(Jugend-)Film in der Kulturellen Bildung
Vom Kintopp zu Youtube – kulturelle Lernung, um Benefiz für Film zu machen
Der Film ist noch ein recht junges Medium. Manchem gilt er als die Kunst des 20. Jh.s. Auch im digitalen Zeitalter lässt das Interesse an Audiovision nicht nach. Im Gegenteil: Mit den Spielformen von Multimedia durchdringen audiovisuelle Angebote viele Lebensbereiche. Ob Digital Signage oder Smartphone, ob Open Air Kino oder Public Viewing – Film und TV werden längst nicht mehr nur in geschlossenen Räumen zu Kern-(Frei-)Zeiten rezipiert. Audiovision schmiegt sich in alle Winkel unseres Alltags. Nicht mehr lang, und unsere Zeitungen liefern Bewegtbilder wie in Harry Potter. Bei aller Diversifizierung bleibt aber der Spielfilm im Kino eine der avanciertesten Formen der Filmkunst, die im Kontext der Kulturellen Bildung in den letzten Jahren im selben Maß eine Aufwertung erfährt, wie der Kinderfilm an Zuschauergunst bei den KinogängerInnen gewinnen konnte.
Pädagogik und Film
Ein knatternder 16mm-Filmprojektor und die knarzende Stimme eines Tierfilmers – das machte für eine ganze Generation von SchülerInnen eine sehr spezielle Form von Filmbildung aus. Der Film als sehr sachliches und wenig sinnliches Veranschaulichungsmittel von Unterrichtsinhalten – so sah viele Jahrzehnte die Filmdidaktik in Schulen aus. Geliefert wurden die Lehrfilme meistens vom FWU (Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht). Die Auseinandersetzung mit den Erzählformen und der Ästhetik des Films fand kaum statt.
Ein raffiniertes Spiel mit Inszenierungs-Formen, mit PädagogInnen und PolitikerInnen als Protagonisten treibt Sacha Baron Cohen. Man kennt ihn als „Ali G in da House“, als Kulturagent „Borat“ oder auch als Modeschöpfer „Brüno“. Im Gewand des Hip-Hoppers Ali G stilisierte er sich zum geschmacksfreien Protagonisten der Political-In-Correctness – ein Provokateur, der in seiner TV-Show vorzugsweise PädagogInnen basht. Der Schauspieler tritt zurück hinter dem Eigenleben seiner Kunstfiguren. „Kulturelle Lernung von Amerika, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen“ war sein Programm als schamlos radebrechender Kulturagent „Borat“. Cohen scheut weder Grenzüberschreitung noch Konfrontation, um tief schlummernde Vorurteile zum Vorschein zu bringen. Für seine Strategie muss der Zuschauer relativ „schmerzfrei“ sein. Viele seiner jugendlichen ZuschauerInnen sind es. Cohen sei „ein Schwein von einem Mann: dumm, streitsüchtig, ohne jeden Charme“, kritisiert dagegen Erlan Idrissow, der kasachische Botschafter in Großbritannien, weil er sein Land und seine Kultur durch Borat diffamiert sah. Die Form des Mockumentary, die Ironie und Satire nicht auf den ersten Blick erkennen lässt, hat bei ihm bestens verfangen. Zu Cohens Satire lieferte der Botschafter die Alltags-Satire. Besser kann es nicht laufen für einen Komiker. Mit einem Stück mehr an Medienkompetenz und einem Stück mehr an Selbstironie wäre das vielleicht zu vermeiden gewesen.
Zwei Beispiele für die Verquickung von Audiovision und Pädagogik. Was in diesen Beispielen nicht vorkommt, ist die Wahrnehmung des Films als Kulturträger und eine Bildungsarbeit, die jungen Menschen das Medium des 20. und des 21. Jh.s nahe bringt: „Kulturelle Lernung für Benefiz von glorreichen Film“ sozusagen.
Veranschaulichung durch Film, Anschauung des Films und Anschauungen durch Film
Der pädagogische Umgang mit Film bietet von Anbeginn zwei Perspektiven. Der Film ist Veranschaulichungsmittel für Lerninhalte (à la FWU) einerseits und Gegenstand ästhetischer Betrachtung andererseits. Kulturpädagogische Anstrengungen mit dem Ziel der „Geschmacksbildung“ und „Qualitätsorientierung“ werden schon seit über hundert Jahren unternommen. Zusätzlich gelangte der Film im Zuge der Cultural Studies als identitätsbildendes Element von Jugendkulturen ins Blickfeld (siehe Christian Schmidt „Jugendkulturelle Szenen und Kulturelle Bildung“) und verband sich mit der handlungsorientierten Medienpädagogik. Spätestens seit den 1980er Jahren bietet Film mit dem Aufkommen einer Videotechnik auf Consumer-Niveau die Möglichkeit zur kreativen Anwendung. Video avancierte damit zu einem Schlüsselmedium der „aktiven Medienarbeit“. Auch wenn die heutige Medienpädagogik ihre Projekte und Interventionen stärker auf die Computeranwendung ausrichtet, so behält doch die Filmbildung einen sehr starken Part. Schließlich kann man am Computer nicht nur Texten, Mailen oder Websites bearbeiten. Auch Filme schauen und Filme produzieren ist ein Anwendungsgebiet von Multimedia: Beileibe kein kleines!
Ziele der Filmbildung
Das junge Publikum dem Film als Sozialisationsinstanz nicht nur auszuliefern, sondern durch ihn persönlichkeits- und identitätsbildende Prozesse bewusst und zielgerichtet zu strukturieren, das ist eine Aufgabe der Filmbildung neben dem Wecken des Qualitätsbewusstseins. Das Wissen um die Historie, die technischen und ökonomischen Bedingungen, die dramaturgischen Formen und ästhetischen Mittel des Films hilft, sich auf den Film einzulassen, ihn in seiner ganzen Komplexität wahrzunehmen oder sich von ihm zu distanzieren – je nachdem.
Anschlusskommunikation
Film bietet ausgezeichnete Anreize zur Anschlusskommunikation. Über Idole, Stile und Trends lässt sich ebenso diskutieren wie über den Sex-Appeal aktueller Stars oder die neuesten Raffinessen der Computeranimation. Zwischen Fan und jungem Cineasten, zwischen Autogrammsammler und ambitioniertem Amateurfilmer, zwischen passioniertem Kinogänger und Youtube-Aficionado eröffnen sich weite Felder an Expertise und Interessen.
Filmbildung informell und formalisiert
Ein breites Feld liegt auch zwischen informellen Bildungssituationen, wie dem Austausch von Filmerlebnissen und Filmwahrnehmungen im Gespräch unter Freunden und dem formalisierten Lernen in schulisch-curricularen Settings. Irgendwo dazwischen angesiedelt sind mehr oder weniger formalisierte Lernfelder wie die Jurymitarbeit bei einem Kinderfilmfest, die ersten Fingerübungen mit Animationssequenzen in einer Trickbox, das Verfassen von Filmkritiken für Homepage oder Blog, die Mitwirkung bei einer Videoproduktion, das Betreiben eines Filmclubs oder einfach der regelmäßige Besuch in einem gut kuratierten Programm von Filmtagen, Programmkinos oder Filmfestivals.
Kulturelle Bildung im Kino bedeutet, Anlässe und Orte zu schaffen, um die Begegnung mit filmästhetischer Qualität und audiovisueller Erfahrung von hoher Intensität und Dichte möglich zu machen. Zur Medienkompetenz zählen aber nicht nur analytische Fähigkeiten sondern auch Handlungskompetenzen, und so muss Kreativität – sprich das Selberfilmen – angeregt und gefördert werden. Auch die Orientierung in den Systemen von TV, Internet, Videomarkt und Kino ist eine Aufgabe der Medienkompetenzvermittlung mit dem Ziel einer bedürfnisgerechten und autonomen Gestaltung der Medienwahrnehmung.
Erzähle mir etwas und ich vergesse es, zeige mir etwas und ich erinnere es, mache mit mir etwas und ich verstehe es
Filme nicht nur zu schauen, sondern auch selber zu drehen hat seinen besonderen Reiz. Beim Einstieg in medienpädagogische Videoprojekte mag die Motivation bei TeilnehmerInnen oftmals darin liegen, Hollywood oder dem Fernsehen ein Stück näher zu kommen – dem Ruhm und Glanz der medialen Glitzerwelt. Doch Videoprojekte stärken eine ganze Reihe von Sekundärtugenden die irgendwann wichtiger werden als die Frage: Komme ich ins Fernsehen? Wer die Kamera selber zur Hand nimmt, versteht die Wirkungen und Erzählweisen des Mediums. Er geht fortan kritischer und bewusster mit vorgefertigten Medienaussagen um. Wer an einem Medienprojekt teilnimmt, der erlebt die hohe Komplexität der Gestaltungsprozesse, bei der eine Vielzahl von Gestaltungsmitteln (Bild, Ton, Text, Schauspiel, Mise en Scene) zusammenwirken. Wer einen Film dreht, muss sich mit vielen MitstreiterInnen einig werden und intensiv mit ihnen zusammenarbeiten. Das stärkt Teamgeist, soziale Fähigkeiten und Ausdauer in Arbeits- und Lernprozessen. Eigene Filme zu drehen kann bedeuten, seinen Ansichten und Haltungen Ausdruck zu verleihen und eine eigene audiovisuelle (Jugend-)Kultur zu erschaffen. Es kann bedeuten, in einen intensiven Dialog mit einer breiten Öffentlichkeit zu treten. Auch dies sind wichtige Entwicklungs- und Lernprozesse im Feld der Kulturellen Bildung. Vor allem aber vermittelt der Kontakt mit Kamera und Mikro ganz unmittelbar das Gefühl, ein anspruchsvolles Medium zu bedienen, das seinem Anwender viele kreative Entfaltungsmöglichkeiten und neue Artikulationsweisen bietet.
Jedem eine Kamera
Kreative Filmarbeit ist Ressourcenintensiv. Wer einen Film drehen möchte, braucht mehr als eine Kamera. Er braucht ein technisches Team, Requisiten, DarstellerInnen und ein Drehbuch, das eine lange Entwicklungszeit erfordert. Er braucht viel Energie, Stehvermögen, ästhetisches Gespür auf mehreren Ebenen und ein ausgezeichnetes Coaching. Manche Video-Projekte geben sich damit zufrieden, um des Lernerfolgs willen einen filmischen Prozess durchzuspielen, egal was am Ende dabei herauskommt. Der prozessorientierte Ansatz wird aber inzwischen immer weniger praktiziert. Lohnenswerter erscheint es doch, die ästhetischen Bemühungen am Ende durch ein vorzeigbares Produkt zu krönen (diesen Ansatz nennt man produktorientiert).
Herausfinden, was einem gefällt
Im Sinne der Nachwuchsförderung bietet die junge Videoszene mit ihren Workshops, Wettbewerben und Festivals in Deutschland einen sehr fruchtbaren Nährboden. Denn längst eröffnet nicht mehr nur der klassische Weg über Filmhochschulen einen Einstieg ins Filmgeschäft. Bei Jugendfilmfestivals und Jugendvideowettbewerben verdienen sich Kinder und Jugendliche ihre ersten Sporen mit ihren Frühwerken und erhalten ein Feedback, das für ihren weiteren Werdegang außerordentlich motivierend sein kann. Der Regisseur und Autor Marcus H. Rosenmüller (Schöpfer unter anderem von „Wer früher stirbt ist länger tot“) empfiehlt jungen FilmemacherInnen „herauszufinden, was ihnen selber gefällt und das am besten bei Festivals, wo man selbst dabei ist, wenn der Film gezeigt wird, wo man auch andere Filme anschaut und andere Erzählweisen kennen lernt“ (Rosenmüller 2009:13) Auch dies ist eine wichtige Form der informellen Filmbildung und ein Weg, den viele Jugendliche sehr autonom beschreiten können.
So gesehen ist es erfreulich, dass es nicht nur spezifische Foren für junge FilmemacherInnen gibt, sondern dass auch immer mehr Festivals um vielfältige Programmzugänge bemüht sind. Sie bieten ihren jungen BesucherInnen nicht nur die originären Kinder- und Jugendprogramme an, sondern öffnen auch weitere Programm-Sektionen für junge Menschen (Vorreiter sind hier die Berlinale und das Münchener Filmfest).
Abstand gewinnen und Nähe nutzen
Für die Filmbildung und die Medienpädagogik stellen sich neben der Vermittlung gestalterischer Fähigkeiten zwei Grund-Aufgaben. Einerseits die Wirkungsweisen von Dramaturgie, Mythos, Ästhetik und Ideologie von Filmen goutierbar und reflektierbar zu machen. Andererseits Modellsituationen, Lebensentwürfe und Erfahrungswelten von Filmerzählungen zur Vermittlung ethisch-ästhetischer Orientierungen und sozialer Deutungsmuster zu nutzen.
Verglichen mit unseren Nachbarländern England und Frankreich hat Deutschland im Bereich der Filmbildung einen Rückstand. Da zählt jede Initiative und jede Bildungsanstrengung im Filmbereich ist verdienstvoll. Doch wie effektiv sind die jeweiligen Konzepte?
„Andere Filme anders zeigen“
Das ist seit den 1970er Jahren das Motto der kommunalen Filmarbeit. Zugleich ist es ein Credo, das die Stärkung des künstlerischen Films gegenüber dem Popcorn-Kino beschwört. Andere Filme anders zeigen, dem entsprach auch ein besonderes Augenmerk auf das Kinderkino: junge Menschen sollten ihre ersten und womöglich prägendsten Kino-Erlebnisse nicht allein mit Disney-Filmen oder x-beliebigen Märchenproduktionen machen. An vielen Orten folgten Kinderfilmfestivals diesem Impetus. Ihr Engagement um anspruchsvolle und innovative Programme zielte darauf ab, einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung und zur kulturellen Teilhabe zu leisten. Essentieller Bestandteil dieser Veranstaltungen war immer die medienpädagogische Vermittlung. Das bedeutete, dass Filme in eine vor- und nachbereitende Filmarbeit eingebettet wurden. Was in den 1980er Jahren noch so bemüht nach schweißtreibender „Arbeit“ klang, entwickelte sich im Lauf der Zeit zum besonderen Vorzug von Kinderkinoveranstaltungen. Und selbst wenn heute eher der Event-Charakter von Festivals und ihre feierliche Atmosphäre betont werden, so haben doch spiel-, theater- und erlebnispädagogische Aktionen, die die Auseinandersetzung mit Filminhalten und -formen fortführen und vertiefen, einen festen Platz bei Kinderfilmfestivals (siehe Michaela Pfadenhauer „Ereignis – Erlebnis – Event“). Auch das Erlernen filmhandwerklicher Techniken und die kritische Kompetenz der jungen ZuschauerInnen werden durch pädagogische Aktionen gefördert. Die TrickboxX, eine vom Schweden Erling Ericsson entwickelte Einheit, die als mobiles Studio die Herstellung von Legetrickfilmen ermöglicht, ist kaum noch aus den Kinderkinowochen wegzudenken. Reporterteams und junge KritikerInnen begleiten die Programme. Es werden Film-Workshops angeboten und die ZuschauerInnen als ExpertInnen ernst genommen, indem Zuschauerpreise vergeben werden. Festivals und Kinderkinos bieten informelle Lernfelder, die als außerschulische Projekte einen breiten Spielraum an Methoden ausspielen können.
Kanonisierung, „Inhaltismus“ und Flexibilisierung
Der Auftakt zu einer Filmbildungs-Offensive auch in den Schulen ließ in Deutschland lange auf sich warten. Ein methodisches Hemmnis waren oftmals die engen Stunden- und Lehrplan-Vorgaben. Aber auch eine pauschale Mentalität der Verweigerung von Unterhaltungsbranche und moderner Audiovision waltete lange Zeit in den Köpfen von Schulverantwortlichen.
Einen Wendepunkt sollte der im Jahr 2005 herausgebrachte Filmkanon markieren. Jede verbindliche Festlegung auf einen Basis-Fundus fordert Mut zur Lücke. Doch die Lücken sind sehr eklatant in dem von Alfred Holighaus herausgegebenen Band mit dem Untertitel „35 Filme, die Sie kennen müssen“. Kein Film einer Regisseurin ist darunter, kaum ein Kinder- und Jugendfilm. Teils haben die Werke nicht einmal eine schulkompatible Jugendfreigabe.
Nichtsdestotrotz: die Filmbildung ist seitdem im Vormarsch. Die Teilnehmer-Quoten der Schulkino-Wochen sind beeindruckend. Doch Kino-Wochen gibt es nur dort, wo es auch Kinos gibt! Filmbildung in Schulen läuft nicht selten nach dem Schema, das der Franzose Alain Bergala despektierlich als „Inhaltismus“ bezeichnet: Für den Deutschunterricht die Literaturverfilmung, für den Biologieunterricht die Naturdokumentation, für Religion und Ethik das Sozialdrama. Film wird mehr instrumentalisiert als analysiert. Er wird mehr als didaktischer Container denn als Kunstwerk wahrgenommen.
Doch immerhin: Filmbildung wird stärker in der Lehrerbildung verankert und starre Lehrplan- und Stundenplanstrukturen lösen sich allmählich auf. Das kommt der Filmbildung sehr entgegen, die sich nur schwerlich durch ein 45 Minuten-Raster pressen lässt.
Eine Frage der Methode
„Der Film ist zu leicht verständlich, was es schwer macht, ihn zu analysieren“ meinte der Filmtheoretiker James Monaco in Anlehnung an den Semiotiker Christian Metz (Monaco 2001:162). In der gängigen Filmnachbereitung wird genau dies versucht: Den Film zu durchleuchten, um ein tieferes Verständnis für ein Medium zu schaffen, das jedem im Grunde ganz alltäglich vertraut ist. Neben dem manchmal ermüdenden Filmgespräch gibt es ein reizvolles methodisches Repertoire, das bisher eher in der außerschulischen Filmbildung angewandt wurde. Mit theater-, spiel- und erlebnispädagogischen Ansätzen verlässt dort die Medienpädagogik die Pfade der vorwiegend kognitiven Frontal-Didaktik. Diese Methoden aktivieren die ZuschauerInnen ganzheitlicher und beziehen auch bildungsbenachteiligte SchülerInnen mit ein.
Film-Muggel?
Eine ganze Generation ist mit Harry, Hermine und Ron aufgewachsen. Beinahe jede neue Ausgabe des „Harry Potter-Sequels“ führte zu Großereignissen in der Buch- und Filmkultur. Mit Harry und Co. gingen Kinder nicht nur auf zunehmend bedrohlicher werdende Fantasiereisen durch ein Reich zwischen Realität und Zauberwelt. Mit ihren Identifikationsfiguren als „Delegierten“ im Film stellten sie sich altersspezifischen Entwicklungsthemen: Sie erprobten ihre Fähigkeiten als Zauberlehrlinge und Sportskanonen, sie erlitten und genossen Freud und Leid der Freundschaft, der Liebe und der Eifersucht. Sie rangen um Vertrauen und Wahrheit. Und sie trotzen den dunklen Mächten. Monster und dunkle Mächte bestimmten mit jedem Film aus der „Harry Potter“-Reihe zunehmend die Leinwand, und Erziehungsverantwortliche bereitete die Frage der Alterseinstufung dieser Film ab zwölf Jahre immer mehr Kopfzerbrechen. Wie viel Gewalt, Düsternis und Bedrängnis sind für Kinder und Jugendliche erträglich? Setzt der Jugendmedienschutz die richtigen Signale und treffen die Gremien der FSK die richtigen Entscheidungen? Wer sich als Medienpädagoge mit einer Spezialisierung auf Film outet, der wird immer wieder mit diesem Komplex konfrontiert. Jugendschutzdebatten engen die Sicht auf die Filmkultur junger Menschen ein und lassen Medienerlebnisse potenziell riskant erscheinen. Auf der anderen Seite ist die Altersscheide „ab zwölf“ Jahre auch so etwas wie eine Initiationsstufe. Wer dieses Alter erreicht hat, der darf ein wenig teilhaben an den Vergnügen und Geheimnissen der Erwachsenenwelt, und darf mit Sehnsucht auf die nächste Stufe „FSK 16“ schauen. Die Entfaltung der Persönlichkeit geht mit abgestuften Kultur- und Medienerlebnissen einher. Wie das System des Jugendmedienschutzes zu verstehen ist und warum manche Darstellungen und Bilder als sozial schädigend eingestuft werden, auch darüber gibt es viel zu lernen. Die Antworten auf solche Fragen reichen tief in unsere Kulturhistorie und in die Sozialgeschichte der Kindheit hinein.