Kulturelle Feldentwicklung: Wie sich Kultureinrichtungen in ländlichen Räumen weiterentwickeln
Abstract
Viele ländlich geprägte Regionen leiden unter dem demografischen Wandel. Seit Jahren befassen sich daher zahlreiche Landkreise und Kommunen mit der Frage, wie dieser Wandel gestaltet werden kann. Dabei geht es nicht nur um den öffentlichen Nahverkehr, die Zusammenlegung von Schulen und Kitas oder die Gewährleistung medizinischer Versorgung. Als freiwillige Leistung der Gemeinden geht es auch um die Zukunft der Kulturinstitutionen wie Theater, Museen, Bibliotheken, Musikschulen und Volkshochschulen. Dabei sind Kultur- und Bildungseinrichtungen wichtige Orte, die zur Entwicklung einer Region beitragen. Der Beitrag zeigt am Beispiel des Programms „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“, wie sich Kultureinrichtungen in ländlichen Räumen für neue Aufgaben öffnen können.
Die Entwicklungen ländlicher Räume, Fragen der Infrastrukturen und die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land sind derzeit in aller Munde. Vor allem die Politik richtet ihren Fokus auf die ländlichen Räume und legt Programme auf, um die Infrastruktur ländlicher Regionen zu stärken (siehe C. Wingert (2018) und N. Sievers (2018) auf kubi-online.de). Zeit, sich auch der Kulturarbeit und der Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen zuzuwenden und sachlich zu fragen: Wie sieht die strukturelle Situation von Kultureinrichtungen, Vereinen und Künstler*innen in den kleinen Städten und Dörfern aus? Wo werden kulturelle Angebote unterbreitet? Was gibt es dort alles, und was fehlt? Was muss gestärkt, was weiterentwickelt werden? Und wovon mag man sich auch trennen? Der Beitrag gibt einen Einblick in die Rahmenbedingungen ländlicher Kulturarbeit und ihrer Akteure und zeigt am Beispiel des Programms „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“, wie sich Kultureinrichtungen in ländlichen Räumen für neue Aufgaben öffnen können.
Kulturelle Infrastruktur
Zunächst: Es gibt nicht „den ländlichen Raum“. Die Situation ist von Norden nach Süden, von Osten nach Westen sehr unterschiedlich. Es gibt wachsende Dörfer und sterbende Städte, Regionen, in denen es viele Kultureinrichtungen gibt, aber dafür wenig Vereine, und umgekehrt Regionen, in denen das Kulturleben fast ausschließlich über die Vereinsarbeit organisiert wird. Deutschland hat eine Vielzahl an Kultur- und Bildungsorten: mit über 900 öffentlichen Musikschulen (vgl. Statistisches Jahrbuch der Musikschulen 2016), 12.000 haupt- und ehrenamtlich geleiteten öffentlichen Bibliotheken (vgl. www.Bibliotheksportal.de), rund 900 Volkshochschulen (vgl. www.volkshochschule.de), über 360 privaten und öffentlich geförderten Theatern (vgl. https://de.statista.com/themen/1818/theater/) sowie rund 7.000 Museumseinrichtungen (Institut für Museumsforschung 2017) ist das Kultur- und Bildungsangebot groß. Für die kulturelle Grundversorgung spielen vor allem die Kleinstädte eine entscheidende Rolle. „Wenn man verstehen will, wie Kulturarbeit im ländlichen Raum funktioniert, wenn Knoten gelöst oder Netze geknüpft werden sollen, liegt der Schlüssel in vielen Fällen in der Kreisstadt.“ (Martin 2015: 39)
Insbesondere die öffentlich geförderten Einrichtungen wie Musikschulen, Volkshochschulen, Jugendkunstschulen oder Bibliotheken sind in den Kleinstädten angesiedelt, von wo aus sie die umliegenden Regionen „versorgen“. Dennoch ist Kultur nach wie vor in vielen Kommunen und Gemeinden eine freiwillige Aufgabe. Die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder sind im Jahr 2016 zu dem Schluss gekommen, dass je kleiner ein Ort ist, desto geringer die Ausgaben für Kultur: „An der Spitze lagen die Großstädte mit 500.000 und mehr Einwohnern. Diese stellten 2013 für kulturelle Angelegenheiten 150,94 Euro je Einwohner aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung. Bei den Großstädten mit 200.000 bis unter 500.000 Einwohnern lagen die Ausgaben je Einwohner bei 126,12 Euro. Deutlich geringere Pro-Kopf-Ausgaben wurden in den Gemeindegrößenklassen mit 20.000 bis unter 100.000 Einwohnern (44,11 Euro) und in den Kleinstädten mit 10.000 bis unter 20.000 Einwohnern (21,68 Euro) aufgebracht.“ (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2016: 41)
Je kleiner also eine Kommune, desto geringer die Pro-Kopf-Ausgaben für die Kultur. Da bleibt oftmals wenig Spielraum, ein umfassendes Kulturangebot zu unterbreiten, weiterzuentwickeln oder gar neue mobile Vermittlungsformate anzubieten. Denn um gerade in ländlichen Regionen Kulturangebote zu nutzen, müssen Kinder, Jugendliche sowie Berufstätige und Senioren oftmals lange Wege zurücklegen, die durch einen eingeschränkten ÖPNV oder die Einbindung in den Ganztagsschulbetrieb erschwert werden. Um neue Angebote zu unterbreiten, muss geklärt werden, wie die Kulturarbeit in ländlichen Räumen aussieht, welche Akteur*innen es vor Ort gibt und welche Themen die Menschen interessieren. In ihrer Dissertation „Kulturpolitik in ländlichen Räumen“ hat Doreen Götzky eine Übersicht erstellt, die widerspiegelt, mit welchen Attributen der kulturpolitische Diskurs vor allem in den 1990er Jahren die Kulturarbeit in ländlichen sowie in urbanen Räumen definiert (Götzky 2013: 118).
Angesichts der veränderten Lebensformen und -situationen, die sowohl in den Städten als auch auf dem Land sichtbar werden, lässt sich diese klare Einteilung heute sicher nicht mehr so einfach darstellen, da sich nicht nur die Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land angleichen, sondern vielerorts auch die Kulturinteressen. „Die ländlichen Regionen sind keineswegs abgekoppelt von den aktuellen Entwicklungen und Strömungen, haben aber konstant und individuell mit ihrer mehr oder weniger isolierten Lage zu kämpfen.“ (Kümmel 2015) So wie sich die urbane Kulturarbeit stetig weiterentwickelt, so auch die Kulturarbeit in ländlich geprägten Regionen. Längst bestimmen nicht mehr nur Brauchtumspflege und Vereinsarbeit das Kulturleben auf dem Land. Auch auf dem Land stellt man sich die Frage, welche Rolle digitale Vermittlungsformate spielen können, wie eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit regional geprägten Sammlungen aussieht oder wie man die Menschen stärker in die kulturelle Vermittlungsarbeit einbinden könnte.
Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen
Wie schwierig mitunter die Kulturelle Bildungsarbeit in ländlichen Räumen sein kann, wissen alle, die versuchen, Kulturelle Bildung in Schulen und Orten jenseits der Großstädte zu etablieren. „Die Kultur- und Bildungsarbeit im ländlichen Raum ist eine Arbeit in der Fläche. Sie ist durch hohen Aufwand an Zeit und Mobilität gekennzeichnet.“ (Papenhagen 2015) Kultureinrichtungen sind oft weit entfernt, Künstler*innen rar und die Zeit und die Ressourcen knapp. Der Bedarf aber, einen Ort zu schaffen, wo Kultur erlebbar wird, ist in ländlichen Regionen ebenso groß wie in den Städten. Dennoch ist es für kleinere Kulturinstitutionen, die in ländlichen Räumen angesiedelt sind und eine Vielzahl an Gemeinden, Schulen und Kitas „versorgen“ müssen, nicht immer leicht, genau die Angebote zu unterbreiten, die beispielsweise in den Alltag der jeweiligen Schulen passen, bzw. weite Wege zwischen der Kultureinrichtung und der Schule zu überbrücken. Zudem braucht jede Einrichtung je nach Sparte ganz eigene Formate und Voraussetzungen, um Kultur auch außerhalb ihrer Standorte zu präsentieren, die eigenen Sammlungen zu zeigen oder theatrale Ausdrucksformen weiterzugeben. So stellen sich viele Institutionen die Frage, wie beispielsweise die Sammlung eines Museums auch an einem dritten Ort vermittelt werden kann: Wie bringt man die Musiker*innen eines Orchesters mit ihren Instrumenten in eine Schule? Oder wie gelingt es, eine Jugendkunstschule mit all ihren Materialien in die umliegenden Gemeinden zu schaffen?
Während in größeren Städten die Einrichtungen oftmals an ihrem Ort bleiben können, so müssen sich Einrichtungen auf dem Land vielfach mobile Modelle überlegen. Vor allem viele Landestheater oder Landesmuseen stehen vor der Aufgabe, ihrem Auftrag nachzukommen, Angebote auch für die Fläche anzubieten. Dafür braucht es Partner, flexible Vermittlungskonzepte, gute Kenntnisse über die Bedarfe der Gemeinden und Schulen, der Ansprechpartner*innen sowie Ideen, wie man regionale Themen zeitgemäß vermittelt. Dementsprechend müssen sich Einrichtungen wie die kleinen Museen, Theater, Bibliotheken oder Heimatstuben die doppelte Frage stellen: Wie erreichen wir unsere Zielgruppen? Und wie müssen wir uns weiterentwickeln, um auch in Zukunft wichtige Orte der Begegnung und Vermittlung regional relevanter Themen zu sein?
Rolle von Kultureinrichtungen
In vielen ländlich geprägten Regionen gibt es zahlreiche Kultureinrichtungen wie Regionalmuseen, Theater, Büchereien, Kinos oder Heimatstuben. Viele dieser Einrichtungen übernehmen Verantwortung für das Kulturleben ihrer Region: Heimatmuseen fangen an, ihre regionale Identität zu reflektieren, kommunale Bibliotheken entwickeln neue Räume, in denen Menschen auch jenseits der klassischen Bibliotheksarbeit zusammenkommen und Regionaltheater bringen Themen der Menschen vor Ort auf die Bühne. Die Veränderung von Kultureinrichtungen auf dem Land hat einen unmittelbaren Einfluss auf die kulturellen Bildungsangebote, denn da, wo es eben keine Musikschule, keine Jugendkunstschule oder kein Soziokulturelles Zentrum gibt, erlangen einzelne kleine Einrichtungen eine immer wichtigere Rolle, die es gilt zu stärken und weiterzuentwickeln. Vielfach wurde aber in diese Einrichtungen über Jahrzehnte nicht investiert und ihnen die Möglichkeit gegeben, sich für neue Bedarfe und Interesse neu aufzustellen. Darüber hinaus stellt sich den Einrichtungen die Frage, wohin sie sich entwickeln und welche Angebote sie für die Bevölkerung ihrer Region unterbreiten sollen. Hier gilt es neue Modelle zu entwickeln, die zeigen, welche Aufgaben übernommen und welche Angebote unterbreitet werden können. Das Programm TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel, das 2015 von der Kulturstiftung des Bundes initiiert wurde, unterstützt ländliche Regionen und Kommunen dabei, ihre Kultureinrichtungen zu stärken und weiterzuentwickeln. Aufgrund des umfassenden gesellschaftlichen, strukturellen und politischen Wandels geht es vielen ländlichen Regionen vor allem um die Frage, welche neuen Aufgaben vor dem Hintergrund des politischen und gesellschaftlichen Wandels auf sie zukommen.
Am TRAFO-Programm beteiligt sind derzeit die Regionen Oderbruch, Südniedersachsen, die Schwäbische Alb und die Saarpfalz. Ab Sommer 2018 kommen weitere Regionen hinzu. Die teilnehmenden Regionen nehmen konkrete Kultureinrichtungen in den Fokus, die sich sowohl strukturell als auch inhaltlich verändern, indem sie ihre Arbeitsweisen und Angebote überarbeiten, neue Vermittlungsformate anbieten, Verbünde mit anderen Kulturakteuren der Umgebung eingehen und sich für neue kulturelle Bedarfe auch jenseits ihrer eigenen Sparte öffnen. Dabei beschreiten die beteiligten Kultureinrichtungen ganz unterschiedliche Wege: Einzelne Einrichtungen schärfen ihr Profil, erweitern ihre Angebote und entwickeln neue Formate. Andere Kultureinrichtungen wiederum schließen sich in einem Verbund zusammen, um gemeinsame Themenstellungen und Vermittlungsformate zu erarbeiten, Ressourcen zu teilen und mit gebündelter Kraft regionale Themen zu vermitteln. Als drittes Modell haben sich Kultureinrichtungen in mittleren und größeren Städten dazu entschlossen, in den ländlichen Raum zu gehen, um dort gemeinsam mit kleineren Kultureinrichtungen und der Bevölkerung vor Ort Kulturangebote zu entwickeln und umzusetzen. Dadurch sollen die Einrichtungen vor Ort aktiviert und unterstützt werden, neue Formate auszuprobieren. Ein wesentlicher Baustein von TRAFO ist es darüber hinaus, Allianzen zwischen Kulturinstitutionen, der Politik und Verwaltung aufzubauen und so gemeinsam an der kulturpolitischen Frage zu arbeiten, welche Rolle die Kulturorte für die Region übernehmen können und welche Förderstrukturen- und Instrumente es dafür braucht.
Beispiele für Entwicklungsprozesse von Kulturorten, gefördert durch TRAFO
Dafür ist es wichtig, einen Blick darauf zu richten, welche Bedeutung Kultureinrichtungen für die Identität der Regionen spielen und welche Aufgaben sie angesichts des demografischen Wandels und veränderter Kulturinteressen übernehmen. Einige Beispiele aus dem TRAFO-Programm sollen illustrieren, wie sich Kultureinrichtungen in ländlichen Regionen weiterentwickeln können.
- Museum: Eine Werkstatt für ländliche Kultur
Das Museum Altranft im brandenburgischen Oderbruch beispielsweise hat eine lange Tradition. Das Herrenhaus Altranft, gegenwärtig das zentrale Gebäude des Museums, beheimatete in den 1950 und 1960er Jahren den Kindergarten, die Schule, die Berufsschule, die Turnhalle, einen Jugendclub sowie Räume für Schachtuniere, Weihnachtsfeiern und Tanzabende. Die Geschichte des heutigen Oderbruch Museums Altranft begann dann Mitte der 1970er Jahre mit dem Aufbau eines Freilichtmuseums, das sich „als ein Museum in einem lebendigen Dorf in die gesamte Ortschaft Altranft hinein erstrecken sollte. Aufgabe war es, eine Bildungs- und Erholungsstätte zu sein, „welche die Veränderungen in der Lebensweise und Kultur der werktätigen Dorfbevölkerung in der östlichen Mark Brandenburg“ (Oderbruch Museum Altranft) darstellen sollte. Es bestand aus typischen Gebäuden der Region wie einem giebelständigen Mittelflurhaus, einem Fischerhaus oder einem Bauernhof. Allerdings blieb die Zielstellung unerreicht. Seit der Jahrtausendwende war das Museum daher immer wieder von der Schließung bedroht, bis es 2016 als „Oderbruch Museum Altranft – Werkstatt für ländliche Kultur“ mit neuem Konzept sowie abgestimmt mit dem Kreistag des Landkreises Märkisch-Oderland und der Stadtverordnetenversammlung Bad Freienwalde neu ausgerichtet wurde. Hat das Museum früher vornehmlich gutsherrschaftliche Interieure sowie bäuerliche Alltagsgegenstände, zum Beispiel Spaten und Rübenstecher, Nähmaschinen und Dampfkochtöpfe, Schränke und Radios, gesammelt und ausgestellt, so öffnet es sich heute für die Auseinandersetzung mit aktuellen Fragestellungen der Region (siehe Kenneth Anders „Es geht um Freiheit. Über die ländliche Kultur als Gegenstand öffentlicher Förderung und eine Kulturelle Bildung als Landschaftliche Bildung"). Im Gegensatz zu vielen regionalen Museen, die sich darauf konzentrieren müssen, ihre Sammlungen zu bewahren und zu vermitteln, geht es in Altranft verstärkt darum, den Diskurs mit den Menschen der Region zu suchen. Und das ist neu: gesammelt werden nicht nur Gegenstände und Fakten, sondern Geschichten des Oderbruchs, es werden Theaterstücke inszeniert, Kunstausstellungen kuratiert, politische Salons organisiert und Themen der Region – vom Wasser, zum Handwerk bis zur Landwirtschaft – diskutiert. Die Besucher*innen streuen ihre Kenntnisse, Erlebnisse und Erinnerungen ein und werden so im Museum sichtbar. Darüber hinaus baut das Museum ein Netzwerk mit den Heimatstuben und Dorfmuseen, kulturellen Initiativen und den Gemeinden der Region auf. In vielen Gesprächen und Kooperationsprojekten versucht es, ein gemeinsames Verständnis des kulturellen Erbes des Oderbruchs zu entwickeln und eine Sprache zu finden, dieses Erbe zu vermitteln. Gleichzeitig lädt es Schüler*innen und Lehrer*innen ein, um gemeinsam zu Themen der Region zu forschen. Die entstehenden Materialien werden so aufbereitet, dass sie auch andere Schulen nutzen können.
Insbesondere die Zusammenarbeit mit den umliegenden Schulen ist dem Museum wichtig. Die Museumsmacher haben daher ein Netzwerk für Landschaftliche Bildung ins Leben gerufen, das im Museum einen festen Ort hat. Derzeit besteht das Netzwerk aus acht Schulen und einem Kindergarten, die sich entschieden haben, ihre Bildungsarbeit stärker in Bezug zum Raum Oderbruch zu gestalten. Was aber ist mit landschaftlicher Bildung gemeint? „Landschaftliche Bildung möchte die verschiedenen Beziehungen zwischen einer Landschaft und dem Leben in ihr erfahrbar und beschreibbar machen, um jungen Menschen ihre aktive Rolle in diesem Zusammenspiel bewusst zu machen und sie in ihren Handlungsmöglichkeiten zu bestärken. In Kontakt zu den verschiedenen die Landschaft prägenden Akteur*innen entstehen Gespräche, künstlerische Projekte sowie Unterrichtsmaterialien, die ländliche Kultur im Oderbruch verhandeln.“ (vgl. Oderbruch Museum Altranft / Netzwerk landschaftliche Bildung) Bei dieser Zusammenarbeit geht es nicht um Pflichtbesuche, die jede Klasse einmal im Jahr absolviert. Stattdessen arbeiten die Schüler*innen mit den Sammlungsgegenständen, mit Grafiken, Texten und Tönen und schreiben so ihre ganz eigenen Erzählungen über die Landschaft und hinein ins Oderbruch Museum.
- Theater: Ein Resonanzraum für ländliche Themen
Will man wissen, wie ein kleines Theater im ländlichen Raum funktioniert, dann sollte man nach Melchingen fahren. Melchingen hat etwas über 900 Einwohner*innen und liegt 70 Kilometer entfernt von Stuttgart. Mittendrin in diesem kleinen Ort auf der Schwäbischen Alb steht das Theater Lindenhof. Vor über 35 Jahren wurde es von einer Schüler*innengruppe gegründet. Ihr Ziel: Theater zu machen für die Menschen der Region. Das Theater hat sich seit seinem Bestehen stetig weiterentwickelt, zahlreiche Gastspiele in der Umgebung organisiert und ist Kooperationen mit verschiedenen Gemeinden eingegangen, mit denen sie Stoffe entwickeln und umsetzen. Das Theater Lindenhof denkt Theater nicht als einen Ort, an dem sechs Tage die Woche verschiedene Stücke gespielt werden, sondern entwickelt sich mit neuen Angeboten und Formaten stetig weiter. Seine Theaterexperimentierclubs beispielsweise richten sich an unterschiedliche Altersgruppen und finden an drei Standorten in unterschiedlichen Gemeinden statt. So werden auch die Theaterinteressierten angesprochen, die nicht in Melchingen wohnen. Jeweils einmal in der Woche treffen sich die Clubs im Theater Lindenhof, in einer umliegenden Schule und in einem Gemeindehaus. Jugendliche und Erwachsene haben dort die Möglichkeit, das Theater als Spielfeld kennenzulernen und sich darin auszuprobieren. Unter professioneller Anleitung experimentieren die Gruppen mit unterschiedlichen Themen und Spielformen und loten für sich die Frage aus, was Theater alles sein und wo es überall stattfinden kann.
Ein weiteres Angebot des Theater Lindenhof ist das sogenannte Wohnzimmertheater. Das Künstlerduomarks&schlekerhat zusammen mit dem Schauspieler Franz Xaver Ott das Stück „Lachen“ entwickelt. Die Bewohner*innen der Schwäbischen Alb haben die Möglichkeit, dieses Stück zu sich nach Hause einzuladen. Die Gastgeber*innen der Veranstaltung öffnen ihr privates Wohnzimmer, kümmern sich um die Einladungen und das Rahmenprogramm des Abends und übernehmen damit selbst einen Teil der Produktion. Gleichzeitig ermöglicht dieses Format dem Theater, auch an kleineren Orten auf der Schwäbischen Alb zu Gast zu sein und direkt in Kontakt mit seinem Publikum zu treten.
Der mobile Postkasten wiederum ist eine weitere Möglichkeit des Theaters, um mit den Menschen aus der Region in Kontakt zu treten. Der Postkasten des Theater Lindenhof ist begehbar. Wer ihn betritt, wird mit einem kurzen Film vom Intendanten des Theaters Lindenhof Stefan Hallmayer begrüßt und gebeten, seine Nachricht zu hinterlassen. Die eingehende Post bearbeitet das Theater in unterschiedlichen Formen, schriftlich oder theatral als Aktion auf der Bühne. Mal steht der Kasten im Theaterfoyer, mal mitten in Melchingen oder in einem Rathaus einer benachbarten Gemeinde.
Neben diesen theatralen Formen reagiert das Theater aber auch bewusst auf die Veränderungen, mit denen sich der Ort und die Region auseinandersetzen. Beispielsweise hat Melchingen seit vielen Jahren keinen Frisör mehr. Da die Theatergarderobe tagsüber leer steht, wird sie nun dienstags für einige Stunden umfunktioniert. Aus der Garderobe wird dann ein Frisörsalon, in dem sich die Melchinger die Haare schneiden lassen können. Nebenbei erzählen sie dem Frisör ihre Geschichten, die das Theater wiederum in seine Stücke einfließen lässt.
Mit seinen vielfältigen mobilen Angeboten öffnet sich das Theater für die Menschen und ihre Geschichten, die so ein Zuhause im Theater Lindenhof finden. Oder wie es Stefan Hallmayer sagt: „… was wir auch in die Hand nehmen, wir erfinden es nicht in unserem Kämmerlein, sondern in einer ständigen Auseinandersetzung mit Land und Leuten. Das ist unser Weg. Ein Weg für unser Theater, ein Weg für Melchingen, ein Weg für die Region Neckar-Alb. Ein Modell? Übertragbar? Vielleicht, auf jeden Fall aber eine Geschichte aus einem Dorf, die sich der Behauptung des grundsätzlich Defizitären des ländlichen Raums widersetzt. Eine Geschichte, die auffordert, die Chancen der örtlichen Gegebenheiten aufzusuchen, und zur spezifischen Ausrichtung und eigenwilliger Zukunftsgestaltung motiviert.“ (Stefan Hallmayer 2017)
- Kulturverein: Ein mobiles Atelier fürs Land
Im Jahr 2013 hat sich auf der Schwäbischen Alb das inter!m Festival gegründet. Alle zwei bis drei Jahre bespielt es unterschiedliche Gemeinden mit zeitgenössischer Kunst. Gemeinsam mit den Bewohner*innen der Gemeinden sollte ein Ort geschaffen werden, an dem die Menschen aus der Region mit unterschiedlichen Künstler*innen aller Sparten zusammenkommen: sei es in Form eines Chores, eines Kunstprojekts oder in Erzählcafés. Aus dieser Arbeit hat sich dann die Idee entwickelt, auch zwischen den Festivals Angebote zu entwickeln. Gemeinsam mit Schulen, Bürger*innen und Kulturakteur*innen entwickelt der Verein mehrere kontextuelle und partizipative Projekte auf der Schwäbischen Alb. So wurden beispielsweise das inter!m-Mobil und das Museum der Kinder ins Leben gerufen.
Das umgebaute mobile Atelier, ausgestattet mit Farben, Pinseln, Papier, Materialien, fährt seit 2017 die Gemeinden der Schwäbischen Alb an, nimmt dort Kontakt zu Schulen, Vereinen und Bürgermeister*innen auf und bietet so einen Ort, künstlerisch tätig zu werden. Unter dem Motto „Heimatsuche“ wird Kindern und Jugendlichen Lust auf kreatives Arbeiten gemacht und werden sie dazu ermutigt, die eigene Herkunft spielerisch zu hinterfragen. Die Ergebnisse ihrer künstlerischen Arbeiten zum Thema Heimat werden dann in der Geschäftsstelle der inter!m – Kulturhandlungen in Münsingen präsentiert. Mit dem „Museum der Kinder“ wiederum hat inter!m ein Kunstprojekt für die Schulen und Kindergärten der drei Heidengrabengemeinden Grabenstetten, Hülben und Erkenbrechtsweiler initiiert. In Kooperation mit einer externen Museumspädagogin, den Pädagog*innen der beteiligten Schulen und Kindergärten sowie der örtlichen Jugendwerkstatt wurde eine Ausstellung erarbeitet, für die der Architekt Peter Hübner eigens mobile Vitrinen entwickelt hat. Die ersten Exponate standen unter dem Titel „GesuchtGefunden“. Die beteiligten Kinder und Schüler*innen sammelten Fundstücke aus der Region, die erstmals während des inter!m-Festivals im September 2017 in der Gemeinde Hülben ausgestellt wurden. In den kommenden Jahren soll das „Museum der Kinder“ Plattform für weitere Ausstellungen an anderen Standorten innerhalb der Region sein. inter!m überlässt dafür die mobilen Vitrinen den Gemeinden.
Kulturarbeit im Verbund
Diese Beispiele zeigen, welche Rolle Kultureinrichtungen in ländlichen Regionen spielen, welche neuen Aufgaben und damit zum Teil auch neue Funktionen übernommen werden können. Kultureinrichtungen haben das Potential, auf Fragen der Region einzugehen und sie in ihren Stücken, Ausstellungen und Sammlungen zu thematisieren. Darüber hinaus können sie etwas von der Geschichte ihrer Region vermitteln und Orte der Identität schaffen. Dies funktioniert aber nur, wenn sie sich öffnen und mit den Akteuren ihrer Region zusammenarbeiten: mit Schulen, Vereinen und Netzwerkstellen. Denn dort, wo es nur wenige kulturelle Bildungsangebote gibt, ist es umso wichtiger, gemeinsame Strategien für das Kulturangebot der Region zu entwickeln.
- Schulen als Partner
Vor allem Schulen sind dabei wichtige Partner. Sie sind die Schaltstellen zur Kulturellen Bildung auch außerhalb ihrer Gemeinden oder Kommunen. Schulen fungieren daher oftmals als Kulturorte, leisten musikalische Basisarbeit in Schulchören, -orchestern oder -theatergruppen. „Schulen können […] eine wichtige Funktion als regionaler Kulturort einnehmen. Sie sind etablierte zentrale Orte mit räumlichen und personellen Ressourcen und agieren in regionalen Netzwerken. Ein Zusammenspiel von Bildung und Regionskultur in der Schule bewirkt bei Kindern, Eltern und Schulvertretern das Ausprägen eines regionalen kulturellen Bewusstseins, wirkt also identitätsstiftend. Das Etablieren von Schulen als regionale Bildungs- und Kulturorte wäre demnach in vielerlei Hinsicht sinnvoll und gewinnbringend.“ (Papenhagen 2015) Doch braucht es dafür ein grundsätzliches Verständnis für die besonderen Bedingungen Kultureller Bildung, die Offenheit, Neues auszuprobieren und die Bereitschaft, mit Künstler*innen, Kultureinrichtungen und Vereinen zusammenzuarbeiten. Insbesondere für Schulen ist dies nicht immer zu leisten, fehlt doch oftmals das Personal und die Zeit, Kooperationen mit umliegenden Einrichtungen aufzubauen, Zeitfenster im Stundenplan zu finden oder Gelder zu akquirieren, um beispielsweise Künstler*innen oder Theaterpädagog*innen zu engagieren. Gerade aber das sind wichtige Faktoren, um kulturelle Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche in ländlich geprägten Regionen anzubieten.
- Regionale Netzwerkstellen schaffen
Hilfreich sind da sogenannte Netzwerkstellen. Viele Regionen haben Kulturentwicklungsprozesse durchgeführt, um gemeinsam mit der Politik, Verwaltung, den Kultureinrichtungen sowie der Bevölkerung zu klären, wie das zukünftige Kulturangebot ihrer Region aussehen und organisiert werden soll. Aus vielen dieser Prozesse sind regionale Netzwerkstellen entstanden, die das Kulturangebot vor Ort bündeln, Wissen vermitteln, Kontakte herstellen und zum Teil auch selber Projekte initiieren. Das Ziel vieler regionaler Netzwerke ist die Umsetzung vielfältiger Kulturangebote vor Ort, die Beratung bei der Antragstellung zur Einwerbung von Projektmitteln, die Qualifizierung beteiligter hauptamtlicher und ehrenamtlicher Akteur*innen, u.a. im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, sowie die grundsätzliche Sensibilisierung für die wichtige Rolle von Kultur in ländlich geprägten Kommunen (siehe: Maria Rammelmeier „Regionales Kulturmanagement: die Bedeutung professionell organisierter Kulturarbeit...").
Im Kulturraum Vogtland/Zwickau beispielsweise liegt der besondere Wert des Netzwerks für Kulturelle Bildung (https://kulturraum-vogtland-zwickau.de/Netzwerk_Kulturelle_Bildung) auf der Erprobung und Implementierung eigener kultureller Bildungsmodelle. Das Netzwerk verfügt über ein eigenes Budget und kann Ideen umsetzen, die es im Hinblick auf die Bedarfe vor Ort konzipiert. Ziel ist es, Kulturelle Bildung in den Regionen zu stärken, Kooperationen zu fördern und Impulse für die Arbeit vor Ort zu geben. Dabei engagiert sich das Netzwerk ressortübergreifend im Kultur-, Bildungs- sowie Jugend-/Sozialbereich und führt über verschiedene Programme und Angebote unterschiedliche Akteure zusammen.
Beim Forum Ländlicher Raum – Netzwerk Brandenburg wiederum liegt der Fokus mehr auf Weiterbildungsangeboten für bereits bestehende kleinere regionale Netzwerke. Das Netzwerk führt Wissen zusammen und ermöglicht damit vor allem ehrenamtlichen Akteure*innen und Vereinen, an einer gemeinsamen regionalen Strategie zu arbeiten und sich gegenseitig mit guten Erfahrungen zu unterstützen. Das Netzwerk organisiert Weiterbildungen zu verschiedenen Fachthemen in der Dorf- und Regionalentwicklung und bietet Unterstützung zur Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, die Themen und Interessen im ländlichen Raum zu artikulieren. Solche Netzwerkstrukturen sind insbesondere für Kulturvereine nützlich, denn sie sind wichtige Träger und Vermittler kultureller Identitäten eines Ortes und einer Region: „Wird der Begriff der kulturellen Bildung bezogen auf die jeweilige Bildung in Bezug auf die historisch gewachsene Regionalkultur, so sind die Teilhabemöglichkeiten im Sinne echter Partizipation auf dem Lande ausgesprochen vielfältig, gerade dort, wo eine lebendige Breiten- oder Soziokulturszene vorhanden ist. Kulturelle Bildung geschieht in den Posaunenchören, Volkstanzgruppen, im mundartlichen Amateurtheater, in der ländlichen Rockbandszene und vielen anderen Formen ländlicher Kulturarbeit mit enormer Beteiligungsorientierung.“ (Institut für Kulturpolitik 2015: 50)
Viele dieser Kulturvereine haben jedoch zunehmend mit Überalterung und Mitgliederschwund zu kämpfen und ringen um ihren eigenen Fortbestand. Viele stellen sich daher die Frage, wie sie sich neu aufstellen können, um insbesondere wieder mehr junge Menschen für ihre Angebote zu interessieren. Dies sind oftmals langwierige Veränderungsprozesse: Nicht nur stellt sich die Frage nach dem Selbstverständnis und der Zukunftsfähigkeit des jeweiligen Vereins, sondern auch danach, wie die Vereine sich so professionalisieren können, dass sie zeitgemäße Vereins- und Vermittlungsarbeit unterbreiten und wieder mehr Kinder und Jugendliche für ihre Arbeit interessieren können (siehe hierzu auch M. Laurisch (2018) oder L. Overbeck (2018) auf kubi-online.de).
Fazit
Jede Region hat ihre ganz eigenen Themen und Geschichten, ihr ganz eigenes kulturelles Erbe, das es wert ist, sichtbar gemacht und vermittelt zu werden. Kultur- und Bildungseinrichtungen sind dafür wichtige Orte der Begegnung, Orte der Identität. Bei der Sicherung der Kulturlandschaft ländlicher Räume sollte sich nicht an urbanen Standards, Kunstrichtungen oder Vermittlungsformaten orientiert werden, sondern stärker darauf geschaut werden, welche Entwicklungspotenziale und spezifischen Bedürfnissen in den Regionen vorherrschen, um lokale und regionale Kulturarbeit zu erhalten und weiterzuentwickeln.
Sicher, die Themen Mobilität und Vielfalt scheinen auf den ersten Blick die Kulturelle Bildung im ländlichen Raum maßgeblich zu bestimmen. Die oben genannten Beispiele zeigen jedoch, dass es möglich ist auch dort Kultur anzubieten, wo scheinbar wenig ist. Diese „LandkulturPerlen“, wie sich ein Projekt in Hessen nennt, müssen sichtbar gemacht und von den Regionen selbstbewusst eingefordert werden. Dafür müssen die Akteur*innen, egal ob es Schulen, Vereine oder Kultureinrichtungen sind, gestärkt werden und es braucht ein Fördersystem, das sich den regionalen Voraussetzungen anpasst. „Dort, wo nicht auf die Fülle urbaner Angebote zurückgegriffen werden kann, ist an erster Stelle der Aufbau einer langfristigen, kontinuierlichen und nachhaltigen Grundversorgung wichtig, die künstlerische Angebote gewährleistet und die kulturelle Infrastruktur aufrechterhält.“ (Koß 2017: 267) Dazu gehören personelle Ressourcen für Vernetzungsarbeit, ausgebildetes Personal für die Kulturvermittlung, Stärkung und Professionalisierung von ehrenamtlichen Strukturen, Investitionen in veraltete Einrichtungen, die Entwicklung neuer Ideen für bestehende öffentliche Kultureinrichtungen und der Aufbau von Allianzen zwischen Kultur, Verwaltung und Politik. Dafür braucht es aber auch kommunale Kulturverwaltungen, die die Entwicklungen und Potenziale in ihrer Region erkennen, wahrnehmen und durch Beratung, Bereitstellung von Infrastruktur und finanzielle Förderung unterstützen. Das alles erfordert ein Umdenken in der Förderpolitik, ein neues Verständnis der Raumordnung und neue regionale Verantwortlichkeiten. Vor allem aber braucht es eine kulturpolitische Vision, die gemeinsam mit den Akteuren vor Ort auszuhandeln ist.