Forschendes Theater mit den Jüngsten. Eine evaluative Studie des Projekts TUKI ForscherTheater
Zusammenfassung der Masterarbeit im Studiengang Praxisforschung in Sozialer Arbeit und Pädagogik an der Alice Salomon Hochschule Berlin bei Prof. Johanna Kaiser.
Praxisforschung und forschende Praxis im ForscherTheater
Wie kann forschendes Theater mit den Jüngsten gelingen, und was entsteht dabei? Das Berliner Kooperationsprogramm TUKI (Theater und Kita) wagt sich mit dem Modellprojekt TUKI ForscherTheater auf diese Entdeckungsreise. Dazu wurden drei Trios aus je einem Theaterhaus, einer Kita sowie einem Sozialraumpartner formiert. Im Zentrum des Projekts arbeiten jeweils zwei Theaterschaffende gemeinsam regelmäßig und kontinuierlich mit einer festen Gruppe von Kindern im Alter von drei bis fünf Jahren in einer Kita an Fragen aus der Lebenswelt der Kinder. Eine Zusammenarbeit mit Sozialraumpartnern im Kiez, Exkursionen sowie der Einbezug thematischer ExpertInnen erweitern als weitere Projektbausteine den Lebensradius der Kinder. In interaktiven Präsentationen der Forschungsfragen und –ergebnisse werden zudem Eltern und weitere Kinder erreicht.
Diese neuartigen Kooperationsstrukturen führen auch zu neu akzentuierten Verbindungen frühpädagogischer, theaterästhetischer und forschend-wissenschaftstheoretischer Perspektiven. Daher lautet die Kernfrage dieser Arbeit: Wie kommen forschende, ästhetische und pädagogische Verfahrensweisen und Konzepte im Projekt zusammen?
Über eine literaturbasierte und ethnographisch verfasste Darstellung dieser drei Perspektiven im Projekt hinausgehend, schließt die Thesis eine formative Evaluation ein, um einen Zwischenstand der Projektentwicklung nach Abschluss des zweiten von drei Projektjahren abzubilden sowie erste Gelingensbedingungen aufzuzeigen. Die wissenschaftliche Begleitung in ihrer Evaluationsfunktion wird im Rahmen des Pilotprojekts ForscherTheater für drei Jahre durch die Robert Bosch Stiftung finanziert; die Verfasserin dieser Arbeit ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts unter der wissenschaftlichen Leitung von Professorin Johanna Kaiser an der Alice Salomon Hochschule Berlin.
Wie hier deutlich wird, erfüllt die Arbeit mehrere Funktionen (Fundierung, Dokumentation, Evaluation) und bringt Forschungsinteressen verschiedener AkteurInnen zusammen. Diese Platzierung im Feld, zu dessen Entwicklung sie einen Beitrag leistet, kennzeichnet sie als Praxisforschung. Eine fundiert forschende Orientierung wird dabei durch entsprechenden Theorie- und Methodenbezug gewährleistet. Die Studie ist darüber hinaus Teil des Systems Wissenschaft, indem sie sich auf den Forschungsstand bezieht und einen Beitrag dazu leistet (vgl. Lambach 2010:27f.).
Zur vielschichtigen Bearbeitung der Forschungsfrage wurde ein triangulierendes Design entwickelt. Erstens fungierte die Methode der teilnehmenden Beobachtung (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2010:63, Geertz 1987) als zentrales Instrument, um das Projekt zu erkunden und Perspektiven aller AkteurInnen in seine Betrachtung einzubeziehen. Zweitens erlaubten Gruppendiskussionen der KooperationspartnerInnen untereinander einen interdisziplinären, themenzentrierten Austausch der Professionellen in den Realgruppen ihrer Zusammenarbeit (Bortz & Döring 2006:319f.). Drittens richteten leitfadengestützte ExpertInneninterviews (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2010:131ff.) den Blick detaillierter auf einzelne berufliche Perspektiven. Schließlich wurden Logbücher, durch das Leitungsteam für die Theaterschaffenden als episodische Fragebögen prozessbegleitend entworfen, in die Auswertung einbezogen (Kunz 2015). Sie stellen eine detaillierte Reflexion der Theaterschaffenden hinsichtlich des Arbeitsprozesses dar. Um aus dem vielfältigen Material ein stimmiges Bild zu formen, das eine dichte Beschreibung sowohl der Beobachtungen als auch der Relevanzstrukturen der AkteurInnen zeigt, erfolgte die Auswertung konsequent mit qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring 2015, ergänzend Kuckartz 2016).
Forschendes Theater mit den Jüngsten
Immanentes Ziel forschenden Theaters in sozialen Feldern ist die Beteiligung aller an der Wissensgemeinschaft. Weltaneignung wird als forschendes und ästhetisches Handeln verstanden, dem im Rahmen forschender Theaterprojekte Raum, Gemeinschaft und Mittel zur Verfügung stehen (vgl. Peters 2007:5).
Wesentliche Bezugspunkte bilden dabei zunächst nicht natur- oder geisteswissenschaftliche, sondern ästhetische (Jansen 2012) und künstlerische Forschung (Badura 2012). Ziel der Forschungsprozesse ist demnach nicht Wissensvermittlung, sondern das bei der eigenen Neugier und im Staunen beginnende Entdecken der Welt mit den Mitteln der Kunst, welche als Werkzeuge dazu erfahrbar werden. Es geht nicht nur um die Darstellung von Rechercheergebnissen mit den Mitteln des Theaters, sondern zentral um einen theaterästhetischen Weg zur Erkenntnis; Präsentation und Erkenntnisprozess sind nicht scharf trennbar (vgl. Peters 2012).
Im Theater mit den Jüngsten trifft diese Orientierung auf eine oft bereits partizipative Grundstruktur; Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass das kleine Kind erst „als Gegenüber“ (Domrös 2015) wirklich mit den Mitteln des Theaters erreicht wird. Entsprechend der Wahrnehmungsweise von Kindern, für die die Disziplinen der Kunst, Wissenschaft und Philosophie ein (noch) ungeteiltes Ganzes bilden, sind darüber hinaus Übergänge zwischen verschiedenen Genres oft fließend und ist Verbalsprache selten dominant (vgl. Taube 2009:94).
Handelt es sich um Kooperationsprojekte zwischen Theater und Kindertagesstätte, ist Theater mit den Jüngsten in einem potentiellen berufspolitischen Spannungsfeld zwischen künstlerisch-individuellen Zielsetzungen und dem spezifischen Bildungsanspruch der Kita angesiedelt. Um dieses Feld für eine produktive Ergänzung zu nutzen, hat sich eine kontinuierliche, balancierte Verständigung zwischen den Berufsgruppen als wesentlich erwiesen (vgl. Winderlich 2009:70f.).
Frühpädagogische Perspektiven
Aus frühpädagogischer Perspektive betonen die professionellen AkteurInnen im Gespräch über das ForscherTheater den ohnehin forschenden Charakter kindlicher Weltaneignung und sehen die erwachsenen Bezugspersonen in der Rolle von Lernbegleitenden. Ihre Ausführungen erweisen sich als ausgesprochen anschlussfähig sowohl an die oben dargelegte Zielsetzung forschenden Theaters als auch an das Kindheitsbild der Reggio-Pädagogik: Das Kind wird darin als „eifriger Forscher“ (Ringenauber 2009:17) begriffen und als fähig erachtet, bereits im Kleinkindalter eigene Theorien über das Wesen der Welt zu entwickeln. PädagogInnen unterstützen es dabei, mittels der „hundert Sprachen“ (Ebd.:19) - einschließlich jenen der Künste – zur Welt in ausdrucksvolle Beziehung zu treten.
Im Rahmen eines Kennenlernprozesses werden die Theaterschaffenden nach und nach von den Kindern als forschende Bezugspersonen wahrgenommen, d.h. ihre Ankunft ist mit der Erwartung des Experimentierens verknüpft, und sie werden innerhalb dieses Settings als Vertraute angesprochen. Zur Entwicklung einer stimmigen Kommunikation befinden sie sich auf der Suche nach einer Sprache, welche das Kind erreicht und in seinen Veräußerungen wertschätzend spiegelt. Es ist viel Zeit notwendig, um es bei längeren, ästhetisch-technisch-explorativen Erfahrungsprozessen zu begleiten. Dies ist eine typische Erfahrung Theaterschaffender im Kontext Kita, die Juliane Steinmann (2015:24) mit dem Begriff der „Eigenzeitlichkeit“ beschreibt. Im ForscherTheater erweist sich dies allerdings als besonders anspruchsvoll, da Versuchsaufbauten zahlreiche Explorationsprozesse hinsichtlich der Gebrauchsweisen von Dingen einschließen.
Das Projekt ist wechselseitig in die Strukturen der Kita eingebunden: Erstens hilft es den Kindern, vertraute Rituale und Elemente darin wiederzufinden; dazu zählen auch ästhetische Praxen. Zweitens gewährleisten FrühpädagogInnen eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Themen des ForscherTheaters und können darüber gemeinsam mit den Theaterschaffenden reflektieren. Für letztere ist ein Austausch besonders wertvoll, da er erstens das Nachwirken der Aktivitäten in den Alltag der Kinder und zweitens deren spezifische Interessen sichtbar macht. Bisweilen wirkt das Projekt durch theatrale Interventionen oder indem PädagogInnen weiterer Kitagruppen selbstständig thematisch passende Angebote umsetzen auch noch tiefer in die Kita hinein.
Lebensweltorientierung ist mit dem Situationsansatz (Heller 2013) in der Projektkonzeption verankert. Praktische Umsetzung findet sie in Form des Bezugs von Forschungsfragen zum Alltag der Kinder, des Einbezugs der Eltern bei Präsentationen sowie der Kooperation mit Sozialraumpartnern. Letztere führt ganz konkret zu einem (für einige Kinder) bewusster gestalteten Übergang von Kita zu Schule (Sozialraumpartner Grundschule), zur punktuellen Teilhabe weiterer Personenkreise im Stadtteil an kultureller Bildung (Familienzentrum) sowie zu neuen, auf kultureller Bildung basierenden Kooperationsstrukturen zwischen Institutionen. Darüber hinaus können Kita und Partnerorganisation sich gegenseitig ganz praktisch in ihren Ressourcen (u.a. Raum) ergänzen und so das Projekt auf sicherere Füße stellen.
Theaterästhetische Perspektiven
In den drei Trios finden vielfältige Suchbewegungen zum Einsatz theaterästhetischer Mittel statt, wobei sich insbesondere postdramatische Theaterzeichen als geeignet erwiesen haben. Dies korrespondiert grundsätzlich mit anderweitigen Erfahrungen im Theater mit den Jüngsten (vgl. Domrös 2015:35), zeigt sich im ForscherTheater jedoch als noch stärkere Tendenz, die im Folgenden ausgeführt wird.
Textgrundlagen und Medienbezüge, die im Theater mit den Jüngsten oft durch Referenzen auf Kinderbücher hergestellt werden, bestehen im ForscherTheater zunächst nicht. Stattdessen tritt eine Auseinandersetzung mit Alltagsthemen (z.B. Kuchen backen) und Phänomenen (z.B. Schatten) in den Vordergrund und treten ausgestaltete Fantasiewelten dahinter tendenziell zurück. Letzteres wird von Theaterschaffenden teils als Einschränkung erlebt, wenn sie den Eindruck haben, Geschichten vermeiden zu müssen; ihre Reaktion erinnert an die von Hans-Thies Lehmann (2015:172) formulierte „Enttäuschung“, die das postdramatische Theater bisweilen durch eine „Erfahrung des Realen, [und] das Ausbleiben fiktiver Illusionierungen“ auslöst. Nach längerer Zusammenarbeit einer ForscherTheater-Gruppe kann aber auch ein Zustand erreicht werden, in dem phänomenologische Auseinandersetzung mit ästhetischer Forschung und den Mitteln der Fiktion mühelos ineinanderfließt.
Mit der Erforschung von Material und Phänomen korrespondiert die Hervorhebung einzelner theatraler Mittel (Weiler 2014:265). Oft ist es ein Geräusch oder ein Ding, das die ganze Aufmerksamkeit der Kinder bindet und zu einer intensiven Auseinandersetzung mittels Explorationsspiel führt.
Die vielseitige Verwendung von Material im ForscherTheater verdeutlicht dies. Bislang war insbesondere die Verwendung von dokumentarischem sowie von Alltagsmaterial zu beobachten. Ersteres – z.B. die Audioaufnahme eines NASA-Raketenstarts beim Thema Fliegen - erweckt das Interesse vieler Kinder, indem es einen abenteuerlichen Teil der Erwachsenenwelt in ihre Reichweite rückt.
Die Eingabe von Alltagsmaterial (z.B. Papier) kann Spielanlässe öffnen und Forschungsinteressen der Kinder offenbaren. Dabei waren vielfältige Umgangsweisen der Kinder zu beobachten, u.a. die Verwandlung und das entsprechende Bespielen des Materials, Konstruktionsspiel sowie die physikalische Exploration seiner Eigenschaften (Fallen Lassen, Hochpusten etc.). Es obliegt den Theaterschaffenden, diese Tätigkeiten, die oft schon „Spaziergänge im ästhetischen Feld“ (Kämpf-Jansen 2012:48) bilden, ins Theatrale zu übersetzen: Mit der Neubesetzung des Dinges kann eine objekttheatrale Auseinandersetzung beginnen (vgl. Meyer-Drawe 2015:30) und Konstruktionen können zu Kulissen und Experimentalaufbauten der forschenden Gemeinschaft werden.
Gegenüber der Postdramatik im Theater mit den Jüngsten lässt sich einwenden, dass es eher „prädramatisch“ (Biedermann 2010:92) ist insofern, als dass sich viele der typischen Theaterzeichen (u.a. Rollenverständnis, Genreoffenheit, Non-Hierarchie) schlicht aus der Wahrnehmungsweise kleiner Kinder ergeben. Dies verweist gleichsam auf die zentrale Bedeutung einer kundigen Begleitung durch die Theaterschaffenden im oben beschriebenen Sinne, die gewährleistet, dass das gemeinsame Spiel tatsächlich zur Weltaneignung mit den Mitteln des Theaters gerät. (Zum Theater mit den Jüngsten siehe auch: Romi Domkowsky „Theater mit den Jüngsten – zwischen Kunst und Frühpädagogik")
Als zentrale, komplementäre theaterästhetische Kategorien lassen sich dabei der „Einbruch des Realen“ (Lehmann 2015:170) und die Verkörperung der These (vgl. Peters 2007:14) formulieren: Einerseits bricht das Reale in Gestalt der Naturphänomene in das Theater mit den Jüngsten ein und beraubt es ein Stück weit seiner fantastischen, „schönen“ Räume. Andererseits gilt es, mit Blick auf dieses Reale Thesen, Ideen, Theorien zu formulieren (oder zu fabulieren) sowie im Hinblick auf ihre möglichen Konsequenzen zu verkörpern, die durchaus fantastisch sein können. Diese Verkörperung zeigt sich als forschende Praxis in Form des Experimentierens.
Forschende Perspektiven
Das Konzept des Projektes sieht zunächst vor, dass die Theaterschaffenden im Rahmen von Beobachtung und gemeinsamem Spiel lebensweltlich verortete Fragen aus dem Interesse der Kinder ableiten. Diese übergeordneten Fragen sollen kaskadenhaft in vertiefende Unterfragen führen und so die Forschungswege der Gruppe verbreitern.
In der Praxis verlaufen Forschungsprozesse weniger linear: Am vielfältigen und wechselhaften Interesse der Jüngsten orientiert, werden Fragen eher assoziativ innerhalb von Themenfeldern formuliert, etwa „Was macht unsere Stimme lauter oder leiser? -> Wo sitzt unsere Stimme? -> Wie klingt sie?“. Weitere Forschungsfragen aus dem letzten Projektjahr waren u.a. „Wie entsteht ein Schatten?“ und „Wie kann man fliegen ohne Nichts?“.
Hier fällt auf, dass die Fragen tendenziell Phänomene betreffen, die naturwissenschaftlich erklärt werden können. Dies ist einerseits in Richtungsweisungen auf Projektleitungsebene begründet, andererseits aber auch anhand wirkmächtiger Repräsentationen der Naturwissenschaften im Kontext „Forschung“ erklärbar: Labor, Kittel, Brille und Experiment sind rasche Assoziationen, die sich gut performativ umsetzen lassen.
Die Forschungspraxis der Gruppen beinhaltet entsprechend häufig experimentelle Versuchsaufbauten, in denen Hypothesen der Kinder falsifiziert werden: Auf verschiedensten Wegen wird versucht, Papier verschwinden zu lassen (verbrennen, wegwerfen, wegzaubern), und der gemeinsame Bau einer Lautkiste erlaubt es, zu erproben, ob ein Schrei darin wirklich lauter ist als außerhalb. Alle Experimente erlauben fantastische Deutungen und finden auf der Grenze zwischen Fantasie und Realität statt; sie tendieren jedoch unterschiedlich weit in eine dieser beiden Richtungen. Direkter theatral wird es etwa beim Thema „Fliegen ohne Nichts“, wenn der Flug mit einem selbst konstruierten Forschungslabor Erkundungsspaziergänge auf verschiedenen Planeten erlaubt.
Um in diesem Setting einen kontinuierlichen Forschungsprozess zu gewährleisten, erkunden Theaterschaffende Möglichkeiten kindgerechter Dokumentation. Bisher haben sich dabei bewährt: Das Nachspielen und Zeigen der Kinder, Audio-Aufnahmen, die Hörspielen ähneln, gemeinsame Konstruktionen wieder bespielbarer Kulissen und Experimentalaufbauten sowie die Darstellung von Forschungsergebnissen als begeh- und bespielbare Ausstellungen.
Das Forschen im ForscherTheater kann mit aktuellen Bildungstheorien als aktiver und kooperativer Konstruktionsprozess von Wissen verstanden werden (Schäfer/von der Beek 2013:96,105). Dieser beginnt hier bereits mit der Zusammenkunft der Gruppe als forschende Gemeinschaft und wird besonders plastisch, wenn durch die Beteiligung der Eltern verschiedene Altersgruppen mit unterschiedlichen Formen des Wissens und der Welterkundung aktiv forschend als „epistemische Versammlung“ (Peters 2014:218) zusammenkommen. Hier sind deutliche Rollenverschiebungen wahrzunehmen, wenn etwa Kinder, die mit den Mitteln des Theaters nach einer Zeit oft vertrauter sind als Eltern, diesen das theatrale Laborieren stolz zeigen, während ein Teil der Erwachsenen es sehr genießt, zum Spielen legitimiert zu sein. Diese Situation beinhaltet das Aufbrechen gewohnter Hierarchien und Positionen einschließlich Phasen entsprechender Unsicherheit und Zaghaftigkeit; sie lässt sich auch als Erfahrung der Liminalität begreifen, in der sich die Beteiligten vorübergehend „ohne feste Position, ohne verlässliche Beziehungen“ (Warstat 2014:197) wiederfinden.
In ihrem Ethos sind die Bezugspunkte des Forschens seitens der Theaterschaffenden sowie des Leitungsteams eindeutig künstlerisch: Präsentation und Erkenntnisweg sind nicht eindeutig zu trennen, richtig und falsch stehen als Kategorien nicht im Vordergrund, die Forschung ist prozessorientiert und zielt stets auf die Einbindung der theaterästhetischen Mittel von Beginn an. Insofern ist ForscherTheater deutlich von forschendem Lernen im Rahmen frühkindlicher MINT-Bildung zu unterscheiden; die Performance, das eigentliche Spiel, wirkt aber oft naturwissenschaftlich (Falsifizieren, Beobachten, Messen). Auch wird sozusagen nebenbei deklaratives (Fakten-)Wissen mitgeneriert, ohne im Vordergrund zu stehen; der Zielsetzung entsprechen eher Formen künstlerischen und habituellen Wissens.
Mit dieser Form der Forschungsperformanz, in der Formen des Wissens, die üblicherweise sorgfältig durch diskursive Grenzen getrennt sind, anhand einer spielerischen Präsentation mit naturwissenschaftlichen Elementen zusammenkommen, weicht ForscherTheater von weiterer ästhetischer Forschung ab; dort werden Fragen tendenziell so gestellt, dass sie nicht mit anderen Mitteln als denen der Kunst zu beantworten sind (vgl. Leuschner 2012:3). Es zeigt sich jedoch, dass auch Fragen, für die ein Lexikon Erklärungen anzubieten hat, im Forschen mit den Jüngsten zu neuen und überraschenden Antworten führen. Nachdem zur Arbeit mit der Frage „Wo [im Körper] sitzt die Stimme?“ eine Gruppe von Kindern die Stimme mit bunten Stiften auf zuvor vorbereitete Umrisse ihrer Körper gemalt hat, erklären sie jeweils ihre Bilder:
- „M.: Die Stimme ist im Fuß - im Hausschuh. Die Stimme ist im Po. Die Stimme singt im Kopf wie Elsa.“
- „K: Die kommt von da und […] sitzt da drinne. Nachfrage: „Da sitzt einer drinne? Wer sitzt da drinne? K: Ich“
Partizipation
Ein zentraler Baustein des Projekts ist Partizipation. Für die Frühpädagogik verweist dieser Begriff auf eine Beteiligung der Kinder an realen Entscheidungen, die Alltag und Umfeld betreffen können (vgl. Hansen et al 2011:19ff.). Im Theater liegt der Fokus stärker auf der Prozessualität des gemeinsamen Schaffens als auf der unmittelbaren Konsequenz der Entscheidung (vgl. Czirak 2014:242); Ziel ist die Gestaltung eines Kooperationsprozesses. Gleichsam ist theatrales Schaffen, zielt es auf eine Aufführung, eigenen strukturellen Notwendigkeiten unterworfen.Die Theaterschaffenden und frühpädagogische Fachkräfte im ForscherTheater zeigen in ihrem Austausch ein nicht grundlegend verschiedenes, aber entsprechend anders akzentuiertes Verständnis. Aus beiden Perspektiven wird Partizipation als grundlegende, nicht wegzudenkende Konstante des Projekts und eine wertschätzende Haltung als deren Basis verstanden. Ferner werten beide Berufsgruppen Selbstwirksamkeitserfahrungen seitens der Kinder als Gewinn partizipativer Arbeitsweisen. Während FrühpädagogInnen am Projekt insbesondere die Möglichkeit der Kinder hervorheben, freier eigene Entscheidungen treffen zu können als im Kita-Alltag, steht für Theaterschaffende eine wertschätzende Anerkennung und Spiegelung der Veräußerungen des Kindes im Vordergrund. (Hierzu siehe auch: Juliane Steinmann „Gewünschte Fremdheit: KünstlerInnen in die Kita. >> Kinder, KünstlerInnen, ErzieherInnen und Eltern begegnen sich beim Berliner Projekt TUKI – Theater und Kita")
Direkt partizipativ sind im ForscherTheater Präsentationen, bei denen Experimente aus dem Verlauf des Forschungsprozesses mit Beteiligung von Eltern und Kindern weiterentwickelt werden. Auch wurde beobachtet, dass Kinder, wenn sie mit dem Medium Bühne vertraut werden, spielerisch zwischen den Rollen der SpielerInnen und des Publikums wechseln.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist das Aufgreifen von Fragen aus der Lebenswelt der Kinder. Mitzudenken, inwiefern Themen der Kinder auch im eigenen Selbst etwas anstoßen und wie diese Resonanz produktiv zu nutzen ist (Schäfer/von der Beek 2013:109), erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion.
Damit reale Möglichkeiten der Mitgestaltung angeboten werden können, müssen Prozesse zudem in einem gewissen Umfang ergebnisoffen sein. Es hat sich bewährt, Themen nicht zu schnell festzulegen und Richtungsänderungen zuzulassen. Realistische Wahlmöglichkeiten beinhalten dann auch die Option der Nicht-Teilnahme, die in den beteiligten Kitas in verschiedenem Maße gegeben bzw. unterschiedlich leicht strukturell umzusetzen ist.
Zwischenbilanz: ForscherTheater im dritten Projektjahr
Allzu Projektspezifisches, u.a. Modifikationen der konkreten strukturellen Bedingungen betreffend, wird hier zugunsten übergreifender Elemente des ForscherTheaters ausgespart. Es kann an anderer Stelle nachgelesen werden (vgl. Kaiser & Milbert 2016).
Im Vergleich zu nicht explizit forschendem Theater mit den Jüngsten beschreiben künstlerische Leitung sowie beteiligte Theaterschaffende, dass das Projekt weniger stark in Ästhetiken und deutlicher in Themen zentriert ist. Der Einbezug von ExpertInnen und Exkursionen fügt ferner eine besonders bedeutsame Recherchekomponente hinzu. Eine weitere Besonderheit besteht im hohen Stellenwert von Reflexion und Dokumentation.
Im Kontrast zu forschendem Theater mit älteren Kindern steht ForscherTheater insbesondere hinsichtlich der oben genannten Relevanz und des zeitlichen Umfangs von Explorationsspiel. Ein weiterer, jedoch zentraler Unterschied zur Arbeit im Kontext Schule zeigt sich in Gestalt einer großen gestalterischen Freiheit: Der Kita-Alltag kennt noch keinen Leistungsbezug, keine Benotung, keinen Fächerkanon.
Im Sprechen über Themen und Experimente wird leicht vergessen, was die Forschungsgemeinschaften eigentlich zusammenhält: Die von einer Theaterschaffenden als „Forschungsspaß“ bezeichnete Freude der Kinder
- am Erkunden des Ungewohnten, Verbotenen (z.B. Feuer, Schreien, Dunkelheit),
- an der Wertschätzung, die sie für ihre veräußerten Theorien und ästhetischen Produkte erhalten,
- am gemeinsamen Assoziieren und der kooperativen Entwicklung neuer Versuche und Theorien,
- an ästhetischen Erlebnissen, die aus dem geteilten Moment mit Unterstützung der KünstlerInnen hervorgehen,
- an ungewöhnlichen, überraschenden Sinnesreizen und Bedeutungserweiterungen im Umgang mit Material sowie bisweilen
- am „erwachsenen“ Erkundungen mit nicht kindgerechtem, authentischem Material.
Diese einzelnen Punkte sind nicht exklusiv mittels forschenden Theaters umzusetzen. Besonders das Zusammenkommen von 2., 3. und 4. kennzeichnet jedoch typische ForscherTheater-Situationen.
Als wesentlich für das Gelingen hat sich u.a. eine enge Kooperation mit den FrühpädagogInnen der Kitas herausgestellt. Sie gewährleisten einen vertrauten und sicheren Rahmen für die Kinder und können als Schnittstelle zwischen Theaterschaffenden und Kita fungieren. Das Gelingen einer konstruktiven Zusammenarbeit ist wesentlich auch davon abhängig, ob die Fachkräfte ein eigenes, professionelles Interesse an Theater hegen und beide Seiten für eine langfristige Kooperation zur Verfügung stehen. Erst mit diesen Voraussetzungen kann sich die Kooperation auch in Form einer gemeinsamen, interdisziplinären Planungs- und Reflexionsebene verfestigen.
Ausblick
Insgesamt zeigt sich das Projekt als ausgesprochen dynamischer, von unterschiedlichen Interessenslagen und allseits starkem Engagement geprägter Organismus, in dem letztlich auf allen Ebenen geforscht wird: an den Forschungsinteressen der Kinder, den Beteiligungsmöglichkeiten der Eltern, der Erweiterung des kindlichen Lebensradius, an einer Intensivierung der Kooperation der Berufsgruppen, an der Entwicklung der eigenen, neu akzentuierten professionellen Rolle, um nur einige zu nennen.
Die wissenschaftliche Begleitforschung ist von diesen Suchbewegungen keineswegs ausgeschlossen; im Gegenteil bieten sich zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten, bisherige Ergebnisse weiterzudenken. Um zwei Fragen herauszugreifen:
- Welchen Einfluss hat das Modellprojekt ForscherTheater auf die Arbeit der beteiligten Kooperationspartner (Theaterhäuser, Kitas, Sozialraumpartner)?
- Welche Formen des Wissens (abseits von deklarativem und prozeduralem Wissen) werden im ForscherTheater generiert?
Das Forschen der Jüngsten im Hinblick auf diese Themenfelder zu betrachten und zu diskutieren, stellt sich als interessantes Forschungsfeld dar, denn es verweist in relatives Neuland und damit auf die Notwendigkeit einer breiter angelegten Forschung.