Kulturelle Bildung und Digitalität
Abstract
Nachdem die Felder der Kulturellen Bildung seit dem Jahr 2000 eine kultur- und bildungspolitische Entwicklung durchlaufen haben, treten seit etwa 2015 vermehrt Schlagworte auf, die in Konjunktion zur kulturellen Bildung gesetzt werden: Kulturelle Bildung und Diversität, Kulturelle Bildung und Demokratie, Kulturelle Bildung und Nachhaltigkeit. Und so lautet das Thema dieses Artikels Kulturelle Bildung und Digitalität. Bei all diesen Kombinationen muss aber gleich eingangs betont werden: Kulturelle Bildung ist nur dann eine gute Bildung, wenn sie wie selbstverständlich Demokratiebildung ist, wenn sie divers ist und mit diversen Gruppen arbeitet, wenn sie nachhaltig nicht nur im ökologischen, sondern auch im ökonomischen und sozialen Sinne ist und eben auch, wenn sie im 21. Jahrhundert natürlich digital ist. Warum ist das so?
Unter Kultureller Bildung verstehen wir eine lebendige, rezeptive oder produktive, Wechselwirkung des Selbst und der Welt im Modus ästhetischer Praxen. Will Kulturelle Bildung also aktuell sein und das Individuum anregen, sich mit seiner (sozialen) Umwelt auseinanderzusetzen, muss sie zentrale Themen unseres Zeitgeschehens berücksichtigen. Wenn wir also hier über Kulturelle Bildung und Digitalität schreiben, schreiben wir eigentlich über eine postdigitale Kulturelle Bildung, über eine Bildung, die mit dem Zustand der Gleichzeitigkeit und dem selbstverständlichen Nebeneinander von digitalen und analogen Praktiken ästhetisch umgeht. Was das für die sich bildenden Subjekte, für Kulturvermittler*innen und Kulturinstitutionen, aber auch formale und non-formale Bildungsinstitutionen heißt, versuchen wir an sieben Essenzen der Qualifizierungsreihe dive in. Programm für digitale Interaktionen zu verdeutlichen, die von 2021 bis 2023 an der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel in enger Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung des Bundes stattgefunden hat und Kulturinstitutionen bei ihren Projekten und ihrer Umgestaltung der Kulturvermittlung in Hinblick auf Digitalität begleitet hat. Entworfen wurden diese sieben Thesen rückblickend auf das Projekt gemeinsam mit dem yaw!kollektiv, das als innovatives Vermittlungskollektiv an der Entwicklung einiger dive-in-Workshops beteiligt war und für die Thesen auch eine bildliche Umsetzung entwickelt hat.

»Digital ist cool, analog ist doof!?«
Das Individuum trennt im Alltag nur noch selten zwischen digital und analog. Wir chatten, während wir Musik hören, wir lassen ChatGPT einen Text schreiben und überarbeiten den Ausdruck handschriftlich; wir telefonieren, während wir spazieren gehen, wir schauen einen Film, während wir Popcorn essen. Sind wir nun analog oder digital? Wann sind wir analog, wann sind wir digital? Für kulturelle Bildungsprozesse heißt dies, dass es zunächst vollkommen egal ist, in welchem Modus oder mit welchem Medium wir unterwegs sind. Überall können wir ästhetische und kulturelle Erfahrungen machen. Allein die Erfahrungen sind unterschiedlich. Wir bewerten die Bildungserfahrungen nicht nach digital oder nicht-digital, sondern nach ihrer ästhetischen Qualität, die sich für uns zeigt und die an unsere biografischen Vorerfahrungen anknüpfen kann.
Kulturvermittler*innen und Kulturinstitutionen sollten sich also nicht um die Frage kümmern: Wo sind wir analog, wo digital und wie können wir ggf. digitaler werden? Sie sollten sich vielmehr um die Fragen kümmern: Was ist die Lebenswelt unserer unterschiedlichen Zielgruppen, Teilnehmenden, Besucher*innen oder Gäste? Was beschäftigt diese Menschen? Wie können wir über ästhetische Praxen eine enge Beziehung aufbauen? Wie setzen wir sie dazu ein, um in Kontakt, in Diskussion, ins Gespräch, in Berührung zu kommen? Was ist für unser Gegenüber relevant?
Für formale und non-formale Bildungseinrichtungen heißen mögliche weitere Fragen: Welche ästhetischen Praxen und Medien unterstützen die Bildungsprozesse von Teilnehmenden und Schüler*innen am besten?
Digital ist also weder besser noch schlechter als analog, weder cooler noch ein optionales Add-on. Es ist anders, aber inzwischen ebenso fester Bestandteil unserer Lebensrealität. Es bietet andere Wahrnehmungs- und Produktionsformen. Digital kann genauso langweilig sein wie analog und analog kann genauso spannend sein wie digital – meist ist es aber im Alltag gar nicht mehr zu trennen. Wir leben längst schon in stark hybridisierten Lebenswelten, die eine Vielzahl neuer Ausdrucks-, Arbeits-, Wissens- und Kommunikationsformen im Dazwischen hervorbringen. Postdigitalität beschreibt diese ständige Verflechtung von Mensch und Digitaltechnik einschließlich kultureller, sozialer und ökonomischer Eigenlogiken.
Diese paradigmatische Perspektive macht deutlich, warum es nicht mit dem bloßen Einsatz von Digitaltechnik im Bildungskontext getan und digitale Kulturelle Bildung so per se geglückt ist. Interessant und gegenwartsnah sind insbesondere die Vermittlungsansätze, die die systemischen Korrelationen beider Welten berücksichtigen oder explizit hybride Möglichkeitsräume erforschen, denn: Klickend, browsend, filternd, vernetzend, kreierend, remixend und hackend entstehen neue Rezeptions-, Denk-, Handlungs- und Interaktionsspektren, neue Bedürfnisse und neue Gewohnheiten, sich mit sich selbst und der Umwelt zu beschäftigen (Gebauer 2022). Sie bringen eine neue „Kultur der Digitalität“ (Stalder 2016) hervor, die sich durch Referenzialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität auszeichnet. Gute Bildung erfordert heute daher Vermittlungskonzepte, Ästhetiken und Methoden, die postdigitale Logiken und damit digital-analoge Lebenswelten einbeziehen.
»Einen Klick entfernt«
Ein wichtiges Prinzip aller kulturellen Bildungsprozesse ist die Entdeckung von Gestaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten. Kulturelle Bildung auf klassische künstlerische, oft analoge Formen zu beschränken, schöpft längst nicht die gesamten Möglichkeiten, die mittlerweile in ästhetischen Praxen liegen, aus. Daher gilt es als Teilnehmer*in an kulturellen Bildungsangeboten, aber auch als Kulturvermittler*in, offen und neugierig zu bleiben und sich von zeitgenössischen Künstler*innen inspirieren zu lassen – die Künste sind manchmal weiter als die Vermittlungsarbeit, die diesen folgt.
Für Kulturvermittler*innen, Kulturinstitutionen, aber auch als Akteur*in im formalen und non-formalen Bildungsbereich heißt es, sich inspirieren zu lassen. Nicht immer muss das Rad neu erfunden werden – in einer sich rasant wandelnden Gesellschaft sollten wir die digitale Transformation als gemeinsame, gemeinwohlorientierte Gestaltungsaufgabe begreifen, in der Ideen und Konzepte recycelt, adaptiert und weiterentwickelt werden dürfen. Es gibt zahlreiche gut dokumentierte Projektbeispiele, darunter die umfassende, spartenübergreifende Sammlung der 200 im dive-in-Programm geförderten Projekte. Als eine von vielen Förderinitiativen während der Covid-19-Pandemie hat sie zahlreiche Experimente im Bereich Games, Virtual und Augmented Reality, Motion Capture bis hin zu Apps, interaktiven Websites, Plattformen, Citizen Science Projekten und KI hervorgebracht.
Wir sollten uns die Zeit nehmen, Erfahrungen aus diesen digital-katalytischen Zeiten zu reflektieren, Wirkweisen zu evaluieren, Fallstricke zu identifizieren, aus misslungenen Ansätzen zu lernen und uns kollegial und interdisziplinär zu vernetzen. Digitalität potenziert nicht nur die Möglichkeit, sondern verbreitet auch die Kultur des Teilens durch Open Access und Open Source sowie die Kollaboration unterschiedlicher Disziplinen. Auch wenn die nächste Erfahrung einen Klick weit entfernt ist, sind die Strukturen des Postdigitalen nicht immer wieder neu. Ihren Potenzialen, aber auch ihren Beschränkungen für die eigene Vermittlungspraxis gründlich und Schritt für Schritt auf den Grund zu gehen, lohnt, ohne sich immer als Getriebener des nächsten Tools zu fühlen. Wenn wir uns die Zeit nehmen, erlangen wir als Individuum Selbstbestimmung und Kontrolle zurück, die in einem schnelllebigen, postdigitalen Zeitalter noch wichtiger ist als in Bildungsprozessen vor 100 Jahren.
»Einfach machen«
Digitale Entwicklungen können angesichts dieser schnelllebigen, effizienzgetriebenen technischen und kulturellen Dynamiken verunsichern. Genauso kann diese Verunsicherung durch postdigitale Kulturvermittlung auslöst werden, die den Anspruch hat, auf Komplexität adäquat und zeitgemäß zu reagieren und dabei einen reflexiv-kritischen Umgang anzuregen. Neben Technik-Enthusiasmus entstehen ebenso digitale Klüfte und Berührungsängste, sowohl auf Seiten der sich bildenden Subjekte als auch unter den Kulturvermittler*innen und Institutionen (s. etwa Bitkom 2024). Wo und wie also anfangen, um den Zugang zu digitaler Kultur zu finden und Mitgestaltung zu ermöglichen?
Sich kollegial auszutauschen oder Fort- und Weiterbildungen zur digitalen Kulturvermittlung zu machen, kann informierend und orientierungsgebend sein. Oft ist es aber ein entscheidender, erster Schritt, einfach anzufangen, neugierig praktisch auszuprobieren und ausgehend von der eigenen Vermittlungsidee in verschiedenen Varianten zu denken. Denn digitalen Umgebungen liegen neue, fremde Logiken und Prinzipien zugrunde, die selbst erfahren werden müssen. Erst durch das Machen („Making“), im Sinne eines digitalen Bastelns, Selbermachens und Ausprobierens (Wunderlich 2019), kann ein tiefergehendes Verständnis dieser Logiken und somit auch die Option einer kritischen Distanz entstehen. Erst durch die intensive Nutzung kann das Individuum erfahren, dass es auch ein „Unterworfensein unter machtförmige und ökonomisch-kapitalistische Logiken“ (Köstler-Kilian 2022) im Postdigitalen gibt, und hat überhaupt die Chance, damit reflexiv und letztlich selbstermächtigend umzugehen.
Die Maker-Kultur, die als Bewegung kreativer Tüftler*innen und Hacker*innen entstand und sich durch Do-It-Yourself-(DIY-)Kulturtechniken auszeichnet, kann nach Meißner (2021) als hilfreiches Mindset für eine ästhetisch-spielerische Einübung in und die individuelle Mit- und Umgestaltung von Digitale(r) Kultur dienen. „Einfach machen“ ermutigt nicht zur kopflosen Nutzung, sondern zum praxisbasierten Vorgehen als wichtige Komponente digitaler Kulturen mit dem Ziel der Aneignung. Die Bereitschaft, sich auf Ungewisses einzulassen, Risiken einzugehen und aus Fehlern zu lernen, ist ein Schnittpunkt des Maker-Mindsets und der Kulturellen Bildung. In der Maker-Kultur kann Kulturelle Bildung damit eine Verbündete für selbstwirksame kulturelle Teilhabe in einer postdigitalen Welt finden (Meißner 2021).
»Zeit zum Spielen«
Ausprobieren eröffnet den Modus des Spielens. Spätestens seit Friedrich Schillers Schrift „Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen“ (Schiller 2009/1795) wissen wir, dass im Moment des Spiels, der einen Freiheitsmoment zwischen Formtrieb, also Vernunft und Verstand, und Stofftrieb, den Sinnen des Menschen, markiert, großes Entwicklungspotenzial liegt. Das Spiel vor allem im Bildungsbetrieb, aber auch in der Kulturvermittlung zu rehabilitieren und vom defizitären Gedanken des nicht Zielführenden zu befreien, dabei kann uns postdigitale Kulturvermittlung helfen. Im Zustand des zweckfreien Spiels entstehen Als-ob-Situationen, kreative Handlungsmöglichkeiten, Selbstvergessenheit, reflexive Momente, Wissenserwerb und der Abbau von Berührungsängsten.
Im postdigitalen Zeitalter nimmt die Spielekultur eine bedeutende Rolle ein: Gaming und digitale Spiele sind inzwischen ein integraler Bestandteil der kulturellen Lebensrealität vieler. Das zeigt nicht nur die florierende Spieleindustrie selbst, die Menschen aller Altersgruppen und sozialer Hintergründe adressiert. Die zunehmende Integration spieltypischer Elemente in Nicht-Spiel-Kontexte, auch „Gamification“ genannt, verdeutlicht ebenso, dass die digitale Spielkultur den Status als reiner Zeitvertreib für eine bestimmte Zielgruppe längst abgelegt hat. Sei es durch Punktesysteme im Gesundheitswesen, den Einsatz von Level-basierten Sprachlern-Apps oder den Umgang mit Dating-Apps – Spielmechanismen und Game Design prägen Alltagspraktiken, Lernprozesse, unsere Identitätsentwicklung und zwischenmenschlichen Beziehungen im 21. Jahrhundert.
Die postdigitale Kulturelle Bildung findet vielfältige Anknüpfungspunkte. Vermittler*innen und Institutionen können Räume und künstlerische Zugänge bieten, um einen verantwortungsvollen, kritisch-reflexiven Umgang mit neuen, spielebasierten Umgebungen, Ästhetiken und Praktiken zu entwickeln und Fähigkeiten zur kritischen Bewertung digitaler Inhalte zu fördern. Sie können sich kreativ-methodisch bedienen und digitale Spielprinzipien gezielt als Werkzeug für eigene kulturelle Bildungszwecke nutzen: Die Vielfalt digitaler Tools eröffnet neue, virtuelle Horizonte für künstlerische Ausdrucks-, Narrativ- und Kommunikationsformen, in denen experimentelle, alternative Wirklichkeits- und Welt-Erzählungen sowie Perspektivwechsel durchgespielt werden können. Auf einer Metaebene kann es auch um die Games selbst gehen: Indem man mit Spielen spielt, Spielgrenzen austestet, Regeln dekonstruiert, alternative Nutzungsformen erforscht oder selber Prototypen mit niedrigschwelligen Tools entwickelt, ermöglicht das „Creative Gaming“ neue, kreative Ausdrucksformen, die die Grenzen zwischen Kunst, Bildung und Spiel verschwimmen lassen (Hedrich 2015). Das jährlich in Hamburg stattfindende PLAY – Creative Gaming Festival geht diesen Bildungspotenzialen digitaler Spielkulturen nach und bietet praktische Beteiligungsmöglichkeiten in Workshops, Ausstellungen und Shows.
»Absurdes gewinnt«
Um Kulturelle Bildung weiterzuentwickeln, braucht es das Verspielte, das Entgrenzende, das Verrückte, das Utopische. Kulturelle Bildungsangebote sollten als Möglichkeitsraum konzipiert werden, die Grenzen zu verschieben. Digitale Tools eröffnen dahingehend neue Handlungsoptionen. Dabei hat sich bewährt: Absurdes gewinnt. Postdigitale Kulturen zeichnen sich durch Komplexität, Bruchhaftigkeit, Ergebnisoffenheit und kontinuierliche Innovation aus. Gut funktionieren postdigitale Formate daher insbesondere dann, wenn sie Kulturelle Bildung experimentell gegen den Strich bürsten und Analoges nicht einfach in Digitales übersetzen, sondern, ausgehend von neuen ästhetischen Optionsräumen, schöpferisch im Digitalen entstehen.
Neben neuen Vermittlungsoptionen bedeutet dies für Kulturinstitutionen, dass die Vermittlung die Vorhut für transformatorische Prozesse der gesamten Institution sein kann. Experimente im Kleinen können Auswirkungen auf das große Ganze haben. Was in der Vermittlung erprobt und für passend befunden wurde, kann vielleicht ein Konzept für die ganze Institution sein. Aus einer Projektidee, einem Piloten, aus einem Vermittlungsmodell entsteht vielleicht ein Kommunikations- und Arbeitsmodell für das ganze Haus. Kulturelle Bildung, in ihrer Fähigkeit zur Grenzverschiebung ernst genommen, kann die Transformation nicht nur begleiten, sondern als Innovationsmotor von Kulturtechniken auch erfinderisch und ideenreich mitgestalten.
»Schleifen mit Methode«
Welche postdigitalen Strategien sich dabei als passend erweisen, hängt von vielen, wechselseitigen, lebensweltlichen Faktoren ab und lässt sich daher kaum noch zielsicher vorhersagen. Die klare Einteilung von Zielgruppen ist überholt, lineare, programmatische Planungen werden immer schwerer. Vielmehr ist neben dem Ausprobieren ein kontinuierliches Schleifen, Evaluieren und Nachsteuern empfehlenswert. So können Vermittler*innen und Kulturinstitutionen mit Prototypen arbeiten, iterative Test- und Feedbackphasen mit unterschiedlichen Zielgruppen in den Entwicklungsprozess neuer Formate integrieren, Bedürfnisse aufspüren, Barrieren abbauen und so bedarfsorientierte und inklusive Anpassungen vornehmen.
Insbesondere derzeitige Entwicklungen im Feld Künstliche Intelligenz schreiten in einem Tempo und einer Unvorhersehbarkeit voran, die es erschweren, selbstbestimmte und teilhabeorientierte Anknüpfungspunkte sowie Verantwortlichkeiten der Kulturellen Bildung zu definieren. Inhärente Effizienz-, Optimierungs- und Profitmaximierungslogiken sowie hochkonzentrierte, intransparente Märkte stellen sie vor komplexe Grundsatzfragen. Und doch wird es eine zentrale Aufgabe der Zukunft sein, lebensweltliche Veränderungen durch Automatisierungsverfahren, Algorithmik und maschinelle Lernprozesse in künftigen Bildungspraxen zu verhandeln, sinnlich erfahrbar und damit gestaltbar zu machen. Das Prinzip des iterativen Entwicklungsmodells spielt eine große Rolle in unserer postdigitalen, agilen Arbeitswelt und kann auch der Kulturellen Bildung dabei helfen, sich im Kontext multidimensionaler Veränderungen adaptiv heranzutasten und neue Konzepte schrittweise – und vor allem subjektorientiert – zu schärfen.
»Das A und O: Besuchendenforschung«
Denn das A und O in jedem kulturellen Bildungs- oder Vermittlungskonzept ist die Besuchendenorientierung und die Beziehung des Individuums zur ästhetischen Praxis. Manchmal liegt nicht in der Ausweitung, sondern in einer Beschränkung der Möglichkeiten das eigentliche Potenzial. Ganz ohne digitale Technik die Beziehung zur eigenen Stimme oder zum analogen Instrument zu erforschen und minimalistisch sehr nah an der reduzierten leiblichen Erfahrung zu sein, kann ein großer Gewinn für kulturelle Bildungsprozesse sein. Dies ist aber nicht generell die Essenz Kultureller Bildung, sondern die Konzentration auf die eigene Wahrnehmung – egal ob analog, digital oder dazwischen – und den subjektiven Ausdruck. Um in einer postdigitalen Welt souverän als Gestalter*in der eigenen Lebens- und Bildungspraxis agieren zu können und Tools, Apps sowie Formen künstlerischer Intelligenz produktiv zu nutzen, braucht es umfassende Bildungserfahrungen, die vor allem in den frühen Lebensjahren weitestgehend leiblich vermittelt passieren müssen. Dies ist – wie hoffentlich deutlich geworden ist – nicht als Argument gegen Digitalität zu verstehen, sondern als Plädoyer für eine kluge, am Menschen und seinen Bedürfnissen orientierte Vermittlungsarbeit im Postdigitalen.
Abschließend: Was heißt dies für Kultur- und Bildungspolitik?
Ermöglicher*in zu sein für Experimente auch in der Vermittlung, das ist die Aufgabe von guter Kulturpolitik. Nicht nur Kunst kann Neues hervorbringen, auch spielerische Vermittlungsformate und -formen lassen Möglichkeitsräume entstehen, die zur Transformation von Kultureinrichtungen beitragen und Individuen digitale Teilhabe eröffnen.
Politische Maßnahmen und Strategien hierzu können vielfältig sein und auf verschiedenen Ebenen ansetzen:
Förderung digitaler Bildung und Medienkompetenz: Die Bereitstellung von Schulungen, praxisorientierten Workshops und Bildungsprogrammen, vor allem auch für Multiplikator*innen der Kulturvermittlung und Kulturellen Bildung, die darauf abzielen, digitale Fähigkeiten und den souveränen Umgang damit zu verbessern, ist entscheidend. Diese Maßnahmen können dazu beitragen, Barrieren abzubauen, den Zugang zu digitalen Technologien zu erleichtern, sich kollegial zu vernetzen sowie ein innovatives, postdigitales Vermittlungsangebot zu schaffen, das hybride Realitäten reflektiert und den ästhetischen Inhalten gerecht wird.
Ausbau der digitalen Infrastruktur: Investitionen in den Ausbau von Breitbandnetzen und öffentlichen WLAN-Zugängen vor allem in ländlichen Gebieten können helfen sicherzustellen, dass alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen von den Möglichkeiten digitaler Teilhabe profitieren können.
Förderung von Open-Access- und Open-Source-Initiativen: Die Förderung solcher Initiativen, die Bereitstellung von digitalen Ressourcen und Inhalten sowie die gemeinwohlorientierte Weiterentwicklung digitaler Software können den Zugang zu Bildung, Kultur und Information für alle erleichtern und Teilhabe durch unabhängige Bildungslandschaften fördern. Kommerziellen Plattformen sollten dafür niedrigschwellig funktionierende, staatlich finanzierte Alternativen gegenübergestellt werden. Dies kann beispielsweise durch die Unterstützung von Open-Access-Publikationen, offenen Bildungsressourcen, digitalen Bibliotheken wie etwa kubi-online oder Open-Source-Software erfolgen. Die Kulturelle Bildung kann eine aktive Rolle dabei spielen, teilhabeorientierte Ansätze an der Schwelle von Kunst und Technologie voranzubringen, kritische Perspektiven praxisorientierter Beteiligung zu aktivieren und kollegiale, interdisziplinäre Vernetzung mit der Tech- und Maker-Szene anzuregen.
Barrierefreiheit und Inklusion: Die Sicherstellung der Barrierefreiheit digitaler Inhalte und Technologien ist entscheidend, damit Menschen mit unterschiedlichsten Einschränkungen gleichberechtigten Zugang haben und gerade die Potenziale digitaler Teilhabe auch wirklich genutzt werden. Dies kann durch die Umsetzung von Richtlinien und Standards für barrierefreie Gestaltung, die Förderung von technologischen Innovationen zur Unterstützung von Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen sowie das Etablieren iterativer Förder- und Projektlogiken, die Zugänge umfassender evaluieren, erreicht werden.
Förderung von Community-Initiativen: Die Unterstützung von lokalen Gemeinschaftsprojekten und Initiativen, die darauf abzielen, digitale Teilhabe auf lokaler Ebene umzusetzen, kann einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der digitalen Gemeinschaften leisten. Dies kann beispielsweise die Einrichtung von öffentlichen Computerräumen, Maker-Spaces oder digitalen Lernzentren als Teil von etablierten Kulturinstitutionen umfassen.
Eine Stärke Kultureller Bildung ist es, ins eigene, selbstbestimmte und explorative Handeln zu kommen. Dies ist einer der bedeutsamsten Aspekte, wenn es um digitale Bildung und Mündigkeit geht. Ohne dass wir alle interessengeleitet neue Möglichkeitsräume ausprobieren und explorieren, kann keine nachhaltige digitale Anwendung und damit Transformation geschehen. Wenn niemand den Weg genau kennt, ist es umso wichtiger, sich gemeinsam auf die Suche zu begeben. Nur durch Offenheit, Experimentierfreude und eine klare Fokussierung auf die Bedürfnisse und Potenziale der Lernenden wird es gelingen, eine Bildung zu fördern, die nicht nur analog oder digital, sondern vor allem zukunftsfähig ist.