Der Musik der Kinder Raum geben und sie in ihren musikalischen Aktivitäten begleiten
Musikalische Aktivitäten mit Krippenkindern sind als klangvolle Interaktionen zu begreifen. Diese im Krippenalltag zu entdecken, zu begleiten und zu inspirieren steht im Vordergrund einer musikpädagogischen Bildungsbegleitung in Krippen. Es geht nicht darum den Kindern „Musik“ zu lehren bzw. zu vermitteln.
Die beziehungsstiftende Wirkmächtigkeit und die Kontakt-zu-den-Dingen-stiftende Dimension von klingenden Ereignissen werden Anlass Geräusche, Klänge und Rhythmen zu erkunden und mit ihnen zu gestalten.
Lilo (1;5) schüttelt den Schlüsselbund der Erzieherin. Ausgiebig. Mit hoher motorischer Intensität. Wahrscheinlich nimmt sie über mehrere Sinneskanäle das Klappern, die Bewegung und das Gewicht der Schlüssel wahr. Nach einigen Minuten öffnet Lilo ihre Finger. Der Schlüsselbund fällt klappernd zu Boden und schlittert von ihr weg. Die Erzieherin schubst die Schlüssel zurück in Lilos Greifnähe. Diese greift zu, schüttelt und lässt erneut fallen. Und so weiter und so fort.
Die musikalische Aktivität der Jüngsten
Die musikalische Dimension des Momentes entdecken
Die Vorstellung der PädagogInnen von dem, was „Musik“ zu „Musik“ macht, gilt es in Beziehung zur musikalischen Erlebniswelt der Jüngsten zu setzen. Dies gelingt am leichtesten, wenn anstatt von „Musik“ von „musikalischer Aktivität“ gesprochen wird. Denn der Begriff „Musik“ ist in der Regel mit subjektiven Bewertungen behaftet. Und klingende Ereignisse sollten schön, harmonisch, rhythmisch strukturiert und wohltuend sein, um als „Musik“ wahrgenommen oder anerkannt zu werden. Unberechenbar, lärmig und schräg Klingendes wird von vielen Erwachsenen ausgeklammert und als „Krach“ deklariert.
Die Musik der Jüngsten jedoch ist vorwiegend motorisch motiviert und dementsprechend laut und unstrukturiert. Für die meisten Erwachsenenohren wirkt diese Musik der Jüngsten roh gestaltet und sie wird nicht als schön empfunden. So fällt es Erwachsenen in der Regel leichter, das Wasserfarben-Pinsel-Punkte-Gemälde eines Kindes authentisch zu bewundern, als die ausdrucksstarke Wasserpatschmusik eines Kindes, das die „Trommelqualitäten“ der vom umgefallenen Wasserglas nassen Tischoberfläche entdeckt und ausgiebig erkundet.
Der Begriff „musikalische Aktivität“ erlaubt, die eigene Vorstellung von „Musik“ auszuweiten. Musikalische Aktivität kann dann wie folgt beschrieben werden:
Kinder (und Erwachsene) sind musikalisch aktiv wenn sie akustische Phänomene (Geräusche, Klänge, Rhythmen oder Töne) wahrnehmen, diese miteinander in Beziehung setzen, explorieren oder mit ihnen gestalten. In diesen Momenten entsteht die individuelle Bedeutsamkeit von akustischen Phänomenen immer wieder neu.
Diese konzeptionelle Grundlage ermöglicht Erwachsenen, musikalische Aktivität mit Kindern als klangvolle Interaktion und prozessbezogen zu erleben und nicht vom musikalischen „Endprodukt“ aus zu denken oder gar dieses vorneweg zu planen. Eine musikalische Situation mit Kindern muss dann nicht schön klingen, um anerkannt zu werden. Sie darf reines Experiment sein und muss nicht zwingend zu „geordneten“ und wiederholbaren Endergebnisse führen. Musikalische Situationen können so jederzeit und an jedem Ort entstehen und zum Explorieren und Gestalten einladen. Beim Buddeln im Sandkasten, beim Anziehen in der Garderobe, beim Tischdecken, beim Stühleschieben, beim Treppensteigen, etc.
Musikalische Erfahrung beruht sozusagen auf einer Entscheidung, die musikalische Dimension eines Momentes wahrzunehmen und auszuschöpfen. So können alltägliche Ereignisse, wie ans Fenster prasselnde Regentropfen, ein fallender Schlüsselbund, auf Laub rieselnde Sandkörner oder das Fingerkratzen auf einer Trommel, als musikalisches Phänomen wahrgenommen werden oder das alles bleibt für diesen Moment ein mehr oder weniger angenehmes Hintergrundgeräusch.
Musikalische Ausdrucksbewegung anerkennen
Dieses oben beschriebene Konzept eines erweiterten Musikbegriffs erlaubt davon auszugehen, dass jeder Mensch von Geburt an musikalisch aktiv ist. Kein Kind muss „musikalisiert“ werden. Anstatt dem Kind „Musik“ zu vermitteln oder zu lehren, entwickeln PädagogInnen in Krippen ihr persönliches Interesse am musikalisch aktiven Kind. Sie begreifen musikalische Aktivität als eine jedem Kind (und jeder ErzieherIn) ab Geburt gegebene Ausdrucksbewegung. Diese kommt von „innen“, muss nicht erlernt und kann nicht gelehrt werden. Allein weil das Kind atmet, weil seine Stimme tönt, weil es sich selbst und die Gegenstände seiner Lebenswelt bewegt, setzt es permanent Geräusch- und Klangspuren, die von ihm selbst und durch andere (bewusst) wahrgenommen und gestaltet werden können. Diese jedem eigene musikalische Ausdrucksbewegung entfaltet sich hochgradig individuell, wenn sie von anderen wahrgenommen und beantwortet wird. Dafür brauchen Kinder achtsame Menschen, die zuhören, die ihren Klangspuren aufmerksam und interessiert Raum geben, die sich selbst von den Geräuschen, Klängen, Rhythmen und Tönen der Jüngsten inspirieren lassen und ihrerseits die Kinder mit der eigenen musikalischen Ausdrucksbewegung inspirieren.
Diese musikalischen Aspekte des menschlichen Wahrnehmens und Interagierens stiften Identität, denn jeder Mensch zeigt sich seiner Lebenswelt (auch) in der Art und Weise, wie er klingt und wie er Klingendes wahrnimmt. Und die (Re-)Aktionen der umgebenden Menschen sind Resonanz (auch) auf den individuellen klanglichen Ausdruck.
Dem Anfängergeist Raum geben
Krippenkinder erfassen die Dinge und die Ereignisse in ihrer Umgebung über ihre Sinne. Ausgelöst von den sinnlich wahrnehmbaren Phänomenen entstehen ihre Handlungsimpulse. So ist beispielsweise „Tasse“ ganz konkret diese eine auf dem Tisch stehende Tasse. Sie ist dieses runde, grüne, innen hohle Ding und im Moment leer. Um als solches wahrgenommen werden zu können und um Neugier und Handlungsimpulse zu entwickeln, benötigt das Kind kein verbal kommunizierbares Konzept von „Tasse“, „rund“, „grün“, „leer/voll“, „Hand/Mund“, etc.
Die gesammelten Sinneseindrücke von dieser Tasse erlauben dem Kind in der speziellen Situation viele Handlungen. Es kann sie schieben, hineinfassen, umkippen. Es kann sie auf dem Tisch klappern lassen, eine Kastanie hineinlegen, mit dem Löffel anschlagen. Das über die momentane Wahrnehmung entstandene Interesse lenkt sein Tun. Dabei wird seine Handlung noch wenig aus Erfahrung und daraus abgeleiteten Ideen bzw. Handlungsmustern gelenkt. So kann die-Tasse-zum-Mund-führen unmittelbar in die Geräuscherzeugung mit ihr übergehen, bevor sie der PädagogIn entgegengestreckt wird: „dinken will“. Den spontanen Impulsen folgen zu können, ohne allzu viele vorprägende Erfahrungen, ist das Privileg des Anfängergeistes der Jüngsten.
Dies gilt auch für musikalische Aktivität. Aus dem Anfängergeist heraus kann jeder Gegenstand auf vielfältige Art und Weise zur Geräusch- und Klangerzeugung dienen. Und jedes Musikinstrument kann mehr als klingen.
Musikalische Aktivität begleiten und inspirieren
Inklusiv denken
Im Kontext Krippe sollte jedes Kind und jede PädagogIn als musikalisch aktiv wahrgenommen werden und die Chance erhalten, musikalisch zu explorieren und zu gestalten. Es sollte gelingen, das individuelle Potenzial zu klingen (von Kindern und Erwachsenen) wahrzunehmen und diesem einen passenden Entfaltungsraum zu geben, unabhängig von Konzepten musikalischer (Spezial-)Begabungen. Speziell für die Erwachsenen ist dies vielfach eine Herausforderung. Viele wurden im Lauf ihres Lebens mit Bewertungen ihrer eigenen Musikalität konfrontiert und entwickelten dementsprechend Selbstbilder von „musikalisch/unmusikalisch sein“. Diese Orientierung an einer relativ engen musikalischen Leistungserwartung mit vielen „richtig/falsch-Kategorien“ aufzulösen - und vor allem nicht in den (musikalischen) Kontakt mit den Kindern „mitzunehmen“ - ist wesentlich.
Partizipativ handeln
Musikalische Aktivität im Kontext Krippenpädagogik ist schöpferisches Handeln, darf sich prozesshaft entwickeln und wird nicht von einem erwarteten Klangergebnis aus konzipiert. Jedes Kind kann dabei wahrnehmen und miterleben, dass es durch seine Präsenz die Themen und den Verlauf der (musikalischen) Aktivitäten und Interaktionen aktiv beeinflusst. Es ist nicht nur Teil eines Prozesses sondern kann zu dessen „Motor“ werden. Partizipativ handeln meint dann, die PädagogInnen - beziehen sich auf die (mehr oder weniger bewusst gestalteten) musikalischen Aktivitäten der Kinder,
- versuchen, die musikalischen Erlebnisse der Kinder mitzuvollziehen und deren Bedeutung für die Kinder zu erfassen,
- zeigen dem Kind die eigene Bereitschaft, wahrzunehmen, mitzufühlen, mitzudenken und mitzuhandeln,
- begreifen das Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Wollen, Handeln der Kinder als Ausgangspunkt weiterer musikalischer Explorationen und Gestaltungen.
Urheberschaft ermöglichen
Die Intention, Kinder an den musikalischen Prozessen zu beteiligen, ermöglicht gemeinsam mit ihnen die aktuell stimmige musikalische Aktivität und Ausdrucksweise aufzuspüren. So kann für die Kinder aus musikalischer Exploration individuelle Erfahrung entstehen und es können sich Gestaltungsversuche entwickeln, die zum eigenen musikalischen Werk führen. Kinder erleben sich dabei als UrheberInnen.
Musikalische Aktivität in Krippen, bei der Kinder als musikalische UrheberInnen begriffen werden, beginnt beim Explorationsinteresse des Kindes. In der Art wie das Kind akustische Phänomene erkundet, liegen die „Wurzeln“ für alle weiteren musikalischen Experimente und Gestaltungen. Das erfordert von den PädagogInnen, dass sie sich auf verlaufs- und ergebnisoffene Prozesse einlassen. Eine solche Begleitung ist nur bedingt im Voraus strukturierbar bzw. planbar. Diese Offenheit ist Voraussetzung für eine gelingende Entwicklungs- und Bildungsbegleitung mit Musik.
Die eigene musikalische Erlebniswelt zeigen
Neben einer musikalischen Aktivität als individueller Ausdrucksbewegung, die jeder Mensch aus sich heraus entwickeln kann, existieren auch musikalische Werke als Kulturgut. Die von anderen Menschen, auch in anderen kulturellen und zeitlichen Zusammenhängen, geschaffenen Musikwerke begegnen den Kindern (und Erwachsenen) in ihrem Alltag. Sie werden von Personen und Medien übermittelt. Musikalische Werke als Kulturgut basieren auf in der Menschheitsgeschichte entwickelten und weitergegebenen Techniken (der Klangerzeugung, der Komposition, der Präsentation und Rezeption von Musik etc.) und auf Stilen und zugehörigen Musikwerken (indische Ragas, Wiener Klassik, Hip Hop, etc.). Diese musikalischen Formen und Werke sind in der Lebenswelt der Krippenkinder präsent und Teil des kulturellen Schatzes (z.B. Sprechverse, Lieder, Taktarten, harmonische Systeme, Schlagtechniken beim Spiel einer Handtrommel etc.). Eingebunden in einen kulturellen Kontext (mitteleuropäisch, westafrikanisch, indisch etc.) bilden sie die musikalischen Techniken und Traditionen eines Lebensraumes ab und entwickeln sich selbst und damit auch die sie einbindende Kultur beständig weiter.
Diese Musik umgibt die Kinder, kommt „von außen“. An diesem Aspekt von Musik als Kulturgut können Kinder in Krippeneinrichtungen teilhaben, wenn PädagogInnen sich mit ihrer persönlichen Beziehung zu dieser Musik zeigen, wenn sie diesen Musikwerken im Krippenalltag Raum geben. PädagogInnen können in Anwesenheit der Kinder Lieder singen, weil sie diese Lieder gerne singen. Außerdem können sie sich den Kindern als aufmerksame HörerInnen zeigen und die Kinder erleben lassen, wie sie ein Musikinstrument spielen, wenn sie dies gerne tun (unabhängig davon, wie virtuos sie darin sind).
Im Krippenalltag erschaffen die PädagogInnen so eine - durchaus persönliche gefärbte - musikalische Umgebung, in die sich die Jüngsten „einbetten“ können. Wiederum steht hier nicht im Vordergrund Krippenkindern musikalische Techniken zu lehren und Wissen rund um Musik zu vermitteln. Es entsteht klangvolle Interaktionen, bei denen die Kinder die Erwachsenen als musizierende Menschen erleben. Sie werden eingeladen zu entdecken, welche Bedeutung diese musikalischen Aktivitäten für die Erwachsenen selbst haben und was diese Musik bewirken kann.
Sich klangvoll zu bewegen
Jede alltägliche Handlung von Krippenkindern bewirkt hörbare „Nebenprodukte“: Geräusche und Klänge entstehen wie nebenbei, manchmal auch Rhythmen und Töne. Diese akustische Seite von Handlungen macht die Jüngsten in der Regel neugierig. Sie erleben, wie bspw. ein fallender Holzbaustein auf dem Boden aufprallt. Dieser Moment kann als ein „Gesamtkunstwerk“ wahrgenommen werden: Mit den Fingern einen Holzbaustein umschließen, die Oberfläche und das Material des Bausteins fühlen, die angespannten Muskeln lösen, den Baustein fallen sehen, seinen Aufprall und sein weiter hüpfen und kullern sehen und hören. Eine Handlung, die bedeutsam wird, die wiederholt und erkundet werden kann, ist entstanden. Bleibt das Kind dabei, dann vertieft es das eigene Erleben.
Solche Geräuscherlebnisse schenken Kindern bedeutungsvolle Erfahrungen von Wirksamkeit: Sensorisch (ich spüre die Kanten, das wärmer werdenden Holzes), motorisch (ich spanne und löse Muskeln, ich kontrolliere die Bewegung des Bausteins), auditiv (ich löse Geräusche aus), kognitiv (ich bin ein Bausteinhalter und ein Bausteinfallenlasser, ein fallender Baustein kullert am Boden weiter), sozial (Papa interessiert sich für das, was ich tue). Diese Wirksamkeits-Erfahrung regt sie an, weiter zu explorieren und zu gestalten. Den Baustein jetzt fester halten oder schneller loslassen oder diesen kantigen Gegenstand mit Kraft nach unten oder oben werfen oder das am Boden liegende Holzklötzchen weiter schubsen, auf dem Boden reiben etc. Und bei allem, wozu sich das Kind im Weiteren inspirieren lässt, erzeugt es mit dem Baustein einen spezifischen akustischen Ausdruck.
Die vielfältigen Möglichkeiten Geräusch- und Klangspuren zu setzen, wird deutlich durch die folgende Systematik der „Klangwerkzeuge“.
Die Musik des Atems und der Stimme
Atmen ist hörbar. Mit der Möglichkeit über Lippen, Zunge, Mundraum für den Atemstrom Widerstände zu formen, entsteht eine Vielfalt an Atemgeräuschen. Zusätzlich können die Stimmbänder über die strömende Atemluft schwingen und damit ebenfalls viele unterschiedliche Stimmgeräusche und Stimmklänge, Töne und Laute erzeugen.
Die Musik des Körpers
Der Körper steht als Klangerzeuger permanent zur Verfügung. Jeder Körperteil klingt eigen. Beklopfen und reiben sind die Klangerzeugungen dafür. Dabei können viele unterschiedliche Geräusche entdeckt werden, wenn die Hände, das Gesicht, die Schenkel etc. gerieben werden, wenn mit flacher oder gewölbter Hand geklatscht wird, wenn mit der flachen Hand bzw. der geballten Faust der Brustkorb, die Schultern die Schenkel etc. geklopft werden. Die Kraft, die dabei wirkt, und das Tempo der Aktion erzeugen jeweils einen eigenen musikalischen Ausdruck.
Die Musik der Materialien
Kinder sind fasziniert von Sand, Wasser, Laubhaufen etc. Solche Materialien in großen Mengen laden zu Geräusch- und Klangexperimenten ein. Klangvoll durchs Laub zu stampfen oder schlurfen, einen mit Sand gefüllten Eimer ausschütten, mit Stroh knistern, auf eine Wasseroberfläche patschen, durch eine Pfütze hüpfen, mit den Armen in einer mit Linsen gefüllten Wanne wühlen etc. Bei solchen Klangexperimenten wirken Bewegen, Hören, Fühlen, Empfinden und Denken ineinander. Die Bewegung erzeugt den (klanglichen) Ausdruck und dieser beeindruckt. Über die Art der Bewegung, ihr Tempo und ihre Intensität, ihre Regel- bzw. Unregelmäßigkeit wird der musikalische Ausdruck (mehr oder weniger bewusst) gestaltet. Entstehen dabei für das Kind bedeutsame klangliche Erfahrungen, dann werden diese gerne wiederholt und weiter exploriert.
Die Musik der Gegenstände
Jeder Gegenstand in der Lebenswelt von Krippenkindern hat seine eigene Geräusch- und Klangqualitäten. Ein Tisch, eine Tasse mit und ohne Löffel, die Windel und ihr Klettverschluss, der Gummistiefel und die Regenjacke, die Türklinke und die Kühlschranktür, etc. Jeder Gegenstand „fordert“ die Jüngsten dazu „auf“, seine Klangwelt zu erkunden und sein spezifisches Geräusch-/Klangpotenzial zu entdecken. Das beginnt vielfach damit, dass der Gegenstand geräuschvoll bewegt wird: Die Tasse über den Tisch schieben, die Schranktür öffnen und schließen, den Schuh werfen etc.
Eine zweite Möglichkeit der Klangerzeugung liegt darin, den Gegenstand selbst als Klangwerkzeug zu nutzen. Das Reiben, Klopfen und Schütteln von Gegenständen sind die elementarsten Möglichkeiten, Geräusche und Klänge auszulösen. Dabei kann elementarer Musikinstrumentenbau entstehen: Mit Reis gefüllt wird aus der Tasse eine Rassel, ein Gummi über die Tasse gezogen macht sie zum Zupfinstrument.
Die Musik der Musikinstrumente
Für Kinder im Krippenalter besteht grundsätzlich kein Unterschied beispielsweise zwischen einer Dose und einem Xylophon. Beide Gegenstände sind gekennzeichnet durch eine spezifische Form, Farbe und Materialeigenschaft. Beide Objekte klingen und können mit Kastanien gefüllt werden. So kann es sein, dass für ein Kind der Stuhl zum momentan wichtigsten Klangwerkzeug wird oder der auf dem Tisch stehende Teller, der Schlüsselbund der PädagogIn, die Rassel oder die Trommel aus dem Musikinstrumentenregal.
Ein forschender und entdeckender Zugang - wie beim klangvollen Spiel mit einem Schlüsselbund – ist auch mit Xylophon, Bongo, Rassel und Klangschale möglich und für Krippenkinder selbstverständlich.
Der Unterschied im Tun und Wahrnehmen dieses forschenden Zugangs entsteht vielfach durch die Interaktion und Bewertungen der Erwachsenen. Letztere nutzen die Tasse in der Regel um zu trinken und schieben das Xylophon nicht geräuschvoll über den Boden. Vielmehr schlagen sie dessen Klangstäbe an und spannen sich (manchmal) innerlich an, wenn ein Kind sich daran macht die einzelnen Klangstäbe vom Xylophon abzunehmen.
Explorations- und Gestaltungsprozesse begleiten
Beginnend beim Interesse der Kinder an ihren eigenen Geräusch- und Klangspuren und an dem klingenden Dingen entstehen Gelegenheiten, Klingendes zu explorieren und damit zu gestalten. Dies wird gelenkt von der Idee, Krippenkinder dabei zu begleiten, ihre eigene Musik zu entwickeln. Den PädagogInnen kommen dabei die drei folgenden Aufgaben zu.
Aufmerksam hinhören und hinschauen
Den Geräusch- und Klangspuren der Kinder lauschen. Wahrnehmen wann und wie Kinder Stimmgeräusche erzeugen, vokalisieren und lautieren, in die Hände klatschen, mit dem Besteck klappern, einen Ball hüpfen lassen, den Stuhl schieben, den Klettverschluss ihrer Windel öffnen, eine Rassel zwischen ihren Händen drehen, mit den Fingernägeln übers Fell einer Trommel kratzen etc.
Hinhören und dabei die entstehende Geräusch- und Klangwelt auf sich wirken lassen. Darüber werden Momente werden, in denen Kinder ihr Interesse an der sie umgebenden Geräusch-und-Klang-Welt zeigen oder auf die eigenen Klangspuren aufmerksam werden. Es wird möglich, das Wesen der momentan erklingenden Musik zu entdecken, deren Wirkung auf die Kinder zu erfassen und mögliche Explorationsrichtungen zu erkennen.
Exploration inspirieren
Musikalische Exploration anzuregen, gelingt entlang folgender Fragen:
Welche (musikalischen) Erfahrungen sucht das Kind, wenn es mit „mamamamamm“ seine Lippen öffnet und schließt, wenn es die Hände reibt, in einen Wasserstrahl klatscht, aus den Händen Sand auf die Förmchen rieseln lässt etc.?
Steht die klingende Aktion des Kindes für sich? Oder ist ein Experimentierinteresse zu erkennen? Wenn ja, was exploriert das Kind? Geht es um die Veränderung der Klangfarben, der Lautstärke, des Tempos oder erforscht es die Möglichkeiten seiner klangerzeugenden Hand, Arme, Lippen und Zunge oder erprobt es vielmehr, über den Klang die Aufmerksamkeit der anderen zu gewinnen?
Die PädagogInnen können sich vom Explorationsinteresse des Kindes inspirieren lassen und daran ihr eigenes Interesse an den musikalischen Phänomenen, die das Kind entdeckt, entwickeln. Auf dieser Basis können eigene Ideen angeboten werden, kann Geräusch- und Klang-Forschung auf gleicher Augenhöhe geschehen. Das setzt voraus, dass die PädagogInnen sich selbst in diesen Momenten als Geräusch-und-Klang-ForscherIn verstehen. Die Explorationsrichtung des Kindes zu erkennen, ermöglicht es, das (musikalische) Gestaltungspotenzial seiner Handlung zu erfassen.
Gestaltungsmomente erkennen und anregen
Die Jüngsten sind vorwiegend Improvisationskünstler. Im Moment erklingt das, was ihre Hände gerade erklingen lassen können und wollen. Die weitere Gestaltung dieser spontanen Musikstücke anzuregen, gelingt wenn die begleitenden PädagogInnen sich selbst Fragen stellen.
Was ist das Wesen dieser Musik?
Was macht das Kind, dass die Musik so klingt, wie sie klingt?
Welche Variationsmöglichkeiten gäbe es hier?
Wohin könnte sich die Klangerzeugung des Kindes bzw. das Musikstück weiterentwickeln?
Mit solchen Fragen würdigen die PädagogInnen die Musikwerke der Jüngsten und werden selbst neugierig auf das, was noch möglich wäre. Mit ihren inneren Antworten auf diese Fragen erlauben sie sich, das Kind zu inspirieren und ihm Ideen zur Verfügung zu stellen. Dies kann über verbale Impulse oder über eigenes Mittun geschehen. Gelingt es die Kinder zu weiteren Gestaltungen anzuregen, dann erweitern sie ihren eigenen musikalischen Ausdruck.
Das Gestaltungspotenzial von musikalischen Aktivitäten entdecken und mit den Kindern ausschöpfen, schenkt den Jüngsten die Erfahrung von Urheberschaft und Wirksamkeit: „Das ist meine/unsere Musik.“
Krippenkinder begleiten, ihre eigene Musik zu erfinden
Musikalische Aktivität als Ausdrucksbewegung ist eine schöpferische und kreative Tätigkeit. Dem Raum und Zeit zu geben gelingt am deutlichsten, wenn die PädagogInnen sich zunächst auf das beziehen, was die Kinder aus sich heraus musikalisch erkunden und gestalten.
Die achtsame Präsenz für diese klingenden Momente ermöglicht es den PädagogInnen, sich beim musikalischen Explorieren und Gestalten als PartnerInnen der Kinder zu begreifen und die eigene musikalische Aktivität zu wagen. Stimmgeräusche und -klänge, Bewegungsklänge und Bewegungsrhythmen, klingende Materialien, Gegenstände und Musikinstrumente, all dies ist Anlass genug, gemeinsam Geräusche, Klänge, Rhythmen, Töne und deren dynamische Möglichkeiten zu erkunden, zu gestalten und dabei Musik zu erfinden ...
Fingerspiele, Sprechverse, Lieder & Co
Ein zweiter Aspekt musikalischer Aktivität ist es, die Kinder am eigenen Zugang zu musikalischen Werken teilhaben zu lassen. Fingerspiele, Sprechverse, Lieder sind Bestandteil der persönlichen Musikkultur.
PädagogInnen die Krippenkindern - entweder im eins-zu-eins Kontakt oder auch in Kleingruppen - Fingerspiele, Sprechverse oder Lieder anbieten, sollten dies nicht für oder wegen der Kinder tun. Es ist wesentlich, das Eigeninteresse an diesen Musikwerken zu entdecken und als Motivation nutzen, die Kinder daran teilhaben zu lassen. Das ist eine Herausforderung an die eigene Professionalität, denn diese Fingerspiele, Sprechverse und Lieder entsprechen weder der erwachsenen Formensprache noch erwachsenen Inhalten. Und wenn ein Fingerspiel/Sprechvers/Lied die Kinder anspricht, wollen sie es immer wieder hören und sing-spielen, oftmals monatelang. Für Erwachsene wird es so zur Aufgabe und Herausforderung, jedes Mal zu entdecken, was jetzt neu ist, so als ob sie es zum ersten Mal sprechen oder singen würden. Der „Funke springt über“ wenn PädagogInnen ein Lied mit einem „Eigengewinn“ und gerne singen. Die Kinder nehmen dann hinhörend, staunend teil oder beteiligen sich selbst, in dem sie Wörter, Gesten, Melodielinien imitieren. Das gibt den Erwachsenen wiederum die Chance, hinzuhören, wie es genau jetzt mit den Kindern klingt und darin den aktuellen Gestaltungsraum zu erkennen. Vielleicht wagen PädagogInnen es dann, das Lied schneller zu singen, den Sprechvers zu flüstern oder zu rufen etc. Im Idealfall – das ist ein hoher und nicht immer einlösbarer Anspruch – entsteht drei Wochen später bei der zwanzigsten Wiederholung immer noch ein Moment von „Welturaufführung“. Dadurch erleben Kinder wiederum Selbstwirksamkeit: „Weil wir uns heute vor dem „Bär“ verstecken wollten, sind wir unter die Stühle gekrochen und haben dann das Bärenlied ganz leise gesungen.“