Partizipation und Kulturelle Medienbildung in einer digitalen Medienwelt

Artikel-Metadaten

von Christian Helbig

Erscheinungsjahr: 2016

Peer Reviewed

Abstract

Teilhabe bedeutet für Kinder und Jugendliche heute Teilhabe an digitaler Kommunikation. Insbesondere mobile Medien prägen sie in ihrer Identitätsentwicklung und bieten ihnen Orientierung im Prozess des gesellschaftlichen Wandels. Dabei sind Heranwachsende mit Herausforderungen, Unsicherheiten und Zumutungen konfrontiert, die in Bildungsprozessen deutlicher berücksichtigt werden müssen. Im Kontext von digitalen Ungleichheiten und einer zunehmenden Datafizierung aller Lebensvollzüge ist zukünftig vor allem eine Kulturelle Medienbildung verstärkt erforderlich.

Digitale Medien stellen einen wesentlichen Faktor heutiger kultureller und gesellschaftlicher Teilhabe dar. Dies gilt insbesondere für Jugendliche, da sie ihre kulturellen Praktiken vor allem in Bezug auf oder in Medien ausleben. Nicht nur für Heranwachsende ist es zunehmend selbstverständlich, zu jeder Zeit und an jedem Ort auf digital gespeicherte Informationen zuzugreifen und sich in einer Vielzahl von Kontexten nahezu zeitgleich präsentieren, positionieren und einbringen zu können. In ihrem mobilen und vernetzten Medienhandeln pflegen Jugendliche nicht nur Beziehungen, agieren in Communities, demonstrieren ihre Zugehörigkeit zu Szenen und Inszenieren sich in verschiedenen Formen, sondern sie beteiligen sich auch aktiv an der Gestaltung der Medienkultur bzw. an dem Prozess der Mediatisierung.

In der Kommunikationswissenschaft wird die Mediatisierung als Metaprozess beschrieben, der, verknüpft mit anderen Metaprozessen wie der Globalisierung, die Menschheit in ihrer sozialen und kulturellen Entwicklung langfristig beeinflusst (vgl. Krotz 2007:27). Dieser generalisierbare Prozess kann auf allen gesellschaftlichen Ebenen beobachtet werden und hat Bedeutung für den Alltag, die Identität und die Kultur (vgl. Krotz 2012:37). Die Digitalisierung, wie der gegenwärtige Mediatisierungsschub beschrieben wird (vgl. Krotz 2007:37), ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass Kommunikation räumlich und zeitlich flexibel möglich ist (Entgrenzung) und einem Zusammenwachsen von Kommunikationsmedien und Medienfunktionen (Konvergenz). Bereits 2006 beschrieb Henry Jenkins den Begriff der Konvergenz als „[...] a situation in which multible media systems coexists and where media content flows across them. Convergence is understood here as an ongoing process or series of intersections between different media systems, not a fixed relationsship“ (ebd.:282). Allein im Jahr 2015 wurden weltweit 8.591 Exabyte (1018 Bytes) an digitalen Daten generiert, eine Verdreifachung im Vergleich zum Jahr 2012 (2.837 Exabyte). Prognosen sagen voraus, dass sich im Jahr 2020 die jährliche Datenmenge im Vergleich zu 2015 nochmals verfünffacht haben wird (40.026 Exabyte) (vgl. Statista 2016).

Mit dem Phänomen der Datenspeicherung verknüpft sind die Analyse- und Auswertungsmöglichkeiten dieser Datenbestände. Diese Potentiale, die unter dem Begriffspaar „Big Data“ diskutiert werden, stellen auf der einen Seite große Chancen für wissenschaftliche und politische Fragestellungen sowie für wirtschaftliches Wachstum dar. Beispielsweise können Unternehmen Kundenerfahrungen erfassen und individuell auf Vorlieben und Interessen reagieren (vgl. Schwarz 2015). Auf der anderen Seite sind die suggerierten Potentiale für die Nutzenden verbunden mit einer Datafizierung von Privatsphäre sowie mit einer Einschränkung von Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten, wenn zum Beispiel die Kreditwürdigkeit eines Menschen, der Preis für Versicherungen oder Karrierechancen durch Big-Data-Prognosen über das zukünftige Verhalten der betroffenen Person festgelegt werden.

Für die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen ist die fortschreitende Digitalisierung entsprechend von besonderer Bedeutung. Heranwachsenden bietet sie sowohl neue Autonomieräume und Teilhabemöglichkeiten, erzeugt aber gleichermaßen neue Anforderungen, Zumutungen und Momente der (Selbst-)Disziplinierung. Somit wird es vermehrt erforderlich, dass sich Bildungsinstitutionen in Theorie und Praxis mit der Digitalisierung befassen und sie mit der gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in einer digitalen Medienwelt in Zusammenhang bringen. Der folgende Artikel möchte hierzu einen Beitrag leisten, indem er den Forschungsstand zur Teilhabe von Kindern und Jugendlichen im Kontext der Digitalisierung darlegt, Herausforderungen – insbesondere der Datafizierung - benennt und die Kulturelle Medienbildung thematisch verortet.

Aufwachsen in einer digitalisierten Gesellschaft

Dass die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen zunehmend mit digitalen Medien verknüpft sind, wird deutlich, werden die aktuellen Zahlen des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (MPFS) zugrunde gelegt. Nahezu allen Kindern zwischen sechs und 13 Jahren stehen in den Haushalten Fernseher, Handy/Smartphone, Computer/Laptop und Internetzugang zur Verfügung. Fast jedes zweite Kind (47%) besitzt selbst ein eigenes Smartphone – eine Verdreifachung innerhalb von zwei Jahren – und jedes Dritte (35%) einen Fernseher (vgl. MPFS 2015a:8f.). 87 Prozent der Kinder sind mindestens einmal pro Woche mit einen Computer oder Laptop online. Trotz der steigenden Nutzungszahlen digitaler und mobiler Medien, setzt sich bislang aber das Fernsehen als wichtigstes Medium für Kinder durch: Vier Fünftel der Kinder (79%) sieht fast täglich fern (vgl. ebd.:20). Die Hinzunahme der Studie zum Medienumgang zwölf- bis 19-jähriger zeigt, dass mit steigendem Alter das Internet den Fernseher als bevorzugtes Medium Heranwachsender ablöst und die Onlinenutzung zunehmend alltäglicher und selbstverständlicher wird: 92 Prozent der Jugendlichen nutzen mehrmals pro Woche das Internet (vgl. MPFS 2015b:11). Auch die steigende Bedeutung mobiler Medien- und Internetznutzung wird in den Studien des MPFS sichtbar. Neun von zehn Jugendlichen (89%) geben an, täglich ein Handy oder Smartphone zu nutzen (vgl. ebd.). Fast ebenso viele Jugendliche (88%) nutzen die Möglichkeiten des mobilen Internetzugangs (vgl. ebd.:30). Bei den Sechs- bis Zwölfjährigen geben bisweilen 32 Prozent an, ein- oder mehrmals in der Woche ein Handy oder Smartphone als Weg zur Internetnutzung zu gebrauchen (vgl. MPFS 2015a:34).

Die deutliche Verbreitung digitaler und mobiler Endgeräte bei älteren Jugendlichen führt dazu, dass sich Heranwachsende in ihrer Mediennutzung mit steigendem Alter zunehmend autonomer präsentieren. Während Kindern noch die Nutzung von Suchmaschinen (71%), das Anschauen von Filmen und Videos (55%) und den Besuch von Kinder-Seiten (50%) als die drei Hauptmotive für Internettätigkeiten angeben (vgl. MPFS 2015a:35f.), steht bei den Jugendlichen die Kommunikation klar im Vordergrund (vgl. MPFS 2015b:31). Insbesondere die Messenger-App „WhatsApp“ wird von vielen der Zwölf- bis 19-jährigen täglich genutzt (85%). Des Weiteren geben jeweils fast zwei Fünftel der Jugendlichen an, täglich Online-Communities (39%) und Facebook (38%) zu nutzen (vgl. ebd.:32).

Der Einfluss der Digitalisierung auf die Alltagsgestaltung von Kindern und Jugendlichen, wie er in den Daten des MPFS deutlich wird, ist in den letzten Jahrzehnten insbesondere durch die Mediensozialisationsforschung untersucht worden (siehe Kathrin Demmler/Ulrike Wagner „Mediensozialisation und kulturelles Lernen“). Dort finden sich vermehrt Belege dafür, dass Kinder und Jugendliche sich in ihrem Medienhandeln mit gesellschaftlichen Werten und Normen auseinandersetzen und Entwicklungsaufgaben bearbeiten (vgl. Schmidt/Paus-Hasebrink/Hasebrink 2011; Wagner/Eggert 2013). Jan-Hinrik Schmidt, Ingrid Paus-Hasebrink und Uwe Hasebrink (2011) bieten in diesem Kontext eine Analysestruktur und charakterisieren Sozialisation im Kontext von Medien heute durch folgende vier Prozesse: (1) „Prozesse der Enthierarchisierung“, (2) „Direkte Beteiligungsmöglichkeiten“, (3) „Medien zur Selbst- und Fremderfahrung“ und (4) „Entschulung und Entpädagogisierung“ (ebd.:18ff.).

  • „Aufwachsen in der Moderne bedeutet, in einer Gesellschaft zu leben, welche viele Optionen bereithält. Dies ergibt für die Sozialisanden mehr Freiheit als Früher, aber zugleich sind die Orientierungshilfen auch spärlicher geworden." (Süss/Lampert/Wijnen 2010:43) Gemeint ist damit, dass insbesondere Eltern für ihre Kinder nicht mehr die alleinige Vermittlungsinstanz gesellschaftlicher Normen und Werte darstellen. In einer individualisierten und pluralisierten Gesellschaft, die Kindern und Jugendlichen suggeriert, eine unüberschaubare Zahl an Optionen zu haben, ziehen junge Menschen vor allem auch Medien heran, um Zugang zu Orientierungsangeboten zu bekommen. „[...] Medien liefern Welt-Wissen in unterschiedlicher und kaum mehr überschaubarer Weise. Gleichzeitig erweitert der Zugang zu globalisierten Medienangeboten den Handlungsspielraum von Heranwachsenden, eröffnet ihnen Einblicke in (fremde) Lebensbereiche und Kulturen." (Schmidt/Paus-Hasebrink/Hasebrink 2011:18)
  • Die Trennung zwischen Produzierenden und Konsumierenden wird in der Digitalisierung zunehmend unschärfer. Heranwachsende können ihre Ideen, Wünsche und Meinungen zu Produkten und Dienstleistungen sowie – so lässt sich erweitern - insgesamt über für sie relevante Themen aktiv einbringen. Vor allem das Erstellen von eigenen medialen Inhalten und das Präsentieren und Teilen in Sozialen Netzwerken ist maßgeblich für diese Entwicklung.
  • Viele Medienangebote, insbesondere aber Soziale Netzwerke sind auf die Bedürfnisse Heranwachsender abgestimmt und haben Anteil an der Bearbeitung individueller Entwicklungsaufgaben und an Prozessen der Identitätsentwicklung. So bieten Social Web-Angebote jungen Menschen Spielräume zur Auseinandersetzung mit relevanten Fragestellungen des Aufwachsens wie Geschlechterfragen, Körperbildern und möglichen Zukünften (Selbstauseinandersetzung), Freundschaften und Beziehungen (Sozialauseinandersetzungen) sowie den eigenen Erfahrungen und das eigene Weltwissen (Sachauseinandersetzungen) (vgl. ebd.:27).
  • Das Internet und Soziale Netzwerke bieten Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten informellen Lernens. Alternativ zum schulischen Lernen stehen ihnen damit Informationsquellen zur Verfügung, die unabhängig von erwachsenen Bezugspersonen und Kontrollinstanzen zugänglich sind und deren Kommunikationsform häufig den Gewohnheiten der Jugendlichen entspricht.

Soziale Netzwerke können somit für Heranwachsende Orientierungsangebote darstellen und werden von Jugendlichen nicht nur rezeptiv, sondern als „Räume für die Interaktion mit anderen“ (Wagner/Brüggen 2013:62) angeeignet. Mit Bezug auf Claudia Wegener (2010) schlussfolgert Nicole Alfert: „Soziale Netzwerke sind daher auch als (Sozial-)Räume anzusehen. Medienproduktionen können als eine Art Identitätsangebot gesehen werden, die als Vorlage zur reflexiven Auseinandersetzung mit sich selbst dienen kann, da eben mittels Medien Erscheinungsbilder und Rollenvorlagen, Handlungs- und Deutungsmuster sowie Darstellungs- und Inszenierungsformen transportiert werden können (Alfert 2015:87f.)“.

Kulturelle Teilhabe und Partizipation in einer digitalisierten Gesellschaft

Partizipation wird hier verstanden als „politische Beteiligung möglichst vieler über möglichst vieles und zwar im Sinne von Teilnehmen, Teilhaben, Seinen-Teil-Geben und innerer Anteilnahme am Schicksal eines Gemeinwesens“ (Schmidt 2008:236) und als fundamentales Recht aller Mitglieder einer Gesellschaft in allen sie betreffenden gesellschaftlichen Bereichen (vgl. Knauer/Sturzenhecker 2005). Im Sinne der Cultural Studies ist der Begriff der Kultur selbst als politischer Begriff zu verstehen: „Kultur ist ein Kampf um Bedeutung, ein nie zu beendender Konflikt, über Sinn und Wert von kulturellen Traditionen, Praktiken und Erfahrungen (Winter 1997:47)“. Demzufolge ist auch die Begriffsbestimmung der Partizipation um die Teilhabe am kulturellen und sozialen Bereich zu erweitern.

Die Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien für die Teilhabe an Gesellschaft, Kultur und Politik stellte bereits 2005 Henry Jenkins mit dem Begriff der „participatory culture“ (2005) heraus: Medien- bzw. Konvergenzkulturen seien sowohl durch recht niederschwellige Möglichkeiten des kulturellen Ausdrucks als auch des politischen und sozialen Engagements gekennzeichnet. Insbesondere die Möglichkeiten zur unmittelbaren Organisation eigener Interessen gegenüber gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Institutionen wurde von Jenkins betont. Eine Studie von Ulrike Wagner und Christa Gebel (2014) bekräftigt diese Thesen und legt dar, dass Soziale Netzwerkdienste, Informations-, Nachrichten- und Videoportale für Jugendliche allgegenwärtige Angebote darstellen, anhand derer sie sich über gesellschaftliche und entwicklungsrelevante Themen informieren, sich orientieren und sich beteiligen können. Dabei differenzieren die Autorinnen drei Formen der Partizipation Jugendlicher in Online-Medien:

  • Sich positionieren (über Gruppenmitgliedschaften, Profilangaben oder die eigene Selbstdarstellung eine Position zu gesellschaftlichen Diskursen oder kulturellen Phänomenen einnehmen),
  • sich einbringen (die aktive Auseinandersetzung mit der Gegenwartskultur durch die kreative Nutzung von Kommunikationsplattformen) und
  • andere aktivieren (die Aktivierung anderer Jugendlicher z.B. durch die Verbreitung von Terminen und Petitionen) (vgl. ebd.:180ff.).

Die medialen Beteiligungsformen sind dabei eng mit den Lebenswelten und Sozialräumen der Heranwachsenden verknüpft und stehen in Wechselwirkung miteinander. So stellt sich auch eine Trennung zwischen online und offline oder virtuell und real sowohl aus empirischer Sicht als auch aus Sicht der Heranwachsenden nicht mehr als zielführend dar, wie auch Verena Ketter mit dem Konzept der „virealen Sozialraumaneignung“ (2011) belegt. Demnach sind Jugendliche gefordert, sich mit ihrem Selbst und der sozialen, materiellen und symbolischen Umwelt auseinanderzusetzen, in der real zugängliche und mediatisierte Sozialräume ineinandergreifen (vgl. ebd.:23).

Herausforderungen der Teilhabe in der Digitalisierung

Es kann festgehalten werden, dass Digitale Medien für Jugendliche heute einen maßgeblichen Faktor kultureller und gesellschaftlicher Teilhabe darstellen. Wagner und Gebel (2014:179) arbeiten in ihrer Studie weiterhin heraus, dass Partizipation in digitalisierten Welten abhängig ist von:

  1. Lebensweltlichen Ressourcen (z.B. Zugang, Anregung, Unterstützung und Anerkennung durch Familie oder Peergroup)
  2. Ressourcen, die auch über das Medienhandeln selbst erworben werden (z.B. Orientierung, soziale Unterstützung, Medienkompetenz)

Die Ressourcen, die notwendig sind, um Selbstwirksamkeit zu erfahren sowie gesellschaftliche und kulturelle Wirkkraft zu entfalten, stellen sich allerdings als ungleich verteilt dar. Insbesondere Alter, Geschlecht und Bildung sind für die Form der Internetnutzung und für die Teilhabe an der digitalisierten Gesellschaft bedeutsam. So zeigen empirische Studien, dass differenzierte Zugänge zu Informationsquellen sowie kreatives und selbstbestimmtes Medienhandeln vorrangig Milieus mit höheren sozialen und kulturellen Kapitalien vorbehalten sind (vgl. Wagner/Theunert 2006; Kutscher et al. 2015). Weitere Studien halten fest, dass soziale Ungleichheiten nicht nur Einfluss auf den Zugang zur digitalen Kultur nehmen, sondern im Kontext der Nutzungspraktiken online weiter reproduziert werden (vgl. Iske et al. 2007; Tillmann 2008; Klein 2008). Zillien (vgl. 2006:168) nennt vier Aspekte „digitaler Kompetenz“, die eine solche digitale Kluft forcieren: technische Bedienkompetenzen, internetbezogenes Wissen zweiter Ordnung (Bewertung und Nutzung von Informationen), Nutzungserfahrung und Computeraffinität der sozialen Umgebung. Diese Aspekte nehmen Zillien zu Folge Einfluss darauf, wie Jugendliche mit Informationen und Wissen umgehen und – so ließe sich ergänzen – in welcher Art und Weise sie an der digitalen Medienwelt teilhaben.

Charakteristika von „Big Data“

Ein weiterer Aspekt der Partizipation in der Digitalisierung wird unter dem Begriffspaar „Big Data“ diskutiert. Big Data meint, dass Daten, die z.B. durch die Nutzung von Social Media, der Standorterkennung von Smartphones oder dem Online-Shopping entstehen, dauerhaft gespeichert, miteinander verknüpft und ausgewertet werden können. Die Potentiale, die aus der Sammlung und Aufbereitung personenbezogener Daten resultieren, beschreibt Alexander Filipovic (2014) anhand von drei Charakteristika: (1) Vorhersage- und Manipulationsmöglichkeiten, (2) Überwachungsmöglichkeiten und (3) Ökonomisierungsmöglichkeiten.

  • Die Ratifizierung und das In-Beziehung-setzen einer großen Menge individueller Daten ermöglicht es, zukünftiges Verhalten, wie Kauf- und Wahlentscheidungen, vorherzusagen. Auch können diese Korrelationspotentiale z.B. die Nutzung digitaler Medien vereinfachen, indem Suchanfragen mit bisherigen Nutzungspräferenzen abgeglichen werden, um Ergebnisse passgenau zu filtern. Die scheinbare Simplizität und die Genauigkeit von Korrelationen machen Entscheidungen auf ihrer Grundlage für die Nutzenden attraktiv. Gleichzeitig werden Inhalte, die von den Nutzungsgewohnheiten der Vergangenheit abweichen, deutlich schwieriger zu finden. Somit wird der Zugang zu neuen und anderen Themen, Meinungen und Erfahrungen zumindest eingeschränkt, wenn Informationen und Nachrichten anhand der individuellen Nutzungsgewohnheiten und der Verknüpfung mit anderen Nutzenden, wie es z.B. in Sozialen Netzwerken der Fall ist, vorsortiert werden. Aufgrund der fehlenden Transparenz der Algorithmen, die diese statistischen Auswertungen ermöglichen, entstehen aber auch neue Machtverhältnisse, die sich diesen Informationsvorsprung zu Eigen machen.
  • Big Data ermöglicht eine neue Form der wirtschaftlichen und staatlichen Kontrolle. Der Einbezug schützenswerter Daten, wie Kontostände, Sexualität und gesundheitlicher Einschränkungen, stellen nicht nur einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung dar, sondern fördern auch Diskriminierungen, wenn z.B. anhand dieser Daten der Zugang zum Arbeits- und Gesundheitssystem erschwert wird. Filipovic kritisiert in diesem Zusammenhang vor allem den Leitsatz „wer nichts zu verbergen, der hat auch nichts zu befürchten“. Dieses Argument sei nicht nur unglaubwürdig, sondern verhindere auch Solidarität mit Menschen, die sich auf das Recht auf Privatsphäre berufen.
  • Die Datafizierung der Lebenswelten ist verknüpft mit einer bedeutsamen Ökonomisierung. Die Vorhersage- und Manipulationspotentiale sowie der damit verbundene Wettbewerbsvorteil stellen für Unternehmen wichtige Faktoren dar. Es besteht somit vielfach ein Interesse daran, die Kommunikation und die Alltagshandlungen möglichst vieler VerbraucherInnen zu datafizieren. Die Folge ist, „dass unsere Kommunikation und unsere Medienrezeption in einer rein ökonomischen, datengetriebenen Infrastruktur stattfinden und somit abhängig sind von wirtschaftlichen Interessen (Filipovic 2014).“

Teilhabe ist mit Digitalität untrennbar verknüpft

Gapski (2015) konstatiert, dass es „diese Verschiebungen [sind], die Begriffe wie Selbstbestimmung, Souveränität oder freier Wille herausfordern“ (ebd.:13) und – so lässt sich hier hinzufügen – in die Teilhabemöglichkeiten der Heranwachsenden hineinwirken.

Für viele Jugendliche bedeutet Teilhabe heute digitale Teilhabe, die mit persönlichen Daten erkauft wird. So geben in der U25-Studie des Deutschen Institut für Vertrauen und Sicherheit (DIVSI) ein Drittel (34%) der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 24 und 24 Jahren an, eine Verschlechterung ihres Sicherheitsgefühls im Internet zu empfinden. Über die Hälfte der Befragten (59%) gibt des Weiteren an, unsicher über die Sicherheit von persönlichen Daten im Internet zu sein. Diese Wahrnehmung führt allerdings nur bei 4 Prozent der Befragten zu einer Einschränkung der Onlinenutzung (vgl. DIVSI 2014:142f.). Diese ambivalenten Angaben verdeutlichen, mit welchen Herausforderungen Heranwachsende heute konfrontiert sind: Wer nicht in Sozialen Netzwerken oder über den einen Messenger erreichbar ist, gehört im Zweifelsfall nicht mehr dazu, ist uninformiert, wird nicht gesehen und gehört. Teilhabe ist für Jugendliche somit untrennbar mit Digitalität verknüpft.

Kulturelle Medienbildung

Aus Perspektive der Medienpädagogik stellen die Herausforderungen der Digitalisierung derzeit drängende Themen dar. In Anbetracht des ambivalenten Wesens digitaler Partizipation stellt sich vielfach die Frage, wie medienpädagogische Angebote zu Fragen des Datenschutzes oder Überwachung gestalten sein sollten. Einen Haltungsvorschlag zu Themen der Digitalisierung schlägt Evgeny Morozov (2015) in einem Essay vor. Eine Abstinenz von Daten-Diensten stelle für ihn keine Option dar, da dadurch Partizipations-, Informations- und Bildungsmöglichkeiten verhindert würde. Vielmehr ginge es darum, rechtliche und sozioökonomische Rahmenbedingungen zu schaffen, in dem das Teilen von Informationen nicht zu manipulativen Auswirkungen führt und Menschen motiviert sind, sich allen Entfaltungsmöglichkeiten zu öffnen. Daran anknüpfend konstatiert Isabel Zorn (2015), dass es in medienpädagogischen Angeboten wichtig ist, „Teilnehmenden Lösungen anzubeten, die sie dazu befähigen, zu erkennen, wie sie genussvoll und mit persönlichem Gewinn Dienste nutzen können. Eine Veranstaltung, die nur zeigt was problematisch ist, aber keine Wege aufweist, verfehlt ihren Sinn und ist gar kontraproduktiv, weil sie Resignation hervorrufen könnte“ (ebd.: 23f.). Ferner schlägt die Autorin vor, Professionsübergreifend Kooperationen anzustreben, um Synergien in Form von Perspektiven, Erfahrungen und Kompetenzen zu schaffen (vgl. ebd.:24).

Diese Haltungs- und Strukturvorschläge sind anknüpfungsfähig an den Begriff der „Kulturellen Medienbildung“, der sich auf die Bedeutung digitaler Medien für Heranwachsende bezieht und mit den Prämissen Kultureller Bildung in Beziehung setzt: „Kulturelle Medienbildung setzt auf Aufklärung und Kompetenzbildung und nutzt die kreativ-gestaltenden ebenso wie die bewusstmachend-reflektierenden Potenziale, die allen Angebotsformen Kulturellen Bildung eigen sind. Nur so kann eine konstruktive, angemessene und sichere Nutzung der Medien erprobt und erlernt werden (BKJ o.J.).“ Dabei kann sich die künstlerisch-kreative Auseinandersetzung mit den abstrakten Themen der Digitalisierung als besonders wertvoll erweisen, wie z.B. das Haus der elektronischen Künste (HeK) in Basel zeigt. In der Ausstellung „Poetics and Politics of Data – Ambivalenz des Lebens in der Datengesellschaft“ (HeK 2015) präsentierten KünstlerInnen ihre Ansätze zur künstlerisch-gestalterischen Auseinandersetzung mit Aspekten der Digitalisierung wie Überwachung, Datensammlungen, Privatsphäre, Post-Privacy und sozialen Netzwerken (vgl. ebd.).

Nicht zuletzt bietet Kulturelle Medienbildung Chancen, Ungleichheiten innerhalb der Nutzung digitaler Medien zu bearbeiten und Medienbildungsprozesse zu fördern. Medienbildung, verstanden als selbstreflexive Lern- und Orientierungsprozesse, im Zuge dessen sich Menschen komplexe Sichtweisen auf die Welt und das eigene Selbst aneignen und lernen, mit Unbestimmtheiten umgehen zu können (vgl. Jörissen/Marotzki 2009:21), wird in einer digitalisierten Gesellschaft zu einer Grundvoraussetzung für die Bereitschaft zur Veränderung, die es den Menschen ermöglicht, in einer immer komplexeren Welt mit immer weniger vorhersehbaren Biographien und Karrieren zurechtzukommen, Orientierung zu gewinnen und sich zu dieser Welt kritisch-partizipativ verhalten zu können.

Fazit

Es wurde dargelegt, dass Partizipation in der Gegenwart für Jugendliche immer auch digitale Partizipation bedeutet. Dabei bieten Digitale Medien sowohl neue Chancen und Möglichkeiten für Heranwachsende als auch Herausforderungen und Zumutungen. Möchte Kulturelle Bildung ihren Kultur- und Teilhabebegriffen gerecht werden, ist sie aufgefordert, die Rahmenbedingungen des Aufwachsens und damit auch die Digitalität und die Datafizierung der Alltagswelten zukünftig stärker in ihrer Arbeit zu berücksichtigen. Dies umfasst Dreierlei:

  1. Kulturelle Bildung bietet Chancen für Kinder und Jugendliche, sich künstlerisch-gestalterisch mit den abstrakten Themen der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Das bedeutet nicht nur, dass Kulturelle Bildung Angebote aktiver Medienarbeit in ihr Repertoire aufnehmen muss, sondern vor allem, dass Kulturelle Bildung ihre unterschiedlichen künstlerischen Möglichkeiten zur kreativen Auseinandersetzung mit Aspekten wie Privatsphäre, Kontrolle, Selbstbestimmung etc. nutzt, um Medienbildungsprozesse bei Kindern und Jugendliche zu fördern.
  2. Die individuellen Voraussetzungen von Teilnehmenden müssen bei der Förderung von Partizipationsprozessen beachtet werden. Dies beinhaltet auch, dass Kulturelle Bildung Räume schafft, in den Kinder und Jugendlichen Zugänge zu Informationen, alternativen Teilhabeangeboten und Werkzeuge zur aktiven Teilhabe an der digitalisierten Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden und in denen sie die Möglichkeiten haben, eigene Formen der Artikulation, Positionierung und Aktivierung Gleichaltriger zu entdecken.
  3. Nicht zuletzt braucht es professionelles Wissen über das Aufwachsen in digital-vernetzten Welten und den Stellenwert digitaler Medien für Kinder und Jugendliche. Fachkräfte der Kulturellen Bildung sind aufgefordert, dieses Wissen bei der Planung zukünftiger Projekte verstärkt zu berücksichtigen. Grundvoraussetzung dafür ist vor allem die Auseinandersetzung mit der eigenen Medienbildung und der eigenen fachlichen Haltung zu Themen des Aufwachsens in der Digitalisierung.

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Christian Helbig (2016): Partizipation und Kulturelle Medienbildung in einer digitalen Medienwelt. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/index.php/artikel/partizipation-kulturelle-medienbildung-einer-digitalen-medienwelt (letzter Zugriff am 14.09.2021).

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