Inspiriert durch KunstWerkZukunft: Kulturelle Bildung für nachhaltige Entwicklung

Das Ökologische Bildungszentrum München zeigt an drei Praxisbeispielen, wie sich die kreative Kraft künstlerischer Gruppenprozesse und die Nachhaltigkeitsbildung gegenseitig befruchten können.

Artikel-Metadaten

von Marc Haug

Erscheinungsjahr: 2021

Abstract

Gemeinschaftskunstwerke sind das Ergebnis eines kollektiven Prozesses aus Diskussion, Ideenreichtum, Meinungsvielfalt und Verständigung. Sie sind diskursiv, analysieren herrschende Zustände, decken Widersprüche auf, bieten Raum für Visionen und eignen sich daher in idealer Weise als methodische Erweiterung in der Bildung für nachhaltige Bildung (BNE). Der Einsatz von Kunst macht Lust und erreicht Menschen unabhängig von Alter oder Herkunft. Das Ökologische Bildungszentrum München zeigt modellhaft, wie die Kombination von Kultureller Bildung und BNE aussehen kann. Der Beitrag demonstriert anhand von drei Praxisbeispielen, wie künstlerische Herangehensweisen die Bildung für nachhaltige Entwicklung beleben, die Reflexion über eigene Lebensstile anregen, Diskurse anstoßen, alte Denkmuster aufbrechen und öffentliche Wirkung erzielen können und damit am Ende Transformationsprozesse befördern.

Einleitung

Haug_Grafik1b„KunstWerkZukunft“ ist ein bayernweites Projekt eines Partnerverbunds verschiedener Bildungsakteure (siehe www.kunstwerkzukunft.de), das in den Jahren 2018 und 2019 Anregungen für die Schnittstelle von kultureller Bildung (KuBi) und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) herausgearbeitet hat. Vor diesem Hintergrund demonstrieren wir anhand unserer Erfahrungen in drei Praxisbeispielen des Ökologischen Bildungszentrums München (ÖBZ) mit unterschiedlichen Zielgruppen, wie sich die kreative Kraft künstlerischer Gruppenprozesse und die Nachhaltigkeitsbildung gegenseitig befruchten können. Die Kernfragen lauten: Wie können künstlerische Herangehensweisen die Bildung für nachhaltige Entwicklung beleben, neue Zielgruppen ansprechen, alte Denkmuster aufbrechen, die Reflexion über eigene Lebensstile anregen, Diskurse anstoßen, öffentliche Wirkung erzielen oder gar Transformationsprozesse befördern? (vgl. KunstWerkZukunft – Natürlich nachhaltige Lebensstile 2019; siehe: Eva Leipprand „Kultur, Bildung und Nachhaltige Entwicklung").

Konkret werden zunächst folgende drei Projekte beschrieben: „Die Säule der Nachhaltigkeit“ – ein intergeneratives Gemeinschaftskunstwerk zu den in der Agenda 2030 formulierten Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, „Kostbarkeiten der Erde“ – ein Mitmachkunstwerk mit Kindern sowie „Die Erde verbindet“ – ein interkulturelles, interaktives deutsch-chinesisches Live-Experiment (Haug 2018; Haug 2019). Alle drei Projekte wurden im Rahmen einer Modellprojekt-Förderung durch das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz gefördert.

Diese Projekte vereint, dass in Gruppenprozessen Lebensstile mit Blick auf ökologische Auswirkungen, hinsichtlich unseres Konsumverhaltens und unter Aspekten des sozialen und globalen Miteinanders reflektiert werden und die Ergebnisse im Laufe der Prozesse in Gemeinschaftskunstwerke einfließen.

Im anschließenden Fazit wird analysiert, wie sich Kulturelle Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung in diesen drei Projektbeispielen gegenseitig befruchtet haben und wie es ihnen gelang, im gesetzten pädagogischen-künstlerischen Qualitätsrahmen mit Hilfe von künstlerischem Tun Nachhaltigkeitsdiskurse anzustoßen.

Beispiel 1: Säule der Nachhaltigkeit

Zunächst schauen wir auf die „Säule der Nachhaltigkeit“. Sie entstand 2018 und steht damit auch in der Chronologie der Durchführung an erster Stelle der hier vorgestellten Projekte. Wir haben kreative Gestaltungsprozesse im Rahmen unserer BNE integriert, die auch die weiteren Projekte beeinflussten.

Inspiriert durch das künstlerische Schaffen von Friedensreich Hundertwasser, seine Philosophie und Lebensweise entstand am ÖBZ ein transgeneratives Gemeinschaftskunstwerk. 45 Personen aus vier Generationen haben an mehreren Workshop-Wochenenden an dieser Auseinandersetzung mitgewirkt. Mit der künstlerischen Leitung beauftragten wir Didi Richter, die gleichsam große Erfahrungen in der Kunstpädagogik als auch der Umweltpädagogik hat und zudem als Szenenbildnerin für Film und Fernsehen ein hohes Maß an Materialkunde und Improvisationsvermögen mitbringt.

Zu dem Projekt wurde öffentlich eingeladen, ohne Altersbeschränkung nach unten oder oben. Bezüglich der Zusammensetzung dieser intergenerativen Gruppe ergab sich die glückliche Situation, dass allein schon 17 Mitglieder einer Großfamilie die Kombination von Kunst, Handwerk und Nachhaltigkeit sehr attraktiv fanden und die Chance wahrnahmen, innerhalb des umfassenden Familienkontextes gestaltend aktiv sein zu können.

Die Beschäftigung mit Hundertwasser eröffnet als Ausgangspunkt der Workshops unkonventionelle Denkideen (bspw. angeregt durch seine Proklamation des Fensterrechts, wonach jede Person das Recht haben solle, die Fassade rund um Fenster so weit zu bemalen, wie sein Arm reicht.) und inspirierte bei den Überlegungen bezüglich Formen, Farben und Materialien. Die Impulse aus seinem Wirken und seinen Ansichten demonstrierten, wie sich Kunst, Reflexion, politische Aktion und die Vision einer sozial-ökologischen Transformation verbinden lassen.

An dieser Stelle berühren sich die Ansätze der KuBi und der BNE. Impulse für den generationsübergreifenden Erfahrungs- und Werteaustausch über Nachhaltigkeitsfragen lieferten die von den Vereinten Nationen in der Agenda 2030 beschlossenen Nachhaltigkeitsziele, die Sustainable Development Goals (SDGs) (siehe United Nations 2015).

Die Teilnehmer*innen der Aktion überlegten zunächst in Kleingruppen, was sie persönlich mit den SDGs verbinden und verständigten sich anschließend auf gestalterische Symbole dafür. Für viele war es schon bemerkenswert, dass sich die Vereinten Nationen über so ambitionierte Ziele geeinigt, dass alle Mitgliedsstaaten die Agenda 2030 unterzeichnet haben und dass die Ziele universell und für alle Länder gleichermaßen gelten.

Zudem überraschte es viele, dass es beim Thema Nachhaltigkeit nicht nur um den verengten Blick auf die klassischen Umwelt- und Naturschutzfragen geht, sondern um die Verflochtenheit der ökologischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Dimensionen. So folgte auch eine Auseinandersetzung mit Fragen wie: Was haben gesellschaftliche Teilhabe, Armutsbekämpfung, die Sicherung eines leistungsfähigen Gesundheitssystems sowie das Streben nach Frieden und Gerechtigkeit mit Nachhaltigkeit zu tun?

Die Suche nach künstlerischen Ausdrucksformen für diese SDGs sollten sich schließlich zu einem Gemeinschaftskunstwerk formieren, das aufgrund der vielschichtigen Interpretationsmöglichkeiten „Säule der Nachhaltigkeit“ getauft wurde. Als Werkstoff für das Kunstwerk diente das Holz einer Lärche. Die Farben wurden aus Naturpigmenten mit Leinöl angerührt. Mit Hobel, Säge und Schnitzwerkzeug bearbeiteten die Teilnehmenden die Baumscheiben zu Reliefs, die später bemalt und am Ende auf eine Edelstahlstange aufgefädelt wurden.

Im Laufe des Projekts entfalteten sich spannende Diskurse: Kinder überlegten miteinander, was sie unter einer guten Zukunft verstehen. Zwischen Kindern und Erwachsenen wurden die Vorstellungen von „hochwertiger“ Bildung ausgetauscht. Junge Erwachsene glichen ihren aktuellen Lifestyle mit den Anforderungen der Nachhaltigkeitsziele ab, und Großeltern steuerten ihre Lebenserfahrung bei der Beurteilung früherer und moderner Lebensstile bei.

Der Entstehungsprozess des Kunstwerks wurde mit der Kamera begleitet und in einem Film von George Rosenau dokumentiert. In der Ausstellung „Symbole für die Welt von Morgen“ werden darüber hinaus auf 12 Ausstellungstafeln die künstlerischen Interpretationen der verschiedenen UN-Nachhaltigkeitsziele durch Statements der Workshop-Teilnehmer*innen näher erläutert (Videos und Ausstellungskatalog).

Am 30. September 2018 wurde das fertige Kunstwerk auf dem öffentlich zugänglichen ÖBZ-Gelände feierlich eingeweiht, als künstlerischer Ausdruck und als Aufruf, eine nachhaltige Zukunft zu gestalten.

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Beispiel 2: Kostbarkeiten der Erde

Das zweite Beispiel: „Kostbarkeiten der Erde“: Von Frühjahr bis zum Herbst 2019 luden wir zu einer niederschwelligen Mitmach-Kunstaktion ein, in der Kinder überlegten, was sie der Erde für eine gute Zukunft wünschen. Hierbei operierten wir mit der Vielschichtigkeit des Begriffs „Erde“. Zunächst ging es um die sinnliche Erfahrung, Erde bzw. den Erdboden mit den Händen zu „begreifen“. Und schließlich durch das Formen einer Erdkugel den synonymen Bezug zu unserem Planeten herzustellen. So haben wir die Kinder gebeten, aus Ton und Lehm ihre persönliche „Erdkugel“ zu formen, sie mit Verzierungen zu schmücken und persönliche Wünsche an die Erde zu adressieren.

Man musste die Kinder nicht lange überlegen lassen. Sie wissen sehr genau, was sie der Erde für ihre Zukunft mit auf den Weg geben wollen. „Weniger Plastik, mehr Blumen, mehr Wiesen und dass die Welt noch fröhlicher wird“, wünscht sich Sarah. Maximilian möchte, dass es viele Pflanzen gibt und Regen, damit sie nicht verwelken. Eine saubere Umwelt, ein besseres Klima, ausreichend sauberes Wasser und dass die Menschen sorgsam mit ihrer Mitwelt umgehen. Oftmals spiegeln die genannten Wünsche den Kontext des aktuell Erlebten wieder. Gelegentlich spürt man den Einfluss jener, die mit den Kindern im Gespräch standen (z.B. die Eltern), die gegebenenfalls bewusst oder unbewusst stichwortgebend waren. Meist drücken sie Befindlichkeiten über den Zustand der Erde, Sorge und Hoffnung aus. Manchmal wurden sie als Anklage, Forderung oder Vision formuliert. Aus den Äußerungen der Kinder lässt sich durchaus ableiten, dass sie intuitiv die verschiedenen Dimensionen von Nachhaltigkeit begreifen: „Gutes Leben“ wird auch aus der Perspektive der Kinder mit Gerechtigkeit, solidarischem Handeln, Frieden und Unversehrtheit assoziiert. Aufgeladen mit den persönlichen Bezügen und den Zukunftswünschen lenken sie den Blick auf unsere globale Verbundenheit mit der Erde. Wenn Samuel sich beispielsweise wünscht, „dass es nie mehr auf der Welt Krieg gibt“, Eva appelliert, „den Regenwald nicht weiter abzuholzen“ und Leon hofft, dass in Zukunft „alle Lebewesen auf der Erde gut leben können“.

In Feuerschalen gebrannt wurden aus den rohen Erdkugeln, durch die archaische Kraft des Feuers gehärtete und geflammte Unikate. Von Frauke Feuss poetisch in ausgedienten Bienenwaben-Rahmen aufgefädelt und arrangiert, wurde jedes einzelne Exponat in der Ausstellung „Kostbarkeiten der Erde“ als kleine Kostbarkeit im Gesamtkunstwerk gewürdigt. Jede von den Kindern geformte Tonkugel wurde im Stile kostbarer historischer Fundstücke in einem Video und Ausstellungskatalog inszeniert bzw. dokumentiert.

Insgesamt haben rund hundert Kinder im Laufe eines halben Jahres in den Ferienprogrammen am ÖBZ, bei der Umweltgruppe der ÖBZ-Umweltdetektive oder bei Mitmachaktionen beim Hoffest des städtischen Hofguts Riem und beim Münchner Kinder-Kultursommer (KIKS) mitgemacht. Obwohl von der Fertigung der Erdkugeln bis zur fertigen Ausstellung mehrere Wochen vergingen, haben sich die Teilnehmenden – die bei der Konzeption der Ausstellung nicht unmittelbar beteiligt waren – mit dem Gemeinschaftskunstwerk identifiziert. Es hatte etwas von einem Überraschungseffekt. So wie das Erlebnis beim Kuchenbacken, wo man viele Zutaten in einen Teig gibt und nach der Backzeit im Ofen gespannt auf das Endergebnis wartet.

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Beispiel 3: Die Erde verbindet

„Die Erde verbindet“ – ebenfalls ein Konzept, das auf einem kreativen Gestaltungsprozess in Kleingruppen fußt. Die Zielgruppen sind Kinder und Jugendliche. Deutsche und chinesische Schülerinnen und Schüler begegnen sich in einem künstlerischen Live-Experiment via Internet.
Zwei Orte. Zwei Kulturen. Ein „Land-Art“-Projekt. Es war ein spannendes Live-Experiment und ein Versuch, weltweite Erdverbundenheit in einem globalen Kontext erlebbar zu machen.

Im Sommer 2019 lud das ÖBZ Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Jahrgangsstufen des Wilhelm-Hausenstein-Gymnasiums München sowie Kinder und Jugendliche der chinesischen Nachhaltigkeitsinitiative „Wuhan Natur“ in der 8.000 Kilometer entfernten Millionenstadt Wuhan ein, jeweils vor Ort an einer konzertierten „Land-Art“-Aktion teilzunehmen. Die Aufgabe: Zeitgleich sollte an beiden Orten das Thema Nachhaltigkeit und Vielfalt künstlerisch interpretiert werden. Die Einzige Vorgabe: Nur die Materialien, die in der umgebenden Natur gefunden werden, finden Verwendung. Ansonsten darf Vielfalt im Kontext von Nachhaltigkeit völlig frei interpretiert werden. Beispielhaft stellten sich die deutsche und die chinesische Gruppe einer gemeinsamen (globalen) Herausforderung, passende Interpretationen zu gestalten – mit den vor Ort verfügbaren Ressourcen im jeweiligen kulturellen Rahmen. In München bot das ÖBZ-Gelände den Rahmen, in Wuhan das Ufer des East-Lake, einem der großen Seen mitten in der zentralchinesischen Stadt. Weitere Ziele des Projekts: Kooperationsfähigkeit, gegenseitige Wertschätzung und Empathie.

Der Entstehungsprozess der Kunstwerke wurde mithilfe einer Videokonferenz-Software in Echtzeit zwischen München und Wuhan übertragen. Auf diese Weise konnten die agierenden Gruppen live miteinander in Interaktion treten. Es musste allerdings zuvor noch an einigen Stellschrauben justiert werden, bis das gut funktionierte. Für die Außenübertragung wurde auf dem Naturspielraum am ÖBZ zunächst ein mobiler W-LAN-Hotspot installiert. Da eine Verbindung via Skype (damals das etablierte internationale Video-Kommunikationssystem) nicht möglich war, weil dieser Weg im Zuge der Hongkong-Krise in China blockiert wurde, musste eine Alternativlösung gefunden werden, die nicht von der Firewall aufgehalten wird. Die Lösung fanden wir in Zoom, einem Tool, das damals noch kaum jemand kannte.

Gudrun Mahlmann, Umweltpädagogin beim ÖBZ, führte die Schülerinnen und Schüler des WHG vorab in einem Workshop in die Projektidee ein. Am darauf folgenden Morgen war es soweit. 25. Juli 2019: Es sollte einer der heißesten Sommertage in diesem Jahr werden. Mehr als 35 Grad im Schatten waren vorhergesagt. In München entschied man sich, möglichst früh am Morgen zu beginnen, um der Mittagshitze zu entgehen. Die Wetterstation des ÖBZ zeigte bereits um 8 Uhr stolze 24 Grad Celsius an. Im entfernten Wuhan war es entsprechend sechs Stunden später. Subtropische Temperaturen von knapp unter 40 Grad Celsius auch dort.

Über den Laptop wurde die Verbindung aufgebaut. Gebannt schauten die Schülerinnen und Schüler auf den Monitor, der sonnengeschützt in einem kleinen Zelt auf der Wiese vor dem ÖBZ aufgebaut war. Die chinesischen Kinder auf der anderen Seite der Welt blickten auf eine Leinwand, auf der das Bild aus Deutschland projiziert wurde. Mit einem lächelnden „nǐ hǎo“ oder „hallo“ nahmen die beiden Gruppen Kontakt miteinander auf und winkten sich gegenseitig zu. Bayerisches Kulturgut vom Feinsten wurde zum Besten gegeben: „Drunt in der greana Au steht a Birnbaam, schau schau, juche!“, tönte es im Chor in Richtung China. Ein „Daumen-hoch“ kam als Antwort. Erbarmungslos wurden alle Strophen gesungen. Chentao, der als Sprachvermittler zugegen war, hatte die bayerischen Schlüsselbegriffe in chinesische Schriftzeichen übersetzt, damit die Kinder in Wuhan ahnen konnten, wovon das Lied handelt.

Anschließend gingen die Teilnehmer*innen auf beiden Kontinenten zu Werke. Sie suchten in der Umgebung nach Ästen, Blüten und Blättern für ihre Kunstwerke. Knappe drei Stunden hatten sie Zeit. Mit großer Begeisterung zeigten sie sich via Video-Konferenz am Ende gegenseitig ihre Ergebnisse und staunten über die Vielfalt der entstanden Kunstwerke. Die jungen Menschen der zentralchinesischen Metropole hatten sich dem Thema über die Vielfalt der Saaten genähert. „Aus jedem Samen entstehe ein einzigartiges Wunder der Natur, aus der Gesamtheit der Samen setzt sich Vielfalt zusammen“, erklärten sie ihr Narrativ. In ihren Kunstwerken verarbeiteten sie Lotusblüten und Lotusblätter, Palmrinde und Bestandteile anderer subtropischer Pflanzen.

Im ÖBZ entwarfen einige Schülerinnen und Schüler ein „Land-Art“-Motiv unterschiedlich gefärbter Blüten, das die vier Jahrzeiten als Vielfaltssymbol aufgreift. Eine Gruppe von Mädchen rückte Aspekte des Zusammenlebens in den Fokus, die für sie Vielfalt ausmachen. Andere gestalteten aus den Naturmaterialien ein Tipi. Sie suchten nach einer universellen funktionellen Architektur, die trotz der Sprachenvielfalt der Kulturen verstanden wird. Eine weitere Gruppe inszenierte einen mit Müll behängten Baum als Ausdruck für die Vielfalt der menschlichen Einflüsse auf die Natur. Eine andere Installation symbolisierte durch zwei große überkreuzte, sich gegenseitig stützende und mit den jeweiligen Nationalfarben dekorierten Baumstämmen den Wert der kulturen-übergreifenden chinesisch-deutschen Zusammenarbeit. Als die Kinder in Wuhan auf der Leinwand die mit Kies und kleinen Stöckchen in die Wiese gelegten chinesischen Schriftzeichen für „China“ und „Vielfalt“ erkannten, hoben sie wieder freudig ihren Daumen in die Kamera. Hier wurde besonders spürbar, wie verbindend diese gemeinsame Aktion für alle die Beteiligten war (Das Projekt wurde im Film „Die Erde verbindet“ von Thomas Ebert dokumentiert).

Das war im Sommer 2019. Kein halbes Jahr später ereilten uns die Nachrichten von einem gefährlichen Corona-Virus, das sich von Wuhan aus über die gesamte Welt verbreitet. Ausgerechnet Wuhan. Immer wenn wir Schüler*innen begegneten, erkundigten sie sich sorgenvoll und mit Empathie, ob es den chinesischen Kindern und Familien, die sie kennengelernt haben, gut gehe. Eigentlich sollte das Projekt der Beginn einer intensiveren Kooperation mit unseren chinesischen Partnern werden. Ein gegenseitiges deutsch-chinesisches Austauschprogramm wurde erwogen. Dass eine Pandemie derart brutal deutlich macht, wie die Welt heutzutage global zusammenhängt, und wie zerstörerisch das sein kann, konnte damals niemand ahnen.

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Fazit

Den hier beispielhaft vorgestellten Projekten ging es nicht einfach darum, dass junge Menschen sich kreativ betätigen und sie einen ästhetisch-künstlerischen Prozess anstoßen. Vielmehr galt es „das jedem Menschen innewohnende schöpferische Potenzial als Ressource gesellschaftlichen Wandels zu erschließen“ (vgl. Kreuzinger 2017). Ziel war es, mit Hilfe von künstlerischem Tun Nachhaltigkeitsdiskurse anzustoßen und den „Möglichkeitsraum für Ästhetik und Nachhaltigkeit“ (siehe: Adriane Koehler: „Künste, Natur, Nachhaltigkeit – Impulse für die Kulturelle Bildung") zu beleben. „Die künstlerischen Ausdrucksformen sind dabei Kommunikations- und Gestaltungsmittel, die Welt als Ausdruck menschlicher Kultur wahrzunehmen, sie mit kreativer und sozialer Fantasie neu zu deuten, sie sinnlich-konkret zu begreifen und zu verändern" (vgl. Witt 2018).

Unsere Erfahrungen bestätigen, dass kreative Angebote in Verbindung mit Bildung für nachhaltige Entwicklung sehr gut geeignet sind, Menschen jeden Alters zu begeistern, sie mitzunehmen und alle Teilnehmer*innen einzubinden. Ein guter pädagogischer-künstlerischer und struktureller Qualitätsrahmen (siehe: Viola Kelb: „Mehr Teilhabe durch Vernetzung. Rahmenbedingungen für Qualität und Kulturelle Bildung in lokalen Bildungslandschaften") ist notwendige Voraussetzung, Nachhaltigkeitsfragen zu reflektieren und eigene Vorstellungen auszudrücken.

Die intensive Beschäftigung in Workshops eröffnete den Teilnehmer*innen die Möglichkeit, mit genügend Zeit und mithilfe aktivierender Methoden ihr Umfeld mit allen Sinnen wahrzunehmen und einen neuen Blick auf die gewohnte Umgebung zu werfen. Sie wurden motiviert, das Normale nicht als gegeben hinzunehmen, sondern kritisch zu hinterfragen und zu überlegen, was sie selbst dazu beitragen können, ihr Lebensumfeld nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Im Kontext der Bildung für nachhaltige Entwicklung fanden junge Menschen über die Kunst kreative Ausdrucksformen für ihre Themen. Sie bildeten sich eine Meinung und fungierten als Botschafter*innen für eine nachhaltige Lebensweise (siehe: Ute Stoltenberg: „Kultur als Dimension eines Bildungskonzepts für eine nachhaltige Entwicklung").

Die Projekte, die im Kontext von „KunstWerkZukunft“ umgesetzt wurden, zeigen: Die künstlerische Herangehensweise ist grundsätzlich unabhängig von Alter, Entwicklung und Herkunft möglich. Voraussetzungen für ein erfolgreiches Projekt sind eine gute Vorbereitung, eine qualitativ hochwertige kunst- und umweltpädagogische Begleitung und eine zielgruppengerechte Ansprache. Als wichtiger Gelingensfaktor wurde die Balance zwischen klarer Anleitung und einem ergebnisoffenen, prozessorientierten Vorgehen festgestellt. Es muss gewährleistet sein, dass die Teilnehmer*innen die Entstehung des Kunstwerks mit ihren kreativen Vorstellungen beeinflussen und ohne Druck und feste Vorgaben ihr eigenes Potenzial ausloten können.

Die Projektideen folgen mehreren Ebenen der ästhetischen Erfahrung (siehe: Ursula Brandstätter „Ästhetische Erfahrung") Besonders in den Projekten „Säule der Nachhaltigkeit“ und „Kostbarkeiten der Erde“ wird folgendes Prinzip verfolgt: Jede Person gestaltet in der ersten Phase – alleine oder als Kleingruppe – ihr individuelles Kunstwerk, das Platz bietet für eine persönliche Interpretation. Jedes wird als eigenes Exponat inszeniert – so wie die einzelnen Holzscheiben bei der „Säule der Nachhaltigkeit“ bzw. die Erdkugeln der „Kostbarkeiten der Erde“ auf einem Drehteller exponiert gefilmt werden. Aus ihrer vordergründigen Unscheinbarkeit werden sie im wahrsten Sinne des Wortes auf die Bühne geholt, ins Licht gesetzt und mit Klang und Bewegung wertig inszeniert. Die Vereinzelung der Teilwerke verstehen wir nicht als Entkontextualisierung – der Kontext wurde ja mit der Aufgabenstellung zu Beginn gesetzt. Es ist eher ein Freilegen des Blicks, eine Fokussierung, die eine intensive, detaillierte Betrachtung möglich macht. Erst arrangiert zu einer gemeinsamen Skulptur entsteht aus der Summe individueller Einzelkunstwerke das Gemeinschaftskunstwerk. Ein Prozess, der Diversität nicht nur zulässt, sondern immanent beinhaltet. So wie die Vielfalt der Perspektiven für einen guten Meinungsbildungsprozess unverzichtbar ist.

In den Umsetzungen in künstlerische Formen – wie es zum Beispiel die Gestaltung der einzelnen Baumscheiben waren – konnten alle Teilnehmenden sich ausprobieren, ihre Stärken finden und Selbstwirksamkeit erfahren. Alle konnten ihren persönlichen Beitrag leisten, ohne dass das Gesamtkunstwerk Einzelleistungen herausstellt. Hilfreich war hierfür ein Konzept, das für die Gesamtskulptur eine starke, eigenständige neue Form findet, die die Vielfalt der einzelnen Komponenten in den Vordergrund stellt, jeden einzelnen Beitrag gleichermaßen wertschätzt und ihm synergetisch einen passenden Platz im Gesamten zuweist. Bezogen auf die „Säule der Nachhaltigkeit“ wird das im Folgenden deutlich: Die Formen und Farben der einzelnen Baumscheibenreliefs stehen nicht in Konkurrenz, sondern stets in lebendiger Beziehung; mit den sich drehenden Elementen ist  ein nie endendes Puzzle entstanden, das die Nachhaltigkeitsziele auf spannende Weise immer wieder neu in Beziehung setzt. Erst durch die Summe der Einzelteile wächst sie zu jener Größe mit dem Potential, im Eingangsbereich des öffentlich zugänglichen ÖBZ-Geländes ein markantes Statement zu setzen. Ähnliches gilt für die kleinen Erdkugeln der „Kostbarkeiten der Erde“, die erst durch ihre Komposition die beeindruckend-poetische Wirkung entfalten.

Ein wenig anders gestaltet es sich im Projekt „Die Erde verbindet“. Ursprünglich war daran gedacht, dass die einzelnen Interpretationen sich in der optischen Gestaltung zu einem Gesamtkunstwerk ergänzen sollen. Während in Wuhan sich die einzelnen Werke an einem gemeinsamen Narrativ (die Reise der Saaten) orientierten, interpretierten die Schüler*innen in München Vielfalt und Nachhaltigkeit aus den unterschiedlichsten Perspektiven, was zu Objekten führte, die sich über den gesamten Naturspielraum des ÖBZ verteilten, sodass sich die Einzelkunstwerke gewissermaßen lediglich durch ihre Sichtbeziehung zueinander zu einer in-sich-begreifbaren Installation formten.

Die Kunst der vorgestellten Projekte ist kommunikativ. Sie ist darauf angelegt, Aufmerksamkeit zu erzielen und in wechselseitige Interaktion mit den Betrachter*innen zu treten. Durch die so hergestellte Öffentlichkeit wird die Bedeutung der Arbeit der Künstler*innen noch einmal anders gewürdigt. Durch die Präsentation der fertigen Skulpturen, durch die Ausstellungen und die Dokumentarfilme erhielten die Teilnehmenden Öffentlichkeit und Anerkennung. Die Videodokumentation zur „Säule der Nachhaltigkeit“ wurde beim Fernsehsender münchen.tv ausgestrahlt, die zum Projekt „Kostbarkeiten der Erde“ lief ausstellungsbegleitend auf Monitoren im ÖBZ und der über das Projekt „Die Erde verbindet“ wurde eine Woche lang als Dauerschleife im Foyer der Schule in München gezeigt sowie vom Projektpartner Wuhan Natur in China öffentlich präsentiert.

Darüber hinaus erweisen sich die Präsentationen der kreativen Ergebnisse und die Dokumentationen der Entstehungsprozesse auf Social-Media-Portalen oder auf eigens dafür eingerichteten Online-Kanälen als Chance, die zugrunde liegenden Gedanken und Interpretationen zu nachhaltigen Lebensstilen über einen längeren Zeitraum oder sogar dauerhaft zu zeigen und zu entfalten.

Alle drei vorgestellten Modellprojekte sind leicht übertragbar und vermutlich mit aus diesem Grund für andere attraktiv. Die pädagogische Fakultät der Universität Alexandria in Ägypten bspw. zeigte Interesse an einer Adaption des Konzepts der „Säule der Nachhaltigkeit“ und hat Teile der Projektdokumentation ins Arabische übersetzt. Die Projektidee hinter den „Kostbarkeiten der Erde“ stieß ebenfalls auf vielfaches Interesse. Durch das interaktive Format „Die Erde verbindet“ entstanden weitere interessante Kontakte zu möglichen internationalen Kooperationspartnern.

Verwendete Literatur

Anmerkungen

Dieser Beitrag basiert auf einer Projektpräsentation anlässlich des Fachsymposiums „Auswildern - Neue Ideen aus Kunst und Natur für die Bildung“ vom 4. bis 6. März 2020 der Stiftung Nantesbuch. Der vorliegende Text bezieht Teile der Projektdokumentation „KunstWerkZukunft – Natürlich nachhaltige Lebensstile“ ein, herausgegeben 2019 vom Projektverbund „Gemeinsam KunstWerkZukunft in Bayern inspirieren und ermöglichen“, bestehend aus ANU Bayern e.V., LBV-Umweltstation München, Naturerlebniszentrum Burg Schwaneck, Münchner Umwelt-Zentrum e. V. im Ökologischen Bildungszentrum (ÖBZ) und Ökoprojekt MobilSpiel e.V.. Redaktion: Baumgarten, Alexandra/Haug, Marc/Kreuzinger, Steffi. Texte: Mareike Spielhofen. https://www.kunstwerkzukunft.de/wp-content/uploads/2019/03/KWZ-Dokumenation_interaktiv.pdf

Zitieren

Gerne dürfen Sie aus diesem Artikel zitieren. Folgende Angaben sind zusammenhängend mit dem Zitat zu nennen:

Marc Haug (2021): Inspiriert durch KunstWerkZukunft: Kulturelle Bildung für nachhaltige Entwicklung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/index.php/artikel/inspiriert-durch-kunstwerkzukunft-kulturelle-bildung-nachhaltige-entwicklung (letzter Zugriff am 16.07.2024).

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Dieser Artikel wurde dauerhaft referenzier- und zitierbar gesichert unter https://doi.org/10.25529/26t7-ew08.

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