renommierte australische Erziehungswissenschaftlerin, hat im Vorfeld der ersten UNESCO-Konferenz zur künstlerischen Bildung im Jahre 2006 in Lissabon eine internationale Überblicksstudie vorgelegt Der WOW-Effekt. Untersucht wurde die Frage, inwieweit künstlerische Bildung in den Lehrplänen der Schulen in verschiedenen Ländern eine Rolle spielt. Das Ergebnis: In allen Ländern, die die Anfrage beantwortet haben, findet – wenn auch in unterschiedlichem Umfang – künstlerische Bildung in der Schule statt. Anne Bamford hat in diesem Zusammenhang eine These aufgestellt: Man solle nur eine gute ästhetische Bildung praktizieren. Wenn dies nicht gelänge, dann solle man lieber ganz darauf verzichten.

Möglicherweise ist diese These für viele Fachleute überzeugend. Doch ergeben sich zumindest drei Anfragen bzw. Feststellungen:

  • Anne Bamford weiß anscheinend, was gute und schlechte künstlerische Bildungsarbeit ist.
  • Es wird damit ein Werturteil gefällt. Werturteile gehören in den Bereich der praktischen Philosophie. Es geht um Normen und Ziele. In diesem Kontext weiß man sehr genau, dass solche Urteile begründet werden müssen, ein durchaus schwieriges und immer wieder strittiges Unterfangen.
  • Das von Anne Bamford getroffene Werturteil gut oder schlecht hätte gravierende Folgen, wenn man es umsetzen würde. Es würde dazu führen, dass die als schlecht beurteilte Praxis nicht mehr gefördert wird.

Der letzte Punkt ist in systematischer Hinsicht relevant. Aus dem pädagogischen Diskurs über Qualität wird ein förderpolitischer Diskurs mit gravierenden, unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen für die beteiligten Akteure.

Das Beispiel zeigt: Der Qualitätsbegriff ist keineswegs harmlos. Über Qualitätsdiskursen schwebt ständig ein Damoklesschwert, da diese unangenehme und folgenreiche Konsequenzen haben können.

Vor diesem Hintergrund wird die zentrale Fragestellung meines Beitrages einsichtig: Wer bestimmt eigentlich mit welcher Legitimation und mit welchen Begründungen

  • über Qualitätskriterien und die Art ihrer Begründungen,
  • über die Art der Überprüfung,
  • über die Verwendung der Ergebnisse dieser Überprüfung,
  • über mögliche Konsequenzen?

Mit dieser Fragestellung ergibt sich eine weitere Problematik: Die Evaluierung von Qualitätsdiskursen.

Ein Sortiervorschlag für Qualitätsdiskurse auf drei Ebenen

Erste Ebene: Die erste Ebene betrifft die Analyse und Beurteilung einer unmittelbar zugänglichen Praxis.

Ein Beispiel: Ein Kulturprojekt wird geplant mit dem selbstgesetzten Ziel, das Erleben von Selbstwirksamkeit als Qualitätsmerkmal des Projektes zu ermöglichen. Im Hinblick auf die Begründung des Zieles kann man sich auf aktuell und weitgehend unstrittige Diskurse im Bereich der Persönlichkeitstheorie beziehen (Pervin 2000) und überlegt geeignete Methoden, mit denen man das Erreichen dieses Zieles überprüfen kann.

Diesen Ansatz kann man in zweifacher Hinsicht ausdehnen: Betrachtet wird nicht bloß das einzelne Projekt, sondern das ganzes Feld und bezieht sich nicht nur auf ein Qualitätsmerkmal, sondern auf eine ganze Reihe von Qualitätsmerkmalen, die man systematisch untergliedern kann.

Diesen Ansatz der Qualitätstableaus, von denen es im Bereich der kulturellen Bildungsarbeit eine ganze Reihe gibt, legten beispielsweise die Deutsche Kinder- und Jugendstiftungoderdie Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) vor. Im Ruhratlas kulturelle Bildung (Wimmer/Schade/Nagel 2013) werden zehn Qualitätstableaus aufgeführt und miteinander verglichen.

Ein weiteres Beispiel sind die Referenzrahmen für Schulqualität, die in jedem Bundesland existieren, und eine Basis fürQualitätsanalysen sind. Ihre Legitimation erhalten die Qualitätstableaus dadurch, dass sie die Quintessenz einer jahrzehntelangen internationalen Debatte über Schulqualität sind. Das hat zur Folge, dass sich zwar die verschiedenen Qualitätstableaus der einzelnen Bundesländerin der Form und Anordnung der verschiedenen Qualitätsbereiche unterscheiden, aber inhaltlich weitgehend identisch sind.

Zweite Ebene: Eine zweite Ebene ist eine Metaebene, die man erreicht, wenn man die vorgestellten praxisbezogenen Auseinandersetzungen mit Qualität analysiert. Ein Beispiel ist der Ruhratlas kulturelle Bildung. Der methodische Ansatz ist einfach, aber ausgesprochen ertragreich: Man vergleicht die unterschiedlichen Qualitätsrahmen inHinblick darauf, welche Qualitätsmerkmale jeweils angesprochen werden und welche Qualitätsmerkmale fehlen. Interessant am Ruhratlas kulturelle Bildung ist, dass die Praktiker*innen selbst befragt wurden, welche Qualitätsdimensionen sie als Akteure der kulturellen Bildungsarbeit identifizieren und für wichtig halten. Auf dieser Grundlage wurden 26 Qualitätskriterien entwickelt, auf die hin die zehn untersuchten Qualitätstableaus befragt werden. Die Qualitätskriterien werden wiederum in einzelne Gruppen gebündelt, so dass man diese in pädagogische, organisatorische oder ästhetische Kriterien unterscheiden kann.

Erstes Fazit: Es gibt nicht nur eine einzige Qualität, sondern es gibt unterschiedliche Qualitätsbereiche und unterschiedliche Qualitätsdimensionen. D.h., Qualität muss immer mehrdimensional gesehen werden, Qualität ist ein Pluralitätsbegriff.

Deshalb kann sofort die Anschlussfrage gestellt werden: Wie werden jeweils die unterschiedlichen Qualitätsbereiche untereinander gewichtet? Sind sie gleich wichtig? Gibt es Prioritäten? Wie wird die jeweilige Entscheidung begründet?

Vor dem Hintergrund dieser Überlegung wird eine Publikation aus dem Project Zero der Harvard University interessant (gegründet von dem Philosophen und Ästhetiker Nelson Goodman): Ellen Winner und Lois Hetland unterscheiden in ihrer Studie „Quality of Qualities“ vier "lenses", also vier Sichtweisen. Es sind die Betrachtungen der pädagogisch-künstlerischen Arbeit in einer Schulklasse:

  • aus der Sicht der*s einzelnen Schüler*in,
  • aus der Sicht der*s Lehrer*in,
  • in Hinblick auf die sozialen Beziehungen innerhalb der Klasse und
  • in Hinblick auf die gestaltete Umgebung, in der die pädagogisch-künstlerische Arbeit stattfindet, also das Klassenzimmer.

Dritte Ebene: Eine dritte Ebene ist diejenige, auf die dieser Beitrag das Augenmerk lenkt. Die Eingangsfrage lautete: Wer befasst sich aus welchen Gründen und mit welcher Legitimation mit Qualitätsfragen?

Ellen Winner und weitere Autor*innen veröffentlichten 2013 die Studie Kunst um der Kunst willen?  im Auftrag der OECD und u.a. von der Stiftung Mercatorfinanziert.Inzwischen ist es normal, dass die OECD mit ihren PISA-Studien zum national und international wichtigsten bildungspolitischen Akteur geworden ist. Das wird überhaupt nicht mehr hinterfragt. Erinnert sei, dass sowohl die OECD eine wirtschaftspolitische Vereinigung als auch die Stiftung Mercator eine Gründung aus dem Bereich des Wirtschaftslebens ist. Ich komme am Ende meines Beitrages darauf zurück, ob dieser Kontext Einfluss auf den Inhalt dieser Studie hat.

Feststellen möchte ich jedoch, dass es auf internationaler Ebene mit der UNESCO und der Unicef Organisationen gibt, die eine Legitimation und den expliziten Arbeitsauftrag haben, sich mit Fragen der Bildung zu befassen. Bei der OECD ist dies definitiv nicht der Fall, und bei einer Stiftung kann und muss man von einer demokratischen Legitimation ohnehin nicht reden – wobei es in einem demokratischen Gemeinwesen natürlich das Recht von jedem* ist, ihre*seine Meinung zu allen politischen Fragen zu äußern. Die Frage der demokratischen Legitimation muss allerdings gestellt, wenn aus solchen geäußerten Meinungen politische Konsequenzen gezogen werden sollen, die Einfluss auf das Leben vieler Menschen haben.

Qualitätskriterien als begründungspflichtige Messlatten

Qualitätskriterien, die man bei der Bewertung von kulturpädagogischer Arbeit anlegt, sind Setzungen, die begründet werden müssen. Je bedeutungsvoller die Konsequenzen möglicherweise sind, die aus einem solchen Bewertungsprozess folgen, desto strenger muss die normative Setzung von Qualitätskriterien begründet werden. Nun weiß man aus den philosophischen Debatten, wie schwierig eine solche Begründungsarbeit ist.

Bei dem anfangs zitierten Beispiel eines Kulturprojektes, bei dem es um ein Selbstwirksamkeitserleben geht, konnte man sich auf intensiv diskutierte Persönlichkeitstheorien beziehen. Ähnliches kann man zu den Qualitätskriterien sagen, die in den Referenzrahmen für Schulqualität verwendet werden.

Die Studie „Schön, dass ihr da seid“ des Rates für kulturelle Bildung (2014) benenntrecht mutig 13 Qualitätsmerkmale, die angeblich aus den Künsten stammen. Man versäumt es jedoch, auch nur allererste Hinweise auf eine mögliche Begründung solcher für die Praxis durchaus relevanten Setzungen anzugeben. Wie notwendig eine solche Begründung ist, weiß jede*r, die*der die historische Entwicklung der Künste kennt: Jede neue Künstler*innengeneration hatte das Ziel, ein eigenes Verständnis von Kunst zu entwickeln – und das Kunstverständnis der Vorgänger*innen als obsolet, falsch oder zumindest als unzureichend nachzuweisen (vgl. Fuchs 2011 oder Eagleton 1994).

Qualitätsmaßstäbe und die Formen ihrer Überprüfung sind also nicht nur begründungspflichtig, sie sind auch kritikfähig. Eine erste Kritik habe ich am Beispiel des Rates benannt: Das Fehlen einerBegründung der normative Setzung.

Es gibt weitere Möglichkeiten Kritik zu praktizieren. Ein erster Ansatz ist eine immanente Kritik. Insbesondere dann, wenn man mehrere Qualitätsmerkmale gleichzeitig für sich in Anspruch nimmt, wird man untersuchen können, ob diese Qualitätskriterien miteinander kompatibel sind, ob es eine Kohärenz im System der Kriterien gibt. Wenn man also in seiner Projektplanung und Antragstellung behauptet, das Projekt sei gleichzeitig preiswert, künstlerisch wertvoll und nachhaltig, so wird man durchaus ein Fragezeichen hinter diese Behauptungen stellen können. Während der Umsetzung des Projektes wird man dies an denselbstgesetzten Zielen messen können. Beides, die Analyse der anvisierten Qualitätskriterien und der Erfolg der Umsetzungbei den Akteuren selbst, können zu einer kritischen Selbstreflexion der eigenen Praxis führen.

Damit komme ich zu einem weiteren systematischen Ertrag: Qualitätsdiskurse sind bzw. können oder sollten Prozesse der Selbstreflexion sein. Selbstreflexion ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal im Bereich der Professionstheorien, so dass Qualitätsdiskurse gleichzeitig auch Diskurse über Professionalitäten sind.

Von der Qualität zur Evaluation

Der selbstreflexive Umgang mit der eigenen Arbeit gehört zum Feld der Evaluation. Er ist ein wichtiger Bestandteil pädagogischer Professionalität. Neben selbstgesetzten Zielen, die man – wie beschrieben – selbst analysieren und evaluieren kann, gibt es auch fremdgesetzte Ziele. Eine Variante besteht darin, dass man sich bei einem Fördertopf mit einem Projekt bewirbt, bei dem klare Ziele vorgegeben sind. Durch die Antragstellung akzeptiert man diese fremdgesetzten Ziele und macht sich diese zu eigen.

Schwieriger ist es, wenn bestimmte Qualitätsmerkmale nachträglich – von anderen – an die Arbeit angelegt werden. Dabei werden diese Qualitätsmerkmale und Ziele nicht bloß angelegt, sondern sie sind zwangsläufig verbunden mit Prozessen der Überprüfung. Ich bin beim nächsten systematischen Punkt:

Wer Qualität sagt, muss im nächsten Satz dann auch von Evaluation sprechen: Qualitätsdiskurse sind wesentlich Evaluationsdiskurse.

Einige Anmerkungen zur Evaluation

Es verwundert sicher nicht, dass aufgrund der angesprochenen existenziellen Relevanz der Qualitätsdiskurse auch die Debatte über Formen der Evaluation nicht harmonisch verläuft. Es gibt immer wieder Streit darüber, welche Evaluationsmethoden angemessen sind, um pädagogische bzw. künstlerische Qualitäten zu definieren und dann auch noch zu überprüfen.

Am Beispiel der zitierten Metaanalyse von Ellen Winner und Lois Hetland hat sich in den USA ein Streit mit dem kalifornischen Erziehungswissenschaftler James Catterall ergeben (Winner/Hetland 2001). Während Winner und Hetland bei ihrer Metaanalyse zum Schluss kamen, dass kaum eine Wirkungsstudie im Bereich der Kulturellen Bildung aufgrund von Methodenmängeln belastbare Ergebnisse erbrächte, warf Catterall den beiden Wissenschaftlerinnen vor, dass dieses negative Ergebnis mit ihrem ausgesprochen engen Verständnis angemessener Methoden zusammenhängt (Winner/Hetland 2001:32 ff.).

In der Tat favorisieren die Autorinnen nicht bloß quantitative Methoden, sie fordern sogar, dass auch in der Erziehungswissenschaft der „Goldstandard empirischer Evaluationsforschung“, nämlich randomisierte kontrollierte Experimentewiebei der Überprüfung der Wirksamkeit von Arzneimitteln, angewandt werden müssten (Winner et al 2013:13). Es liegt auf der Hand, dass wesentliche Aspekte menschlichen Lebens und einer pädagogisch-künstlerischen Praxis auf diese Weise nicht erfasst werden können, weswegen es wichtig ist, für einen Methodenpluralismus zu kämpfen (vgl. Fuchs 2016:35 ff).

Jede Fachkraft hat ihre Arbeit schon immer bewertet bzw. sie wurde von anderen bewertet. Eine besondere Konjunktur der Evaluationsthematik ergab sich im Laufe der 1980er Jahre. Die Städte waren in einer schwierigen Haushaltslage, so dass man nach Möglichkeiten suchte, aus dieser Misere herauszukommen. In dieser Situation hörte man aus der holländischen Stadt Tillburg, dass dort ein neuer Ansatz ausprobiert wurde, die öffentliche Verwaltung effektiver und kostengünstiger zu organisieren: Man verstand die Stadt als Unternehmen und die Bürger*innen als Kund*innen dieses Unternehmens, kurz: Es ging um die Einführung des – später so genannten – Neuen Steuerungsmodells als einer Dienstleistungsorientierung. Es ging um Produktbeschreibungen, um eine Output- anstatt einer Inputorientierung. Es ging um die Evaluation, wobei bei all diesen Dimensionen Methoden der Betriebswirtschaft angepriesen und angewandt wurden.

Das hatte zur Folge, dass sich große Unternehmensberatungsfirmen wie McKinsey und Kienbaum nunmehr stärker für Kultur und Bildung interessierten. Man schlug vor, Qualitätsfragen auch in diesen Bereichen mit den eingeführten Zertifizierungs- und Qualitätssicherungssystemen aus der Betriebswirtschaftslehre wie ISO 9000 zu bearbeiten.

Die Jugendpolitik geriet ebenso unter den Druck dieser „Modernisierung“ öffentlicher Verwaltung. Von Anfang an wurde dies kritisch gesehen, weil zum einen die methodischen Ansätze für völlig unangemessen und nicht im Einklang mit der Professionalität und dem gesetzlichen Arbeitsauftrag der Jugendarbeit standen, zum anderen aufgrund einer derart verfehlten Qualitätsdebatte unerwünschte Folgen für die Trägerstrukturen, für die Förderung dieser Träger erwartet wurden.

Wichtig ist hierbei festzuhalten: Qualitätsdiskurse sind immer aufs engste mit Förderungsdiskursen verbunden.

Ein erster Ansatz: Die Rückgewinnung von Handlungskompetenz bei Fragen der Evaluation durch die Akteure selbst

Für die Bundesvereinigung Kulturelle Bildung als Dachverband der Kulturellen Bildung ergab sich daraus die Anforderung, sich intensiver mit Fragen der Evaluation auseinanderzusetzen. Ein erster Schritt war eine wissenschaftliche Studie über relevante Debatten im Bereich der Evaluation, die das Bundesbildungsministerium finanziert hat (Fuchs/Liebald 1995). In dieser Studie wurde deutlich, dass ein Großteil der Evaluationsdebatten unter dem Aspekt der Disziplinierung, der Kontrolle und der Macht durch Geldgeber geführt werden.

Das Neue Steuerungsmodell kann in demokratietheoretischer Hinsicht als Versuch gesehen werden, die Bürger*innen als politische Akteure zu entmachten. Das sahen später auch die Oberbürgermeister*innen im Deutschen Städtetag und formulierten, dass die Stadt kein Unternehmen ist, sondern – ganz im Sinne der griechischen Antike – ein politischer Gestaltungsraum, eine Polis, für die andere Regeln als betriebswirtschaftliche Effizienzgesichtspunkte gelten müssen.

Im Bereich der Pädagogik war es wichtig, den pädagogischen Nutzen einer Reflexion der eigenen Tätigkeit hervorzuheben. Ausgangspunkt war die Überzeugung, dass keine Fachkraft in pädagogischen Kontexten ein Interesse an schlechter Arbeit hat. Der BKJ ging es (vgl. BKJ 1998) darum, Evaluationsmodelle zu entwickeln, bei der die Eigenverantwortlichkeit der Akteure und somit auch das Deutungsrecht für die eigene Arbeit in den Händen der Akteure bleibt, denn:

Qualitätsdiskurse sind Machtdiskurse, bei denen es darum geht, wer das Deutungsrecht bei der Beurteilung der Arbeit hat.

Evaluation als Machtstrategie

Man kann bei aller Differenziertheit der Methoden zwei Grundtypen von Evaluationsverfahren unterscheiden: formative und summative Evaluationen. Bei der summativen Evaluation kommen am Ende externe Gutachter*innen, die – mit welchen Methoden auch immer – versuchen, ein Urteil über die Qualität der Arbeit zu fällen. Solche Ansätze sind insbesondere für Geldgeber*innen interessant, weil die Ergebnisse einer solchen Evaluation die Basis für weitere Förderungen sein können.

Eine formative Evaluation ist hingegen eine begleitende und mitsteuernde Evaluation, bei der ständig Rückmeldungen an die Akteure gegeben werden mit der Folge, dass die pädagogische Arbeit auf festgestellte Fehlentwicklungen sofort reagieren kann. Es gibt hierbei kein abschließendes Werturteil, da der Untersuchungsgegenstand durch die in Erfahrung gebrachten Ergebnisse sofort verändert werden kann. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Evaluation für die Akteure in pädagogischer Hinsicht interessant, in förderpolitischer Hinsicht allerdings möglicherweise weniger interessant ist.

Ein weiteres Zwischenfazit: Qualitätsdiskurse sind Evaluationsdiskurse, Evaluationsdiskurse sind wesentlich Methodendiskurse. Bei Methodendiskursen wiederum kann man pädagogische bzw. disziplinierende Zielstellungen unterscheiden.

Evaluation als Kollateralschaden

Mehrfach beschrieben wurde indes, dass die gestiegenen Forderungen nach Evaluationen seitens der Geldgeber*innen dazu führen können, dass sich damit zwangsläufig die Qualität der pädagogischen Arbeit verschlechtert. Ich erinnere an das berühmt-berüchtigte Wort vom teaching for testing, bei dem es darum geht, dass die pädagogische Arbeit – nicht nur in der Schule – auf das Absolvieren des nächsten anstehenden Testes ausgerichtet wird.

Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang besteht darin, dass bei vielen Bewilligungen indes eine Evaluation verpflichtend vorgeschrieben wird, ohne jedoch gleichzeitig die notwendigen Mittel dafür bereitzustellen. Das bedeutet, dass die Evaluation zulasten der inhaltlichen Arbeit geht.

Verschärft wird diese Situation dadurch, dass auch der Wissenschaftsbetrieb auf die wachsende Konjunktur der Evaluation insofern reagiert hat, als sich sofort Lobbyorganisationen der Evaluationsforschung gebildet haben und neue Studiengänge für Evaluation eingerichtet wurden. Das Problem hierbei ist, dass man sich natürlich auch um den Arbeitsmarkt für die Absolvent*innen dieser Studiengänge kümmern musste, was durch die Lobbyarbeit des entsprechenden Fachverbandes dann auch geleistet wurde.

Insgesamt kann manfeststellen: Die Evaluation führt oft zur Verschlechterung der Qualität, weil sie Ressourcen beansprucht, die meist der inhaltlich pädagogischen Arbeit entzogen werden.

Beispiele gelingender Evaluation: Stichwort Partizipation

Ein entscheidender Aspekt bei Fragen der Bewertung von Arbeit besteht aus meiner Sicht darin, die Akteure selbst zu Wort kommen zu lassen. Hierfür gibt es zahlreiche gute Beispiele. Einige dieser Beispiele werdenvorgestellt.

In der Kulturpolitik wird zur Zeit das Problem der Teilhabe intensiv diskutiert. Es geht um die schwierige Situation, dass bestenfalls 10 % der Bevölkerung Kultureinrichtungen regelmäßig nutzen, die mit Steuergeldern von 100 % der Bevölkerung finanziert werden. Vor dem Hintergrund des populären kulturpolitischen Slogans Kultur für alle, der in der Neuen Kulturpolitik seit den 1970er Jahren eine entscheidende Rolle spielt, wollte und will man sich mit diesem Befund nicht zufrieden geben. Im Kontext der Neuen Kulturpolitik haben sich soziokulturelle Zentren gegründet, die den Anspruch haben, dieses von Hilmar Hoffmann prominent formulierte Ziel einer Kultur für alle besser umzusetzen.

Albrecht Göschel, seinerzeit Mitarbeiter des difu, des Deutschen Instituts für Urbanistik als Forschungsinstitut des Deutschen Städtetages, sollte eine Evaluation soziokultureller Zentren vornehmen. Das Ziel war klar: Kultur für alle. Die zu untersuchenden Einrichtungen wurden vom Bundesverband der soziokulturellen Zentren selbst ausgesucht. Das Ergebnis enttäuschte allerdings: Auch soziokulturelle Zentren erreichen nur einen bestimmten Ausschnitt der Gesellschaft, der allerdings vom etablierten Kulturbetrieb nicht angemessen berücksichtigt wurde. Die zentrale Erkenntnis des französischen Kultursoziologen Pierre Bourdieu (1987) wurde bestätigt, dass sich in der Gesellschaft Lebensstilgruppen bilden, die über ein gemeinsames ästhetisches Interesse ihren Zusammenhang finden. Das Problem dieser ästhetisch produzierten sozialen Segmentierung besteht darin, dass ästhetische Präferenzen aufs engste mit dem sozialen Status und mit politischen Partizipationsmöglichkeiten verbunden sind.

Ein zweites Beispiel einer partizipativen Evaluation, bei der die Akteure ernst genommen werden, ist der erwähnte Ruhratlas kulturelle Bildung. Hier wurden keine Qualitätskriterien – und dann auch noch ohne Begründung – von irgendeiner Instanz autoritär gesetzt, sondern es wurden die Akteure selbst über ihre Vorstellungen von Qualität befragt.

Noch weiter kann man gehen, wenn man nicht nur die Fachkräfte befragt, sondern auch die mitwirkenden Kinder und Jugendlichen einbezieht. Hierfür gibt es inzwischen viele Beispiele der Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in Jurys bei Preisen in den Bereichen der Kinder- und Jugendliteratur oder -medien.

Die BKJ hat den Kompetenznachweis Kultur, einen außerschulischen Bildungspass, entwickelt, derJugendlichen die im Kulturprojekt gezeigten Kompetenzen beschreibt(Timmerberg/Schorn 2009). Das dialogische Prinzip liegt diesem Nachweis zugrunde. Dies bietet der*m Anleiter*in und dem Jugendlichen Möglichkeiten, selbst die Lernprozesse zu reflektieren und auszuhandeln.

Eine eigene Erfahrung konnte ich bei der Zertifizierung der Einrichtung machen, die ich lange geleitet habe. Eine kleine Abteilung wurde über das Weiterbildungsgesetz NRW gefördert. Eine Zertifizierung wurde zwingend verlangt. Wir mussten eine Auswahl unter verschiedenen Zertifizierungsmöglichkeiten treffen. Ausgewählt haben wir ein Verfahren, LQS, bei dem wir selbst definieren mussten, was wir unter „gelingenden Lernen“ verstehen. Auf dieser Basis wurde die Einrichtung unter fachlicher Anleitung der Zertifizierungsagentur einer kritischen Überprüfung unterzogen, inwieweit die verschiedenen Arbeitsbereiche diesem selbstgesetzten Ziel entsprechen.

Zusammenfassung

Das Fazit fasst die einzelnen entwickelten Dimensionen eines (kritischen) Qualitätsdiskurses zusammen:

1. Qualität ist ein Pluralitätsbegriff, er hat verschiedene Dimensionen mit je eigenen Qualitätskriterien.

2. Der Qualitätsdiskurs ist (oder sollte sein) ein Begründungsdiskurs: Es geht um die Verpflichtung, die zu Grunde gelegten Qualitätskriterien sorgsam zu begründen.

3. Der Qualitätsdiskurs sollte als Prozess der Selbstreflexion der Akteure betrieben werden. Somit wird er zu einem Teil des Diskurses über Professionen und Professionstheorien.

4. Der Qualitätsdiskurs ist immer ein Diskurs über Evaluation und Evaluationsmethoden.

5. Der Qualitätsdiskurs ist (fast immer) ein Diskurs über Förderung.

6. Insgesamt kann man sagen, dass der Qualitätsdiskurs ein Machtdiskurs ist: Es geht (auch) um das Deutungsrecht, wobei pädagogische Ziele und Ziele der Kontrolle und Disziplinierung miteinander in Konflikt liegen.

Schlussbemerkung

Bei allen kritischen Hinweisen muss man zugestehen, dass Qualität ein wichtiger und zu Recht positiv besetzter Begriff ist. Er ist es allerdings nur dann, wenn es in redlicher Weise tatsächlich um pädagogische Qualitäten geht. Daher lohnt noch einmal ein Blick auf die bereits zitierte und von der OECD und der Stiftung Mercator in Auftrag gegebene und finanzierte Studie von Ellen Winner et al: „Kunst um der Kunst willen?“. In dieser Metaanalyse kommen die Autoren*innen zum Ergebnis, dass sich die behaupteten Transferwirkungen einer künstlerisch-pädagogischen Arbeit auf andere Kompetenzfelder der Persönlichkeit nicht belegen ließen.

Daher fragen sie nach einer weiteren Rechtfertigung künstlerischer Bildung. In der Studie sprechen sie – ganz im Sinne der wirtschaftspolitischen Ziele der OECD – von der Notwendigkeit von Kreativität für eine innovative Gesellschaft und Wirtschaft. Nur am Rande wird hierbei erwähnt, dass Bildung dazu beiträgt, das individuelle Leben zu verbessern. Offenbar wird diese Instrumentalisierung für gesellschaftliche und ökonomische Zwecke den Autor*innen im Verlaufe der Studie obsolet, so dass sie ihr Fazit am Ende anders formulieren. Nunmehr steht das Ziel der Lebensverbesserung im Mittelpunkt. Dies könnte man positiv bewerten, wenn es zum einen nicht diese problematische Zwischenbilanz gegeben hätte und zum anderen die Formulierung des genuinen Ziel der Lebensverbesserung nicht dadurch motiviert erscheint, dass man glaubte, keine Transferwirkungen feststellen zu können.

Auf die Frage danach, ob es in pädagogischen Kontexten darum geht, Kunst um der Kunst willen zu betreiben, wird man also mit guten Gründen Nein sagen müssen. Die Autor*innen sagen, dass es nicht darum gehen kann, Kunst – in pädagogischen Kontexten – um der Wirtschaft willen zu betreiben.

In der Tat ist das einzig legitime Ziel einer künstlerisch-ästhetischen Praxis – in pädagogischen Kontexten – eine Unterstützung bei der Entwicklung von Bildung und Persönlichkeit. Es geht um die Entwicklung von Lebenskompetenzen, es geht um das anspruchsvolle Ziel, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die*der Einzelne* ein gutes, gelingendes und glückliches Leben realisieren kann.

Genau dies war der Grundgedanke unserer (BKJ-)Reaktion auf den administrativen Wunsch nach mehr Evaluation in den 1990er Jahren. Zum einen entwickelten wirein Modell der Selbstevaluation, bei dem die Akteure es in der Hand behalten, ihre Arbeit redlich und wahrhaftig zu bewerten. Allerdings bleibt auch dieses Modell in der Logik des disziplinierenden Evaluationsgedankens, da es bloß eine Reaktion war.

Unsere Überlegungen gingen daher weiter. Wirformulierten den Begriff der Lebensqualität als Ziel pädagogischer Arbeit. Es geht – so wie es ein programmatischer Slogan der UNESCO benennt - um das Subjekt im Mittelpunkt.

Übernommen wurde nicht der Begriff der Lebensqualität, sondern es wurde der Begriff der Lebenskunst gewählt. Gefragt wurde zudem, welchen Beitrag eine kulturell-ästhetische Praxis für die Erreichung dieses Zieles leisten kann.

Es zeigte sich, dass der Begriff der Lebenskunst in vielfacher Hinsicht ein guter Begriff war und ist: Er löste – durchaus kontroverse, aber fruchtbare – Diskurse darüber aus, was ein gutes und glückliches Leben sein könnte (vgl. Peter Bieri, das ist Pascal Mercier). Lebenskunst zielte auf das Wesentliche von Bildung und nicht auf Nebenziele. Lebenskunst regte zum kreativen Nachdenken darüber an, wie die eigene Arbeit vor dem Hintergrund dieses Zieles evaluiert werden kann (BKJ 1999, 2000, 2001).

Aktuell wird der Begriff der Lebenskunst immer noch im Kontext der BKJ verwendet und durch weitere Impulse verstärkt: Zum einen durch die Initiative einer Kritischen Kulturpädagogik  (Fuchs/Braun 2017), die sich zum Ziel setzt, den ökonomischen Vereinnahmungstendenzen im Rahmen des derzeitigen Neoliberalismus Widerstand entgegen zu setzen. Zum anderen wurde der Gedanke des Subjektes im Mittelpunkt dadurch verstärkt, dass wir von einem starken Subjekt sprechen (Fuchs 2016). Eine Basis für diesen Ansatz bietet Volker Gerhardt in Selbstbestimmung  (1999). In diesem Buch diskutiert der Autor aus philosophischer Perspektive zentrale Begriffe wie Selbsterkenntnis, Selbstständigkeit, Selbstzweck, Selbstbewusstsein, Selbstverantwortung und Selbstverwirklichung als notwendigen Dimensionen eines guten Lebens in Freiheit.Das Handbuch Das starke Subjekt  (Taube/Fuchs/Braun 2017) vereint Kolleg*innen aus der Erziehungswissenschaft undder pädagogischen Praxis, die diese Begriffe im Hinblick auf das Arbeitsfeld der künstlerisch-ästhetischen Bildung reflektieren. In diesem Kontext kann sinnvoll über Qualität diskutiert werden, denn dann wird Qualität der Entwicklungsimpuls, den wir uns von unserer pädagogischen Arbeit erhoffen.

Verwendete Literatur

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Anmerkungen

Max Fuchs hielt am 4. März 2018 diesen Vortrag auf dem Symposium "Schön, dass Ihr dabei gewesen seid!" auf der Burg Fürsteneck/ Hessen.

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Max Fuchs (2018): Qualität – eine Leitformel zwischen Entwicklungsimpuls und Kampfbegriff. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/index.php/artikel/qualitaet-leitformel-zwischen-entwicklungsimpuls-kampfbegriff-0 (letzter Zugriff am 14.09.2021).

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