Inklusion als systematischer Ansatz für eine kulturelle Schulentwicklung
Abstract
Bei dem Artikel handelt es sich um ein Plädoyer für die inklusive Schule. Die inklusive Schule nimmt Lernende als unterschiedliche war, wobei diese Unterschiedlichkeit als Gewinn und Lernressource produktiv genutzt wird. Eine wirksame Lernkultur – beruhend auf dem Inklusionsansatz als „Bildung für Alle“ – verlangt, Diversität als Normalfall zu betrachten und die Rolle von Kunst und Kultur in allen Bereichen des Schullebens zu stärken. Das bedeutet, dass es nicht allein um die Erweiterung der schulischen Bildungsarbeit durch Kooperationsprojekte gehen kann, sondern dass die ästhetisch-kulturelle Praxis als zentrale Dimension der Organisations-, Personal- und Unterrichtsentwicklung anerkannt wird. Ein solcher Prozess der Selbstkultivierung kann in ein kulturelles Schulprofil münden. Der Artikel beschreibt 11 Eckpunkte eines solchen Profils und diskutiert am Ende, welche Herausforderungen auf die Entscheidungsträger zukommen.
Individuelle Sichtweisen auf die Welt und das Spiel mit der Vielfalt persönlicher Arten und Weisen, sich mitzuteilen, sind unverzichtbare Grundlagen aller künstlerischen Prozesse. Es liegt deshalb nahe, Kooperationen von Kultur und Schule auf ihr Potenzial für einen wertschätzenden Umgang mit Diversität und individueller Förderung in Schulen zu befragen. Aktuell geraten die Schulen zunehmend unter Druck, eine weitaus flexiblere individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen als bisher. Ausgehend von sich immer rasanter vollziehenden gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen stehen die Schulen vor keinen geringen Anforderungen: Immer mehr liegt ihre Aufgabe darin, Jugendliche und Kinder zu einem lebenslangen Lernen zu befähigen. Damit rückt das einzelne Individuum mit seinen biographischen, sozialen und kulturellen Ressourcen und Bedürfnissen in den Mittelpunkt der schulischen Bildungsarbeit. Die Diversität der lebensweltlichen Ressourcen der Kinder und Jugendlichen, ihr häufig nur sehr bedingt gemeinsam geteiltes Erfahrungswissen, verlangen von den Schulen ihre Flexibilität in Unterrichtsgestaltung und Lehrinhalten, in Leistungsbewertung sowie zeitlichen und räumlichen Rahmenbedingungen radikal auszubauen. Zukünftig muss sich das schulische System noch mehr an den Ressourcen und Bedürfnissen der Lernenden orientieren, wenn es seinen Bildungsauftrag wirksam erfüllen will.
Nicht zuletzt deshalb engagieren sich Schulen und Kultureinrichtungen immer mehr für eine langfristige und nachhaltige Zusammenarbeit, die über einzelne Kooperationsprojekte hinausgeht. Im Zentrum ihrer Kooperationen steht häufig der Wunsch, Kindern und Jugendlichen durch das Lernen in den Künsten und durch die Künste Formen einer individuellen Förderung zugänglich zu machen, die von der Anerkennung und Wertschätzung ihrer individuellen Sichtweisen, Bedürfnissen und Handlungsmöglichkeiten ausgeht. Es stellt sich jedoch die Frage, welcher Voraussetzungen es bedarf, damit ästhetisch-kulturelle Praxis in Kooperationen von Kultur und Schule einen wirksamen Beitrag zu einer Lernkultur, die alle Schüler/innen erreicht und fördert, leisten kann. Gerade durch die Zusammenarbeit so unterschiedlicher Partner wie Schulen, Einrichtungen der kulturellen Kinder- und Jugendbildung und Kunstinstitutionen wird der Einfluss der institutionellen Bedingungen für das Handeln der Individuen auffällig. Für die Weiterentwicklung einer chancengerechten Lernkultur für alle Schüler/innen gewinnt die Tatsache, dass die Lernprozesse der Individuen und der Institution einander bedingen, an besonderer Bedeutung. Ausgangspunkt des in diesem Beitrag vorgestellten Ansatzes ist daher eine veränderte Perspektive auf das Zusammenspiel der ästhetisch-kulturellen Praxis von Schüler/innen, der Organisation ihrer schulischen Lernumgebung sowie den Einstellungen und dem Handeln ihrer Lehrer/innen. Dies soll hier im Sinne einiger Zwischenüberlegungen zu einem längerfristigen Entwicklungsprojekt zur Kulturellen Schulentwicklung dargestellt werden (vgl. Braun 2011; Braun/Fuchs/Kelb 2010).
In der Bildungspolitik steht besonders der Begriff der „Inklusion“ für die Erweiterung der auf die Lernleistungen des Individuums fokussierten Perspektive hin zu einer systemischen Einbettung und Reflexion des individuellen Bildungsprozesses. „Anerkennung von Individualität in der Gemeinsamkeit“ (GEW 2003, S. 20) lautet die Orientierung der Inklusionspädagogik. Was sich auf den ersten Blick als eine freundliche Formel für mehr individuelle Förderung liest, beinhaltet in seiner Konsequenz weitreichende Folgen sowohl für die professionelle Organisation von Bildungsprozessen als auch für die der Bildungsinstitutionen selbst. Denn wer Individualität und Gemeinsamkeit zugleich ermöglichen will, kommt nicht umhin eine grundlegende Debatte um die Definition von Normalität bzw. den Umgang mit Unterschiedlichkeit zu führen. Dass aber Gemeinsamkeit eine Voraussetzung für die Anerkennung von Individualität ist, zeigen die problematischen Erfahrungen der Integrationspädagogik. Mit dem Ziel, die Separation benachteiligter Schüler/innen zu überwinden und eine bestmögliche Förderung zu gewährleisten, wird in der Integrationspädagogik zwischen Schüler/innen mit bzw. ohne sonderpädagogischen Förderbedarf unterschieden. Damit einher geht jedoch ein Bumerang-Effekt, den Andreas Hinz im Begriff der „Zwei-Gruppen-Theorie“ (Hinz 2004, S. 3) zusammenfasst. Denn in der Unterscheidung zwischen Sonderschüler/innen und „normalen“ Schüler/innen wird zugleich eine weitere Unterscheidung zementiert (Abb. 1): „Schüler/innen, die innerhalb des Systems vollberechtigt sind, und andere, die außerhalb stehen und sich zu integrieren haben“ (Burow 2011, S. 208).
Inwiefern Schüler/innen integrierbar sind, hängt dieser Logik folgend in der gängigen Praxis davon ab, welche Eigenleistung die Schüler/innen zu ihrer Integration aufbringen können. „Allzu häufig scheint sich (...) das Ausmaß der Integration nach dem Ausmaß des Andersseins zu richten“, so Hinz. „Je fitter, desto mehr Integration, je weniger fit, desto weniger integrierbar“ (Hinz 2004, S.3). Dem Paradigma der Integration ist demnach ein Potenzial an ungewollter Selektivität eigen. Denn ganz im Sinne eines „Readiness-Modells“ (Hinz 2004, S. 3) sind es die Individuen, so Hinz, die eine Mindestvoraussetzung aufbringen müssen, die sie zur Teilhabe qualifiziert. Hier wird für das Anliegen der Entwicklung einer Lernkultur, die wirksam alle Schüler/innen erreicht, besonders eines virulent: Das Paradigma der Integration, beinhaltet zwischen Schule und Schüler/in, wirft die Frage auf, wer sich an wen anzupassen hat. Das Gefälle ist offensichtlich: Es geht zugunsten der schulischen Normaldefinition und zulasten der Schüler und Schülerinnen. Es zeigt sich, dass auch in einer auf Integration angelegten Perspektive letztlich Vielfalt im Sinne einer Abweichung von der Normalität, in letzter Konsequenz sogar als defizitorientierte Andersartigkeit verhandelt wird. Heterogenität wird in integrativen Lerngruppen als Herausforderung angesehen. Sie gilt es durch Binnendifferenzierung, sonderpädagogische Förderung u.a. zu bewältigen (Abb. 2), um innerhalb der durch die institutionellen Rahmenbedingungen der Schule realisierte Normalität ein gelingendes Lernen zu ermöglichen. Die heterogenen Fähigkeiten und Einschränkungen, kulturellen, religiösen oder weltanschauliche Hintergründe, Geschlechterrollen, sexuelle Orientierungen und familiären Lebenswelten werden zwar nicht negiert, ihre Diversität wird jedoch auch nicht als Normalfall verstanden.
In diesem Sinne ist es die Ausrichtung auf Gemeinsamkeit (s.o.) der inklusionsgeleiteten Perspektive, die eine individuelle Förderung ermöglicht, ohne in die Falle einer Parallelstruktur von „normalen“ und „nichtnormalen“ Schüler/innen ein und derselben Schule zu geraten. „Diversität besteht nicht darin, möglichst gut zu integrieren, d. h. Randgruppen optimal anzupassen, sondern jedes Individuum als Vervollständigung der Gruppe zu sehen. Alle Beteiligten sind Betroffene, die sich durch eine umfassende Wahrnehmung und Gestaltung der Welt gegenseitig ergänzen“, so Anne Sliwka (ebd.). Es ist offensichtlich, dass von Inklusion weitreichende Veränderungen für die Entwicklung aller Ebenen des Schullebens ausgehen. Maßgeblich ist hierbei, dass sich das Potenzial der Veränderbarkeit auf Seiten der Einzelschule in Reaktion auf die Diversität ihrer Schüler/innen und letztlich aller Mitglieder der Schulgemeinschaft erhöhen muss.
Die konsequente Orientierung auf Diversität als Normalfall beinhaltet deshalb zugleich immer auch den Auftrag zu einer proaktiven Identifizierung von Barrieren, die sich Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen durch die jeweils vorzufindende Organisation der Lernmöglichkeiten in einer Schule stellen (vgl. Jomtien/Thailand 1990; zur internationalen bildungspolitischen Strategie und Erklärung einer „Bildung für Alle“ der World Conference on Education for All 1990 siehe Römer, Katja/Steinkamp, Anna 2011). Der Ansatz, vornehmlich nach Barrieren für ein erfolgreiches Lernen aller zu fragen, beruht zugleich auf einer Überzeugung, die eine Kernqualität von Inklusion darstellt: Nicht nur die Individuen, sondern auch die von ihnen gesteuerten Institutionen und Systeme sind lern- und entwicklungsfähig. Die Frage nach den Barrieren evoziert zugleich die Frage nach den vorhandenen Ressourcen, um Barrieren zu beseitigen. Um diese Ressourcen als Energien für Veränderung identifizieren zu können, ist ein intensiver Kommunikationsprozess notwendig. Denn wenn die Frage tatsächlich darin besteht, wie ein gelingendes Lernen für alle möglich ist, ist es notwendig, dass alle gefragt werden, sich aktiv in diesen Kommunikationsprozess einbringen können und gehört werden. Es wird sich dann zweierlei zeigen: Zum ersten wird deutlich werden, dass Ressourcen nicht immer mit Geld gleichzusetzen sind, und dass eine Vielzahl vorhandener Ressourcen nicht genutzt werden. Natürlich ist der ökonomische Aspekt eine unentbehrliche Dimension für Teilhabe an Bildung sowie für eine angemessene Bildungsqualität. Die Erkenntnis, dass Ressourcen nicht ausschließlich Geld bedeuten müssen, öffnet jedoch gedankliche Freiheiten, die auch eine größere Freiheit des Handelns ermöglichen. Zum zweiten wird sich zeigen, dass jede/r über ganz verschiedene Ressourcen verfügt. Die Beseitigung von Barrieren für ein erfolgreiches Lernen aller ist wesentlich davon abhängig, dass sie von allen als Erweiterung der eigenen Erfahrungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten und als Zuwachs an Souveränität wahrgenommen werden kann. Dies wiederum setzt voraus, dass die Ressourcen und Bedürfnisse aller wirksame Anerkennung erfahren.
Die UNESCO erweitert mit ihrem Verständnis einer inklusiven Bildung die Identifizierung und Steuerung von Lernmöglichkeiten und Lernbarrieren über die Subjekte hinaus auf die Bildungsinstitutionen, ja sogar auf das gesamte Bildungssystem eines Landes:
„Inklusive Bildung ist ein Prozess, im Rahmen dessen jene Kompetenzen im Bildungssystem gestärkt werden, die nötig sind, um alle Lernenden zu erreichen. Folglich kann inklusive Bildung als Schlüsselstrategie zur Erreichung von ’Bildung für Alle’ gelten [...] Erreicht wird dies durch verstärkte Partizipation an Lernprozessen, Kultur und Gemeinwesen sowie durch Reduzierung und Abschaffung von Exklusion in der Bildung. Dazu gehören Veränderungen in den Inhalten, Ansätzen, Strukturen und Strategien“ (DUK 2009, S.8f).
Die UNESCO skizziert für die Bildung aus Perspektive der Inklusion einen bildungspolitischen Wirkungszusammenhang, der in dem intrinsisch motivierten Einsatz der Zivilgesellschaft, i.e. ihre Einrichtungen und Individuen, für die fortlaufende Förderung von Inklusion mündet (Abb. 3). Mit Hilfe der Grafik wird verdeutlicht, dass dies zum einen rechtlicher und infrastruktureller Voraussetzungen bedarf. Zum anderen wird aber ebenso sichtbar, dass die Sicherung und Ausgestaltung dieser Voraussetzungen gleichermaßen auf die aktive Teilhabe aller angewiesen ist.
Die Ermöglichung einer „Bildung für Alle“, so zeigt sich, setzt einen stetig fortzuschreibenden Lernprozess aller voraus. Für eine Schulentwicklung, die im Sinne einer „Bildung für Alle“ gestaltet werden soll, lässt sich daher von einer notwendigen Parallelisierung der „Lern-Subjekte“ Individuum und Schule sprechen (vgl. Fuchs/Braun 2011, S. 249f). Max Fuchs hat diese Parallelisierung für eine mit den Schulentwicklungs- und den Bildungsprozessen des Individuums gleichermaßen verzahnte ästhetisch-kulturelle Praxis in eine Gegenüberstellung gebracht (Abb. 3). Fuchs verdeutlicht im Sinne einer Bildung als „Selbstkultivierung“ (ebd.) die begründete Verbindung beider Lernbereiche.
„’Bildung’ kann als Produkt und Prozess verstanden werden. Angestrebt wird die ’Vision’ eines handlungsfähigen Individuums, das im sozialen Kontext sein Leben sinnerfüllt gestaltet. ’Bildung’ wird bereits bei dem Einzelnen – auch in der Geschichte der Pädagogik – als Kultivierung verstanden. Dieser Begriff ist übertragbar auf die Schule als pädagogische Institution. Dabei ist die Vision oder das Leitbild – heute selbstverständliches Element der Organisationsentwicklung bzw. der Schulprogrammarbeit – eine Schule, die die Kernaufgabe der Lernunterstützung der Schüler/innen erfüllt in einer entwickelten Schulkultur, die das Leben in der Schule für alle Beteiligten anregungsreich und förderlich gestaltet.“ (Fuchs/Braun 2011, S. 249)
Damit wird deutlich, dass sich Schule als dynamisches System durch angeregte und ggf. moderierte Lernprozesse selbst entwickeln muss. Weiterführend verdeutlicht Fuchs die Parallelisierung von individueller und organisationeller Entwicklung, indem er die Anthropologie des Lernens, der Schule und des Changemanagements miteinander in Beziehung setzt:
„Brohm (in Böttcher/Terhart 2004, S. 173 ff.) beschreibt das 3-W-Modell des Change-Managements. Demnach ist von einer Wandlungsbereitschaft, einem Wandlungsbedarf und einer Wandlungsfähigkeit als Voraussetzung eines Wandlungsprozesses auszugehen. Man erinnere sich nunmehr an die drei ’Gesetze der pädagogischen Anthropologie’ (vgl. Fuchs 2008), nämlich der Lernfähigkeit des Menschen, der Lernnotwendigkeit und der Tatsache, dass sich Lernbereitschaft darin artikuliert, dass Lernen ständig stattfindet. Lernen – verstanden als Wandel – kann also ohne Verkrampfung auch in dieser Hinsicht mit dem Wandel von Organisationen verglichen werden.“ (Fuchs 2011, S. 250)
Bildung aus Sicht der Inklusion bedeutet in diesem Sinne immer eine (Re-)Vitalisierung von Lernprozessen. Der Begriff von Bildung als „Selbstkultivierung“ verdeutlicht die strukturelle Verschränkung der individuellen Bildungsprozesse mit den bestehenden sowie mit den durch diese Prozesse (weiter-)entwickelten sozialen wie auch ästhetisch-kulturellen Praxen, ihren Orten und Einrichtungen.
Für Kulturelle Bildung an Schulen stellt sich nun die Frage, wie sie zu dieser Voraussetzung für eine inklusive Lernkultur, nämlich einen Prozess der Selbstkultivierung einer Schule und der Menschen, die in ihr leben und handeln, beitragen kann. Wenn eine wirksame Lernkultur auf einen Inklusionsansatz angewiesen ist, dann verlangt dies einen Lernprozess, der ästhetisch-kulturelle Praxis nicht nur als Beitrag zu einer ’Kultivierung’ der Kinder und Jugendlichen versteht. Vielmehr gilt es dann, die ästhetisch-kulturelle Dimension als Prinzip in allen Bereichen des Schullebens zu stärken. Dies würde bedeuten, dass Kunstprojekte nicht in temporär in den Schulabläufen eingerichteten ’Schonräumen’ stattfinden, sondern mit den Prozessen der Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung verbunden werden.
Individuelle Annehmbarkeit und Druck im System
Viele Schüler/innen berichten begeistert aus Kulturprojekten, die sie gemeinsam mit außerschulischen Partnern an ihrer Schule umgesetzt haben. Ein wesentlicher Schlüssel für diese hohe individuelle Annehmbarkeit liegt in der entschiedenen Orientierung Kultureller Bildung auf das Subjekt: Gelingt es in der kulturpädagogischen und künstlerischen Arbeit, die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen in ihrem Symbolgebrauch ernst zu nehmen und in den Formen und Arbeitsweisen wertschätzend und offen zu sein, dann entfalten Angebote Kultureller Bildung Empowerment-Qualitäten. Lehrer/innen sind überrascht von dem neuen Blick, den sie auf ihre Schüler/innen und Schüler gewinnen konnten. Gleichwohl nehmen viele SchulpädagogInnen trotz dieser wertschätzenden Einstellung besonders längerfristige Kooperationen als Störungen ihrer Arbeit wahr. Für viele Lehrer/innen ist eine intensive Einbindung in längerfristige Kooperationsprojekte, die über eine Rolle als Aufsichtsperson oder Helfer in organisatorischen Fragen hinausgeht, oft nicht möglich. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass eine angemessene Entlastung von den regulären schulischen Aufgaben nicht vorgenommen wird oder vorgenommen werden kann. Die damit in den Kooperationen für die Lehrer/innen einhergehende Reduzierung der eigenen Professionalität sowie der gewohnten Rolle gekoppelt mit einem hohen zeitlichen Mehraufwand und einer selbst oft als unzureichend empfunden Raumsituation erschwert für viele Lehrer/innen eine dauerhafte positive Identifikation mit dem Kooperationsprojekt. Aufgrund dieser unzureichenden strukturellen Annehmbarkeit stellen kulturelle Angebote für Lehrer/innen eine Zusatzbelastung und manchmal sogar eine Störung dar (vgl. hierzu und zum Folgenden die Evaluation des BKJ-Modellprojekts „Lebenskunst lernen“ in Mack 2011).
Besonders bei längerfristig angelegten Kooperationen von Kultureller Bildung und Schule treten – deutlicher als in zeitlich enger begrenzten Projekten – unterschiedliche, teilweise sogar konträre pädagogische Einstellungen und Handlungsmaxime hervor. Dabei kommt es häufig zu Irritationen bei den Lehrkräften und bei den beteiligten Künstler/innen und Kulturpädagogen bezüglich der Arbeitsformen und des Umgangs z.B. mit Störungen von Schüler/innen, da in der Schule auf der einen Seite und in der Kulturellen Bildung auf der anderen Seite unterschiedliche pädagogische Vorstellungen und Handlungsmaximen bestimmend sind. Die mangelnde Annehmbarkeit kultureller Angebote hat ihren Grund also des Weiteren nicht nur in einer mangelnden Kompatibilität mit der Organisation von Schule. Der tiefere Grund für die Erschwerung der Zusammenarbeit ruht vielmehr in der den Kooperationen zugrunde liegenden Haltung. Kooperationsprojekte von Kultur und Schule stehen in der Regel unter dem Paradigma der Integration. D. h., kulturelle Angebote werden in Arbeitsweise und in Bezug zu räumlichen und zeitlichen Bedürfnissen als unterschiedlich von denen der Schule erkannt. Diese Bedürfnisse werden als Herausforderungen erfahren, die es, so weit wie unter den bestehenden Bedingungen des Schullebens möglich, zu berücksichtigen gilt. Dies führt zu Kooperationen, die in Kurzzeitprojekten in aller Regel erfolgreich sind. Insofern die regulären Prozesse des Schullebens in der gewohnten Form und Organisation fortgeführt werden, nimmt aufgrund der beschriebenen Belastungseffekte, die Bewertung des Erfolgs mit einer steigenden Dauer des Projekts häufig ab. Zwar werden unter Umständen einzelne, zeitlich begrenzte Modifikationen vorgenommen. Weil sie jedoch als Ausnahmeregelungen eingestuft und wahrgenommen werden, werden sie häufig nicht mit den notwendigen zeitlichen, personenbezogenen und auch finanziellen Ressourcen ausgestattet. Die Durchführung kultureller Bildungspartnerschaften unter dem Leitprinzip der Integration, d.h. Kooperationsprojekten, wird innerhalb der bestehenden Schullogik ein begrenzter Freiraum eingeräumt, hat somit ungewollt einschränkende Wirkung auf die nachhaltige Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Kunst und Kultur für die Schüler/innen.
Das Einräumen von Sonderspielräumen bedeutet für die beteiligten Lehrer/innen, ihre unmittelbaren Kolleg/innen und letztlich das gesamte System innerhalb der Schule eine erhöhte Anstrengung. Darüber hinaus beinhaltet dieser Umgang zugleich eine Unterscheidung zwischen den ’zusätzlichen’ Kunst- und Kulturprojekten und der ’eigentlichen’ Schulidentität. Die künstlerischen und kulturellen Lernräume bleiben auf diese Weise von den schulinternen Entwicklungsprozessen strukturell getrennt. Eine verbesserte Annehmbarkeit von Kultureller Bildung an Schulen verlangt daher einen grundlegenden Perspektivenwechsel: Die Bedeutung der ästhetisch-kulturellen Praxis liegt nicht nur in der Erweiterung der schulischen Bildungsarbeit durch Kooperationsprojekte. Vielmehr geht es darum, sie als zentrale Dimension des Schullebens zu etablieren, von der aus die gesamte Organisationsentwicklung, wie auch die Unterrichts- und Personalentwicklung stattfinden. Diese Perspektive bedeutet, dass ästhetisch-kulturelle Praxis nicht nur zur ’Kultivierung’ der Kinder und Jugendlichen eingesetzt wird. Sie verdeutlicht gleichermaßen das Ziel der Schule, sich durch ästhetisch-kulturelle Praxis selbst zu kultivieren (vgl. hierzu auch Liebau 2009). Das Ziel einer erweiterten Lernkultur, von der alle an der Schule beteiligten Menschen profitieren können, muss also auf anderem Wege als dem der Integration ästhetisch-kultureller Praxis erreicht werden. Ein Schlüssel für eine verbesserte Annehmbarkeit ästhetisch-kultureller Praxis an Schulen scheint also in einem veränderten Umgang mit der Unterschiedlichkeit der verschiedenen Bildungswege von formalem schulischen Unterricht und nicht-formaler ästhetisch-kultureller Praxis zu liegen.
Von der Integration zur Inklusion Kultureller Bildung an Schule
Wenn von der Annehmbarkeit kultureller Angebote für Schulen die Rede ist, dann muss daher berücksichtigt werden, dass sich Handlungsstrukturen in einer Schule sowohl aus den jeweils gültigen Schulgesetzen bzw. Schulformen als auch aus ihren gesellschaftlichen Funktionen der Qualifikation, Sozialisation, Selektion, Allokation und Legitimation (vgl. Fend 2008) ableiten. Genauso muss jedoch beachtet werden, dass jede Schule über eine eigene Schulkultur verfügt. Jede Einzelschule tritt in ihrer vielfältigen strukturellen und kulturellen Einbettung mit einer eignen Schulidentität auf. Sie ist das Produkt einer aktiven, fortlaufenden Identitätsarbeit der schulinternen Akteure und realisiert sich über Haltungen, Mentalitäten, Werte, Arbeitsweisen und Strukturen. Fuchs verweist auf das zentrale Gelingenskriterium für jede wirksame Schulentwicklung: „Die Einzelschule muss Subjekt und Objekt eigener Gestaltungs- und Entwicklungsprozesse sein: Die Schule besteht aus einer Vielzahl von internen Akteursgruppen (Mikropolitik), sie agiert aber auch selbst in ihrem Kontext als eigenständiger Akteur“ (Fuchs/Braun 2011, S. 249; vgl. Fend 2008). Die Aufgabe einer wirksamen Schulentwicklung ist es daher, gleichermaßen für die in der Schule handelnden Menschen und für die Institution selbst, Möglichkeiten der Selbstreflexion und Weiterentwicklung zu schaffen. Schulentwicklung bedeutet daher in diesem doppelten Sinne immer Identitätsbildung.
Die Antwort auf die Frage, wie die Voraussetzungen für die Annehmbarkeit von Kultureller Bildung an Schulen verbessert werden können, ist demnach unmittelbar an die Lernprozesse der jeweiligen Schulkultur gebunden. Dass dies die gesetzgebenden und steuernden Ebenen in den Ländern und Kommunen jedoch nicht davon entbindet, entsprechende Voraussetzungen für mehr Kulturelle Bildung an Schulen zu schaffen, verdeutlich das Qualitätstableau für Kulturelle Schulentwicklung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (siehe Abb. 1, S. 13). Es bietet eine komprimierte Übersicht zu allen beteiligten Lernfeldern, Akteuren und Handlungsanforderungen. Das Tableau führt die Verzahnung des Lernens des Individuums mit dem Lernen des gesamten Umfeldes vor Augen.
In Anlehnung an den „Index für Inklusion“ (deutschsprachige Ausgabe: Boban/Hinz 2003) lassen sich fünf Fragen formulieren, an denen sich der Prozess einer kulturellen Schulentwicklung orientieren kann:
- Was sind Barrieren für ein Lernen mit Kunst und Kultur in unserer Schule?
- Für wen ergeben sich in unserer Schule Barrieren für ein Lernen mit Kunst und Kultur?
- Was kann dabei helfen, Barrieren für ein Lernen mit Kunst und Kultur in unserer Schule zu überwinden?
- Welche Ressourcen sind in unserer Schule vorhanden, um Lernen mit Kunst und Kultur zu unterstützen?
- Wie können zusätzliche Ressourcen mobilisiert werden, um Lernen mit Kunst und Kultur in unserer Schule nachhaltig zu ermöglichen?
Die besondere Qualität dieser Fragen besteht nicht nur darin, dass sie alle in der Schule handelnden Menschen einbeziehen. Sie ermöglichen darüber hinaus einen veränderten Umgang mit der Unterschiedlichkeit von Kultur und Schule, indem sie die Unterschiede als Möglichkeit zur Weiterentwicklung des Schullebens aufgreifen. Diese Weiterentwicklung – das führen die Fragen vor Augen – ist unumgänglich auf eine Verschränkung der Reflexions- und Lernprozesse der Individuen mit Fragen der Organisationsentwicklung verbunden. Die Selbstkultivierung, ihr Prozess der Identitätsbildung, basiert auf dem Paradigma der Inklusion: Der Parallelisierung der individuellen und der institutionellen Lernprozesse.
Damit die Einbindung der Kunst- und Kulturprojekte in den Prozess der Identitätsbildung der jeweiligen Schule gelingen kann, sind demnach entsprechende Grundwerte und Handlungsprinzipien zu berücksichtigen, in deren Zentrum das Verständnis von Bildung als Prozess der Selbstkultivierung steht (nach Fuchs/Braun 2011, S. 249f und Braun 2010, S. 101):
- Die Schule wird als fortlaufend lernende Organisation verstanden, wobei es – gerade bei dem Prozess der kulturellen Schulentwicklung – um kulturelles Lernen mit den Mitteln der Kunst geht.
- So wie sich die Bildung des/r Einzelnen als ein Prozess der Kultivierung vollzieht, so ist auch der Prozess der Schulentwicklung ein Prozess der Selbstkultivierung der Institution.
- Im Prozess der kulturellen Schulentwicklung müssen im Sinne der Inklusion die Lernprozesse der Individuen und der Institution als einander bedingend berücksichtigt werden.
- Kulturelle Schulentwicklung wird als ein partizipativer Prozess gestaltet, der die Erfahrungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten aller intensiviert.
- Nicht nur die Organisation der Einzelschule ist als ein soziales System zu verstehen. Auch der/die Einzelne muss im Prozess der Schulentwicklung im Wechselspiel der verschiedenen Persönlichkeitsdimensionen (Kognition, Emotion etc.) berücksichtigt werden.
- Der Prozess der ’Selbstkultivierung’ der Schule verlangt einen schulinternen Prozess der Selbstreflexion der eigenen Schulkultur als symbolische Ordnung, die das Handeln der sich in der Schule bewegenden Menschen beeinflusst und die zugleich von ihnen gestaltet wird. Hierbei benötigen Schulen eine Moderation und Beratung durch qualifizierte Fachkräfte.
- Weil der Prozess der kulturellen Schulentwicklung eine Einbindung der Kunst- und Kulturprojekte in die Identitätsarbeit der Schule beabsichtigt, erfolgt er von Beginn an unter Einbeziehung ästhetisch-kultureller Zugänge.
Eckpunkte für ein kulturelles Schulprofil
Ein solcher Prozess der Selbstkultivierung einer Schule kann in ein kulturelles Schulprofil einmünden, für das sich elf Eckpunkte beschreiben lassen.
- Alle Schüler/innen haben regelmäßig qualitativ hochwertige Möglichkeiten zu eigener künstlerisch-ästhetischer Praxis.
- Künstler/innen, außerschulische Kulturpädagog/innen und Kulturmanager/innen gestalten als Bildungspartner gemeinsam mit Lehrer/innen Unterricht. Außerhalb des Unterrichts gibt es zahlreiche Angebote künstlerischer Arbeitsgemeinschaften, die von den Schüler/innen gemeinsam mit schulischen und außerschulischen Expert/innen umgesetzt werden.
- Alle künstlerischen Fächer werden von ausgebildeten Fachkräften unterrichtet und kontinuierlich für alle Schüler/innen angeboten.
- Kulturell-ästhetische Lernwege sind Bestandteil auch aller nichtkünstlerischen Schulfächer. Neben der Integration der Künste als Medien des Lernens und Forschens sind Prinzipien der kulturellen Bildung, wie z. B. Selbstwirksamkeit, Partizipation und Stärkenorientierung, Kernbestandteile einer neuen Lernkultur.
- Der Stundenplan ist so gestaltet, dass längere Zeit und fächerübergreifend an einem künstlerischen Vorhaben gearbeitet werden kann. Kulturell-ästhetische Bildungsangebote sind nicht ausschließlich auf den Nachmittagsbereich verschoben. Im Sinne eines umfassenden Bildungskonzepts rhythmisieren Unterricht und kulturelle Angebote einander ergänzend als gleichberechtigte Lernformen den Schultag.
- Es sind Räume mit entsprechender Ausstattung vorhanden, die ein Arbeiten im Medium der Künste ermöglichen. Dies betrifft sowohl Arbeits- als auch Aufführungsräume.
- Neue Lernorte und Erfahrungsräume werden in das Bildungskonzept integriert. Schüler/innen und Lehrer/innen nutzen regelmäßig die Räume und das Angebot der Einrichtungen vor Kultureinrichtungen vor Ort sowohl im Rahmen des Unterrichts als auch im Rahmen nichtformaler kultureller Angebote der Schule.
- Nicht nur im Unterricht und Ganztagsbereich wird eng mit Kultur- und Kunsteinrichtungen im Stadtteil oder der Kommune zusammengearbeitet. Die Schule ist auch selbst ein offener Ort der Begegnung und Präsentation.
- Kulturschulen verfügen über ein Lehrpersonal, dass sowohl über kulturell-ästhetische Kompetenzen als auch über die Fähigkeit verfügt, gemeinsam mit außerschulischen Expert/innen ein ganzheitliches Bildungsangebot umzusetzen.
- Alle Mitglieder der Schulgemeinschaft sind an der Gestaltung des Schullebens aktiv und wirksam beteiligt. Für die Gestaltung von Beteiligungsprozessen werden Methoden aus Kunst und Kultur als Reflexions-, Ausdrucks- und Entwicklungswege genutzt.
- Die Schule nimmt das Subjekt in seiner Wahrnehmungs-, Gestaltungs- und Kommunikationsfähigkeit ernst, indem sie über eine Architektur verfügt, die Begegnung ermöglicht und Kreativität anregt. Auch dies macht die Schule für alle sich in ihr bewegenden Menschen zu einem guten Ort des Lernens, Arbeitens und Lebens.
Herausforderungen für Entscheidungsträger
Die Perspektive auf eine neue Lernkultur muss sich daher auf die Weiterentwicklung aller Ebenen einer Schule beziehen: Auf die Lehr- und Lernsituationen, auf Handlungsorientierungen für den „geheimen Lehrplan“ und ebenso auf eine gemeinsam gelebte Schulidentität sowie gelebte Haltungen und Werte. Dies stellt jedoch keinen Selbstzweck dar, sondern ist eine Bedingung für eine gelingende Zusammenarbeit von Schulen mit außerschulischen Partnern sowie für die Weiterentwicklung einer teilhabegerechten Schulkultur. Schulleitungen sehen sich in der Gestaltung dieses inklusiven Bildungsprozesses zahlreichen Ansprüchen und Erwartungen unterschiedlichster Interessenvertreter/innen in der Schule (Personal, Schüler/innen und Eltern), bei den außerschulischen Einrichtungen sowie ggf. auch beim Schulträger und den Verwaltungen ausgesetzt. Im Vorfeld der 48. UNESCO-Weltbildungsministerkonferenz zum Thema „Inklusive Bildung: Der Weg der Zukunft“ diskutierten 914 Teilnehmer/innen aus 128 Ländern im Rahmen von 13 Vorkonferenzen die wichtigsten Handlungsfelder für politische Entscheidungsträger (vgl. Opertti/Belalcázar 2008). Drei Herausforderungen formulierten die Teilnehmer/innen als die Kernaufgaben, die es für eine effektive Weiterentwicklung in der Agenda der Entscheidungsträge/innen zu berücksichtigen gilt (vgl. DUK 2009, S. 18f):
- Einstellungsänderung und politische Entwicklung,
- Gestaltung eines inklusiven Curriculums,
- Lehrer/innen und Lernumgebung.
Die Empfehlungen der Vorkonferenzen beinhalten zahlreiche Anknüpfungspunkte, die Schulleitungen für die Gestaltung eines inklusiven Prozesses einer kulturellen Schulentwicklung nutzen können. Einige dieser Anknüpfungspunkte werden nun abschließend vorgestellt. Zu jedem der drei Kernhandlungsfelder wurden von den UNESCO Checklisten mit konkreten Schlüsselfragen entwickelt (vgl. ebd.). Auf Grundlage und in enger Anlehnung an diese können ebenso Schlüsselfragen für einen inklusiven Prozess formuliert werden, dessen Ziel es ist, eine Verbindung der ästhetisch-kulturellen Praxis in Kooperationen von Kultur und Schule mit den schulischen Prozessen der Unterrichts-, Organisations- und Personalentwicklung herzustellen.
Einstellungsänderung
Es ist offensichtlich, dass eine Kulturelle Schulentwicklung nicht auf dem Wege eines Top-down-Verfahrens erfolgen kann. Vielmehr muss sie als ein demokratischer Prozess gestaltet werden, der Freiräume für Selbststrukturierungsprozesse schafft. Hierfür Zeiten und Räume zu schaffen ist keine geringe, dafür aber elementare Anforderung. Sie lässt sich vor allem dann umsetzen, wenn der Veränderungsprozess für alle Beteiligten in einem sinnhaften Zusammenhang steht. Für alle Beteiligten bedeutet dieser Prozess jedoch, sich einer Überprüfung der eigenen Konzepte und der eigenen Rolle auszusetzen. Dies betrifft auch die außerschulischen Partner in Kultureinrichtungen und Verwaltung, da auch die Zusammenarbeit der Schule mit ihnen Veränderungen erfahren wird. Umso wichtiger ist es, dass alle Interessenvertreter/innen in der Schule sowie außerhalb der Schule als aktive Unterstützer/innen angesprochen und gewonnen werden können. Was die UNESCO für Inklusion formuliert, kann gleichermaßen für einen nach dem Grundgedanken der Inklusion gestalteten Prozess einer Kulturellen Schulentwicklung gelten:
„Lehrer, andere Pädagogen, unterstützendes Personal, Eltern, Kommunen, Schulbehörden, Entwickler von Curricula, Bildungsplaner, der Privatsektor und Ausbildungsinstitute sind sehr wichtig für die Förderung von Inklusion. Einige (Lehrer, Eltern, Kommunen) sind noch mehr als das: Sie sind unverzichtbar, um alle Aspekte des Inklusionsprozesses zu unterstützen. Dies erfordert den Willen, Vielfalt zu akzeptieren und willkommen zu heißen, sowie innerhalb als auch außerhalb der Schule eine aktive Rolle im Leben der Schüler einzunehmen“ (DUK 2009, S. 18).
Checkliste zur Änderung von Einstellungen
Gestaltung eines inklusiven Curriculums
Das Ziel einer Kulturellen Schulentwicklung besteht darin, für die Kinder und Jugendlichen eine optimale Lernkultur zu ermöglichen, die ihnen eine Bildung der Lebenskunst eröffnet, d.h. die Fähigkeit zu einer selbst bestimmten, kritischen und kreativen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Im Delors-Bericht der UNESCO werden für ein so zu verstehendes Bildungsprojekt der Zukunft vier Dimensionen benannt (vgl. Delors 1996):
- Wissen lernen,
- Können lernen,
- Leben lernen,
- Lernen lernen.
Es wird hier schnell deutlich, dass ein solches Bildungskonzept die kognitive, emotionale, soziale und kreative Entwicklung von Jugendlichen und Kindern ansprechen muss. Soll es umgesetzt werden können, dann gilt es Prinzipien wie z.B. Stärkenorientierung, wirksame Beteiligungsformen und dialogisches Prinzip, Möglichkeiten zur Selbstwirksamkeitserfahrungen, Interessenorientierung, ästhetische Distanz und symbolische Ausdrucksfähigkeit zu berücksichtigen. Das Lernziel Lebenskunst kann nicht theoretisch avisiert werden. Es stellt die Wahrnehmungs- und Gestaltungsfähigkeit des Subjekts in den Mittelpunkt, und muss im wahrsten Sinne des Wortes gelebt, d.h. praktisch erlernt werden. Für den Unterricht an einer Schule, die sich auf den Weg einer kulturellen Schulentwicklung macht, gilt deshalb, was die UNESCO für eine inklusive Bildung formuliert:
„Das Konzept inklusive Bildung stellt einen großen Teil dessen in Frage, wie Unterricht traditionellerweise in Schulen organisiert und koordiniert ist. Während die Schulen in der Tat allgemeingültige Ziele dafür haben müssen, was Schüler angemessener- und wünschenswerterweise in der Schule erreichen sollen, müssen die Anforderungen verschiedener Schulfächer im Kontext der individuellen Möglichkeiten und Bedürfnisse von Schülern gesehen werden“ (DUK 2009: 19).
Wird hier von den Lernbedingungen für Kinder und Jugendliche im Unterricht gesprochen, so betrifft dies neben individualisierten Rückmeldesystemen zum Lernen der Schüler/innen und der Verknüpfung formaler und nicht-formaler Bildungsangebote auch einer Verknüpfung der unterschiedlichen Lernorte, wie z.B. neben dem Klassenzimmer das Museum, die Jugendkunstschule, das Theater oder das Jugendkulturzentrum, als eine weitere Dimension der individuellen Ansprache und Förderung.
Auch für das Curriculum als Kernaufgabe lassen sich in Anlehnung an die Checklisten der UNESCO für Schulleitungen Schlüsselfragen der Kulturellen Schulentwicklung formulieren. Jedoch ist an dieser Stelle eine Verschiebung vorzunehmen: Schulleitungen sehen sich Curricula gegenüber, die von den Landesbehörden vorbestimmt werden. Die grundsätzliche Entwicklung eines Curriculums für ihre Schule ist Schulleitungen daher nicht möglich. Wohl aber bestehen Spielräume und Verantwortungsbereiche in der Ausgestaltung und Umsetzung des Curriculums.
Checkliste für die inklusive Ausgestaltung des Curriculums
Lehrer/innen und Lernumgebung
Soll in der Schule mit Kunst und Kultur eine Bildung der Lebenskompetenz erlernt werden, dann kann dies nur gelingen, wenn alle in der Schule handelnden und sich in ihr bewegenden Menschen in diesem Vorhaben mit ihren Lebenslagen berücksichtigt werden. Neben den Jugendlichen und Kindern betrifft also das Lernziel Lebenskunst in der Schule auch die Lehrer/innen. Sie sind an erster Stelle von den Veränderungen betroffen, die sich aus der Überprüfung von Bildungskonzepten und Rollenprofilen im Rahmen einer Kulturellen Schulentwicklung ergeben. Das Handeln der Lehrer/innen ist die zentrale Wirkungsdimension für die Bildungsqualität in der gesamten Schule. Eine besondere Herausforderung besteht für die Lehrer/innen in der professionellen Zusammenarbeit mit den Mitarbeiter/innen der außerschulischen Kulturpartner. Hier bedarf es einer gemeinsamen konzeptionellen Arbeit, die auf einer klaren Anerkennung der professionellen Kompetenzen und einer entsprechenden Aufgabenklärung beruht. Ziel ist es, dass Lehrer/innen und Künstler/innen bzw. Kulturpädagog/innen miteinander als Partner für eine gemeinsame Bildungsarbeit zusammenarbeiten können und dies als deutlichen Mehrwert erfahren. Die von der UNESCO für Inklusionsprozesse formulierte und geforderte Kultur der Anerkennung und Stärkung von Lehrer/innen betrifft in vollem Umfang ebenso den inklusiven Prozess einer Kulturellen Schulentwicklung:
„Lehrer und Führungskräfte in Schulen müssen ermutigt werden, Lernen und Lehren sowie Methoden und Möglichkeiten ihrer Weiterentwicklung zu diskutieren. Sie müssen Gelegenheit erhalten, ihre Praxis gemeinsam zu reflektieren und die Methoden und Strategien in ihren Klassen und Schulen zu beeinflussen (...) Es wird die Einstellungen und Leistungen von Lehrern daher positiv beeinflussen, wenn all diese Personen gestärkt und mit neuem Selbstvertrauen sowie mit Kompetenzen ausgestattet werden, um Inklusion als Leitprinzip einzuführen“ (DUK 2009, S. 20).
Für alle an Kooperationen von Kultur und Schule beteiligten professionellen Akteure sind daher durch die Zusammenarbeit der Schulleitung mit der Leitung der Kultureinrichtungen bzw. ihren Fachabteilungen auch geeignete Formen der Fortbildung zu entwickeln. Diese Formen der Qualifizierung und Professionalisierung sind unverzichtbar, für eine von allen Partnern getragene Kooperationskultur, welche die schulischen Akteure in der Erreichung der selbst gewählten Ziele ihrer Kulturellen Schulentwicklung stärkt. Dazu gehört auch die aktive Nutzung der Kultureinrichtungen als dritte Lernorte, die ein verändertes Lehrer/innen- und Schüler/innen-Handeln unterstützen.