Der „Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation" als Modell einer Qualifizierung für Kunst- und Kulturschaffende in der Kulturellen Bildung
Abstract
Im folgenden Beitrag wird betrachtet, welchen Rahmen eine Qualifizierung Kunst- und Kulturschaffenden bieten kann, um einem transformativen Potenzial in Kooperationsprojekten der Kulturellen Bildung den Weg zu bahnen. Welche Empfehlungen lassen sich – basierend auf den Erfahrungen und Erkenntnissen aus dem Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation – formulieren, damit in Qualifizierungen mit Kunst- und Kulturschaffenden vorhandene Kenntnisse erweitert und systematisiert, Entwicklungsimpulse gegeben sowie Praxiserfahrungen reflektiert werden können und so unterschiedliche Professionen mit ihren jeweils besonderen Kompetenzen im komplexen Feld der Kulturellen Bildung gut kooperieren?
Ausgangsüberlegungen
Kunst- und Kulturschaffende können Kindern und Jugendlichen durch ihre Expertise vielfältige kreative und experimentelle Räume öffnen. Im Rahmen von Kooperationen mit Ganztagsschulen oder in lokalen Bildungslandschaften können sie als externe Expert*innen künstlerische Impulse setzen und damit Perspektivenwechsel für alle Beteiligten ermöglichen. Durch künstlerische Ansätze können Kinder und Jugendliche ästhetische Erfahrungen machen, ihre ästhetische Wahrnehmung schulen und reflektieren: Symbole und Zeichen in ihrer Vielfalt und Mehrdeutigkeit ermöglichen die forschende Betrachtung der Welt. Wenn Künstler*innen einem Konzept „Kultureller Bildung“ folgen, dann ist dies gleichermaßen Ausdruck einer reflektierten pädagogischen und gesellschaftspolitischen Haltung, weil durch die Prinzipien Kultureller Bildung, wie z. B. von Partizipation und Fehlerfreundlichkeit, eingeübte Lernmethoden und Handlungsmaximen infrage gestellt werden.
Mit diesen Ansätzen und Elementen wohnt der künstlerischen Arbeit ein großes transformatives Potenzial inne, welches eine grundlegende Voraussetzung für damit verbundene umfassende Selbst-Bildungsprozesse der Kinder und Jugendlichen z. B. in Ganztagsschulen und lokalen Bildungslandschaften darstellt.
Dafür ist auch die Zusammenarbeit von Pädagog*innen und Kunst- und Kulturschaffenden hinsichtlich einer – im besten Falle – gemeinschaftlichen konzeptionellen Gestaltung und pädagogischen Praxis Kultureller Bildung im Umfeld von Ganztagsschulen und Bildungslandschaften grundlegend. Diese Zusammenarbeit ist aber auch anspruchsvoll und setzt u. a. voraus, dass Kunst- und Kulturschaffende – neben ihrer künstlerischen Professionalität – eine Haltung zu methodisch-didaktischen und interprofessionellen Kompetenzen entwickeln und ihre diesbezüglichen Kompetenzen aufmerksam weiterentwickeln. Kunst- und Kulturschaffende haben unterschiedlichste Arbeitsbiografien und arbeiten in vielfältigsten Settings und Konstellationen.
Zur Perspektive des Beitrages
Folgender Beitrag ist aus Sicht der Projekt- und Programmleitung von zwei der drei Kooperationspartner*innen des Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation verfasst – der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ - Michael Heber) und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS - Mona Jas). Aus einer fachlich reflektierten kulturpädagogischen und künstlerischen Perspektive wird im Folgenden in Ergänzung zu dem wissenschaftlichen Forschungsbeitrag des dritten Kooperationspartners – der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg – eine kritische Sichtung der Durchführung der Weiterbildung mit 80 Kunst- und Kulturschaffenden in den Jahren 2015 und 2016 dargelegt. Eine detaillierte Übersicht des Hintergrundes, des Ablaufes und der Ergebnisse des Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation findet sich sowohl in der Arbeitshilfe „Perspektive Kunst. Arbeitsfeld Kulturelle Bildung – Texte, Materialien, Methoden für Kulturschaffende“ (vgl. BKJ/DKJS 2016), als auch in den Fachbeiträgen der Kooperationspartner*innen (vgl. Speck/Hohmaier 2017; vgl. Hohmaier/Speck 2019; vgl. Jas/Knoke 2018).
Qualität und Qualifizierung: Die Projektpartner*innen
Basierend auf den eingangs zusammengefassten Befunden, dass Bildungserfolg für alle Kinder und Jugendlichen nur gelingen kann, wenn unterschiedliche Professionen mit ihrem spezifischen Wissen und ihren jeweils besonderen Kompetenzen erfolgreich kooperieren und gemeinsam Verantwortung für die Qualität von Bildungsangeboten übernehmen, bestand ein zentrales Anliegen des Kompetenzkurses darin, die Qualität von Kooperationen zwischen Akteur*innen der Kulturellen Bildung einerseits und von Ganztagsschulen oder aus lokalen Bildungslandschaften andererseits zu verbessern.
Die BKJ, die DKJS und die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg haben den Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation im Rahmen eines Verbundprojektes gemeinsam mit und für die teilnehmenden Kunst- und Kulturschaffenden entwickelt, erprobt und in einem weiteren Schritt evaluiert und transferiert. Dabei brachten sie sowohl bei der Entwicklung als auch bei der Umsetzung der Weiterbildung ihre jeweiligen unterschiedlichen Expertisen ein.
Die BKJ verfügt über eine langjährige Expertise in Theorie und Praxis der kulturellen Kinder- und Jugendbildung und der kulturpädagogischen Weiterbildung. Sie hat Zugang zu Kunst- und Kulturschaffenden wie Künstler*innen und Kulturvermittler*innen. Zur methodisch-didaktischen Qualifizierungserfahrung der BKJ gehören z. B. die Entwicklung von Fort- und Weiterbildungscurricula, interprofessionelle Weiterbildungen mit Kunst- und Kulturschaffenden und Pädagog*innen, die Entwicklung von Arbeitshilfen und Materialien sowie Qualitäts- und Kooperationstableaus zwischen Kultur und Schule.
Die DKJS verfügt mit Blick auf den Kompetenzkurs über eine besondere Expertise im Bereich Ganztagsschulen und lokale Bildungslandschaften sowie zur Kulturellen Bildung an Schulen. Um den Bildungsbereich zu stärken, fachliche Orientierung zu bieten und Verantwortungspartnerschaften zu stiften, entwickelt und realisiert die DKJS seit über 20 Jahren Unterstützungs- und Qualifizierungsansätze, die vor allem auf die Reflexion von pädagogischen Haltungen, auf praxisbezogene Professionalisierung und die Entwicklung von fachlichen, methodischen und kooperativen Kompetenzen von Pädagog*innen zielen.
Die Universität Oldenburg brachte durch das Team unter Leitung von Karsten Speck erziehungswissenschaftliches Wissen und Erfahrungen in der Begleitung und Evaluation von Bildungs- und Sozialprogrammen ein. Dazu gehören beispielsweise das ESF-Programm „Projekte zur Vermeidung von Schulversagen und Senkung des vorzeitigen Schulabbruchs“ in Sachsen-Anhalt, das bundesweite Ganztagsschulprogramm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ oder die Evaluation und Qualitätsentwicklung des Programms „Sozialgenial – Schüler engagieren sich in Nordrhein-Westfalen“. Zudem konnten Ergebnisse und Instrumente aus zahlreichen Studien im Ganztags- und Kulturbereich einbezogen werden.
Zum Kompetenzkurs Kultur-Bildung-Kooperation
Der Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation ist eine modulare, nicht-spartenbezogene Weiterbildung zur Entwicklung methodisch-didaktischer und interprofessioneller Kompetenzen von Kunst- und Kulturschaffenden in Ganztagsschulen und lokalen Bildungslandschaften – gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (vgl. Jas/Knocke 2018). Die Weiterbildung wurde als Verbundprojekt der BKJ, der DKJS und der Universität Oldenburg durchgeführt. Ein Ziel des Kompetenzkurses war es, eine innovative, wissenschaftlich fundierte und praxisorientierte Weiterbildung zu entwickeln und zu erproben, um die methodisch-didaktischen und interprofessionellen Kompetenzen bei Kunst- und Kulturschaffenden zu fördern und sie somit für die konstruktive Zusammenarbeit mit pädagogischen Fachkräften zu qualifizieren.
Die Weiterbildung zielte demnach darauf, Kunst- und Kulturschaffende in ihrer eigenen künstlerischen und kulturellen Kompetenz anzusprechen und diese für die Entwicklung und Umsetzung kultureller Bildungsprojekte zu sensibilisieren. Es ging also nicht darum, Kunst- und Kulturschaffende zu Pädagog*innen zu qualifizieren und ihnen Kompetenzen – also die Fähigkeit etwas zu tun – von außen überzustülpen. Vielmehr war es das zentrale Anliegen, ihre künstlerische Expertise – beziehungsweise die künstlerisch-kulturellen Kompetenzen – mit den im Umfeld dieser Vorhaben vorhandenen pädagogischen Kompetenzen, Logiken und Ressourcen in eine Weise zu verknüpfen, die die kulturellen Bildungsangebote mit den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen in Ganztagsschulen und Bildungslandschaften verbinden konnte.
Die gewonnenen Erkenntnisse sollten weitere Professionalisierung von Kunst- und Kulturschaffenden in der Kulturellen Bildung, insbesondere hinsichtlich der Verbesserung der Wirksamkeit von Weiterbildungsangeboten, unterstützen und bereichern (vgl. Speck/Hohmaier 2017).
Rahmen und Inhalte der Qualifizierung
Aus den Zielen und Zielgruppen der Weiterbildung ergaben sich inhaltliche Schwerpunkte, die in Modulen und in begleitenden Arbeitsmaterialien behandelt wurden. Sie wurden durch Input-, Praxis- und Reflexionsphasen und insgesamt 80 Weiterbildungs- und Beratungsstunden strukturiert. Die Verbundpartner BKJ, DKJS und Universität Oldenburg bezogen weitere Fachkräfte und Wissenschaftler*innen im Rahmen von Expert*innen-Workshops in die Entwicklung und Fortschreibung von Konzept, Curriculum und Materialien ein, um eine kontinuierliche interdisziplinäre, fachliche Begleitung und Beratung im Verbundvorhaben zu erhalten sowie den späteren Transfer zu fördern (zum detaillierten Ablauf siehe auch Jas/Knoke 2018).
Modul 1
Spezifika der Adressaten (z. B. Sozialisation und Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen; Interessen, Motivationen, Bedürfnisse; Bildungs- und Kulturerfahrungen; Zielgruppenansprache und -beteiligung). Die unterschiedlichen Lebenslagen und -welten von Kindern und Jugendlichen bewegen sich in einem ständigen Veränderungs- und Entwicklungsprozess, der gesellschaftlich, sozial, ökonomisch und kulturell geprägt ist. Wie Kinder und Jugendliche leben, was sie interessiert, was sie belastet, welche Themen in welchem Alter besonders wichtig sind – und wie sie dies wahrnehmen und reflektieren, hat für die Arbeit mit ihnen hohe Relevanz. Eine Sensibilität und Neugier gegenüber den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen ermöglicht den Einbezug ihrer Themen und Bedürfnisse in kulturelle Projekte. Dies wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass Kinder und Jugendliche ihre eigenen Anknüpfungspunkte in verschiedenen Formaten und Inhalten von Kunst und Kultur finden. In Modul 1 steht der Lebensweltbezug – als ein wichtiges Element kultureller Bildungspraxis – an zentraler Stelle.
Im ersten Modul reflektierten die Teilnehmer*innen ihre eigenen Bildungs- und Kulturerfahrungen und zogen hieraus erste Rückschlüsse für die Arbeit in pädagogischen Kontexten. Sie konnten die aktuellen Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen einordnen und deren Relevanz für die Arbeit mit ihnen erkennen. Sie lernten Feldforschungsinstrumente kennen, wie die Sozialraum- oder Stakeholder-Analyse, und erprobten diese im Rahmen ihrer eigenen Forschungsfragen.
Modul 2
Pädagogische Settings, Professionen und Theorien (z. B. formale, non-formale, informelle Bildung; pädagogische Professionen, kulturelle Arbeitszusammenhänge und ihr Bildungsverständnis). Das Wissen von den Settings an der Schnittstelle Kultur – Bildung – Jugend sowie zu einzelnen pädagogischen Themenfeldern im Ganztag und in lokalen Bildungslandschaften in der Trägerlandschaft Kultureller Bildung ist Voraussetzung einer Kulturellen Bildungspraxis. Dazu gehören Informationen über Bildungsverständnis, Auftrag und Organisation von Ganztagsschule sowie anderen (kulturellen) Bildungseinrichtungen in lokalen Bildungslandschaften und deren Rahmenbedingungen. Diese Themen werden daher in Modul 2 erarbeitet.
Hier ging es an zentraler Stelle darum, ein eigenes Bildungsverständnis zu reflektieren und zu vertreten, um darauf aufbauend einen Bezug zu anderen Professionen zu entwickeln. Der Blick für Potenziale kultureller Kooperationsprojekte in ihrem spezifischen Umfeld konnte geschärft werden, um gemeinsam mit pädagogischen Fachkräften ein Konzept für ein kulturelles Kooperationsprojekt erarbeiten zu können.
Modul 3
Kulturpädagogische Methodik und Didaktik (z. B. geeignetes Methodenrepertoire, didaktisches Dreieck, künstlerisches Handeln, ästhetische Bildung, kulturpädagogische Prinzipien und Qualität, eigenständige und kooperative Settings). Kulturelle Bildung hat einen weiten Bildungsbegriff und vereint Ansätze u. a. aus der Erziehungswissenschaft, Angewandten Pädagogik, den Künsten, der Jugendarbeit und den Kulturwissenschaften. Kulturpädagogische Praxis arbeitet mit künstlerischen und kulturellen Medien, um ihre Adressat*innen bei der Gestaltung ihrer Lebenswelt und bei der Teilhabe an Kultur und Gesellschaft zu unterstützen. Die Anregung und Unterstützung von Bildungsprozessen benötigen altersangemessene und bedarfsorientierte methodisch-didaktische Kreativität. Dabei stehen Alter und Entwicklungsphase, Lebenslagen und -welten, Themen und Interessen, Bedürfnisse und Erfahrungen des individuellen Kindes und der*des Jugendlichen und dessen*deren Eigentätigkeit im Vordergrund (Bildung als Selbstbildung). Dazu braucht es die Bereitstellung von partizipativen Erfahrungsräumen, offener Spiel- und Lernaktionen und reflektierender Elemente. In Modul 3 stehen diese Elemente als Grundlage kultureller Bildungspraxis im Zentrum.
Im fachlichen Austausch miteinander entwickelten die Teilnehmer*innen ein Konzept für ihre eigenen kulturellen Kooperationsprojekte. Sie setzten sich mit einem pädagogisch-künstlerischen Qualitätsrahmen auseinander und reflektieren Aspekte in Bezug auf ihr Projekt. Im intensiven Austausch miteinander erprobten sie die Umschreibung eines künstlerischen Selbstverständnisses im Spannungsfeld zwischen Kunst und Pädagogik. Ansätze einer kulturpädagogischen Methodik und Didaktik wurden im Plenum in Hinblick auf die Praxisprojekte erprobt und diskutiert. Auch ging es darum, Gruppenprozesse zu verstehen und mit ihnen umgehen zu können.
Modul 4
Rahmenbedingungen in Ganztagsschulen/Bildungslandschaften (z. B. vertiefende Kenntnis über Handlungsfelder Ganztagsschule/Bildungslandschaften, interprofessionelle Kompetenz, Ge- und Misslingensbedingungen von Kooperationen), Praxisprojekt. Gelerntes in die Praxis umzusetzen, Erfahrungen zu reflektieren und daraus zu lernen, steht im Mittelpunkt von Modul 4. Peer-Ansätze nehmen dabei eine zentrale Bedeutung ein, um dem subjektwissenschaftlichen Ansatz gerecht zu werden und sich an den Lernenden selbst zu orientieren. Dies setzt Formate des Lernens voraus, die die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und Förderung von Autonomie betonen. Durch gleichrangige und zugleich beratende Funktionen der Peers und mit einer ausgeprägten Feedbackkultur können – für die kulturelle Bildungspraxis notwendige – praxisnahe Lernsettings geschaffen werden. Ergänzend steht vertiefendes Wissen zur Verfügung über:
- Ganztagsschulen, ihre Begründungen und die Ziele ganztägiger Schulkonzepte, ihre Organisationsformen und -merkmale (Zeitorganisation und Rhythmisierung, Raumgestaltung, Personalorganisation, Öffnung von Schule nach außen, Partizipation von Schüler*innen und Eltern);
- die Entstehung, Konzeption, Organisation und Entwicklung von Bildungslandschaften und ihren Zielgruppen;
- Kooperation als Zusammenarbeit von unterschiedlichen Professionen und Institutionen, Multiprofessionalität an Ganztagsschulen, Zusammenarbeit und Vernetzung von Bildungslandschaften und Bildungsbündnissen, von Kultureinrichtungen mit Ganztagsschulen und in Bildungslandschaften;
- Gelingensbedingungen von Kooperation und Umgang mit Konflikten und Widerständen als wichtige Bestandteile kultureller Bildungspraxis.
In diesem Modul hatten die Teilnehmer*innen Raum, ihre eigene Tätigkeit im Kontext der Organisation Ganztagsschule – beziehungsweise – der lokalen Bildungslandschaft zu verorten. Im Kontext ihres Praxisprojektes erhielten sie Beratung und kollegialen Austausch in regionalen Kleingruppen und planten ein kulturelles Kooperationsprojekt gemeinsam mit pädagogischen Fachkräften. Darauf aufbauend führten die Teilnehmer*innen ihr Projekt durch, dokumentierten und werteten die Methode der kollegialen Beratung für die Weiterentwicklung des Projekts bzw. für die Lösung von Konflikten im Projekt aus und nutzten den Ansatz, konstruktiv Feedback zu geben und anzunehmen.
Modul 5
Haltungen und Einstellungen (z. B. künstlerisches Selbstverständnis vs. pädagogische Haltung für die kulturelle Projektarbeit, Selbstreflexion und -evaluation). Um pädagogische Situationen in kulturellen Kooperationsprojekten angemessen gestalten, einschätzen und beeinflussen zu können, ist Selbstreflexion und persönliche Entwicklung, als begleitete Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, mit gesellschaftlichen Normen und Werten, mit Verhaltensweisen und Einstellungen zu Bildung von Bedeutung. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und dem künstlerischen Selbstverständnis gehören ebenso dazu. Die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge in der kulturellen Bildungsarbeit in Ganztagsschulen bzw. lokalen Bildungslandschaften zu erkennen und einzuschätzen, gelingt ausgehend von einem eigenen professionellen künstlerischen Standpunkt.
Die Teilnehmer*innen präsentierten den Prozess und die Ergebnisse ihres Praxisprojekts in der Gruppe und reflektierten ihre praktischen Erfahrungen. Sie analysierten ihr künstlerisches Selbstverständnis im Spannungsfeld zwischen Kunst und Pädagogik. Sie machten sich die eigenen Lernschritte im Kompetenzkurs bewusst und erwogen mögliche Schlussfolgerungen für die eigene Verortung im Berufsfeld der Kulturellen Bildung. Hinzu kam die Erprobung heterogener Ansätze der Dokumentation, Evaluation und Präsentation ihrer Projekte.
Problemstellungen durch strukturelle Rahmenbedingungen
Der Kompetenzkurs verschaffte – wie auch 13 weitere zeitgleich laufende Weiterbildungsprogramme im Rahmen der Förderrichtlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung 2013 (BMBF 2013) – Kunst- und Kulturschaffenden die Möglichkeit, sich für die künstlerisch-pädagogische Arbeit in Projekten mit Bildungsinstitutionen und lokalen Bildungslandschaften fortzubilden. Auf die Ausschreibung im Jahr 2015 (Durchgang Gruppe A1) und im Jahr 2016 (Durchgänge Gruppen B2 und B3) erfolgten deutlich mehr Bewerbungen, als es Plätze gab, und so konnten von den zirka 400 Bewerbungen nur 80 Kunst- und Kulturschaffende insgesamt teilnehmen. Die ausgewählten Kunst- und Kulturschaffenden – Kriterien der Auswahl waren die künstlerische Ausbildung und Erfahrung, pädagogische „Unerfahrenheit“, Motivation und Engagement für das Feld der Kulturellen Bildung – verpflichteten sich, an fünf (Durchgang 1) bzw. vier (Durchgänge 2 und 3) Modulen mit mehrtägigen Netzwerktreffen und zusätzlichen Vor- und Nachbereitungszeiten teilzunehmen sowie ein Praxisprojekt durchzuführen. Als Selbstständige bedeuteten die Tage der Präsenzpflicht für die teilnehmenden Kunst- und Kulturschaffenden einen Verdienstausfall. Die Teilnahme – insbesondere die Durchführung des zeitlich aufwendigen Praxisprojektes – konnte für die Kunst- und Kulturschaffenden, die dem Konzept der Bündnispartner*innen entsprechend bundesweit und aus verschiedenen Gebieten der Künste ausgewählt wurden, im Rahmen der Förderrichtlinie nicht vergütet werden. Einerseits verstärkte dies die spezifischen Asymmetrien des Feldes der Kulturellen Bildung, in dem selbstständige Kreative in der Regel höchstens auf Honorarbasis mit – in der Regel – Festangestellten kooperieren (vgl. Speck/Hohmaier 2017, Hohmaier/Speck 2019; Willenbacher 2012).
„Interessant an der geschilderten Konstellation Geldgeber/Künstler in diesem Zusammenhang ist, dass es kein benennbares Austauschverhältnis gibt. Weder stellt der Künstler ein Produkt oder Werk für einen Markt bzw. Auftraggeber her, noch stellt er dem Staat oder einer von ihm getragenen Institution seine Arbeitskraft direkt zur Verfügung. Vielmehr sind Konstellationen entstanden, die für unterschiedliche Akteure einen finanziell gesicherten Möglichkeitsraum etablieren, der nicht in der Logik Geld gegen Ware funktioniert – aber wie dann? Diese Frage ist durchaus Thema bei den Zusammenarbeiten zwischen Kultur und Schule, da die Künstler außerhalb der Institutionen stehen und für ihre Arbeitsleistung meist deutlich weniger verdienen als die in den Institutionen fest angestellten Mitarbeiter/innen – sowohl im Bildungs- als auch im Kulturbereich.“ (Willenbacher 2012:76f.)
Andererseits verdeutlicht die hohe Bewerber*innenzahl – die trotz dieses Rahmens auch in den anderen Weiterbildungsprogrammen der Förderrichtlinie in Erscheinung trat (vgl. auch Josties 2017, Ludwig 2017:207ff., Kußmaul 2017:393ff.) – wie stark der Bedarf nach einer Qualifizierung bzw. nach Vernetzung und Beratung aufseiten der Kunst- und Kulturschaffenden war.
Als Anforderungen an die Programme der Förderrichtlinie hatte das BMBF u. a. die „reflexive Begleitung und Nachbereitung einer praktischen Tätigkeit von Kunst- und Kulturschaffenden in Bildungskontexten“ sowie die „Schaffung innovativer Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und gemeinsamen Qualifizierung von Kunst- und Kulturschaffenden und pädagogischen Fachkräften“ formuliert (BMBF 2013). Gleichzeitig konnte der Kompetenzkurs als ein Programm, das mit Bundesmitteln finanziert war, nicht in die Bildungshoheit der Länder eingreifen und Schulen bzw. Lehrkräfte adressieren. Als vorwiegend Unerfahrene im pädagogischen Feld, als die die Kunst- und Kulturschaffenden entsprechend des Konzepts der Verbundpartner*innen in die Qualifizierung aufgenommen worden waren, verfügten sie oft noch nicht über die notwendigen Netzwerke, Erfahrungen und Verhandlungssicherheit, um finanzielle und zeitliche Rahmenbedingungen auf Augenhöhe zu verhandeln. Dies war zu einem Teil in den grundsätzlichen Rahmenbedingungen der Fortbildung begründet (Vorgaben der Förderrichtlinie, s. o.). Es war gleichzeitig Intention in der Fortbildung und hier vor allem innerhalb des Praxisprojektes, mit den Realbedingungen zu arbeiten und keinen „geschützten Rahmen“ für Kooperationsanbahnungen anzubieten: Die Akteur*innen sollten in eine aktive Rolle hineinkommen, eigenständig Handlungsstrategien entwickeln und Probleme definieren können.
Ebenso standen die Vorgaben der Förderrichtlinie einer symmetrischen interprofessionellen Fortbildung (in dem Sinne, dass den Akteur*innen der verschiedenen Professionen die gleichen Rahmenbedingungen geboten werden konnten, z. B. Reisekosten, Verpflegung und Übernachtung) – wie sie auch aus wissenschaftlicher Sicht gefordert wird (vgl. Hohmaier/Speck 2017) – entgegen.
Aus Sicht der Kunst- und Kulturschaffenden addierten sich die durch die Rahmenbedingungen strukturell verursachten Erschwernisse zu einer Summe, die in wenigen Ausnahmefällen die Vorteile der Qualifizierung – z. B. Netzwerke aufzubauen, Austausch zu haben, Kompetenzen zu erwerben, Methodiken und Techniken zu erproben, Zugang zum Feld der Kulturellen Bildung zu erlangen und ein hochwertiges Zertifikat zu erhalten – nicht aufwogen. 3 der 80 Teilnehmer*innen brachen den Kurs ab. 77 Kunst- und Kulturschaffende erhielten ein Zertifikat, welches ihnen – nach ihrer eigenen Wahrnehmung – wesentliche Vorteile im Ringen um geeignete Kooperationsbedingungen für ihre weiteren Projekte der Kulturellen Bildung verschaffen sollte. Gleichwohl ist das Betätigungsfeld „Kulturelle Bildung“ oftmals nicht nur aufgrund der Rahmenbedingungen und Strukturen schwer zu bewältigen ist, sondern auch die Arbeitsbedingungen selbst sind teilweise nur wenig attraktiv. Die Qualität der künstlerischen Arbeit steht nicht im Verhältnis zu den Existenzbedingungen. Dieser – über die Weiterbildung weit hinausgehende Aspekt – tauchte im Austausch des Kompetenzkurses an manchen Stellen auf. Eine der Kunst- und Kulturschaffenden des Kompetenzkurses machte die systemischen Grenzen und symbolischen Machtfragen in einem offenen Brief an die Verbundpartner und die Teilnehmer*innen ihrer Gruppe zum Thema:
„Was jedoch auf der Strecke blieb bei all dem Spaß, war die Moosfrage. Und jetzt spiele ich mal die Spaßbremse: in der Moosfrage bildet sich die bildungspolitische Wertschätzung ab. 25 Euro pro jede geleistete Stunde […] ohne Vor- und Nachbereitung (!) kann ich mir als Selbstständige nicht leisten.“ (Hoevel 2016)
Erste Lösungsansätze
Für die Projektleitung, welche die Qualifizierungen plante und durchführte, ergab sich aus dieser komplexen Ausgangslage eine zusätzliche Verantwortung: Für die Qualität des Produktes „Weiterbildung, Qualifizierung“ musste sie die oben knapp skizzierten systemischen Defizite und Erschwernisse für die teilnehmenden Kunst- und Kulturschaffenden gut im Blick haben und sich in den Institutionen für die Weiterentwicklung und Verbesserungen dieser Bedingungen einsetzen.
Die Projektleiter*innen boten – weit über den im Konzept der Fortbildung dafür vorgesehenen zeitlichen Rahmen – telefonische Beratung zu den Praxisprojekten an und konnten im Prozess der laufenden Projekte Krisen und dringende Fragen bearbeiten. Konflikte und Fragestellungen in diesem Themenfeld, die sich für die Kunst- und Kulturschaffenden in Kooperationen vor Ort entwickelten, wurden dann anschließend im Rahmen weiterer zusätzlicher Gesprächsangebote durch die Projektleitung aufgenommen und gemeinsam mit den Akteur*innen reflektiert. Auch wurden die für die Praxis der Kulturellen Bildung zentralen Aspekte des Perspektivenwechsels durch neue eigens dafür entwickelte methodische Ansätze und Verfahren durch die Projektleitung erfahrbar gemacht und analysiert (vgl. Jas 2016). Fragen der Kooperation mit anderen Akteuren des Feldes wurden über interdisziplinäre didaktische Ansätze und den Austausch in der Gruppe vermittelt. Darüber hinaus wurden künstlerische Methodiken projektspezifisch befördert.
Die Teilnehmer*innen aller drei Durchgänge unterstützten dies durch konkrete Anregungen und Ideen. Sie äußerten u. a. den zusätzlichen Bedarf nach Vermittlung managerialer Kompetenzen wie Fundraising, Antrags- und Konzeptentwicklung und Finanzakquise (vgl. Speck/Hohmaier 2017).
Im Rahmen des daraufhin zusätzlich durchgeführten Netzwerktreffens „Ohne Moos nix los“ für die Teilnehmer*innen beider Jahrgänge 2015 – 2016 vermittelten Expert*innen, wie die Fachwirtin für Marketing und Kommunikation Barbara Mei Chun Müller, zentrale Aspekte des Projektmanagements und der Finanzakquise. Ein wichtiges Moment dieses Netzwerktreffens war es insbesondere – neben der Vermittlung fachspezifischer Kenntnisse – auch Selbstdeutungshoheit zu stärken. Im Zentrum stand dabei, die Kunst- und Kulturschaffenden zu motivieren und zu bestärken und im Sinne der kuratorischen Praxis, von ihren Anliegen und Forschungsinteressen ausgehend, eigene größere Kollaborationsprojekte auf einer dafür angemessenen Honorarbasis zu entwickeln. Möglichkeiten dazu wurden im lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Bereich der staatlichen und privatwirtschaftlichen Förderung aufgezeigt.
Darüber hinaus wurde in den Steuergruppentreffen der Verbundpartner analysiert, dass die Einplanung von Expert*innen mit künstlerischem Blick wichtig sei, ebenso, wie es gelte, den Ansatz der ästhetischen Forschung miteinzubeziehen, dabei jedoch nicht als Methode zu vermitteln, da dieser eine Haltung sei (vgl. Nguyen 2016). Durch einen – sich zufällig entwickelnden – personellen Wechsel, der es erlaubte, künstlerische Expertise auf Programmleitungsseite miteinzubeziehen, wurde der künstlerische Aspekt der Fortbildung gestärkt. Hinzu kam die Modifikation des Curriculums (dazu detailliert: Jas/Knoke 2018). Die Inhalte der Durchgänge (B2) und (B3) widmeten sich im vierten Modul verstärkt den Fragen einer künstlerischen Haltung, um so den Erwartungen der Teilnehmer*innen im Sinne einer „Nutzerorientierung“ (vgl. Hohmaier/Speck 2017) ebenfalls besser entgegenzukommen. Spätestens an dieser Stelle wurde vonseiten der Teilnehmer*innen die bewusste Entscheidung für oder gegen das Einsatzfeld Kulturelle Bildung getroffen. Dies hatte jedoch nicht die Konsequenz eines vorzeitigen Abbruchs der Weiterbildung, deren Inhalte auch für weitere Bereiche der künstlerischen Praxis gute Impulse boten (siehe nächstes Kapitel). Vielmehr wurde das Angebot der Qualifizierung in diesen (Ausnahme-)Fällen dazu genutzt, den weiteren künstlerischen Weg mit den Hilfestellungen des Kompetenzkurses zu reflektieren und zu analysieren. Es diente einer Selbstvergewisserung in Bezug auf Entscheidungen und Arbeitsformen. Diesen Prozess im Rahmen einer Weiterbildung zu durchlaufen, birgt den großen Vorteil, dass nicht andere Akteur*innen, wie Kinder und Jugendliche, im Rahmen von umfangreicheren Projekten in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch können Schlussfolgerungen und Alternativen (z. B. die Erkenntnis, dass bestimmte Altersgruppen einer Person besser liegen als andere) relativ schnell im reflektierten Austausch entwickelt werden.
Möglichkeiten einer Qualifizierung für Kunst- und Kulturschaffende in Projekten der Kulturellen Bildung
Transfermöglichkeiten aus den Inhalten der einzelnen Module für die künstlerische und kulturelle (Bildungs-)Praxis von Kunst- und Kulturschaffenden
Die einzelnen Module und ihre Inhalte bieten Kunst- und Kulturschaffenden Möglichkeiten für einen Transfer in künstlerische Praxis – in der Kulturellen Bildung oder partizipativen künstlerischen Projekten und darüber hinaus auch in eigene künstlerische Forschungsvorhaben.
Erkenntnisse über die Lebenswelten und Bedingungen des Bildungserfolgs von Kindern und Jugendlichen können für die Konzeption und Durchführung kultureller Projekte eine neue Grundlage bieten. Dabei geht es nicht darum, dienstleistungsorientierte und marktförmige Angebote für eine sogenannte Zielgruppe zu entwickeln (vgl. ZHdK 2012), sondern Methodik und Instrumente einsetzen zu können, um im Vorfeld der Projekte Lebenswelten zu recherchieren und zu erforschen, z. B. durch Interviews mit Kindern und Jugendlichen, durch Gespräche mit Pädagog*innen oder durch Formen des künstlerischen Mappings (vgl. Möntmann et al. 2004:214).
Ein wesentliches Element künstlerischer Prozesse in der kulturellen Bildungspraxis bildet Widerständigkeit (vgl. Baumann et al. 2008; Fuchs 2016:75ff., 165ff.) als persönlichkeitsstärkender Aspekt. Wichtig in der gemeinsamen Arbeit ist Vielfältigkeit und Mehrdeutigkeit als klare Abgrenzung zu den Formen der linearen kognitiven Wissensproduktion (vgl. Hentschel 2016:55). Diese Elemente der Kulturellen Bildung finden sich vergleichbar in künstlerischen Produktionen wieder. Experimentelle Verfahren und innovative Produktionsweisen als künstlerische Arbeitsweisen gehören ebenso zu Projekten der Kulturellen Bildung. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen kann daher auch ein gemeinsames Forschen sein (vgl. Peters 2013). Sie kann als Erkenntnisprozess für die Kunst- und Kulturschaffenden selbst verstanden werden, in dem im gemeinsamen Prozess eigene Vorannahmen hinterfragt werden können. Kunst- und Kulturschaffende können dadurch auch die eigene Praxis reflektieren und weiterentwickeln. Gleichzeitig bilden diese Elemente die Grundlage für die Entwicklung einer qualitativ hochwertigen künstlerischen Arbeitsweise, mit der Kinder und Jugendliche durch die verwendeten Methodiken und die künstlerische Haltung experimentelle Arbeitsweisen erproben können.
Projekte Kultureller Bildung in dem noch relativ jungen System von Ganztagsschulen und lokalen Bildungslandschaften sind erforderlich und gewünscht. Wissen von und über Kinder und Jugendliche, die einen großen Teil des Tages in einer oder in mehreren Bildungsinstitutionen verbringen und Räume zum künstlerischen Experimentieren benötigen, die vielfältige, heterogene, selbstwirksame und persönlichkeitsstärkende Erfahrungen ermöglichen, sind daher ein weiterer, wichtiger Impuls für den Transfer in die künstlerische Praxis.
Ganztagsschulen sind komplexe Systeme, die oft rhythmisiert strukturiert sind und in verschiedenen Kooperationsnetzwerken in unterschiedlicher Weise agieren. Kunst- und Kulturschaffende können basierend auf den Inhalten der Module neue Formen der Zusammenarbeit mit Pädagog*innen entwickeln. Kulturinstitutionen können dazu als außerschulische Lernorte wahrgenommen und innovative fächerübergreifende Themen entwickelt werden.
Im Feld der Kulturellen Bildung haben sich verschiedene Ansätze entwickelt, die sich auf unterschiedliche forschende Verfahrensweisen, Handlungsrahmen und Themen beziehen. Die künstlerische Forschung und die ästhetische Forschung sind Verfahrensweisen, die sich in Projekten der Kulturellen Bildung finden. Der künstlerische Prozess gestaltet dabei den Weg, auf dem neue Erfahrungen, Übereinkommen und Produkte entstehen. Die kollaborativen Formen der künstlerischen Forschung sind oft Grundlage von innovativen Projekten der Kulturellen Bildung, wie etwa Interview-Formen, gemeinschaftliche Archive, dokumentarische Performances oder partizipative Stadtforschung. Unterschiedlichste Wissensformen können das Ergebnis der künstlerischen Forschung sein. Hierzu zählen „Embodied/tacit knowledge“, minoritäres Wissen und Erfahrungswissen (vgl. Sevsay-Tegethoff 2007:15). Es werden Versuchsanordnungen entwickelt, die Experimentierräume für Dialoge und Perspektivenwechsel bieten (vgl. Badura 2015:110). Die ästhetische Forschung verbindet die Bereiche von Alltag, Kunst und Wissenschaft. Auf der Grundlage des Konzepts ästhetischer Bildung von Helga Kämpf-Jansen werden vorwissenschaftliche Erfahrung, künstlerische Strategien und wissenschaftliche Erkenntnisse in einem stringenten Methodengerüst zusammengebracht (vgl. Kämpf-Jansen 2012:19ff., 254).
Die Inhalte in Bezug auf Kooperationen mit Bildungsinstitutionen können ebenfalls neue Impulse für einen Transfer auf unterschiedlichen Ebenen bieten. Der Dialog mit Kindern und Jugendlichen kann beispielsweise einen „Realitätscheck“ bedeuten: „Wie wird meine Vorstellung von künstlerischer Arbeit in diesem Kontext wahrgenommen?“ Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Kulturbegriffen verschiedener Kooperationspartner befördert selbstreflexive Prozesse. Kooperationsprojekte sind mittlerweile zu einem relevanten künstlerischen Format gewachsen, welche auch in anderen Bereichen der Künste und Kultur etabliert sind. Künstlerische Netzwerke können ebenso entwickelt werden wie dauerhafte Tandem-Partnerschaften mit Bildungs- und Kulturinstitutionen. Dies ermöglicht nicht nur stabilere ökonomische Verhältnisse, sondern schafft – als eine weitere Transfermöglichkeit – auch verlässliche Rahmenbedingungen für innovative und experimentelle künstlerische Forschungsansätze.
In Projekten mit Kindern und Jugendlichen sollte es für Kunst- und Kulturschaffende auch darum gehen, einen professionellen künstlerischen Standpunkt weiterzuentwickeln. Die Auseinandersetzung mit Vermittlungsweisen und ihre Erwägung in Bezug auf die eigene künstlerische Haltung können Erfahrungen vermitteln, die für die künstlerische Praxis relevant sind. Künstlerische Medien konnten spezifisch untersucht, erprobt und weiterentwickelt in neuen Handlungsrahmen gestaltet werden. Weitere Bezugsebene konnten durch die Vermittlung von Möglichkeiten künstlerischer Bildungsprozesse an verschiedenen Orten wie Schulen, Museen, Jugendkunstschulen, Musikschulen, Chören, medienpädagogischen oder soziokulturellen Einrichtungen eröffnet werden.
Künstlerisch und pädagogisch: ein Spannungsverhältnis, das sowohl Resonanz erzeugt, als auch Widerstand. Eine Konzeption und Beschreibung der besonderen Haltung und Rolle von Kunst- und Kulturschaffenden ist in diesem komplexen und vielschichtigen Gewebe der Systeme, Akteure und Medien letztendlich nicht leicht. Konkrete Elemente, welche Kunst- und Kulturschaffende als Expert*innen in die Bildungsprozesse und Lernsettings einbringen, sind der Bezug zu den Künsten, die besondere künstlerisch-kreative Herangehensweise an Fragestellungen und ein künstlerisch-ästhetisches Bewusstsein. Als eine weitere Möglichkeit des Transfers schuf der Kompetenzkurs Reflexionsräume zu diesen Themenkomplexen, denn Kunst- und Kulturschaffende bringen individuelle und damit singuläre ästhetische Wahrnehmungsebenen in die gemeinsame Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein, unterstützen sie dadurch und geben ihnen Anerkennung. Dieses Potenzial ist Kunst- und Kulturschaffenden nicht immer bewusst.
Qualität der Kulturellen Bildung mit Kunst- und Kulturschaffenden
Den Teilnehmer*innen am Kompetenzkurs wurden – ausgehend von den oben beschriebenen Transfermöglichkeiten von Inhalten der Module – Impulse vermittelt und der Raum zur Reflexion geschaffen. Die Sinnhaftigkeit der künstlerischen Arbeit in gesellschaftlichen Räumen in der Praxis der Kulturellen Bildung sollte spürbar gemacht werden – z. B. durch die Vermittlung einer Haltung in Bezug auf offene Begegnungen, geprägt durch zugewandtes Interesse für Neues und Unerwartetes; durch die eigene Wertschätzung der Projekte als Fortsetzung künstlerischer Prozesse mit Kindern und Jugendlichen; durch den sozialen und politischen Einsatz für Bildungsgerechtigkeit und partizipativer Gestaltungsansätze. Das – mögliche – eigene Erleben dieser Form von Sinnhaftigkeit und der damit verbundenen Selbstwirksamkeit bildet eine Grundlage, Kindern und Jugendlichen in eigenen Projekten ebenfalls den Raum für Selbstwirksamkeit und Partizipation zu schaffen.
Durch eine Verbindung des künstlerischen und gestalterischen Anliegens mit gesellschaftlichem Engagement kann die Arbeit von Kunst- und Kulturschaffenden im Feld der Kulturellen Bildung erheblich zur Qualität der Kulturellen Bildung für Kinder und Jugendliche beitragen. Dies setzt den fachlich beratenen und begleiteten Austausch in der Qualifizierung voraus – auf sich alleine gestellt, ist die erforderliche Reflexion in Bezug auf selbstwirksame kollaborative Prozesse mit Kindern und Jugendlichen erheblich erschwert. Die teilnehmende Künstlerin des Kompetenzkurses Christiane ten Hoevel formulierte in diesem Kontext als eigenen Wirksamkeitsanspruch:
„Als Kunstschaffende bin ich keine Einkommensarbeiterin, sondern eine Visionsarbeiterin. D. h. mein Tun ist als wichtigste Prämisse getragen und getrieben von Sinnhaftigkeit. [...] Was wir als Kunstschaffende hier machen ist, an neuen Bildungszusammenhängen zu forschen, die heranwachsende Generationen zu Individuen und Teamworkern heranbilden, die wertfrei und offen wahrnehmen, ganzheitlich, erweitert und alternativ denken und handeln, ergebnisoffen, selbstermächtigt und demokratisch vorgehen und sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind. Das ist Zukunftsforschung am Menschen und an der Gesellschaft.“ (Hoevel 2016)
Praxiseinblick
Angesichts der weiter oben aufgezeigten systemischen Herausforderungen im Rahmen der Förderrichtlinie des BMBF (BMBF 2013) sowie der Spannungsfelder des Arbeitsfeldes selbst, bedurfte es für die Durchführung der Praxisprojekte neben der Beharrlichkeit der Teilnehmer*innen auch der oben geschilderten Reflexionsmöglichkeiten und Impulse durch die Inhalte der einzelnen Module.
Exemplarisch wird im Folgenden ein Praxisprojekt – das künstlerische Fotografie-Projekt Lapses der Künstlerin Maja Gratzfeld – geschildert; Maja Gratzfeld hat 2016 am zweiten Durchgang der Weiterbildung in der Gruppe B3 teilgenommen.
Eine zeitliche Verschiebung ermöglichte zum einen die intensive Begleitung und die Rücksprachen der Projektleitung mit verschiedenen Perspektiven. Die besonderen Strategien der künstlerischen Präsentation und der Partizipation, welche dieses Projekt charakterisieren, wurden zum anderen in ähnlicher Weise auch von einigen anderen Teilnehmer*innen des Kompetenzkurses im Rahmen der Praxisprojekte erprobt (z. B.: BKJ/DKJS 2016:13, 42, 52). Aus diesen Gründen wurde Lapses zur Darstellung als einer möglichen Form der Erfahrung im Rahmen der Praxisprojekte ausgewählt.
Mit folgendem Konzept engagierte sich Maja Gratzfeld nachhaltig darum, in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum eine Kooperation mit einer Schule für ihr Praxisprojekt umzusetzen.
„Dem Fotokurs mit Einwegkameras, soll ein interkultureller Dialog zugrunde liegen. Dieses Projekt soll einen Raum für Teilnehmer schaffen, anhand von künstlerischer Methodik, sich mit der Frage nach Identität und Individualität auseinander zusetzten. Anhand von Fotografien wird das eigene Leben betrachtet und die eigene Verortung im soziokulturellen genauer betrachtet. Themen über gesellschaftliche Sozialisierung, Religionen, Gefühle von Zugehörigkeit und Ausgrenzungen sollen durch die Auswertung von Bildern besprochen und einfühlsam begleitet werden. angestrebte Vermittlungsziele:
- Perspektivwechsel (Wie nehme ich Dinge in meiner Umwelt wahr, wie nimmt mein Gegenüber diese Dinge wahr)
- besserer Umgang mit Narrativen in der visuellen Wahrnehmung
- Vermittlung von Verantwortung und Einfühlung
- Vermittlung und Umgang mit ethnischen Fragestellungen von Jugendlichen und den universellen Menschenrechten“ (Gratzfeld 2016).
Aufgrund zeitlicher Abläufe zögerte sich die Umsetzung immer weiter hinaus, sodass die Künstlerin ihr Projekt kurzfristig im Rahmen der Berlin Mondiale (einem Netzwerk von Kultureinrichtungen und Unterkünften für geflüchtete Menschen in Berlin, welches in Tandem-Partnerschaften künstlerische Programme und Projekte der kulturellen Begegnung realisiert) mit Kindern und Jugendlichen der ASB-Notunterkunft Alt-Moabit durchführte. Auffallend an ihrer Konzeption war die Kombination aus einem ethisch-philosophischen Ansatz in Verbindung mit einer klaren Anordnung und Strukturierung der Abläufe.
- „Bestandsaufnahme der Umwelt anhand von einem Diarahmen (die Trockenübung)
- gemeinsam wird in der Gruppe eine Route festgelegt, welche zusammen abgelaufen werden soll
- zusätzlich wird ein Diarahmen an jeden Teilnehmer ausgeteilt, er fungiert als Werkzeug um verschiedene Bildausschnitte auf der gewünschten Route zu betrachten. Nachbesprechung
- Einführung in die Technik der Einwegkamera
- kurze Erklärung zur Handhabung
- gemeinsame Auswertung des Materials
- Erarbeitung einer Präsentationsmöglichkeit (z. B. Katalogs oder Ausstellung)“ (Gratzfeld 2016).
Hinzu kam eine ästhetische Visualisierung des Konzepts und der Dokumentation mit fotografischen Mitteln, die keine Unterscheidung zwischen der Präsentation der Werke der Künstlerin auf der einen Seite und ihren Projekten der Kulturellen Bildung auf der anderen Seite vollzog. Auf diese Weise vermied Gratzfeld eine Hierarchisierung zwischen Kunst und Kultureller Bildung, denn sie nutzte die symbolische Kraft einer künstlerischen Inszenierung für die Vermittlung im Feld der Kulturellen Bildung. Dadurch verschaffte sie den Teilnehmer*innen eine Sichtbarkeit ihrer Produktion als wesentliche Grundlage für partizipative Prozesse.
Nach der erfolgreichen Durchführung des Projektes mit den Kindern und Jugendlichen der Unterkunft entwickelte Gratzfeld in diesem Sinne die Broschüre Lapses, welche die Zusammenarbeit zunächst aus ihrer Perspektive dokumentiert und reflektiert. Lapses versammelt die sogenannten „Fehler“: Bilder, die – so die Künstlerin – in den Augen der Teilnehmer*innen „nichts geworden sind“: „It was important to me to show a visualization of the development the participants went through, therefore, I have chosen to use photographs, which are usually labeled as ‘failures’ or ‘lapses’. Aesthetically persuasive, together these pictures tell a story of the transmission of light, time, forms and colors under the condition of arrival and departure. (Gratzfeld 2017)
„Es war mir wichtig, die Entwicklung der Teilnehmenden im Prozess des Projektes in Form einer Visualisierung sichtbar zu machen. Deshalb habe ich mich für Fotos entschieden, die in der Regel als ‚Misserfolge‘ oder ‚Lapses‘ bezeichnet werden. Ästhetisch überzeugend, erzählen diese Bilder in ihrer Ganzheit eine Geschichte der Übertragung von Licht, Zeit, Formen und Farben unter der Bedingung der Ankunft und Abreise.“ (freie Übersetzung ins Deutsche nach Gratzfeld 2017)
Im Feedback-Gespräch im Rahmen des Kompetenzkurses berichtete Gratzfeld über Schwierigkeiten und Chancen. In Bezug auf Material waren die Ressourcen nicht ausreichend. Die Heterogenität der Gruppe hätte eine größere Vielfalt im Materialangebot erforderlich gemacht. Neben den Einwegkameras organisierte Gratzfeld daher in der Situation noch Malmaterial für jüngere Teilnehmer*innen. Auch die Unruhe des Ortes in der Unterkunft – keinen eigenen Raum vorzufinden – erschwerte ihr die Arbeit anfänglich. In den künstlerischen Arbeitsprozessen lösten sich die Schwierigkeiten auf, vor allem durch die Freude und intensive Mitarbeit der Kinder und Jugendlichen, der sie durch ihre Methodik Raum geben konnte. Es sei vieles anders gekommen, als ursprünglich geplant, so Gratzfeld, aber dadurch habe sie auch einen großen Freiraum erfahren. Die Fragen der Teilnehmer*innen an das Medium und die zwischenmenschlichen Prozesse hätten sie tief beeindruckt. Es habe keine Exklusion stattgefunden und die Offenheit der Räume und der Teilnehmer*innen, sich auf ihr künstlerisches Angebot einzulassen, habe sie sehr zufriedengestellt.
Die Leiterin der Unterkunft schilderte ihre Beobachtungen des Projektes. Danach sei es Gratzfeld gelungen, die Kinder und Jugendlichen u. a. durch informierende und spannende Plakatierungen in den Räumen der Unterkunft zu gewinnen. Das sei nicht einfach und viele andere Künstler*innen würden an der Gewinnung scheitern. Dazu gefiel ihr das klare Konzept, welches Gratzfeld vorher mit ihr besprochen hatte. Begeistert war sie von dem Endprodukt – der Broschüre – und sie lud die Künstlerin zu einem weiteren Projekt im Rahmen der Berlin Mondiale ein. Gratzfeld nutzte diese Möglichkeit u. a. dazu, um mit den Kindern und Jugendlichen an den Lapses anzuknüpfen und gemeinsam mit ihnen nach neuen Wegen zu suchen.
Lapses macht für Prozesse der Kulturellen Bildung deutlich: Alle haben etwas davon. Gut vorbereitet – auch unvorhersehbare Änderungen und von der Planung abweichende Prozesse –, gut begleitet und gut reflektiert, entsteht Raum für ein gemeinsames Lernen und Erforschen durch künstlerische Prozesse mit nachhaltiger und positiver Wirkung. Das folgende Kapitel wirft abschließend einen Blick darauf, wie Qualifizierungen in Zukunft aussehen könnten, um diese Wirkungen besser zu ermöglichen.
Erkenntnisse aus dem Kompetenzkurs
Zentraler Aspekte einer Qualifizierung muss es sein, Impulse zu vermitteln, Raum zur Reflexion zu geben und Praxistransfer zu begleiten.
Netzwerke aufbauen zu können, Reflexionsfähigkeit zu erlangen, Überzeugungskraft zu gewinnen, sich mit zeitgenössischen Themen auseinandersetzen zu können, Analysefähigkeit zu üben, Präsentieren zu erlernen und Dialogkompetenz sind Kompetenzen, die für das Berufsfeld der Kulturellen Bildung in der Auseinandersetzung mit den Modulen der Fortbildung erworben werden konnten (vgl. Speck/Hohmeier 2017). Auch, wenn drei der Kunst- und Kulturschaffenden sich nach der Erfahrung einer Weiterbildung wie dem Kompetenzkurs von dem Arbeitsfeld der Kulturellen Bildung aus unterschiedlichen Gründen abwandten (Finanzakquise zu aufwendig, zeitliche Strukturen des Feldes nicht kompatibel mit eigenen aktuellen Ausstellungsprojekten u. ä.) – konnten sie im Kurs Kompetenzen erwerben, die in anderen Feldern ihres Berufes, wie dem „Kunstmarkt“, Voraussetzungen sind, um zu bestehen, siehe dazu auch die obigen Ausführungen.
Gleichzeitig war die Arbeit im Feld der Kulturellen Bildung für die Kunst- und Kulturschaffenden im Kompetenzkurs – nach Wahrnehmung der Verbundpartner (vgl. Universität Oldenburg 2016, Blaneck/DKJS 2015) – durch polare Dynamiken auf verschiedenen Ebenen geprägt. Aus der Weiterbildung und insbesondere dem erhobenen Material der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation hat die Universität Oldenburg im Arbeitsprozess Spannungsfelder identifiziert, in denen sich die Kunst- und Kulturschaffenden in ihrer Arbeit an Ganztagsschulen und anderen Bildungseinrichtungen in Bildungslandschaften bewegen:
- Auf der Beziehungsebene in Bezug auf die Rolle von Kunst- und Kulturschaffenden stehen Abhängigkeiten von pädagogischen Fachkräften sowie Erwartungen gegenüber der besonderen Position von Kunst- und Kulturschaffenden und deren eigenen Erwartungen an Kooperation und Koproduktion.
- Auf der Ebene der monetären und künstlerischen Ressourcen stehen prekäre Arbeitsverhältnisse mit oft zu wenig Stunden bei geringer Bezahlung sowie der Einschränkung von Freiheit durch kontinuierliches Arbeiten gegenüber Leuchtturmprojekten und der Sicherheit durch eine regelmäßige Struktur.
- Auf der Sachebene in Bezug auf einer Verortung der Angebote der Kunst- und Kulturschaffenden als Verstärkung oder Ergänzung des Lernalltags steht das Aufgreifen von Inhalten des Lehrplans der Einmaligkeit und Zusätzlichkeit der Veranstaltung gegenüber.
- Auf der Ebene der Methodik zwischen Handlungsfreiheit und problematischen Situationen steht das Einsetzen von Freiem, Kreativem und Intuitivem sowie auch das Testen neuer Ansätze ohne Zwang zum Erfolg gegenüber dem spontanen Reagieren-Müssen auf geänderte Situationen; dem sensiblen Eingehen auf Heterogenität und Diversität mit minimalen Sanktionsmöglichkeiten; den problematischen Einstellungen der Teilnehmer*innen; z. B. bei Mobbing sowie dem Grenzen Setzen-Müssen.
Zu diesen Spannungsfeldern auf den Ebenen der Beziehung, der Ressourcen, der sachlichen Inhalte und Methodik kommt die Dynamik eines sich ständig erweiternden Arbeitsfeldes der Kulturellen Bildung hinzu, die verschiedenste Anforderungen und Ziele verfolgt, wie z. B. Bildungsgerechtigkeit unterstützen, Inklusion ermöglichen oder Partizipation entwickeln. Eine zentrale Erkenntnis ist es, diese Zusammenhänge in der Konzeption und Umsetzung einer zeitgemäßen Qualifizierung zu reflektieren und zu vermitteln, damit Kunst- und Kulturschaffende realistisch auf die Praxis vorbereitet werden können.
Empfehlungen für Qualifizierung mit Kunst- und Kulturschaffenden in Projekten der Kulturellen Bildung
Mit dem Konzept des Curriculums wurde ein klares, handhabbares und motivierendes Weiterbildungskonzept entwickelt und vermittelt, welches für den Transfer geeignet ist. Die Weiterbildung stieß auf große Resonanz und Nachfrage der Akteure im Feld der Kulturellen Bildung. Von verschiedenen Seiten wurde Interesse am Ansatz und der Umsetzung (z. B. Schulaufsichten, Weiterbildungsträger verschiedener Bundesländer, Universitäten) geäußert. Im Rahmen der Qualitätsentwicklung konnte die Weiterbildung den Bereich von Kooperation fördern. Die Rolle von Bildungspartnern erfuhr hohe Wertschätzung durch die teilnehmenden Kunst- und Kulturschaffenden, so wie auch die Kooperationen zwischen Partner*innen verschiedener Institutionen (vgl. Speck/Hohmaier 2017).
Für die Weiterentwicklung und Verbesserung von Qualifizierungen mit Kunst- und Kulturschaffenden für die Kulturelle Bildung hinsichtlich von Ganztagsschulen und lokalen Bildungslandschaften können basierend auf den Erfahrungen mit dem Kompetenzkurs Empfehlungen formuliert werden. Diese richten sich an Expert*innen, die Weiterbildungen konzipieren und durchführen (Mikroebene), an Bildungs- und Kulturinstitutionen, wissenschaftliche Einrichtungen sowie Träger von Fortbildungen (Mesoebene) und an Entscheidungsträger*innen der Kultur- und Bildungspolitik sowie der Verwaltung (Makroebene).
Mikroebene
- Kunst- und Kulturschaffende kommen aus unterschiedlichen künstlerischen Kontexten und verfügen über Arbeitsbiografien mit großer Diversität (vgl. Hohmaier/Speck 2017). Dadurch bringen sie als Teilnehmer*innen einer Weiterbildung unterschiedliche Kompetenzen mit, die als Potenzial stärker eingebunden werden sollten. Ziel muss es sein, die ästhetischen Lernprozesse als Aufgabe von Bildung mitzudenken.
- Das Berufsfeld der Kunst- und Kulturschaffenden ändert sich aktuell sehr stark, u. a. auch in die Richtung des Projektmanagements und des Unternehmertums (vgl. Lingo/Tepper 2013:337). Manageriale Kompetenzen und Belange sollten daher bei der Konzeptionierung von Fortbildungen neben pädagogischen Kompetenzen stärker in den Blick genommen werden, ebenso die Förderung von Antragskompetenzen sowie Kommunikations- und Präsentationskompetenzen.
- Praxisprojekte sind wichtige Entwicklungs- und Lernfelder und daher eine wichtige Reflexionsfläche, im Sinne eines praktischen Abgleichs für die Inhalte und Wirksamkeit von Weiterbildungen. Sie sollten daher an zentraler Stelle stehen.
- Wichtig ist es für die „Bildner*innen“ im Bewusstsein zu haben, dass gezielte Ansprache, individuelle Methodik und strategische Netzwerkarbeit individuelle Lebenswege der Teilnehmer*innen fördern und unterstützen können.
- Kunst- und Kulturschaffende sollten gut darin unterstützt werden, ihre Arbeit in der kulturellen Bildungspraxis im Vergleich zu ihren anderen Tätigkeiten innerhalb ihres Berufsfeldes in gleicher Weise wertzuschätzen und zu repräsentieren.
- Kulturelle Bildung steht ebenso wie künstlerisches Schaffen im Kontext gesellschaftlicher Zusammenhänge. Kunst- und Kulturschaffende, die genau an dieser Schnittstelle interessiert sind, haben eine besondere intrinsische Motivation für kulturelle Bildungspraxis und sollten besonders durch Qualifizierungsangebote adressiert werden.
Mesoebene
- Die multiprofessionelle Fortbildung von Kunst- und Kulturschaffenden und Lehrkräften, Pädagog*innen und Erzieher*innen eröffnet leichteren Zugang der Teilnehmer*innen zu Einrichtungen und Bildungslandschaften, bildet Nachhaltigkeit von Projekten und Netzwerken und befördert notwendige Lernprozesse. Strukturell angelegte Kooperationen mit Einrichtungen aus den Bereichen der Kultur, Bildung und Jugend sollten daher angestrebt werden, auch hinsichtlich einer Anbahnung von Praxisprojekten.
- Neue Ausbildungsmodule für Lehrer*innen, Erzieher*innen, Pädagog*innen und Künstler*innen – z. B. auch an den Kunstakademien – sollten auf den Weg gebracht werden.
- Die Verankerung von Kultureller Bildung, einhergehend mit der Tätigkeit von Kunst- und Kulturschaffenden in Ganztagsschulen und Bildungslandschaften, benötiget im Rahmen von Implementierung und Qualitätsentwicklung der vorbereitenden und begleitenden Qualifizierung. Um qualitätsvolle Angebote zu sichern, die Wirksamkeit entfalten, ist es sinnvoll, externe Beratung und Vernetzung, wissenschaftliche Begleitung und Evaluation, fachliche Publikationen und thematisch ausgerichtete Fachtagungen flankierend zu Weiterbildungen zu konzipieren.
- Die Gruppengrößen in Relation zu zeitlichen und personellen Ressourcen müssen großzügig aufeinander abgestimmt werden, damit die Kunst- und Kulturschaffenden mit ihren individuellen Potenzialen gut beraten und unterstützt werden können.
- Das Bewusstsein für den Bedarf der künstlerischen Expertise – sowohl in der Praxisbegleitung als auch in der (theoretischen) Reflexion seitens der Kurskonzeption, -leitung und -durchführung – muss grundsätzlich gut im Blick sein.
- Um unterschiedlichen Qualitäten bei der Entfaltung von in Weiterbildungen erworbenen Kompetenzen in Ganztagsschulen und lokalen Bildungslandschaften nachhaltiger zu unterstützen, sollten Praxisprojekte darüber hinaus punktuell begleitet werden.
- Auch wenn es für eine Qualifizierung bereichernd ist, mit Teilnehmer*innen aus verschiedenen künstlerischen Bereichen zu arbeiten, muss auf die gleichzeitigen Herausforderungen hingewiesen werden. So folgen die Künste ihren jeweils spezifischen Logiken, Methodiken und Abläufen, aus denen heraus sich wiederum spezifische qualitätsvolle methodische Ansätze für die kulturelle Bildungspraxis entwickeln lassen. Hier kann es an einigen Stellen an einer Anschlussfähigkeit mangeln, wenn Beratungen nicht ebenfalls auch in den verschiedenen künstlerischen Gebieten Expertise mitbringen.
- Ebenso birgt eine bundesweite Ausrichtung Vorteile wie Nachteile und lässt sich nicht generell empfehlen. Die Einbindung von regionalen Partner*innen und insbesondere auch die Fokussierung von lokalen Bildungslandschaften werden durch eine bundesweite Ausrichtung erschwert, die bundesweite Rahmenbedingungen im Blick haben muss. Andererseits bereichert eine bundesweite Weiterbildung den Wissenstransfer, weil die jeweilig spezifischen Erkenntnisse auf regionaler Ebene in einen überregionalen Austausch gebracht werden können.
Makroebene
- Es sollten Plattformen für Weiterbildungen entwickelt werden, die eine Form der Berufsfeldentwicklung im professionellen und zeitgenössischen Kontext der Kunst, Bildung und Kultur darstellen. Die bundesweite Vernetzung von Akteuren der Kulturellen Bildung sollte gezielter von Politik, Verwaltung und Bildung unterstützt werden, um zur Erhöhung der Qualität der Kulturellen Bildung durch Coaching, Beratung und Kompetenzen der Kunst- und Kulturschaffenden in der und durch die Weiterbildung beizutragen.
- Gesamtgesellschaftlich und politisch geht es darum, ein bestärkendes Umfeld zu gestalten, eine Aufgabe über die rein finanzielle Förderung von Kunst- und Kulturprojekten hinaus.
- Auch sollte auf allen Ebenen der Verwaltung, der Politik und der Stiftungen an einem Selbstverständnis zum Dialog und gemeinsamen Handeln zur Mitgestaltung komplexer Themenfelder und Mit-Verantwortung derselben (vgl. Knoke in vorliegender Publikation) entwickelt und gefördert werden. Das berührt im Bereich der Kulturellen Bildung nicht nur die Kooperation von Stiftungen miteinander, sondern vor allem auch die Zusammenarbeit von Kunst- und Kultusministerien und deren administrativen Strukturen (vgl. DKJS 2015) sowie mit den Verbänden und Akteuren aus der Kulturellen Bildung als zivilgesellschaftliche Träger.
- Die Arbeitsmarktbedingungen im Feld der Kulturellen Bildung sind noch in starker Entwicklung begriffen. Die Weiterbildung qualifiziert Akteur*innen einer Berufsgruppe für ein Feld, das von Rahmenbedingungen geprägt ist, die nicht den Anforderungen entsprechen (freiberufliche Tätigkeit, geringer Stundensatz). Hier sind Politik und Verwaltung, aber auch die Träger gefragt, zunehmende Prekarisierung von Kunst- und Kulturschaffenden zu verhindern: Es geht um die Erhöhung von Stundensätzen, die Honorierung von Vor- und Nachbereitung sowie die generelle langfristige Einbettung von Kunst- und Kulturschaffenden in Bildungssettings.