Handlungs- und Transferwissen für Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen
Potenziale eines ambiguitätstoleranten Umgangs mit Praktiken und Wissensordnungen
Abstract
Der Beitrag präsentiert Überlegungen zu einem kontingenzsensiblen (selbst)reflexiven Handlungs- und Transferwissen im Kontext von Kultureller Bildung in ländlichen Räumen. Angeschlossen wird an die Projektergebnisse des Verbundvorhabens „Passungsverhältnisse kultureller Bildungsnetzwerke und Kultur(en) in ländlichen Räumen im Kontext sozialer Teilhabe“ (PaKKT), die während der gesamten Projektlaufzeit mit einer interdisziplinären Community of Research, bestehend aus pädagogischen und wissenschaftlichen Akteur*innen sowie Künstler*innen und Kulturschaffenden, diskutiert wurden. Im Fokus stehen die Spannungen und Ambivalenzen, die sich in Bezug auf Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen empirisch abzeichnen und in der Arbeit lokaler Akteur*innen insofern als wiederkehrendes Moment antizipiert werden können. Im Sinne eines kontingenzsensiblen (selbst)reflexiven Handlungs- und Transferwissens scheint es wichtig zu verstehen, dass Angebote Kultureller Bildung in ländlichen Räumen unhintergehbare Spannungen und Ambivalenzen auslösen. Zugleich sind diese Momente der Reibung als Auseinandersetzungsprozesse und hierüber als Orte potenzieller Teilhabe zu verstehen. Um diese Spannungen angemessen zu bearbeiten, wird der Modus einer Ambiguitätstoleranz als Option prüfend diskutiert.
Die infrastrukturellen und sozialpolitischen Entwicklungen in ländlichen Räumen gehören zu den wichtigen gegenwärtigen gesellschaftlichen Transformationsherausforderungen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt deshalb seit Ende 2019 in diesem Kontext gezielt Forschungsaktivitäten zum Thema „Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen“ mit einer eigenen Förderrichtlinie (BMBF 2019). In dieser sind insgesamt 21 Projekte verortet, die ergänzend von einem Metavorhaben in der Verknüpfung und Dissemination ihrer Ergebnisse begleitet werden (Kolleck/Büdel/Nolting 2022). Dabei geht es insbesondere auch darum, den Akteur*innen einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen – Kulturschaffenden, Ehrenamtlichen, Mitarbeiter*innen bei privaten Trägern, in Vereinen und in der öffentlichen Verwaltung sowie auch Politikschaffenden – Handlungs- und Transferwissen zur Verfügung zu stellen. In dem Verbundvorhaben PaKKT „Passungsverhältnisse kultureller Bildungsnetzwerke und Kultur(en) in ländlichen Räumen im Kontext sozialer Teilhabe“, das im Rahmen der genannten Förderrichtlinie „Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen“ (BMBF) durchgeführt wurde, erfolgte – ergänzend zu den Forschungsaktivitäten – diese Arbeit an einem potenziellen Handlungs- und Transferwissen gemeinsam mit einer Community of Research (CoR). Diese bestand aus unterschiedlichen pädagogischen und wissenschaftlichen Akteur*innen sowie Künstler*innen und Kulturschaffenden und begleitete unter der Leitung von Martin Heinrich den gesamten Erhebungs- und Auswertungsprozess des Verbundvorhabens. In diesem Beitrag soll ein wesentlicher Teil der Ergebnisse der Diskussions- und Austauschprozesse mit der Community of Research zusammenfassend vorgestellt werden. Dabei stehen die Spannungen und Ambivalenzen im Fokus, die sich in Bezug auf ein Handlungs- und Transferwissen für Kulturelle Bildung(-spraxis) in ländlichen Räumen kontinuierlich abgezeichnet haben, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass diese in der Arbeit der Akteur*innen eine zentrale Rolle spielen.
Wenn wir uns hier und im Folgenden auf den Terminus des Handlungs- und Transferwissens beziehen, dann gehen wir jedoch nicht davon aus, dass soziale Praktiken im Kontext von Kultureller Bildung über bessere Planungen, Verhaltensmodifikationen oder Tipps und Tricks einem zielgerichteten Gestaltungswillen untergeordnet werden können. Vielmehr nehmen wir an, dass soziale Zusammenhänge und Wissensordnungen grundsätzlich kontingent sind. Das heißt wiederum nicht, dass sie beliebig oder beliebig variierbar sind, aber dass sie sich nicht auf scheinbar objektive letzte Gründe und Ziele oder auf ein in ihnen möglicherweise angelegtes Skript berufen können, dem nur gefolgt werden muss. Aus einer kontingenztheoretischen Perspektive nehmen wir stattdessen an, dass soziale Praktiken und Wissensordnungen aus komplexen Formen des Zusammenhandelns hervorgehen und mehr oder weniger stabil verknüpfte hegemoniale und auch gegenhegemoniale soziale Ordnungen hervorbringen (Bender/Flügel-Martinsen/Vogt 2023). Jegliche Gestaltungsversuche von Praktiken und Wissensordnungen sind insofern immer auch Teil dieser komplexen Aushandlungsprozesse. Auch Wissen und Wissenschaft sind dann, wie Oliver Flügel-Martinsen (2022) formuliert, gerade keine Instanzen, die „gleichsam auf objektive Erkenntnisse gestützt“ (ebd.:o.S.), die sozialen Voraussetzungen und Konsequenzen für daraus resultierende Herausforderungen analysieren und daraus Handlungsanweisungen generieren könnten (vgl. ebd.). An dieser Stelle kann insofern bereits darauf hingewiesen werden, dass Wissensordnungen und Praktiken selbst immer Teil derselben oder auch unterschiedlicher sozialer (gegen)hegemonialer Ordnungen sind und insofern auch das Wissen über Kulturelle Bildung sowie die Praktiken Kultureller Bildung als Teil spezifischer Episteme begriffen werden können – es gibt dann keinen Ort jenseits der Hervorbringung solcher Ordnungen. Die Frage nach mehr Wissen für einen Wissenstransfer zum Zwecke des Erfolgs einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen kann insofern nicht jenseits eines Standortes erfolgen. Das heißt, wir müssen zum einen uns selbst aus einer solchen Perspektive eingestehen, dass Kulturelle Bildung und ein diesbezüglicher Theorie-Praxis Transfer nicht unabhängig von bestehenden Machtverhältnissen zu denken sind und wir müssen außerdem vermuten, dass Theorie und Praxis im Kontext von Kultureller Bildung Teil ein und desselben Komplexes von (Wissens)Ordnungen sind. Die Bemühungen um Transfer zwischen Theorie und Praxis sind dann voraussichtlich eher dem Bestreben nach einer engeren Kopplung jener so verstandenen Artikulationselemente geschuldet.
Folgen wir den Überlegungen von Oliver Flügel-Martinsen (ebd.), dann bedeutet die „Kontingenz von Erkenntnis“ jedoch, wie gesagt, „nicht Beliebigkeit, sondern historische Situiertheit und Skepsis gegenüber festen Wahrheiten und neutraler Objektivität“ (ebd.:o.S.). Damit ist es innerhalb dieser relativ stabilen Ordnungen (Bender 2023a) möglich, die Konstitution von institutionellen, normativen und epistemischen Ordnungen nachzuvollziehen. Dementsprechend scheint es uns im Anschluss an die Auseinandersetzungsprozesse in der Community of Research auch möglich für den betrachteten Kontext einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen ein zwar immer vorläufiges und standortgebundenes, aber dennoch (selbst)kritisch reflexives Handlungs- und Transferwissen zur Verfügung zu stellen. Dies kann den oben genannten Akteur*innen einer Kulturellen Bildung(-spraxis) in ländlichen Räumen dazu dienen, die sich potenziell auch in der eigenen Handlungspraxis zeigenden Dynamiken als Teil eines voraussichtlich typischen Geschehens im Kontext von Kultureller Bildung in ländlichen Räumen zu dechiffrieren und darüber möglicherweise Entastungs-, aber auch Handlungspotenziale zu entfalten.
Die folgenden Darstellungen schließen, wie gesagt, an das Verbundvorhaben PaKKT an. In diesem wurden insgesamt vier ländliche Regionen analytisch erschlossen, in denen unterschiedliche – in der Außenwahrnehmung sehr erfolgreiche – Projekte Kultureller Bildung angesiedelt sind. In den Regionen wurden jeweils fokussierte Ethnografien, eine Gruppendiskussion und Interviews mit unterschiedlichen Akteur*innen und Bewohner*innen der Regionen durchgeführt, die im Rahmen der gegebenen Umstände möglichst divers ausgewählt und zusammengesetzt wurden. Das Verbundvorhaben gliederte sich in zwei Teilprojekte. Im ersten Teilprojekt wurden die Gruppendiskussionen, die in den vier ländlichen Regionen erhoben wurden, rekonstruktiv erschlossen. Im zweiten Teilprojekt erfolgte eine netzwerkanalytische Auswertung mit dem Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse. Das zunächst formulierte Ziel des Gesamtverbunds bestand darin, die unterschiedlichen Passungen zwischen den dominanten Einflussstrukturen der ländlichen Regionen zu den Angeboten einer Kulturellen Bildung und den Einfluss dieser Passungsverhältnisse auf die Gestaltung von Bildungsnetzwerken im Kontext einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen zu konturieren (Bender/Kolleck/Lambrecht/Heinrich 2019). Das Interesse richtete sich also auf die sozialkulturelle Konstitution des Nahraums, die regionale „Einflussstruktur“ (Loer 2007:15), die lokale Deutungs- und Handlungsmuster bereithält: „Ein geographischer Umfang von so und so vielen Quadratmeilen bildet nicht eine Region, sondern das tun die sozialen Kräfte, die die Bewohner eines solchen Gebietes durch Eröffnen und Verschließen von Handlungsoptionen bestimmen.“ (ebd.:8). Den folgenden Ausführungen soll aber kurz vorausgeschickt werden, dass wir zunächst selbst von dem Ergebnis überrascht waren, dass die vier kontrastiv in den Blick genommenen ländlichen Regionen zunächst durchaus sehr ähnlich mit den Angeboten einer Kulturellen Bildung(-spraxis) umgehen. Erst auf dieser initial gleichartigen Ausformung bilden sich unterschiedliche Stile und leicht variierende Verhältnisse der ausgewählten ländlichen Regionen zu einer Kulturellen Bildung(-spraxis) aus, die aber letztlich auf ähnlichen Verhältnissen ruhen.
Die Ergebnisse der Analysen wurden sukzessive der Community of Research in ca. halbjährigen Treffen präsentiert (die bedingt durch die Corona-Pandemie zunächst online stattfinden mussten). So konnten die Mitglieder der CoR die sich verdichtenden Ergebnisse mitverfolgen und die Prozesse der Wissensgenerierung kritisch befragen. Vor allem lag der Blick der Mitglieder der CoR auf der Frage, was diese Ergebnisse für die praktische Gestaltung von Angeboten Kultureller Bildung in ländlichen Räumen bedeuten. Dazu wurden im Prozess drei Ebenen ausdifferenziert: Fragen der Projektgovernance, Fragen der Gestaltung von Netzwerken sowie insbesondere Fragen nach spezifischen, die Interaktionen und Praktiken im Kontext Kultureller Bildung prägenden Spannungsfeldern. Mit diesem Beitrag sollen nun im Sinne des aus dem Austausch mit der Community of Research hervorgegangenen (selbst)kritisch reflexiven Transferwissens im Wesentlichen diese Spannungsfelder, die sich über die unterschiedlichen Regionen hinweg gezeigt und in den Diskussionen abgebildet haben, dargestellt werden.
Wir sprechen im Folgenden jedoch bewusst nicht von einem Theorie-Praxis Transfer. Die kontingenztheoretische Rahmung harmoniert, wie dargelegt, nicht mit der Idee, es gäbe ein Wissen, das irgendwie besser, angemessener oder entwickelter wäre als die Praxis selbst, weshalb diese diesem in der Umsetzung ihrer Ziele nur folgen müsse. Dies wäre ein Gedanke, der einer evidenzorientierten Herangehensweise entlehnt ist und von der Annahme einer zielgerichteten Gestaltbarkeit sozialer Praktiken ausgeht, ohne die Ziele selbst in der Regel hinterfragen zu wollen bzw. zu können. Kontingenztheoretisch können Praktiken und Wissensordnungen vielmehr mehr oder weniger stabil eingerichtet sein und gehören auch nicht zwingend unterschiedlichen sozialen Ordnungen an, wenngleich sie andere Tätigkeiten und Operationen gewichten. Wir vertreten im Folgenden dazu die These, dass die Praktiken und Wissensordnungen im Kontext von Kultureller Bildung diese Stabilität als ein aufeinander verwiesener Komplex aufweisen. Die Instabilitäten zeigen sich vielmehr in Bezug auf die Kulturelle Bildung im Kontext ländlicher Räume und werden als jene Spannungsfelder greifbar, die sich auch in den Diskussionen der Community of Research selbst immer wieder über Ärger, Irritationen und Impulse für Veränderung abgebildet haben. Wir wollen uns diesen im Folgenden annähern und anschließend an den Prozess in der Community of Research mögliche Umgangsweisen mit diesen diskutieren.
Einleitend werden deshalb im Folgenden zunächst Bezüge zu dem Diskurs um Kulturelle Bildung und den mit diesem verbundenen Gestaltungshoffnungen in Bezug auf ländliche Räume hergestellt. Daran anschließend stellen wir die zentralen Thesen der Forschungsbefunde des Verbundvorhabens zusammenfassend dar und zeigen daran jene charakteristischen Spannungen und Ambivalenzen, die von den Akteur*innen bearbeitet werden müssen, die in Projekten Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen tätig sind. Dabei werden vermutlich Künstler*innen, Kulturpädagog*innen, Projektplaner*innen und -manager*innen aber auch Forschende gleichermaßen von diesen tangiert. Um einen (selbst)reflexiven Blick auf ein mögliches Handlungs- und Transferwissen vorzubereiten, werden daran anschließend gedankenexperimentell zwei Optionen für einen möglichen Umgang mit diesen Spannungen gegenübergestellt, um daraus abschließend Konturen eines kontingenzsensiblen Handlungs- und Transferwissens für die Gestaltung einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen abzuleiten.
Programmatik und Diskurs zu Kultureller Bildung in ländlichen Räumen
Angebote Kultureller Bildung werden zumeist als „kompensatorische Strategie gegen soziale Benachteiligung“ (Retzar 2021/2020) verstanden. Dies betrifft jedoch nicht nur die problematischen, infrastrukturellen Bedingungen, sondern auch die Zugänge zu Bildungs- und Kulturangeboten und damit in Zusammenhang gebrachte soziale Diversifizierungsprozesse. Insbesondere in ländlichen, strukturschwachen Regionen soll deshalb über die Bereitstellung von Kulturellen Bildungsangeboten einer vergleichend konstatierten geringeren Bildungsbeteiligung entgegengewirkt werden, um hierüber Chancengleichheit zu gewährleisten (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018). Von Angeboten Kultureller Bildung wird also erhofft, dass Raum- oder Struktureffekte (pädagogisch) ausgeglichen werden können (Hübner et al. 2017). Es geht darum, neue Möglichkeiten auf soziale Teilhabe in ländlichen Räumen einzurichten (Schorn/Wolf 2018), die zugleich die Integration in die sowie die gemeinsame Identifikation mit den ländlichen Regionen stärken sollen. Diese programmatischen Konturierungen einer Kulturellen Bildung(-spraxis) lassen sich dabei konträr jedoch auch als Angebote der Teilhabe an einer spezifischen Form von Kultur verstehen. Diese kann als die dominante Kultur demokratischer Gegenwartsgesellschaften beschrieben werden: Gerade die mit solchen Projekten verbundene Vorstellung eines egalitären Nebeneinanders als „Vielheit“ (Ranciére 2018) in den an künstlerische Formen angelehnten Projekten Kultureller Bildung kann als ein „Regime der Künste“ (Rancière 2008) verstanden werden, in dem sich die hegemoniale Ordnung demokratischer Gegenwartsgesellschaften ausdrückt. In der modernen Kunst gibt es nach Ranciére (2018) keine spezifische Regel, der in der Darstellung gefolgt werden müsse und insofern auch keine Hierarchie der Gegenstände mehr (ebd.:40). Die moderne Kunst ist damit (zumindest ein imaginärer und fiktiver) Ausdruck jener Egalität und Vielheit, die moderne gegenwartsdemokratische Gesellschaften für sich in Anspruch nehmen. Das Regime der Künste ist dabei „ein Regime der tendenziellen Unbestimmtheit“ (ebd.:59). Mit dem Begriff des Regimes verweist Ranciére allerdings ebenso darauf, dass es sich hier um in bestimmten Kontexten stabilisierte hegemoniale Formationen handelt: „auf dem Feld des Ästhetischen [wird] heute ein Kampf ausgetragen […], der gestern noch den Versprechungen der Emanzipation und den Illusionen und Enttäuschungen der Geschichte galt“ (ebd.:22; Fuchs 2013/2012). Nach Reckwitz (2016) findet diese Ordnung ihren „Manifestationsort“ (ebd.:167) in der Stadt, die für die freie und gleiche Entfaltung der Individuen steht und die in der Spätmoderne als kulturorientierte Stadt erscheint (vgl. ebd.:174). Reckwitz formuliert kritisch: Diese „künstlerische Neobohème hat allerdings nichts Anti-Hegemoniales mehr an sich, sondern wird sowohl ökonomisch gestützt als auch politisch gefördert, sie ist also trotz aller gegen den vorgeblichen Mainstream gerichteten Distinktionsansprüche vollständig integriert“ (ebd.:174).
Hoffnungen auf eine Ausdehnung bildungsbezogener und sozial-kultureller Teilhabe in strukturschwachen peripheren Räumen über Kulturelle Bildung dienen demnach nicht nur dem Ansinnen der Aufhebung eines Ungleichheitsverhältnisses zwischen städtisch-urbanen und ländlich-peripheren Partizipations- und Entwicklungsmöglichkeiten (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018; Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und Wüstenrot-Stiftung 2019), sondern sind hierüber voraussichtlich auch als Integrationsangebot respektive Integrationsforderung in die hegemonialen Ordnungen moderner Gegenwartsgesellschaften angelegt (vgl. Bender/Kolleck/Lambrecht/Heinrich 2019). Aus einer hegemonietheoretischen Perspektive (Laclau/Mouffe 2020) können die ungleichheitsbearbeitenden Bemühungen, die sich an Projekte Kultureller Bildung knüpfen, insofern auch als latente Anpassungsaufforderungen an dominante gesellschaftliche Ordnungen der Vielheit gelesen werden, in denen Kulturelle Bildung „als Katalysator für eine (Post)Modernisierung ländlicher Räume“ erscheint (Bender/Kolleck/Lambrecht/Heinrich 2019:68; Bender/Lambrecht/Rennebach 2022; vgl. Reckwitz 2020).
Empirische Befunde zu Kultureller Bildung in ländlichen Räumen
Die empirischen Befunde des Verbundprojekts PaKKT, im Besonderen des Teilprojekts zu Rekonstruktionen sozial-kultureller Passungsverhältnisse im Kontext kultureller Bildungsangebote in sehr peripheren ländlichen Räumen, können an diese theoretisch antizipierten Zusammenhänge anknüpfen. So zeigt sich empirisch vor allem, dass in allen vier Erhebungsregionen zunächst strukturell ähnliche und deutliche Distanzierungsbewegungen gegenüber den Angeboten einer Kulturellen Bildungspraxis dominieren, die sich vor allem auch den Forschenden gegenüber geäußert haben. Dies spricht für die These, dass Kulturelle Bildungsangebote auch als Anpassungsaufforderungen an dominante gesellschaftliche Verhältnisse gelesen werden können. Insofern stoßen wir hier auf einen Konflikt zwischen differenten Einflussstrukturen (Loer 2007) bzw. sozialen Ordnungen: Entgegen der Erwartung von Transformation und kultureller Teilhabe durch Bildungsangebote – vermittelt über „Künstler*innen und Kreative [als] wichtige Schlüsselpersonen, Vermittler*innen und Impulsgeber*innen“ (Sievers 2018:o.S.) –, erweist sich die jeweils dominante regionale „Einflussstruktur“ lokal-etablierter Denk- und Handlungsmuster (Loer 2007:15) diesen pädagogischen Bemühungen gegenüber zunächst als wehrhaft (Bender/Rennebach 2022). Die intentionale Ausrichtung auf die Ermöglichung von Teilhabe bricht sich am impliziten Sozialisationsprogramm einer (Re)Edukation ihrer Adressat*innen. Die kulturellen Ausformungen sind folglich konstitutiv spannungsvoll aufeinander bezogen, sodass eine Kulturelle Bildung(-spraxis) in ländlichen Räumen aus strukturrekonstruktiver Perspektive (Wernet 2006) zunächst nicht als „Kitt und/oder Korrektiv“ gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse (Keuchel 2019) erscheint. Vielmehr befördert die Durchsetzung der jeweiligen sozialen Ordnung Spannungen zwischen Transformation und Bewahrung die sich in den Regionen dann (nur) noch hinsichtlich der gelebten Distanz und Abgrenzung (vgl. Bender/Kolleck/Lambrecht/Heinrich 2019:69; Le/Kolleck 2022) unterschiedlich ausformen. Die programmatisch mit einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen einhergehenden Hoffnungen auf Integration und Identifikation sind deshalb auch spannungsvoll mit Diversifizierungs- und Distinktionsprozessen verwoben, denn es geht in der Folge auch immer darum, wie stark oder weniger stark, gut oder schlecht die unterschiedlichen Ordnungen von den jeweiligen Akteur*innen verbürgt werden.
Die genannten Spannungsfelder, die sich im Zusammenhang mit einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen gezeigt haben, können also folgendermaßen skizziert und aufeinander bezogen werden:
- Transformation und Bewahrung können als das grundlegende Spannungsverhältnis benannt werden. Aufgerufen ist hier jener Konflikt zwischen zwei sozialen Ordnungen. Die Ordnung Kultureller Bildung drängt auf die Transformation des Regionalen mit dem Ziel einer Integration in jene (post)moderne Ordnung der Vielheit (Rancière 2008) moderner demokratischer Gegenwartsgesellschaften. Demgegenüber zeigen sich auf der Seite des Regionalen Muster der Bewahrung der jeweils regionalen Einflussstrukturen, auch wenn diese sich gar nicht auf ganz besondere Eigenarten und Praktiken berufen können. Allerdings ist festzustellen, dass sich auch das Regionale über diese Auseinandersetzungen mit dem Eigenen und dem Anderen mitkonstituiert und konkretisiert (vgl. Bender/Rennebach 2022).
- Mit diesem Konflikt gehen die einzelnen Regionen jedoch durchaus unterschiedlich um: In der Begegnung mit den Modernisierungsansprüchen und damit dem über die Kulturelle Bildung repräsentierten Anderen zeigt sich der jeweilige regionale ‚Stil‘ (Clemens 2015). So kann dieser sich eher in einer zurückhaltenden (konflikt-verdeckenden) Distanz Ausdruck verschaffen oder aber auch in deutlichen Abgrenzungsbewegungen. Wir finden ein Kontinuum von formal distanzierter Teilhabe über selbstbewusste Abgrenzung bis hin zum (offenen) Konflikt (vgl. dazu ausführlich Bender 2023). Diese spezifischen Ausprägungen des Regionalen bleiben jedoch auch dann kulturell erhalten, wenn jene Integration in eine Ordnung der Vielheit weitestgehend gelingt: Zeigt sich das Regionale vermittelnd zu modernen Vergesellschaftungsmodi, dann interpretiert es diese in einer regionalen Adaption.
- Mit dem Angebot der Integration offenbaren sich zugleich Distinktionspotenziale. Auch in einer Ordnung der Vielheit finden sich dementsprechend Unterschiede in Status und Prestige, die sich mit einer größeren Nähe oder Ferne zu der dominanten Ordnung und wiederum mit dem Wissen und der Souveränität gegenüber Praktiken Kultureller Bildung verbinden. Distinktion findet sich dementsprechend sowohl potenziell auf der Seite der Akteur*innen Kultureller Bildung als auch aufseiten der regionalen Akteur*innen, unter denen Positionierungen innerhalb der jeweiligen sozialen Ordnungen ausgehandelt werden.
Positionierungen zu Kultureller Bildung in ländlichen Räumen
Aus einer empirisch-analytischen Perspektive scheinen sich die Programmatiken des Diskurses um Kulturelle Bildung – als Projekt der Modernisierung ländlicher Kulturen – in den empirisch nachweislichen Spannungen also scheinbar aufzulösen. Diese Spannungen selbst, die durch die Angebote Kultureller Bildung hervorgetrieben werden, entfalten jedoch im Sinne jener angestrebten Ordnungen der Vielheit auch durchaus produktive Dimensionen. Hierüber werden Auseinandersetzungen mit Kultur, Kultureller Bildung und Region offensichtlich angeregt und Selbstversicherungen regionaler Einflussstrukturen aufgerufen, thematisiert und befragt: So lässt sich selbstreflexiv festhalten, dass bereits die Teilnahme an den Erhebungen, den Interviews und Gruppendiskussionen zumindest auf die Begründungspflicht einer regionalen Abgrenzung, Distinktion und Bewahrung verweist, die sich dadurch nicht mehr unhinterfragt – qua Tradition – vollziehen kann. Die empirischen Befunde kontingenz- und hegemonietheoretisch (u.a. Laclau/Mouffe 2020) gewendet, kann die strukturelle Überführungsgeste bzw. Integrationsforderung einer Programmatik Kultureller Bildung demzufolge auch als Anstoß zur regionalen Aushandlung in Bezug auf die genannten Spannungen und Ambivalenzen gelesen werden. Mit der Platzierung Kultureller Bildung(-sangebote) in ländlichen Räumen und der damit verbundenen Dualität sozialer Ordnungen zeigt sich also keine einfache Durchsetzung einer bestimmten hegemonialen kulturellen Ordnung, aber die dadurch potenziell entstehenden Aushandlungsprozesse können als Etablierung einer Kultur gelesen werden, die genau jenes strittige Nebeneinander als Ordnung der Vielheit (Rancière 2008) einrichtet: Kultureller Bildung käme hier die Funktion zu, ebendiese (Positionen)Vielfalt – als Ausdruck (post)moderner gegenwartsdemokratischer Gesellschaftsformen – im Regionalen zu etablieren und diese Heterogenität zu kultivieren sowie auch in gewisser Weise für deren Akzeptanz zu bürgen (Bender/Kolleck/Le/Rennebach 2023).
Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, wie die Akteur*innen einer Kulturellen Bildungspraxis in ländlichen Räumen mit den gezeigten Spannungsfeldern und Ambivalenzen umgehen können und welches Handlungs- bzw. Transferwissen sich hier möglicherweise als weiterführend erweist. Hierzu sollen nun gedankenexperimentell zwei mögliche Alternativen entfaltet werden, zwischen denen das Handlungsspektrum aufgespannt werden kann. Die an den jeweiligen Enden liegenden Varianten akzentuieren (1) einen offenen Umgang mit den Spannungen und den Konflikten, der Auseinandersetzungen mit dem Eigenen und dem Anderen forciert, oder (2) einen verdeckenden Umgang, der intendiert, Spannungen und Konflikte nicht hervortreten zu lassen. Beide Handlungspole sollen im Folgenden anschließend an die Diskussionen in der Community of Research im Sinne weiterführender Impulse eines Handlungs- und Transferwissens für Akteur*innen einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen durchdekliniert werden. In dieser gedankenexperimentellen Prüfung wird deutlich, dass die jeweils potenziellen Extremoptionen – sowohl eine Dauerthematisierung von Konflikten als auch deren umfassende Verdeckung – keine zu empfehlenden oder gar möglichen Handlungsoptionen darstellen. Stattdessen wird abschließend für einen ambiguitätstoleranten Umgang mit diesen Spannungen im Horizont kontingenter Praktiken und Wissensordnungen plädiert.
(1) Positionierung von Projekten Kultureller Bildung als Vertretung moderner Gesellschaft(-sordnung)
Eine erste Reaktionsmöglichkeit bestünde gedankenexperimentell also darin, die offerierten Räume für jene spezifisch (post-)modernen Erfahrungen von Vielheit offen und damit deutlicher normativ zu akzentuieren. Ist nämlich Kulturelle Bildung ihrer Struktur nach eine Ausdrucksform moderner Kultur, dann kann sie auch selbstbewusst vertreten werden. In der Folge würden Kulturschaffende wie Akteur*innen einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen auch als Vertreter*innen der Moderne in Erscheinung treten und sich zu den damit aufgerufenen Werten der Moderne bekennen bzw. sich als deren Vermittler*innen positionieren. Dies könnte dazu verhelfen, die eigene Handlungspraxis gegenüber dem regional-Anderen selbstsicher anzubringen. Anstatt also ein latentes Programm der impliziten Integrationsforderung zu bedienen, ließe sich ein offenes wie offenkundiges Integrations- oder Teilhabeangebot verfolgen. Regionale Handlungsprobleme, etwa die Aufforderung vonseiten der regionalen Akteur*innen, sich an den Stil des Regionalen anzuschmiegen (vgl. Bender/Lambrecht/Rennebach 2022:200ff.), müssten in der aufgerufenen Transparenz nicht übergangen werden: Es wäre stattdessen möglich, sie entschlossen und unter Verweis auf das Eigene Kultureller Bildung zurückzuweisen. An die Stelle bildungspolitischer Funktionalisierung und erfolgloser Versuche der Konfliktvermeidung träten dann definierte (politische) Verortungen, die bewusst bzw. einsehbar an die elementare Ausrichtung einer Kulturellen Bildung geknüpft wären. Es ginge also um ein Offenlegen der in die Kulturelle Bildung strukturell eingeschriebenen eigenen Positionalität als Vertreterin einer Ordnung der Vielheit. Dies beträfe, wie gesagt, alle beteiligten Akteur*innen sowohl diejenigen, die diese konkret durchführen als auch diejenigen, die sie administrativ begleiten. Ebendies wäre jedoch nur einzulösen, wenn kulturelle Spannungen jeweils konkret aufgegriffen werden. Eine solche (politische) Positionierung von Akteur*innen einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen wäre dann als explizite Stabilisierungsbemühung des Hegemonialen, als konsequente Teilhabe- oder Integrationsforderung erkennbar, die auch manifest ein Gegengewicht zu regionalen Einflussstrukturen bilden würde. In dieser offenen Austragung eines Konflikts läge nun auch am ehesten das Potenzial zur Begegnung auf Augenhöhe zwischen den Akteur*innen einer Kulturellen Bildung und den Akteur*innen der ländlichen Räume. Auch unter der Bedingung einer so verfolgten Offenheit lösen sich die konstitutiven Spannungen differenter sozialer Ordnungen nicht auf, aber sie werden als solche erkennbar. Im Fokus steht dann also eine Transparenz oder Kongruenz Kultureller Bildung, die das Projekt der demokratischen Moderne stützt. Die offerierten Teilhabeangebote erweitern in einem solchen Fall regionale Deutungs- und Handlungsmuster und etablieren hierüber eben jene Vielheit, die für demokratische (Gesellschafts)Ordnungen kennzeichnend ist. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass sich die Distanz und Unverbundenheit jener differenten sozialen Ordnungen dadurch nicht nur reproduziert, sondern durch die Offenlegung der Differenz auch Unverbundenheiten offensichtlich werden. Zugleich gilt die Annahme einer Begegnung auf Augenhöhe im Konflikt auch nur solange, wie die hegemonialen Kräfte nicht ausgespielt werden.
(2) Verdeckung der Funktion der Akteur*innen Kultureller Bildung als Vertreter*innen moderner Gesellschaft(-sordnung)
Der zuvor formulierte Anspruch auf Transparenz würde also jene Aufforderung einer Teilhabe an moderner Kultur letztlich in aller Deutlichkeit verhandeln. Es wäre also zu erwarten, dass Unverbundenheit, Distanz und Konflikt dadurch klar aufgeworfen wären. Insofern ist durchaus denkbar, wenn nicht gar erwartbar, dass eine Etablierung von Angeboten Kultureller Bildung in ländlichen Räumen über eine solche offene Thematisierung kultureller Spannungslinien erschwert wird. Wenn sich die Dominanz lokal-tradierter Kultur in jenen beharrlich abwehrenden Formen zeigt, dann ist damit zu rechnen, dass eine solche offene Infragestellung durch die Akteur*innen und in den Angeboten Kultureller Bildung nur umso vehementer zurückgewiesen wird. Der konträre gedankenexperimentelle Pol bestünde dann in der Verdeckung bzw. in einem latent-Halten der Konflikte. Kulturellen Spannungen würde dann darüber begegnet, dass Angebote und Projekte zwar konsequent angeboten werden, wobei die Herausforderung darin besteht, die strukturelle Unverbundenheit kultureller Stile gerade nicht zu thematisieren (vgl. Bender/Lambrecht/Rennebach 2022). Der verdeckende Modus könnte sich insofern darauf verlassen, dass Kulturelle Bildung über den künstlerisch-ästhetischen Gegenstand ohnehin die Ordnungen moderner gegenwartsdemokratischer Gesellschaften und damit verbundene Integrationsangebote und Integrationsforderungen repräsentiert (Bender 2023). Andererseits kann aber auch davon ausgegangen werden, dass eine umfassende Verdeckung der Spannungen und Ambivalenzen nicht möglich ist und diese, wie es sich im empirischen Material schließlich auch zeigt, letztlich immer wieder mehr oder weniger deutlich sichtbar werden. Die sichtbar werdende Verdeckung könnte dann ebenso die vorhandenen Abwehrgesten weiter intensivieren. Dafür, dass Verdeckungen nicht umfassend gelingen, spricht das empirische Material: Ein Sinn für das implizite Programm einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen scheint dem Regionalen verfügbar. Andernfalls würden sich die Abwehrbewegungen nicht in jener Deutlichkeit abbilden.
Ausblick: ambiguitätstoleranter Umgang mit Spannungen im Kontext von Kultureller Bildung in ländlichen Räumen
Beide Optionen scheinen also riskant, wenn es darum geht, Kulturelle Bildung und damit Angebote für eine Ordnung der Vielheit in ländlichen Räumen zu etablieren. Das offene Anbieten von alternativen Integrations- und Teilhabestrukturen kippt möglicherweise schnell in eine pädagogisierende Defizitorientierung und das Sichtbarwerden verdeckter Integrationsabsichten verstärkt ebenso die bereits bestehenden Spannungen und Abwehrprozesse.
Mit Blick auf Überlegungen zu einem Handlungs- und Transferwissen könnte also im Rückblick auf die gedankenexperimentell exponierten Handlungsmodi auch für eine gewisse Ambiguitätstoleranz votiert werden. Von den Akteur*innen einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen wäre dann zunächst anzuerkennen, dass diese Angebote und auch die in der Regel damit manifest verbundenen ‚guten Absichten‘ hinsichtlich der Teilhabeangebote in ländlichen Räumen eben jene unhintergehbaren Spannungen und Ambivalenzen auslösen. Es könnte dann also darum gehen, diese skizzierten Spannungen und Konflikte auszuhalten und dabei das Eigene einer Kulturellen Bildung nicht in die Richtung zugespitzter machtvoller pädagogischer Adressierungen auszuformen, es aber ebenso wenig in einem Anschmiegen an lokal-regionale Kultur aufzugeben.
Empirisch ist interessanterweise immer wieder auch zu beobachten, wie die Akteur*innen einer in dieser Form ‚gelingenden‘ Kulturellen Bildungspraxis vor Ort mit diesen Spannungsverhältnissen in einer solchen ambiguitätstoleranten Form umgehen: Sie halten in der Regel die Idee der Teilhabe, die Idee regionaler Transformation und Integration aufrecht und eröffnen dadurch zunächst imaginäre Orte potenzieller Teilhabe, ohne die strukturelle Ausrichtung einer Kulturellen Bildung aufgeben zu müssen (vgl. dazu ausführlich Bender/Lambrecht/Rennebach 2022). Eine Teilhabe an künstlerischen Angeboten Kultureller Bildung bzw. an modern(-urban)er Kultur wird hierüber konsequent offeriert, Spannungen und Ambivalenzen – zum Regionalen hin – werden jedoch in der Schwebe gehalten und so nicht forciert (vgl. Bender 2023). Eine partielle Verdeckung von Spannungen, Ambivalenzen und letztlich Konfliktlinien vonseiten der Akteur*innen Kultureller Bildungspraxis lässt sich vor dem Hintergrund nicht als lediglich instrumentell einordnen, sondern gehört so wahrscheinlich auch als konstitutives Moment (nicht nur) zu einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen.
Mit diesen (selbst)reflexiven Erörterungen zu den Dynamiken im Kontext von Kultureller Bildung in ländlichen Räumen kann möglicherweise für die Akteur*innen vor Ort, für Kulturschaffende, Ehrenamtliche, Mitarbeiter*innen bei privaten Trägern, in Vereinen und in der öffentlichen Verwaltung sowie auch Politikschaffende, zu einem Handlungs- und Transferwissen beigetragen werden, das diese von der Attribuierung der Spannungen und Konflikte auf die je eigenen partikularen Tätigkeiten und Projekte entlastet. Dies kann dazu verhelfen in den konkreten Praktiken gelassen zu bleiben, denn aus der Perspektive demokratischer Gegenwartsgesellschaften liegt ein erkennbares Potenzial eines kontinuierlichen Angebots von Kultureller Bildung in ländlichen Räumen, wenn man dieses auch bereits in den Aushandlungen und Auseinandersetzungsprozessen sieht, die in den und im Umfeld der Projekte Kultureller Bildung in ländlichen Räumen stattfinden. Es sollte jedoch deutlich geworden sein, dass es immer dann, wenn wir von Transfer im Kontext einer Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen sprechen – auch um die dahinterstehende Idee der Etablierung von hegemonialen Ordnungen der Vielheit geht. Zugleich zeigt sich, dass trotz dieser bestehenden Machtverteilungen und der Standortgebundenheit der Bemühungen um eine Umsetzung von Projekten Kultureller Bildung in ländlichen Räumen sich diese „praktische Operation“ einer Neujustierung von Teilhabe sowie der Nahtstellen des Ein- und Ausschlusses nicht „theoretisch vorwegnehmen oder auch nur begründen lässt“ (Flügel-Martinsen 2022:o.S). Die Ergebnisse des Projekts und die Diskussionen in der Community of Research zeigen aus einer hegemonie- und kontingenztheoretischen Perspektive unserer Einschätzung nach, dass die soziale Welt diesen Annahmen einer linear steuerbaren (Heinrich/Kohlstock 2016) Umsetzung nicht folgt. So gibt es für eine solche Operation eines Transfers von Wissen keinerlei Erfolgsgarantie, denn die Praktiken, mit deren Hilfe dieser erfolgt, können jederzeit an Gegenbewegungen und Gegensubjektivierungen scheitern bzw. kann auch jede scheinbar gute Teilhabeforderung „unversehens in ein Ausschließungsverhältnis umschlagen“ (Flügel-Martinsen 2022:o.S.).