Kulturvermittlung in klassischen Kultureinrichtungen: Ambivalenzen, Widersprüche und Impulse für Veränderungen

Artikel-Metadaten

von Birgit Mandel

Erscheinungsjahr: 2018

Abstract

Der Artikel beschreibt Stellenwert, Ziele und Aufgaben, Qualitätskriterien und Handlungsstrategien von Kulturvermittlung im Kontext klassischer Kultureinrichtungen wie Museen oder Theater und diskutiert, warum trotz Zunahme an Positionen für Kulturvermittlung diese häufig kaum Einfluss auf die Gestaltung der Programme haben und eher „add on“ denn Kerngeschäft sind. Vorgeschlagen werden Qualitätsdimensionen für Kulturvermittlung, die dazu beitragen können, diese Einrichtungen zu transformieren – in Richtung einer höheren Zugänglichkeit für eine zunehmend heterogenere Bevölkerung. Kulturvermittlung könnte dann zum Motor für Öffnungsprozesse klassischer Kultureinrichtungen werden, so die zentrale These des Artikels.

Der Artikel legt den Fokus auf Ziele, Handlungsweisen, Stellenwert und Qualitätsdimensionen von Kulturvermittlung in öffentlich geförderten „klassischen“ Kultureinrichtungen wie Theater, Museen, Konzerthäuser, die mit ihrer Arbeit Kunst, Kultur und kulturelles Erbe zugänglich machen sollen. Da Deutschland aufgrund seiner besonderen Geschichte und föderalen Strukturen über eine weltweit einzigartige Dichte institutionalisierter und etatisierter öffentlicher Einrichtungen verfügt, besteht kulturpolitisch die besondere Herausforderung darin, diese zu erhalten, aber auch zukunftsfähig zu machen, damit sie von einer zunehmend diversen Bevölkerung als meritorische, Orientierung und Zusammenhalt stiftende künstlerisch-kulturelle Orte angenommen werden.

Überkomplexe Adressierung der Fachöffentlichkeit statt Öffnung für ein Freizeitpublikum. Widersprüche in der Praxis institutioneller Kulturvermittlung

Eine Kulturvermittlungsabteilung ist inzwischen Standard in jeder größeren Kultureinrichtung, die u.a. Führungen, Einführungsgespräche oder Workshops für Schulklassen anbietet. Und dennoch stehen die Programme dem nicht eingeweihten Freizeitpublikum nach wie vor oft hermetisch gegenüber. „Entwickelt von einem vielstimmigen kuratorischen Team, zeigt die Ausstellung alternative und hybride Verständnisse von Kunstproduktion, untersucht blinde Flecken in der Geschichtsschreibung und stellt Zusammenhänge her, die ein Aufbrechen des westlichen Kanons vorantreiben“, so die vielversprechende Absicht der Ausstellung Hello World im Hamburger Bahnhof, dem größten Museum für Gegenwartskunst in Berlin.

Angekündigt wird, den herkömmlichen bildungsbürgerlich geprägten Kunst- und Kulturkanon westeuropäischer Provenienz zu hinterfragen und durch andere Perspektiven zu erweitern. „Hello World ist eine Ausstellung, die die Komplexität zeigen will gegen die Vereinfachung der Welt“, so benennt einer die Kuratoren der Ausstellung im Hamburger Bahnhof deren Mission (vgl. Ausstellungsvideo Hello World).

Vor Ort stehen die vielen Besucher*innen, ein Großteil von ihnen vermutlich Berlin-Tourist*innen unterschiedlichen Alters und Herkunft, vor einer riesigen Fülle verschiedener Ausstellungabteilungen und Objekte. Diese Objekte sind größtenteils ohne Objektbeschriftung, ohne Titel, ohne Hinweis auf die Herkunft der Künstler*innen, ohne Hinweis auf Verbindungslinien und Trennendes, ohne Leitfragen. Die Besucher*innen versuchen Sinn daraus zu machen. Auch ein Kurz-Katalog im üblichen Fachjargon formuliert, hilft vermutlich den meisten wenig weiter, sondern vergrößert eher die Kluft zwischen Fachdiskurs und Freizeitpublikum.

Die nicht sinnfällige Kuration und Nicht-Vermittlung der Ausstellung erinnert stark an die letzte documenta. Hier wurde mit hohem gesellschaftspolitischen Anspruch und einem ehrgeizigen Vermittlungsansatz der „vielstimmigen Choristen“, welche mit dialogischen Mitteln für „Unlearning Prozesse“ sorgen sollten (vgl. u.a. Vermittlungskonzept documenta 2017), in der Praxis allenfalls ein Avantgarde-Fachpublikum bedient und ansonsten ein überwiegend ratloses Publikum zurück gelassen.

Warum wurde bei diesen Ausstellungen die Chance vertan, eine grundsätzlich neugierige, breite Besucher*innenschaft mit Kunst als bereichernder Dimension ihres Lebens in Berührung zu bringen? Woran liegt es, dass zwar ehrgeizige Ziele einer inklusiven und diversitätsorientierten Vermittlung formuliert werden, „im vielstimmigen Chor“ herkömmliche Rezeptions- und Interpretationsweisen durch neue ersetzt werden, die die diversen Positionen der Gesellschaft widerspiegeln sollen, de facto aber die Ausgrenzung des nicht akademischen, nicht mit den Codes des Kunstbetriebs vertrauten Publikums nur vergrößern?

Warum werden zeitgenössische Arbeiten, die mehrheitlich konzeptionell angelegt sind und sich dementsprechend in ihrer spezifischen Bedeutung nur über Hintergrundinformationen erschließen, bewusst nicht vermittelt, so dass sich Leerstellen und Komplexität so steigern, dass die Arbeiten nur noch für Eingeweihte Sinn ergeben und für Viele außer einem „Cultural Window Shopping“, einem „interesselosen Vorbeiflanieren und aktivem Dösen“ (Treinen 1996) nichts bleibt? Warum gibt es z.B. keine Hinweise, keine Fragen, die die eigene Wahrnehmung in einfacher, für alle verständlicher Sprache stimulieren?

Vermutlich liegt es weniger daran, dass es in den Häusern keine Kompetenz für Kulturvermittlung gibt, sondern eher daran, dass trotz anderer Verlautbarungen die Vermittler*innen zu wenig Gehör finden und in der Programmgestaltung noch immer die Fachöffentlichkeit und das kenntnisreiche Kunstpublikum als zentrale Anspruchsgruppe adressiert wird, so die These dieses Artikels, auch wenn de facto die Zahl der nicht eingeweihten Besucher*innen deutlich dominiert. Offensichtlich haben diese keine Lobby und gehören nicht zu Gruppen, deren Bedürfnisse und Interessen zur Sicherung der Legitimität und Anerkennung der Kultureinrichtung von den für die Programmarbeit Zuständigen als wesentlich wahrgenommen werden.

Denn sobald tatsächlich eine diverse Besucher*innenschaft mit vielfältigen und auch unterhaltungsorientierten und populären Zugängen angesprochen wird, sobald tatsächlich eine kunstwissenschaftliche Perspektive, ein bestimmter Kunstkanon durch Cross Over Programme zwischen Klassik und Pop, professioneller und breitenkultureller Kultur, Kunst und Folklore in Frage gestellt wird, kommt häufig das (sehr deutsche) Argument, dass damit Kunst banalisiert und den bloßen Unterhaltungsbedürfnissen eines Massenpublikums entsprochen würde (u.a. Ullrich 2015). Ein Argument, das vor Veränderung der Programme, Formate und Arbeitsweisen in Kultureinrichtungen schützt.

Ein Gegenbeispiel bietet das private Museum Buchheim am Starnberger See, das auf der eher subjektiven Sammlungstätigkeit des Stifters Buchheim basiert und damit deutlich weniger im Fachdiskurs bestehen muss: „Besuchen Sie uns, genießen Sie Kunst, Entspannung und Kulinarik!“, so die Einladung des Museums, welches dezidiert auch ein breites touristisches Zufalls-Publikum einlädt und Freizeitbedürfnisse in seinen Formaten und seiner Kommunikation selbstverständlich berücksichtigt. Und die Sammlung durchbricht den westlich kunsthistorischen Kanon und zeigt „volkstümliche“ Kunst, Handwerkskunst neben westeuropäischer Moderne und Kunst aus nicht europäischen Ländern ohne das eine höher als das andere zu werten, verbunden durch gemeinsame Themen.

Im etablierten Kunstbetrieb – nicht nur im Bereich Bildende Kunst, sondern z.B. ebenso in den Darstellenden Künsten, wenn diese Musicals auf den Spielplan setzen oder Klassik mit Popmusik mischen, werden solche Beispiele als nicht ernstzunehmende Unterhaltungskunst abgewertet. Dass Kunst, die auch unterhält, keine ästhetischen Erfahrungen ermöglicht und folglich wertlos sei, ist ein fester (nicht empirisch belegter) Glaubenssatz. Welcher normative Kunst- und Kulturbegriff steckt dahinter, wo zugleich im Kunstdiskurs immer wieder auf die Hybridität der Künste verwiesen wird, auf ihre Bedeutungsoffenheit und Anschlussfähigkeit für unterschiedliche Perspektiven?

Der im Museumskontext beobachtete Ansatz spiegelt sich auch in vielen Programmen Darstellender Künste, so die Einschätzung von Björn Bicker:

„Gerade das zeitgenössische Regietheater in seiner elaborierten Form forciert die gesellschaftliche Trennung verschiedener sozialer und ethnischer Gruppen, indem es genau diese Differenzen durch seine bildungshuberischen Barrieren kunstvoll zementiert. Und sei es noch so dekonstruktiv oder popkulturell: Letztlich steht das aktuelle Theater, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, für die affirmative Selbstvergewisserung eines überschaubaren Milieus, einer Gruppe von speziell gebildeten, wohlhabenden, meistens weißen Menschen, für die der Kokon aus Bühne und Zuschauerraum zum Naherholungsgebiet des unverfänglichen Unter-Sich-Seins geworden ist“ (Bicker 2015:4).

Kultureinrichtungen sehen ihre gesellschaftliche Aufgabe oft nur in der Bewahrung und Präsentation kulturellen Erbes bzw. der Produktion und Präsentation aktueller Kunst. Auch vor dem Hintergrund des Umgangs mit Kunst im Nationalsozialismus gilt die grundgesetzlich verankerte Autonomie der Künste und damit verbunden der Kunstinstitutionen als zentrale kulturpolitische Norm. Auf Seiten der Träger besteht eine hohe Zurückhaltung gegenüber einer „Funktionalisierung“ von Kunst für kunstferne, gesellschaftspolitische, soziale oder Bildungszwecke. Dagegen lässt sich argumentieren, dass das Einbringen der Künste und der Kunstinstitutionen in Kontexte, die über die Kunstwelt hinausgehen, auch neue ästhetische Impulse und inhaltliche Anregungen für die Künste und ihre Einrichtungen beinhalten kann und dass die Künste dabei keineswegs ihre Freiheit verlieren, sondern in ihrem ästhetischen Eigenwert besonders wirkungsvoll sein können – etwa in Bildungszusammenhängen.

Ambivalenzen und Perspektivwechsel für Kulturvermittlung in Kultureinrichtungen

Kulturvermittlung und die Entwicklung partizipativer Projekte mit Laien gehöre nicht zum „Kerngeschäft“ der klassischen Kultureinrichtungen und bringe nicht die als bedeutsam erachteten Meriten in den für sie wichtigen Kreisen, so das zentrale Ergebnis der Evaluation der ersten Phase des bundesweiten Projekts Kulturagenten für kreative Schulen, das Schüler*innen u.a. Zugänge zu kulturellen Einrichtungen ermöglichen wollte. Kulturelle Bildungsprojekte würden von Kulturinstitutionen häufig outgesourct:

„Ein Schulprojekt, das professionellen künstlerischen Ansprüchen nicht genügt, den künstlerischen Nachwuchs nicht unterstützt oder Audience Development betreibt, stellt für das Theater aus Perspektive der Legitimation keinen Mehrwert dar. Möglichst wenige Ressourcen darauf zu wenden, ist aus Sicht einer Oper oder eines Schauspielhauses damit äußerst rational" (Fink/Götzky/Renz 2017:74).

Die Einrichtungen offerieren Vermittlungsprogramme, ohne dass diese ihre Routinen stören: „Die Delegation von Kooperationsprojekten mit Schulen an externe Honorarkräfte verhindert eine Veränderung interner Routinen in Kulturinstitutionen" (Fink/Götzky/Renz 2017:79). Einerseits sind Kulturvermittler*innen in Kunst- und Kultureinrichtungen unerlässlich als Legitimationsfaktor für öffentliche Förderung, indem sie neue, junge Besucher*innen gewinnen, häufig in Kooperation mit Schulen, und dazu beitragen, dass diese sich möglichst persönlich bereichernd mit den Gegenständen ihrer Einrichtung auseinandersetzen. Andererseits möchten viele Einrichtungen in dem, was sie als ihr „Kerngeschäft“ begreifen: die Präsentation exzellenter Kunst, nicht durch Interessen und Ansprüche der Kulturvermittlung gestört werden.

„Zwar ist es richtig, dass sich die Vermittlungsbemühungen vervielfacht haben und die Museen auf weit elaboriertere Angebote und Formate zurückgreifen können. (...) Die Ausstellungen selbst haben sich in dieser Hinsicht jedoch kaum verändert. Im Kern bauen sie auf den Besucher, den sie erzogen haben. Vermittlungsangebote werden in der internen Logik der Museen eher als zweite Schicht angesehen, die sich schützend um die Ausstellung legt. Sie erfüllt den Zweck, die eigentlichen Inhalte unangetastet zu lassen“ (Tyradelles 2014:82).

In der öffentlichen Wahrnehmung von Kulturreinrichtungen und den kulturpolitischen Ansprüchen an diese ist aktuell ein deutlicher Wechsel vom „Schutzraum für die Künste und kulturelles Erbe“ zu einem Bildungs- und Freizeitort für die Bevölkerung erkennbar, ein Anspruch, dem sich die Fach-Akteure in den Einrichtungen, so die These, subtil zu entziehen versuchen, indem sie Kulturvermittlung als „add on“ so installieren, dass diese den Kunstbetrieb nicht weiter stört. In diesem widersprüchlichen Erwartungshorizont handlungsfähig zu bleiben, fordert eine hohe Reflexionsfähigkeit der Vermittler*innen. Wo positionieren sich in diesem Konflikt die professionellen Akteur*innen der Kulturvermittlung, von denen es inzwischen eine Vielzahl in den Einrichtungen gibt, viele davon auch akademisch ausgebildet in den diversen Studiengängen der Kunst- und Kulturvermittlung? Begreifen sie sich als Service-Einheit, um die von Kurator*innen, Dramaturg*innen und Regisseur*innen vorgegebenen Produktionen im Nachhinein für bestimmte Zielgruppen wenigstens ansatzweise verständlich zu machen? Machen Sie als Vermittler*innen „ihr eigenes Ding“, unabhängig von den durch die Kuration vorgegebenen Kontexten? Oder bestehen sie, entsprechend den engagierten Diskursen im Feld der Vermittlung und Kulturellen Bildung, in denen mehrheitlich für echte Partizipation unterrepräsentierter Zielgruppen plädiert wird, auf aktive Teilhabe und den Einbezug neuer Zielgruppen über die kleine Gruppe der Hochgebildeten und Kunstaffinen hinaus; auf eine Einbindung, die schon in den kuratorischen und dramaturgischen Programm-Konzeptionen stattfinden und die auch mit Eingriffen in die Programm-Hoheit verbunden sein muss?

„Institutionalisierte Kulturvermittlung befindet sich per se in einer ambivalenten Lage. Sie dient der Stabilisierung und Legitimierung der Kulturinstitutionen, da sie für das Publikum sorgt und die Anliegen der Institution nach außen vertritt. Sie bildet aber auch ein permanentes Störmoment, da allein schon die Tatsache ihrer Existenz an den niemals ganz einzulösenden Anspruch erinnert, die Künste als Gemeingut zu betrachten“ (Kulturvermittlung Schweiz 2013:36).

Die Diskurse der Fachverbände und Fachwissenschaften zur Kunst- und Kulturvermittlung sind vielfältig und unterschiedlich in den verschiedenen Disziplinen, von der Kulturpolitik über die schulische Pädagogik und außerschulische Bildung bis zu den verschiedenen Kunstvermittlungsdiskursen, die sich in den Sparten Bildende Kunst, Museum, Theater und performative Künste, Musik, Literatur, Film, Medien jeweils anders darstellen.

Die Zieldimensionen sind dementsprechend unterschiedlich: Teilhabegerechtigkeit an kulturellen Gütern („Kultur für alle“, vgl. Hoffmann 1978), Zugänge schaffen zu professionellen Künsten, Kunst-Alphabetisierung und Geschmackskultivierung, kulturelle Selbstbildungsprozesse in Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur ermöglichen (BKJ) oder auch die kritische Hinterfragung kultureller Institutionen und der mit ihnen verbundenen Dimensionen von Kanon, normativen Kulturbegriff und hegemonialer Vormachtstellung in der Definition dessen, was als gesellschaftlich wertvolle Kultur gilt und dementsprechend Aufmerksamkeit und Förderung erfährt (u.a. „Kritische Kunstvermittlung“, vgl. Mörsch 2009; zusammenfassend in Mandel 2016). In den Diskursen wird häufig betont, dass Kulturvermittlung Einfluss darauf haben sollte, bestehende Deutungshoheiten professioneller Akteure in Kultureinrichtungen in Frage zu stellen, neuen Nutzer*innengruppen in Einrichtungen Raum zu geben und damit Veränderungsprozesse in den traditionellen Einrichtungen auszulösen.

„In der Theaterrealität der Häuser erweisen sich Vermitter*innen häufig als jene integrativen Zwitterwesen, durch deren vermittelnde Unterstützung die Sehnsucht nach sozialer Relevanz einlösbar erscheint. Sie machen sich stark für Begegnungen und Beziehungen zwischen künstlerischem Personal und Alltagsexperten, initiieren eine andere Form des Dialogs für und mit potenziellen Zuschauer*innen und sind in der Lage, bedeutsame soziale Bande zu bilden“ (Sack 2014:139).

Kulturvermittlung könnte ein Motor für Veränderungsprozesse klassischer Kultureinrichtungen sein, wenn Vermittlung als Funktion begriffen wird, die nicht nur zwischen künstlerischen Produktionen und unterschiedlichen Zielgruppen vermittelt, sondern auch zwischen den verschiedenen Perspektiven und kulturellen Interessen (Hentschel 2016) – wie denen der Akteure des Kunstbetriebs an künstlerischer Innovation und Autonomie (Babias 1995), den Distinktionsbedürfnissen eines hochgebildeten „Kernpublikums“ und den Unterhaltungsbedürfnissen eines Laien-Publikums. Über eine Auseinandersetzungen in den Einrichtungen mit verschiedenen Interessen und Sichtweisen auf die von ihnen angebotene Kunst und Kultur können Anstöße resultieren, Programm und Programmatik zu erweitern und zu verändern.

Warum „Kultur für alle“?

Solche teilhabeorientierten Kulturvermittlungsbemühungen werden jedoch immer wieder auch kritisch hinterfragt. Warum sollen Kunst und kulturelle Artefakte überhaupt für alle zugänglich gemacht werden, da sich doch viele Menschen einfach nicht dafür interessierten und zudem nicht über die Codes verfügten, um sich die Künste in ihrer Komplexität gewinnbringend aneignen zu können?
Auch wenn beide Aussagen durch Nicht-Besucher*innen-Studien empirisch belegt sind (siehe: Thomas Renz (2016) Nicht-BesucherInnen öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen. Der Forschungsstand zur kulturellen Teilhabe in Deutschland), gibt es dennoch gewichtige Gründe dafür, immer wieder neu die (freiwillige) Teilhabe an künstlerischen und kulturellen Gütern für Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft zu initiieren:

  1. Die öffentlichen Etats für institutionelle Kultur und auch die Zahl kultureller Einrichtungen sind kontinuierlich gewachsen. Es wäre nicht angemessen, die Kapazitäten der mit den Steuergeldern aller geförderten Kultureinrichtungen vor allem nur für das Fachpublikum und das bildungsbürgerliche Stammpublikum bereitzuhalten. Die weltweit einzigartige Dichte öffentlicher Kultureinrichtungen in Deutschland verpflichtet dazu, diese anschlussfähig zu machen an unterschiedliche Interessen, soziale Herkünfte und Bildungshintergründe einer diversen Bevölkerung.
     
  2. Zunehmend belegt werden die positiven Wirkungen der Auseinandersetzung mit den Künsten für die Aneignung der Welt und die Stärkung des Einzelnen, da über die Künste in ihrer Mehrdeutigkeit, ihrer ästhetischen Symbolkraft und Emotionalität ästhetische Differenzerfahrungen und in der Reflexion dieser Erfahrungen kulturelle Selbstbildungsprozesse ausgelöst werden können.
     
  3. Da das Interesse an den Künsten und kultureller Teilhabe nach wie vor von einem hohen Bildungsniveau abhängig ist und dieses in Deutschland zentral vom Elternhaus beeinflusst wird (vgl. u.a. Keuchel/Zentrum für Kulturforschung 2012; Rat für kulturelle Bildung 2015), stellt sich für öffentliche und gemeinnützige Kultureinrichtungen die Aufgabe, mangelnde Chancen zur Teilhabe an öffentlich finanzierten Kunst- und Kulturangeboten pro aktiv auszugleichen. Das heißt nicht, dass sich jede*r für Kunst interessieren muss, sondern dass jedem das Potenzial eröffnet werden sollte, Kunst und kulturelles Erbe als Ressource kennenzulernen.
     
  4. Da die Bevölkerung zunehmend heterogener wird und die vormals zentrale Anspruchsgruppe der Kulturinstitutionen, das „gebildete Bürgertum“ durch zum Teil unterbrochene Enkulturationsprozesse nicht mehr automatisch nachwächst (vgl. u.a. Reuband 2012), müssen sich Kultureinrichtungen pro-aktiv mit den Interessen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen und nachwachsender Generationen auseinandersetzen und ihre Aufgaben erweitern, damit die Einrichtungen auch in Zukunft als meritorische, Orientierung und Zusammenhalt stiftende künstlerisch-kulturelle Orte angenommen werden und ihre Gegenstände gewinnbringend angeeignet werden können.

Dabei kann und muss es selbstverständlich Unterschiede geben zwischen solchen kulturellen Einrichtungen, die auf hohem fachwissenschaftlichen Niveau künstlerisch oder forschend arbeiten und nur für eine kleine Gruppe von Interesse sind und solchen, die für viele Kulturelle Bildung, Anregung, Austausch, Freizeitvergnügen bereiten sollen. Der Reichtum und die hohe Dichte der institutionellen Kulturlandschaft in Deutschland lässt sich angesichts starker demografischer Veränderungen jedoch vermutlich nur dann aufrecht erhalten, wenn die Einrichtungen ihr Aufgabenspektrum überdenken und je nach Auftrag und Position in einer Stadt oder Region auch erweitern und sich offensiv für eine heterogene Bevölkerung öffnen.

Anforderungen an das Berufsfeld Kulturvermittlung und Qualifizierung von Kulturvermittler*innen angesichts veränderter Anforderungen

Die ambivalente Situation der in Institutionen tätigen Kulturvermittler*innen äußert sich ebenso darin, dass diese häufig in der Hierarchie der Einrichtungen nachgeordnet sind und eben nicht von Anfang an in die Konzeption von Programmen eingebunden werden. Diesen Schwachpunkt bewusst aufgreifend hat der österreichische Verband der Kulturvermittler*innen 2017 ein neues Berufsbild Kulturvermittlung entwickelt, in dem u.a. definiert wird:

„Kulturvermittler*innen initiieren inklusive Bildungs- und Kommunikationsprozesse und schaffen Erfahrungsräume. Sie informieren, moderieren und sie fördern die kritische Auseinandersetzung mit musealen und gesellschaftspolitischen Fragestellungen. (...) Sie diskutieren die Relevanz der institutionellen Fragestellungen und der musealen Objekte und setzen sie in aktuelle Kontexte. (...) Kulturvermittler*innen arbeiten an der Programmierung und inhaltlichen Ausrichtung der Institution mit“ (Kulturvermittlung Österreich).

Damit sie diese anspruchsvolle Aufgabe bewältigen können, benötigen sie profundes künstlerisches Fachwissen, um inhaltlich kompetent mit dem künstlerischen Team zusammenzuarbeiten, ebenso wie künstlerisch-ästhetische Gestaltungskompetenz, um Laien tatsächlich „auf Augenhöhe“ in die Arbeit einbeziehen zu können und auch unter künstlerischen Aspekten Qualität in den gemeinsam mit Laien entwickelten Ergebnissen zu schaffen. Denn die künstlerische Arbeit mit nicht-professionellen Akteuren, die künstlerische Inszenierung der Anliegen aller Teilnehmenden, die Gestaltung von Rahmungen, die es auch nicht professionell geschulten Mitwirkenden ermöglicht, ihre Ideen auf der großen Bühne oder in Ausstellungen zu präsentieren, erfordert hohe Inszenierungskompetenz.

Wissen über die Erkenntnisse aus der kulturellen Bildungsforschung sind notwendig, um zu verstehen, wie und unter welchen Bedingungen kulturelle Selbstbildungsprozesse bei unterschiedlichen Gruppen von Teilnehmenden ermöglicht werden können. Kulturvermittler*innen in Institutionen brauchen neben Wissen über Kunst, Kultur und ihre spezifischen Codes auch Verständnis für die Barrieren, die damit oft verbunden sind. Nur dann können sie künstlerische Produktionen neu kontextualisieren und Anschlüsse schaffen für ein Nicht- Expert*innen-Publikum. Die eigene Begeisterung für die Kunst und Kultur, der von ihnen betreuten Einrichtungen, muss verbunden werden mit Wissen um kulturelle Machtverhältnisse und Offenheit für andere Kunst- und Kulturinteressen.

Kenntnisse über die Bandbreite von Vermittlungsformaten und Erkenntnisse über Wirkungen verschiedener Ansätze ermöglichen es, aus vorangegangen Erfahrungen in anderen Projekten und Einrichtungen zu lernen. Aber auch Management- und Vernetzungskompetenz sind in einem Bereich, der von Kooperationen mit ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Feldern lebt, unerlässlich. Damit verbunden ist ein Bewusstsein der verschiedenen Logiken, Denk- und Arbeitsweisen von Kultur-, Bildungs- und Sozialinstitutionen, die in Kulturvermittlungsprojekten zusammen kommen. Wissen über Change Management-Prozesse in Organisationen kann dazu beitragen, Hindernisse bei den Öffnungsversuchen einer Einrichtung für eine breitere Nutzer*innenschaft zu verstehen und um die Hebel zu wissen, die Veränderungen begünstigen. Nicht zuletzt braucht es für gelingende Kulturvermittlung in Institutionen auch ein Selbstverständnis als Führungskraft, um sich in den oftmals stark hierarchisch ausgerichteten Einrichtungen durchzusetzen.

Qualität von Kulturvermittlung: Die Kriterien für „ZukunftsGut“ – Preis für institutionelle Kulturvermittlung

Das Dossier der Kulturvermittlung Schweiz verwahrt sich unter der Rubrik Qualität dagegen, Kulturvermittlung in Bezug auf bestimmte Qualitätskategorien messen zu wollen:

„Hier muss die grundsätzliche Frage gestellt werden, ob ein Imperativ von Qualität in der Kulturvermittlung nicht impliziert, dass es sich bei ihr zwangsläufig um etwas Warenförmiges handelt. Dem gegenüber stünde ein Verständnis von Kulturvermittlung als eigenständiger kultureller Praxis, welche auf die Herstellung von Beziehungen, das Eröffnen von Handlungsräumen und die Hinterfragung und Veränderung von Verhältnissen setzt – und sich, ähnlich wie die Künste, die sie vermittelt, einem normativen Zugang zur Qualität entzieht“ (Kulturvermittlung Schweiz:195).

Wenn nachfolgend über Qualität gesprochen wird, geht es also nicht darum, standardisierte Instrumente für spezifische Vermittlungssituationen vorzuschlagen, deren jeweilige Qualität von den spezifischen Gegenständen ebenso wie von den Teilnehmenden und den Vermittler*innen und ihren jeweiligen Interessen und Erfahrungen abhängt. Vielmehr geht es hier auf einer Meso-Ebene, um die Frage, welche Kriterien dazu beitragen können, Kulturvermittlung in Einrichtungen so zu gestalten, dass sie Zugänglichkeit, Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit für ein breites, heterogenes Besucher*innen-Spektrum ermöglichen und erforderliche Veränderungen in Programm und Programmatik der Einrichtungen verwirklichen.

Für den von der Autorin mit der Commerzbank-Stiftung entwickelten, 2018 erstmalig vergebenen Preis „ZukunftsGutfür institutionelle Kulturvermittlung in Häusern, die sich mit kulturellem Erbe im weitesten Sinne beschäftigen, wurden folgende Qualitätskriterien entwickelt:

  • Kulturvermittlung wird als Kerngeschäft, Querschnittsaufgabe und alle Abteilungen betreffende, institutionelle Gesamtstrategie verstanden

Ein essentielles Qualitätskriterium von Kulturvermittlung ist es, diese nicht auf die kommunikativen Aktivitäten einer Vermittlungsabteilung zu begrenzen, sondern als eine Haltung und Mission zu begreifen, die alle Bereiche einer Einrichtung betreffen: Vom Service über die Distribution und Kooperationen bis zur Programm-Gestaltung. So zeigen etwa Ergebnisse verschiedener Audience Development-Studien, dass die Aufgabe der Besucher*innenbindung von der Leitung als Gesamtstrategie verankert und von allen Mitarbeitenden getragen werden muss, wenn es gelingen soll, eine diversere Besucher*innenschaft zu gewinnen (Mandel 2013/2015). Eine solche strategische Gesamtkonzeption für Vermittlung in institutionellen Kontexten, basierend auf klar formulierten Zielen, umfasst verschiedene Instrumente und Formate von Kulturvermittlung

Kulturmanageriale Vermittlung - Aufmerksamkeitsmanagement; Positionierung und Gestaltung von Infrastruktur und Räumen
Die Art und Weise wie kulturelle Ereignisse angekündigt werden u.a. durch Web- und Social Media-Auftritte, Plakate und Ankündigungs-Flyer, wie zugänglich eine Einrichtung als Ganzes sich positioniert, die Sprache und Bilder die genutzt werden, das Image, das von einer Einrichtung und ihren Produktionen geschaffen wird, sind von zentraler Bedeutung für Attraktivität, Verständnis und Vertrauensbildung; die Gestaltung der Rahmen- und Servicebedingungen ist essentiell für eine Willkommensatmosphäre.

Personale Vermittlung - Ein-/Führungen, Vorträge, partizipative Workshops, Ko-Kreation/Vermittlung als gemeinsame ästhetische Praxis künstlerischer Akteure und beteiligter Laien
Charismatische und zugewandte Vermittlerpersönlichkeiten, die im direkten Austausch begeistern für künstlerische Produktionen und Artefakte, die Kontakt und Beziehungen zu Teilnehmenden aufbauen können, haben hohen Einfluss auf nachhaltige Erfahrungen im Kontext mit Kunst ebenso wie auf Vermittlungssituationen, in denen Teilnehmende interaktiv beteiligt sind, sei es z.B. im Kontext performativer Inszenierungen oder gemeinsamer Gestaltung einer Ausstellung.

Mediale Vermittlung - Digitale und/oder interaktive Tools, Outreach-Formate, Einführungstafeln, Beschriftungen, Einführungsfilme, Souvenirs/Give Aways
Formen der medialen Vermittlung, die individuell genutzt werden können, sind von Einfluss für Orientierung, für Zugänge und die Erweiterung eigener Wahrnehmungen der Einzelbesucher*innen. Über outreach-Formate kann es zudem gelingen, auch Zufallsbesucher*innen außerhalb der Kunst-Orte zu erreichen und zu überraschen.

Ästhetisch künstlerische und kuratorische Vermittlung - Dramaturgie, Inszenierung, Kuration
Ob es gelingt, besondere ästhetische Erfahrungen und Zugänge zu Kunst zu schaffen, hängt wesentlich von der sinnfälligen Inszenierung, der Kuration, der Dramaturgie ab.

  • Kulturvermittlung wird als kuratorische Gestaltungsaufgabe begriffen

Ein weiteres Qualitätsmerkmal institutioneller Kulturvermittlung besteht darin, diese nicht nur als Fachwissen vermittelnde oder als eine rein pädagogische Funktion, sondern als eine ästhetisch-künstlerische Aufgabe zu begreifen und diese eng mit der künstlerisch-kulturellen Arbeit zu verbinden. Implizite Formen von Vermittlung sind kein „add on“, sondern inszenieren Rahmungen für die Künste, die über die üblichen Formate und Konventionen von Kunstpräsentationen hinaus ästhetische und performative Erfahrungsräume ermöglichen. Zwangsläufig müssen dafür alle Abteilungen gemeinsam arbeiten und ihre unterschiedlichen Perspektiven und Expertise in die Gesamtgestaltung einbringen. Vermittlung wird zum Bestandteil des „Kerngeschäfts“ und hat damit auch Einfluss auf den Umgang mit künstlerischer Produktion und kulturellem Erbe in einer Einrichtung.

  • Kulturvermittlung spricht vielfältige Bevölkerungsgruppen an

Das Kern-Kulturpublikum klassischer Kultureinrichtungen, das ist durch empirische Studien inzwischen hinreichend belegt, zeichnet sich vor allem durch ein hohes formales Bildungsniveau und die Herkunft aus gehobenen sozialen Milieus aus. Über die letzten Jahrzehnte hat die soziale Homogenität der Besucher*innenschaft zugenommen (vgl. Keuchel/Zentrum für Kulturforschung 2012, Föhl/Glogner 2016, Renz 2016).

Unterschiedliche Besucher*innen zu erreichen, erfordert die Anbahnung von Beziehungen mit unterschiedlichen Kooperationspartner*innen und das Finden von Interessens-Schnittstellen, wo beide Seiten anknüpfen können. Aus der Evaluation von Audience Development-Programmen wird deutlich, dass bestimmte, nicht kunstaffine soziale Gruppen, die v.a. durch niedriges formales Bildungsniveau und niedrigen Sozialstatus gekennzeichnet sind, nur über Multiplikator*innen und Kooperationspartner*innen und nicht als Einzelbesucher*innen gewonnen werden können (vgl. Mandel 2013/ 2016; Morton-Smith/Arts Council England 2004) Dabei erwies sich als Problem, dass viele Kooperationen, etwa mit Jugendclubs, Arbeitsloseninitiativen, Stadtteilzentren, nur kurzfristig für ein einzelnes Projekt angebahnt und keine dauerhaften und damit nachhaltigen Beziehungen aufgebaut werden, die die Nutzer*innenschaft einer Kultureinrichtung wirklich verändern könnten.

Geht es um die Zukunftsfähigkeit von Kultureinrichtungen, so sind langfristige Kooperationen, die Perspektiven neuer, vom klassischen Kern-Publikum sozial deutlich unterschiedenen (Erst-)Besucher*innengruppen ermöglichen, von großem Wert, um Anstöße für inhaltliche und evtl. auch strukturelle Veränderungen in Richtung einer Öffnung für eine diverse Bevölkerung zu geben.

  • Kulturvermittlung ermöglicht kulturelle (Selbst-)Bildungsprozesse

In ihrer Replik auf einen Feuilleton-Artikel von Wolfgang Ullrich, Professor für Kunstgeschichte, der sich gegen die „Banalisierung von Kunst“ durch Vermittlung als Verharmlosung und Verkürzung intellektueller Aneignung ausspricht (Ullrich 2015), argumentiert die Kulturvermittlerin Katharina Förster, dass Aneignung von Kunst sich gerade nicht auf eine intellektuelle Auseinandersetzung beschränke ebenso wenig wie auf die Entzifferung einzelner Artefakte und plädiert für einen sinnlich aktivierenden, niedrigschwelligen Zugang:

„Bedeutet ein niederschwelliger Einstieg also automatisch Trivialisierung und damit die von Ullrich angedrohte Banalität? (...) Die Aneignung von Objekten und Architekturen ist nicht nur als ein kognitiver Prozess zu verstehen, sondern als ein im weitesten Sinn sinnlich-ästhetischer. Dabei unterscheiden wir zum einen die Wahrnehmung der Materialität der Objekte und Architekturen, zum anderen Sinneseindrücke, die wir über die Bewegung im Raum aufnehmen. Beide ermöglichen ein vorreflexives Verstehen. Dieses sollte und kann insbesondere in pädagogisch begleitenden Prozessen in einen reflexiven Prozess überführt werden. Hieraus ergeben sich zentrale Formen der Vermittlung, nämlich Methoden, die die Wahrnehmung im sozialen Miteinander und Austausch intensivieren“ (Förster 2015).

Die von Ullrich aufgeworfene Frage nach „richtiger“ Kunstvermittlung, die dem Anspruch der jeweiligen Kunst gerecht wird, führt zur Frage, wann denn Vermittlung „auf Augenhöhe“ mit ihrem Gegenstand ist? Wenn wir davon ausgehen, dass sich die Künste durch Ergebnis- und Interpretationsoffenheit auszeichnen und es in ihnen nicht die eine richtige Lösung zu entziffern gibt, sondern die Betrachter*innen das Kunstwerk im Prozess aktiver, sich aneignender Rezeption mit gestalten (vgl. Ecco 1993, Fischer Lichte 2001), sind viele unterschiedliche, durch Kunstvermittlung aktivierte Formen persönlichen Annäherung und Aneignung von Kunst denkbar, die nicht per se als besser oder schlechter klassifiziert werden können.

Definiert man das Ziel institutioneller Kulturvermittlung aus Sicht der Besucherin, des Besuchers und des sich selbst bildenden Subjekts, ginge es in der Vermittlung vor allem darum, Anschlussstellen zum Leben und Alltag zu finden, von denen eine bereichernde Aneignung ausgehen kann. Kunstvermittlung kann gelingende Rezeptionsprozesse unterstützen durch historisches und fachwissenschaftliches Hintergrundwissen auf verschiedenen Ebenen, das häufig notwendige Grundlage ist, um den Reichtum verschiedener eingeschriebener Bedeutungen zu erfahren (vgl. Hohmaier 2015:184). Ebenso kann Vermittlung unerfahrene Kunstbesucher*innen entlasten, indem es sie mit übergreifenden Codes der Kunstrezeption vertraut macht wie die für Kunstaffine selbstverständliche und für weniger damit Vertraute sehr entlastende Erkenntnis, dass Kunst nicht die eine richtige Bedeutung hat, die es zu entschlüsseln gilt.

In der Kulturvermittlung kann es auch darum gehen, einen Kulturort, ein Theater, ein Museum etc. kennenzulernen und es für sich persönlich als einen schönen, anregenden, positiv konnotierten Aufenthaltsort zu erfahren.

Ebenso könnte Vermittlung die künstlerisch-kulturellen Artefakte nur als Ausgangspunkt für ganz andere Themen der Besucher*innen nutzen. Dabei steht nicht die Vermittlung im Sinne von Verständnis und Wertschätzung für Kunst im Vordergrund, sondern das sich selbst bildende Subjekt, das die Künste im Sinne von persönlichem Empowerment nutzt (vgl. u.a. Hamer 2014, Mandel 2016). Verschiedene Weisen einer sinnlich ästhetischen, performativen ebenso wie sozialen Auseinandersetzung mit Kunst können kulturelle Bildungsprozesse auslösen, vor allem dann, wenn ästhetische Erlebnisse und Erfahrungen reflektiert, also explizit gemacht werden.

Die pro-aktive Adressierung einer diversen Besucher*innenschaft zielt nicht nur auf eine bessere Teilhabegerechtigkeit an öffentlichen Gütern, sondern auch darauf, kulturelle (Selbst-)Bildungsprozesse zu ermöglichen, indem neue Besucher*innen angeregt und ermächtigt werden, eine Einrichtung mit ihren Gegenständen für sich persönlich gewinnbringend zu nutzen. Kulturelle Teilhabe kann dann als eine Form gesellschaftlicher Teilhabe erfahren werden.

  • Kulturvermittlung ermöglicht eine gegenwartsbezogene Neu-Kontextualisierung kulturellen Erbes

Viele Kultureinrichtungen sind in ihren Programmen mit der Bewahrung und Präsentation materiellen und immateriellen kulturellen Erbes befasst: Sie zeigen einen kunst- bzw. kulturhistorisch als relevant erachteten Kanon von Kulturgütern, sei es z.B. in Form von musealen Objekten oder auch immateriellen Werken etwa in Form eines bestimmten Repertoires an Musik-Kompositionen, Theaterstücken und Praktiken ihrer Aufführung.

Das Konzept eines Kanons kulturelles Erbe ist einerseits essentiell für die Legitimation klassischer Kultureinrichtungen. Kulturelles Erbe dient der Weitergabe symbolischen Wissens und der Erinnerung eines Kollektivs und kann kulturelle Identität und Zugehörigkeit stiften (Assmann 1999). Andererseits ist der Anspruch, mit einer Einrichtung einen gesellschaftlich verbindlichen Kanon wertvollen, kulturellen Erbe zu präsentieren, auch zu hinterfragen. Denn wer darf mit bestimmen, was als kulturelles Erbe bewahrt und an nachfolgende Generationen weitergegeben werden soll, wer hat die Deutungshoheit?

"Nicht die Kanonisierung selbst schafft zwingend bildungsbezogene und soziale Ungleichheit und Exklusion, sondern die Verschleierung der Bedingungen der Teilhabe an den kanonisierten Bildungsgütern. Sofern Teilhabe umfassend ermöglicht wird, bieten Kanonisierungen einerseits Orientierung an, sind aber gleichzeitig diskutabel und veränderbar“ (Groppe 2009:50).

Qualität in der Vermittlung kulturellen Erbes zeigt sich darin, dass Rezipient*innen im Sinne des „Shared Cultural Heritage“ aktiv eingebunden werden in die Interpretation als bedeutsam geltender Kulturgüter (vgl. European Year of Cultural Heritage 2018), dass bewusst unterschiedliche Perspektiven und Interpretationen erzeugt werden und dass Aushandlungsprozesse über kulturelles Erbe transparent gemacht und hinterfragt werden.

  • Impulse für neue Leitbilder und Aufgaben für Kultureinrichtungen durch Kulturvermittlung

In einer durch demografischen Wandel, Migration, Globalisierung und Digitalisierung stark veränderten Gesellschaft sind Enkulturationsprozesse in die klassische Kultur nicht mehr selbstverständlich und klassische Kultureinrichtungen repräsentieren in ihrer Nutzer*innenschaft immer weniger die heterogener werdende Bevölkerung. Daraus erwächst für viele Kultureinrichtungen die Herausforderung, ihre Mission und Aufgaben zu erweitern. Dass sich viele Kultureinrichtungen in Deutschland auf den Weg gemacht haben, zeigt u.a. die überwältigende Anzahl von 125 sehr qualifizierten Bewerbungen für den Preis „ZukunftsGut“ – Kulturvermittlung der Commerzbankstiftung. Kulturvermittlung kann für solche Transformationsprozesse Anstöße geben, indem sie systematisch Interessen und Bedürfnisse neuer Nutzer*innengruppen einbringt und Ideen entwickelt, wie sich die Nutzung von Infrastruktur und Kulturort erweitern lassen.

Kultureinrichtungen könnten im Sinne Ray Oldenburgs „third spaces“ und „home away from home“ sein, Orte mit Aufenthaltsqualität jenseits von Zuhause und Arbeit, die sich vor allem durch informelle Atmosphäre, Kommunikation und Geselligkeit einschließlich eines kostengünstigen gastronomischen Angebots auszeichnen (Oldenburg 1989/2001). Derzeit positionieren sich vor allem Bibliotheken als solche dritten Orte, die in ihren niedrigeschwelligen und pluralen Angeboten und Räumlichkeiten in besonderer Weise als nicht kommerziell definierte Aufenthaltsorte für ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen geeignet sind. Anders als Bibliotheken sind klassische Kultureinrichtungen wie Theater, Konzert- und Opernhäuser oder Museen Kulturorte, die mit einer hohen symbolischen Wertigkeit und einem oftmals eher elitären Image als „Kulturtempel“ aufgeladen und darum als „dritte Orte der Begegnung“ keineswegs neutral sind und dem entsprechend sehr reflektiert und pro-aktiv mit dieser symbolischen Distinktion umgehen müssen. Verbunden damit ist die Herausforderung, die „hochkulturell“ aufgeladenen Orte in ihrer Symbolik zu erweitern, um damit neuen, potentiellen Besucher*innen- und Nutzer*innengruppen zu vermitteln, dass dies auch ihr Ort sein könnte.

Kultureinrichtungen sind Orte, die über vielfältige Ressourcen und Infrastruktur verfügen, mit denen sie ihre gesellschaftlichen Funktionen über die Produktion und Präsentation von Kunst und Kultur hinaus erweitern könnten: Sie haben physisches Kapital (Raum, Architektur, Infrastruktur), soziales Kapital (Mitarbeitende mit Ideen und Kontakten), politisches Kapital (Beziehungen zu Kulturpolitik und Kulturverwaltung) und kreatives Kapitel (kulturelle und künstlerische Sensibilität), das sie einbringen können in aktuelle Anliegen einer Community/Nachbarschaft, in der sie situiert sind. Vor allem das Potenzial, kulturelle Freiräume und Begegnungsorte für Menschen unterschiedlicher sozialer Milieus und unterschiedlicher Herkünfte zu eröffnen, erweist sich als Stärke der Kultureinrichtungen (Crane 2013). Im Sinne des Community Building können Kultureinrichtungen ihre Infrastruktur und ihr Know-How für verschiedene Gruppen und Nachbarschaften zur Verfügung stellen (vgl. Borwick 2013). Indem sich Kultureinrichtungen auch als „dritte Orte“ im Sinne eines transkulturellen Raums begreifen (Bhaba 1997), können dort kulturelle Symbole und unterschiedliche kulturelle Identitäten in Austauschprozessen zwischen Menschen verschiedener sozialer und ethnischer Herkunft verhandelt werden.

„Notwendig sind Räume, die ein gemeinsames Denken und Entwickeln ermöglichen, die einen common ground schaffen, in dem ergründet werden kann, auf welchen Ebenen das gegenseitige Vertrauen überhaupt erst möglich ist, transkulturelle Räume, die getragen sind von Imagination, Freude und Vertrauen“ (Aus dem Moore 2018:58).

Dätsch führt in Anbindung an Bachmann-Mädick und Bhaba das Konzept der „Kulturellen Übersetzung“ für transkulturelle Vermittlungsprozesse in Kulturinstitutionen ein:

„Transkulturalität versucht nicht kulturelle Verschiedenheiten zu nivellieren, sondern eine andere Perspektive auf die Vielfalt von Kulturen zu entwickeln. Statt herkunftskultureller Kriterien nimmt sie die historische und synchrone Vernetztheit von Kulturen in den Blick“ (Dätsch 2018:11).

Kultureinrichtungen wären dann Treffpunkte, wo sich im besten Falle Menschen begegnen, die sich sonst in ihrem Alltag nicht begegnen würden und die hier den Freiraum hätten, über kulturelle Interessen und Deutungen zu verhandeln und daraus neue, gemeinsame kulturelle Erzählungen zu entwickeln. Kulturvermittler*innen als transkulturelle Übersetzer*innen organisieren die ästhetisch-kulturellen und organisatorischen Rahmungen in diesen Prozessen.

Ausgezeichnete Kulturvermittlung: Das Theater Oberhausen als Beispiel

Das Theater Oberhausen, das zu den drei Preisträgern von ZukunftsGut - Preis für institutionelle Kulturvermittlung der Commerzbank-Stiftung gehört, steht exemplarisch für die Suche eines Stadttheaters nach einer neuen Bedeutung als Treffpunkt und Austauschort für alle Bewohner*innen der Stadt. Anders als ein Großstadttheater, das über ausreichend intellektuelles oder fachlich versiertes Theater-Publikum verfügt, muss sich ein Theater in einer kleinen Stadt wie Oberhausen in besonderer Weise auf die größtenteils nicht kunst- und theateraffine Bevölkerung einlassen, um relevant für die Menschen zu sein und dabei ihr Aufgabenspektrum deutlich erweitern. Zu den Qualitätsmerkmalen gelungener institutioneller Kulturvermittlung werden in der Laudatio folgende Beispiele genannt:

  • Theater als Community Builder, als „guter Nachbar“ und Unterstützer eigener kultureller Aktivitäten der Bevölkerung
    Wofür brennst du? – mit dieser Frage mobilisierte das Theater über 450 Bewohner*innen Oberhausens, ihre Ideen und Projekte, die sie mit Unterstützung des Theaters künstlerisch umgesetzt hatten, in einer Kunst-Parade quer durch die Stadt zu zeigen. In der „Theater:Faktorei“, einer offenen Theaterwerkstatt können Bürger*innen Oberhausens aller Generationen und verschiedener Herkunft ihre Ideen mit Theaterprofis ästhetisch umzusetzen und auf die Theaterbühne oder andere Bühnen des Alltags bringen.
     
  • Einbezug aller Mitarbeitenden im Theater in Vermittlung
    Unterstützung finden sie dabei keineswegs nur von den angestellten Theaterpädagog*innen, sondern ebenso von Ensemblemitgliedern, Hausregisseur*innen, Ausstatter*innen, Kostümbilder*innen, Techniker*innen. „Dies führt auch zur verstärkten hausinternen Kommunikation, die sich nicht auf abgegrenzte Arbeitsbereiche beschränkt und lädt zur Reflexion der eigenen Theaterarbeit ein“, so schreibt das Theater in seiner Bewerbung.
     
  • Öffnung des Hauses für andere kulturelle Initiativen
    In der Late Night Reihe „Späti“ können wechselnde Kultur-Akteure aus der Stadt, manchmal in Kooperation mit Leuten aus dem Theater, ihre eigenen Programme ausprobieren und einem für Experimente offenen Publikum zeigen. Das Theater stellt dafür seine Infrastruktur für andere kulturelle Initiativen zur Verfügung. „Das Theater öffnet sich für die in der Stadt lebenden Communities unter anderem auch, indem es sich als Ort zur Verfügung stellt, an dem die Kultur der diversen Communities gelebt und wertgeschätzt werden kann“, so ein weiteres Zitat aus der Bewerbung.
     
  • Outreach und Ansprache einer diversen Bevölkerung
    Immer wieder öffnet sich das Theater in den öffentlichen Raum, um Menschen zu erreichen, die nicht in ein Theater kommen würden; Mitglieder des Theaters Oberhausen gehen an die Alltagsorte der Menschen, in die Kita, ins Jugendzentrum, auf den Wochenmarkt oder in die Kleingartenkolonie.
     
  • Diversität im eigenen Personal leben
    Die Diversität in der Bevölkerung versucht das Theater auch in seiner eigenen Personalpolitik widerzuspiegeln, denn Vermittlung geht immer von innen nach außen, und nur wenn die Einrichtung selbst diverser wird und zugleich die vielfältigen Mitarbeitenden in den verschiedenen Abteilungen, vom Marketing über Dramaturgie bis zur Technik und Einlasspersonal, mit ihren Ideen und Netzwerken aktiv einbezieht, kann sie auch nach außen hin Offenheit signalisieren.
    Das Theater Oberhausen ist nicht mehr nur ein Ort, wo Theaterstücke gezeigt werden, sondern wird darüber hinaus zum Treffpunkt, zum Gastgeber, zum guten Nachbarn, der hilft und sich verantwortlich fühlt für die Anliegen des lokalen Umfeldes. Dafür haben wir es ausgezeichnet.“ (Auszüge aus der Laudatio für das Theater Oberhausen)

Institutionelle Veränderungsnotwendigkeiten: Zwischen Kunstvermittlung und kollaborativen Bildungsprozessen

In der institutionellen Kulturvermittlung geht es also keineswegs nur um die „Vermittlung von“ kulturellen Gütern, sondern auch um „Vermittlung zwischen“ verschiedenen Perspektiven, um den Aushandlungsprozess unterschiedlicher Interessen v.a. zwischen Kunstautonomieansprüchen der Fachöffentlichkeit, Distinktionsbedürfnis bildungsbürgerlichen Eliten und den Kultur- und Unterhaltungsansprüchen der breiten und zunehmend diversen Bevölkerung sowie auch den Interessen bestimmter Gruppen nach stärkerer kultureller Repräsentanz im öffentlichen Kulturleben.

Im Sinne von Mörsch geht es also nicht nur um „affirmative Kunstvermittlung“ durch „autorisierte Sprecher“, die ein bereits interessiertes Publikum im Sinne des Fach-Diskurs weiterbilden, oder „reproduktive Kunstvermittlung“, bei der es mit pädagogischen Mitteln vor allem darum geht, das junge Publikum von morgen heranzubilden, sondern auch um „dekonstruktive Kunstvermittlung“, bei der die Vermittlung Kunstinstitutionen und deren kanonisiertes Wissen kritisch hinterfragt, sowie um „transformative Kunstvermittlung“, die dazu beitragen möchte, Kunstinstitutionen zu verändern (Mörsch 2009). Wird Vermittlung in diesem erweiterten Verständnis begriffen, sind damit zwingend auch institutionelle Change Management Prozesse verbunden.

Vor allem die Kulturstiftung des Bundes hat in den vergangenen Jahren immer wieder Programme entwickelt, um Kultureinrichtungen zu verändern und zukunftsfähig zu machen: Im Programm Doppelpass beispielsweise sollten freie Theatergruppen sich mit Stadttheatern zusammentun, um diesen in der temporären Zusammenarbeit neue Impulse für programmatische und strukturelle Veränderungen zu geben. Nicht evaluiert wurden bislang die Wirkungen und Gelingensbedingungen dieser Kooperationen. Das Programm Kulturagenten für kreative Schulen wollte über professionelle Akteure der Vermittlung neue Kooperationen zwischen Schulen und Kultureinrichtungen stiften. Es ist aber nicht gelungen, wie die Evaluation zeigte, damit nachhaltige Veränderungen in Kultureinrichtungen auszulösen, da diese mit Hilfe der Programmgelder die Vermittlung für die Schüler*innen tendenziell outsourcten an externe Vermittler*innen, so dass die internen Strukturen der eigenen Einrichtung davon kaum berührt wurden. Auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen entwickelte die Kulturstiftung des Bundes ein weiteres Programm: 360 °, das den Kultureinrichtungen professionelle Vermittler*innen zur Verfügung stellt, die dezidiert den Auftrag haben, kulturelle Veränderungsprozesse im Sinne einer höheren Diversität und Inklusion der Einrichtung zu initiieren.

In einem Modellversuch in NRW zu Strategien „Interkulturellen Audience Developments“ wurde deutlich, dass vor allem kollaboratives Arbeiten mit neuen Zielgruppen zu neuen Perspektiven auf die künstlerisch-kulturellen Gegenstände sowie die Arbeitsweisen und Strukturen einer Einrichtung führen kann, wenn diese neuen Gruppen sich tatsächlich aktiv einbringen können mit ihren Ideen und gemeinsam mit den Kulturschaffenden in den Einrichtungen Programme entwickeln, die Lernprozesse auf beiden Seiten ermöglichen.

Inwieweit neue Themen, neue ästhetische Ansätze, andere Arbeitsweisen und kulturelle Umgangsweisen in eine Einrichtung eingebracht werden und Routinen verändern können, hängt davon ab, ob möglichst viele Abteilungen davon berührt sind und ob die Leitung dahinter steht (Mandel 2013). Doch auch wenn die Leitung von bestimmten Veränderungsnotwendigkeiten überzeugt ist, können institutionelle Verfestigungen und Normen Transformationen behindern. In einer vergleichenden Befragung der Autorin von Führungskräften der jüngeren und der älteren Generationen wurde deutlich, dass implizite Normen, traditionelle Organigramme, bürokratische Auflagen, veränderungskritische Mitarbeitende sich als stärker erweisen können als der Wunsch nach Veränderung, der vor allem von jüngeren Führungskräften formuliert wurde (vgl. Mandel 2018).

Veränderungen in großen Kulturorganisationen mit langer Tradition erfordern die Beschäftigung nicht nur mit Zielen und Strategien, sondern auch mit der gesamten Unternehmenskultur, in die sich bestimmte implizite Glaubenssätze und Wertungen eingeschrieben haben (Doppler/Lauterburg 2005).

Ein Forscherteam in Frankreich untersuchte Kultureinrichtungen mit der Frage, unter welchen Bedingungen die Partizipation von Publikum und Öffentlichkeit dazu beiträgt, Kultureinrichtungen selbst zu transformieren (Anberrée/Aubouin/Coblence/Kletz 2015). Auch in Frankreich habe es zwar eine große Zunahme an Kulturvermittlungsaktivitäten gegeben, die aber kaum Einfluss auf die Angebote und die Arbeitsweise der Einrichtungen selbst hätten, so die Beobachtung der Forschergruppe (ebd.:31). Mit Bezug auf den Kunstwissenschaftler Goodman (1984), der den starken Einfluss der Rezipient*innen für die „Aktivierung“ einer Kunstproduktion betont, gehen die Autoren davon aus, dass die künstlerisch-kulturelle Arbeit einer Kulturinstitution sich erst durch die Nutzer*innen vollendet:

„In this context activation is defined as the process by which the participatory stimulus leads organizations to effectively realize their capabilities concerning approaches to relations and coordination, organizational structures and design, and evaluation and capitalization tools. Audience participation thus fosters the emergence of new actors and management tools and a new approach to developing the cultural offer, while also prompting cultural institutions to view themselves and their publics from an original perspective“ (ebd.:32).

Die Autoren kommen nach der Analyse mehrerer Einrichtungen zu dem Fazit, dass die meisten Kulturorganisationen trotz temporärem Einbezug neuer Nutzer*innengruppen ihre organisationalen Strukturen nicht verändern, vor allem weil sie keine permanenten Evaluationsmechanismen sowie Feedback der Nutzer*innen integriert haben und keine systematischen „learning loops“ als permanente institutionelle Lernprozesse (ebd.:40) vorsehen. Nur in einer der analysierten Einrichtungen hatten Publikum und Öffentlichkeit Einfluss auf die Programmgestaltung und die Infrastrukturveränderung. Durch ihr Feedback wurden neue künstlerische und manageriale Positionen durch neue Bedarfe in der Arbeit mit der Öffentlichkeit geschaffen und es veränderten sich in der Folge auch kulturpolitische Förderkriterien für die Einrichtung (ebd.:38).

Gegenwärtig lässt sich leider in Deutschland feststellen, dass trotz einer starken Zunahme an Kulturvermittlungsprogrammen in den Einrichtungen, diese in ihren „Kernprogrammen“ oft nicht zugänglicher werden (u.a. Bishop 2013). Aufgrund von Über-Komplexität und Leerstellen der Produktion und Präsentation künstlerischer Artefakte von Seiten der Kunst-Akteure in den Kultureinrichtungen wird ein nicht vorgebildetes, Nicht-Fachpublikum weiterhin ausgegrenzt. Eine tatsächliche Öffnung der Einrichtungen würde nicht nur Vermittlung als nachgelagerte Kommunikationsaufgabe, sondern auch die Auseinandersetzung mit den künstlerisch-kulturellen Programmen und den Kultur- und Unterhaltungsansprüchen einer vielfältigen potentielle Nutzer*innenschaft beinhalten, für die kulturelle Angebote mehrheitlich neben neuen Anregungen auch Freizeit, soziales Zusammensein, Abwechslung vom Alltag und Entspannung implizieren.

„In den Künsten und den Kunst-Diskursen halten sich bestimmte Herrschaftsansprüche und Dogmen besonders hartnäckig“ (Rat für kulturelle Bildung 2015:17). Auf subtile, vermutlich oft unbewusste Weise, häufig mit Referenz auf die Kunstautonomie und Qualität der Künste, werden Distinktionen aufrecht erhalten, die einen Großteil der Bevölkerung von Erfahrungen mit den Künsten und Kulturinstitutionen ausschließen.

Kulturvermittlung, die solche Ausschluss-Mechanismen im Blick hat, verbunden mit neuen Leitbildern für Kultureinrichtungen als anregende Treffpunkte, Freizeit- und Dialog-Orte für unterschiedliche Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen könnte zum Motor für Veränderungen werden, die sich in die gesamte Einrichtung ausweiten. Damit verbunden wäre es von Bedeutung, Popularität und Zugänglichkeit von Programmen als Qualitätsmerkmal und nicht als Manko zu begreifen. Kunstvermittlung weitet sich hier zur Kulturvermittlung, die Impulse aus den Künsten produktiv werden lässt in unterschiedlichen kulturellen Kontexten.

Verwendete Literatur

Verwendete Literatur

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Birgit Mandel (2018): Kulturvermittlung in klassischen Kultureinrichtungen: Ambivalenzen, Widersprüche und Impulse für Veränderungen . In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/index.php/artikel/kulturvermittlung-klassischen-kultureinrichtungen-ambivalenzen-widersprueche-impulse (letzter Zugriff am 26.02.2024).

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