Musikalische Angebote in der Offenen Kinder- und Jugendkulturarbeit klassismussensibel gestalten - Videovortrag mit textlicher Einfassung

Artikel-Metadaten

von Judith Müller

Erscheinungsjahr: 2023

Peer Reviewed

Abstract

Der Videovortrag thematisiert klassistische Zugangsbarrieren in der Kulturellen Bildung und mögliche Lösungsstrategien am Beispiel der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Im Rückgriff auf Praxiserfahrungen und -beispiele wird aufgezeigt, wie sich Teilhabe und Partizipation durch eine Umstrukturierung von Angeboten sowie die Reflexion von Positionierungen verbessern können. Begleitet von einem einfassenden Text ist der Vortrag Teil des Dossiers „Klassismus und Kulturelle Bildung“. 

Autor:in: Judith Müller

Erscheinungsjahr
2023
Beitragsdauer
12:03 Minuten

Der Videovortrag thematisiert klassistische Zugangsbarrieren in der Kulturellen Bildung und mögliche Lösungsstrategien am Beispiel der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Im Rückgriff auf Praxiserfahrungen und -beispiele wird aufgezeigt, wie sich Teilhabe und Partizipation durch eine Umstrukturierung von Angeboten sowie die Reflexion von Positionierungen verbessern können. Begleitet von einem einfassenden Text ist der Vortrag Teil des Dossiers „Klassismus und Kulturelle Bildung“.

Musik in der Offenen Kinder und Jugendarbeit

Die Offene Kinder- und Jugendkulturarbeit (OKJA) findet außerhalb von schulischen Settings statt. Sie bietet jungen Menschen Freiräume, um in Peer-Gruppen kulturell tätig zu werden. Die OKJA ist vielfältig aufgestellt. Im Gegensatz zu Schule, deren Bildungsangebote meistens auf formellem Lernen basieren, findet Lernen in der OKJA überwiegend auf informeller Ebene statt: „Ästhetische und kulturelle Praxis begegnet uns im Alltag der OKJA in jeder erdenklichen Form. Von ‚offensichtlich‘ künstlerischen Angeboten und Projekten, die mit Musik, Tanz, Kunst, Medien und Theater arbeiten, über besprühte Wände, selbstgeknüpfte Armbänder, eigenwillige Performances bis hin zu liebevoll arrangiertem Essen, stilvoll getragener Kleidung, Ritualen, Festen, Körperschmuck u.v.m.“ (Müller 2021:1366) Das Bedürfnis, sich kulturell zu betätigen, haben alle Kinder- und Jugendliche. Welche kulturellen Ausdrucksformen und Praxen Kinder und Jugendliche beim Kultur-machen interessieren, was für sie attraktiv ist und womit sie sich identifizieren, ist häufig milieu- oder klassenspezifisch geprägt.

Ein zentraler Bereich der kulturellen und ästhetischen Praxis ist das (gemeinsame) Musizieren. In vielen Einrichtungen der OKJA existieren Räume, die speziell dafür eingerichtet wurden. Dazu zählen u.a. Bandräume, Musikstudios und Bühnen, manchmal sind es einfach Räume mit Perkussionsinstrumenten oder einem Klavier. Teilweise werden diese Räume von Fachkräften betreut, teilweise wird den Jugendlichen der Zugang ermöglicht, um selbsttätig musikalisch aktiv zu werden. In einigen Einrichtungen gibt es darüber hinaus Veranstaltungsräume, die teilweise mit Ton- und Lichttechnik ausgestattet sind und Aufnahmestudios für professionelle Musikproduktionen (vgl. Hill 2019).

Diversitätsbewusstsein

Die Räume der OKJA werden aber nicht von allen Kindern und Jugendlichen gleichermaßen genutzt. So dominieren erfahrungsgemäß z.B. in den Bandproberäumen und an den Instrumenten zumeist männlich und weiß positionierte Gymnasiasten; Angebote zu HipHop und Rap werden zwar auch von Klassismus- und Rassismusbetroffenen genutzt, allerdings sind auch hier weiblich positionierte Kinder und Jugendliche unterrepräsentiert.

Klassismus ist dabei nur eine Kategorie von vielen, die beachtet werden muss, um Zugangschancen für alle zu ermöglichen. Sexismus, Heteronormativität, Ableism und Rassismus sind weitere Diskriminierungsformen, die verhindern, dass die Betroffenen an Angeboten teilhaben können oder wollen (vgl. Josties/Gerards 2019 und Gerards 2019). Für Kinder und Jugendliche, die intersektional, also von mehreren Diskriminierungsformen gleichzeitig betroffen sind, verringern sich die Zugangschancen mit großer Wahrscheinlichkeit weiter, wenn die Mitarbeiter*innen der Einrichtungen nicht entsprechend sensibilisiert sind. Zuweilen fallen den Mitarbeiter*innen solche Ausschlüsse gar nicht auf, weil sie selbst von diesen Diskriminierungsformen nicht betroffen sind (vgl. Dressel 2018).

Zugangsbarrieren

Von Klassismus betroffenen Kindern und Jugendlichen fehlen monetäre, häufig aber auch zeitliche Ressourcen, kulturelle Bildungsangebote wahrzunehmen. Einerseits fehlt es in den Familien und Sozialgemeinschaften an Geld, um z.B. Instrumente oder teuren Musikunterricht zu bezahlen; oft rauben langen Arbeitszeiten und Schichtdienste bei geringer Bezahlung den Erwachsenen schlichtweg die Zeit zu unterstützen, sei es durch Fahrdienste oder inhaltliche Begleitung. Auch fehlen zuweilen musisch-musikalische Vorbilder im persönlichen Umfeld, mit denen sich die Kinder- und Jugendlichen identifizieren und von denen sie lernen können. Dagegen besitzt meiner Erfahrung nach z.B. das Erlernen eines Instrumentes in bürgerlichen und Akademikerfamilien einen hohen Stellenwert und einen selbstverständlichen Platz im (Lern-)Alltag. Musizieren wird dort als sinnvolle Freizeitbeschäftigung angesehen und sowohl für das Instrument als auch für den Unterricht werden bereitwillig Geld und Zeit investiert. Für Kinder und Jugendliche, die bereits ein Instrument spielen, ist es ein kleinerer Schritt, sich mit Freund*innen zusammenzutun und gemeinsam kommunale oder private Bandräume zu nutzen – ganz im Gegensatz zu denen, die keine Vorerfahrungen an Instrumenten haben.

Darüber hinaus erleben einige Kinder und Jugendliche wiederkehrende Misserfolge im formalen Bildungssystem (Schule). Das führt dazu, dass die Motivation zu lernen oder sich Neues anzueignen, sehr niedrig ist und sie sich auf Lernsituationen nicht einlassen bzw. sie zu vermeiden suchen (vgl. El-Mafaalani 2020).

Lösungsstrategien

Um strukturelle Benachteiligungen auszugleichen und Zugänge zu erleichtern, ist es für die Fach- und Leitungskräfte notwendig, den Blick für die Problemlagen der Betroffenen zu schärfen und sich über die eigene Positionierung klar zu werden. Auch indem Anleiter*innen und andere Mitarbeiter*innen persönliche Privilegien, u.a. die eigene Herkunft(sfamilie), Ausbildungschancen, soziale Milieus und damit einhergehenden Machtpositionen reflektieren. Dies sollte auch auf struktureller Ebene reflektiert werden. Wie divers ist das Team, das mit den Kindern und Jugendlichen arbeitet? Welche Privilegien haben sie und von welchen Diskriminierungsformen sind sie betroffen? Welche damit einhergehenden Identifikationsmöglichkeiten bieten sie den Teilnehmenden? In der Praxis zeigt sich, dass Identifikationsfiguren für Kinder und Jugendliche von hoher Bedeutung sind und das Zünglein an der Waage sein können, um Kinder und Jugendliche zur Teilnahme an den Angeboten zu motivieren.In einem zweiten Schritt müssen Lösungswege und Haltungen für die jeweilige Einrichtung und deren Fachkräfte erarbeitet werden. Dazu zählen unter anderem: Ressourcen, Räume und Anleitung speziell für die Betroffenen bereitzustellen und die Art der Vermittlung praxisbezogen und niederschwellig zu gestalten. Weiterhin ist Offenheit gegenüber den Lebenswelten, Interessen und Bedürfnissen der Teilnehmenden notwendig. Beispielsweise sollten die Musikgeschmäcker der Teilnehmenden ernst genommen und im Angebot umgesetzt werden (vgl. Bates 2012), Inhalte und Ziele für die Gruppe kollaborativ mit den Teilnehmenden ausgehandelt werden und die Fachkraft sollte einen wertschätzenden und motivierenden Umgangston haben. Wichtig ist auch, an den betroffenen Kindern und Jugendlichen dranzubleiben, regelmäßig mit Ihnen ins Gespräch zu gehen, Angebote zu machen und zu motivieren, um zu zeigen, dass ihre Teilnahme gewünscht und unterstützt wird (vgl. Müller 2018). Für die Arbeit speziell mit jüngeren Kindern spielt darüber hinaus die Unterstützung der Familie und von Sozialgemeinschaften eine zentrale Rolle dabei, ob sie an den Angeboten teilnehmen können.

Verwendete Literatur

  • Bates, Vincent C. (2012): Social Class and School Music. In: Music Educators Journal Vol 98 (4): 33-37. London: Sage. https://doi.org/10.1177/0027432112442.
  • Dressel, Diana (2018): Museum VerLernen – Diversität in der Kulturellen Bildung oder Kulturelle Bildung in der Diversität? In: Josties, Elke/Menrath, Stefanie Kiwi (Hrgs.): Kulturelle Jugendbildung in Offenen Settings. Praxis, Theorie, Weiterbildung (231-244). München: kopaed.
  • El-Mafaalani, Aladin (2020): Mythos Bildung. Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
  • Gerards, Marion (2019): Genderreflexive Arbeit und Musik. In: Hartogh, Theo/Wickel, Hans Hermann (Hrsg.): Handbuch Musik in der Sozialen Arbeit (138-158). Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
  • Hill, Burkhard (2019): Bandworkshops. In: Hartogh, Theo/Wickel, Hans Hermann (Hrsg.): Handbuch Musik in der Sozialen Arbeit (224-234). Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
  • Josties, Elke/Gerards, Marion (2019): Diversitätsbewusste Soziale Arbeit mit Musik in der (Welt-)Migrationsgesellschaft. In: Hartogh, Theo/Wickel, Hans Hermann (Hrsg.): Handbuch Musik in der Sozialen Arbeit (112-137). Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
  • Kultusministerkonferenz des Bundes (2023): Thema Kulturelle Bildung. Online unter: https://www.kmk.org/de/themen/kultur/kulturelle-bildung.html (letzter Zugriff am 15.02.2023).
  • Kultusministerkonferenz des Bundes (2007): Beschluss und Empfehlungen der Kultusministerkonferenz vom 01.02.2007. Online unter: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2007/2007_02_01-Empfehlung-Jugendbildung.pdf (letzter Zugriff am 15.02.2023).
  • Müller, Judith (2021): Ästhetik und ‚Kultur machen‘ in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. In: Deinet, Ulrich/Sturzenhecker, Benedict/von Schwanenflügel, Larissa/Schwerthelm, Moritz (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit (1365-1372). Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22563-6_107.
  • Müller, Judith (2018): Act 2 The Beat – Potentiale Offener Settings der Jugendkulturarbeit. In: Josties, Elke/Menrath, Stefanie Kiwi (Hrsg.): Kulturelle Jugendbildung in Offenen Settings. Praxis, Theorie, Weiterbildung (135-146). München: kopaed.

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Judith Müller (2023): Musikalische Angebote in der Offenen Kinder- und Jugendkulturarbeit klassismussensibel gestalten - Videovortrag mit textlicher Einfassung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/index.php/artikel/musikalische-angebote-offenen-kinder-jugendkulturarbeit-klassismussensibel-gestalten (letzter Zugriff am 16.07.2024).

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