Gute Praxis im Porträt: Analyse und Empfehlungen gelebter Bildungsarbeit an der Schnittstelle Kultureller Bildung und BNE
Abstract
Die Kulturelle Bildung bietet vielfältige Zugänge, um die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 umzusetzen. Gemeinsam mit dem Partnernetzwerk Kulturelle Bildung und Kulturpolitik der Nationalen Plattform „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ haben die Autorinnen bundesweit nach Bildungsprojekten und Initiativen recherchiert, die darauf ausgelegt sind, Menschen zu befähigen, sich selbst und die Gesellschaft, in der sie leben, zu gestalten. Um der Frage nachzugehen, wie Bildung, Nachhaltige Entwicklung und Kultur synergetisch zusammenwirken können, sind sie mit den beteiligten Kulturschaffenden und Bildner*innen in einen intensiven Dialog getreten. Der Beitrag, entnommen aus dem im Waxmann Verlag erschienenen Sammelband „Über die Kunst, den Wandel zu gestalten. Kultur · Nachhaltigkeit · Bildung“, versammelt unterschiedlichste Herangehensweisen im Zusammenspiel von Kultureller Bildung (KuBi) und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) aus der Praxis. Er bildet gleichzeitig den Vorspann zu 15 ausführlichen Porträts einer Guten Praxis verschiedenster Bildungsbereiche, die sich zum Ziel gesetzt haben, BNE und KuBi gleichberechtigt zu verbinden. Sie alle geben Impulse, Inspirationen und Motivation zum Ausprobieren und zum gemeinsamen Diskurs.
Mit der vorliegenden Sammlung ‚Guter Praxis‘ zeigen wir Ihnen Bildungsprojekte und Akteur*innen, die die abstrakten und normativen Positionen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und einer Kulturellen Bildung (KuBi) ‚vom Kopf auf die Füße‘ stellen. In originellen Kombinationen der Ansätze erproben sie unkonventionelle Lern- und Experimentierräume, die darauf ausgelegt sind, unterschiedliche Alters- und Milieugruppen zu befähigen, sich selbst und die Gesellschaft, in der sie leben, zu gestalten.
Die Sammlung ist das Ergebnis eines intensiven Dialogs, den wir im Partnernetzwerk Kulturelle Bildung und Kulturpolitik im Jahr 2016 gestartet haben. Gemeinsam haben wir uns in der deutschen Bildungs- und Kulturlandschaft auf die Suche begeben, Beispiele zu finden, wie Kulturschaffende und Bildner*innen aus ganz unterschiedlichen Kontexten die Kombination und Co-Kreation von BNE und KuBi umsetzen.
Was wir meinen, wenn wir von Guter Praxis sprechen
Die als Beispiele einer Guten Praxis vom Partnernetzwerk vorgeschlagenen Bildungsvorhaben lenken allesamt die Aufmerksamkeit auf das Zusammenwirken der Bildungsansätze BNE und KuBi. Das Wörtchen ‚gut‘ fußt weder auf einer ergebnisorientierten Bewertungsanalyse der untersuchten Bildungsvorhaben, noch stellt es ein ‚Siegel‘ für deren Bildungserfolg dar. Mit Guter Praxis betonen wir in erster Linie die Haltung, die hinter den porträtierten Vorhaben steckt. Denn die Sammlung dokumentiert, dass sich die befragten Praktiker*innen (direkt oder indirekt) als ‚Akteur*innen des Wandels‘ begreifen und mit ihren Schnittstellenprojekten neue Zugänge erproben, um in Interaktion mit ihren Zielgruppen einen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel ganz im Sinne der Agenda 2030 anzustoßen.
Potenziale und Möglichkeitsräume an der Schnittstelle
Angesichts der gelebten Heterogenität der Formate, Methoden, Sparten und Akteur*innen geht es uns nicht um einen Vergleich. Vielmehr wollen wir Möglichkeitsräume vorstellen, in denen sich die projektimmanenten inhaltlichen und methodischen Schnittpunkte sowie die originären Verbindungen von Kunst, Kultur und Nachhaltigkeit widerspiegeln. Mit der vorliegenden Sammlung möchten wir Sie als Bildner*innen und Multiplikator*innen inspirieren und ermutigen, neue Projekte und Vorhaben an der Schnittstelle von KuBi und BNE auf den Weg zu bringen.
Vom Suchen und Finden Guter Praxis
Über Fachtagungen und Konferenzen recherchierten wir als Partnernetzwerk zunächst Bildungsvorhaben an der Schnittstelle von BNE und KuBi. Als Ergebnis fanden wir eine erstaunlich große Bandbreite an Kunst- bzw. Kultursparten, die sich bereits auf eine Kombination der Ansätze eingelassen haben. Sie erstrecken sich über Architektur und Baukunst, Bildende Kunst, Gestaltung und Design, (Kunst-)Handwerk, Literatur bis hin zu analogen und digitalen Medien, Museum, Musik, Spiel und Zirkus, Tanz und Theater.
Im Anschluss haben wir rund 40 Praktiker*innen eingeladen, anhand eines standardisierten Fragebogens über ihr Bildungsvorhaben zu berichten. Der Fragebogen zielte dabei nicht auf die üblichen Qualitätskriterien wie u.a. Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Diese setzten wir als selbstverständlich voraus. Vielmehr interessierte uns die Frage, wie eine Verknüpfung der beiden Ansätze aus der Perspektive der Akteur*innen gelungen ist und welche Potenziale und Gelingensbedingungen sie bezogen auf ihr Vorhaben daraus ableiten. Im Rücklauf erreichten uns 24 Antwortbögen.
Bereits bei der ersten Sichtung der eingereichten Praxisbeispiele überraschten uns deren Vielfalt und Qualität. Bei ihrer Analyse leiteten uns folgende Fragestellungen: Wie kommen die beiden normativen Ansätze KuBi und BNE im konkreten Beispiel zusammen? Wie werden dabei die Potenziale einer BNE bzw. KuBi ausgeschöpft? Welcher Mehrwert und welche Gelingensbedingungen lassen sich aus der Kombination beider Bildungsansätze ableiten? Die eingereichten Beispiele geben vielfältige Antworten auf diese Fragen.
Von den insgesamt betrachteten 24 Bildungsvorhaben wurden 15 ausgewählt und als Beispiele des ‚Guten Gelingens‘ im Porträt vorgestellt (siehe Braun-Wanke/Wagner 2020: 83-151):
- Bühnenpoesie. # 17Ziele Poetry Slam – wettstreiten und weltretten (Braun-Wanke/Ebel 2000: 83 ff.)
- Kunstlabor. ART TO STAY. Genussvolle & müllfreie Kaffeekultur (Braun-Wanke; Ebel 2000: ) (Braun-Wanke/Ebel 2000: 97 ff.)
- Lernräume mitgestalten. Bauereignis (Braun-Wanke/Ebel 2000: 93 ff.)
- Kooperieren & Vernetzen. (Bio)Diversitätskorridor (Braun-Wanke/Ebel 2000: 97 ff.)
- Wasserwerkstatt. Botschaften vom Bach (Braun-Wanke/Ebel 2000: 101 ff.)
- Hochschullehre anders denken. Critical Diversity Literacy (Braun-Wanke/Ebel 2000: 105 ff.)
- Circusfest. Den Circus ins Dorf holen (Braun-Wanke/Ebel 2000: 111 ff.)
- Schule verändern. Du kannst mich mal Wertschöpfen (Braun-Wanke/Ebel 2000: 115 ff.)
- Erlebnislabor. Farbfelder und bewegter Klang (Braun-Wanke/Ebel 2000: 119 ff.)
- Natur-Klang-Parcours. Im Vielklang mit der Natur (Braun-Wanke/Ebel 2000: 125 ff.)
- Orte zum Selbst-Lernen. Remida – das kreative Recycling Centro (Braun-Wanke/Ebel 2000: 129 ff.)
- Festival. SAVE THE WORLD – YOUNG PLANET (Braun-Wanke/Ebel 2000: 133 ff.)
- Adventuregame. Serena Supergreen und der abgebrochene Flügel (Braun-Wanke/Ebel 2000: 139 ff. )
- Kulturvermittlung im Science Center. WeltKulturEntdecker (Braun-Wanke/Ebel 2000: 143 ff.)
- Mitmach-Aktion. WorldWideBlanket (Braun-Wanke/Ebel 2000: 147 ff.)
Von und mit Guter Praxis lernen
Diese vorgestellten 15 Praxisbeispiele repräsentieren allesamt Vorhaben, die von unterschiedlichsten Akteur*innen aus den Bereichen Kunst, Kultur, Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft etc. entweder als Einzelvorhaben oder in Kooperation mit anderen Fachgebieten auf den Weg gebracht wurden. Die Portraits geben – wie einleitend bereits angedeutet – nur einen mikroskopischen Ausschnitt dessen wieder, was in der deutschen Kultur- und Bildungslandschaft seit Beginn der UN-Dekade 2004 zunehmend erprobt, verstetigt und weiterentwickelt wird.
Unsere Sammlung weist eine große Vielfalt – von den agierenden Kunst- bzw. Kultursparten, den adressierten Zielgruppen und Reichweiten, der Methoden- und Themenwahl, über die Dauer und Frequenz bis hin zur finanziellen Ausstattung – auf. Diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen lassen keinen direkten Vergleich der Bildungsvorhaben auf der Suche nach „allgemeingültigen“ Gelingensbedingungen zu. Jedes Vorhaben erzählt eine eigene (Erfolgs-)Geschichte in dem Spannungsverhältnis zwischen den beiden Bildungsansätzen. Die standardisierte Befragung der 24 Akteur*innen aus dem Bildungs- und Kultursektor gibt aber Hinweise auf gemeinsame Erfahrungen, aus denen sich wiederum Empfehlungen für Projekte an der Schnittstelle von BNE und KuBi ableiten lassen.
Die transformative Kraft der Verbindung
Die befragten Akteur*innen sehen in der Zusammenführung der beiden Ansätze insbesondere das transformative Potenzial, gängige Denk- und Handlungsmuster auf den Kopf zu stellen. Auffällig ist, dass sie dabei zumeist von einem ganzheitlichen und prozessorientierten Bildungsverständnis ausgehen. Mit diesem Grundverständnis sehen die Akteur*innen in beiden Ansätzen vorrangig das Verbindende und Bereichernde und schöpfen aus der Vielfalt der künstlerischen und ästhetischen Herangehensweisen.
Häufig wird dabei insbesondere das Potenzial des wechselseitigen Spannungsverhältnisses der beiden Ansätze betont, welches eine neue Lernkultur befördere. Gemeint ist eine Lernkultur, die mittels künstlerisch-ästhetischer Methoden den Weg zu einer persönlichen Selbstwirksamkeitserfahrung im Zuge der Wissensvermittlung bereitet und auf diese Weise neue oder erweiterte Handlungsräume mit direktem Lebensbezug eröffnet. In diesem Kontext findet aber auch der Begriff des „kritischen Korrektivs“ Erwähnung. Beide Ansätze, KuBi und BNE, können aus Sicht einiger befragter Praktiker*innen gegenseitig ihre jeweilige normative Begrenztheit kompensieren. Durch ein ergebnisoffenes Vorgehen und neue kreative Zugänge könne, so die Befragten, der appellative und stark werteorientierte Charakter der BNE aufgebrochen werden. Dies habe den positiven Nebeneffekt, dass sich – so die Erfahrung – unterschiedliche Zielgruppen von den Bildungsvorhaben angesprochen fühlen.
Augenfällig ist, wie sehr sich die Befragten dem SDG 4 (‚Sustainable Development Goals‘) – „Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern“ – verpflichtet fühlen. Dies zeigt sich in dem Selbstverständnis, die Qualität der Bildung durch die Kombination der Ansätze zu erhöhen.
Potenziale der Kollaboration nutzen
Die Praxisbeispiele zeigen, dass 21 von 24 Akteur*innen in einem Bildungsvorhaben gleich mehrere Kunst- bzw. Kultursparten vereinigen. Zudem werden ‚Interdisziplinäre Perspektiven‘ von mehr als der Hälfte der befragten Praktiker*innen als Sparte angegeben, in der sie ihr Bildungsvorhaben verorten (14 von 24). Von einigen der Befragten werden die inter- und transdisziplinären Herangehensweisen und Perspektiven als wichtige Erfolgsfaktoren ihrer Bildungsvorhaben gewertet. Diese haben aus ihrer Sicht einen entscheidenden Mehrwert: Je größer der Aktionsradius der Disziplinen, desto besser gelinge die Vermittlung der „zahlreich vorhandenen Bezüge der ästhetischen und künstlerischen Bildung zu sozialen und ökologischen Inhalten“, so beispielsweise die Antwort der Befragten aus dem Projekt NetzWerkstatt einfallsreich (Kunstschule KunstWerk, Hannnover) auf die Frage, welchen Mehrwert sie als Bildungsanbieter aus der Synthese von KuBi und BNE ziehen.
Viele der Befragten sehen das Thema Nachhaltigkeit als wichtige Integrationsklammer, um den notwendigen Aufbau einer kulturbewussten und zukunftsorientierten Gesellschaft zu befördern. Partnerschaften auf inter- wie auch transdisziplinärer Ebene, so klingt es in den eingereichten Fragebögen an, bildeten erfahrungsbasiert eine wichtige Gelingensbedingung für Schnittstellenvorhaben. Eine Zusammenarbeit – beispielsweise zwischen künstlerisch und (natur-)wissenschaftlich ausgerichteten Personenkreisen – auf Augenhöhe, erwecke Vertrauen, aber auch Neugier bei den adressierten Zielgruppen. Häufig wird daher betont, dass sich durch inter-/transdisziplinäre Kooperationen auch neue Zielgruppen erreichen ließen.
Zudem wirken sich Kooperationen und inter- und transdisziplinäre Arbeitsweisen schon in der Konzeptionsphase begünstigend aus, da sich in einem wertschätzenden und offenen Miteinander ein mehrperspektivisches und prozessorientiertes Vorgehen authentisch verwirklichen lasse. In Kollaboration entstünden unkonventionelle Formate, offene Experimentierräume und lernende Netzwerke, die einen wirkungsvollen Beitrag zur stärkeren Zukunftsorientierung des Bildungssystems leisten könnten.
Nachhaltigkeit als Integrationsaufgabe verstehen
Die von vielen Menschen als komplex und zuweilen abstrakt empfundene Themenwelt einer nachhaltigen Entwicklung rückt häufig in den Fokus der hier vorgestellten Bildungsvorhaben. Die Befragten verstehen das Aufgreifen der Themen einer Nachhaltigen Entwicklung als eine Integrationsaufgabe. Es ist ihnen wichtig, Bezüge zwischen der globalen Komplexität der gewählten Themen und der Alltags- und Lebenswelt der Zielgruppen herzustellen. Auf diese Weise können für die anvisierten Teilnehmerkreise auch leichtere, interessengeleitete Zugänge ermöglicht werden.
Die Bandbreite der behandelten Themen in dieser Sammlung ist groß. Sie reicht vom Ressourcen- und Artenschutz über das individuelle Konsumverhalten, Stadt- und Mobilitätsentwicklung oder dem Leben im ländlichen Raum etc., Kulturelle Vielfalt, Gender Diversity und Alltagsrassismus bis hin zu Wachstumsparadigmen und Wertschöpfungsdiskursen. Die Bildungsvorhaben sensibilisieren anhand der gewählten Themen – direkt oder indirekt – für den Schutz der Natur bzw. den Schutz natürlicher Ressourcen als (Über-)Lebensgrundlage sowie für Konzepte basierend auf den Grundsätzen des ‚Guten Lebens‘ (Globale Gerechtigkeit, Empathie, Solidarität) bzw. der Zukunftsfähigkeit (Generationengerechtigkeit).
Es zeigt sich, dass die 17 Globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) thematisch unterschiedlich aufgegriffen und sowohl als Einzelziel, aber auch in ihren vielfältigen Kombinationen und Interdependenzen erfahrbar werden können. Die Kombination von KuBi und BNE ermögliche dabei – so stellvertretend die Worte der befragten Verantwortlichen der Bühnenshow vollehalle – „über die kognitive Vermittlung von Wissen hinaus eine umfassende ästhetisch-sinnliche Wahrnehmung inklusive der direkten Verankerung und Aktivierung im eigenen Leben der Rezipienten.“ Konstatiert wurde in diesem Zusammenhang auch – hier zitiert nach den Projektverantwortlichen des Serious-Games Serena Supergreen –, dass BNE „ebenso Themengeber für Kulturelle Bildung sein kann, wie Kulturelle Bildung Denkanstöße für eine Nachhaltige Entwicklung liefern kann“.
Nachhaltigkeit durch kulturelle Rahmung greifbar machen
Alle Praxisbeispiele eint, dass sie die kulturelle Dimension als notwendig erachten, um Nachhaltige Entwicklung ganzheitlich verstehen und gestalten zu können. Sie bedienen sich zur Ausgestaltung dessen verschiedener Themen und Inhalte und belegen auf diese Weise, wie sich gleich mehrere Dimensionen einer Nachhaltigen Entwicklung in einem Bildungsvorhaben vereinen lassen. So geben mehr als zwei Drittel der befragten Praxisakteur*innen an, über ihr Bildungsvorhaben inhaltlich gleichermaßen die ökologische und kulturelle Dimension zu betrachten. Knapp ein Drittel bezieht noch eine weitere dritte – entweder die ökonomische oder die soziale – Dimension mit ein, während ein Drittel angibt, alle vier Dimensionen zu berücksichtigen. Was auf den ersten Blick als sehr komplex erscheint, löst sich durch den Einsatz künstlerisch-ästhetischer Methoden als „Transportmittel für Nachhaltigkeitsthemen“ wechselseitig auf, indem der Zugang ein anderer wird – in den Worten der Befragten: niedrigschwelliger, positiver, lustvoller.
Nachhaltigkeit mit allen Sinnen erfahrbar machen
Aus den Ausführungen der Befragten lässt sich mehrfach ablesen, dass die abstrakte und komplexe Themenwelt einer nachhaltigen Entwicklung und die Gestaltungskompetenzen einer BNE (wie u.a. Handlungs- und Beurteilungskompetenz) in Verbindung mit ästhetischen Praxen eine hohe transformative Kraft erzeugen. Um die Themen für ihre Zielgruppen greif- und erlebbar zu machen, setzen die Akteur*innen auf situierte Lernumgebungen und aktivierende Beteiligungsangebote, um ein Lernen mit Kopf, Herz und Hand zu ermöglichen. Bei diesem Lernen mit allen Sinnen werden neben kognitiven Aspekten auch die emotionalen und sensomotorischen Aspekte betont. Das ‚sinnliche Erforschen‘ wie auch das ‚Selbermachen‘ regen die angesprochenen Zielgruppen zum Nachdenken über die Vielfalt an Lebens- und Kulturformen und die komplexen Wechselbeziehungen ökologischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Zusammenhänge an, so die Befragten.
Vom Wissen zum Handeln
Viele der Befragten betonen die Wichtigkeit der Einbindung partizipativer Elemente in ihre Vorhaben. Auf diese Weise bleibe es nicht allein bei einer ästhetisch-emotional ausgerichteten Vermittlung von Themen. In Workshops und Werkstätten stellen sie z. B. den Erwerb von Kulturtechniken in den Kontext von nachhaltigen Lebens- und Konsumstilen (Stichwort: ‚Kultur des Selbermachens‘). Auf die Stärkung von Fähigkeiten wie Wahrnehmen (20 von 24 Nennungen), Analysieren und Interpretieren (16 von 24), Handeln und Gestalten (21 von 24), kritisch Urteilen und Bewerten (15 von 24) sowie Kommunizieren (18 von 24) wird – zu den jeweils angegebenen Anteilen – in den 24 betrachteten Bildungsvorhaben an der Schnittstelle von KuBi und BNE besonders Wert gelegt, um die anvisierte Zielgruppe selbstwirksam zu einer verantwortungsbewussten Mitgestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft zu ermutigen.
Einfluss struktureller Rahmenbedingungen
Die befragten Praktiker*innen benennen mehrere strukturelle Voraussetzungen, die ein Gelingen der Bildungsvorhaben begünstigen. Darunter fallen insbesondere die Faktoren Raum und Zeit. So begünstige ein dauerhafter Durchführungsort bzw. regelmäßige Angebote ein prozessorientiertes, offenes Arbeiten und intensivere Formen der Auseinandersetzung.
Das eigene Vorhaben als ergebnisoffenen Prozess verstehen
Um ein Bildungsvorhaben an der Schnittstelle von BNE und KuBi für alle Beteiligten zufriedenstellend umsetzen zu können, kann es hilfreich sein, dieses als ein Experiment zu betrachten. Was ist damit gemeint? Kulturelle Bildung erfordert ein ergebnisoffenes, experimentierendes und gestaltendes Vorgehen. Dies gilt gleichwohl für diejenigen, die das Vorhaben konzipieren, diejenigen, die es (pädagogisch) begleiten und jene, die als ‚Lernende‘ daran teilnehmen. Einige befragte Praktiker*innen empfehlen daher, das Bildungsvorhaben als „ein Experiment im Prozess“ zu sehen, das in seiner Durchführung auch scheitern kann. Diese Grundeinstellung sei wiederum eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Mit- und Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Die hiermit angesprochene Gelingensbedingung liegt in der Kunst, Kulturelle Bildung nicht auf ihre Methoden zu reduzieren, sondern Ergebnisoffenheit und Prozessfokussierung von allen Beteiligten zu erwarten. Aus der Vielfalt der untersuchten Praxisbeispiele geht hervor, dass hierzu u.a. eine gute Vorbereitung, eine „Atmosphäre, die zur Selbstreflexion und intensiver Auseinandersetzung führt“, ein „stimmiges authentisches Konzept“, eine „ergebnisoffene und fehlerfreundliche Lernumgebung“, eine „gute und kommunikative Prozessbegleitung“, ein „pädagogisches-methodisches Geschick“ sowie „Flexibilität und Vertrauen in den Prozess“ zählen.
Die Herausforderung der Kommunikation
Vorhaben an der Schnittstelle von BNE und KuBi benötigen nicht nur in ihrer Planung eine hohe Bereitschaft, sich den unterschiedlichen Herangehensweisen und Sprachen zu öffnen. Projekte dieser Art sind aufgrund ihrer Komplexität und Diversität auch in Bezug auf die Öffentlichkeitsarbeit herausfordernd: „Konzeption, Vorbereitung, [...] und Durchführung bedeuten einen deutlich höheren Aufwand an Zeit, finanziellen Mitteln, Material, Kommunikation und Kreativität, als z.B. ‚nur‘ eine Musikveranstaltung oder ‚nur‘ eine Umweltbildungsveranstaltung . [...] Vor allem die Erläuterung des Projektes war immer wieder eine Herausforderung [...]“, so bspw. die Projektverantwortlichen von Im Vielklang mit der Natur. Hilfreich sei es, die Ziele und die Sinnhaftigkeit von künstlerisch-ästhetischen Herangehensweisen in Verbindung mit BNE nachvollziehbar zu vermitteln, ohne, dass ein Bereich dabei zu kurz kommt.
Bereitschaft zur Evaluation und Selbstreflexion
Die Beispiele Guter Praxis wurden auch dahingehend befragt, ob und in welcher Art und Weise die Bildungsvorhaben evaluiert werden. Dabei zeigt sich ein gemischtes Bild. Eine umfangreiche Evaluation erfolgt zumeist dann, wenn das Bildungsvorhaben an ein Förderprogramm oder eine wissenschaftliche Begleitstudie gekoppelt ist. Auch Formate, die regelmäßig wiederkehren, werden tendenziell häufiger evaluiert. Insgesamt führt die Hälfte der 24 untersuchten Bildungsvorhaben eine Form von Evaluation – von der abschließenden Feedbackrunde bis hin zum Einsatz standardisierter Fragebögen – durch. Erwähnenswert ist in diesem Kontext die vereinzelnd dargelegte Form kritischer Selbstreflexion in Bezug auf die Vision und Zielsetzung des eigenen Bildungsvorhabens: Wie viele und welche Personen kann ich realistisch erreichen? Wen schließe ich aus? Was bedeutet es, bestimmte Zielgruppen auszuklammern? Wie kann ich mit den verfügbaren Mitteln eine größere Reichweite erzielen bzw. wie muss ich mein Bildungsvorhaben anpassen, um weitere Zielgruppen zu erreichen? Wie erreiche ich vor allem die Menschen, die sich – aus verschiedensten Gründen – bislang noch nicht mit Fragen rund um eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen befassen? Auch die hiesige Befragung hat – so das vereinzelte persönliche Feedback – viele Praktiker*innen erstmalig dazu veranlasst, ihr Bildungsvorhaben in mehrerlei Hinsicht zu reflektieren bzw. zu hinterfragen. Ein Anstoß, der dankbar aufgegriffen wurde.
Orientierung an der Schnittstelle
Die formulierten Antworten sowie die ergänzenden persönlichen Rückmeldungen, die uns in Bezug auf die durchgeführte Befragung erreichten, lassen darauf schließen, dass eine regelmäßige Selbstreflexion des eigenen Bildungsvorhabens hilfreich ist, um die beiden Ansätze BNE und KuBi synergetisch zusammenzuführen. Für diese Reflexion geben wir Ihnen abschließend einen ‚Kompass‘ an die Hand, um Ihr Bildungsvorhaben an der Schnittstelle von KuBi und BNE ‚auszurichten‘.
Nachfolgend das Inhaltsverzeichnis der im Waxmann Verlag erschienenen Veröffentlichung von Karola Braun-Wanke und Ernst Wagner (Hrsg.) (2020): Über die Kunst, den Wandel zu gestalten. Kultur ⋅ Nachhaltigkeit ⋅ Bildung, im welchem auch obenstehender Beitrag veröffentlicht ist: