Breaking lernen – ein Beitrag zur kulturellen (Selbst-)Bildung

Artikel-Metadaten

von Michael Rappe, Christine Stöger

Erscheinungsjahr: 2024

Peer Reviewed

Abstract

Breaking ist als Teil der Hip Hop-Kultur seit den 60er Jahren in den USA und seit den 80er Jahren auch in Deutschland eine lebendige Tanzkultur. Der Text beschreibt die Ursprünge und die Entwicklung dieser Tanzpraxis und gibt im Anschluss einen Einblick in die besondere Form einer im informellen Raum entstandenen, in hohem Maße selbstregulierenden Lernkultur.

Der Tanz Breaking ist Teil der Hip Hop-Kultur und als solcher eingewoben in ein Feld kultureller Praktiken, das den Akteur*innen eine Vielzahl an künstlerisch-kreativen Ausdrucksmöglichkeiten verschafft. Diese werden einerseits immer wieder mit Ideen von Befreiung und individueller und sozialer Stärkung verbunden, andererseits prägen auch Gewaltverherrlichung und Formen der Diskriminierung die Kultur. Der folgende Text fokussiert die Potenziale Kultureller Bildung am Beispiel des Breaking, wie sie zunehmend auch in der Forschung bemerkt und beobachtet werden, ohne diese Spannung aus dem Blick zu verlieren.

Die besondere Schwierigkeit der Beschreibung einer Tanzkultur, die im informellen Raum entstanden ist und sich bis heute trotz zunehmender Institutionalisierung immer noch dort verortet, deren Wissen in Communities mit jeder Tanzperformance geteilt und erneuert wird und deren Praktiken gleichzeitig hoch medialisiert präsent sind, stellt eine Herausforderung für einen forschenden Zugang dar. Dies beginnt schon bei den Bezeichnungen. Im Folgenden werden die Tänzer*innen als B-Boys und B-Girls bezeichnet. Dies ist innerhalb der Tanzszene geläufig. Für die Tanzform selbst wird häufig der Begriff B-Boying verwendet, der aber die Tänzerinnen ausschließt. So soll im Folgenden die intern ebenfalls gängige Bezeichnung Breaking genutzt werden, da der in der Öffentlichkeit viel gebräuchlichere Begriff Breakdance von den Protagonist*innen selbst als Ausdruck für die Kommerzialisierung des Tanzes und als stilnivellierend eingeschätzt wird. Der Text führt zunächst in die Tanzkultur Breaking als Teildisziplin des Hip Hop ein und widmet sich anschließend der Beschreibung von Bildungszielen und -prozessen im Breaking.

Hip Hop als kultureller Kontext der Tanzkultur Breaking

Ein großer Teil der kulturellen Techniken des Hip Hop entwickelte sich in New York und dort in dem Stadtteil South Bronx. Nach der Literaturwissenschaftlerin Tricia Rose hatte dabei eine bereits Ende der 1950er Jahre einsetzende städteplanerische Entwicklung großen Einfluss auf die Entstehung dieser Kultur. Die städtebaulichen Veränderungen führten zu massiven sozialen und ökonomischen Umwälzungen innerhalb der South Bronx. Besonders ausschlaggebend hierfür war der 1959 begonnene Bau von Umgehungsstraßen, wie z.B. jener des Cross Bronx Expressway, einer sechsspurigen Autobahn, die mitten durch die Bronx gebaut wurde und damit den Süden vom Rest der Bronx abschnitt. In der Folge wurden über 60.000 Wohnungen zerstört und die demographischen Lage veränderte sich drastisch. So zogen viele Familien der Mittelschicht aus der South Bronx an den Stadtrand New Yorks, da ihre Arbeitsplätze durch die neuen Verkehrswege so einfacher zu erreichen waren (Rose 1994:31-32, 1997:142-156).

Parallel stieg durch die einsetzende wirtschaftliche Rezession die Arbeitslosenquote in den USA und schuf zunehmend eine wirtschaftlich prekäre Situation für viele US-Amerikaner*innen. Die South Bronx entwickelte sich im Laufe der 1960er Jahre zu einem inner-city-Getto, das vor allem von Afroamerikaner*innen, von Einwander*innen der Westindischen Inseln sowie Puertoricaner*innen bewohnt wurde und bis heute wird. Durch die Arbeits- und Perspektivlosigkeit und die Gettoisierung stieg die Zahl der Alkohol- und Drogenkonsument*innen. Dies führte wiederum dazu, dass nicht nur das soziale Umfeld gut funktionierender Nachbarschaften, sondern auch bis dahin lebendige Familienstrukturen zerstört wurden (Ahearn/Fricke 2002:viii). In der Folge vergrößerte sich der Einfluss von Straßengangs innerhalb der South Bronx. Viele Jugendliche schlossen sich in der Hoffnung auf Halt und Anerkennung solchen Gruppen an. Statt dem Bandenwesen Einhalt zu gebieten, zog sich die Polizei aus weiten Teilen dieses Stadtteils zurück. Diesen Missstand machten sich die Gangs zunutze und teilten den Bezirk durch Kämpfe unter sich auf (Chang 2005).

Nach heftigen Auseinandersetzungen mit mehreren Toten herrschte Anfang der 1970er Jahre für kurze Zeit Frieden zwischen rivalisierenden Gangs. Dadurch entstand eine Situation, in der ehemalige Gang-Mitglieder ihre gewalttätigen Auseinandersetzungen in symbolische (Wett- )Kämpfe transformierten (Chang 2005:50). In dieser Atmosphäre von Anerkennung durch Wettbewerb und symbolischem Kampf sieht der Journalist David Toop den kreativen Motor, durch den sich diverse kulturelle Praktiken innerhalb kürzester Zeit nahezu explosionsartig entwickeln konnten: Graffiti-Künstler*innen versuchten sich mit dem Sprühen an ausgefallenen, verbotenen oder besonders unzugänglichen Orten zu übertreffen; B-Boys und B-Girls traten mit ihren Crews gegeneinander an; Rapper*innen, beziehungsweise MCs bekämpften sich verbal auf der Bühne und das Publikum oder eine Jury entschieden über Sieg oder Niederlage. DJs zeigten ihr Geschick an den Plattentellern auf DJ-Meisterschaften (Toop 1992:167): Bis zum heutigen Tag prägen die Ursprünge in den Gangs die Ästhetik des Hip Hop. Insbesondere das Breaking thematisiert dies durch seine vielfältigen Köperbewegungen, Tanzfiguren und Rituale wohl am deutlichsten (Rappe 2011; Kimminich 2003).

Soziale Missstände, ökonomischer Mangel und der gleichzeitige Versuch, diese schwierigen Rahmenbedingungen durch Kreativität und Erfindungsreichtum zu kompensieren, sind für Rose wesentlich für die Entstehung des Hip Hop. Darüber hinaus wurden in den 1970er Jahren die Etats für Schulmusikprogramme drastisch gekürzt und den Schüler*innen damit der Zugang zu ‚klassischen‘ Instrumenten als Einstieg in das Musizieren erschwert. Dies sei ebenfalls ein wichtiger Grund dafür, dass ‚aufgenommene’ (recorded) Musik als kreative Ausdrucksform so stark an Bedeutung gewann (Rose 1994:34-35).

Der Geograph Christoph Mager weist noch auf eine sozialökonomische Perspektive hin. Anhand dreier zentraler DJs, nämlich Afrika Bambaataa, Kool DJ Herc und Grandmaster Flash lässt sich eine Art Kartierung der Auftrittsbereiche entwickeln. Die Spielorte wurden seit Beginn der 1970er Jahre aufgeteilt und die DJs wetteiferten um ihr Publikum. Vom Abrisshaus bis zur Einladung durch Clubbesitzer*innen lässt sich zunehmende Anerkennung und die Bedeutung ökonomischer Aspekte beobachten. Rund um die DJs entwickelte sich ein Netzwerk von Veranstalter*innen, Labels, Soundsystemtechniker*innen, Promoter*innen, Clubbesitzer*innen, Designer*innen, T-Shirt-Produzent*innen und Manager*innen, die am wachsenden Erfolg partizipierten (Mager 2007:121-122). Noch bevor Hip Hop ab den 1980er Jahren populär zu werden begann, hatte er sich „in lokalen Kontexten von informellen musikökonomischen Geschäftspraktiken hin zu einem formalen Teil der städtischen Kulturökonomie entwickelt“ (Mager 2007:123).

Der Tanzstil Breaking

Breaking entstand in New York Ende der 1960er Jahre mit dem Tanz Good Foot, dessen Name auf den James Brown-Hit Get On The Good Foot zurückgeht. Die Tanzfiguren des Good Foot bestanden in der Hauptsache aus einer Abfolge komplizierter Schrittkombinationen. Inspiriert waren diese von dem gleitenden Tanzstil James Browns, vom Kampfstil Muhammad Alis mit seinen kurzen tänzelnden Schritten und den Kampfbewegungen der in dieser Zeit populär werdenden Martial-Arts-Filme. Zusätzlich (re-)kombinierten die B-Boys und B-Girls ältere populäre Tänze (Jazz Dance, Mambo) und erweiterten sie mit Elementen aus Pop-, Volks- und Alltagskultur. Daneben fanden sich in diesem Tanz bereits erste artistische Bewegungsabfolgen. Die Tänzer*innen ließen sich im Rhythmus der Musik zu Boden fallen (Drop) und schnellten durch Drehbewegungen (Spins) wieder in den Stand. Dies brachte ihnen den Spitznamen boie-oie-oings ein (Holman 1984:36). Daneben entwickelten Ex-Black-Spades-Mitglieder den so genannten Comedy Style, der sich durch komödiantische und pantomimische Elemente, wie etwa den Pinguingang Charly Chaplins, auszeichneten (Rode 2006; Holmann 1984).

Aus diesen frühen Formen gingen die für das B-Boying typischen Tanzfiguren hervor, die nach Toprock-, Uprock- und Downrock-Figuren unterschieden werden (Kimminich 2003). Top- und Uprocks sind individualisierte Tanzschritte, die oftmals die Einleitungssequenz eines Tanzes darstellen und in die provozierende mimische und gestische Elemente integriert sind, um die gegnerischen Tänzer und Tänzerinnen herauszufordern. Durch eine Fallbewegung (Drop) gelangen die Tanzenden auf den Boden, um Downrocks auszuführen. Downrocks sind Tanzbewegungen, bei denen mit aufgestützten Händen komplizierte Schrittfolgen getanzt werden. Diese dienen wiederum als Ausgangspunkt für Back- und Headspins, schnelle Pirouetten auf dem Rücken oder dem Kopf, sowie eine große Anzahl weiterer Powermoves. Diese bestehen aus artistischen Bewegungen, wie z.B. der Windmill, einer „Drehung [...] um die Körperlängsachse mit abwechselndem Bodenkontakt von Schultern, Bauch oder Rücken mit ausgestreckten Beinen“ (Kimminich 2003:31). Ein Tanz endet meist mit einem Freeze. Ein Freeze ist eine Position, in der die Tänzer bzw. Tänzerinnen erstarren. Er ist der individualisierte Abschluss eines Tanzes, dessen abrupt angehaltene ‚Aussagen‘ „auf einen ‚Standpunkt‘ fixiert werden“ (Kimminich 2003:6). Scheinbar ohne jegliche Mühe schließt der oder die Tanzende mit einer schwierigen Figur ab, um absolute Kontrolle zu dokumentieren: über die Situation, den eigenen Körper und über die anderen Tanzenden.

Für das bessere Verständnis dieser (Tanz-)Kultur sind zwei Aspekte hervorzuheben: Zum einen handelt es sich um eine Produzent*innen-Kultur, reine Konsumenten und Konsumentinnen gibt es nicht. Dies gilt in großen Teilen für die gesamte Hip Hop-Kultur und ist nur dort nicht mehr konstituierend, wo Hip Hop als medialisierter Musikstil populär geworden ist. Zum anderen ist die Entwicklung der Musik (DJing und MCing) untrennbar mit der des Tanzes verbunden. Ohne das Breaking hätte sich das Breakbeating als musikalische Grundlage des Hip Hop nicht entwickelt. D.h., die DJs reagierten auf die Tanzenden, folgten diesen in ihren Bewegungen und suchten nach Rhythmen und Sounds, die sie in ihren Aktionen unterstützten. Die Musik musste begeistern und die polyrhythmische Struktur bieten, welche die Tanzenden für ihre komplexen Bewegungen benötigten, anderenfalls wurde sie wieder verworfen oder überarbeitet (Cooper 2004:115; Schloss 2009:152-154; Rappe/Stöger 2023:53-58). Aus den Interaktionen zwischen Tanz und Musik formten sich dabei erst die ästhetischen Parameter des musikalischen Stils Hip Hop (Rappe 2010:115-121). Dieses Wissen um ihre Bedeutung als Träger dieser Kultur ist nach wie vor bei den B-Boys und -Girls vorhanden (Rappe/Stöger 2014:147-148).

Breaking in (West-)Deutschland

Breaking kam, zusammen mit anderen Hip Hop-Tänzen, wie dem Popping und dem Locking, Anfang der 1980er Jahre nach Deutschland: Der Beginn des Tanzes im Besonderen und die Entwicklung der Hip Hop-Kultur im Allgemeinen ist schwer zu fassen. Aus Gesprächen mit Augenzeug*innen und der Literatur entsteht der Eindruck eines Emergierens aus einer Fülle von individualisierten Einzelereignissen, Erfahrungen und Erlebnissen (Robitzky 2000; Güngör/Loh 2002; Krekow/Steiner 2002; Loh/Verlan 2006; Mager 2007; Huck 2018). Dabei lassen sich zwei wesentliche Momente ausmachen, die zu ersten Kontakten mit Breaking führten. Zum einen waren es Begegnungen mit medial verbreiteten Tanzauftritten: Filmausschnitte in Fernsehsendungen und Kinofilmen oder Artikel und Bilder in Zeitschriften. Zum anderen waren es persönliche Begegnungen: mit Protagonist*innen aus den USA oder sonstigen Expert*innen (Rappe/Stöger 2023:76-77, Franke 2023:107-110). Getanzt und gelernt wurde in dieser frühen Phase oftmals in informellen Zusammenhängen wie z. B. Fußgängerzonen oder Straßenunterführungen.

Ab Ende der 1980er Jahre entstanden vor allem in Jugendzentren Orte, die dem Breaking gewidmet wurden und regelmäßige Lehrangebote eröffneten. In diesem Rahmen wurde das kreative, künstlerische, aber auch sozialpädagogische Potenzial gesehen und die einzelnen Disziplinen der Hip Hop-Kultur gefördert. Spezielle Räume wurden eingerichtet, DJ-Equipment zur Verfügung gestellt, Tanzböden verlegt oder die Produktionen von Hip Hop-Tracks unterstützt. Dieser Eintritt der Breaking-Szene in formale Räume erweiterte und stärkte gleichzeitig die informellen Strukturen auf der Straße – eine Förderung, die von den Protagonist*innen der ersten Stunde bis heute wertgeschätzt wird (Vgl. Alla 2015:45; Beckers/Sanders 2008). Hier entwickelte sich die erste Generation von ausdrücklich ‚Lehrenden‘.

Von großer Bedeutung für Breaking wie für die Hip Hop-Kultur generell ist die sich ab Ende der 1980er Jahre entwickelnde Veranstaltungsform der Jam, die meist alle Disziplinen des Hip Hop (B-Boying, Rapping, DJing und Graffiti) zusammenführte. Auf diesen Jams versammelten sich regelmäßig große Teile der Tanzszene Europas, um in einen intensiven Austausch zu treten. Hier fanden legendäre Battles statt, die zu einem wichtigen Teil des kulturkonstituierenden Narrativs der (Tanz-)Kultur wurden (Robitzky 2000:57-58; http://www.spartanicrockers.com/hip-hop-culture/switzerland/). Bis Ende der 1980er- und Anfang der 1990er Jahre waren Hip Hop-Jams die zentralen Orte der langsam wachsenden Hip Hop-Gemeinschaft. Eine Diversifizierung in reine Tanz-, Rap- oder DJ-Veranstaltungen fand erst ab den 1990er Jahren statt. Für den Tanz ist vor allem die von dem B-Boy Thomas Hergenröther gegründete Veranstaltung Battle Of The Year (BOTY) zu nennen, die ab 1991 zu einem der größten internationalen Tanzevents avancierte (Hergenröther/Klabe 2009).

Mit dem Aufkommen von Special Interest-Sendungen auf MTV (Yo!MTV Raps) und VIVA (Freestyle), die die kulturellen Praxen des Hip Hop thematisierten, der Möglichkeit mittels erschwinglich gewordener VHS-Kameras und -Rekorder die neuesten Tanzbewegungen aufzunehmen und damit im Detail besser wahrzunehmen und zu lernen, aber auch durch eigene Recherchen deutscher Tänzer*innen in den USA, fundierte sich ab Anfang der 1990er Jahre das Wissen um die Tanztechniken, die Bezeichnung für einzelne Tanzfiguren und die kulturelle Bedeutung des Tanzes. Verbunden mit dem unabhängigen Aufbau eigener Veranstaltungs- und Fanzine-Strukturen (Wilke 2022) sowie einer von Anfang an regen Reise- und Besuchstätigkeit der Beteiligten entstand in Deutschland eine Szene, die international vernetzt war und ist und sich gleichzeitig immer wieder auf den Ursprung und auf die Geschichte der Kultur bezieht. Dies intensivierte sich mit der Entwicklung der sozialen Medien. Neben den nach wie vor wichtigen persönlichen Begegnungen und Netzwerken spielten ab 2003 Social Media-Plattformen wie zunächst My Space, später Facebook (ab 2004) und Videoplattformen wie vimeo oder Youtube eine zentrale Bedeutung. Dies vereinfachte den Kontakt der Tänzer*innen untereinander (Frost 2020:00:07:43; Fogarty 2011).

Das Bild der Hip Hop-Kultur ist, wie es die Tanzwissenschaftlerin und Tänzerin Rachael Gunn formuliert, nach wie vor das „eines jungen, urbanen, heterosexuellen, hypermaskulinen, Arbeiters of Colour“ (Gunn 2022:3). Den Kampf um Anerkennung beschreiben die B-Girls sehr eindrücklich als einen um Sichtbarkeit: ein Nichterwähnen bedeutender Protagonistinnen festige immer wieder den Eindruck, dass Breaking nur etwas für Männer sei, führe zu einem Mangel an weiblichen Vorbildern und erschwere nicht zuletzt potenziellen Tänzerinnen den Zugang zu dieser Tanzpraxis (Gunn 2022:7). B-Girls waren zwar nicht quantitativ auffallend, aber doch von Anfang an Teil des Breaking. Wie alle Tänzer*innen wird von ihnen Kreativität eingefordert, wobei sie hierbei gewollt oder ungewollt in das Spannungsfeld von Männlichkeit und Weiblichkeit eintreten und dies aushandeln (Cooper/Kramer/Rockafella 2005). Gerade die Vernetzungsmöglichkeiten durch Social Media lässt die Zahl der B-Girls wachsen und zunehmend werden sie in Dokumentationen und eigenen Wettbewerbskategorien sichtbar (https://bgirlsessions.com/; Rappe/Stöger 2017).

Breaking als Subkultur, Breaking und Social Media, Breaking als Tanzkunst, die Verhandlung von race, class & gender im Breaking, Breaking als Sport und seit 2024 als olympische Disziplin, Breaking im sozialpädagogischen Kontext, Breaking als Entertainment...: Diese Tanzkultur hat sich längst zu einem vielfältigen kulturellen Netzwerk ausdifferenziert (Rappe/Stöger 2023:148-171). Dabei kann man beobachten, dass diese von außen oft unverbunden wirkenden Entwicklungsstränge über Social Media, eine nach wie vor rege Reisetätigkeit und lokale (Cologne Circle oder KOMMUnity Battle), nationale (Netherland Breaking League) und internationale (z.B: Battle Of The Year, B-Boy/B-Girl Summit in den USA oder R-16 in Korea) Wettbewerbe miteinander verbunden bleiben.

Die Lernkultur Breaking erforschen

Die bisherigen Darstellungen zum Tanz Breaking innerhalb der Hip Hop-Kultur geben schon Hinweise darauf, dass es bei einer so stark im informellen Lernen verwurzelten Praxis nicht ganz einfach ist, ihre Prinzipien sichtbar zu machen. Grundsätzlich hat sich die Forschung dem Thema erst spät zugewandt. Im angloamerikanischen Raum ist ein gewisser Boom an Publikationen zu Anfang dieses Jahrtausends zu bemerken, der sich rund um eine „Hip-Hop Based Education“ (HHBE) entwickelte. Wobei HHBE nur als einer von mehreren verwandten Begriffen gilt, die Hip Hop in einen pädagogischen Kontext einbringen (für nähere Informationen zu dieser pädagogischen Bewegung siehe: Porfilio/Viola 2012; Hill/Petchauer 2013; Kruse 2016; Love 2014a, 2014b und 2016; Emdin/Adjapong 2018; Nitsche/Bkaj 2022; Wells 2019).

Hill unterscheidet hierbei drei Ansätze innerhalb der HHBE, nämlich „Pedagogies with hip-hop“, „Pedagogies about hip-hop“ und „Pedagogies of hip-hop“ (Hill 2009). Auffallend ist, dass aus pädagogischer Perspektive zunächst vor allem Rap eine Rolle spielte. Die anderen Teildisziplinen des Hip Hop fanden anfangs kaum Beachtung. Charakteristisch ist zusätzlich eine mehrheitlich im weitesten Sinne sozialpädagogische Perspektive auf das Thema, sodass Macht, Ethnie, Gender und Formen des Empowerments durch Hip Hop im Vordergrund standen und stehen. In diesem Sinne wurden auch vor allem pädagogische Theorien einbezogen, die eine Förderung demokratischer und emanzipatorischer Haltungen fokussierten. Hip Hop wird erst im Laufe der kulturwissenschaftlichen, aber auch pädagogischen Auseinandersetzung als ästhetisches Phänomen thematisiert und damit von der Forschung ernst genommen (Petchauer 2015). Das bezieht sich auch auf die Teildisziplin Breaking (für einen Überblick über Forschungsarbeiten zu Bildungsprozessen im Hip Hop und speziell im Breaking siehe Rappe/Stöger 2023:177-181).

Foundation als Bildungsziel

Wenn man danach fragt, wie Breaking gelernt wird, bietet sich ein Blick auf das interne ‚Bildungsziel‘ Foundation an. Hier werden Bildungsprozesse als all jene Aktivitäten und Momente gefasst, die sich auf dem Weg zur Foundation ausmachen lassen. Foundation ist als Begriff erstmals von Joseph G. Schloss (2009) für die US-amerikanische Breaking-Kultur beschrieben worden. Aus dieser und weiterer mündlicher Quellen (Rappe/Stöger 2023:229-231) lassen sich folgende zentrale Anteile ausmachen:

  • Foundation bezeichnet zunächst das explizierbare Wissen über die Tanzkultur, also über ihre Begriffe, Akteur*innen, Orte und insbesondere die Praktiken des Aufführens und Lernens. In der Szene spricht man von ‚Knowledge‘, das sich immer wieder erneuert, und das neben den künstlerischen Teildisziplinen DJing, MCing/Rapping, Breaking und Writing/Graffiti als fünfte Disziplin der Hip Hop-Kultur angesehen wird (Gosa 2015:56-71). Es gehört zum Tätigkeitsfeld von B-Boys und ‑Girls, die sich auf diese Tanzkultur einlassen, dass sie nach diesem Wissen suchen (‚Digging‘) und immer wieder nach der Bedeutung von Begriffen, nach der korrekten Ausführung tänzerischer ‚Basics‘ und nach Urheber*innen fragen. Diese forschende Haltung könnte möglicherweise eine Ursache darin haben, dass eine übereinstimmende Theorie über den Beginn von Breaking nicht auszumachen ist. Vielmehr existieren mehrere Erzählungen nebeneinander (Rappe/Stöger 2023:50-53), die eine Entwicklung des Geschichtsbildes am Laufen halten.
  • Foundation meint ganz offensichtlich das tänzerische Können, das weit über die Einstudierung von Bewegungen hinausgeht. Die tänzerischen Fertigkeiten selbst haben schon etwas Grenzwertiges. In Augenschein treten für Laien oft besonders die artistischen Bewegungen, die in ‚Powermoves‘ zum Ausdruck kommen. Mindestens so wichtig ist aber die Fähigkeit, die Bewegungen mit der Musik zu koordinieren. All dies ist spontan und im Dialog mit anderen einzusetzen. Breaking ist eine Improvisationskunst, die sich idealtypisch im Kreis, dem ‚Cipha‘, entfaltet. Wer, wann und mit welchen tänzerischen Beiträgen in den Kreis tritt und in einer wettbewerbsartigen Situation gegen andere antritt, ist vorher nicht festgelegt. Man antwortet auf das, was man gesehen hat und versucht es zu steigern. Ein Cipha lässt sich also nicht wiederholen. Sogar wenn im Breaking Gruppen (‚Crews‘) gegeneinander antreten und sie als Team aufeinander abgestimmte Bewegungen einstudieren, bleibt das improvisatorische Element immer erhalten. Dazu kommt noch die Botschaft, Kreativität und Individualität einzubringen, die den Tänzer*innen von Anfang an auf den Bildungsweg mitgegeben wird und die bei einer ausgereiften Tänzer*innenpersönlichkeit zu einem eigenen Stil (‚Style‘) führt, der in der Breaking-Community positioniert wird. Das wiederum ist nur möglich, wenn mit den körperlichen Fähigkeiten auch das Wissen über die Kultur auf allen Ebenen wächst. Die Frage, was ein Basic ist und ob seine Abwandlung tatsächlich eine Neuerung ist, klärt sich im Tanzen und wird im performativen Akt von der Gruppe zurückgemeldet.
  • Foundation beinhaltet aber auch eine ethische Dimension. Hier wird eine Art Urheberrecht verhandelt. Das bedeutet, dass man den Erfinder*innen (Creators) von Bewegungsideen Respekt entgegenbringt. Dies gilt grundsätzlich auch für jemanden, der gerade erst begonnen hat. In diesen Bereich fällt aber auch die Verpflichtung, das Erlernte weiterzugeben, das sich in dem Grundsatz „Each one teach one“ ausdrückt. Darüber hinaus lässt sich auch eine kritische Haltung gegenüber der Kommerzialisierung des Hip Hop erkennen, die speziell in der Breakingszene traditionell verankert ist.

Flipping – die Keimzelle des Lernens

Kernelement des Lernens im Breaking ist eine Form der Imitation, die von Anfang an mit einem kreativen Element verbunden wird (siehe dazu Rappe/Stöger 2014; 2023:181-191). Im Breaking werden Bewegungen gesehen und in den eigenen Körper integriert. Als Imitationsquelle dienten zu Beginn der Entwicklung der Tanzpraxis in Deutschland Videoaufnahmen aus den USA oder die ersten Auftritte von B-Boys im deutschen Fernsehen (wie jener der Rock Steady Crew im Rahmen von Wetten daß …?! 1984). Mit dem Wachsen der Community konnte der Austausch von Bewegungsfolgen mehr und mehr mit anderen geschehen. Die Nachahmung ist hierbei aber nur der erste Schritt, auf den eine kreative Veränderung folgen muss, die das Imitierte möglichst überbietet. Diese Form wird Flipping genannt. Der Schwellenraum zwischen einer gewissenhaften Imitation und ihrer Variation kann als Keimzelle des Lernens angesehen werden. Die Differenz entsteht schon durch die Tatsache, dass Körper unterschiedlich sind. Dies betrifft grundsätzlich alle Tänzer*innen. Für die B-Girls bedeuteten und bedeuten die zunächst vor allem von B-Boys entwickelten Bewegungen, dass sie teilweise variiert werden mussten und sie schon im Keim der Aneignung von Breaking in einen stilistischen Aushandlungsprozess eintraten (Güngör/Loh/Frost/Lösch 2021). Interessant für die Lernkultur des Breaking ist der konstruktive Umgang mit ‚Fehlern‘. Durch das Eintreten in einen Prozess von Nachahmung und Variation wird ein Experimentierfeld eröffnet, das einen Überschuss an Möglichkeiten produziert, die in diesem Fall nicht als Ausschuss behandelt werden, sondern als Reservoir. So kann aus einer missglückten Nachahmung eine neue Idee entstehen. Allein dieser Aspekt unterscheidet sich deutlich von formalen Bildungskontexten.

Flipping ist Ausgangspunkt und Ergebnis von Bildungsprozessen und als Prinzip dem nahe, was in der anthropologischen Erziehungswissenschaft als mimetischer Prozess beschrieben wird, als eine Form der Anähnlichung von Welt. So betonen Gunter Gebauer und Christoph Wulf (2003), dass „mimetische Weltzugänge“ alle Lebensbereiche umfassen. Wie im Flipping verschränken sich hier Nachahmung und die Entwicklung von etwas Neuem. Mimesis hat also einen doppelten Charakter. Menschen stellen zu Wirklichkeit über Ähnlichkeit eine Beziehung her und gleichzeitig wird dabei Differenz erzeugt. „Mimetische Prozesse lassen sich als wiederholende Herstellung vorgängiger Welten begreifen, in der Menschen diese nochmals als ihre Welten machen, aber nicht mit Hilfe des theoretischen Denkens, sondern mit Hilfe der Sinne, also aisthetisch.“ (Gebauer/Wulf 2003:8).

Flipping ist ein ganz konkreter Vorgang und spielt sich im Rahmen einer Jam in Augenblicken ab. Dieses Element trägt aber noch eine viel weitreichendere Dimension in sich. Im Zuge des Veränderns stellt sich kontinuierlich die Frage, wie etwas Eigenes ins Spiel kommt und wie sich dies auf dem Weg zur Meisterschaft zum ‚Style‘ formen könnte. Von Anfang an ist in die ästhetische Praxis ein Anspruch der Identifizierung eingebaut, eine Verpflichtung auf das Eigene und Neue, das wiederum in die kulturelle Praxis eingespeist wird. Grundsätzlich werden die Teilnehmenden zu Träger*innen der Kultur, auch wenn sie sich noch im Anfangsstadium befinden. Auch dies unterscheidet sich deutlich von Zugängen in formalisierten Bildungsinstitutionen, wie etwa vom Erlernen eines klassischen Musikinstrumentes.

Der Cipher als ästhetischer Aushandlungsort

Als ein weiteres Kernelement der Tanz- und Lernkultur Breaking ist der Cipher zu nennen. Cipher oder Cipha steht für Kreis, also ganz rudimentär für eine Form, in der alle Umstehenden gut sehen können, was im Zentrum passiert. Das mögen in der Anfangszeit der Breakingkultur Kämpfe gewesen sein, die aber allmählich zu einer ästhetischen Praxis stilisiert wurden. Der Cipher ist für das Tanzen und Lernen prototypisch. Er ist nicht die einzige Form, in der diese Praxis stattfindet, aber eine wesentliche. In dieser Form werden zentrale Botschaften weitergegeben: Hier versinnbildlicht sich die Akteurskultur Breaking, denn im Cipher ist man sowohl Beobachter:in als auch jemand, der jederzeit ins Zentrum gehen und sich beteiligen kann. Der Kreis verweist auf die zutiefst soziale Dimension des Breaking, das sich in und mit der Gruppe in einem ständigen Austausch artikuliert. Dies geschieht in einem improvisatorischen Prozess des Agierens und Reagierens, der sich durch den kompetitiven Modus (Battle) auf der Suche nach immer kühneren, artistischeren und originelleren Bewegungen energetisch auflädt. Imani Kai Johnson nutzt die Metapher ‚Dark Matter‘, um das Energiefeld zu charakterisieren, das sich im Cipher entfaltet (Johnson 2023). Mit jeder Bewegungsfolge wird auf Geschichte verwiesen und gleichzeitig durch die Verpflichtung zur Variation Neues geschaffen. Im Cipher ist nicht unbedingt auszumachen, ob man gerade übt, etwas zeigt oder sich in einem Wettkampf befindet. Handlungen, die in anderen künstlerischen Praxen oft deutlich zu trennen sind, vermischen sich hier.

Für die Lernkultur Breaking können folgende Aspekte hervorgehoben werden, die mit der Form des Cipher in besonderer Verbindung stehen (siehe dazu ausführlicher Rappe/Stöger 2023:208-228).
Der Cipher ist als Schwellenraum zu verstehen, der zu Transformationen im Sinne von Bildungsprozessen anregt. Man begibt sich in den Kreis und damit in eine produktive Spannung darüber, wann man selbst in das Geschehen eintritt und mit welchen tänzerischen Impulsen das geschehen wird. Gleichzeitig werden im Wettbewerbsmodus die eigenen Grenzen in einem ästhetischen Aushandeln berührt. Das Flipping verlangt ja geradezu eine Überschreitung des Gesehenen und eine Herausforderung der eigenen körperlichen Möglichkeiten. Schließlich könnte man auch den Prozess der Entwicklung eines eigenen Stils, als liminalsensibel beschreiben, da er immer wieder einen Bruch mit dem Bekannten und Gewohnten erfordert, während gleichzeitig das Eigene als Neues in den Tanz eingebracht werden soll, quasi „eine Art Grenzgang zu sich selbst“ (Rappe/Stöger 2023:220). Hier ließe sich an das anknüpfen, was Jörg Zirfas als „ästhetisches Borderlining“ bezeichnet. Er versteht darunter eine Art von Grenzgang, den er sowohl für Bildungsprozesse wie für ästhetische Erfahrungen als konstitutiv bezeichnet. Auf diese Weise würde eine besonders intensive Auseinandersetzung mit der Welt und sich selbst möglich (Zirfas 2014: 45).

Die Erfahrungen der Tänzer*innen im Cipher sind aber auch in diesem Sinne als ‚grenzwertig‘ zu verstehen, als sie häufig als Initiation beschrieben werden. Hier lassen sich ritualtheoretische Überlegungen anschließen, wie sie von dem Anthropologen Arnold van Gennep in Übergangsriten beschrieben wurden (Gennep 2005). Auf den Phasen dieser Riten baut Victor Turner auf, der dem Zustand der Liminalität besondere Bedeutung beimisst. Dieser Schwellenraum habe eine hohe „Potenzialität“ (Turner 2009:69). Hier sind deutlich Ähnlichkeiten zur Dynamik im Cipher festzustellen, die man als Inszenierung eines Schwellenraumes auffassen könnte, der das Tanzen und Lernen anstiftet und in einer engen Verflochtenheit von Individuum und Gemeinschaft energetisch auflädt. Wie in Turners Ritualtheorie das Spiel mit dem Bekannten und seine Umdeutung und Verfremdung zu Neuem als charakteristisch für Rituale angesehen wird (Turner 2009:40), kann man das Tanzen im Cipher als ästhetischen Kreativraum auffassen.

Potenzialraum Breaking von Anfang an

An dem konkreten Ort und der Formation eines Cipher lässt sich eine grundlegende Qualität der Lernkultur Breaking deutlich machen, nämlich der Aufbau eines Potenzialraumes des Lernens, der schon für Anfänger*innen spürbar werden kann. Wenn man Jams beobachtet, wird immer wieder die hohe Energie spürbar, die sich dabei aufbaut. Die Ergebnisse der Studie „Lernen nicht, aber … Zur Tanz- und Lernkultur Breaking“ (Rappe/Stöger 2023) lassen eine tieferliegende Schicht sichtbar werden, die solche Ereignisse, aber auch die starke Motivation der Tänzer*innen beleuchtet und die hier Potenzialraum genannt werden soll. Breaking wächst rhizomatisch, also nicht von einer Pfahlwurzel ausgehend und immer wieder auf sie zurückführbar, sondern dehierarchisiert in verschiedenste Richtungen. Das hängt wesentlich damit zusammen, dass die Verpflichtung auf das Eigene, die schon in der Keimzelle des Tanzens angelegt ist, ständig Neues erzeugt. Dieser Grundgedanke verändert den Blick auf das Lernen. Die Teilnehmenden sind schon von Anfang an Gestaltende und sogar Träger*innen der Kultur. ‚Fehler‘ können durch improvisatorisches Aufgreifen zu neuen Stilelementen entwickelt werden. Die Rollen von Lehrenden und Lernenden können blitzschnell wechseln. So kann ein Anfänger eine Bewegung einbringen, die eine erfahrene Tänzerin in einem anderen Cipher aufgreift und in ihrer Version in das System einspeist. Das wird wiederum durch den Auftrag, das Gelernte weiterzugeben („each one teach one“) zusätzlich aktiviert. In der prototypischen Form des Cipher geschieht das Feedback im performativen Akt. Die Gruppe reagiert auf das Gesehene tanzend und macht auch das unerwünschte bloße Wiederholen deutlich. Dies führt wiederum zum Anspruch der Auseinandersetzung mit der Geschichte und einem erweiterten Austausch mit anderen. In den Aussagen von B-Boys und - Girls gehört die Suche nach regionalen, aber auch überregionalen Kontakten zur Tanz- und Lernkultur, also eine Art räumliche Ausweitung des Cipher.

Der Potenzialraum Breaking verbindet identitäre, ästhetische und soziale Dimensionen miteinander, die in ihrer Kombination höchst wirksam erscheinen. Viele Erstbegegnungen der Teilnehmenden wirken wie eine Initialzündung, die einen Sog in die Tiefe der Kultur anregen und eine Verbindung zwischen dem Flipping als kleinstem Element bis hin zur Entwicklung eines eigenen Style andeuten.

Zum Schluss

Ein genauerer Blick darauf, wie Breaking gelernt wird, eröffnet Perspektiven auf Bildungsprozesse, die in hohem Maße selbstreguliert und selbstregulierend stattfinden. Es erscheint uns wichtig, diese Eigendynamik sichtbar zu machen und zu würdigen. Zusammenfassend seien einige der zentralen Prinzipien dieser Lernkultur genannt:

  • Sie fördert vielfältige Formen des Wissens (auch des „schweigenden Wissens“).
  • Der Einstieg wird immer wieder als niederschwellig eingestuft.
  • Sie funktioniert in hohem Maße selbstregulierend, auch wenn diese Tanzpraxis mittlerweile längst Einzug in den formalen Bildungsbereich gehalten hat.
  • Kreativität ist mit dem Lernen initial und kontinuierlich verbunden.
  • Der Eigensinn der Beteiligten wird gefordert und ihre tänzerische Identifikation angestiftet.
  • Eine kompetitive Haltung wird als lernförderliches und konstruktives Element angelegt.
  • Das Weitergeben des Wissens und Könnens gehört zu den ethischen Grundprinzipien.

Eine starke und so motivierende Lernkultur verleitet möglicherweise zu Vorstellungen von linearen Übertragbarkeiten in den formalisierten Bildungsbereich und zu Idealisierungen, wie sie teilweise in der Hip Hop Education verbreitet wurden (Emdin/Adjapong 2018; Adjapong/Levy 2020). Dies erscheint uns wenig sinnvoll bis verzerrend. Die Lernkultur Breaking könnte aber ein Anlass sein, sich mit den genannten Prinzipien auch in anderen Bereichen der Kulturvermittlung zu beschäftigen, sie zu beobachten und kontextsensibel zu stärken.

Verwendete Literatur

  • Adjapong, Edmund/Levy, Ian (Hg.) (2020): #HipHopEd: The Compilation on Hip-Hop Education. Volume 2: Hip-Hop as Praxis & Social Justice.Frankfurt/M, New York: Peter Lang.
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Michael Rappe, Christine Stöger (2024): Breaking lernen – ein Beitrag zur kulturellen (Selbst-)Bildung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/index.php/artikel/breaking-lernen-beitrag-zur-kulturellen-selbst-bildung (letzter Zugriff am 26.09.2024).

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