Kulturelle Bildung in der Musiklehrer*innenbildung am Beispiel des KulturCampus Wuppertal
Abstract
Wenngleich Kulturelle Bildung in schulischen Kontexten an Bedeutung gewinnt, scheinen die hieraus erwachsenen Gestaltungsspielräume bisher nicht hinreichend in der Musiklehrer*innenbildung thematisiert zu werden. In diesem Beitrag wird daher danach gefragt, wie zukünftige Musiklehrer*innen für die Möglichkeiten, die sich im Bereich der Kulturellen Bildung in schulischen Kontexten für sie ergeben, sensibilisiert und qualifiziert werden können. Hierfür werden zunächst Bedeutung und Ausprägung von Kultureller Bildung in der Schule mit Blick auf den Musikunterricht erläutert. Im Anschluss wird am Beispiel des Lehr-/Lernkonzepts KulturCampus Wuppertal dargestellt, wie (Musik-)Studierende für Gestaltungsmöglichkeiten in der Kulturellen Bildung sensibilisiert werden und sich durch die Entwicklung und Durchführung eigener Projekte als kulturprägend erfahren können.
Einleitung
Das Arbeitsfeld der Kulturellen Bildung ist in den vergangenen Jahren verstärkt in den Fokus von Forschung und Praxis geraten (siehe hierzu insbesondere die vom Rat für kulturelle Bildung geförderten Forschungsvorhaben sowie die vielfältigen Programme wie z.B. „Kultur.Forscher!“, „Kulturagenten für kreative Schulen“, „Kultur macht stark“). Auffällig ist hier die Bedeutung, die Kulturelle Bildung in Verbindung mit schulischen Kontexten erfährt und auf vielfältige Weise in diese hineinwirkt (z.B. durch Kooperationen mit außerschulischen Trägern im Ganztag oder durch explorative Unterrichtsformen). So ist „Kulturelle Bildung“ inzwischen in vielen Curricula der einzelnen Bundesländer als eine der schulischen Querschnittsaufgaben verankert worden, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung und Deutlichkeit (siehe hierzu Bieber 2016:281). Die Zusammenarbeit mit außerschulischen Akteuren und Institutionen erfährt auch im Zusammenhang mit Schulentwicklung ein besonderes Gewicht (KMK 2000). So verwundert es nicht, dass seit der Jahrtausendwende viele Programme von Ministerien und Stiftungen ins Leben gerufen wurden, die gezielt die Zusammenarbeit von Schulen und Akteuren der Kulturellen Bildung fördern sollen (vgl. Voit 2018:7). Die Tatsache, dass solche Kooperationen keine automatischen Erfolgsgaranten sind, wird nicht zuletzt durch die Andersartigkeit der hieran beteiligten Systeme (z.B. in Bezug auf unterschiedliche Zielsetzungen und Funktionsweisen) offensichtlich. Studien belegen hier, dass es für das funktionierende Zusammenspiel von Schulen und außerschulischen Partnern (z.B. Musikschule oder Konzerthaus) vor allem einer gelingenden Kommunikation in Form präziser Absprachen über Ziele und Zuständigkeiten zwischen den an der Kooperation beteiligten Akteuren bedarf (Kulin/Schwippert/Rieckmann:211, Voit 2019:14). Weiterhin sollten alle an der Kooperation beteiligten Akteure die Möglichkeit bekommen, sich mit ihren jeweiligen Stärken und Kompetenzen in die Projektarbeit einzubringen (Voit 2019:15).
Von den vielen Studien und Publikationen, die sich mit Kultureller Bildung in der Schule auseinandersetzen, setzt sich ein großer Teil mit der Perspektive der außerschulischen Projektpartner*innen auseinander und erarbeitet Qualitätskriterien für eine gelungene Zusammenarbeit (z.B. Wimmer 2010, Voit 2019:15, Oberschmidt 2018). Auch die kulturelle Schulentwicklung stellt einen Themenbereich dar, der in vielen Publikationen weiterentwickelt und diskutiert wird (z.B. Fuchs/Braun 2018 und 2015/16, Braun et al. 2017 und 2013, Fuchs/Bösel-Fuchs 2017, Fuchs 2012, Braun/Fuchs/Kelb 2010, Kelb 2010). Wenig Beachtung wird bisher der Frage geschenkt, wie Kulturelle Bildung sinnvoll in die (Musik-)lehrer*innenbildung eingebunden werden kann. Ein deutliches Zeichen setzt hier indessen die Universität Marburg mit ihrem Weiterbildungsmaster „Kulturelle Bildung an Schulen“ und laufenden Forschungsprojekten (z.B. das von Christian Kammler initiierte und durch die PwC Stiftung geförderte Projekt „Ästhetische Forschung als Teil nachhaltiger kultureller Schulentwicklung“).
Die Frage danach, wie zukünftige Musiklehrkräfte für die hiermit einhergehenden Veränderungen und neu aufkommenden Gestaltungsspielräume bereits in ihrem Studium sensibilisiert und qualifiziert werden können, soll in diesem Beitrag am Beispiel des Lehr-/Lernkonzepts KulturCampus Wuppertal dargestellt werden. Hierbei werden zunächst Bedeutung und Ausprägung von Kultureller Bildung in der Schule mit Blick auf den Musikunterricht aufgezeigt. Im Anschluss wird am Beispiel des KulturCampus Wuppertal beschrieben, wie (Musik-)Studierende für Gestaltungsmöglichkeiten in der Kulturellen Bildung sensibilisiert werden und sich durch die Entwicklung und Durchführung eigener Projekte als kulturprägend erfahren.
Kulturelle Bildung in der Schule
Bedeutung des Begriffs
Der Begriff der Kulturellen Bildung ist nicht einfach zu fassen. Dies liegt unter anderem daran, dass die Vorstellungen über Inhalt, Methoden und Zielsetzungen teilweise weit auseinandergehen (siehe hierzu Stute/Wibbing (2014) „Kulturelle Bildung als Baustein der Unterrichtsentwicklung"). Dennoch kristallisieren sich einige übergreifende Aspekte heraus, in der die Vielfalt von Kultureller Bildung abgebildet wird und die auch grundlegend für das Begriffsverständnis in diesem Beitrag sind. So beschreibt der Begriff einerseits Gestaltungs-, Ausdrucks- und Aufführungsaktivitäten (zumeist in Verbindung mit Musik, Literatur sowie mit Bildender und Darstellender Kunst), andererseits die Rezeption und Reflexion ästhetischer Ausdrucksformen und schließlich soziale und kulturelle Umgebungen, die als Kontexte mit reflektiert und ggf. verändert werden können (Hill/Richter 2017). Im Sinne einer Bildung zur kulturellen Teilhabe, d.h. zur Partizipation am künstlerisch-kulturellen Geschehen einer Gesellschaft (siehe hierzu Ermert 2009) strebt Kulturelle Bildung danach, Menschen zu befähigen, sich als kulturprägend (und damit einhergehend auch als kulturgeprägt) zu erfahren und hierbei ihre soziale und kulturelle Umgebung verantwortungsvoll zu gestalten. Dieser „Lern- und Auseinandersetzungsprozess des Menschen mit sich, seiner Umwelt und der Gesellschaft im Medium der Künste und ihrer Hervorbringungen“ (ebd.) ist ferner geprägt durch Ganzheitlichkeit, Selbstwirksamkeit, ästhetische und künstlerische Erfahrung, Stärkenorientierung- und Interessenorientierung, Partizipation, Erleben von Vielfalt und andere Prinzipien (siehe hierzu die Grundprinzipien Kultureller Bildung der BKJ). Während Kulturelle Bildung im außerschulischen Bereich immer nur bestimmte Bevölkerungsteile erreicht, kann sie im schulischen Kontext eine intensivere und breitere Wirkung erfahren, da hier aufgrund der allgemeinen Schulpflicht zumindest theoretisch alle Schüler*innen erreicht werden. Insbesondere für Kinder und Jugendliche aus bildungsbenachteiligten Familien, die in der Regel mangels finanzieller Ressourcen keine Möglichkeit haben, kulturelle Angebote wie z.B. die Musikschule zu nutzen, bieten Programme wie z.B. „JeKits – Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“ erste Begegnungsmöglichkeiten mit Musik, deren Nachhaltigkeit in Bezug auf diese Zielgruppen jedoch von diversen weitergehenden Unterstützungsmaßnahmen abhängig und daher auch kritisch zu hinterfragen sind. Schließlich können sich Schulen ein kulturelles Profil geben und den Lernort Schule als ästhetischen Erfahrungsraum gestalten und Schülerinnen und Schülern sowie Lehrenden z.B. durch verstärktes ganzheitliches und fächerübergreifendes Lernen ästhetische Erfahrungen machen lassen.
Curriculare Verankerung
Im Fach Musik wird Kulturelle Bildung auf verschiedenen Ebenen sichtbar:
- im Unterricht selbst,
- in (freiwilligen) Arbeitsgemeinschaften (wie z.B. Chor, Orchester, Band),
- im Aufsuchen außerschulischer Lernorte,
- in Kooperationen mit außerschulischen Kultur- und Kunsteinrichtungen und
- in interdisziplinären Vorhaben zwischen künstlerischen und nicht-künstlerischen Fächern (siehe hierzu Stute/Wibbing 2014).
Im Gegensatz zu den ersten beiden eher traditionellen Formen von Kultureller Bildung in der Schule repräsentieren die letzten drei ein in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnendes Arbeitsfeld, das auch auf curricularer Ebene als Querschnittsaufgabe von Schule eingefordert wird. So wird im Fach Musik in fast allen Lehr- und Bildungsplänen die Bedeutung der Zusammenarbeit mit außerschulischen Kooperationspartnern aus den verschiedensten Bereichen und das Aufsuchen von außerschulischen kulturellen Lernorten hervorgehoben (siehe hierzu exemplarisch den Rahmenlehrplan Musik in den Jahrgangsstufen 1-10 für Berlin und Brandenburg in SenBJW/MBJ 2015:4). Ferner wird Kulturelle Bildung in den Fachanforderungen für das Fach Musik SEK I und SEK II Schleswig-Holstein unter den Aufgabenfeldern von besonderer Bedeutung aufgeführt.
„Kulturelle Bildung: Kulturelle Bildung ist unverzichtbarer Teil der ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung, die den Einzelnen zur Mitgestaltung gesellschaftlicher Prozesse befähigt. Der Zusammenarbeit mit professionellen Künstlerinnen, Künstlern und Kulturschaffenden kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu.“ (MBK Schleswig-Holstein 2015:9)
Durch diese Öffnung von Schule hin zu außerschulischen Partnern, Lernorten etc. sollen vielfältige Gelegenheiten geschaffen werden, in denen Schüler*innen Kultur erleben und entdecken und an ihr teilhaben können und letztendlich die Zugänge zu Kultur verbessert und erweitert werden.
Gestaltungsmöglichkeiten
Die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich in der Umsetzung dieser curricular verankerten Forderungen für Musiklehrkräfte ergeben, sind vielfältig. Sie reichen von eher traditionellen Unterrichtsmodellen mit alleiniger Unterrichtsführung bis hin zu offenen, explorativen und kooperativen Unterrichtsformen, die sich außerschulischen Partnern und Lernorten öffnen. Sichtbar werden diese auf den Ebenen von Musikunterricht, offenem und gebundenem Ganztag und schließlich von kultureller Schulentwicklung.
Wenngleich die länderspezifischen Curricula Rahmenbedingungen für den Musikunterricht in den einzelnen Klassenstufen und Schultypen vorgeben, so lassen diese Vorgaben dennoch Spielräume hinsichtlich der Ausgestaltung des Musikunterrichts erkennen. Im Gegensatz zu den ehemaligen inhaltsspezifischen Lehrplänen lassen die nun kompetenzorientierten Lehr- und Bildungspläne mehr Freiheiten in der methodischen und didaktischen Umsetzung der Kompetenzerwartungen zu (vgl. Stute/Wibbing 2014:15). Dies wird am Kerncurriculum Musik für die Sekundarstufe I des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen besonders deutlich, in dem die drei Kompetenzbereiche Produktion, Reflexion und Rezeption viel Interpretationsspielraum in Bezug auf die darunterfallenden musikbezogenen Handlungsweisen ermöglichen. So umschließt beispielsweise der Kompetenzbereich Produktion sowohl Klassenmusizieren und Singen als auch Improvisieren, Komponieren und Arrangieren. Hierdurch werden vielfältige Schwerpunktsetzungen in der Unterrichtsgestaltung ermöglicht.
Ferner eröffnen sich in der inhaltlichen Konzeption und Koordination des außerunterrichtlichen Ganztagsbereichs neue Möglichkeiten für Musiklehrer*innen, diesen nicht nur als additives Angebot wahrzunehmen, sondern auch in der eigenen Unterrichtsgestaltung nach sinnvollen Synergien zu suchen. Bisher liegt die Auswahl von Kooperationspartnern an erster Stelle in den Händen der Schulleitung und ist vor allem durch das Kriterium „Verfügbarkeit“ bestimmt (siehe die diesbezügliche Studie in: Rat für kulturelle Bildung 2017:11). Durch eine stärkere Einbindung von Musiklehrer*innen in den Auswahlprozess wäre dieser vermutlich eher von pädagogischen und künstlerischen Kriterien bestimmt, was sich wiederum auf die Qualität der Angebote auswirken würde. Ferner würde die bisherige Fokussierung auf etablierte Institutionen wie die Musikschule eine Erweiterung auch auf Einzelakteure aus der freien Kulturszene erfahren. Außerdem können Musiklehrer*innen durch ihren Einblick in unterrichtliche Strukturen und Vorgaben Querverbindungen zu einzelnen Fächern und dort unterrichtenden Kolleg*innen herstellen und den Ganztag in der Unterrichtsplanung und -gestaltung berücksichtigen.
Schließlich stellt auch die kulturelle Schulentwicklung einen zukunftsweisenden Bereich dar, in den sich Musiklehrer*innen mit ihrer Expertise einbringen und hierdurch als kulturelle Akteure in Erscheinung treten können. In Anlehnung an das Modell der Kulturschule (siehe vor allem die zahlreichen diesbezüglichen Publikationen von Max Fuchs) geht es hier vor allem um das Einbeziehen ästhetisch-künstlerischer Methoden in allen Unterrichtsfächern sowie um Kooperationen sowohl mit Künstler*innen als auch mit den Kolleg*innen der anderen Fächer (entsprechende Modelle liegen vor bei Fuchs/Braun 2018).
Kulturelle Bildung in der Musiklehrer*innenbildung am Beispiel des KulturCampus Wuppertal
Um die sich im Zusammenhang von Kultureller Bildung bietenden Gestaltungsmöglichkeiten zu erkennen und diese im Sinne aller am Schulgeschehen Beteiligten in sinnvolle Projekte und Strukturen umzuwandeln, sollten Musikstudierende im Rahmen ihres Studiums auch Einblicke in die Gestaltungsfelder von Kultureller Bildung bekommen und hierbei erfahren, wie sie ihre eigenen Potenziale im Gesamtkontext von Kultureller Bildung zur Entfaltung bringen können. Das universitäre Lehr-/Lernprojekt KulturCampus Wuppertal knüpft genau an dieses Desiderat an und gibt Studierenden die Möglichkeit, eigene Projekte in der Kulturellen Bildung zu entwickeln und durchzuführen. Nach einer Skizzierung des Lehr-/Lernkonzepts wird am Beispiel des Projekts „KulTour“ aufgezeigt, wie die beiden Projektleiter*innen die einzelnen Schritte und Herausforderungen in der Entwicklung und Durchführung ihrer Projekte bewältigen und dieses (im Hinblick auf zukünftige Projekte) reflektieren. Die Darstellung stützt sich auf folgende Daten(typen), die im Rahmen eines Mixed-Methods-Designs erhoben und inhaltsanalytisch ausgewertet wurden (Mayring 2015):
- Regelmäßiger mündlicher Austausch mit Feedback- und Reflexionsschleifen im Seminar und individuelle sowie teilnehmende Beobachtung der Entwicklung der Teilnehmer*innen,
- Dokumente in Bezug auf Projektentwicklung, -durchführung und -evaluation (z.B. Projektberichte der Teilnehmer*innen);
- Schriftliche Befragungen in Bezug auf das Einführungsseminar und die Projektdurchführung und -evaluation.
Lehr-/Lerndesign
Der KulturCampus Wuppertal ist eine zweisemestrige universitäre Lehrveranstaltung an der Bergischen Universität Wuppertal, die 2016 von Annette Ziegenmeyer (Hochschuldozentin im Fach Musikpädagogik) und Björn Krüger (selbstständiger Musiker und Musikpädagoge) ins Leben gerufen wurde. Ursprünglich im Wahlpflichtbereich der Musikpädagogik angeboten, steht das gesamte Modul ab dem Wintersemester 2019/2020 auch Studierenden aus den anderen Fakultäten offen, wodurch interessante Synergieeffekte zu erwarten sind. Die Kooperation zwischen Ziegenmeyer und Krüger als Vertreter*innen jeweils ihres Arbeitsbereichs („Universität“ und „freie Kulturszene“) bildet die Grundlage für die Arbeit im KulturCampus Wuppertal: Die Erweiterung der eigenen Perspektive durch das Kennenlernen und den Austausch mit Akteuren und Institutionen aus Stadt und Region, die als potentielle Partner*innen im Zusammenhang von Kultureller Bildung interessant erscheinen. Die hier auf ideale Weise verbundene Expertise aus beiden Systemen trägt zu einer hohen Authentizität der Seminarinhalte und deren Transfer in die Praxis (hier: Projektdurchführung) bei.
Im KulturCampus Wuppertal bekommen Studierende die Möglichkeit, eigene kulturelle Projekte zu entwickeln und diese in einem selbstgewählten Setting eigenverantwortlich durchzuführen. Hierbei durchlaufen sie alle Schritte der kulturellen Projektarbeit selbst (wie z. B. Antragstellung, Kostenkalkulation, Fördermöglichkeiten und Vernetzungsstrategien) und erweitern ihren fachlichen Fokus hin zu einer Perspektive, die die Vielfalt von Kultureller Bildung bewusst in den Blick nimmt. Das zweisemestrige Modul setzt sich aus einem Einführungskurs und einem Kolloquium mit individueller Beratung zur Projektdurchführung zusammen und wird mit einem Zertifikat „KulturCampus Wuppertal: Projektarbeit in der Kulturellen Bildung“ abgeschlossen.
Im Einführungskurs werden die Studierenden für die Vielfalt kultureller Teilhabe und Mitgestaltung in Bezug auf die lokale und regionale Kulturszene sensibilisiert. In Form eines kurzen informellen Austausches zu Beginn jeder Sitzung informieren sie sich gegenseitig über kulturelle Veranstaltungen, die sie entweder besucht haben oder weiterempfehlen. Die hier entstehende Vielfalt eröffnet die Möglichkeit neue kulturelle Felder zu erschließen. Weiterhin wird die kulturelle Infrastruktur Wuppertals einerseits in Bezug auf Besonderheiten und andererseits in Bezug auf vorhandene Leerstellen und Bedarfsfelder untersucht. Diese Bewusstmachung dient gleichermaßen als Vorbereitung für die Findung einer eigenen Projektidee, die vorhandene Strukturen, Ressourcen und/oder Bedarfsfelder nicht unberücksichtigt lassen sollte. In der sich anschließenden Projektentwicklungsphase entwickeln die Teilnehmer*innen eigenen Ideen für ein kulturelles Projekt, die sie dann – entweder allein oder im Team – zu einem realistischen Projektdesign formen. Dieser lernintensive Prozess enthält in der Regel viele Schleifen des kritischen Reflektierens, systematischen Strukturierens und Variierens und Veränderns der Ausgangsideen. Es werden verschiedene Schritte von Projektentwicklung durchlaufen und von den Studierenden am eigenen Beispiel erfahren. So dient eine chronologische Aufstellung der zu erledigenden Aufgaben dazu, das Projekt in realistische Teilschritte zu operationalisieren und hiermit einhergehend eine klarere Vorstellung über Dimensionierung und Umsetzbarkeit zu bekommen. In der Regel treten hierbei Fragen und Problemstellungen auf, die es gemeinsam und individuell zu klären und zu lösen gilt. Schließlich müssen die Studierenden unterschiedliche Kooperationspartner und/oder Förderer finden und sich somit ein erstes (kulturelles) Netzwerk an Kontakten aufbauen. Diese Tätigkeit erfordert ein hohes Maß an Kommunikations- und Überzeugungsfähigkeit, zumal die Studierenden hier in der Regel auf etablierte Akteure treffen, die bereits über mehr Erfahrung verfügen als sie und daher nicht immer leicht zu überzeugen sind. Um die einzelnen Projektleiter*innen auf diese Herausforderung vorzubereiten, werden im Seminar Gespräche mit potentiellen Förderern simuliert. Das Feedback, das die jeweils Präsentierenden nicht nur während dieser Simulationen, sondern auch in unterschiedlichen Formaten (Plenum, Gruppen, individuell) in den Phasen der Projektentwicklung und -durchführung erhalten, ist schließlich von hohem Wert für die erfolgreiche Umsetzung (Die Aspekte „Feedback“ und „Austausch“ wurden sowohl mündlich als auch schriftlich als besondere Qualitätskriterien des Seminars hervorgehoben).
Durchführung und Evaluation der einzelnen Projekte erfolgen idealerweise im Folgesemester (oder in Anlehnung an entsprechende Förderdaten zu einem früheren/späteren Zeitpunkt) und werden im Rahmen eines Kolloquiums und individuellen Beratungen begleitet. Je nach Ausrichtung und Komplexität der Projekte ist diese Phase von unterschiedlicher Dauer und Intensität und erfordert von den Dozent*innen einen zeitlich flexiblen Spielraum in der Beratung. Die Studierenden wiederum sind durch die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren dazu angehalten, ihre im Vorwege erstellte Planung flexibel zu halten und immer wieder neu abzustimmen. Dies verlangt nicht zuletzt ein hohes Maß an Sensibilität für den jeweils anderen (und oft unbekannten) Kontext. Wenngleich die Projektdurchführung durch individuelle Beratungen begleitet wird, so ist in dieser Phase dennoch zu beobachten, dass Studierende die auftretenden Probleme und Herausforderungen zunehmend eigenverantwortlich lösen und selbstständig Entscheidungen fällen. Je nach Ausrichtung und Finanzierung der Projekte kann hierbei insbesondere der Aspekt „Verwaltung der Fördergelder“ eine besondere Herausforderung darstellen, in der eine intensivere Betreuung notwendig ist.
Die einzelnen Projekte werden abschließend in einem schriftlichen Projektbericht dokumentiert und evaluiert und hierbei auf potentielle Verstetigungsmöglichkeiten hinterfragt. In einem Zertifikat wird die erfolgreiche Teilnahme am gesamten Modul bescheinigt. Hierbei werden die jeweils erworbenen Kompetenzen in Anlehnung an die einzelnen Projekte aufgeführt, die ja nach Ausrichtung unterschiedliche Aspekte im Kompetenzerwerb hervorheben.
Das Projekt „KulTour“
Bei dem im KulturCampus Wuppertal entwickelten Projekt „KulTour“ handelt es sich um eine kulturelle Stadtführung für Studierende aller Fachrichtungen und Semester der Bergischen Universität Wuppertal, die von zwei Studierenden im Rahmen des KulturCampus Wuppertal entwickelt wurde. Hierbei besuchte eine Gruppe Erstsemester an zwei Wochenenden im Spätherbst 2018 eine breite Vielfalt an kulturellen Veranstaltungen in der Stadt.
Ideen- und Zielbildung/Bedarfsanalyse: Die Idee für das Projekt entstand zum einen aus der Beobachtung, dass viele Studierende (vor allem die Pendler) nicht um das vielfältige Kulturangebot der Stadt Wuppertal wissen (und es folglich auch nicht nutzen). Zum anderen wollten beide Projektleiter*innen ein „kulturelles Äquivalent zu den Kneipentouren für Erstsemester“ (Bericht der Projektleiter*innen) schaffen und damit auf die kulturelle Vielfalt der Stadt aufmerksam machen. Im Rahmen von Bedarfsanalyse und Zielbildung kristallisierten sich folgende Aspekte als zentrale Anliegen der Projektleiter*innen heraus: Abbau von „Hemmschwellen“ zu Orten der sogenannten Hochkultur, Schaffen einer interessenbasierten Vernetzung (regelmäßige Veranstaltungsbesuche mit einer Gruppe) sowie Attraktivitätssteigerung des Studienortes Wuppertal.
Suche nach Partnern und Förderern: Mit dem Ziel, die Vielfalt der Wuppertaler Kulturlandschaft in dem Projekt sichtbar zu machen, suchten die Projektleiter*innen gezielt nach potentiellen Projektpartnern aus den Bereichen Theater, Musik, Oper, Literatur, Tanz und bildende Kunst. In dieser Phase der Partnerakquise und Programmplanung nutzten sie bereits bestehende Kontakte, die beide in unterschiedlichen Bereichen der Kulturszene hatten und bauten so ihr Netzwerk aus. Für die Finanzierung ihres Projekts bewarben sie sich beim Bergischen Kulturfonds und erhielten dort die volle Fördersumme von 1.300 Euro. Im Gegensatz zu dieser nahezu reibungslos verlaufenden Phase, in der die Idee fast ausnahmslos „auf offene Ohren, Begeisterung und ein großes Entgegenkommen“ (ebd.) stieß und überzeugen konnte, wurden die Projektleiterinnen insbesondere beim Bewerben des Projekts vor Herausforderungen gestellt, die sie so nicht erwartet hatten.
Werbung und Anmeldungen: Um eine Gruppe von maximal 20 Teilnehmer*innen zu gewinnen, konzipierte das Projekt-Team mit Unterstützung von Studierenden ein eigenes Logo (Schriftzug auf der Wuppertaler Schwebebahn), welches fortan bei jeder Werbeaktion (z.B. auf Postkarten und Plakaten) auftauchte. Darüber hinaus wurde das Projekt auch auf einer eigenen facebook-Seite sowie in zwei Presseberichten dargestellt. Die Tatsache, dass die Werbemaßnahmen insgesamt wesentlich mehr Zeit und Raum einnahmen als erwartet, führte zu Schwierigkeiten in der Teilnehmer*innensuche, die erst relativ spät gestartet werden konnte. Hinzu kamen kurzfristige Absagen vor Projektbeginn, die dazu führten, dass bereits gekaufte Tickets nicht mehr zurückgegeben werden konnten und somit verfielen.
Programmplanung und -durchführung: Mit dem Ziel „eine möglichst vielseitige Auswahl aus der Wuppertaler Kulturlandschaft zu treffen, die ebenso Hochkultur wie Kleinkunst, traditionelle und moderne Stationen aus verschiedenen künstlerischen Disziplinen abdeckt“ (ebd.) konzipierten beide Studierende ein sehr dichtes und abwechslungsreiches Programm, in dem Musik und Darstellende und Bildende Kunst facettenreich präsentiert waren. Bei der konkreten Zusammenstellung der einzelnen Programmpunkte mussten die Projektleiterinnen jedoch flexibel agieren, da nicht alle Wuppertaler Kulturinstitutionen bereits über festgelegte Programme verfügten und Alternativen einbezogen werden mussten. Flexibilität in der Ausgestaltung der Zeit zwischen den Programmpunkten mussten sie auch in der Durchführung an den Tag legen (z.B. die Suche nach preisgünstigen Cafés etc.).
Evaluation und Reflexion: Nach Beendigung des zweiten KulTour-Wochenendes holten sich die Projektleiter*innen per Fragebogen Feedback von den Teilnehmer*innen ein. Die wenigen Verbesserungsvorschläge, die in die insgesamt sehr positiv ausfallende Bewertung einflossen, fanden auch in der kritischen Gesamtrückschau des Projekts und der Frage nach Verstetigung Berücksichtigung. So war sich das Projekt-Team darüber einig, die KulTour auch weiterhin an der Bergischen Universität (als Einstiegsangebot für Erstsemester) anzubieten. In Anlehnung an die geäußerten Kritikpunkte sollte aber bei der nächsten KulTour das Programm gekürzt und hier die Zeitfenster flexibel und kürzer gestaltet werden, um mehr Interessierte zu erreichen. Gleichzeitig wurde erwogen, eine kleine Teilnahmegebühr einzurichten, um eine größere Verbindlichkeit zu schaffen.
Ausblick
Das Lehr-/Lernkonzept KulturCampus Wuppertal bietet eine Perspektive, Gestaltungsmöglichkeiten, die sich für das Fach Musik im Kontext von Kultureller Bildung ergeben, am Beispiel von kultureller Projektarbeit aufzuzeigen und erfahrbar zu machen. Hierbei bekommen (Musik-)studierende einerseits Einblicke in die Spartenvielfalt Kultureller Bildung und erweitern – nicht zuletzt durch die Vielfalt der Seminarteilnehmer*innen selbst – ihre Kenntnisse in Bezug auf neue Handlungs- und Gestaltungsfelder. Andererseits erfahren sie sich gleichermaßen als kulturgeprägt und kulturprägend, indem sie ihre eigenen Projektideen zu einem Projekt formen und umsetzen und dabei ein grundlegendes Verständnis für kulturelle Projektentwicklung bekommen. Indem sie sich in den verschiedenen Phasen ihrer Projektarbeit vielfältigen Herausforderungen stellen müssen, erwerben sie nicht nur relevantes Wissen und Kompetenzen in diesem Bereich, sondern machen darüber hinaus prägende Erfahrungen in kultureller Projektarbeit, auf die sie in ihrer späteren schulischen Tätigkeit zurückgreifen können; z.B. durch Aufbau und Pflege kultureller Netzwerke zu Akteuren und Institutionen aus Stadt und Region, mit denen in unterschiedlicher Form in Bezug auf die Unterrichtsgestaltung, den Ganztagsbereich und/oder die Schulentwicklung kooperiert werden kann.
Es ist zu erwarten, dass sich eine Sensibilisierung und Qualifizierung von (Musik-)Lehrkräften für die Spartenvielfalt der Kulturellen Bildung (sowie der sich hieraus ergebenen Gestaltungsspielräume) positiv auf die kulturelle Schulentwicklung auswirkt:
- Anwendung differenzierter Kriterien bei der Auswahl kultureller Angebote (künstlerische und pädagogische Kriterien) und diesbezügliche Erweiterung im Sinne von Vielfalt,
- Initiierung kultureller Projekte durch Lehrkräfte aus schulinternen Bedarfsfeldern und/oder Schwerpunkten heraus,
- verstärkte curriculare Verankerung der verschiedenen Angebote kultureller Bildung (auch aus dem Ganztag), die nicht als Add-On wahrgenommen werden, sondern sinnvoll in die Lernprozesse einbezogen werden und
- Stärkung der Zufriedenheit aller an Kultureller Bildung beteiligten Akteure durch die Möglichkeit, Schule mit zu gestalten.
Einerseits muss hierfür gewährleistet sein, dass angehende Musiklehrkräfte im Rahmen ihres Studiums die Möglichkeit bekommen, ihr Fach im Rahmen von Kultureller Bildung auch als schulisches Gestaltungsfeld zu erkunden. Andererseits sind auf schulischer Ebene z.B. zeitliche Ressourcen bereitzustellen, um auch Musiklehrer*innen in der Umsetzung der curricular verankerten Forderungen (z.B. in Bezug auf den zeitintensiven Aufbau von Kooperationen) wirksam zu unterstützen und sie hier als kulturelle Akteure wirken zu lassen.