Mitmachen und mitgestalten – Vermittlung ökologischer Themen durch partizipative Kunstprojekte
Abstract
Natur hat in den Künsten Konjunktur. Seit mehreren Jahren findet in den Künsten zudem eine intensive Auseinandersetzung mit ökologischen Fragen und Umweltkatastrophen statt, die auf vielfältige Weise reflektiert werden. Im Folgenden wird an der Kunst Tadashi Kawamatas, die sich mit ökologischen und gesellschaftlichen Themen beschäftigt, beispielhaft anschaulich gemacht, inwiefern Kunst Impulse für ein nachhaltiges Handeln setzen kann und welche Rolle dabei partizipativen Ansätzen zukommt. Kann Teilhabe an künstlerischen Prozessen eine Sensibilisierung für ökologische Themen fördern? Des Weiteren beleuchtet der Aufsatz die New Yorker „High Line“ als urbanes Infrastrukturprojekt, das aus einer gemeinschaftlichen Initiative von Bürger*innen hervorgegangen ist und paradigmatisch für die Transformation der urbanen Landschaft qua Partizipation betrachtet werden kann.
Fischernetze, Plastikflaschen, Verpackungen, Kanister, Schläuche und anderer Plastikmüll scheinen wie ein dichter Müllteppich auf einer Wasseroberfläche zu treiben und sich durch den Museumsraum zu bewegen. Das Plastikgefüge ist raumfüllend und wirkt aufgrund seiner Masse bedrückend – sieht man Müllberge dieser Art meistens doch nur in der Presse oder in Dokumentationen. Die unregelmäßige Oberfläche wirkt undurchdringlich, betritt man jedoch die untere Ebene des Ausstellungsraums und begibt sich unter die Plastikoberfläche, so sieht man, wie das Licht durch die einzelnen Elemente der Installation hindurchschillert und ein Lichtspiel auf dem Grund erzeugt. Der Betrachter wähnt sich auf dem Meeresgrund. Von hier aus erscheint das ökologische Desaster der Meeresverschmutzung, auf das der Künstler Tadashi Kawamata (*1953) in seiner Installation rekurriert, noch beklemmender. Die Arbeit Over Flow entstand für das Museu de Arte, Arquitetura e Tecnologia in Lissabon und war von 2018 bis 2019 in der Galerie des Museums zu sehen. Auf eindringliche Weise führt die Installation die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll – jährlich gelangen 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen Plastik in die See – vor Augen und sensibilisiert für die Zerstörung des Ökosystems durch den Menschen. Das Projekt war partizipativ gestaltet: die Installation Over Flow entstand in einer Kooperation mit der Organisation Brigada do Mar, deren ehrenamtlich tätige Mitglieder jedes Jahr im Mai entlang der portugiesischen Küste, zwischen Melides und Tróia, Plastikmüll aufsammeln, der an die Strände gespült wurde. Jährlich sind es 20 bis 30 Tonnen Plastik, in Kawamatas Installation wurden davon drei Tonnen verarbeitet.
Mit Over Flow sensibilisiert Kawamata die Rezipienten für die weltweite Verschmutzung der Meere und Ozeane durch den Menschen und folgt damit einem Trend, der sich in den Künsten und in der Stadtplanung sowie Architektur seit mehreren Jahren abzeichnet: das Thema Natur und ihre Zerstörung haben auf verschiedene Weise in die Kunst, aber auch in städtebauliche Projekte, die eine ökologische Gestaltung des urbanen Raums anstreben, Eingang gefunden.
Im Folgenden werden zum einen Tadashi Kawamatas Arbeiten als Beispiel für künstlerische Positionen, die sich mit gesellschaftlichen und ökologischen Themen auseinandersetzen, näher beleuchtet. Zum anderen soll am Beispiel der New Yorker High Line aufgezeigt werden, wie durch gemeinschaftliche Projekte in Städten der urbane Raum ökologisch aufgewertet und damit durch das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern nachhaltig gestaltet werden kann.
Ausgehend von der Vorstellung, dass Kunst alte Denkmuster auflösen und tradierte Vorstellungen zu transformieren vermag und damit Veränderungsprozesse anstößt (siehe: Eva Leipprand „Kultur, Bildung und Nachhaltige Entwicklung" 2013/2012:o.S.), soll aufgezeigt werden, wie Kunst und Gartenprojekte im städtischen Raum auf Umweltthemen aufmerksam machen und für ökologische Probleme sensibilisieren. Dabei soll insbesondere der partizipative Ansatz, der in den beschriebenen Projekten eine große Rolle spielt, beleuchtet werden. Sowohl Kawamatas Arbeiten als auch die New Yorker High Line sind partizipativ angelegt: Kawamata lässt Menschen an seinen Arbeiten mitwirken und entwickelt diese oftmals in einem gemeinschaftlichen Prozess und die High Line wurde durch eine Initiative von Anwohner*innen ins Leben gerufen, die die stillgelegte Bahntrasse und die dorthin zurückgekehrte Natur erhalten wollte. Die künstlerische Praxis ist ein dynamischer Prozess, der körperliche Handlungen fordert und gleichzeitig Wissen generiert (siehe: Annemarie Matzke „Künstlerische Praktiken als Wissensproduktion und künstlerische Forschung" 2013/2012:o.S.). Inwiefern potenziert sich dieses, wenn das Publikum selbst aktiv wird und den künstlerischen Prozess mitgestaltet?
Sensibilisierung für ökologische Themen in der zeitgenössischen Kunst
Fragen und Debatten rund um den Klimawandel und den damit verbundenen Folgen für Ökosysteme sowie unsere Lebensbedingungen prägen zunehmend den politischen und kulturellen Diskurs und finden auch vermehrt Eingang in die Künste, die die Verstrickung zwischen Mensch und Natur verstärkt fokussieren. Unsere Verortung in der Welt wird, nachdem der Dualismus zwischen Natur und Kultur von den modernen Naturwissenschaften längst aufgebrochen wurde, auch von den Künsten neu befragt (vgl. Hahn 2015:9-11). „Als Oppositionsbegriff zur menschlichen Kultur hat Natur schon [...] ausgedient“, schreiben Frank Fehrenbach und Matthias Krüger in den Sammelband „Der achte Tag – Naturbilder in der Kunst des 21. Jahrhunderts (Fehrenbach/Krüger 2016:VII) und konstatieren, dass die Natur zwar ihre Bedeutung als nachzuahmendes Vorbild verloren habe, dennoch zeuge die Omnipräsenz von Tieren und Pflanzen in Ausstellungen, wie der documenta 13, oder den Biennalen von Venedig von der weiter anhaltenden Relevanz von Flora und Fauna für die Kunstwelt. Dieses Interesse gilt insbesondere der vom Menschen zugerichteten Natur, die von einer ökologischen Krise geprägt ist und deren Ausmaß in den Künsten thematisiert wird (vgl. Fehrenbach/Krüger 2016:VIIf.). Das Beleuchten der Umweltzerstörung, die mit der Diskussion rund um den Klimawandel zunehmend an Bedeutung gewann, ist jedoch nicht neu. Bereits in den künstlerischen Projekten der Land-Art-Bewegung und der Environmental Art fand eine Auseinandersetzung mit ökologischen Fragen und der Zerstörung von Landschaften statt Die Arbeiten waren meistens jedoch temporär angelegt und entstanden auch nicht vor einem Publikum (vgl. Lehmann 2015:34f.). Ganz anders verhält es sich bei Tadashi Kawamata, der Menschen am künstlerischen Prozess teilhaben lässt, wie im Folgenden aufgezeigt wird.
Tadashi Kawamata: Impulse empfangen – Impulse setzen
Kawamatas Arbeiten wirken fragil. Insbesondere seine Holzkonstruktionen – der Künstler arbeitet hauptsächlich mit Holz –, die Baugerüsten ähneln, scheinen auf den ersten Blick nicht für die Dauer bestimmt zu sein. Die Arbeiten erwecken teilweise den Eindruck eines provisorischen Charakters und wirken zerbrechlich. Unterteilt sind Kawamatas Projekte in fünf Werkgruppen, die sich mit verschiedenen Formen des Übergangs auseinandersetzen (vgl. Paust 2003:86). Teilweise freistehend, teilweise architekturbezogen, schlagen die Konstruktionen buchstäblich Brücken, die nicht nur räumliche Verbindungen schaffen, sondern ebenfalls gesellschaftsrelevant wirken, indem Kawamata auf soziale Missstände hinweist. In seinen „Favela-Projekten“ baut Kawamata in Randbezirken beispielsweise eine Ansammlung von Hütten als Kontrast zu den repräsentativen Häusern vor Ort (vgl. Paust 2003:46). Einen sozialen Charakter verleiht Kawamata seinen Arbeiten ebenfalls über die Möglichkeit der Partizipation.
Teilhabe zu ermöglichen ist für Kawamatas Arbeit zentral. Seine Werke im öffentlichen Raum entstehen oftmals als gemeinschaftliche Arbeit, an der andere Menschen mitwirken: „Mir geht es in meiner Arbeit um einen konstruktiven Austausch mit allen an dem jeweiligen Projekt Beteiligten [...]. Gerade bei Projekten, die im öffentlichen Raum stattfinden, ist das sehr wichtig. Für mich ist also interessant, mit Menschen zusammenzuarbeiten, um andere Ideen zu bekommen, andere Impulse zu empfangen (Kawamata/Paust 2003:70)“. Auch in anderen Projekten bezieht der Künstler Menschen ein und schreibt ihnen eine aktive Rolle in der Werkentstehung zu. Damit setzt er auch selbst einen Impuls, denn der „Partizipationsvorgang ist als Prozess angelegt, der Raum für ergebnisoffene Handlungsspielräume lässt, sodass das Agieren aller Teilnehmenden ‚echte‘ und dauerhafte Veränderungen bewirkt (siehe: Anja Piontek „Partizipation und Museum: Spannend und spannungsreich zugleich" 2018:o.S.)“.
So hat der Künstler Ende der neunziger Jahre in Amsterdam zusammen mit Patienten einer Suchtklinik einen hölzernen Weg zwischen der Klinik und dem Ort Alkmaar gebaut, der als Verbindung zwischen beiden Orten fungierte. Die Konstruktion stellt nicht nur bildlich betrachtet eine Rückkehr ins Leben der Klinikbewohner dar, da der Weg auch als Brücke die beiden Orte wieder zusammenführt. Die begehbare Holzinstallation entstand gemeinsam mit den Patienten: Sie hatten die Möglichkeit an dem Kunstprojekt zu partizipieren und sich damit aktiv einzubringen, konnten am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und dieses gestalten. Noch zwei Jahre nach Tadashi Kawamatas Mitwirken vor Ort haben die Teilnehmenden an der Holzkonstruktion gearbeitet.
Künstlerische Prozesse als Prozesse der Selbstbildung und Reflexion
Über Partizipation schafft Kawamata Raum für das Verhandeln gesellschaftlicher und ökologischer Fragen und regt somit über den künstlerischen Akt, an dem andere teilhaben können, auch kulturelle Prozesse an, denn die künstlerische Produktion bringt nicht nur Kunstwerke hervor, sondern sie ermöglicht auch Selbstbildung (siehe: Viola Kelb „Mehr Teilhabe durch Vernetzung. Rahmenbedingungen für Qualität und Kulturelle Bildung in lokalen Bildungslandschaften" 2014:o.S.) und generiert damit die Grundlage für kulturelle Bildungsprozesse. Die Teilhabe am künstlerischen Prozess, das Sich-Einbringen und das aktive Mitgestalten eröffnen ein reflexives Moment, das grundlegend ist für die persönliche Entwicklung. Über die ästhetische Erfahrung, die der künstlerische Prozess offeriert, können neue Denkweisen angestoßen und das Reflektieren der eigenen Wahrnehmung angeregt werden (siehe: Ursula Brandstätter „Ästhetische Erfahrung" 2013/2012:o.S.).
Kunstwerke, die sich mit ökologischen Zusammenhängen auseinandersetzen, erlauben den Rezipient*innen beziehungsweise Partizipierenden außerdem eine Reflexion über ihr Verhältnis zur Natur; blickt man auf die zahlreichen Umweltkatastrophen weltweit und den voranschreitenden Klimawandel, so ist das Neuverhandeln dieses Verhältnisses von allergrößter Relevanz (vgl. Hahn 2015:9). Kawamata beleuchtet die Umweltkrise unserer Zeit in mehreren seiner Projekte. Zuletzt in der Nähe von Paris, in Tremblay-en-France, wo er mit Anwohner*innen gemeinsam kleine Holzkonstruktionen für den an den Flughafen angrenzenden Wald anfertigte, die als Behausung für Vögel oder andere Tiere fungieren können. Das Vorhaben war in ein größeres Projekt eingebettet, das zum Ziel hatte, die Stadt aufzuwerten. Kawamata setzte sich mit seiner Idee in einem Wettbewerb durch und baute gemeinsam mit den Anwohner*innen Holznester, die der Künstler normalerweise an Hausfassaden in Städten installiert.
Eine größere Arbeit des Künstlers ist im Westen Frankreichs zu sehen. Im Rahmen der Kunstbiennale L‘Estuaire, die den Mündungsstrom der Loire 2007, 2009 und 2012 mit Kunstwerken bespielte, entstand ein Observatorium mitten in einem Vogelschutzgebiet, das über einen Steg mit dem Dorf Laveau verbunden ist.
L’Estuaire ist in einer Gegend realisiert worden, die überwiegend von Industrie geprägt ist. Fabrikanlagen und Erdölraffinerien bestimmen die dortige Landschaft. Nantes musste sich jedoch nach der Schließung der Werften Ende der achtziger Jahre neu erfinden. Rund zwanzig Jahre später wurde die Stadt zur Grünen Hauptstadt Europas (2013) ernannt. Die Biennale L’Estuaire hat diesen Wandel nicht nur begleitet, sondern auch mitgestaltet. Insbesondere haben die Kunstwerke, die zusammen einen sechzig Kilometer langen Parcours zwischen Nantes und Saint-Nazaire bilden, die Loire-Mündung wieder erfahrbar und die Region auch für Touristen attraktiver gemacht.
Kunst im öffentlichen Raum – Abbau von Schwellenängsten
Bei dem Projekt L’Estuaire, wie auch bei den anderen beschriebenen Arbeiten Tadashi Kawamatas, handelt es sich um Kunst im öffentlichen Raum. Kunst mag den öffentlichen Raum aufwerten und ihm einen Mehrwert verleihen. Auch scheint sie, da sie außerhalb des musealen Kontextes platziert ist, für alle gesellschaftlichen Schichten erlebbar und damit auf unkomplizierte Weise zugänglich zu sein. Museen haben dagegen den Ruf, insbesondere ein kunstinteressiertes Publikum anzusprechen (vgl. Hornig 2011:11). Wie Petra Hornig aufgezeigt hat, lässt sich der Gegensatz von Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum in Hinsicht auf das Verhältnis zwischen Kunstwerk und Rezipient*innen jedoch nicht aufrechterhalten, denn auch Werke im öffentlichen Raum erschließen sich dem Publikum erst durch Vermittlungsarbeit (vgl. Hornig 2011:11). Die Schwellenangst, die Museen hervorbringen, bringen auch Kunstwerke im öffentlichen Raum hervor, wenn zur Aneignung das nötige Wissen fehlt. Für Kunstwerke im öffentlichen Raum gilt deshalb dasselbe wie für Kunst im Museum: Sie sind „vom persönlichen Kunstverständnis sowie der individuellen Aneignung von kunstbezogenem Allgemeinwissen und werkspezifischer Kenntnis abhängig und daher nicht unbedingt für jede Person als solche erkennbar. [...] Folglich kostet die Annährung an einen nicht klar definierten Ort inklusive dessen Objekte, Überwindung“ (Hornig 2011:167). Kunst wirkt für Kulturelle Bildung daher erst dann fruchtbar, wenn sie den verschiedenen Kunstpublika einen Aneignungsprozess ermöglicht, sei es über Partizipation oder Vermittlungsprogramme, die die Kunstwerke den Rezipient*innen näherbringen. Erst wenn Kunst als solche auch erkannt wird – die Mehrheit der Passant*innen nehmen Kunst im öffentlichen Raum nicht wahr (vgl. Hornig 2011:172) – und eine Auseinandersetzung mit dieser ermöglicht wird, kann Kunst Reflexionen anstoßen.
Partizipation in Projekten für nachhaltige Stadtentwicklung
Natur hat nicht nur in den Künsten des 20. und 21. Jahrhunderts Konjunktur. Die Debatte um den Klimawandel hat sich auch in der Gestaltung urbaner Räume niedergeschlagen (vgl. Von Borries/Ahlert/Kasten 2015:96), die von einem Umdenken geprägt ist: Zunehmend werden Anpassungsstrategien gefordert, die bestehende Strukturen klimagerecht und ökologisch modellieren. Dazu gehört auch die Planung von Grünflächen, die das Klima in den Innenstädten verbessern, das Anlegen von städtischen Urban-Gardening-Arealen oder aber auch das Entwickeln urbaner Gartenanlagen ( ebd.:96f.). Die Bedeutung der Natur im städtischen Raum hat sich aufgrund der ökologischen Probleme in den letzten Jahren enorm gesteigert. Als Orte der „kollektiven Erfahrung und Sinnstiftung“ (Bartelsheim 2016:76) fungieren innerstädtische Gärten jedoch nicht nur als Ausgleich für den CO2-Ausstoß, sondern, wie bereits der Volksgarten im 19. Jahrhundert, ebenfalls als Räume der Begegnung und damit des sozialen Miteinanders (vgl. Bartelsheim 2016:82).
Neben der städtischen Grünraumplanung, die in der Hand des öffentlichen Sektors liegt, hat sich in den letzten Jahren ein neuer Trend entwickelt: gemeinschaftliche Initiativen aktivieren brachliegende Areale im Stadtraum – es handelt sich dabei meistens um Relikte der Industrie – und funktionieren diese in Parkflächen oder landwirtschaftlich nutzbare Gärten um (Petrow 2016:o.S.). Ein bekanntes Beispiel für das Neudenken alter Infrastrukturen ist die High Line in New York: Auf Initiative von New Yorker Bürger*innen wurde eine ehemalige Hochbahntrasse an der Westseite von Manhattan in eine Parkanlage verwandelt, die zum Spazieren und Erholen mitten in der Stadt einlädt. Das Projekt ist aus einem gemeinschaftlichen Vorhaben, dem 1999 gegründeten Verein Friends of the High Line, entstanden, der sich für den Erhalt der Industrieruine einsetzte, die mittlerweile von der Natur zurückerobert wurde und einem Park glich. Die 1934 gebaute Hochbahntrasse, die durch die New Yorker Stadtteile Meatpacking District, West Chelsea und in Hell’s Kitchen führt, wurde ursprünglich für das Anliefern von Waren in die Fabriken und Lagerhäuser genutzt. Nach der Stilllegung im Jahr 1980 blieb das Areal der Bahn ungenutzt, so dass sich eine üppige Flora und Fauna dort ausbreiten konnten. Zunächst sollte der wilde Garten unverändert bleiben, es sollte einzig nur ein Pfad angelegt werden, um den Ort begehbar zu machen. Da die Trasse jedoch auch restauriert werden musste, entschloss sich der Verein, unter Einbeziehung der New Yorker Bürger*innen, Ideen für eine Umgestaltung zu sammeln. Dabei hat sich herauskristallisiert, dass sich die Menschen eine unberührte Natur auf der Trasse wünschen, so wie sie sich seit der Stilllegung entwickelt hat (Hammond 2018:11f.). Den 2004 ausgeschriebenen Wettbewerb haben der Landschaftsarchitekt James Corner und sein Büro Filed Operations, die Architekten Diller Scofidio + Renfro und der niederländische Landschaftsgärtner Piet Oudolf gewonnen. Gemeinsam schufen sie einen Park, der sowohl aus wild wachsenden als auch pflegebedürftigen Pflanzen besteht und durch Rasen- und Buschflächen ergänzt wird. Mittlerweile hat sich der 2,5 Kilometer lange oberirdische Garten zu einer Touristenattraktion entwickelt und steht paradigmatisch für den Trend, Städte grüner zu gestalten und insbesondere Industriebrachen in Erholungsräumen zu transformieren.
Wie Constanze A. Petrow herausgearbeitet hat, werden Initiativen, wie das High Line-Projekt meistens von Privatpersonen oder Vereinen angestoßen, die sich für den Erhalt der Natur einsetzen, die an die stillgelegten Orte zurückkehrt und einen Mehrwert im städtischen Raum bietet (vgl. Petrow 2016:105). Projekte, wie die High Line, tragen somit nicht nur zur Bereicherung des städtischen Raums bei, sondern auch zum gesellschaftlichen Leben.
Dass eine nachhaltige Gestaltung unserer Umwelt im Prinzip auf ein partizipatives Vorgehen angewiesen ist und dass die Umweltprobleme ausschließlich unter Beachtung sozialer und wirtschaftlicher Faktoren verhandelt werden müssen, darauf wurde bereits im Rahmen der UNO-Umweltschutzkonferenz im Jahr 1972 hingewiesen. Spätestens seit der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Jahr 1992 wird versucht, mithilfe partizipativer Prozesse die Bürger*innen stärker in Umweltfragen und die Stadtentwicklung einzubinden, so dass auch sie ihre Ideen und Wünsche einbringen können und damit auch an der öffentlichen Debatte teilhaben können (vgl. Fischer-Gäde 2016:147). „Die Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung steht und fällt mit dem Engagement der Bürger*innen in den Gemeinden.“ Eine Förderung der Beteiligung ist für die Gestaltung urbaner Räume deshalb unabdingbar. Gleichzeitig werden über Partizipation und das sich aktive Einbringen in gestalterische Prozesse „demokratische Verhaltensweisen“ unterstützt (ebd.:148), die wiederum zur Folge haben, dass Demokratie aktiv gelebt wird. Unternehmungen wie die High Line machen deutlich, dass das Interesse an grüner Infrastruktur im städtischen Raum steigt und über den „Landschaftsurbanismus“ (De Meulder/Shannon 2011:26f.) neue urbane Landschaften kreiert werden können, die eine Bereicherung für das Leben in der Stadt darstellen. Sie zeigen aber auch, dass „die heilende Kraft der Landschaft nicht nur physisch, sondern auch psychisch auf Städte wirkt“ (Meulder/Shannon 2011:27).
Fazit
Die Auseinandersetzung mit ökologischen Fragen und den aktuellen Umweltproblemen wird in den Künsten zunehmend verhandelt. Dabei können die Inhalte auf verschiedene Weise transportiert werden. In partizipativ angelegten Projekten wird jedoch durch das eigene Mitgestalten das Erlebnis und die Beschäftigung mit den Themen intensiviert. Die Teilhabe, die der partizipative Prozess ermöglicht, bildet die Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung mit den Kontexten und für eine Meinungsbildung. Insofern können Kunstwerke, die sich mit Umweltthemen beschäftigen, für die Kulturelle Bildung bereichernd wirken, schließlich verfolgt auch diese einen reflektierten und selbstbestimmten Zugang zur Welt, der sich gerade im Zusammenspiel mit Kunst entfalten kann. Hanno Rauterberg schreibt folgerichtig:
„Es zeigt sich, wer etwas verändern will, braucht mehr als gute Argumente und staatliche Druck. Er muss tiefer ansetzen: am besten dort, wo die Vernunft zurücktritt und der Mensch sich als sinnliches Wesen erfährt. Denn viel stärker als auf Zwang reagiert er bekanntlich auf Lust. Und so braucht die Klimawende, soll sie gelingen, ganz dringend die Unterstützung einer anderen eher unerwarteten Seite: Sie braucht die Kunst. Immer wieder hat sich gezeigt, dass in der ästhetischen Erfahrung einer inneren Bewegung etwas aufbrechen kann.“ (Rauterberg ZEIT Nr. 26/2019)