Bildungsort Schule: Spannungsfelder für Kulturelle Bildung
Eine Bewertung der aktuellen Positionierung Kultureller Bildung in Schule anhand von Beiträgen auf kubi-online
Abstract
„Wie hältst du’s in der Kulturellen Bildung mit Schule?“ Diese spannungsreiche (Gretchen-)Frage beschäftigt die Akteur*innen Kultureller Bildung seit nun über 20 Jahren intensiv – wie intensiv, das spiegelt sich auch auf der Wissensplattform kubi-online, die zu diesem Thema umfangreiches Wissen zur Verfügung stellt. Der Beitrag versucht, dieses Wissen anhand zentraler Themenstellungen zu systematisieren. In dem Zusammenhang beschreibt er die Begründungslinien und politischen Adressierungen Kultureller Bildung in Schule, die sowohl in Kontrast als auch in Verbindung zu Prinzipien und Konzepten Kultureller Bildung stehen können. Sowohl Schule als System als auch Bildungskonzepte werden in ihrem Verhältnis zu Kultureller Bildung vorgestellt. Ein Blick in die Verankerung Kultureller Bildung in Schule – z.B. durch kulturelle Schulentwicklung, künstlerischen Fachunterricht oder im Rahmen kompetenzorientierter Perspektiven – diskutiert, inwiefern sich Kulturelle Bildung schulischen Logiken anpassen muss und angepasst hat. Zum Abschluss werden Kooperationen, Ganztag und Bildungslandschaften als Strategien aufgezeigt, die zwar politisch und im Feld eine wesentliche Rolle spielen, deren Bedeutung sich aber in der fachlichen Reflexion auf kubi-online nicht in diesem Maße spiegelt. Dieser auswertende Beitrag unterbreitet ein Angebot, vorhandene Texte in einen größeren fachlichen und politischen Kontext einzubetten und sich zu positionieren. Er lädt dazu ein, neues Wissen zu generieren und neue Texte zu veröffentlichen, deren Perspektiven noch fehlen. Für die Praxis Kultureller Bildung in Schule, Ganztag und Bildungslandschaften kann er eine Unterstützung sein, über die eigene fachliche und politische Verortung zu Kultureller Bildung in Schule nachzudenken.
Hintergrund und Hinführung: Wissenstransfer durch kubi-online zu Kultureller Bildung in Schule
„Kultur und Schule“ ist spätestens nach der Jahrtausendwende zu einem zentralen Thema für Akteur*innen der Kulturellen Bildung geworden: für die Träger von Kultur- und Jugendarbeit, aber auch für Schulen selbst, für Bildungs-, Kultur- und Jugendpolitik, für Verbände und Stiftungen, für Wissenschaft und Forschung. Ausdruck für die große Bedeutung des Themas ist nicht nur eine reichhaltige (vielfach kooperative) Praxis Kultureller Bildung in Schule, sondern ebenso eine theoretische Fundierung (z.B. Kulturschule), eine zunehmende Zahl von Forschungsvorhaben, bundesweite Programme (z.B. Kulturagenten für kreative Schulen, Kreativpotentiale), Wettbewerbe (z.B. MIXED UP, Kinder zum Olymp), Weiterbildungen oder Fachtagungen (z.B. Bundeskongresse Kulturelle Schulentwicklung). Diese Dynamik bildet sich auch auf kubi-online ab; entstanden ist ein reichhaltiger Schatz an Beiträgen, die sich im Themenfeld Schule, Ganztag und Bildungslandschaft bewegen.
Mit der hier vorgelegten Auswertung von über 120 dieser Beiträge auf kubi-online wird der Versuch unternommen, wesentliche Diskurslinien aufzuzeigen und zu systematisieren, mit denen Kulturelle Bildung im schulischen Kontext reflektiert und eingeordnet wird. Darüber hinaus wird aufgezeigt, welche Perspektiven aus Sicht der Autorin in dem Diskurs weniger berücksichtigt werden. Die ausgewerteten Beiträge wurden dahingehend ausgewählt, ob sie sich über die Verschlagwortung und die Erwähnung entsprechender Begriffe hinaus explizit zum Kontext Schule positionieren. Aufgrund der mehreren Hundert Texte auf der Wissensplattform, die in unterschiedlicher Tiefe Begriffe wie „Schule“ (656 Beiträge), „Unterricht“ (369 Beiträge) oder „Ganztag“ (116 Beiträge) nutzen (Stand: Mai 2024), kann dieser Beitrag dennoch nur einen Ausschnitt der Gesamtdebatte aufzeigen. Durch die auf kubi-online möglichen Suchfilter wurde versucht sicherzustellen, dass die zentralen Texte zum Thema berücksichtigt wurden. Genutzt wurden ausschließlich Texte auf der Wissensplattform kubi-online - wohlwissend, dass diese nur einen ausgesuchten Teil an Publikationen repräsentieren, die Programme, Projekte und Positionen bzw. Forschung zum Thema Kulturelle Bildung in Schule fachlich reflektieren.
Nicht nur die Anzahl der Beiträge in diesem thematischen Kontext ist überaus groß, sondern auch Umfang und Inhalt der einzelnen Texte. Die Auswertung verkürzt unweigerlich die vielfältigen und oft sehr detaillierten und differenzierten Perspektiven, die in den jeweiligen Beiträgen auf einzelne Kontexte und Praktiken Kultureller Bildung in und mit Schule diskutiert werden. Sie kann keine detaillierte Reflexion aller Aspekte leisten, so dass subjektive Schwerpunktsetzungen erfolgen müssen und bei der Systematisierung und Kontextualisierung des vielfältigen Wissens der Autor*innen auf kubi-online auch Dinge übersehen werden können. Dem Auftrag der Träger von kubi-online entsprechend weist der Beitrag auf zentrale Tendenzen und sichtbar gewordene Leerstellen hin. Jedem Absatz/Kapitel sind genau diese wesentlichen Einschätzungen als subjektive „Positionierungen und Bewertungen“ thesenhaft vorangestellt, um existierende Spannungsfelder hervorzuheben. Im Anschluss an diese Thesen erfolgt eine reflektierende Systematisierung von diesbezüglichen Diskursen aus den Beiträgen.
(Politische) Begründungslinien Kultureller Bildung an Schule
Zu Beginn wird dargelegt, warum – aus Sicht der Autor*innen – Kulturelle Bildung in Schule verstärkt werden sollte.
Positionierungen und Bewertungen
- Zentrale Begründung für (mehr) Kulturelle Bildung in und mit Schule ist die Annahme, dass damit zu mehr Teilhabe beigetragen wird. Und zwar in einer dreifachen Richtung:
- um Kulturelle Bildung stärker allen Kindern und Jugendlichen zugänglich zu machen
- um damit dem schulischen Auftrag entsprechend zu kultureller Teilhabe beizutragen und das System Schule zu unterstützen,
- um durch den Zugang zu jungen Adressat*innen wiederum den kulturellen Teilhabeauftrag außerschulischer Bildungsträger zu erfüllen.
- Der Mehrwert von Kultureller Bildung wird, der Logik von Schule entsprechend, eher institutionell begründet, weniger subjektorientiert, rechtebasiert oder gesellschaftlich.
- Sowohl Schule als auch die außerschulische Kulturelle Bildung werden bezüglich des Ziels, zur (kulturellen) Teilhabe beizutragen, als defizitär beschrieben. Inwieweit sich zwei defizitäre Systeme gegenseitig unterstützen können bzw. wie ein Ausgleichshandeln von Stärken und Schwächen dieser Systeme passieren kann, wird nur vage beleuchtet.
- Wesentlich hervorgehoben wird die Rolle der Schule für Kulturelle Bildung und Teilhabe. Die Rolle der Kulturellen Bildung für die Schule und für deren teilhabeorientierte Veränderung wird weniger selbstbewusst beschrieben. Ein Ungleichgewicht entsteht.
- (Schulische) Begründungsmuster wurden in der schulischen und außerschulischen Kulturellen Bildung übernommen, so dass die damit verbundenen Heilserwartungen oder neoliberalen Zusammenhänge selten bewusst dargestellt bzw. aufgedeckt werden. Das wird von einzelnen Autor*innen massiv kritisiert.
- Auch auf der Wissensplattform kubi-online, auf der sich bereits die von Kultureller Bildung überzeugte Fachcommunity versammelt, gibt es die Tendenz, Kulturelle Bildung in ihrem Eigenwert begründen/legitimieren zu wollen bzw. zu proklamieren, wofür sie wichtig ist.
„Da Schule alle Jugendlichen und Kinder erreicht, kann sie als der zentrale gesellschaftliche Ort verstanden werden, um die Forderung der UN-Kinderrechtskonvention nach kultureller Teilhabe umzusetzen“ (Braun 2013/2012). Dieser Satz ist programmatisch, auch für andere Autor*innen, welche den Anspruch von Schule, frühzeitig Zugangsmöglichkeiten für alle zu schaffen, auf (kooperative) Kulturelle Bildung übertragen (z.B. Kelb 2014, Freytag 2015, Liebau 2015, Fuchs 2019). Selten wird explizit der kinderrechtebasierte Ansatz als Begründung herangezogen.Schule wird damit zur Strategie, flächendeckend und umfassend Kulturelle Bildung und Teilhabe zu ermöglichen. Dass dieser Anspruch eines egalitären und demokratischen Bildungssystems (Reiss 2014, Fauser 2021) stets in Spannung zu ihren Mängeln steht, wie sie sich beispielsweise durch den Selektionsmechanismus des Bildungssystems ergeben (Kelb 2014), wird fast immer im gleichen Atemzug genannt. „Schulische Bildung in Deutschland findet unter den Bedingungen von sozialer Ungleichheit statt, wobei sich sozialstrukturelle Unterschiede reproduzieren und Ungleichheiten langfristig verfestigen“ (Retzar 2021/2020). Auch Benedikt Sturzenhecker (2014) weist auf Schule als Miterzeugerin von Bildungsungerechtigkeiten hin. In Schule liegen Chancen und Risiken des Teilhabe-Ziels nah beieinander. Eine Schlussfolgerung ist, kulturelle Teilhabe nicht einseitig, d.h. nicht nur im Kontext Schule, zu fördern (vgl. Keuchel 2019). Denn während Schule Zugänge zur Allgemeinbildung ermöglicht, sei es Aufgabe von „non-formalen Bildungs- und Kulturinstitutionen, […] alternative Lernorte, interessenorientierte Ergänzungen, Vertiefungen und Alternativen zugänglich [zu] machen“ (Liebau 2015). Hier ist bereits das Wechselspiel von schulischer und außerschulischer Kultureller Bildung angelegt – verbunden mit der Erwartungshaltung, gemeinsam einen Beitrag für eine gerechte(re) Teilhabe heranwachsender Menschen am gesellschaftlichen und kulturellen Geschehen zu leisten (Retzar 2021/2020). Mit dem Teilhabe-Ziel wird nicht nur eine politische Adressierung an Kulturelle Bildung artikuliert, sondern auch eine politische Verantwortung auf Kulturelle Bildung projiziert (Bockhorst 2013/2012). Daraus ergibt sich die Begründung, dass es notwendig sei, Kulturelle Bildung systemisch zu verankern und u.a. schulintern und mittels Kooperationen zu implementieren (Borchert/Deister 2022). Als Beleg für diese Schlussfolgerung wird beispielsweise das 2. Jugend-KulturBarometer angeführt. Dieses weist nach, dass kulturelle Teilhabemöglichkeiten vor allem in Kooperationen von Schulen mit außerschulischen Partnern erweitert werden und „Dritte Lernorte“ neben formalen Bildungseinrichtungen und der Familie wichtige Impulse für Bildung und Teilhabe setzen (Fischer/Hübner 2019/2017). Ein genauerer Blick auf diesbezügliche Zahlen kann aber auch zur Erkenntnis führen, dass schulische Kulturvermittlung auch kontraproduktive Effekte auf die kulturelle Interessensbildung junger Menschen hat (Keuchel 2014), d.h., dass Zugänge und Teilhabe im schulischen Kontext nicht automatisch einen Effekt und Transfer in die Lebenswelt insgesamt haben.
Die Jugend-KulturBarometer-Forschung weist zugleich aus, wie hochselektiv die (außerschulische) Kulturelle Bildung selbst ist. Es ist daher fast paradox, dass Kultureller Bildung im Allgemeinen bzw. Kultureller Schulentwicklung, Kulturschule und Kooperationen im Besonderen das Potenzial zugesprochen werden, als „Korrektiv gesellschaftlicher Selektion und Schlüssel zur Verminderung sozialer Ungleichheit“ (Burow 2019/2011) zu fungieren, d.h. insbesondere Kinder und Jugendliche aus bildungsbenachteiligten Lebenslagen weniger selektiv zu erreichen (Gumz et al. 2019, Ziegenmeyer 2019). Viola Kelb (2013/2012) greift dieses Paradox als realitätsferne Erwartungen auf und fragt danach, inwiefern „schulbildungsferne Milieus [...] ausgerechnet per [mittelschichtsorientierter] Kultureller Bildung“ (ebd.) erreicht werden können.
Es gibt weitere kritische Stimmen. In einem der relevanten Texte dazu erwähnt Tom Braun (2023/2022) die grundsätzlichen Kritiklinien Schule gegenüber, dass diese nämlich die Hoffnungen der letzten Jahre nicht erfüllt habe – weder bezüglich des Teilhabe-Ziels oder des Abbaus von Bildungsungerechtigkeiten noch in Hinsicht auf die Ausweitung von Erfahrungsmöglichkeiten oder auf die Weiterentwicklung von Lehr-Lern-Settings. Helle Becker (2014/2013) und Benedikt Sturzenhecker (2014) warnen bereits 10 Jahre zuvor vor falschen, sich bereits in den Dienst stellenden Begründungslinien Kultureller Bildung als „Ergänzung“ von schulischer Ausbildung, als gesellschaftlichem „Kitt“ bzw. für die „Persönlichkeitsentwicklung“ – egal ob im Zuge von Kooperationen mit Schule oder als Grundlage für Kulturelle Schulentwicklung: „Aber es ist eben leichter, Kulturelle Bildung als ausgleichendes Element für bildungspolitische Fehlentwicklungen und Mängel zu nehmen, als diese Mängel selbst anzugehen – zum Beispiel das Schulsystem“ (Becker 2014/2013). Nicht die Potenziale der Künste als Widerspruch oder Störung mit ihrem Eigenwert und mit ihren Erkenntnispotenzialen stünden so im Mittelpunkt (siehe „Gegenpol zu Schule“), sondern die Indienstnahme für den schulischen (Werte- und Leistungs-)Kanon. Kulturelle Bildung erhält kompensatorische Funktionen (Sturzenhecker 2014), indem sie daran mitwirken soll, den Kindern und Jugendlichen unabhängig von der Förderung im Elternhaus ein gutes Rüstzeug auf ihren Bildungsweg mitzugeben, d.h. sich ökonomischen Zielen (z.B. Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand erhalten) unterzuordnen.
Kulturelle Bildung als Gegenpol zu Schule?
Um das Verhältnis von Kultureller Bildung und Schule aus den Texten zu bewerten, wird im Folgenden ausgewertet, mit welchen spezifischen Eigenschaften und Potenzialen Kulturelle Bildung und Schule beschrieben werden.
Positionierungen und Bewertungen
- Der besondere Charakter der Kulturellen Bildung (von der ästhetischen Erfahrung bis hin zu den Künsten) wird permanent zu dem kontrastiert, was Schule ist und in welchen Strukturen und Praktiken sie sich äußert.
- Dieser Kontrast zeigt sich in unterschiedlichen Selbstverständnissen, Prinzipien/Prozessen, Strukturen – und er wird nicht aufgelöst bzw. kann nicht aufgelöst werden. Entsprechend setzen die Texte eher auf Unterschiede und weniger auf Gemeinsamkeiten bzw. darauf, Brücken herauszuarbeiten.
- Die Kontrastierung erfolgt nicht nur aus sachlichen Beweggründen, sondern wird existenziell für die „Selbstbehauptung“ und „Abgrenzung“ Kultureller Bildung von Schule gebraucht bzw. genutzt.
- Damit ist automatisch verbunden, dass die Implementierung Kultureller Bildung in Schule bzw. die Kooperationen von Akteur*innen Kultureller Bildung mit Schule anstrengend ist.
- Zugleich ist der politische (Teilhabe)-Druck offenbar so groß, dass trotz der Anstrengungen nicht auf eine Verbindung von Kultureller Bildung mit Schule verzichtet werden kann.
- Implizit schwingt eine Dichotomie „Schule schlecht“ und „Kunst gut“ mit – insbesondere, indem Schule stark kritisiert wird, die Perspektiven der (außerschulischen) Kulturellen Bildung und der Künste sich aber nicht ähnlich (selbst-)kritisch zeigen.
„Mit einerseits „Schule und Bildung“ und andererseits „Kunst und Kultur“ treffen […] zwei sehr unterschiedliche Systeme aufeinander, die kaum kompatibel erscheinen […]“ (Bock 2019). Diese Aussage ist programmatisch und wird durch eine große Vielzahl an Texten, die den Unterschied von Schule und Kultureller Bildung zum Ausgangspunkt machen, untermauert. Dieser systemischen Kontrastierung von Bildungssystem auf der einen und Kulturbereich auf der anderen Seite kann noch als dritter Player das System der Kinder- und Jugendhilfe zur Seite gestellt werden, wie es beispielsweise Max Fuchs getan hat (Fischer/Hübner 2019/2017, Fuchs 2019). Für diese Systeme mit ihren unterschiedlichen Handlungslogiken wird im Folgenden eine aufzählende und damit holzschnittartige Zusammenfassung der Kontrastierungen gewählt und dabei nicht differenziert, welche unterschiedlichen Verständnisse und Praktiken von künstlerischer bzw. Kultureller Bildung damit gemeint sind:
Institutionelle Ausrichtung
- Zweckgerichtetheit von Schule vs. Zweckfreiheit der Künste (Freytag 2015, Ehm 2022)
- kognitive Ausrichtung von Schule vs. Potenzial der Künste für ganzheitliche Bildungsprozesse und Lernkulturen (Ehm 2022)
- Verwertungslogik (jugendliche Suche nach Leistung und Qualifizierungsmöglichkeiten auch in der Freizeit) vs. Spaß (im Sinne von Hingabe, Vertiefen, Versenken), Glück und Wohlbefinden (Freytag 2015, Gumz et al. 2019)
- Fokus auf Transferwirkungen, Selbstoptimierung, Schlüsselkompetenzen vs. Autonomie erleben/Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit und Zugehörigkeitserleben (Freytag 2015)
- Leistungsdruck und straffe Unterrichtsformen von Lehrer*innen vs. ungezwungene und abwechslungsreiche Arbeitsstile von Künstler*innen (Freytag et al. 2018, Freund et. al 2019/2017, Ehm 2022)
- klare Rahmung von Zeit, Ort, Arbeitsformen und Inhalt durch Schule vs. Bildung als individueller und ergebnisoffener/erfahrungsoffener Prozess (Freytag 2015, Dyllick 2021)
- Qualifikationen über Leistungsbeurteilungen und Schulabschlüsse vs. Nichtberechenbarkeit, Widerständigkeit und Selbstbestimmung der Künste (Oelkers 2013/2012, Fuchs 2015b, Jas/Heber 2019/2017, Dyllick 2021)
- lineare kognitive Wissensproduktion in der Schule vs. Vielfältigkeit und Mehrdeutigkeit kultureller Bildungsprozesse (Jas/Heber 2019/2017)
- Enkulturation vs. Resonanz (Klopsch 2022) und Utopie (Mandel 2023)
- Allgemeingültigkeit vs. Individualität (Braun 2023/2022)
Methodik und Didaktik
- Dualität von Analysieren und Handeln in der Schule vs. Verflechtung von Ausprobieren, Reflektieren und Konzeptualisieren in künstlerischen Prozessen (Mandel 2023)
- Methodische Begrenztheit und tradierte Verfahren in der Schule vs. innovative und experimentelle Verfahren (Jas/Heber 2019/2017)
- zunehmende Rationalisierung, Vereinheitlichung, Selbstkontrolle und indirekte Zwangsförmigkeit im Unterricht vs. ko-ästhetische Auseinandersetzungen als Bruch zu üblichen Wahrnehmungen (Ehm 2022) sowie Formulierung eigener Positionierung (Kettel 2018)
- Stimulierung des Körpers zu Ruhe und Anpassung im Kontext Schule vs. Bewegung des Körpers in Darstellenden Künsten (Freytag 2015)
- Trennung von Subjekt und Unterrichtsgegenstand (durch Konzentration auf formale Themenstellungen, auf Vermittlung von Technologien und operationalisiertes Schüler*innenverhalten) vs. werk- und prozessorientierte Verbindung von Gegenstand und gestaltendem Subjekt (Kettel 2018)
- Werkorientierte und curriculare Vorgaben vs. subjektorientierte und subjektstärkende Ansätze und Positionierungen (Keuchel 2019)
- Vermittlungsdidaktik der Schule (bzw. Grundmuster der Belehrung, vgl. Fauser 2016) vs. Aneignungsdidaktik der Kulturellen Bildung/Jugendarbeit (Lindner 2015)
- wissensbasierte Lerninhalte der Schule vs. lebenswelt-, bildungs- und aneignungsbezogene Lernformen der Kulturellen Bildung (Lindner 2015)
Haltungen und Orientierungen
- Wissen als positiv, Nicht-Wissen als negativ vs. Nicht-Wissen als positiv (Mandel 2023)
- „richtige“ oder „falsche“ Lösungen vs. keine „Fehler“ (Keuchel 2019)
- Regeln vs. Regelbruch (Keuchel 2019)
- Widerstand als etwas problematisches vs. Widerstand als Energiequelle/Ressource (Mandel 2023)
- Feste alltägliche Orientierungen der Schule vs. freie soziale, räumliche und zeitliche Verhältnisse Kultureller Bildung (Ehm 2022)
- alltägliche Erfahrungen und Normierung vs. (ästhetische und künstlerische) Erfahrungen der Befreiung (Fauser 2016)
- Hochkulturelle Orientierung und Enkulturation vs. Ästhetiken des Alltags und der Lebenswelt(en) (Kettel 2018)
- Normalität und Konformitätsdruck vs. Individualität, Besonderheit, Kreativität (Wolf 2019)
- pädagogische Verzweckung von Kunst vs. Kunst als fundamentale Lebensäußerung (Freiheit, Autonomie, Eigenständigkeit) (Wolf 2019)
- Festlegung vs. Offenheit für das Neue, Unsichere und noch-zu-Erschließende (Gebhard 2020)
Kathrin Hohmeiers (2023) Aussage lässt sich hierzu zusammenfassend anführen: „Künstler*innen und Schule werden oft als Antagonist*innen begriffen, die sich mit unterschiedlichen Zielen und Vorgehensweisen konträr gegenüberstehen: Auf der einen Seite stehen strukturiertes Vorgehen, zu erfüllende Lernziele, zu erlernende Kompetenzen, konkrete Pläne, einzuhaltende Regeln, ein fortlaufend möglichst reibungsloser Betrieb, Aufgaben, die in 45 Minuten passen, Bewertungen, Überprüfungen, und vieles mehr. Auf der anderen Seite der Wunsch, beispielsweise Ergebnisse dem Prozess unterzuordnen, Freiheit in der Gestaltung zu geben, Zeit und Raum zur Selbstverwirklichung, -erkenntnis und -bildung zu ermöglichen, Grenzübertretungen nicht nur zuzulassen, sondern zu forcieren, die Ideen und Autor*innenschaft der beteiligten Kinder und Jugendlichen zu achten, Beteiligung aller zu ermöglichen, Praktiken anders zu gestalten, (Abweichendem) Ausdruck zu ermöglichen, Regeln infrage zu stellen und kritisch zu spiegeln, offene Fragen zu stellen, keine eindeutigen Antworten zuzulassen. Diese Aufzählungen ließen sich beliebig weiterführen – hier das Paradigma der Freiheit der Kunst, dort der klare Auftrag zu vermittelnder Inhalte“ (Hohmeier 2023). Das zeichnet sich auch in den Sprachspielen dieser unterschiedlichen Professionen ab, in denen „Pädagog*innen das vertraute Vokabular der „Versprechungen des Ästhetischen“ aufrufen und sich in den für ihre Profession typischerweise verlangten Sätzen und Argumentationsketten ausdrücken“ (Dietrich 2023) und Künstler*innen eher „über das [ihnen vertraute] Unverfügbare, die Dissenzkultur und das Potential von vermeintlichen Fehlern“ (ebd.) sprechen.
Zu diskutieren wäre hier, inwieweit diese Polarisierungen bewusst markiert und verstärkt werden bzw. inwiefern es sich um Zuschreibungen handelt, in denen „alte“ und überholte Vorstellungen von Schule herangezogen werden, um sich als Kulturelle Bildung bzw. Künstler*in eigenständig zu behaupten. Dass die (Selbst-)Zuschreibungen in der Kulturellen Bildung, insbesondere von Künstler*innen, ebenso kritisch zu reflektieren sind, betont Joachim Kettel (2018) nicht nur mit Verweis auf problematische Transfereffekte und Legitimationsreflexe künstlerisch-kultureller Bildung, sondern insbesondere auf „die Herausforderungen von Kreativitätsdispositiv, Authentizitätszwang, Künstlerkritik und ‚Selbstentfaltungsindustrien‘ […]“ (Kettel 2018). Auffällig ist, dass die Eigenschaften von Schule, wie sie aus der Kontrastierung hervorgehen, kaum als positives Potenzial oder Qualität beschrieben oder bewertet werden, sondern im Vergleich zur Kulturellen Bildung implizit eine Abwertung mitschwingt.
Die sich daraus ergebenden Spannungsfelder sind nicht nur auf systemischer, struktureller und konzeptioneller Ebene zu beachten, sondern werden auch auf Beziehungsebene, beispielsweise in Kooperationen, oder methodisch-didaktischen Ebene er- und gelebt. Sie führen aufgrund des großen Kontrastes dazu, dass im positiven Fall ein Perspektivwechsel durch Kulturelle Bildung und ihre Akteur*innen in der Schule möglich wird (Jas/Heber 2019/2017, Klopsch 2021/2020, Mandel 2023): „Kunst können wir zutrauen, dass sie Zugänge zu Gestaltungs- und Veränderungsprozessen ebnet“ (Wolf 2019). Diesen Fall produktiv weiterentwickelnd können schulische Handlungslogiken und ihre Akteur*innen durch künstlerisches Handeln und Kulturelle Bildung (Lindner 2015, Gebhard 2020) und die bisherige Schulstruktur infrage gestellt (Hohmeier 2023) werden. Im Worst Case droht ein Scheitern, denn die für Kulturelle Bildung notwendigen Freiräume sind, das zeigt die bisherige Praxis kultureller Bildungskooperationen, „kaum zu realisieren“ (Keuchel 2019). Der Kontrast beider Systeme führt zu ihrer Unvereinbarkeit.
Schule als Institution – Zwischen Funktion und Transformation
Welches Bild von Schule gezeichnet wird und welche Funktionen ihr zugeschrieben werden, ist von Bedeutung, wenn sich Kulturelle Bildung nicht nur fachlich versteht, sondern sich bewusst in der gesellschaftlichen und bildungspolitischen Gemengelage verorten will. Daher werden die Texte in diesem Kapitel bezüglich Schule als Institution ausgewertet.
Positionierungen und Bewertungen
- Mit der Verortung in bzw. der Annäherung an Schule wird Kulturelle Bildung unweigerlich als Teil der gesellschaftlichen Funktionen und des institutionellen Gefüges von Schule markiert.
- Die Anerkennung spezifischer (gesellschaftlicher) Funktionen von Schule durch Akteur*innen Kultureller Bildung ist meist unmittelbar mit Schulkritik und einem Verweis auf die Beharrungskräfte des schulischen Systems verknüpft.
- Die Makroebene des Schulsystems (Rahmenbedingungen durch Schulpolitik), wird nur in wenigen Texten reflektiert. Sie spielt aber durch die Bezugnahme auf Curricula, Outputorientierung, Evidenzbasierung etc. vielfach in den Texten mit hinein.
- Schule wird als Transformationsakteur umrissen – und damit Kulturelle Bildung im Kontext von Transformation verortet. Darin werden Potenziale gesehen, aber demgegenüber ebenso deutliche Kritik formuliert.
- Die Grenzen Kultureller Bildung, vor allem bezüglich der Reproduktion von Ungleichheitskategorien, werden z.T. reflektiert.
- Es findet sich insgesamt wenig Schultheorie in den Texten (auch im Vergleich zu Bildungs- und Unterrichtstheorie).
Nach Tom Braun (2023/2022) steht Schule als gesellschaftliche Institution in einem Leistungsverhältnis zum Staat und hier v. a. in der Funktion, für die Anerkennung des politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Systems zu sorgen. Diese Funktionen zu erfüllen ist möglich, indem Schule die Systeme reproduziert. Die damit verbundenen schulischen Funktionen der Qualifikation, Sozialisation, Selektion, Allokation und Legitimation (vgl. Fend 1980) sowie Enkulturation werden mehrfach zum Ausgangspunkt genommen (z.B. Klepacki 2014), um Kulturelle Bildung in Schule zu reflektieren. Und: Sie werden implizit auch für Kulturelle Bildung in Schule für gültig erklärt. Schule wird damit zum Sozialisationsort des Staates (Fuchs 2015) bzw. zum Ort der Präsentation und Repräsentation von Kultur (Klaus Mollenhauer nach Klepacki et al. 2024/2023). Diese reproduzierenden Funktionen, davor wird gewarnt, klammern zugleich wesentliche (gesellschaftliche) Entwicklungen und Dynamiken aus (Reinwand-Weiss 2023).
Obwohl sich Schule damit an dem ausrichtet, was Gesellschaft an Erkenntnissen, Problemen oder Haltungen für wichtig erachtet (Fauser 2021), segmentiert sie gesellschaftliche Erfahrungen zugleich durch ihren Modus: Sie teilt Gesellschaft in Fächer, Inhalte, Stunden etc. auf und überformt die „Welt der Erfahrung … durch vorgefertigtes Wissen“ (ebd.). Die Schule schiebt sich zwischen das Lernen der Heranwachsenden und die Gesellschaft bzw. Kultur. Daraus ergibt sich ein bildungs- und jugendpolitisches Problem. Max Fuchs (2014/2013) setzt sich daher dafür ein, dass weder die Gesellschaft noch die Kultur im Zuge Kultureller Bildung und kultureller Schulentwicklung ins Zentrum gerückt werden sollten, sondern dass Schule vielmehr zuvorderst den Kindern und Jugendlichen verpflichtet sei. Solange Schule aber durch die Affirmation gesellschaftlicher Funktionen junge Menschen vor allem auf ihr Potenzial als Humankapital (Oberschmidt 2023) reduziert, werden sie als Zentrum von Schule und in ihrem Subjektstatus nicht anerkannt.
Zugleich, und das wird mehrfach kritisiert, sind die gesellschaftlichen Anforderungen an Schule überbordend: „An Schulen werden heute zunehmend Aufgaben herangetragen, die in der Gesellschaft entstanden sind, bei denen man sich allerdings weigert, sie gesamtgesellschaftlich zu lösen“ (Fuchs 2019). Nach Peter Fauser (2021) soll sich Schule um Chancengerechtigkeit, um Demokratieerziehung, um benachteiligte Kinder und Jugendliche, um Sexualerziehung, um Gesundheitserziehung, um Gewaltprävention kümmern, gegen Antisemitismus, Sexismus, Rassismus, Rechtsextremismus stark machen oder, neu hinzugekommen, das postdigitale Zeitalter einläuten. Schule wird mit diesen Erwartungen zur „Entsorgungsagentur“ (ebd.) für gesellschaftliche Probleme. Wird mit diesen Aussagen auf der einen Seite einer Pädagogisierung gesellschaftlicher Problemlagen eine Absage erteilt, sehen andere Positionen, die weniger auf Schule, sondern eher auf das gesellschaftspolitische Potenzial Kultureller Bildung schauen, darin Chancen. Demnach „scheinen Schulen kaum fähig, aus eigener Kraft kulturelle Schulprofile so zu entwickeln, dass verschiedenen Problemlagen damit begegnet werden kann. Dabei läge gerade in einer die Schule durchziehenden ästhetischen Haltung das Fundament, um aktuellen Wandlungsprozessen wie einer kritischen, postdigitalen Medienbildung, der Inklusion von sehr heterogenen Schüler_innen oder einem aktiven Umgang mit Themen wie ökologischer Nachhaltigkeit und Demokratiebildung einen adäquaten Rahmen zu geben, der Schüler_innen, Kooperationspartner_innen und Eltern in die Verantwortung nimmt, Schule mitzugestalten“ (Reinwand-Weiss 2023). Mit diesbezüglichen Positionen ist der Weg für Kulturschulen (siehe unten: „Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung“) bereitet, die Kulturelle Bildung in ihrer Transformationskraft für Schule und Gesellschaft verorten. Ob Schule im Rahmen gesellschaftlicher Transformation reagieren oder eher deren Mitgestalter sind, ist dabei (noch) ungewiss (Dietrich 2023). Ebenso unklar ist, ob sich das Potenzial ästhetischer Prinzipien, transformativ im Sinne von Zukunftsfähigkeit zu wirken, verwirklichen lässt. Dies ist abhängig davon, inwieweit sich schulische Kulturvermittlung „selbst als transformatives Geschehen darstellt“ (Klepacki et al. 2024/2023).
Diese Transformationsbewegung trägt durch ein gesellschaftspolitisch orientiertes Verständnis Kultureller Bildung immer auch einen aufklärerischen und emanzipatorischen Kern (z.B. Erziehung zu Mündigkeit, vgl. Klepacki 2014) in sich. Genau dieser reibt sich an einem weiteren schulischen Spannungsverhältnis: „Die Schule als Institution stellt insofern ein widersprüchliches Gefüge dar, weil sie sowohl auf die aktiv interpretative Beteiligung der Individuen als auch auf deren Einpassung als „Mitspieler“ […] in den an universalistischen Kriterien orientierten Regelungszusammenhang angewiesen ist“ (Braun 2023/2022). Schule ist einerseits für die Tradierung von kulturellem Wissen und Können verantwortlich. Zugleich sind sowohl die Bedingungsfaktoren, Normen, Ziele und Verfahrensweisen der schulischen Kulturtradierung als auch die Menschen einem historischen Wandel unterworfen (Klepacki 2014, Klepacki et al. 2024/2023). Daher kommt Schule nicht umhin, ambivalent auf diese Transformationen reagieren zu müssen (vgl. auch Dietrich 2023). Ob dies gelingt, ob mit oder ohne Kulturelle Bildung, wird bezweifelt: Die schulischen normierenden und bewahrenden Prinzipien, ihre Kontinuität (Oberschmidt 2014/2013) und Beharrungskräfte (Dietrich 2023), verhindern bzw. verlangsamen Transformation. Verstärkt wird diese Resistenz gegenüber Reformansätzen dadurch, dass Schule in den Händen des Staates liegt (Fuchs 2015) und damit eine „staatliche Pflicht- und Zwangsveranstaltung, die sich in ausgewiesenen Macht- und Herrschaftszonen abspielt“ (Lindner 2015) ist.
Das steht, daran sei erinnert, in deutlichem Widerspruch zu innovativen Prinzipien, die typisch für ästhetische, künstlerische und kulturelle Erfahrungen und Praktiken sind (siehe „Gegenpol zu Schule“) und auf Emanzipation zielen. Daher ergibt sich fast zwangsläufig, dass Kulturelle Bildung – obwohl sie mit ihrem Potenzial als Impulsgeber für den schulischen Wandel adressiert wird – zugleich auf Widerstand stößt. Zu prüfen ist demnach, welchen Raum ästhetisch-politische Prozesse entgegen der „Disziplinierungs- und Normalisierungsmacht von Schule“ (Klepacki et al. 2024/2023) einnehmen und inwiefern sie die Grammatik und hegemoniale symbolische Ordnung von Schule (ebd.) verändern können. Hier eine Position für die Kulturelle Bildung zu entwickeln bedeutet, sich offensiv mit der Hierarchie auseinanderzusetzen, die systemisch zwischen dem Schulsystem auf der einen Seite und (innerschulischer und außerschulischer) Kultureller Bildung auf der anderen Seite existiert. Nur wenige weitere Autor*innen artikulieren diese Frage explizit (z.B. Kelb 2014), aus den meisten Texten indes geht sie implizit hervor. Alles, was Schule anfasst, wird zu Schule – diese These und Sorge schwingt vielfach mit und mit ihr Abwehr gegen Schule und damit verbundene Steuerungsmechanismen (Educational Governance). Max Fuchs (2015) zufolge, das ist ermutigend, ist Kulturelle Bildung Teil einer reichhaltigen kritischen Diskussion über die unterschiedlichen Elemente der Educational Governance, die mit PISA beginnt und sich auf das Bildungsverständnis, die zu starke Orientierung an ökonomischen Bedürfnissen, den Verlust an theoretischer und historischer Reflexion oder die Unterstellung einer Verwertungslogik (ebd.) bezieht. Ergänzen lässt sich das „Machtprogramm der evidenzbasierten Pädagogik“ (Fuchs 2016). Um diese Herausforderung zu kontextualisieren, werden vereinzelt die Rollen von Verwaltung oder Verbänden (Naujokat 2018, Gördel 2021) herangezogen, ohne dass dazu konkrete Maßgaben für Kulturelle Bildung abgeleitet werden.
Ob demnach die non-formalen Qualitäten und Prämissen Kultureller Bildung, die diese Transformation in der Schule unterstützen, erfolgreich sind und ob eine diesbezügliche Integration in formale Strukturen angestrebt werden sollte, wird folgerichtig von einzelnen Autor*innen bezweifelt: „Möglicherweise muss diese Prämisse, der Erhalt der bestehenden Systemstrukturen, grundsätzlich infrage gestellt werden“ (Keuchel 2019). Zudem ergibt sich für die Kulturelle Bildung die Notwendigkeit, sich kritisch damit auseinanderzusetzen, inwieweit sie schulische Ziele unterstützen möchte, z.B. „Lernen und Lehren erfolgreicher zu gestalten“ (Fuchs 2019) und den Bildungsauftrag von Schule anzunehmen (Ehm 2022).
Zusätzlich zur schulischen Perspektive lohnt es sich, den Blick auf die Transformationspotenziale Kultureller Bildung zu wenden, wie es einige Autor*innen tun. Sie sind davon überzeugt, dass der künstlerischen Arbeit ein großes transformatives Potenzial innewohnt (Jas/Heber 2019/2017) und sich Teilhabechancen durch Kulturelle Bildung in Schulen erweitern lassen (siehe „Begründungslinien“). Aber: Schule ist andererseits ein Ort, der – schon allein aufgrund seiner Funktionen – habituell, ebenso wie formal und inhaltlich Ungleichheiten reproduziert. Auf diese Schwierigkeit macht beispielsweise Stefan Bast (2023) aufmerksam. Mehr noch: Er hebt hervor, dass beispielsweise offene Settings im Kunstunterricht nicht diskriminierungskritisch sind, weil sie Mittelschichtskinder bevorzugen. Auch Methoden, die in der Kulturellen Bildung verbreitet sind (z.B. Binnendifferenzierung), gehen von „Normvorstellungen“ (ebd.) aus. Bestärkt wird dies in anderen Texten, die auf die Reproduktion von Ungleichheitskategorien verweisen, indem z.B. eurozentristische und mittelschichtsorientierte Inhalte und Methoden angewendet werden (Hohmeier 2023), europäische Kunstmusik im Mittelpunkt steht, obwohl Lehrpläne „offen“ und „kompetenzorientiert“ sind (Leinen-Peters/Borchert 2022) oder ein Werkkanon reproduziert wird, der bestimme Kunstwerke der europäischen Geschichte umfasst (Rehm 2018). Dies „schließt all jene aus, die sich die historischen oder die europäischen Bezüge dieser Werke nicht erschließen können“ (ebd.). Auch andere Autor*innen heben hervor, dass aufgrund von Bourdieus Kapitaltheorie bezüglich kultureller Teilhabe verhalten argumentiert werden müsse (Kelb 2014, Gumz et al. 2019), weil Kulturelle Bildung exkludierend wirke. Olaf-Axel Burow (2019/2011) verweist auf die der Kultur innewohnenden Distinktionsprozesse und fordert ein, kulturelle Schulentwicklung als Prozess zu verstehen, der vielfältige Praktiken anerkennen muss und das kulturelle Kapital erhöhen kann: „Wenn Habitus und kulturelles Kapital Schlüssel für die Bewältigung von privaten und beruflichen Lebensherausforderungen sind, brauchen wir eine Schule, die nicht nur Wissen, sondern auch praktische Lebenskunst vermittelt“ (ebd.). Auch dies kann als Plädoyer für mehr Kulturelle Bildung und Teilhabe verstanden werden.
Argumente dafür zeigen weitere Autor*innen auf: Kulturelle Bildung in Schule kann, unter bestimmten Umständen und mit entsprechender Diskriminierungssensibilität und -kritik, inkludierend und inklusiv wirken. Das ist mit entsprechenden Haltungen und Kenntnissen der Lehrenden, durch bestimmte Methoden, die sich in Unterrichtsmaterialien, -praktiken und -inhalten spiegeln (Bramberger et al. 2022), durch die radikale Anerkennung von Verschiedenheit und Subjektstatus sowie von vielfältigen Lebenswelten und Ausdrucksformen (Braun 2019/2011, Rehm 2018, Retzar 2021/2020, Ehm 2022, Weber 2023) der Fall. Notwendig für inklusive kulturelle Bildungsprozesse in Schulen seien zudem basale Formen des Lernens, eine Individualisierung, die sich an der Biografie und der Entwicklungslogik der Einzelnen orientiere und ein kooperatives Spielen, Lernen und Arbeiten, um „die Vereinzelung der individuellen Lernprozesse sowie Parzellierung und Reduzierung der Bildungsinhalte in einem additiven, unvermittelt nebeneinander existierenden Fächerkanon [zu] verhindern und stattdessen „soziale Einbettung und Teilhabe“ [… zu] ermöglichen“ (Weber 2023).
(Weitere) Blicke auf (Kulturelle) Bildung
Da sich (Kulturelle) Bildung quasi als Querschnittsthema durch alle Kapitel dieses Beitrags zieht, wird in diesem Absatz kurz zusammengefasst, unter welchen Begriffen Kulturelle Bildung umrissen wird. In den Thesen werden vor allem Einschätzungen gegeben, welche sich aus den Texten in ihrer Gänze ergeben. Im Anschluss wird auf Teilaspekte eingegangen, die für den Diskurs impulsgebend erscheinen.
Positionierungen und Bewertungen
- Kulturelle Bildung ist in den Texten v. a. künstlerische Bildung und künstlerische Praxis. Es findet im Zuge von Texten zu Kultureller Bildung in Schule eine Verengung und Verkürzung auf dieses Verständnis Kultureller Bildung statt – Alltags- und Jugendkulturen oder weitere ästhetische Praktiken werden kaum erwähnt.
- Entsprechend wird, mit Ausnahme des Themas „Schulkultur“ (siehe unten: „Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung“), kein breiter kultureller Bildungsbegriff genutzt.
- Schule wird stark in ihren formalen Bildungsfunktionen umrissen. Schule als non-formaler und informeller Lernraum wird z.T. behauptet, in den Texten indes nicht näher betrachtet. Diese Fokussierung leistet einen entscheidenden Beitrag dazu, dass Akteur*innen Kultureller Bildung aus Wissenschaft und Praxis selbst vor allem dem Unterricht und der Schule in ihrer formalen Funktion Bedeutung beimessen.
- Eine entscheidende Qualität Kultureller Bildung, an den Interessen und Lebenswelten von jungen Menschen anzuknüpfen, spielt nur im absoluten Ausnahmefall eine Rolle. Insofern dies der Fall ist, werden (allgemeine) Prinzipien Kultureller Bildung erwähnt, aber nicht differenziert oder tiefergehend reflektiert.
- Junge Menschen sind in fast allen Texten „Schüler*innen“, werden also – und sei es unbewusst – auf diese Rolle und damit als Lernende (mit Defiziten) reduziert. Eine Anerkennung ihres Subjektstatus oder ihrer Lebensphasen Kindheit und Jugend findet nicht explizit statt.
Insgesamt verzichten die meisten Texte darauf, dezidiert ihr Verständnis Kultureller Bildung zu erläutern, aus den beschriebenen Praktiken geht es oft (als künstlerische Bildung) hervor. Insgesamt wird ein, wenn nicht breites, so doch vielfältiges Verständnis sichtbar. Max Fuchs hatte bereits frühzeitig Kulturelle Bildung als „Containerbegriff“ bezeichnet und wiederholt 2019, dass es beispielsweise bezüglich Kultureller Bildung eine begriffliche und konzeptionelle Unschärfe auch im schulbezogenen Diskurs gäbe. Sein Vorschlag einer Definition ist in seiner Breite anschlussfähig zu vielen Facetten Kultureller Bildung, wie sie in den Texten aufgezeigt werden: „Es geht um ein Lernen mit allen Sinnen, es geht um eine Einbeziehung der Leiblichkeit und Körperlichkeit der Menschen in der Schule“ (Fuchs 2019).
Texte, die sich eher unter einer Bildungsperspektive stark machen für Kulturelle Bildung, gehen auf spezifische Qualitäten ein. Dazu zählen beispielsweise:
- Pädagogische oder anthropologische Begründungen von Kultureller Bildung in der Schule sind in der deutlichen Minderheit. Mit Verweis auf die unterschiedlichen Aneignungsmodi von Welt (Eckhard Klieme, z.B. nach Klepacki 2014) ist es in einer Schule, die für sich Bildung beansprucht, notwendig, dass der ästhetisch-expressive Zugang gleichberechtigt zu den sprachlich-literarischen, mathematisch-naturwissenschaftlichen, historisch-sozial-wissenschaftlichen Zugängen ist.
- Ähnlich argumentiert die Lehr- und Lernforschung, die aufzeigt, dass es jenseits des sprachlich-logischen bzw. mathematisch operativen Lernens ebenso musikalisches, kinästhetisches, emotionales und räumlich-gestalterisches Lernen für eine umfassende Persönlichkeitsbildung, für Selbst- und Welterkenntnis braucht (Kettel 2024).
- Phänomenologisch betrachtet Kristin Westphal (2018) das Thema, indem sie das Subjekt als aktives Selbst in den Mittelpunkt stellt und „Kulturelle und im engeren Sinne Ästhetische Bildung nicht in erster Linie als eine Aktivität, sondern auch als ein Widerfahrnis bzw. als ein Antwortgeschehen zu betrachten ist“ (ebd.). Bildung als Antwortgeschehen und als leibliche Verwicklung in Lebenswelten zu verstehen, unterscheidet sich ihrer Meinung nach von Bildung als bloßem – äußerlichen und rationalen – Aneignungsprozess.
- Auf die Bedeutung von Erfahrung im Kontext von Kultureller Bildung und Schule geht Peter Fauser (2021) ein. Demnach ist es wichtig, die Potenziale der Künste für eine kooperative und kommunikative Umgebung zu nutzen, die einen gemeinsamen Raum des Fühlens und Denkens mit anderen Menschen öffnet. Dies unterscheidet sich (sic! Kontrastierung) von stellvertretenden Erfahrungen: „Im ersten Fall bleibt die Erfahrung eingebettet in den co-konstruktiven Fluss einer sich fortbildenden Weltdeutung, sie bleibt Teil unseres leibhaftigen In-der-Welt -Seins. Im zweiten Fall bleibt die Erfahrung auf einen vorgefertigten, im Prinzip unveränderlichen Referenzrahmen bezogen“ (ebd.).
- Britta Klopsch (2021/2020) wiederum betont Kulturelle Bildung nicht in ihrer Eigenständigkeit, sondern hebt Kulturelle Bildung als Unterstützungssystem für kognitive Prozesse hervor und als Möglichkeit, selbstgesteuertes reflektierendes Lernen zu ermöglichen und Schüler*innen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Kulturelle Bildung wird hier, durchaus mit Anklängen neoliberaler Begrifflichkeiten, als ganzheitlicher Lernprozess, der auf sozial, emotional und physisch engagierten Lernenden fußt, umrissen. Die Integration von Künsten treibt diese Verbindungen „zwischen dem Kognitiven und dem Affektiven, dem Kurzfristigen und dem Langfristigen, dem Individuellen und dem Sozialen“ (ebd.) an.
- Neuere Texte (Dietrich 2023, Reinwand-Weiss 2023) rekurrieren auf transformatorische Bildungsbegriffe oder Bildungsverständnisse, die relational gedacht werden und damit das „autonome Subjekt“ infrage stellen (Dietrich 2023). In dem Zusammenhang wird ein weiteres Spannungsfeld verstärkt, das bereits in früheren – humanistischen wie auch emanzipatorischen Bildungsansätzen – angelegt ist: Schule und Kulturelle Bildung gleichermaßen in einem „Wechselspiel von Unterwerfung unter umgebende Konventionen und Überschreitung derselben“ (ebd.) zu verstehen.
Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung
Von den allgemeinen schulischen Themen, die mit Kultureller Bildung in Berührung stehen und bisher erläutert wurde, wird in diesem Kapitel nun der Blick auf einen spezifischen Ansatz für Kulturelle Bildung gelenkt: jenen der kulturellen Schulentwicklung und Kulturschule. Zusammengefasst werden die entsprechenden Begründungen und Konzepte, die sich auf kubi-online spiegeln.
Positionierungen und Bewertungen
- Neben dem künstlerischen Fachunterricht wird der kulturellen Schulentwicklung bzw. der Kulturschule auf kubi-online die größte Aufmerksamkeit als schulischer Strategie für mehr Kulturelle Bildung zuteil.
- Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung werden als Ansatz angedeutet, die Kontrastierung/Polarisierung der beiden Systeme Schule und Kunst/Kulturelle Bildung aufzulösen.
- Auch Kulturschulen changieren im Diskurs zwischen der Anpassung an die schulischen Aufträge und Logiken und am Potenzial, Schule zu transformieren.
- Ob der Ansatz Kulturschule geeignet ist, zu einer Flächenstrategie für Kulturelle Bildung in Schule zu werden oder die Grammatik von Schule zu überwinden, bleibt offen.
- Aus den drei Feldern, die (kulturelle) Schulentwicklung umfasst (Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklung) wird fast ausschließlich Unterrichtsentwicklung reflektiert. Dadurch entstehen deutliche Lücken.
- Auf kubi-online finden sich zu kultureller Schulentwicklung v. a. theoretische, konzeptionelle und empirische Texte. Praxisbezogene Handlungsstrategien sind in der deutlichen Unterzahl.
Auch Kulturschule bzw. kulturelle Schulentwicklung sind Ausdruck eines kritisches Diskurses, inwiefern bzw. in welcher Art und Weise und zu welchen Zwecken Kultur in der Schule gestärkt werden kann (Klepacki et al. 2024/2023). Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung, das verdeutlichen fast alle Texte auf kubi-online zu diesem Thema, stellen Schule als System ins Zentrum. Unweigerlich geht damit einher, dass sich Schulen (bzw. das Schulsystem) selbst entwickeln müssen: „Die Einzelschule muss Subjekt und Objekt eigener Gestaltungs- und Entwicklungsprozesse sein“ (Fuchs/Braun nach Braun 2013/2012). Mit kultureller Schulentwicklung geht es darum, Kulturelle Bildung planmäßig, systematisch und nachhaltig im Innern, d.h. im Schulprogramm, zu verankern (Fuchs 2019). Entsprechend kann dieser Prozess nicht von außen initiiert werden bzw. geschehen und funktioniert nicht, wenn schulexterne Logiken und Begriffe auf schulische Gegebenheiten projiziert werden (vgl. Klepacki et al. 2024/2023). Damit sind in diesen Entwicklungsprozessen außerschulische Perspektiven eher außen vor und maximal als „Unterstützung“ adressiert.
Konzeptionell wird mit dem Ansatz Kulturschule der Versuch unternommen, subjektbezogene, bildungsbezogene und soziologische Funktionen von Schule zusammenzuführen und kritisch zu diskutieren (Braun 2023/2022) – und zwar unter der Prämisse des Ästhetischen. Auch wenn nicht alle Texte der gleichen Definition von Kulturschule folgen bzw. nicht alle eine Definition formulieren, so lässt sich die Definition von Max Fuchs (2019) als Orientierungsrahmen erkennen, der vielfach herangezogen wird: „Eine Kulturschule ist eine Schule, die als ästhetischer Erfahrungsraum gestaltet ist, bei der also Schüler*innen und auch Lehrer*innen die Gelegenheit gegeben wird, umfassend ästhetische Erfahrungen zu machen“ (ebd.). Solche ästhetischen Erfahrungsräume in der kulturellen Schulentwicklung zu gewährleisten, heißt beispielsweise, dass für Bildungsprozesse Möglichkeiten zur Konzentration geschaffen werden, ausreichend Raum und Zeit vorhanden sind oder „man sich an die griechische Ursprungsbedeutung des Wortes Schule wieder erinnert: Muße“ (Gördel 2019/2018). Anders als im Diskurs zu anderen Kapiteln dieses Beitrags ist damit in einigen Texten explizit ein Ansatz verbunden, der Kulturelle Bildung nicht auf Künste, kunstästhetische Praxisformen bzw. das Kunstschöne (Klepacki et al. 2024/2023) fokussiert oder – bewusst oder unbewusst – Kultur als Hochkultur, Oberklassenphänomen bzw. als ein umgrenztes gesellschaftliches Subsystem (ebd.) begreift. Im Gegenteil: In der kulturellen Schulentwicklung werden beispielsweise jugendkulturelle Ausdrucksformen (Retzar 2021/2020) als Bezugsrahmen erwähnt. Auch ist Schule kein Ort, der erst zu einem Ort Kultureller Bildung gemacht werden muss, sondern mit seinen bereits vorhandenen Praktiken und dem Enkulturationsauftrag ist er schon ein solcher, und zwar im Sinne kultureller Selbstbildung und Weiterbildung (Klepacki 2014). Kulturschulen können diesen Kulturort weiterentwickeln.
Für einen solchen ästhetischen Erfahrungsraum werden vielfältige Qualitäten und Potenziale Kultureller Bildung herangezogen, die so ähnlich unter „Gegenpol zu Schule“ aufgelistet werden und kulturelle Schulentwicklungsprozesse unterstützen können:
- eine schützende Gemeinschaft, eine kooperative Verständigungskultur, eine alltägliche leibhaftige Praxis, „die sich ihrem Lernen, den individuellen und schöpferischen Zugängen und Manifestationen der Auseinandersetzung mit der inneren und äußeren Wirklichkeit, hilfreich zuwendet“ (Fauser 2021). Der Kunst kommt hierbei eine fundamentale Bedeutung zu (ebd.);
- die künstlerischen Prozessqualitäten des Experimentierens, Improvisierens und damit das unvorhersehbare Tun, das sich an jenen Impulsen orientiert, die alle Lernenden in ihren Gestaltungsprozess einbringen (Oberschmidt 2023);
- eine Pädagogik der Achtsamkeit mit ihren wichtigen Impulsen für ein kollektives, altruistisch ausgerichtetes Wertesystem (Penzel 2021);
- Subjektorientierung, Lernen aufgrund ästhetischer Erfahrungen, Bildung als Prozess der Kultivierung der Sinne, Wechselspiel der unterschiedlichen Wesensmerkmale der Person (sinnliche Wahrnehmung, Emotion, Kognition etc.), dialogische und partizipative Erfahrungs-, Lern- und Veränderungsprozesse (Gördel 2019/2018);
- kulturelle Artikulations- und Handlungsweisen von ästhetischen Praktiken, die den schulisch-unterrichtlichen Alltag potenziell variieren können und tradierte Grenzen von Schule und Unterricht hinterfrag- und verhandelbar werden lassen, zumindest wenn sie nicht lediglich reproduzieren, sondern transformieren (Klepacki et al 2024/2023).
Kulturschule kann als „Befreiung der Einzelschule“ (Klinge 2017/2016) gelesen werden und damit als Kontrapunkt dazu, diese auf die Erfüllung von Bildungsstandards und Kompetenzorientierung zu reduzieren. Damit verbunden ist die Haltung, die einzelne Schule als Akteur ernst zu nehmen und nicht nur das gesamte Schulsystem (Fuchs 2019) als Bezugspunkt wahrzunehmen. Mit einer Profilbildung eröffnen sich der Einzelschule Möglichkeiten, individuelle Schwerpunkte und Stärken zu entfalten (Klinge 2017/2016). Kulturschule kann dabei als Gegenmodell zur „Nische“ (Kammler/Spahn 2018) oder zum (temporären) „Schonraum“ (Braun 2013/2012, Braun 2019/2011) gelesen werden, in die Kulturelle Bildung in Schule oft verschoben wird. Mit diesem Konzept wird daran gearbeitet, dass Kulturelle Bildung nicht zum Appendix des Unterrichts gemacht wird, sondern zu einem grundlegenden Baustein von Bildung, der als „Normalfall“ in allen Bereichen von Schule Raum nehmen muss (Kammler/Spahn 2018). Ästhetisches und kulturelles Lernen soll mit den zentralen Bausteinen der (kulturellen) Schulentwicklung – den Prozessen der Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung – verbunden werden (Braun 2019/2011, Klopsch 2019). Inwieweit sich hier die Perspektive auf Einzelschulen und ihre Entwicklung (mit der Gefahr, dass es sich um Leuchttürme handelt) auf eine flächendeckende Strategie erweitern lässt, lassen die meisten Texte offen. Inwiefern Kulturschulen in die Breite getragen werden können, zöge nach sich, „genauer zu analysieren, unter welchen Umständen innovative pädagogische Ansätze erfolgreich in die Fläche implementiert werden können, welche Rolle hierbei Begründungen und Argumentationsmuster spielen, wer die relevanten Akteure sind und welche Einflussmöglichkeiten sie jeweils haben“ (Fuchs 2015).
Auch wenn die (eigenständigen) Qualitäten Kultureller Bildung Erwähnung finden, bleibt der institutionelle Auftrag von Schule bzw. die Kompensationsfunktion Kultureller Bildung zur Schule in einzelnen Texten im Fokus. Nach Antje Klinge (2017/2016) hat (kulturelle) Schulentwicklung letztlich das „ultimative Ziel, die Lerngelegenheiten der Schülerinnen und Schüler zu verbessern“. Ähnlich argumentiert Britta Klopsch (2021/2020), welche die Bedeutung von Kulturschulen hervorhebt, um mittels Identifikation und Wohlbefinden die Bindung von Schüler*innen an die Institution Schule und ihre Ansprüche zu erhöhen und damit erfolgreiche Schulerfahrungen und akademische Leistungen zu fördern (ebd.) bzw. Lernende auf ihr Erwachsenenleben und die damit verbundenen komplexen Lern- und Arbeitsprozesse vorzubereiten (Klopsch 2022). Andere Positionen artikulieren, dass Kulturschule Kognition durch ästhetische Aneignung ergänzt, denn: „Im Vordergrund steht die Wahrnehmung, die sinnliche Erfahrung von Gegenständen, Situationen und Themen der Welt […]“ (Klinge 2017/2016). Im Gegensatz zu diesen eher dem schulischen Auftrag folgenden Argumentationen fordert Olaf-Axel Burow (2019/2011), mit kultureller Schulentwicklung die Grammatik (bisheriger) Schule nicht bloß zu optimieren, sondern vielmehr zu überwinden. Dies soll durch „einen Paradigmenwechsel von der traditionellen Schule als Unterrichts- und Belehrungsanstalt zur Kulturschule bzw. zur Schule als „Kreatives Feld““ (Burow 2019/2011) geschehen. Eine Brücke zwischen unterschiedlichen Positionen schlägt beispielsweise Joachim Penzel (2021). Kulturelle Bildung und Schulentwicklung macht junge Menschen „immun […] gegen ein ökonomisches und soziales Wertesystem, das letztlich auf eine Unterwerfung des Individuums unter die Bedingungen einer auf materiellem Wachstum basierenden Gesellschaft ausgerichtet ist“ (ebd.). Anliegen von Kulturschule sei es seiner Ansicht nach, Persönlichkeiten zu entwickeln, die sich emanzipieren und alternative Formen des Handelns und Zusammenlebens erproben bzw. an Gesellschaft teilhaben (können). Eine Kulturschule grenzt sich damit bewusst von einem „einseitigen Verständnis von Schule ab, das die kognitive Dimension des Lernprozesses und die Orientierung an wirtschaftlichen Bedürfnissen der Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt“ (Klopsch 2022). In diesem Zusammenhang problematisieren andere Autor*innen die Pädagogisierung von Künsten im System Schule (Wolf 2019): Kulturelle Schulentwicklung soll auf individueller Ebene als Persönlichkeitsentwicklung etwas bewirken und zugleich schulische Rahmenbedingungen verändern und die Identität von Schulen beeinflussen (ebd.). Auch wenn diese drei Zielebenen eng miteinander zusammenhängen, droht neben der Indienstnahme gleichzeitig Überforderung. Daher kommt Kulturelle Bildung nicht umhin, positiv besetzte Begriffe wie Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung zu prüfen und die Frage zu beantworten, inwieweit Kulturelle Bildung bei der Bewältigung anstehender schulischer Herausforderungen einen Beitrag leisten kann, will und soll. Denn, das wurde in diesem Absatz deutlich: Obwohl Kulturschulen Ausdruck dafür sind, alternative Modelle zu entwickeln, sind sie eingebettet in bildungspolitische Entwicklungen wie Kompetenz- oder Kernfachfokussierung bzw. die mangelnde inhaltliche Ausgestaltung des Ganztagsschulbetriebs (vgl. z.B. Klepacki et al. 2024/2023).
Wenn Kunst und Kultur zur zentralen Dimension des Schullebens werden – und zwar als selbstkultivierender (Braun 2019/2011) und partizipativer Prozess (ebd., Lindner 2015), der Anerkennungsprozesse umfasst –, dann ist damit unmittelbar (auch) Schulkultur als Motor und Spiegel von (kultureller) Schulentwicklung berührt. Im Konzept der Schulkultur verschränken sich individuelle und institutionelle Lernprozesse (selbstkultivierend, partizipativ, anerkennend) mit schulinterner Selbstreflexion (Gördel 2019/2018). Schulkultur wird v. a. auf Grundlage von Werner Helsper genutzt (vgl. Texte von Braun, Fuchs, Gördel) und als „Zusammenspiel geltender Normen und Werte, dem Verhalten aller schulischen Beteiligten, deren Empfinden und den an der Schule vorhandenen materiellen und strukturellen Vergegenständlichungen“ (Klopsch 2019) definiert. Sie wird bestimmt durch das kollektive und individuelle, soziale und kulturelle Handeln der schulischen Akteur*innen, das auf systemischen, bildungspolitischen, historischen und sozialen Rahmenvorgaben beruht. Damit wird die individuelle Schulkultur mit den Wertorientierungen, Einstellungen und Handlungsmuster der Einzelschule fokussiert und in ihrer Bedeutung auf kulturelle Schulentwicklung hervorgehoben. Daher ist es einsichtig, warum es keine allgemeingültigen Rezepte für kulturelle Schulentwicklung geben kann (Gördel 2021).
Es fällt auf, dass es jenseits des detaillierter umrissenen Themas Unterrichtsentwicklung (siehe unten: „(Kulturelle) Unterrichtsentwicklung und künstlerischer Fachunterricht“) vor allem allgemeine und unbestimmte Aussagen gibt, wie im Rahmen von Organisations- und Personalentwicklung sowie Schulkultur eine umfassende Implementierung des Ästhetischen und Kultureller Bildung geschehen kann und soll. Einigkeit besteht bei den Autor*innen, dass dies nicht allein im Kontext der ästhetisch konnotierten Fächer passieren darf. Es bleibt aber eine (unbeantwortete) Frage, „wo und wie als ästhetisch zu begreifende soziale Praktiken sonst noch am Kulturort Schule zum Tragen kommen“ (Klepacki et al. 2024/2023).
(Kulturelle) Unterrichtsentwicklung und künstlerischer Fachunterricht
Sowohl für Schule insgesamt als auch im Rahmen von Kulturschule und kultureller Schulentwicklung wird die zentrale Stellung des künstlerischen Fachunterrichts offenkundig. Daher wird in diesem Kapitel dargestellt, in welcher bildungspolitischen Gemengelage sich die künstlerischen Unterrichtsfächer befinden, welche Spezifika sie kennzeichnet und inwiefern es weitere Verortungen der Künste im (nicht-künstlerischen) Unterricht gibt.
Positionierungen und Bewertungen
- Unterricht ist, das wird auf kubi-online nicht bestritten, Kern des schulischen Systems. Dies wird auch für Kulturelle Bildung anerkannt und daher wird der künstlerische Fachunterricht fokussiert. Es ist möglich, dass mit der starken, bisweilen einseitigen Fokussierung von Unterricht einer Formalisierung von (Kultureller) Bildung in Schule Vorschub geleistet wird.
- Der künstlerische Fachunterricht wird in seiner Existenz als bedroht wahrgenommen. Die These, Kulturelle Bildung würde weg vom künstlerischen Fachunterricht in den Nachmittag oder in Projekte ausgelagert, wird artikuliert, empirische Daten dazu aber fehlen.
- Vertreter*innen künstlerischer Schulfächer äußern sich auch politisch zur Existenznot ihrer Fächer in der Schule und befinden sich im Selbstbehauptungsmodus. Von ihnen formuliert werden Reibungen am System Schule, aber ebenso Kritik an Programmen zur Förderung Kultureller Bildung durch Kooperationen oder zum Konzept der Kulturschule.
- Als Teil der schulischen Unterrichtslogik verortet sich der künstlerische Fachunterricht im Spannungsfeld von Normierung bzw. Output- und Kompetenzorientierung. Demgegenüber haben es Eigenwert und Eigenständigkeit der Künste oder gar Subjektorientierung schwer.
- Künstlerische Schulfächer stehen damit im Spannungsfeld zwischen Output-/Kompetenzorientierung, ihren Gegenständen der Künste und ihrer Rolle im Zuge der gesellschaftlichen Transformation.
- Das Spartenspektrum der Künste im Unterricht geht deutlich über die drei Kernsparten Musik, Bildende Kunst und Theater hinaus. Diese drei Fächer sind – wenn auch auf unterschiedlichem Niveau – aber etabliert und prägen entsprechend den Diskurs über Unterricht.
„Der schulische Unterricht gilt in unserer Gesellschaft gleichermaßen als Bedürfnis wie als Notwendigkeit und Pflicht“ (Nimczik 2013/2012). Der Tenor dieser Aussage prägt die zentrale Stellung von (künstlerischem) Unterricht und seiner Bedeutung im Diskurs. Unterricht wird damit als zu gestaltendes Kerngeschäft von Schule bzw. des Schulsystems anerkannt (vgl. bspw. Fuchs 2019). Dies wird nicht nur durch ähnliche Aussagen in den Texten deutlich, sondern auch in der großen Anzahl der Texte, die das Thema Unterricht fokussieren. Davon ausgehend gibt es zwei wesentliche Schwerpunkte: zum einen die künstlerischen Schulfächer bzw. die Verankerung weiterer Künste im Fachunterricht, zum anderen die (deutlich seltener) verhandelte Frage nach der Unterrichtsentwicklung durch ästhetische Praxis im nicht-künstlerischen Fachunterricht. Letzterer Diskurs ist eng verbunden mit dem Konzept der Kulturschule (siehe oben: „Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung“), denn von „einer Kulturschule ist […] nur dann zu reden, wenn der Unterricht insgesamt das Prinzip Ästhetik berücksichtigt“ (Fuchs 2019).
Zunächst ist es sinnvoll, den bildungspolitischen Kontext der künstlerischen Fächer in der Schule zusammenzufassen. Ausdruck für die in einigen Texten beklagte mangelnde Wertschätzung Kultureller Bildung in Schule ist nach Ansicht der Autor*innen die Randständigkeit der künstlerischen Schulfächer: „Kunst für Kinder wird in unserer Kulturlandschaft immer noch als zweitrangig angesehen. Dies trifft auch für die künstlerischen Fächer zu, die in der Schule oft als Beiwerk angesehen und dann auch beiläufig unterrichtet werden“ (Sting 2022/2021). Dass künstlerische Schulfächer nicht ihrer Bedeutung für Bildungsprozesse gemäß in der Schule berücksichtigt werden, ist zugleich kein Phänomen der letzten Jahre, sondern war bereits zu Zeiten humanistischer Gymnasien im 20. Jahrhundert Realität (Oelkers 2013/2012). Dabei, das sei erwähnt, gibt es weder zur Quantität noch zur Qualität „des tatsächlich erteilten Unterrichts, zum Ausmaß des Unterrichtsausfalls, zum fachfremd erteilten Unterricht und zum Lehrpersonal mit Lehrbefähigung […] in den künstlerischen Fächern kaum empirisches, geschweige denn verlässliches statistisches Material“ (Liebau 2015). Der Eindruck, dass die künstlerischen Schulfächer von zunehmender Bedeutungslosigkeit bedroht sind (Reinwand-Weiss 2023), gründet sich auf Beobachtungen und Entwicklungen, z.B. an den ausbildenden Hochschulen und Universitäten, in der Verteilung von Stunden in den Stundentafeln der Länder oder in der Verbreitung des Unterrichts in der schulischen Praxis. Die sich daraus ergebende Situation des künstlerischen Fachunterrichts führt auf kubi-online zu politischen, z.T. auch polemisch formulierten Texten von Protagonist*innen aus den Verbänden künstlerischer Schulfächer. Sie formulieren Widerstände gegenüber unterschiedlichen Entwicklungen:
- gegenüber Schulpolitik, die der Marginalisierung künstlerischer Fächer Vorschub leistet und Kulturelle Bildung in den Nachmittagsbereich oder in Projekte (auch in Education Programme, vgl. Oberschmidt 2023) auslagert. Die Bedeutungsreduktion erfolgt zudem durch Entfachlichung, d.h. nicht nur durch weniger ausgebildetes Lehrpersonal, sondern auch „durch Aufweichung der Fächer in Fachbereiche als billige Ausweichstrategie“ (Reiss 2014). Zu Unruhe hat für die künstlerischen Fächer demnach geführt, dass „inhaltliche Vorgaben bis hin zum Zuschnitt der Fächer diskutiert und in neue pädagogisch-didaktische Strukturen (z.B. bezogen auf fächerverbindenden Unterricht oder auf neue Fächerkombinationen) gegossen“ (Nimczik 2013/2012) werden;
- gegenüber Künstler*innen als kostensparende Ausweichlösung: „Anstatt […] die Stundentafeln zu Gunsten von mehr Kunst und kulturellen Fächern zu verbessern und der Marginalisierung der künstlerischen Bildung an den Schulen damit entgegenzuwirken, lautet die Lösung zum Ausstieg aus dem verengt gesehenen Schulübel: Künstler an die Schulen! Und Künstler sollen das leisten, was Aufgabe der Kunstlehrerinnen und Kunstlehrer war und ist“ (Höxter 2015). In diesem Text wird Künstler*innen die Kompetenz zur Vermittlung Kultureller Bildung abgesprochen;
- gegenüber dem Reformbestreben der außerschulischen Kulturellen Bildung, die sie gegenüber Schule artikuliert: „Wer gerne darüber diskutieren möchte, dass es eine völlig andere Schule im Sinne eines total reformierten Bildungssystems geben sollte, wäre gut beraten, den Hebel nicht am schwächsten Punkt, also der kulturellen/ästhetischen Bildung anzusetzen, sondern an tragenden Pfeilern wie den differenzierten, exkludierenden Schulformen, den PISA-Fächern, dem Klassensystem, dem System der Leistungsbewertung in Noten, der Auslese durch „Sitzenbleiben“ u.a.“ (Reiss 2014);
- gegenüber der Kulturschule allgemein, was daran sichtbar wird, dass die künstlerischen Schulfächer „bei weitem nicht geschlossen und offen einer allgemeinen ästhetisch-kulturellen Schulentwicklung zugunsten der Aufweichung von Fächerstandards gegenüber“ (Reinwand-Weiss 2023) stehen;
- gegenüber kurzfristigen (außerunterrichtlichen) Perspektiven: Der Anspruch von Lehrer*innen, durch künstlerischen Fachunterricht eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur zu gewährleisten, kollidiert mit einer Flut von Einzelprojekten und Einmalaktionen, die ihre Wirksamkeit in kurzfristigen Formaten und ohne Voraussetzungen behaupten. „Diese neuen Settings widersprechen der schulischen Behauptung, der Umgang mit Kunst und Kultur könne nur in einem langen, mühsamen Prozess der Persönlichkeitsentwicklung erworben werden“ (Wimmer 2014).
Bildungspolitisch haben diese Vorwürfe ihre Berechtigung. Zugleich zielen sie auf klare Abgrenzung und Hierarchisierung zwischen künstlerischem Fachunterricht und Kultureller Bildung im non-formalen Kontext und auf Beharrung: Eine konkrete Auseinandersetzung, inwiefern künstlerischer Fachunterricht (kulturelle) Schulentwicklung unterstützen kann und wie er sich in Transformationsprozessen selbst verändern muss, findet vor diesem Hintergrund nicht statt. Ihren Beitrag oder ein Angebot zur gesellschaftlichen oder schulischen Transformation wollen oder können sie nicht aufzuzeigen (Reinwand-Weiss 2023), weil sie sich von außen (außerschulische Träger, Eltern, Gesellschaft) und von innen (Curricula, Stundentafel, Ausbildungssituation) unter Druck gesetzt fühlen. Ihre Strategie ist, im System den Erhalt ihrer ästhetischen Fächer zu sichern. Sie können daher weder implizit noch explizit am Fächersystem, der zeitlichen Strukturierung oder den curricularen Vorgaben rütteln. Diese Abwehr gegenüber Veränderungen oder erweiterten Perspektiven auf Kulturelle Bildung kann als Gegenbewegung zu jenen Positionen interpretiert werden, die sich für eine Kulturschule einsetzen (siehe oben: „Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung“) und dem künstlerischen Fachunterricht in der kulturellen Schulentwicklung eine zentrale Rolle einräumen, aber die zentrale Stellung Kultureller Bildung nicht auf diesen reduzieren.
Ein zweiter bildungspolitischer Aspekt, der auf die künstlerischen Schulfächer einwirkt, ist ihre Einbettung in den schulischen Auftrag und die Veränderungen, wie dieser schulische Auftrag umgesetzt wird. Wenn beispielsweise Enkulturation (oder Qualifikation) Auftrag von Schule ist (siehe oben: „Schule als Institution“) und Unterricht Kerngeschäft von Schule, dann ist Enkulturation (oder Qualifikation) Auftrag von künstlerischem Unterricht. Auch künstlerischer Fachunterricht ist damit in besonderer Weise im bereits eingeführten Spannungsfeld ein Ort der Normierung. Er kann und muss bezogen auf Kulturelle Bildung „als situativer Rahmen der organisierten und normierten Vermittlung und Aneignung von Kultur verstanden werden“ (Klepacki 2014), was wiederum – insofern diese Kultur nicht als offen und veränderlich verstanden wird – einigen für Kulturelle Bildung und Künste formulierten Prinzipien nicht entspricht.
An den künstlerischen Schulfächern sind die schulischen Entwicklungen seit den 2000-er Jahren nicht vorbei gegangen, die sich beispielsweise in Evidenz- und Outputorientierung und insbesondere in der Kompetenzorientierung zeigen (siehe unten: „Kompetenzorientierung und Benotung/Bewertung Kultureller Bildung“). Von der Input- zur Output-Orientierung heißt einerseits, dass sich die künstlerischen Schulfächer über ihre zentralen Ziele verständigen müssen (Oberschmidt 2014/2013). Andererseits stellt sich die Frage, wie es möglich ist, individuelle Fähigkeiten zu fördern und dabei mit kompetenzbasierten Bildungsstandards umzugehen, die Ausdruck einer rationalen Beschleunigung sind. Dabei wird das Prinzip der Outputorientierung, das zudem nach sich zieht, dass alles mess- und evaluierbar sein muss, zu zentralen Prinzipien Kultureller Bildung kontrastiert, zu denen Kontemplation, Wiederholen und Warten können zählen (ebd.). Dieses Spannungsfeld, beispielsweise musikalisches Lernen operationalisierbar zu machen, um Musikunterricht systemrelevant in das System Schule zu stellen, „hat den Musikunterricht in eine Sackgasse geführt“ (ebd.). Clemens Höxter (2015) diskutiert in diesem Zusammenhang die Funktion der künstlerischen Schulfächer – hier des Kunstunterrichts -, und sieht dessen Sinn und Zweck (auch) außerhalb der Künste selbst, „in ihrer allgemeineren Ertüchtigung des Menschen, in ihrem Transferpotenzial im Hinblick auf andere Lebens- und Kompetenzbereiche“ (ebd.). Diese Aussage steht in Resonanz zur Debatte, welche die Freiheit der Künste in Konflikt zum schulischen Bildungsauftrag sieht. Deutlich wird in diesbezüglichen Positionen, dass der künstlerische Fachunterricht als Teil des schulischen Systems dessen Bildungsauftrag annimmt. Es geht zugleich darum, im Unterricht kulturelle Bildungserlebnisse „eng mit einer Klärung von Wirklichkeit, mit der deutlichen Stärkung der Fähigkeit, mit sich selbst umzugehen, mit gelingender Sinnproduktion und klarer Werteorientierung zu verbinden“ (Höxter 2015). Einzelne Positionen sehen die in der Bildungs- und Schulpolitik vertretenen Auffassungen von Kultureller Bildung bzw. künstlerischem Fachunterricht kritischer (Dyllick 2021), weil diese Politik nicht den Eigenwert Kultureller Bildung betont, sondern überfachliche und als bildungsrelevant erachtete Kompetenzen und Erträge (Transfereffekte) priorisiert. Dies würde die Qualität der künstlerischen Fächer im Sinne des eigenständigen Modus der Weltaneignung verkennen (ebd.).
Zusätzlich ergibt sich, dass auch der künstlerische Fachunterricht im spannungsreichen Verhältnis von schulischer Tradierung und gesellschaftlicher Transformation steht (Köstler-Kilian 2022). Mehr noch, auf den künstlerischen Fachunterricht wirken drei im System Schule miteinander verknüpfte Ebenen, die bereits in diesem Beitrag reflektiert wurden: einerseits „die von der Gesellschaft herangetragenen Aufgaben und Funktionen, zweitens die institutionellen Merkmale und Organisationsformen der Schule und drittens die Inhalte und Formen schulischen Arbeitens, sowie, damit zusammenhängend spezifische, institutionell geprägte regelhafte Verhaltensweisen der daran beteiligten Personengruppen“ (Pinkert 2021/2015). Herausforderung genug: Künstlerischer Unterricht muss diese Ebenen verbinden und darf dabei nicht zum Schutzraum von Kindern und Jugendlichen werden, sondern vielmehr zum Erfahrungs- und Reflexionsraum der sozialen Umstände und Lebenswelt.
Zusätzlich zum bildungspolitischen Kontext zeigen sich in vielen Texten Spezifika der Künste in ihrer unterrichtlichen Verortung. Der Musikunterricht wird, bezogen auf seine (starke) Kompetenzorientierung, in einem anderen Abschnitt dargestellt. Er verbindet Musiktheorie und -praxis (Nieland 2023), auch in spezifischen Inhalten und Methoden, z.B. im Rahmen des Improvisierens oder Komponierens (ebd., vgl. auch Schlothfeldt 2019). Als ein Ziel kann herausgearbeitet werden, dass durch Musikunterricht nicht nur der Erwerb musikalischer Bildung und Partizipation gefördert wird, sondern Teilhabe an kulturellem Leben überhaupt (Schlothfeldt 2019). Als Aufgabe der unterrichtlichen Musikdidaktik könne angesehen werden, das Gefüge aus staatlich-politisch bedingten Vorgaben, aus den musikalischen Praktiken und der jeweiligen konkreten Situation (Verortung auf dem Globus, Einzugsgebiet der Schule, Einrichtung und Ausstattung der Räume, konkret beteiligten Individuen) zu vermitteln (Wallbaum 2023). Als impulsgebendes Modell dazu wird Mev (Musikpraxen erfahren und vergleichen) auf kubi-online vorgestellt. Dieses Modell versucht, Musikunterricht vom eurozentristischen Blick zu lösen und unterschiedliche kulturelle Praxen gleichwertig anzuerkennen und als bisher unterrepräsentiertes Wissen zum Unterrichtsgegenstand zu machen (Leinen-Peters/Borchert 2022). Dieses könne auch als allgemein kulturpädagogisches Modell gelesen werden, da es sowohl „Pädagogiken als auch Musiken praxeologisch als Kulturen auffasst“ (Wallbaum 2023), d.h. die kulturelle Dimension von Musik und Unterricht gleichermaßen reflektiert.
Kunstunterricht folgt einem erweiterten Kunstbegriff, „der ästhetisch-künstlerische Forschungskonzepte experimentell erprobt, erfindet und weiterentwickelt, neue Perspektiven für die formale und nicht-formale Kunstvermittlung bereithält“ (Kettel 2018). Dabei steht nicht primär die Vermittlung von Kunst im Zentrum, sondern die Ermöglichung ästhetischer Erfahrungen im Bildnerischen sowie die Stärkung bildnerisch-ästhetischer und visueller Kompetenzen (Peez 2013/2012). Zentraler Gegenstand sei das Bild – und zwar als zentrales gesellschaftliches Medium (Waffner-Labonde 2022). „In einer Gesellschaft, die von Bildern durchdrungen ist, bedarf es zunehmend der Fähigkeit, auf kritische Distanz zu dieser Bilderflut gehen zu können, also Bilder in ihren machtvollen Eigenarten zu durchschauen, sprachlich zu erschließen und damit (be)greifbar zu machen“ (Nille 2021) (vgl. auch Marr 2016, Wagner 2018). Ein unmittelbarer Bezug zur Lebenswelt wird beispielsweise bei Stefanie Marr (2016) hergestellt, um sich diese aneignen und gestalten zu können. Durch einen „sensiblen, schöpferischen und reflektierten Bildgebrauch“ werden Schüler*innen befähigt, „Kultur selbst mitzugestalten“ (ebd.) Mit einem weiten Bildbegriff habe sich der Gegenstandsbereich des Fachs „Kunst“ erweitert (Wagner 2018). Dies wurde auch politisch mit einer entsprechenden Definition der Kultusministerkonferenz untermauert (ebd.). An den Gegenstand „Bild“ schließt sich unmittelbar „Bildkompetenz“ als Outputorientierung des Kunstunterrichts an, die lange Zeit distanziert-kritisch betrachtet wurde. Indem die Praxis der Bilderschließung im schulischen Kunstunterricht im Dreischritt Beschreibung, Analyse und Interpretation des Bildes geschieht, ist der Bezug auf die Basisaspekte des Kompetenzbegriffs aber unmittelbar gegeben: „Im Zentrum stehen die Grunddimensionen Produzieren und Rezipieren von Bildern und das darüber Reflektieren“ (Wagner 2018). Auch wenn in den kubi-online-Texten die Bildfokussierung offenkundig wird, finden insgesamt drei kunstpädagogische Positionen Erwähnung: neben der Bild-Orientierung die Kunst-Orientierung (Etablierung von künstlerischen Denk- und Handlungsweisen) sowie die Subjekt-Orientierung (Künstlerische Forschung) (Peez 2013/2012). Neu verhandelt wird die Rolle des Kunstunterrichts vor dem Gesichtspunkt der Digitalisierung (Waffner-Labonde 2022).
Im Theaterunterricht spielt insbesondere die Theaterpraxis als aktives Theaterspielen eine große Rolle (Klepacki/Link 2013/2012), Theorie ist i. d. R. nur der gymnasialen Oberstufe vorbehalten. Für dieses Fach gibt es Positionen, die den Eigenwert der Künste (hier der Theaterkunst) als Aneignungsmodus hervorheben (z.B. Pinkert 2021/2015, Köster-Kilian 2022); „Nicht von den Lern- und Bildungseffekten, der sozialen Nützlichkeit und den zu erwerbenden Kompetenzen her, sondern von der Theater-Kunst und seiner ästhetischen Praxis aus ist das Fach zu begründen“ (Sting 2022/2021). Diesen anthropologisch und bildungstheoretischen Begründungslinien werden zugleich lerntheoretische und didaktische Argumente (fachliche Kompetenzorientierung) und gesellschaftspolitisch-soziologische Begründungen (Transfer in soziales Handeln, Leistungsbereitschaft, gesellschaftlicher Zusammenhalt) zur Seite gestellt (ebd.).
Tanz gibt es nicht als eigenständiges Schulfach. Verortet Linda Müller (2013/2012) diese Kunstform v. a. in Sonderprojekten und dem Nachmittagsbereich sowie bei „externen“ Künstler*innen, mehren sich Positionen, welche als verbindlichen Anker den Sportunterricht einfordern (Klinge 2017/2016, Steinberg et al. 2018, Hafner 2019, Hafner 2020). Der Sportunterricht habe einen curricular verankerten Bewegungsbereich, der dezidiert ästhetisch ist und auf ästhetische Erfahrungen und künstlerische Teilhabe zielt: „Tanzen, Gestalten, Darstellen“. Herausfordernd ist hier, dass die „künstleridentitätslosen“ (Hafner 2019) Ausgangsbedingungen ungünstig sind: Sportlehrer*innen sind für Tanzkunst nicht ausreichend ausgebildet und (er)kennen ihr diesbezügliches Unvermögen, sehen sich mit ungewohnten Methoden und Ansätzen konfrontiert, gestehen künstlerischer – produktiver wie rezeptiver – Teilhabe nur eine sehr geringe Aufmerksamkeit zu. Sportlehrkräfte marginalisieren das Bewegungsfeld des Tanzens (Hafner 2020) im Spezifischen, aber auch den ästhetischen Auftrag und das Potenzial des Sportunterrichts (Klinge 2017/2016) im Allgemeinen. Dieses Potenzial zeigt sich in der Erkundung und Verhältnisbestimmungen zur Welt durch Körper – in Elementen wie Virtuosität, kreatives Samplen, Stylen, Eventorientierung und Selbst-Darstellung. Erschwerend kommt hinzu, dass der experimentelle sowie individuelle und zugleich kollektive Ausdruck im Tanz der ausgeprägt leistungs-/wettbewerbsorientierten Perspektive des Sportunterrichts entgegensteht (Klinge 2017/2016). Ähnlich formulieren es Claudia Steinberg et al. (2018): „Vor diesem Hintergrund zielen Bildungsprozesse weniger auf die Vermittlung standardisierter Bewegungsformen und -techniken als vielmehr auf die Ermöglichung eines eigenständigen Umgangs sowie Experimentierens mit Bewegungen“ (ebd.).
Als weitere kulturelle Ausdrucksform wird Baukultur auf kubi-online in einzelnen Texten verhandelt (Zenke 2020): Baukultur wird nicht nur mit Schularchitektur übersetzt, vielmehr stellen partizipative Schulbauprojekte einen Ansatz dar, diese kulturelle Ausdrucksform in den Unterricht zu implementieren. Möglich wird damit ein Ineinandergreifen von „baukultureller Wissensvermittlung“ und „baubezogenem Empowerment“ (Zenke 2020) für die Gegenwart und Zukunft der Schüler*innen. Schule wird hier nicht nur zum Lebensraum, sondern als solcher auch schulpädagogisch reflektiert und kooperativ umgesetzt (unter Einbezug externer Expert*innen). Baukultur ist ein ästhetisches Bildungspotenzial und zugleich eng mit Schulentwicklung und Schulkultur verbunden: „Die gesellschaftlichen und pädagogischen Aufgaben der Schule wirken sich auch auf die architektonische Form und Gestaltung von Schulbau und Schulgelände aus, wie umgekehrt die architektonischen Gegebenheiten auf die in ihr Tätigen einwirken.[…] Die Schulhausarchitektur spiegelt die jeweils geltenden pädagogischen, kulturellen, sozialen, ökonomischen und technischen Gegebenheiten wider“ (Kettel 2020). Joachim Kettel führt dies 2024 stärker aus, indem er Schule als pädagogischen Ort und Lebensraum umreißt, genauer als multifunktionalen Kulturraum für Erziehung, Bildung, Erlebnis, Austausch und Gestaltung. Das ist anschlussfähig zum Konzept der Kulturschule, umfängliche Konsequenzen für den Unterricht können indes nicht abgeleitet werden.
Erwähnenswert erscheint, dass sich Medienbildung als ästhetisch-künstlerischer Inhalt im Unterricht auf kubi-online kaum spiegelt. Der einzig grundständige Artikel stammt aus dem Handbuch Kulturelle Bildung (Haldenwang 2013/2012). Verbunden wird das Thema ggf. noch mit der Debatte der Postdigitalität (vgl. z.B. Köstler-Kilian 2022). Diese aber mündet nicht in ästhetisch-kulturellen Perspektiven, sondern in Dimensionen der Medienpädagogik, resp. der Medienkompetenz, Mediendidaktik und Medienerziehung (ebd.).
Die Bedeutung ästhetischer Methoden und Praktiken im nicht-künstlerischen Fachunterricht bleibt, entgegen der behaupteten Bedeutung insbesondere für Kulturschule, in den Texten sehr im Vagen. Es werden konzeptionell-allgemeine Aussagen getroffen, z.B.: „Kulturelle Bildung in der Schule sollte dem Leitgedanken folgen, möglichst allen Schülerinnen und Schülern die Begegnung mit möglichst vielen Sparten der kulturellen Bildung zu ermöglichen. Dieses Bestreben kann u.a. durch Kulturelle Methoden im Fachunterricht unterstützt werden“ (Stute/Wibbing 2014). Detaillierte Darstellungen werden auf kubi-online aber ebenso wie diesbezügliche Forschung nicht veröffentlicht. Als ein Ansatz, um künstlerische Methoden im nicht-künstlerischen Fachunterricht zu implementieren, wird Learning through the arts eingebracht. Dieser Ansatz unterscheidet sich durch seine Zielrichtung „Kunst macht Schule/Unterricht“ von „Schule macht Kunst“ (Fuchs 2015b). Letztere Zielrichtung wird durch den künstlerischen Fachunterricht und kulturelle Arbeitsgruppen gewährleistet. Dass dieser Effekt „Kunst macht Schule“ durch Methoden wie Learning through the arts eintreten kann, hängt sehr von der Beurteilung der unterschiedlichen Lehrkräfte (und auch der Schüler*innen) ab, als wie erfolgreich Kulturelle Bildung beurteilt wird, um – quasi als Dienstleister – beispielsweise Kompetenz- und Lernziele anderer Fächer zu erreichen. Zu beachten ist hier, dass durch die Akteur*innen ganz unterschiedliche Perspektive herangezogen werden, z.B. die künstlerische, pädagogische oder organisatorische Perspektive (Freytag 2015), um diese Wirksamkeit zu beurteilen.
Weitere Beiträge benennen spezifische Herausforderungen und Spannungsfelder für künstlerischen und nicht-künstlerischen Fachunterricht, z.B. bezogen auf die Rolle von Lehrer*innen, die vermittelten Kompetenzen und die genutzten Methoden:
- Verwiesen wird auf die – empirisch dargelegten - unterschiedlichen Modi der Lehrenden, zwischen Anleiten, Begleiten, Sich-leiten-Lassen und Ko-Konstruktion mit Schüler*innen (Treß 2023), die sich im künstlerischen Fachunterricht zeigen. Unterstützt wird dies durch Perspektiven, die Kinder als Ko-Produzent*innen hervorheben (Westphal 2018), was aber nicht zwingend der Modus in der schulischen Praxis und ihrem Bildungsselbstverständnis ist.
- Eine Frage, die mehrfach angedeutet bzw. diskutiert wird, ist, wie es im künstlerischen Fachunterricht (z.B. Kunstunterricht) gelingen kann, klassische Zuschreibungen von Schüler*innen wie „Ich bin nicht begabt“ oder „Zeichnen konnte ich noch nie“ über Aufgabenstellungen zu vermeiden (Freytag 2021). Durch die Verpflichtungen der Schüler*innen auf Unterricht ist dies ein Gegensatz zu den freiwilligen Zugängen im non-formalen Bereich.
- Erwähnung findet auch die Herausforderung, dass Unterricht immer ein verpflichtendes Setting ist, was es erschwert, motivations- und stärkenorientiert vorzugehen: „Die Schülerinnen und Schüler sind in der Regel nicht selbst motiviert, sondern werden von der Lehrperson im Rahmen der gegebenen zeitlichen, organisatorischen und räumlichen Bedingungen zu Formen künstlerischer Praxis angeregt“ (Pinkert 2021/2015).
- Aufgezeigt wird zudem, dass aus künstlerischen Methoden ein Spannungsfeld zur Kompetenzvermittlung hervorgeht. Insbesondere Methoden, die ein individuelles und kollektives improvisierendes Gestalten beinhalten (hier z.B. Bricolage), benötigen „Phasen des Staunens und Innehaltens, des Umgangs mit Misslingen und ziellosen Spielens […], um nicht in erster Linie handwerklich-technische Fähigkeiten zu vermitteln, sondern alle prozessualen und inhaltlichen Kompetenzbereiche abzudecken“ (Dicke/Fuß 2023).
- Christin Lübke (2022) thematisiert in einem ähnlichen Zusammenhang, dass künstlerische (Vermittlungs-)Arbeit im Unterricht als eine Praxis, die v.a. existenzielle Momente der Fremdheit, Widerständigkeit und Unvorhersehbarkeit im Bildungsprozess hervorbringt, in Kontrast „zu einer auf Rationalität und Effizienz ausgelegten Schulkultur“ (ebd.) steht. Wenn Körperlichkeit, Wahrnehmung und Handlungsexperimente das Zentrum künstlerischer Gestaltung sind, werden Denkweisen und Ideen viel mehr praktiziert, als dass Wissen vermittelt wird (ebd.).
- Es gibt Gegenpositionen zu einer solchen Kontrastierung von schulischen und künstlerischen Perspektiven: Ästhetische Bildung im Medium der Künste und qualifikationsbezogene Lernprozesse durch die Künste sollen, das wird explizit hervorgehoben, nicht als Gegenpole aufgefasst werden, sondern als gleichwertige pädagogische Potenziale (Klepacki/Link 2013/2012). Ob und wie diese Synthese gelingt, bleibt vielfach offen.
- Musikalische Kompetenzvermittlung ist nur möglich, indem der musikalische Fortschritt kontinuierlich erhoben und der Unterricht an diesen angepasst wird. Dies geschieht in lehrkraftzentrierten Phasen, die eine genaue Betrachtung von individuellen Lernausgangslagen und bereits vorhandenen musikalischen Fertigkeiten voraussetzen: „In den Augen der Lehrenden erfolgt oft eine Zuschreibung persönlicher Defizite oder Unfähigkeiten, während die Lernenden ihre Lernumgebung als eindimensional und damit defizitär wahrnehmen“ (Henning/Teipel 2023). Es bedarf dazu einer fachdidaktischen Kompetenz, aber ebenso einer entsprechenden flexiblen fachdidaktischen Rahmung.
Kompetenzorientierung und Benotung/Bewertung Kultureller Bildung in Schule
In vorangegangenen Kapiteln wurde bereits darauf eingegangen, dass sich Kulturelle Bildung vielfach in schulische Logiken einfügt. Im folgenden Kapitel werden einzelne Aspekte der damit verbundenen Kompetenzorientierung gebündelt. Als eng zusammenhängend wird anschließend die Frage nach der Beurteilung – beispielweise als Kompetenznachweis – aufgegriffen.
Positionierungen und Bewertungen
- Die schulische Anforderung, Kompetenzen zu vermitteln, wird vielfach auf Kulturelle Bildung übertragen. Damit wird Kulturelle Bildung in vielen Texten Teil evidenzbasierter Bildungspolitik.
- Mit dieser Kompetenzorientierung rückt insbesondere der schulische Unterricht ins Zentrum der Betrachtung Kultureller Bildung in Schule.
- Das schulische Primat des Kognitiven wird durch Texte, die Kompetenzorientierung fokussieren, selten infrage gestellt.
- Ein erweiterter Kompetenzbegriff hat sich für Kulturelle Bildung in Schule nicht durchgesetzt.
- Der stärkenorientierte Nachweis von Kompetenzen in der schulischen Praxis wird als Potenzial für Kulturelle Bildung und für einen veränderten pädagogischen Blick beschrieben.
- Zur Benotung Kultureller Bildung, beispielsweise im künstlerischen Fachunterricht, werden interessanterweise keine Aussagen getroffen.
„Der Schlüsselbegriff für die zukünftige Schule heißt […] nicht Wissen, sondern Können: Zeitgleich mit dem Erwerb elementarer Kenntnisse gilt es, Kompetenzen zum Umgang mit Wissen zu erwerben“ (Kettel 2024). In dieser Aussage wird deutlich, wie sehr die Wissensorientierung von Schule in unserer Gesellschaft prägend ist und wie stark Kulturelle Bildung herausgefordert ist, sich dazu zu positionieren. Auch die Entwicklung und Beforschung von Kulturschulen oder Schüler*innen selbst verdeutlicht entsprechende Kompetenz- und Leistungserwartungen im Sinne eines academic mindsets (Klopsch 2019). Indem beispielsweise Kulturschulen „das (kognitive) Aktivieren der Lernenden und das Entwickeln eines Verständnisses über eigene Lernprozesse“ (ebd.) gelingt, werden sie mit dem Diskurs um „Wissen“ verbunden. Kulturelle Bildung wird in diesem Zusammenhang Potenzial zugesprochen (und teilweise auch durch empirische Forschung belegt (z.B. Klopsch 2019), Kinder und Jugendliche durch kreative Zugänge kognitiv zu aktivieren, sie zur Selbststeuerung und -regulierung anzuregen und metakognitive Strategien zu entwickeln, „die dazu beitragen, Entscheidungen zu treffen, wie man lernen und sich selbst entwickeln möchte“ (ebd.). Kulturelle Bildung fördert Motivation und Emotion – auch hier wird eine Verbindungslinie zu kognitiven Prozessen gezogen, da diese sich nicht unabhängig von emotionalen Prozessen verstehen lassen. Mit diesen Argumentationen eng verbunden ist zudem das Thema „Ganzheitlichkeit“, wie es bei Joachim Kettel (2024) umschrieben wird: „Lernen heißt nicht bloße Reproduktion, sondern aktive Konstruktion durch die Lernenden – im eigenen Kopf, im eigenen Körper und gemeinsam mit anderen“ (Kettel 2024). Mit diesen Aussagen wird das Primat des Kognitiven (noch) nicht überwunden, nicht zuletzt, weil jedes Lernen und Lehren, auch künstlerisches, in andere (schulische) Lernziele eingebettet ist. Selbst erweiterte Kompetenzbegriffe, wie sie z.B. von Dirk Stute und Gisela Wibbing (2014) herangezogen werden, beinhalten an zentraler Stelle „kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen“ und ordnen ihnen motivationale, volitionale und soziale Bereitschaften und Fähigkeiten fast unter. Die problematische enge Verbindung von Kognition und Kompetenz geht also über das Problem der Gleichsetzung von „Leistung“ mit „kognitiv“ (Oelkers 2013/2012) hinaus.
Etwas naheliegender für Kulturelle Bildung erscheint die Anschlussfähigkeit zu den „Schlüsselkompetenzen im 21. Jahrhundert“ (21st Century Skills), die sich vor allem auf Kreativität und Innovation, Kritisches Denken und Problemlösung, Kommunikation und Zusammenarbeit fokussieren (Bothner 2022). Durch kollaboratives Arbeiten in der Kulturellen Bildung könnten diese Schlüsselkompetenzen gefördert werden – nicht nur, indem sie dazu beiträgt, Welt zu erleben und wahrzunehmen, zu erkunden und zu verstehen, sondern weil es in dieser Welt auch darum geht, zu kommunizieren und sich verständlich zu machen, in ihr gestaltend und verantwortlich zu handeln und das zu reflektieren und sich zu positionieren (ebd.), was durch Kulturelle Bildung gefördert werden kann. Auch dieser Kompetenzansatz trägt neoliberale Züge in sich. Kulturelle Bildung kann, so weisen es auch andere Autor*innen nach, im Zuge von Kompetenzorientierung insbesondere Subjektorientierung und Selbstwirksamkeitsprozesse unterstützen (Stute/Wibbing 2014) oder die einzelne Person umfassend in ihren unterschiedlichen Dimensionen ansprechen (vgl. Penzel 2021 mit den fünf „Toren zur Empathie“: Körper, Atmung, Herz/Gefühle, Kreativität und Bewusstsein). Wolfgang Sting (2022/2021) stellt dar, dass sich diese Ganzheitlichkeit in Bildungsplänen für Kulturelle Bildung (hier am Beispiel des Theaters) spiegelt, indem diese affektive, kognitive, produktiv-praktische und kreativ ästhetische Erfahrungs-, Handlungs- und Lernebenen verbinden. Dem Wissenskonzept heutiger Schule, das mit seiner Ausdifferenzierung in unterschiedliche Fächer, durch seine zeitliche Taktung und körperliche Disziplinierung die Aufspaltung der Persönlichkeitseinheit in diverse „Splitterkompetenzen“ vorantreibt (Penzel 2021), wird Kulturelle Bildung zur Seite gestellt: „Eine echte Alternative bieten hier vor allem Bildungskonzepte, die versuchen, die dissoziativen, also ab- und aufspaltenden Praktiken zugunsten einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung zu überwinden“ (ebd.). Diese Aussagen sind insbesondere für künstlerische Arbeit anschlussfähig, stellen aber erneut eine Kontrastierung des Schulischen zum Künstlerischen dar.
Logischerweise setzen sich auch die künstlerischen Schulfächer auf kubi-online mit ihrer Legitimation und Qualität vor dem Hintergrund von Bildungsplänen, Standardsetzung und Kompetenzorientierung auseinander (vgl. Nimczik 2013/2012; Sting 2022/2021) (vgl. auch „Künstlerischer Fachunterricht“). In diesem Zusammenhang beschreiben sie für ihr jeweiliges Fach fachbezogene Kompetenzen, die sich in verbreitete Kompetenzmodelle einordnen, z.B. in die Unterscheidung von Sachkompetenz, Selbstkompetenz, Sozialkompetenz.
Während das Thema Kompetenzorientierung vielfältig in den Texten diskutiert wird, tun sich die Autor*innen auf kubi-online mit dem Thema Beurteilung bzw. Benotung insgesamt schwer: Entweder sie vermeiden es oder sie schlagen alternative Modelle vor. Das ist nachvollziehbar, insofern Kulturelle Bildung als subjektorientierter und stärkenorientierter individueller Selbstbildungsprozess verstanden wird. Es ist zugleich überraschend, wurde doch bisher im Beitrag deutlich herausgestellt, dass sich Kulturelle Bildung der schulischen Logik annähert.
Leopold Klepacki (2014) hebt hervor, dass Aufgabe von Unterricht und von Lehrenden nicht nur die Vermittlung kultureller Inhalte oder die darauf aufbauende Selbstbildungsermöglichung sei, sondern eben auch die Bewertung. Wenn aber Kunst und Kulturelle Bildung auf subjektiven Prozessen beruhen, die nicht aus einer ermittelnden, sondern aus einer vermittelnden Haltung heraus geschehen und kein „richtig“ und „falsch“ implizieren, entsteht ein Spannungsfeld zur Frage, wie Kompetenzen zu bestimmen und gemeinsam mit Prozessen zu beurteilen sind (Bader/Berner 2021). Ein Ausweg wird gesucht (ebd.), indem das Bewerten im Sinne einer summativen Benotung von einer individuellen Begleitung im Sinne einer formativen Feedbackkultur gestalterisch-künstlerischer Prozesse unterschieden wird. Damit verbunden ist ein Paradigmentwechsel von der Instruktion zur (Ko-)Konstruktion. Das fordert Akteur*innen Kultureller Bildung zu einer differenzierten Auseinandersetzung heraus, wie diese Rückmelde-Prozesse strukturell und inhaltlich gestaltet sein sollen. Beantwortet werden muss zudem die Frage, welche Vergleichshorizonte herangezogen werden und letztlich zu einer Beurteilung führen (können), inwieweit sich der Kulturellen Bildung gemäße individuelle Begleitprozesse auf Gruppensituationen in Klassen übertragen lassen (ebd.) bzw. inwieweit ein Rollenwechsel von „Lehrer*in“ hin zu „Berater*in“ eigentlich möglich ist (Schorn 2014). Der Anspruch, individuelle Kulturelle Bildung und positive Feedbackkultur zu ermöglichen, scheitert schnell an den schulischen Realitäten und curricular genormten Lernzielen.
Als Alternativen zu Noten vorgeschlagen werden Portfolioarbeit als prozessbegleitendes methodisches Element im Sinne einer „Selbstbeobachtung mit individuellen Zieldefinitionen“ (Dyllick 2021) oder die Implementierung des Kompetenznachweis Kultur als dialogisches Instrument (Schorn 2014), um Feedbackprozesse zu gestalten und die Perspektiven von Lehrer*innen weiterzuentwickeln. Brigitte Schorn (2014) verweist in letzterem Beitrag insbesondere auf die Anforderung, im Sinne einer veränderten Unterrichts- und Schulkultur das Thema Leistungsbeurteilung zu verändern (vgl. auch Bader/Berner 2021). Auch andere Beiträge heben hervor, dass alle Versuche, eine neue Lernkultur an Schulen zu etablieren, an Grenzen stoßen werden, „wenn nicht auch das System der Prüfung und Beurteilung der Schülerleistungen reformiert wird“ (Winter 2011 nach Schorn 2014). Dem stimmt Olaf-Axel Burow (2019/2011) zu, der zudem kritisiert, dass die alltägliche Notengebung auf einer Überschätzung der Bedeutung individueller Leistungen beruht. Von hier aus ist wieder eine Brücke zu kollaborativen Prozessen Kultureller Bildung möglich, aber ebenso eine Distanzierung zur Notengebung offenkundig.
Zu beachten ist, dass die hier genannten Ansätze für Feedback, Nachweise und Portfolioarbeit nicht ohne Begriffe wie „Stärken“ und „Sichtbarkeit“ auskommen, sich auf Kompetenzen beziehen und damit nicht losgelöst vom Leistungsprinzip sind.
Akteur*innen und ihre Perspektiven in der schulischen Kulturellen Bildung
In den bisherigen Kapiteln wurden bereits einzelne Akteur*innen und ihre Positionen sichtbar. Aufgrund ihrer Bedeutung für die Ausgestaltung Kultureller Bildung in Schule wird an dieser Stelle stärker auf ihre Positionierung, insbesondere von Künstler*innen und Lehrer*innen eingegangen.
Positionierungen und Bewertungen
- Aus der Kontrastierung von Schule und Kultureller Bildung (siehe oben: „Kulturelle Bildung als Gegenpol zu Schule?“) ergibt sich unweigerlich eine Polarisierung von Lehrer*innen und Künstler*innen, die als stellvertretende Akteur*innen in diesem Spannungsfeld agieren.
- Künstler*innen sind jene Akteur*innen, die in den Texten auf kubi-online am häufigsten ins Zentrum gestellt und reflektiert werden – sowohl in ihrem (fragilen) Status, als auch mit der Frage, welche Perspektiven und Potenziale sie einbringen bzw. inwieweit sie Veränderungsprozesse unterstützen (können).
- Auch Lehrer*innen werden in den Beiträgen in ihren Rollen sichtbar. Andere schulische (pädagogische) Akteur*innen kommen ebenso selten vor wie andere kulturschaffende Personen aus der außerschulischen Kulturellen Bildung, die sich nicht als professionelle Künstler*innen markieren (z.B. Ehrenamtliche, Kulturpädagog*innen).
- Entgegen der weitläufigen (und auch in Texten mehrfach formulierten) Annahme, dass sich die meisten Reflexionen und Forschungen auf die Subjekte Kinder und Jugendliche fokussieren würden, werden junge Menschen in ihrem Subjektstatus, ihren Lebenslagen und Interessen, ihren Situationen und Positionen nicht sichtbar. Sie verschwinden – fast als Objekte – hinter allgemeinen Beschreibungen, Erprobungsprozessen bestimmter fachdidaktischer Modelle oder Wirkungsfragen.
- Während Implementierungs- und Veränderungsprozesse für den institutionellen Akteur „Schule“ untersucht werden (siehe oben „Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung“), geschieht dies für außerschulische Träger als Fachorganisationen nicht. Auch die vielfach eingeforderten Schnittstellenakteur*innen – als Personen oder Institutionen – werden nicht in ihrer Rolle und ihrem Status reflektiert.
- Qualifizierung von Akteur*innen für ihre Rollen im Kontext Kultureller Bildung ist ein Thema – aber nicht ein hoch priorisiertes. In den Texten analysiert werden vor allem Weiterbildungen, Ausbildung ist dagegen (fast) kein Thema.
Tom Braun (2023/2022) übersetzt den systemischen Kontrast schulischer Ordnungen und künstlerischer Denkweisen und Arbeitsprozesse (siehe oben: „Kulturelle Bildung als Gegenpol zu Schule?“) auf die in diesen Systemen handelnden Personen und führt das damit verbundene Paradox vor Augen: „Künstler*innen gelten mithin als Expert*innen für Erfindungen. Alternative Sichtweisen und Neu-Interpretationen sozialer Praktiken und Sinnordnungen zeichnen künstlerische Praxis aus. Umso bemerkenswerter ist es, dass Künstler*innen gerade an Schulen gefragt sind. Ist doch der schulische Kontext ordnungstheoretisch durch Prinzipien der Allgemeingültigkeit und Vergleichbarkeit bzw. durch Legitimierung und Reproduktion der bestehenden Sinnordnungen geprägt“ (ebd.). Die Expertisen und Rollen, die Künstler*innen in Schulen zugeschrieben werden, sind sehr vielfältig und reduzieren sich mitnichten auf die künstlerische Arbeit: Sie agieren als „Impulsgeber, Kurator, Vermittler, Kultur- und Projektmanager, Prozessbegleiter, Netzwerker, Moderator oder Konfliktmanager“ (Braun 2023/2022, vgl. auch Hackstein/Scharf 2020). Zu beachten ist, dass viele dieser Rollen nicht Teil von künstlerischen Ausbildungen sind, d.h. Künstler*innen dafür nicht systematisch qualifiziert sind. Dabei sind Künstler*innen, insofern sie nicht ausreichend auf die Arbeit im System Schule oder auf pädagogische Prozesse vorbereitet sind, bezüglich ihrer Rolle teilweise überfordert. Sie versuchen sich damit zu helfen, dass sie ihre eigene Expertise verlassen und die Rolle (bzw. Muster) von Pädagog*innen einnehmen (Bock 2019).
In der Begegnung zwischen Künstler*innen und Lehrer*innen und in ihren jeweiligen Positionierungen entstehen (Rollen-)Konflikte. Ganz unterschiedliche werden in den Texten benannt, für Lehrer*innen ist die Integration von Kulturschaffenden in die Schule Entlastung und Störung zugleich: „Künstler*innen […] können viel direkter oder ausgelassener sein“ (Ehm 2022). Indem Schüler*innen durch Künstler*innen eine Form von Kommunikation und persönlichem Erleben erfahren, das in Kontrast zu alltäglichen Unterrichtsmomenten steht, wird automatisch auch auf die (eingeschränkte) Rolle von Lehrer*innen verwiesen. Wenn Künstler*innen integriert werden, reduziert dies die Professionalität von Lehrer*innen sowie die gewohnte Rolle und führt ihnen ihre eigene Belastungssituation vor Augen. Dies erschwert für viele Lehrer*innen eine dauerhafte positive Identifikation (Braun 2019/2011) mit kulturellen bzw. künstlerischen Kooperationen. Ein Ausweg wird gesucht, indem argumentativ zwischen „zusätzlichen“ Projekten (Künstler*innen) und der „eigenen Schulidentität“ (Lehrer*innen, Unterricht) unterschieden wird (ebd.). Dieses abgrenzende Muster kommt deutlich bei künstlerischen Schulfächern vor (siehe oben: „(Kulturelle) Unterrichtsentwicklung und künstlerischer Fachunterricht“). Das sich aus dem Künstler*in-Lehrer*in-Verhältnis ergebende Spannungsfeld erkennen auch Schüler*innen. Denn sie nehmen mit ihrer schulischen Erfahrung „das Vorgehen der Künstlerin nicht aus ästhetisch künstlerischer Perspektive, sondern vor allem institutioneller Perspektive wahr“ (Gebhard 2020) und erkennen, dass das eingeübte Ordnungsgefüge infrage gestellt wird. Dies muss aber nicht „automatisch“ der Fall sein, denn auch Künstler*innen reklamieren einen Expert*innenstatus für sich, der Schüler*innen letztlich als Laien, als Lernende positioniert (Gebhard 2022) – ein Status und Verhältnis zu Erwachsenen, das ihnen (insbesondere aus der Schule) vertraut ist. Auch an anderer Stelle werden diese adultistischen Kräfteverhältnisse, welche die Hierarchisierung zwischen Erwachsenen und Kindern/Jugendlichen nicht aushebeln, thematisiert: Die Auswahl der Unterrichtsgegenstände im künstlerischen Fachunterricht und Projekten erfolgt durch Erwachsene, die Praxen der Schüler*innen werden oft als „Subtopics“ hierarchisiert (Leinen-Peters/Borchert 2022).
Aber nicht nur Schule wird durch Künstler*innen befragt, auch umgekehrt gibt es eine kritische Reflexionsoption, die sich aus der Dichotomie von Bildungssystem und Kulturbereich ergibt: „Die habituellen Prägungen, die mit der Professionalisierung in den Künsten einhergehen, werden durch schulische Wissensordnungen infrage gestellt. Diese verschiedenen Wissensordnungen driften etwa dort auseinander, wo in der Tradition des l’Art pour l’art eine Autonomie der Kunst verteidigt wird, während der Kunstunterricht die Künste als Lerngegenstand in eine funktionale Ordnung eingliedert, die einem Ziel – abstrakt formuliert: Bildung – untersteht“ (Gebhard 2022).
Künstler*innen in Schule kommen auf dieser Grundlage unweigerlich in fragile Positionen. Verstärkt wird dies dadurch, dass sie (auch) angefragt werden, mit ihrer Arbeit nicht nur individuelle Selbst- und Weltsichtweisen von jungen Menschen zu erweitern, sondern sogar jene Ordnungen aufzubrechen, an denen Schule/n selbst „scheitern“. Sie werden mit Erwartungen, Hierarchien, Zielvorstellungen konfrontiert, die spezifisch für Bildungseinrichtungen sind (Gebhard 2022) und oben bereits dargelegt wurden. Diese Beanspruchung von Künstler*innen ist „Folge und Symptom einer schon länger andauernden Kritik an einer verengten schulischen Perspektive auf Prozesse der Selbst- und Weltaneignung von Kindern und Jugendlichen wie auch an der Wirksamkeit schulischer Lernumgebungen“ (Braun 2023/2022). Und hier wird wieder ein Spannungsfeld sichtbar: Künstler*innen sollen ihr Potenzial nicht durch die Freiheit und Eigenständigkeit der Künste entfalten, sondern Künste werden vielfach als Mittel zum (schulischen) Zweck genutzt, Künstler*innen werden zu „change agents“ in Schulen, „um dort einem neoliberal geprägten Schulentwicklungsparadigma folgend diese zu optimieren“ (Gebhard 2022). Nicht nur von Seiten der Schule, sondern auch von Seiten der Kulturellen Bildung selbst droht die Gefahr einer Überhöhung der Einflussmöglichkeiten von Künstler*innen, beispielsweise indem Künstler*innen als zentrale Akteur*innen von Schulentwicklung umrissen werden (Gebhard 2020), was dem systemischen Ansatz und der Eigenentwicklung von Schule (siehe „Kulturschule“) widerspricht. Hybris wird auch erkennbar, wenn Texte auf Vorannahmen und Behauptungen verweisen, mit der eigenen (künstlerischen) Profession Schule und Lernen „besser zu machen“ (Kammler/Spahn 2018).
Bewusst sein muss, dass Künstler*innen nicht in der Lage sind, schulische Grundstrukturen zu verändern oder schulische Prinzipien außer Kraft zu setzen (Braun 2023/2022) – weder als Person noch in ihrer Rolle. „Künstler*innen können an Schulen die Funktion institutioneller Akteur*innen, wenn überhaupt, nur in Delegation und nur zeitlich befristet übernehmen“ (Braun 2023/2022). Schon allein dies kann, kombiniert mit den strukturellen Grenzziehungen des „Systems Schule“ und den konkreten Erfahrungen an der Einzelschule, zu Ohnmachtsgefühlen führen. Ein entlastender Lösungsweg könnte sein, Kulturinstitutionen (Rossmeissl 2022) bzw. außerschulische Partner als Unterstützungssysteme und organisatorischen Rahmen für Künstler*innen zu gewinnen, um nicht von vornherein in der hierarchischen Struktur von Person (Künstler*in) vs. System (Schule) verhaftet zu sein.
Auffällig ist, dass mit Blick auf „Akteur*innen“ zwar subjektorientierte Diskurse und Positionen eingebracht werden – diese aber fast ausschließlich bezogen auf Künstler*innen. Ein solcher Fokus auf das (vermittelnde) Subjekt sei aufgrund von Professionalisierungsansprüchen im Rahmen kultureller Bildungsprozesse notwendig, z.B. mit dem Ziel, einen „Habitus der reflexiven Distanz“ (Gördel 2019/2018) zu entwickeln: Dieser schließe die Selbstbeobachtung von Kulturschaffenden und Künstler*innen hinsichtlich der eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten, Annahmen, Perspektiven und Deutungskonzepte auf pädagogische Zusammenhänge sowie auf die eigenen Handlungsroutinen ein (ebd.). Auch sei die Positionierung von Künstler*innen im Kontext Schule nicht denkbar ohne eine Reflexion der eigenen Bedeutungszuschreibungen und Begründungslinien Kultureller Bildung, die bei Künstler*innen beispielsweise „in Befindlichkeiten, die Biographie, die Position und die Lebenslage des Subjekts“ (Ittner 2019) eingebettet ist. Joachim Ludwig (2018) plädiert in diesem Zusammenhang dafür, die Selbstverständigungsprozesse von Künstler*innen beispielsweise in Weiterbildungen ins Zentrum zu stellen, denn die „Beschäftigung mit Kultureller Bildung über Kunst hinaus markiert für viele Kunst- und Kulturschaffende einen biografischen Umbruch. Sie suchen Orientierung in der neuen Rolle als künstlerisch-pädagogisch Handelnde“ (ebd.). Diese notwendige Verortung bezieht sich nicht nur darauf, dass sich Künstler*innen zu ihrem Kunstverständnis positionieren, die soziale Verfasstheit künstlerischen Wissens und Handelns reflektieren (Hohmeier 2023) bzw. sich zum Verhältnis der Künste zu Bildung/Bildungsprozesse verhalten, sondern explizit auch auf das System Schule: „Die eigene Bildungsbiografie, das heißt die Erfahrungen, die in Schule, aber auch im Umgang mit Lernaufgaben und -anforderungen außerhalb von Schule (Elternhaus und Peers) gemacht wurden, strukturiert somit auch, wie sich Schule nicht nur professionell angenähert, sondern auch, wie dort professionell gehandelt wird“ (Hohmeier 2023). Erforderlich ist darauf aufbauend eine Arbeit an Haltungen zur eigenen Profession oder zur Art der Zusammenarbeit mit anderen Professionen (Kammler/Spahn 2018).
Neben Künstler*innen haben Lehrer*innen in den kubi-online Texten eine Bedeutung, aber eher in ihrer Funktion (siehe „Künstlerischer Fachunterricht“), weniger in ihrem Subjektstatus. Einzelne Texte gehen indes auf diese Subjektperspektive ein: Erwähnt wird beispielsweise die Relevanz eigener biografischer Erfahrungen von Lehrer*innen mit Kultureller Bildung (Scham, Leistungsdruck, Zwang) und die damit verbundenen Selbstentwertungen (Freytag et al. 2018), was zu einer Distanz bis hin zu Widerstand diesem Bildungsfeld gegenüber führen kann. Ermutigend ist: Lehrer*innen, beispielsweise jene in Ausbildung (Freytag et al. 2018), haben dennoch unabhängig von potenziellen Konflikten mit Künstler*innen oder eigene negative Erfahrungen einen insgesamt positiven Blick auf ästhetische Praxis. Sie erhoffen sich davon neue Perspektiven auf Schule und Impulse für die Unterrichtspraxis: Künsten und ästhetischer Praxis wird eine wichtige Impulskraft zugesprochen, zugleich findet eine Hierarchisierung statt: Nach Ansicht von Lehrer*innen sind sie für Erfolg im/des Bildungssystem/s weniger entscheidend; ästhetische Bildung ist demnach eher Add-on (ebd.). Sie nehmen nicht wahr, wie sehr das Ästhetische als Querschnittsprinzip des Lehrens betrachtet werden kann. Als impulsgebend kann hier ein Verständnis vom ästhetischen Lehren (Klepacki et al. 2022/2016) herangezogen werden, mit dem Lehrer*innen für die Funktionen des Unterrichtens, Informierens, Beratens, Arrangierens und Animierens Möglichkeiten hätten, das Lehrerhandeln anders bzw. neu zu perspektivieren.
Eng mit den Akteur*innen zusammen hängen Qualifizierung und Professionalisierung. Auch wenn einige Beiträge im Rahmen von beforschten bzw. wissenschaftlich begleiteten Weiterbildungsangeboten entstanden sind (vgl. Kammler/Spahn 2018, Ludwig 2018, Westphal 2018, Ittner 2019, Jas/Heber 2019, Hohmeier 2023) oder sich in der Ausbildung verorten (vgl. Hafner-Texte aus 2019 und 2020, Ziegenmeyer 2019), wird jenseits der subjektorientierten Perspektive auf Künstler*innen und z.T. Lehrer*innen und einiger Inhalte/Curricula auf kubi-online wenig systematisch zur Professionalisierung in diesem Handlungsfeld „Kulturelle Bildung und Schule“ beschrieben. Was die Beiträge über die Weiterbildungen von Künstler*Innen eint: Neben Haltungen und Einstellungen, der autobiografischen Prägung und der pädagogisch-künstlerischen Methodik beinhalten die Weiterbildungen auch Zeiträume, welche strukturelle und systemische Fragestellungen beinhalten und reflektieren, wie z.B. Schulentwicklung oder Kooperationsgestaltung.
Kooperationsorientierung für (mehr) Kulturelle Bildung in Schule
Einleitend wurde benannt, dass Kooperation zu den großen Themen in der Feldentwicklung Kultureller Bildung zählt. Daher wurden die kubi-online Texte auch dahingehend ausgewertet, unter welchen Narrativen und Erfahrungen außerschulische und schulische Akteur*innen für Kulturelle Bildung zusammenarbeiten.
Positionierungen und Bewertungen
- Mit Blick auf Anzahl und Inhalte der Texte auf kubi-online hat sich der Fokus weg vom Paradigma der Kooperation auf innerschulische Perspektiven – auf Schulentwicklung und Unterricht (siehe oben: „Kulturschule“ und „Unterrichtsentwicklung“) – verschoben.
- Viele der Texte auf kubi-online zu Kooperationen setzen politische bzw. programmatische Schwerpunkte. Anders als bei anderen Unterthemen mangelt es auf dieser Plattform an differenzierten fachlich-strukturellen oder empirischen Perspektiven.
- Während in Kooperationen mehrfach personale Akteurskonstellationen (siehe oben: „Akteur*innen und ihre Perspektiven in der schulischen Kulturellen Bildung) reflektiert werden, fehlen genauere Betrachtungen der zentralen institutionellen Kooperationspartner Kultureller Bildung aus der Kultur-, Jugend- und außerschulischen Bildungsarbeit.
- Kooperation wird v. a. als Zusammenarbeit von Schule mit außerschulischen Partnern gedeutet, die innerschulische Kooperation und Interprofessionalität für (mehr) Kulturelle Bildung spielt keine Rolle.
Kooperationen mit Schulen haben lange Tradition (Oberschmidt 2015) und sind, auch unter dem Ziel umfassender Bildung und Teilhabe, keine Neuerfindung der 2000-er Jahre, auch wenn sich seitdem die Kooperationspraxis deutlich erweitert hat. Der vor 20 Jahren verortete „Kooperationsboom“ (Kelb 2013/2012) war zu Beginn stark davon geprägt, dass die außerschulische und schulische Praxis unter Handlungsdruck stand. Zugleich ordnet er sich in eine politische Neujustierung ein, die zukunftsorientierte Bildung als Aufgabe außerschulischer und schulischer Akteure in gemeinsamer Verantwortung sieht (vgl. z.B. 11. Kinder- und Jugendbericht, vgl. Fischer/Hübner 2019/2017). Dieser dynamische Veränderungsprozess wurde durch Qualitätsinstrumente für die Praxis flankiert und unterstützt, es folgten theoretische Fundierung und empirische Forschung. Auch andere Felder, wie z.B. die Jugendarbeit im Sport oder die politische Bildung, sind Teil dieser politischen, praktischen und fachlichen Entwicklung von Kooperationen, werden auf kubi-online aber nicht als Referenzsysteme herangezogen (und interessanterweise auch nicht als potenzielle Kooperationspartner im Rahmen Kultureller Bildung erwähnt). Das sei deshalb hervorgehoben, weil viele der hier aus den Texten zusammengefassten Aussagen keine spezifischen Kooperationsherausforderungen der Kulturellen Bildung sind.
Zunächst wird kritisiert, dass es trotz der fachlichen Fundierung an einer begrifflichen Bestimmung, was unter Kooperationen und Zusammenarbeitsstrukturen genau verstanden werden soll (Oberschmidt 2015), mangele. Als Alternative bieten verschiedene Texte unterschiedliche Modelle als Reflexionsangebot, die z.B.
- additive Konstrukte (gemeinsames Ziel ohne Interaktion im Spektrum vom freundlich gestimmten Nebeneinander bis hin zur konkurrierend ablehnender Distanz) von
- dienstleistungsorientierten Umsetzungskooperationen (in Formaten der Schulen oder der Kulturinstitutionen) oder von
- evolutionären Schritten und synergetischen Formaten (Zusammenwirken in Richtung eines anderen/neuen Systems)
unterscheiden (vgl. Oberschmidt 2015, Gördel 2021). Auch wird ein deutlicher Unterschied beschrieben, ob die Kooperation auf Individualebene oder auf Institutionenebene verankert ist. Fakt ist: Alle Typen sind in der Kulturellen Bildung vertreten und werden auf kubi-online kurz dargestellt. Additive und Dienstleistungsmodelle sowie personenbezogene Kooperationen überwiegen nach Einschätzung der Autor*innen, wodurch die großen Ziele der systemischen Veränderung nicht erreicht werden können.
Dass in Kooperationen Kultureller Bildung defizitäre Systeme aufeinandertreffen, aber auf das Teilhabe-Ziel einzahlen sollen, wurde bereits als Problematik umrissen (siehe „Begründungslinien“). Dies wird im Rahmen des Kooperationsdiskurses nochmals befragt: „Ob und in welchem Umfang Kooperationsprojekte geeignet sind, dieses Defizit auszugleichen, ist nach wie vor eine offene Frage. […] Kooperationen mit der non-formalen Bildung etwa in der offenen Ganztagsschule können nicht alle strukturellen Defizite der curricularen Angebote der Schule ausgleichen – zumal die Frage nach der Qualität und ihrer Kontrolle gerade in diesen Bereichen weder normativ noch empirisch geklärt ist“ (Liebau 2015). In das Themenfeld Kooperation fallen auch Fragestellungen und Herausforderungen hinein, welche die benannte potenzial- und defizitorientierte Kontrastierung von Schule und Künsten/Kultureller Bildung und die unterschiedlichen Positionen von Akteur*innen, die sich in diesen Systemen bewegen, betreffen. Trotzdem artikulieren Autor*innen (weitere) Hoffnungen und Annahmen, um den Wert von Kooperationen zu betonen. Sie hoffen beispielsweise, dass das Zusammentreffen einen dritten Raum im Sinne Homi Bhabhas entstehen lassen kann, „in dem die Hybridität von schulischer und ästhetischer Grammatik artikuliert werden kann“ (Dietrich 2023). Oder sie erwarten, dass gegenseitige Impulse und Entwicklungen möglich sind, dass also Kooperationen dazu beitragen, die Selbstreferentialität der Systeme „Schule“ und „Kunst/Kultur“ zu überwinden (Oberschmidt 2015).
Dass mit Kooperationen zugleich Konkurrenzen und Konflikte verbunden sind, wurde bereits erwähnt (siehe „Akteure“). Erläutert wird (vgl. Fuchs 2014/2013), dass unserer Gesellschaft das Konkurrenzdenken und -handeln stärker eingeschrieben ist als das kooperative Handeln, verstanden als spezifische Form sozialer Beziehungen. Künste und Kultur nehmen für sich in Anspruch, dass sie in ihrer Praxis kollaborative Arbeitsweisen nutzen und sich diese Strategien ggf. auf die organisationale Ebene übertragen lässt. Dazu braucht es nicht nur mentale Voraussetzungen (die man lernen kann), sondern auch gelingende Rahmenbedingungen. Zu diesen Gelingensbedingungen zählt z.B. die Prüfung, ob beide Partner einen Nutzen haben, gegenseitig ihre Eigeninteressen und Kompetenzen anerkennen, die jeweiligen unterschiedlichen Rahmenbedingungen kennen (Fuchs 2014/2013), aber auch die Bereitschaft zeigen, das eigene Wirken kritisch zu hinterfragen und individuelle Kompetenzen und Fähigkeiten zu erweitern (Borchert/Deister 2022). Über diesen Weg lassen sich (kooperativ) Existenzängste und Abgrenzungsbestrebungen auffangen, die nicht zuletzt aufgrund von Legitimationsdebatten entstehen (Oberschmidt 2015).
Notwendig ist ein Ausgleichshandeln in diesem anspruchsvollen und konfliktträchtigen Arbeitsfeld Kooperation: Kooperation ist ein „Ringen um gemeinsames Handeln, das sich u.a. zwischen den Polen Arbeitsteilung und Kooperation, Konflikt und Kooperation, Konkurrenz und Kooperation, Individuums- und Gruppenorientierung, Koordination und Kooperation sowie Kommunikation und Kooperation bewegt“ (Borchert/Deister 2022). Dies erfordert von allen Beteiligten ein Denken in Übergängen sowie des Übergängigen, „das den status quo institutioneller Grenzziehungen bzw. Selbstverständnisse überwindet“ (Kettel 2018). Genau für diese Übergangsgestaltung kann das ästhetisch-kulturelle Denken und Handeln Räume öffnen – und zwar nicht nur auf der individuellen Ebene, sondern vor allem auf der strukturellen und systemischen (Gebhard 2022). Es ist beim kooperativen Aufeinandertreffen und Aushandeln unterschiedlicher Handlungslogiken keine Erfolgsgarantie gegeben (Ehm 2022), insbesondere weil Kooperationen im Kontext von machtvollen Entscheidungshierarchien und unvereinbaren strukturellen und konzeptionellen Ausgangsbedingungen stattfinden. Scheitern scheint aber keine Option und entsprechend gibt es ein Zögern, gescheiterte Kooperationsbemühungen auf kubi-online (Ausnahme bildet z.B. Freytag 2015) und ihre Gründe darzustellen, z.B. Interventionen von Lehrer*innen, schulorganisatorische Probleme, ungünstige räumliche Bedingungen, fehlende Mitbestimmung (ebd.).
Kulturelle Bildung im Ganztag und in Bildungslandschaften
Der bisher diskutierte schulische Fokus wird durch zwei Strategien erweitert, die in der Nach-PISA-Zeit das schulische System ergänzend und unterstützend in der Kulturellen Bildung verfolgt wurden: Ganztag und Bildungslandschaften. Da diese mit den hier verhandelten Diskursen verbunden sind, werden zentrale Aussagen zusammengefasst.
Positionierungen und Bewertungen
- Neben „Kultureller Schulentwicklung“ wurden „Ganztag“ und „Bildungslandschaft“ für Kulturelle Bildung als zentrale Strategien für mehr Teilhabe ausgerufen. Diese Bedeutung von beiden Ansätzen spiegelt sich auf kubi-online aktuell nicht wider.
- Die Texte auf kubi-online fokussieren Kulturelle Bildung im Ganztag und in Bildungslandschaften vornehmlich unter struktureller, nicht unter konzeptioneller Perspektive. Jenseits von „Sozialraum“ wird in den Texten kein Bildungskonzept beschrieben, das über die vage Verknüpfung von informell, non-formal und formal hinausgeht. Damit wird die kinder- und jugend- sowie bildungspolitische Bedeutung non-formaler und informeller Räume auf kubi-online marginalisiert.
- Obwohl „Ganztag“ in zahlreichen Texten in Aufzählungen (als Handlungsfeld für Kulturelle Bildung oder als politischer Kontext) erwähnt wird, finden sich auf kubi-online kaum Texte, die explizit „Ganztag“ für und durch Kulturelle Bildung als Überblicks- und Detailbeiträge fachlich reflektieren.
- Ganztag ist aktuell auf kubi-online Ganztagsschule. Das meint: Ganztag wird implizit und explizit aus der Schule heraus erwähnt, gedacht und entwickelt. Alternative Modelle des Ganztags, z.B. mit Hort, oder Ganztag im Sinne einer „ganztägigen Bildung“ fehlen.
- Im Zuge der Kulturschule (siehe oben: „Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung“) bleibt unklar, inwiefern es sich um eine Ganztagsperspektive handelt bzw. Vernetzungen in Richtung Bildungslandschaften stattfinden.
- Auch kommunale Gesamtkonzepte für Kulturelle Bildung setzen in den Texten kaum konzeptionelle Schwerpunkte. Sie stehen zudem relativ unverbunden zum Thema „Bildungslandschaften“.
- In welchem Verhältnis Bildungslandschaften zur Schule (Integration, Inkorporation, Abgrenzung) oder zu den Trägern und Angeboten Kultureller Bildung stehen, wird bisher kaum diskutiert. Umgekehrt wird auch die sozialräumliche Dimension im Schuldiskurs nicht tiefergehend beachtet, sondern findet maximal als „Öffnung von Schule“, „Kooperationen“ oder „Dritte Orte“ Erwähnung.
- Mit diesen Aussagen und Einschätzungen entsteht ein vielleicht überraschendes Spannungsfeld zum großen Anspruch Kultureller Bildung, Ganztag aktiv zu gestalten bzw. Räume im Ganztag zu benötigen, um kulturelle Teilhabe zu erreichen. Dies muss vor dem Hintergrund, dass der Rechtsanspruch auf Ganztagsförderung im Grundschulalter 2026 eingeführt wird, genauer diskutiert werden.
Uneinig sind die Autor*innen sich dahingehend, wie eng Ganztag und Schule verbunden sind und sein sollen. Während Viola Kelb (2014) mit Bezeichnungen wie „Ganztagsbildung“ bewusst darauf hinweist, dass es in Ganztagsschulen um mehr als um rein schulische Bildung und um mehr als den Lernort Schule geht, erklärt Werner Lindner (2015) den schulischen Fokus damit, dass mit „Ganztag“ nicht weniger als die Versöhnung von Schule und Leben in einer lebensweltorientierten Schule erwartet wird: „Der Blick in die Literatur zur Ganztagsschule offenbart, wie sehr diese Schulform als Prototyp schulischer Erneuerung schlechthin bewertet wird“ (ebd.). Selbst jugendpolitische Prinzipien wie Partizipation im Ganztag ordnen sich in dieser Argumentation dem erwarteten – selbstbestimmten und selbstregulierten (neoliberalen) – Lernerfolg unter. Auch die Forschung, wie sie insbesondere durch die Studien zur Entwicklung der Ganztagsschule (StEG) durch Ivo Züchner (2014, 2018) für die Kulturelle Bildung auf kubi-online ausgewertet wird, nutzt den Fokus „Schule“. Sie zieht die Definition der Kultusministerkonferenz heran, die von vornherein die Schule ins Zentrum rückte: Ganztagsschulen sind jene, die neben einem Mittagessen an mindestens drei Tagen mind. acht Stunden Angebot unterbreiten – und dies jenseits des vormittäglichen Unterrichts meist in offener, d.h. nicht verpflichtender Form.
Ganztag ist laut Autor*innen auf kubi-online eingebettet in ähnliche grundsätzliche Begründungslinien wie Kulturelle Bildung in Schulen – wenn auch nicht ganz so massiv und vielschichtig: Ökonomische, familienpolitische und pädagogische Argumente konkurrieren in den Texten miteinander (Kettel 2020, Dietrich 2023); Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf der einen Seite und die „(Neu-)Gestaltung heutiger Kindheiten“ durch Ganztagsschule, mit der sich die Zeiten und Räume von Kindern und Jugendlichen erheblich ändern (Kettel 2020), werden auf der anderen Seite fokussiert. Demgegenüber stehen nur vereinzelte Teilhabe-Argumentationen (Züchner 2014) oder Positionen, dass durch Ganztag außerschulische Akteur*innen (u.a. der Kulturellen Bildung) ihrem eigenen Anspruch entsprechen können, umfassende und den jugendlichen Wünschen und Erwartungen gerecht werdende Bildungsangebote zu unterbreiten (Gumz et al. 2019). Letztere Autor*innen messen kreativen Beschäftigungsformen im Kontext kindlicher und jugendlicher Freizeitgestaltung und Bildungsmöglichkeiten eine hohe Relevanz zu, um altersgemäßen Verortungen des Ichs in der Welt zu entsprechen (ebd.). Letzteres ist ein zentrales Bildungsziel, was bedeutet, dass Ganztag über Betreuung hinausweist. In eine ähnliche kinder- und jugendorientierte Richtung lässt sich Antje Klinge (2017/2016) deuten, wenn sie insbesondere für die Ganztagsentwicklung fordert, dass das Verhältnis von Schule zu den Heranwachsenden geklärt werden muss. In solcherlei kinder- und jugendpolitischen Perspektivierungen wird zudem kritisiert, dass sowohl den jugendpolitischen Paradigmen der Verselbstständigung und Selbstpositionierung (Züchner 2018) als auch den Kinderrechten auf Spiel, Kultur/ästhetischer Bildung, Natur und Freizeit (Engels 2022) (bisher) wenig Bedeutung in der Entwicklung und Umsetzung von Ganztag beigemessen wird.
Erwähnt werden zu Beginn der Debatte, d.h. in den ersten Texten auf kubi-online, noch die Sorgen von außerschulischen Trägern, durch die Einführung des Ganztags Teilnehmer*innen für außerschulische Angebote zu verlieren bzw. Kompensationserwartungen und -effekte, die außerschulische Aktivitäten haben können (Züchner 2014). Kultureller Bildung wird anschließend hohe Relevanz für die (quantitative) Gestaltung des Ganztags zugesprochen (Züchner 2014, Züchner 2018, Keuchel 2019); in einzelnen Texten wird auch eine qualitative Perspektive sichtbar, indem beispielsweise die Qualität Kultureller Bildung als noch unzureichend eingeschätzt wird (Freytag et al. 2018).
Bezüglich der im Ganztag notwendigen Kooperationen wird festgehalten, dass es zwar zu einer Erweiterung der Bildungsangebote durch außerschulische Träger im Ganztag kommt (Züchner 2018) und diese Träger ihren eigenen Handlungsspielraum genauso wie die Teilhabemöglichkeiten der Adressat*innen erweitern. Aber Problemstellungen von Kooperationen werden auch im Ganztag bisher nicht gelöst: Die Finanzierungsbedingungen sind nicht gut, die Träger haben wenige Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung (schulischer) Rahmenbedingungen für den Ganztag, es gibt kaum inhaltliche Zusammenarbeit: „Eine systematische inhaltliche Zusammenarbeit und Integration der Kulturellen Bildung in ein neues Bildungsverständnis von Schulen zeichnet sich hingegen bislang nicht ab“ (Züchner 2018). Sidonie Engels bestätigt dies 2022: „Was Kulturelle Bildung im Ganztag angeht, so lässt sich einerseits eine positiv zu bewertende Ausweitung des Angebots und andererseits ein erstaunliches Ausbleiben einer gezielten Kooperation zwischen Schule und Kooperationspartner*innen konstatieren“ (Engels 2022).
Zeichnet sich für Bildungslandschaften ein ermutigenderes Bild? Sie folgen laut kubi-online unterschiedlichen Narrativen: dem Abbau von Benachteiligungen (Mack 2013/2012, Gumz et al. 2019) – auch durch und im Rahmen von Kultureller Bildung (Kelb 2014), der Überwindung von Fragmentierungen der Bildungswelten unter dem Paradigma „Weisheit der Vielen“ (Burow 2019/2011) oder dem Anspruch von Demokratisierung und Gemeinwesenbezug (Dietrich/Wischmann 2016). Damit greifen sie schulische Begründungslinien für mehr Kulturelle Bildung und ein erweitertes Bildungsverständnis auf (siehe oben: „(Politische) Begründungslinien“ und „Schule als Institution“).
Wenn schon nicht künstlerischer Fachunterricht, kulturelle Schulentwicklung oder Ganztag auf kubi-online kinder- und jugendpolitische Schwerpunkte setzen, wäre dies mindestens beim Thema Bildungslandschaften erwartbarer und anschlussfähiger. Träger Kultureller Bildung präsentieren sich im Diskurs als „niedrigschwellig“ und „kompensatorisch“ (Gumz et al. 2019), kinder- und jugendgerechte Aushandlungen oder Orientierungen fehlen (vgl. auch Braun/Hübner 2021) weitestgehend. Darauf verweisen Tom Braun und Kerstin Hübner (2021) anlässlich von Forschungsergebnissen: Bildungslandschaften werden fast noch stärker als Schule mit vielen kommunalen und gesellschaftlichen Inanspruchnahmen konfrontiert (z.B. Standortfaktor, vgl. auch Gumz et al. 2019). Und nicht nur das. Vielmehr werden Bildungslandschaften mit diesen Adressierungen von ihrem Anspruch „Bildung“ entkernt und zugleich als neoliberales Projekt umrissen, indem sie bildungspolitische Narrative wie das Leistungsprinzip (Aufstiegsversprechen Bildung) oder Selbstoptimierung fortschreiben, sich an Effektivität und Effizienz orientieren und keinen Beitrag zum Abbau struktureller Diskriminierungen leisten (ebd.).
Auf der einen Seite gehen unterschiedliche Autor*innen auf kubi-online darauf ein, dass Bildungslandschaften sozialräumlich orientiert sind: mit lebensweltlichen Dimensionen von ‚Kulturen des Aufwachsens’ (Zacharias 2013/2012), mit einer kulturpädagogischen Transformation durch den Weg „raus“ aus der Schule in den Sozialraum hinein (Lindner 2015) und ebenso mit einer Lebenswelt, die von Macht- und Herrschaftsverhältnissen und Exklusionen ebenso wie von neuen Sozial- und Handlungsräumen durch Kulturelle Bildung geprägt wird (Mack 2013/2012). Sozialraum und Lebenswelt als positive Paradigmen der Sozialen Arbeit und Jugendarbeit bergen demnach Potenziale und Risiken, die Teilhabe im Sinne junger Menschen sowohl fördern als auch verhindern können.
Zu einer kritischen Perspektive auf die naheliegende sozialräumliche Dimension von Bildungslandschaften, die über die Verbindung zum Thema Lebenswelt hinausgehen und eher politisch gelesen werden müssen, ermutigen die Texte von Kerstin Hübner und Viola Kelb (2015) als auch von Heike Gumz et al. (2019): Der sozialräumliche Diskurs zum Thema Bildungslandschaften ist ihrer Ansicht nach überformt durch ein institutionelles Steuerungsmodell, das Bildungsverwaltung ins Zentrum rückt, Raumvorstellungen auf Territorien und Orte verkürzt, die Bildungsangebote und -träger unverbunden nebeneinander stellt und kein pädagogisches Konzept beinhaltet (Hübner/Kelb 2015). Nach Gumz et al. (2019) trägt die Konzeptfigur „Bildungslandschaft“ zusätzlich dazu bei, das Bildungssystem durch institutionelle Vernetzung und Kommunalisierung als „Sozialraum“ zu optimieren. Die Texte setzen sich gemeinsam mit Viola Kelb (2014) dafür ein, dass Bildungslandschaften aber Inhalte benötigen („form follows function“) und die Lebenswelten und Interessen junger Menschen ins Zentrum rücken sollten und nicht die institutionellen Interessen. Sozialraumorientierung wirkt hierzu als Scharnier. Argumentativ kann herangezogen werden, dass sozialräumliche Perspektiven von Kooperationen Kultureller Bildung bedeutend dafür sind, Interessen auszubilden und damit verbunden Teilhabe-/Chancengerechtigkeit über Gemeinschaftlichkeit und Partizipation zu stärken (Keuchel 2014). Wie dies durch Kulturelle Bildung konkret geschehen kann und soll und wie dies pädagogisch-konzeptionell untersetzt wird, bleibt insgesamt im Unklaren.
Als ähnlich herausfordernd stellt sich die Verankerung kultureller Bildungsträger in den Steuerungsmodellen von Bildungslandschaften dar. Zwar werden Träger Kultureller Bildung im Zuge von Governance-Strategien (Braun/Hübner 2021) involviert. Aber es gelingt weder in der „Bildungslandschaft als Steuerungskonzept“ (Schlingensiepen-Trint 2019) mit ihrer Top down Strategie noch in der „Bildungslandschaft als Sozialraumkonzept“ (ebd.) mit einer Bottom up Strategie unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure vor Ort, eine pädagogische Konzeption sichtbar zu machen, die über den unspezifischen Anspruch hinausgeht, Lebenswelten und Partizipation zu berücksichtigen. Ebenso wird die kommunalpolitische Steuerungs- und Strukturverantwortung für Bildungslandschaften (Mack 2013/2012) auf kubi-online sichtbar. In diesem Zusammenhang werden Bildungslandschaften als verlässliche kommunale Struktur entgegen der „Projektites“ in der Kulturellen Bildung markiert (Kelb 2014). Kommunalpolitische Akteure wie Dieter Rossmeissl (2019, 2022) sind überzeugt, dass kommunale Bildungs- und Kulturlandschaften den Rahmen nicht nur für strukturelle Entwicklungen, sondern auch für ein erweitertes Bildungsverständnis bilden, in dem Kulturelle Bildung und außerschulische Vermittlungskompetenzen eine zentrale Rolle spielen. Dieses Bildungsverständnis folgt einerseits einer Strukturlogik, die vor allem kommunale Kultur- und Bildungsinstitutionen im Blick hat und sich andererseits eine ko-konstruktive Kompetenzorientierung aneignet (Kompetenzen z.B. als Fähigkeit, in Alternativen zu denken, im Scheitern Chancen zu sehen und sich eine Welt von Möglichkeiten als Bedingung von Innovation zu erschließen) (ebd.).
Eine besondere kommunalpolitische Chance für Kulturelle Bildung stellen Kommunale Gesamtkonzepte für dieses spezifische Themenfeld dar. Auffällig ist, dass die (wenigen und zehn Jahre alten Texte) zu diesem Thema (z.B. Schorn 2013/2012, Keuchel 2014) die steuerungs- und strukturpolitischen Fragen ins Zentrum rücken (müssen) und erneut weniger konzeptionelle Dimensionen diskutieren. So wird beispielsweise erwähnt, dass es strukturell entscheidend sei, die ressortübergreifende Entscheidungsebene, die operative Arbeitsebene und die fachliche Beteiligungsebene planvoll zu vernetzen und durch Koordinierungsstellen zu unterstützen (Schorn 2013/2012). Auch in der von Susanne Keuchel (2014) veröffentlichten Auswertung zu Kommunalen Gesamtkonzepten für Kulturelle Bildung finden normative oder pädagogische Zielbestimmungen und Inhalte eher implizit Eingang. Fokussiert werden vielmehr drei zentrale Aufgabenfelder (Sichtbarmachen, Bündeln und Vernetzen) und dazugehörige Strukturen und Handlungsmaßnahmen.
Programme und Einzelmodelle Kultureller Bildung an Schule
In der Einleitung wurde erwähnt, dass die Entwicklung des Themenfeldes maßgeblich durch Programme vorangebracht wurde, die auf Länder- bzw. Bundesebene verortet waren bzw. sind. Auch finden sich Einzelmodelle. Abschließend werden dazu wenige zentrale Aussagen gebündelt.
Positionierungen und Bewertungen
- Insofern implementierungsorientierte Modelle und Programme im Themenspektrum „Kulturelle Bildung und Schule“ erwähnt bzw. reflektiert werden, haben diese eher einen „Sonderstatus“. Transferimpulse, z.B. im Sinne einer Flächen-/Breitenstrategie zur Implementierung, werden nicht deutlich.
- Demgegenüber haben einzelne Programme den fachlichen Diskurs zu wichtigen Themen vorangebracht. Besonders spürbar ist dies für das Thema „Kulturschule/Kulturelle Schulentwicklung“, das maßgeblich durch die Entwicklung und fachwissenschaftliche Begleitung der Programme „Kulturagenten für kreative Schulen“ und z.T. „Kreativpotentiale“ unterstützt wurde.
Einige Texte, z.B. zum Thema „Kulturschule“ (siehe oben: „Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung“), sind im Umfeld von Programmen wie „Kulturagenten für kreative Schulen“ oder „Kreativpotentiale“ entstanden und fundieren Kulturschulen theoretisch, konzeptionell und empirisch. Umgekehrt sind diese Programme Ausdruck eines verstärkten Diskurses zum Thema Kulturelle Schulentwicklung, der diese Entwicklung in der Praxis operationalisiert – es verschränken sich dadurch fachliche Fundierung und praktische Implementierung. Der zentrale Text, der „Kulturagenten für kreative Schulen“ als Implementierungsprogramm reflektiert (Hackstein/Scharf 2020), stellt es in einen kulturpolitischen Begründungszusammenhang, nämlich Neugier bei Schüler*innen für die Künste wecken, Kenntnisse über Kunst und Kultur vermitteln, dauerhafte Zusammenarbeit von Schule mit Partner*innen aus Kunst und Kultur stärken. Das Programm wird in seinem strukturellen Aufbau und im Potenzial seiner Instrumente beschrieben, in diesem Text aber kaum politisch und konzeptionell eingebettet. Dazu müssen die obigen Texte zum Thema Kulturelle Schulentwicklung herangezogen werden.
Die bisher im Beitrag aufgezeigten Tendenzen beziehen sich – mit Ausnahme der unterrichtlichen Schwerpunkte – meist auf grundsätzliche Strategien, um Kulturelle Bildung im Kontext Schule zu erweitern bzw. zu stärken/zu qualifizieren. Es gibt Beiträge, die den Kontext Schule zwar erwähnen, in diesem aber konzeptionelle und zeitliche Freiräume nutzen und damit relativ unverbunden zum „regulären“ Kontext Schule bzw. Unterricht stehen. Drei Beispiele hierzu:
- Ein Beispiel ist die Arbeit einer altersgemischten Ganztagsklasse an einer Montesorri-Schule (Bergdolt 2020), die den gesamten Freitag für künstlerische Projektarbeit nutzen kann, was den Freiheiten der Künstlerin entspricht. Diese Arbeit wird zu PISA-orientierten Kompetenzerwartungen und engeren Zeitkonstrukten kontrastiert.
- Auch das „Kunstlabor an und mit Schulen“, das als Artist in Residence Modellversuch konzipiert ist (Berner/von Rudy 2023/2022), stellt das projektorientierte Arbeiten über einen längeren Zeitraum im Rahmen von Kunstunterricht bzw. offenen Ateliers ins Zentrum. Zwar ist die Kooperation in Konzeption und Umsetzung mit der Schule Bedingung, es werden aber alle Freiheiten genutzt – nicht als Ersatz von Unterricht, sondern als dessen Ergänzung.
- Stephan Bock (2019) verweist auf das Modell der Helene Lange Schule in Wiesbaden, die ein Drittel der Unterrichtszeit dem Theater vorbehält und damit sehr erfolgreich ist (beispielsweise bezogen auf Ergebnisse im Rahmen von Kompetenzvergleichen). Inwiefern diese besonderen Ausgangsbedingungen übertragbar sind und was sie für „Regelschulen“ bedeuten könnten, wäre ein interessanter Diskursimpuls.
Fazit und Perspektiven: Welche Spannungsfelder sind für Kulturelle Bildung zentral?
Die Diskurse, die in diesem Beitrag zu Kultureller Bildung in Schule/Schulsystem zusammengefasst wurden, sind umfänglich und vielfältig: Sie berühren konzeptionelle Fragestellungen zum Selbstverständnis Kultureller Bildung, d.h. zu ihren Zielen, Inhalten und Arbeitsweisen; sie umfassen systemische Betrachtungen, d.h. das politische und institutionelle Gefüge „Schule“, aber auch die Verankerung Kultureller Bildung in Unterrichtstafeln und Curricula; sie werfen ebenso einen Blick auf die Akteur:innen in ihren Rollen und Situiertheiten, d.h. Kulturschaffende, Lehrer*innen oder Schüler*innen etc. Die Beiträge auf kubi-online reflektieren demnach unterschiedliche Aspekte aus der Makro- bis hin zur Mikroebene und machen deutlich: Die Diskurse sind einerseits eng miteinander verwoben, ohne dass dies aus den einzelnen Beiträgen, die i.d.R. einen Teilaspekt beleuchten, zwingend hervorgeht. Andererseits konkurrieren unterschiedliche Perspektiven miteinander. Um Beispiele zu nennen: Positionen, die grundsätzlich das (bisherige) Schulsystem mit seiner Fächerbasierung und Kompetenzorientierung verändern wollen, stehen Positionen gegenüber, die für Kulturelle Bildung (und insbesondere für den künstlerischen Fachunterricht) deutlich auf dem beharren, was und wie Schule aktuell ist und dies allenfalls optimieren wollen. Gesellschaftliche Transformationsideen von und durch Schule mittels Kultureller Bildung befinden sich in einem Spannungsfeld zu Plädoyers, welche wahlweise die Eigenständigkeit und Freiheit der Künste oder die Grenzen der Kulturellen Bildung hervorheben und letztlich Kulturelle Bildung vor Instrumentalisierung schützen möchten. Im Rahmen konkreter Unterrichtsreflexionen gibt es Beispiele, die konkrete Lehrprozesse, klassische Rollenkonstellationen und Kompetenzentwicklungen im Rahmen fester curricularer Settings beschreiben, und ebenso werden Erfolgsmodelle Kultureller Bildung beschrieben, die bewusst diesen Unterricht „sprengen“.
Sowohl die Frage des „Wo stehen wir?“ als auch „Wo kann und soll es hingehen?“ wird entsprechend auf unterschiedliche Weise beantwortet. Die häufig beschriebene Vielfalt Kultureller Bildung spiegelt sich, wenig überraschend, auch im Diskurs um Schule wider, da sich Akteur*innen Kultureller Bildung in unterschiedlichen Positionen bzw. unterschiedlich bewerteten Situationen befinden und/oder weil sie systemisch und konzeptionell begründet verschiedene Strategien verfolgen, um ihre Ziele zu erreichen. Das kann als Stärke gedeutet werden, indem sich Kulturelle Bildung damit als progressives Handlungsfeld zeigt, das sich mit Flexibilität und Anschlussfähigkeit, Engagement und Interesse an wachsenden gesellschaftlichen und bildungspolitischen Herausforderungen beteiligt und dazu nicht den „schnellen“ Weg sucht, sondern verschiedene Lösungsvorschläge und Diskursangebote unterbreitet. Diese Vielfalt erweist sich zugleich als Risiko: Bildungspolitik und -verwaltung können jene Argumente und Ansätze von Akteur*innen Kultureller Bildung aussuchen und fördern, die in die jeweiligen politischen – meist systemerhaltenden, evidenzbasierten und neoliberalen – Strategien passen. Ohne dass Akteur*innen Kultureller Bildung hierzu miteinander, und mit der Politik, diskursive Aushandlungsprozesse eingehen, ohne dass sie aus der Vielfalt heraus zentrale Gemeinsamkeiten und Linien ableiten und ohne dass sie kritisch die jeweiligen Lösungsangebote kontextualisieren, drohen einseitige, wenig diverse und auf den Bildungsmainstream orientierte Konzepte sowie Instrumentalisierung Kultureller Bildung.
Zusätzlich muss diskutiert werden, wie es im schulischen Diskurs um die zentralen Eckpfeiler Kultureller Bildung bestellt ist. Diese Eckpfeiler werden in den „Positionierungen und Bewertungen“ in diesem Beitrag als zentrale Grundlagen reflektiert und nun nach Thesen zu kritischen Tendenzen als Spannungsfelder zusammengefasst:
Kulturelle Bildung im Schuldiskurs richtet sich sehr stark an der Institution Schule und ihrem Auftrag aus.
- Inwiefern erhält sich Kulturelle Bildung in der Schule ein emanzipatorisches Bildungsverständnis? Inwieweit hat sich Kulturelle Bildung ein kompetenzbasiertes Bildungsverständnis bereits einverleibt?
- Wie ist es um die Anerkennung des „Subjektstatus junger Menschen“ durch Akteur*innen Kultureller Bildung in der Institution Schule bestellt? Inwieweit überlagert Schule als Struktur- und Professionsentwicklungsfeld diese Perspektive auch in der Kulturellen Bildung?
Der Diskurs zu Kultureller Bildung in Schule fokussiert sich auf die formalen Bildungsdimensionen und auf Unterricht.
- Wie ernst nimmt es Kulturelle Bildung im formalen Bildungssystem mit dem erweiterten Bildungsbegriff? Inwiefern spielen Perspektiven informeller und non-formaler Bildung, der Lebenswelt und des Sozialraums überhaupt oder gar eine gleichwertige Rolle?
- Welches Interesse und Potenzial hat Kulturelle Bildung, weitere bildungspolitische Strategien, z.B. Ganztag und Bildungslandschaften, zu stärken und damit zu einer Fokusverschiebung beizutragen?
Das Teilhabe-Ziel wird für das Handlungsfeld Schule zwar formuliert, aber ähnlich wie weitere gesellschaftspolitische Ziele nicht klar konzeptionell untersetzt.
- Welcher kulturelle Teilhabe-Begriff ist im Kontext Schule genauer zu konturieren, der über „Enkulturation“ und „Zugänge für alle“ hinausgeht und aus dem sich beispielsweise nachhaltiges Empowerment und die diskriminierungssensible Anerkennung kultureller Vielfalt entwickelt?
- Wo finden sich Debatten, Haltungen und schulische Praxis zu gesellschaftspolitischen Dimensionen Kultureller Bildung in Schule jenseits davon, dass Schule in gesellschaftlichen Transformationen politisch adressiert wird?
Kulturelle Bildung befindet sich in Schule im Selbstbehauptungsmodus und sieht sich trotz vielfältiger Programme in der Existenz bedroht.
- Inwiefern ist es möglich und von der Kulturellen Bildung gewollt, aus der Spezifik der ästhetischen und Kulturellen Bildung als eigenständiger Weltzugang ein Konzept abzuleiten, das eine Synthese zu schulischen Aufgaben sucht?
- Welche Rolle spielt die starke Polarisierung (Schule vs. Kulturelle Bildung) und was kann diese zur Veränderung des Bildungssystems und der schulischen Hegemonie beitrage?
- Inwieweit und mit welcher Begründung ist für die Kulturellen Bildung die Eigenständigkeit (auch im Sinne von Kontrastierung und Abgrenzung) existenziell?
Schule wird als wichtiges professionelles Handlungsfeld für Kulturelle Bildung umrissen und verkürzt dieses auf die personale Ebene von Künstler*innen und Lehrer*innen.
- Wie gelingt es im Sinne einer kooperativen Kulturellen Bildung, die fachliche und konzeptionelle Implementierung in Schule durch systemische und institutionelle – und nicht durch individuelle – Lösungsstrategien zu fokussieren?
Diese und weitere Spannungsfelder lassen sich aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Adressierung der Institution Schule vielfach nicht auflösen, sollten aber durch die Fachöffentlichkeit Kultureller Bildung weiter aufgegriffen und stärker differenziert werden. Aus diesen Diskursangeboten sollten Schlussfolgerungen entstehen, die sich nicht nur zur Weiterentwicklung Kultureller Bildung in Schule eignen, sondern auch im politischen Kontext Wirksamkeit entfalten können. Denn auch wenn die Debatte auf kubi-online breit und intensiv ist, so ist die Bedeutung und Unterstützung Kultureller Bildung im Schulsystem in der Fläche unbedingt zu stärken und in weiteren Beiträgen zu diskutieren.