Frühe musikalische Bildung
Abstract
Kinder sind sehr früh für Musik empfänglich, und schon junge Kinder sollten vielfältig mit Musik in Berührung kommen. Im Sinne eines Grundlagenbeitrags wird das Feld der frühen musikalischen Bildung untersucht: die Bedeutung der Musik in Familien mit Kindern unter 6 Jahren, das Singen und Musizieren in Tageseinrichtungen für Kinder, die Nutzung von Angeboten frühkindlicher Musikerziehung und die Rolle öffentlicher Musikschulen als zentraler Orte früher musikalischer Bildung. Vorgestellt werden impulsgebende Fördermaßnahmen, Projekte und Angebote privater und kirchlicher Träger für eine reichhaltige Elementare Musikpraxis. Erörtert werden Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Erzieher*innen sowie die Situation von Studium und Ausbildung im Bereich der frühen musikalischen Bildung. Diese Feldvermessung verdeutlicht die große Bedeutung früher musikalischer Bildung und unterstreicht die Relevanz fundierter Kooperationen zwischen Kindertageseinrichtungen und Musikschulen bzw. musikpädagogischen Fachkräften. Die Förderung des Umgangs mit Musik in Tageseinrichtungen für Kinder wird als wichtiges musikpädagogisches sowie kultur- und sozialpolitisches Ziel ausgewiesen.
Von Geburt an sind Kinder für Musik empfänglich. Schon in der Schwangerschaft dringt Musik an ihr Ohr. Untersuchungsergebnisse sprechen dafür, dass Kinder Musik ebenso wiedererkennen wie die Stimme ihrer Mutter, die ihnen besondere Geborgenheit vermittelt. Die frühe Kommunikation zwischen Bezugsperson und Kind gründet auf den musikalischen Qualitäten des Sprechens, auf Tonhöhe und Sprechmelodie, auf Klangfarbe, dynamischen Nuancen, Rhythmus und Tempo; die zuletzt genannten Qualitäten kommen auch der Bewegung bzw. dem Bewegtwerden zu. Mit diesen musikalischen Qualitäten können Eltern ihre Kinder beruhigen und trösten, aber auch stimulieren sowie zu Interaktion und Spiel anregen. Seinerseits drückt sich das Kind auf solche, musikalische Weise aus, wenn es lautiert oder sich bewegt. Schon bevor es sich mit Worten mitteilen kann, ist es selbstverständlich für das Kind, seine Verfassung in musikalische Parameter einfließen zu lassen. Wenn es später für sich selbst Spontangesänge produziert, wirken diese wiederum auf es zurück, so wie Musik ganz allgemein auch zur Beeinflussung der eigenen Gestimmtheit eingesetzt wird. Darüber hinaus stellt Musik ein Stück Welt – genauer: ein Stück Kultur – dar, die das Kind entdecken und sich im Spiel aneignen kann. Dabei ist es zunächst noch ganz offen und lässt jegliche Musik ohne Vorurteile auf sich wirken.
Die Forschung hat sich insbesondere in den letzten Jahren immer wieder mit den Auswirkungen des Umgangs mit Musik auf verschiedene Fertigkeiten und Merkmale bei Kindern und Jugendlichen – etwa auf Gedächtnis, Intelligenz und Sozialverhalten – beschäftigt. Die Ergebnisse lassen allerdings kaum Verallgemeinerungen zu. Einerseits ist davon auszugehen, dass das Setting der Beschäftigung mit Musik eine große Rolle spielt, andererseits dürften die Auswirkungen im Einzelfall unterschiedlich intensiv ausfallen (vgl. Dartsch 2016:17 ff.). Heute herrscht in der Gesellschaft weitgehend Konsens darüber, dass schon junge Kinder mit Musik in Berührung kommen sollten. Dies kann innerhalb und außerhalb der Familie, an verschiedensten Orten geschehen.
Zur Bedeutung der Musik in der Familie
In aller Regel kommen Kinder zunächst in ihrer Herkunftsfamilie mit Musik in Kontakt. Vor allem geschieht dies dadurch, dass Musik im Alltag der Familie präsent ist. Eine bewusste Vermittlungsabsicht muss dabei nicht gegeben sein. Über drei Viertel der Eltern geben an, mit ihren Kindern unter sechs Jahren mehrmals wöchentlich zu singen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016:52). Die Reichhaltigkeit musikbezogener Erfahrungen hängt dabei auch vom Bildungsniveau und vom sozioökonomischen Status des Elternhauses ab. Auffallend ist allerdings, dass das Musizieren in Familien mit Kindern der ersten und zweiten Migrantengeneration sowie in ökonomisch schwächeren Familien einen überdurchschnittlich hohen Stellenwert einnimmt. Offensichtlich wird mit Mädchen häufiger gesungen als mit Jungen (vgl. Abbildung 1).
Die Erwachsenen in der Familie entscheiden nicht zuletzt darüber, ob die Kinder bereits an besonderen musikbezogenen Angeboten teilnehmen. Allgemein steigt der Anteil der Kinder, die bereits organisierte musikpädagogisch konzipierte Angebote besuchen, mit dem Alter kontinuierlich an: Bei den Zweijährigen trifft dies für 14 Prozent der Kinder zu, bei den Dreijährigen für mehr als 20, bei den Vierjährigen für 31 und bei den Fünfjährigen bereits für 40 Prozent der Kinder (vgl. Abbildung 2). Insgesamt liegt der Anteil bei den Mädchen geringfügig höher als bei den Jungen, wobei die Unterschiede nur noch rund zwei Prozentpunkte ausmachen, während es 2012 noch sechs Prozentpunkte waren. Auffallend ist die soziale Selektivität: Kinder von Eltern mit Hochschulreife besuchen etwa doppelt so häufig außerfamiliäre musikalische Bildungsangebote wie Kinder von Eltern mit mittlerem Bildungsabschluss.
Singen und Musizieren in Tageseinrichtungen für Kinder
Eine wichtige Bedeutung kommt den Tageseinrichtungen für Kinder zu. „Musische Bildung“ – so der Wortlaut in einem gemeinsamen Beschluss der Jugendministerkonferenz und der Kultusministerkonferenz – ist als obligatorischer Bildungsbereich mittlerweile in den Bildungs- und Erziehungsplänen aller Bundesländer verankert. Nach dem Beschluss sollen damit Sinne und Emotionen der Kinder angesprochen sowie ihre Fantasie und Kreativität, aber allgemein auch die personale, soziale, motorische und kognitive Entwicklung gefördert werden (siehe: Beschluss der Kultus- und Jugendministerkonferenz 2004 „Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“). So werden denn auch die ästhetische Erziehung und speziell die Musik in den jüngsten Bildungsplänen der Länder jeweils in eigenen Kapiteln behandelt. Eine Ausnahme bildet hier lediglich Baden-Württemberg, wo Musik im Sinne einer Querschnittsaufgabe, die alle anderen Bildungsbereiche berührt, betrachtet wird.
2017 gab es in Deutschland rund 55.300 Tageseinrichtungen für Kinder (vgl. Statistisches Bundesamt 2017); etwa jede zwölfte davon kooperiert mit einer öffentlichen Musikschule; die Zahl der kooperierenden Kindergärten und -horte hat sich dabei zwischen 2006 und 2016 sichtbar erhöht (vgl. Abbildung 3). Auf der Grundlage der jeweiligen Kooperationsvereinbarungen kommt eine Lehrkraft der öffentlichen Musikschule zum Unterrichten in die Einrichtung. Modelle dieser Art werden traditionell über Elternbeiträge finanziert; da in diesem Fall in der Regel nicht alle Kinder teilnehmen, werden die Angebote manchmal in Randstunden gelegt. In den letzten Jahren wird jedoch vermehrt auf pauschale Institutionsgebühren umgestellt, die auch durch Fördervereine und andere Drittmittel gedeckt werden. So kann dem Wunsch entsprochen werden, alle Kinder einer Einrichtung zu erreichen und Selektion zu vermeiden. Teilweise möchten Einrichtungen und Trägern keine externen Angebote. Allerdings sind in der jüngeren Vergangenheit Modelle entstanden, die ein Zusammenwirken von Lehrkräften der Elementaren Musikpraxis mit Erzieher*innen bis hin zur Gestaltung von Angeboten in Tandems beinhalten. In einigen Bundesländern wurden spezielle Programme für die musikpädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen aufgelegt:
- In Baden-Württemberg wird das Programm „Singen – Bewegen – Sprechen“ nach Landesrecht als Sprachfördermaßnahme für Kindertageseinrichtungen anerkannt. Es handelt sich um ein flächendeckendes Förderprogramm, bei dem die musikpädagogischen Fachkräfte durch das Land finanziert werden.
- In Bayern übernimmt das Land im Rahmen eines Förderprogramms ungefähr elf Prozent der Lehrpersonalausgaben in Kooperationen von Musikschulen und Kindertageseinrichtungen bzw. Schulen, sofern es sich dabei um einschlägig qualifizierte und festangestellte Lehrkräfte handelt.
- Das Land Brandenburg fördert im Rahmen des Programms „Klingende Kita“ Kooperationen, in denen Erzieher*innen und Musikschullehrkräfte gemeinsam mit allen Kindern zwei Stunden in der Woche musizieren und zusätzlich Projekte gestalten.
- In Mecklenburg-Vorpommern initiierte und finanzierte das Land das Projekt „Musik im Kinderalltag – ein Handbuch als Impulsgeber für Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen, Tagespflegepersonen und Familien“. Ziel ist es, im Rahmen einer in Tandems durchgeführten Erprobungsphase eine Sammlung von Materialien für den Alltag der Einrichtungen sowie Handlungsanleitungen für deren Personal zu erstellen und anschließend als Druckversion zur Verfügung zu stellen.
- Land und Kommunen in Niedersachsen fördern das Programm „Wir machen die Musik“. Dessen verbindliche Fördergrundsätze schreiben für die Kooperationen den Einbezug des Personals der Einrichtungen und die Unterstützung von deren Bildungszielen durch die Musikschulen sowie die fachliche Qualifikation der Lehrkräfte vor.
- In Nordrhein-Westfalen wurde vom Landesverband der Musikschulen das Programm „Kita und Musikschule“ entwickelt, das ein breites Spektrum an Maßnahmen einschließt, darunter spezielle Angebote für Familien, für Teams und für Kinder mit besonderen Bedürfnissen – auch für jene, die mehr Musik machen möchten als die anderen. Vorgesehen ist auch die gegenseitige Qualifizierung von Erziehungs- und Musikschul-Personal. Die Projektentwicklung wurde von einer Lenkungsgruppe begleitet, in der Ministerium, Landesjugendämter, Aus- und Weiterbildungsstätten, kommunale Spitzenverbände und Trägerverbände vertreten waren.
- In Rheinland-Pfalz können musikalische Angebote in Kindertagesstätten über die Verwaltungsvorschrift „Förderung von Sprachfördermaßnahmen in Kindergärten sowie von Maßnahmen der Vorbereitung des Übergangs vom Kindergarten zur Grundschule“ gefördert werden.
Länderübergreifend können Kooperationen mindestens dreier Akteure im Rahmen des Bundesprogramms „Bündnisse für Bildung. Kultur macht stark“ gefördert werden, das bildungsbenachteiligten Kindern einen ersten Zugang zu kultureller Bildung ermöglichen soll. Im Falle von Kindertageseinrichtungen muss es dabei um zusätzlich zum Regelbetrieb angebotene Maßnahmen gehen, die verantwortlich von externen Personen geplant und durchgeführt werden, wobei eine Begleitung durch das Personal der Einrichtungen möglich ist. Die Entscheidung zur Teilnahme soll dabei individuell vom einzelnen Kind oder für es getroffen werden. Vereinzelt legen auch Kommunen Programme zur Förderung von Kooperationen von Musikschulen und Kindertageseinrichtungen auf. Für Bayern sind hier die Programme „MUBIKIN“ in Nürnberg und „MusiKita“ in Ebersberg zu nennen, in Brandenburg finanziert die Gemeinde Schwedt die Gebühren zu 100 Prozent, dasselbe gilt für die saarländische Gemeinde Beckingen, während die Stadt Merzig im selben Bundesland zumindest 50 Prozent übernimmt.
Eine wachsende Zahl von Tageseinrichtungen für Kinder hat inzwischen ein spezielles Musikprofil ausgebildet. Unterscheiden lassen sich:
- Musikkindergärten, die studierte Musikpädagog*innen im Team beschäftigen,
- musikbetonte Kindertageseinrichtungen, an denen ein- bis zweimal pro Woche eine Musikpädagogin / ein Musikpädagoge in Anbindung an die Themen und Projekte der Einrichtung arbeitet, und
- musikbetonte Kindertageseinrichtungen, an denen die musikpädagogische Arbeit allein von den Erzieher*innen getragen wird (vgl. Schmidt 2014:48 ff.).
Teilweise wurde die Etablierung einzelner Musikkindergärten mit Forschungen oder Konzeptentwicklungsprozessen begleitet, dies trifft etwa auf den KISUM-Musikkindergarten Weimar-Niedergrunstedt und den von Daniel Barenboim initiierten Musikkindergarten in Berlin zu, an dem die Kinder regelmäßig Besuch von Orchestermusiker*innen erhalten.
Fördermaßnahmen für Kindertageseinrichtungen sowie für Erzieher*innen
2010 zeigten die Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann Stiftung, dass sich mehr als 60 Prozent der Erzieher*innen in nordrhein-westfälischen Kindergärten im Bereich der musikalischen Bildung nur mittelmäßig bis schlecht ausgebildet fühlten und entsprechend großen Fortbildungsbedarf sahen (vgl. Kompetenzzentrum Frühe Kindheit 2010). Im Folgejahr verabschiedete der Deutsche Musikrat eine Resolution zur Vorschulischen Musikalischen Bildung, in der eine breite musikalische Bildung für alle Kinder ebenso gefordert wird wie Qualität in der Ausbildung von Erzieher*innen und Kooperationen von Tageseinrichtungen für Kinder mit qualifizierten Lehrkräften für Musik (Deutscher Musikrat 2011). Parallel dazu haben verschiedene Träger in den letzten Jahren Projekte, Fort- und Weiterbildungsprogramme aufgelegt, die die Qualität und Reichhaltigkeit musikalischer Anregungen in Tageseinrichtungen für Kinder steigern sollen (vgl. die Rubrik „Musikalisierungs- und Musikvermittlungsprojekte“ im Informationsangebot des MIZ):
- Die Initiative „Kinder zum Olymp“ der Kulturstiftung der Länder will Kooperationen mit Kultureinrichtungen und Künstlerpersönlichkeiten anregen und hat dabei hauptsächlich die Schule, aber auch den Kindergarten im Blick.
- Das Programm „Canto elementar“ innerhalb des deutschlandweiten Netzwerks „Il canto del mondo“ setzt auf ehrenamtliche Singpaten aus der Nachbarschaft der Einrichtungen.
- Der Deutsche Chorverband vergibt die Auszeichnung „Die Carusos“ an Tageseinrichtungen, die gewisse Kriterien in der musikalischen Arbeit mit den Kindern – insbesondere beim Singen – erfüllen; in diesem Zuge werden auch Fortbildungen für Erzieher*innen angeboten. Förderer der Initiative sind die „Accenture Stiftung“, die „Aventis Foundation“, die „Crespo Foundation“ und der „Kulturfonds Frankfurt RheinMain“.
- Fortbildungen für Erzieher*innen bilden zusammen mit eigens entwickelten Materialien auch den Kern des Programms „Toni singt“ des ChorVerbands Nordrhein-Westfalen.
- Die Bertelsmann Stiftung entwickelte in den Jahren 2005 bis 2007 das Fortbildungskonzept „Kita macht Musik“ für Erzieher*innen, das auf der Zusammenarbeit mit Musikschulen und Volkshochschulen basiert. In Hamburg unterrichten Lehrkräfte der Musikschule Erzieher*innen nach diesem Konzept im Rahmen eines vom Landesmusikrat angebotenen berufsbegleitenden Lehrgangs. Im Jahr 2012 startete die Stiftung das Modellprojekt „Musik im Kita-Alltag“ mit verschiedenen Akteuren der Aus- und Weiterbildung sowie der Kita-Praxis. Nach Abschluss der Konzeptentwicklung wurde Anfang 2017 ein gleichnamiges überregionales Netzwerk gegründet, das Austausch und Weiterbildung befördern soll; Kooperationspartner sind außer der Bertelsmann Stiftung die Landesmusikakademie Nordrhein-Westfalen, der Landesmusikrat Nordrhein-Westfalen und die Peter Gläsel Stiftung.
- Kostenlose Weiterbildungsprogramme für Erzieher*innen in mehreren deutschen Städten fördert der dm-Drogeriemarkt im Rahmen des Projekts „Singende Kindergärten“.
- Das bereits seit 2008 laufende Grundschulprojekt „Primacanta“ der „Crespo Foundation“ in Hessen wurde mittlerweile durch „PrimacantaKita“ erweitert, ein zweijähriges Programm, das sich an der Elementaren Musikpädagogik orientiert. Im Einzelnen werden Fortbildungstage für Erzieher*innen angeboten, deren Inhalte unmittelbar in der Praxis umgesetzt werden sollen; dabei sind auch eine Vor-Ort-Begleitung musikpädagogischer Aktivitäten sowie eine Vernetzung mit Grundschulen und weiteren Einrichtungen – etwa über gemeinsame Singveranstaltungen – vorgesehen. Kooperationspartner sind die Stiftung Dr. Hoch’s Konservatorium – Musikakademie Frankfurt am Main, die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, die „Kita Frankfurt“ und die Musikschule Frankfurt.
Erzieher*innen, die sich über einen längeren Zeitraum hinweg im Bereich der Musik weiterqualifizieren möchten, können darüber hinaus Angebote verschiedener Träger wahrnehmen: So bietet der Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen in Kooperation mit der Professional School der Hochschule für Musik Würzburg und dem AEMP Bayern einen „Zertifikatskurs Elementare Musikpraxis für vier- bis achtjährige Kinder“ an. Auch im Rahmen der zweijährigen Weiterbildung „Musikpraxis in Kita und Grundschule“ an der Landesakademie für musisch-kulturelle Bildung im saarländischen Ottweiler können Erzieher*innen ein entsprechendes Zertifikat erwerben. Einen berufsbegleitenden Fortbildungslehrgang „Singen mit Kindern“, der auch von Erzieher*innen besucht werden kann, gibt es an der Professional School der Hochschule Osnabrück. An der Hochschule für Künste Bremen schließlich wurde mit der Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von 2015 bis 2017 ein Qualifizierungsangebot zur musikalisch-künstlerischen Bildung mit dem Titel „Musik bewegt Kinder“ entwickelt und erprobt, das auch Erzieher*innen offenstand. Das Angebot soll in Zukunft als berufsbegleitender weiterbildender Masterstudiengang weitergeführt werden. Im selben Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurde auch das Projekt „Musikalisch-kulturelle Bildung in der Kita“ (Mubiki) unterstützt, das unter anderem ebenfalls Erzieher*innen offensteht und das auf einer Kooperation des Landesverbands niedersächsischer Musikschulen und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg fußt.
Öffentliche Musikschulen als zentrale Orte früher musikalischer Bildung
In den Jahrzehnten seines Bestehens hat sich auch der Verband deutscher Musikschulen als Trägerverband öffentlicher Musikschulen verstärkt der Arbeit mit jungen Kindern zugewandt: Ende der 1960er-Jahre wurde hier ein Curriculum für die Musikalische Früherziehung mit vier- bis sechsjährigen Kindern entwickelt, dem 1980 ein Lehrplan für das Fach folgte. Der aktuelle Strukturplan sowie der neue Bildungsplan für die Elementarstufe / Grundstufe aus dem Jahr 2010 – letzterer umfasst die Altersspanne von der Geburt bis zum Alter von zehn Jahren – sehen schließlich auch Elementare Musikpraxis in Eltern-Kind-Gruppen mit Kindern von der Geburt bis zum Alter von drei oder vier Jahren vor. Kinder im Alter von bis zu fünf Jahren machen knapp 17 Prozent der rund 1,4 Millionen Schülerinnen und Schüler aus, die 2016 in öffentlichen Musikschulen aktiv waren. Die Musikschulen des Verbands haben damit im Jahr 2016 etwa fünf Prozent der Kinder unter sechs Jahren erreicht. Die Zahlen sind den Statistiken des VdM entnommen, die dieser regelmäßig aktualisiert und veröffentlicht (vgl. Verband deutscher Musikschulen 2016:12). Bei der obigen Berechnung wurden diese Zahlen mit den Angaben des Statistischen Jahrbuchs für die Bundesrepublik Deutschland 2017 verrechnet. Für das Jahr 2015 sind hier 4,33 Mio. Einwohner im Alter von unter 6 Jahren verzeichnet.
Inhalt des Unterrichts in der Elementarstufe / Grundstufe ist eine grundlegende, noch nicht spezialisierte sogenannte „Elementare Musikpraxis“, die für sich genommen schon ein sinnvolles Bildungsangebot, gleichzeitig aber auch die Basis einer möglichen späteren Spezialisierung – etwa auf ein bestimmtes Instrument – darstellt. Eltern-Kind-Gruppen werden von Kindern unter drei oder vier Jahren – je nach Gruppe bereits vom ersten Lebensjahr an – in Begleitung einer Bezugsperson besucht. Neben den Kindern erhalten hier auch die Eltern musikbezogene Anregungen; schließlich zielt der Unterricht auch auf die musikalische Kommunikation der Eltern mit ihren Kindern ab. Eine Elementare Musikpraxis für Kinder im Alter von drei oder vier bis sechs Jahren stellt die Musikalische Früherziehung dar, die seit den 1970er-Jahren einen Kern der Musikschularbeit darstellt. Immer größere Bedeutung kommt den Kooperationen mit Kindertagesstätten zu, in deren Rahmen die meisten Musikschulen Angebote der Elementaren Musikpraxis bereitstellen (s. auch Abschnitt Tageseinrichtungen für Kinder). Die Angebote der Musikalischen Grundausbildung und Orientierungsangebote, bei denen die Kinder verschiedene Instrumente nacheinander ausprobieren, sowie Kooperationen mit Grundschulen sind ebenfalls Bestandteil der Elementarstufe / Grundstufe, richten sich aber an Kinder im Grundschulalter. Für weiterführende Informationen zur musikalischen Bildung der jungen Menschen im schulischen Alter sei auf den Beitrag des Autors „Außerschulische musikalische Bildung“ verwiesen, erschienen im Themenportal „Bildung & Ausbildung“ des Deutschen Musikinformationszentrums und 2019 veröffentlicht auch auf der Wissensplattform KULTURELLE BILDUNG ONLINE.
Das Spezifikum der Elementarstufe / Grundstufe ist die breite Fächerung der Inhalte: Lieder und Stimm-improvisationen decken den Bereich des Singens ab; freies und gebundenes Spiel auf verschiedensten Instrumenten, zumeist kleinem Schlagwerk bzw. dem sogenannten „Orff-Instrumentarium“, repräsentiert die Kategorie des Instrumentalspiels. Der Bereich der Bewegung beinhaltet Tänze, freies Bewegen und Körperperkussion. Eng verwoben mit den genannten Bereichen ist das Wahrnehmen und Erleben, das von sensorischer Sensibilisierung über das Hören verschiedenster Musikstücke bis zum Erleben von Instrumenten reicht, die die Kinder später erlernen könnten. Auch das musikbezogene Denken hat seinen Platz, wenn etwa über musikalische Eindrücke gesprochen wird, oder wenn Strukturen und Notationsformen thematisiert werden. Schließlich wird Musik auch mit anderen Ausdrucksformen verbunden, so im Szenischen Spiel, im rhythmischen Sprechen, in der Visualisierung von Musik durch Bilder und im Instrumentenbau. Der Unterricht der Elementaren Musikpraxis berührt implizit auch andere Entwicklungsbereiche; so betreffen musikspezifische Anforderungen auch Kognition, speziell Sprache, sowie Wahrnehmung, Emotion, Motorik und Sozialverhalten.
Kinder, die bereits im Vorschulalter ein Instrument erlernen wollen, können dies an öffentlichen Musikschulen ebenfalls tun, wenngleich dies die Ausnahme darstellt.
Studium und Ausbildung im Bereich der Frühen musikalischen Bildung
Sowohl an den Fachschulen, an denen die Erzieherausbildung angesiedelt ist, als auch an Fachhochschulen, die mittlerweile erste einschlägige Studiengänge anbieten, spielt dementsprechend auch die Musik eine Rolle. Pflichtanteile werden mancherorts von Zusatzangeboten flankiert (vgl. Rohlfs 2014:69ff.). Derzeit bietet lediglich die Fachschule für Sozialpädagogik Neumünster eine Musikklasse und damit eine Erzieherausbildung mit musikpädagogischen Ausbildungsinhalten an.
Ein berufsbegleitendes sechssemestriges Bachelor-Studium der Musikpädagogik für Erzieher*innen existiert an der Professional School der Leuphana Universität Lüneburg. An der Fachhochschule Bielefeld ist im Rahmen des Studiengangs „Pädagogik der Kindheit“ der Schwerpunkt „Musikalische Bildung“ wählbar; wegen einer Neukonzeption des Schwerpunkts waren allerdings im Wintersemester 2017/18 keine Neuaufnahmen möglich. Das Weiterbildungsstudium „Singen mit Kindern“ mit Zertifikatsabschluss, das an der Folkwang Universität Essen belegt werden kann, wird außer von Kirchenmusiker*innen und Lehrer*innen auch von Erzieher*innen genutzt.
Nach der Einrichtung der Musikalischen Früherziehung folgten in Deutschland ab 1976 einschlägige musikpädagogische Studiengänge an Musikhochschulen und Konservatorien, für die sich heute die Bezeichnung „Elementare Musikpädagogik“ durchgesetzt hat. Auch Absolvent*innen des schon länger existierenden, derzeit rückläufigen Studiengangs „Rhythmik“ werden in der Elementarstufe / Grundstufe eingesetzt; ihrem Studium gemäß legen sie einen besonderen inhaltlichen und methodischen Schwerpunkt auf den wechselseitigen Bezug von Musik und Bewegung und zielen dabei auch auf eine breite Förderung der Persönlichkeit.
Angebote von privaten und kirchlichen Trägern sowie von Konzertveranstaltern
Musikbezogene Angebote halten auch verschiedenste private Träger vor. So bieten etwa private Musikschulen ebenfalls Kurse für Vorschulkinder an. Der Bundesverband der freien Musikschulen (bdfm) hat hierfür eine eigene „bdfm-Lehrbefähigung“ geschaffen, die auf der Basis von Bewerbungsunterlagen und Videomitschnitten vergeben wird und die, wenn kein einschlägiges Studium vorliegt, die Voraussetzung zum Unterrichten an den Verbandsschulen darstellt. Daneben sind selbstständige Musiklehrer*innen für Musikalische Früherziehung an Tageseinrichtungen für Kinder tätig, aber auch in privaten Räumlichkeiten. Zahlreiche musikaffine Privatpersonen, die Wochenendseminare des Mainzer Instituts für elementare Musikerziehung zu den Konzeptionen „Musikgarten“ oder „Musikgarten für Babys“ (zwei Wochenenden) belegt und die entsprechende Lizenz erworben haben, halten Eltern-Kind-Kurse in eigener Verantwortung ab, die sie etwa in Hebammenpraxen durchführen. Lieder, Verse, melodische und rhythmische Echospiele, Kniereiter- und Fingerspiele, Bewegungsanregungen, Hören von Klängen und Geräuschen, Spiel mit Instrumenten wie Glöckchen, Rasseln, Klanghölzern und Klangbausteinen sowie Erfahrungen mit Reifen und Tüchern stehen im Zentrum der Unterrichtseinheiten. Wiederholungen und Rituale strukturieren dieselben. Unter dem Namen „BabyBauchTöne“ bietet das Institut für elementare Musikerziehung neuerdings auch Seminare für das Singen mit Schwangeren an. Auch privater Instrumentalunterricht für Vorschulkinder kann bei privaten Musikschulen oder Lehrkräften besucht werden.
Der ChorVerband Nordrhein-Westfalen startete 2005 mit einem eigenen Konzept, dem „Liedergarten“, die Arbeit mit Eltern-Kind-Gruppen, um dem Singen zu einem größeren Stellenwert in Familie und Gesellschaft zu verhelfen. Chöre des Verbands übernehmen dabei Patenschaften für Eltern-Kind-Kurse und zeichnen verantwortlich für den Aufbau und die Durchführung, etwa für die instrumentale Ausstattung oder die Suche nach einer zertifizierten Lehrkraft und geeigneten Räumlichkeiten. Interessierten wird eine etwa 50-stündige Ausbildung geboten, die für die Arbeit mit dem Konzept qualifizieren soll und mit einem Zertifikat abgeschlossen wird.
Eltern-Kind-Gruppen werden nicht selten auch von Familienbildungsstätten und Kirchengemeinden angeboten. Hier dürften neben den musikpädagogischen Zielen auch die Stärkung der Familien bzw. pastorale Ausrichtungen leitend sein. Nicht wenige Kirchengemeinden haben darüber hinaus Kurse der Musikalischen Früherziehung im Programm, die von ihnen getragen und in ihren Räumen durchgeführt werden. Schließlich organisieren ebenfalls zahlreiche Musikvereine Eltern-Kind-Gruppen und Musikalische Früherziehung in eigener Regie.
Neben den genannten Gruppen richten sich mittlerweile auch die Angebote zahlreicher Konzertveranstalter, deren Education-Programme in den letzten Jahren zunehmend ausgebaut und für unterschiedliche Altersgruppen geöffnet wurden, speziell auch an Kinder unter sechs Jahren. Dies reicht von der musikpädagogisch gestalteten Kinderbetreuung während des Konzertbesuchs der Eltern bis hin zu Konzerten, die bereits von Kleinkindern oder Vorschulkindern besucht werden können oder speziell auf sie zugeschnitten sind. Daneben finden sich auch Konzerte, die sich an Eltern und Babys richten. Den Babys wird hiermit die Gelegenheit geboten, Live-Musik zu erleben und frei darauf zu reagieren; gleichzeitig eröffnet dies Eltern die Möglichkeit, ein Konzert zu besuchen, ohne sich um eine eigene Betreuung für ihr Kind kümmern zu müssen.
Fazit
Insgesamt findet sich ein reiches Spektrum an musikpädagogischen Angeboten, die von jungen Kindern wahrgenommen werden können. Dass solche Angebote tatsächlich vermehrt vorgehalten und genutzt werden, zeigt deutlich die positive Einschätzung der Bedeutung früher musikalischer Bildung in der Gesellschaft. Da die Initiative für den Besuch von freiwilligen Kursen verschiedener Träger stets vom Interesse der Eltern abhängt und da sich nicht zuletzt auch die Dichte der Angebote je nach Einzugsgebiet unterscheidet, ist die Förderung des Umgangs mit Musik in Tageseinrichtungen für Kinder nach wie vor ein wichtiges musikpädagogisches sowie kultur- und sozialpolitisches Ziel. Vielversprechend erscheinen vor diesem Hintergrund fundierte Kooperationen zwischen Tageseinrichtungen für Kinder und Musikschulen bzw. musikpädagogischen Fachkräften.