Kultureinrichtungen: Neue (?) Orte für kulturelle Bildung
Impulsbeitrag im Panel PRAXIS: „Streitfälle - Institutionen und Zuständigkeiten"
Kultureinrichtungen haben per se einen Bildungsauftrag! Sie sind von jeher Orte der Bildung und Vermittlung, als in ihnen, seit es sie gibt, kulturelles Wissen auch weitergegeben wurde. Eigentlich sind Kultureinrichtungen alte Orte für kulturelle Bildung, die sich jedoch auf einen neuen Weg begeben haben. Und deshalb steht das Fragezeichen in Klammern im Titel dieses Beitrags zu Recht. Wie genau - das ist zu untersuchen!
Uns interessiert, inwieweit sich die Kulturinstitutionen mit der Umsetzung ihres Bildungsauftrags in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgrund neuer Erkenntnisse und Einsichten an neue Bedürfnisse und Notwendigkeiten angepasst haben.
Es macht in diesem Kontext Sinn, die verschiedenen Gattungen von Kultureinrichtungen getrennt zu betrachten, als sich die Entwicklungen zum „offensiven Bildungsort" in unterschiedlicher Weise vollzogen haben. Exemplarisch möchte ich Museen und Theater in einigen Aspekten kurz beleuchten.
Museen
Traditionellerweise eher Orte des Sammelns, beschränkte sich die "Vermittlung" in den Museen über lange Jahre wesentlich auf den Informationstransfer innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Die Präsentation von Sammlungsbestandteilen an eine interessierte - bei uns meist bürgerliche - Öffentlichkeit war lange nur ein Nebenschauplatz der eigentlichen Tätigkeitsschwerpunkte, v.a. des Sammelns. Hier hat sich viel geändert: Bei uns sind es gerade die Museen, die früh in einen Prozess eintraten, der die Traditionshäuser öffnen und zu lebendigen Kulturorten machen sollte.
Viele Museen sind auf einem guten Weg, der ihre Botschaften auch an neue Zielgruppen transportiert. Ich beschränke mich im Kontext dieser Veranstaltung auf Kinder und Jugendliche, insbesondere die Schulen, für die es inzwischen nicht nur speziell ausgerichtete Bildungsangebote in großer Vielfalt gibt, die sowohl die eigentlichen Sammlungen als auch Sonderausstellungen betreffen. Fast immer haben diese Angebote auch ein kreative Dimension: Den Kindern und Jugendlichen wird die Möglichkeit geboten, nicht nur Dinge anzuschauen, Wissen über Kunst und Kultur zu erwerben - obwohl auch das nicht zu kurz kommen sollte! - sondern auch Impulse aus dem Gesehenen aufzugreifen und selbst künstlerisch umzusetzen. Wie wichtig es ist, dass solche Museumsbesuche nicht nur vor Ort im Hause stattfinden, sondern dass sie einer intensiven Vor- und Nachbereitung in der Schule bedürfen, muss ich in dieser Veranstaltung eigentlich nicht erwähnen. Nur so kann sich das Museum zum außerschulischen Lernort mit nachhaltiger Strahlkraft entfalten.
Viele Museen haben sich entsprechend neu aufgestellt: Stellen wurden eingerichtet, museumspädagogische Abteilungen entstanden, wurden erweitert - zumindest was die großen Häuser betrifft. Audio-Guides in speziellen Kinderversionen sind vielerorts anzutreffen - und werden auch gern von Erwachsenen genutzt. Trotzdem ist auch hier noch nicht alles perfekt: Die "Kreativräume“, in denen die jungen Besucher selbst aktiv werden sollen, befinden sich in der Regel nicht auf den Bel Etage 's der Museen, sondern sind oft eher im Keller anzutreffen wie auch spezielle Ausstellungen für Kinder sich öfters etwas im Abseits befinden. Darf man daraus auf die Bedeutung schließen, die dem Bereich Vermittlung vonseiten der Museumsleitungen attestiert wird? Solche problematischen räumlichen Verhältnisse erschweren den Weg des Museums zum besonderen Lernort, der als solcher auch selbst Impulse gibt. Hier ist die Museumsleitung mit Engagement gefragt!
Auch ist es in vielem Museen bei uns noch lange nicht selbstverständlich, bei der Neukonzeption z.B. von Ausstellungen die Museumspädagogen von Beginn an in Planungen mit einzubeziehen. Dies ist langgeübte und erfolgreiche Praxis in amerikanischen Museen und auch in Deutschland ein Desiderat.
Ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang auch, dass im Hinblick auf die Ausstattung mit Stellen die Vermittlung in den Museen auf tönernen Füßen steht: Viele auch hochqualifizierte Museumspädagogen haben keine festen Stellen, sondern sind als Honorarkräfte beschäftigt.
In kleineren Häusern - und das sind die meisten (!), was man leicht vergisst - ist die Situation vielfach noch extremer, weil die Mittel entsprechend geringer sind: Der Museumsleiter oder die Museumleiterin sind hier oft Chefin und Pädagoge in einer Person und absolvieren einen wahren Spagat zwischen ihren verschiedenen Aufgabenfeldern. Das „Vermitteln" - dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit problematischen Besuchergruppen - haben sie eigentlich nicht gelernt.
Dass die Museen, die sich auf den Weg zu einem neuartigen Bildungsort gemacht haben, auch zentrale aktuelle gesellschaftliche Themen in ihre Arbeit einbeziehen - hier seien exemplarisch die Aspekte Integration und Inklusion, Interkultur und Migration genannt, sei hier nur kurz erwähnt. Aber genau hier liegt ein großes Potential der Museen in der Zukunft.
Theater
Es gibt bei uns beispielhafte pädagogische Arbeit an vielen Theatern, die über ihre eigene Stadt hinaus strahlt. Fast alle großen und kleinen Häuser sind inzwischen in diesem Bereich engagiert und haben unterschiedlichste Formate entwickelt, wie sie sich ihrem Publikum, speziell der Zielgruppe Kinder und Jugendliche nähern. Neben den Theater-Jugendclubs, die häufig als erste kreative Möglichkeiten für einzelne theaterinteressierte Kinder- und Jugendliche anboten, gehen inzwischen viele Theater Kooperationen mit Schulen ein, sei es für einmalige Projekte (z.B. die "Premierenklassen", die in vielen Häusern angeboten werden) sei es durch feste, vertraglich gestützte Kooperationen, die der Beziehung zwischen beiden Einrichtungen eine stabile Basis geben. Die Auffassung, dass das Spielen eines Stücks bereits ein kulturelles Bildungsangebot sei, ist in Theaterkreisen inzwischen rückläufig.
Zahlreiche Häuser haben längst die Lehrerinnen und Lehrer als zentrale Personen für eine gelingende kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche erkannt haben und agieren entsprechend: Sie sprechen speziell Lehrerinnen und Lehrer an - etwa durch Newsletter oder Einführungsveranstaltungen zu neuen Inszenierungen. In jeder Spielzeit kommen Stücke aus dem Lehrplan auf den Spielplan, Lehrer und Schüler werden so „pragmatisch" zur Teilnahme an dem Angebot des Theaters motiviert, d.h. heißt, zum Besuch einer Vorstellung mit entsprechender Vor- und Nachbereitung, die ebenfalls mit Unterstützung der Theaterpädagogen stattfinden kann. Diese Lehrplanorientierung, insbesondere im Hinblick auf beliebte „Pflichtklassiker" führt theaterintern häufig zu starken Kontroversen, in dem Sinne, dass man sich um einen „Verkauf" des Theater an die Schule bzw. den Publikumsgeschmack sorgt. (Zu unterscheiden ist hier natürlich auch zwischen dem Theater mit „klassischem" Angebot (für Erwachsene) und dem Kinder-und Jugendtheater)
Zwei Aspekte zum Schluss
Nach wie vor hört man aus vielen Häusern - Theatern, aber auch allen anderen Kultureinrichtungen - Klagen, dass sich die Schulen/ die Lehrer nicht oder nur schwer für eine Zusammenarbeit gewinnen ließen. Auslöser für dieses Problem ist, dass viele Angebote aus den Kultureinrichtungen ihr Ziel nicht erreichen, weil sie unzureichend oder auch halbherzig kommuniziert werden. Was tun? Die Angebote aus den Kulturinstituten- werden erfahrungsgemäß dann angenommen, wenn die betroffenen Akteure ihre Einrichtung verlassen, persönlich Kontakt zu den Schulen aufnehmen und ihre Programme in Lehrerkonferenzen und auf Elternabenden vorstellen.
Dies alles sagt natürlich noch nichts über die Inhalte aus, mit denen kulturelle Einrichtungen zu Orten neuer kultureller Bildung werden - aber es handelt sich trotzdem um eine conditio sine qua non: Was auch immer die Kultureinrichtungen sich für ihre Bildungsarbeit mit Schulen ausdenken - die Botschaft muss zunächst einmal die Chance haben, anzukommen!
Und wie soll diese Botschaft aussehen? Das ist im Zusammenhang mit einem so knappen Beitrag kaum zu umreißen. Aber wir wünschen uns für die kulturellen Einrichtungen
- Bildungsangebote für alle Kinder und Jugendliche im schulischen und außerschulischen Kontext, die einerseits an deren Alltagswirklichkeit anknüpfen - andererseits aber die Entdeckung neuer Welten ermöglichen, die sich auch aus dem Reichtum unserer kulturellen Geschichte ergeben;
- Bildungsangebote, die gleichermaßen die Rezeption von Kunst fördern, zum anderen auch innerhalb eines thematischen Schwerpunkts Raum für die Entwicklung von Kreativität lassen;
- dass sie den Zauber ihres Wesens als außerschulische Lernorte ausschöpfen und den Kontrast zur Schule für Kinder und Jugendliche fühlbar und erfahrbar machen;
- dass sie über ihren eigentlichen Spartenansatz hinaus in ihren Bildungsangeboten Möglichkeiten auch zur kreativen Auseinandersetzung mit jeweils anderen Künsten, insbesondere auch den Medien zulassen oder besser, fördern;
- dass sie auf diese Weise vom Kulturtempel zum offenen Haus für alle werden.
Schließlich sei noch ein Aspekt erwähnt, der ebenfalls übergreifend alle kulturellen Einrichtungen gleichermaßen betrifft. Kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche in den und durch die Institutionen ist keine Einbahnstraße: Die Einrichtungen geben nicht nur, sie profitieren auch durch ihre Bildungsarbeit - und zwar nicht nur dadurch, dass sie im Sinne von Audience Development für ihr zukünftiges Publikum Sorge tragen. Vielmehr erhalten sie ihrerseits vielfältige inhaltliche Impulse durch die Kinder und Jugendlichen, die einen unverstellten Blick auf alles Gebotene haben und mit ihren Reaktionen vielleicht auch im Geiste des Kindes aus dem Märchen "Des Kaisers neue Kleider", den Kulturschaffenden die Augen für neue Sichtweisen, Perspektiven und Zusammenhänge öffnen können.