Besucherorientierung in Museen: Vielfalt als Prinzip
Der Begriff der Besucherorientierung umfasst ein weites Feld mit je nach Museumsgattung unterschiedlichen Konturen: Er kann bei Kunstmuseen beinhalten, im Sinne der ästhetischen Forschung Projektergebnisse von Workshops in einer Ausstellung zu „positionieren“, in Geschichtsmuseen und Stadtmuseen, die Objektperspektive der BesucherInnen stärker zu integrieren, in Naturkundemuseen, HobbyforscherInnen im Sinne von Citizen Science für die Forschung an Museen zu engagieren: Alle Museumsfunktionen des Sammelns, Bewahrens, Forschens, Ausstellens und Vermittelns beziehen sich somit auf Konzepte der Besucherorientierung. Als Leitbild der Museumsarbeit fungierend, fußen solche Konzepte auf einem Paradigmenwechsel in der Museumstätigkeit (Graf 2000), der auf die Öffnung der Museen im Zuge der Bildungsreformbewegung datiert wird.
Folgend wird versucht, mit Blick auf die Bildungs- und Vermittlungspraxis die Ausdifferenzierung des Begriffs nachzuzeichnen, der bezogen auf die heterogene Museumslandschaft unendlich viele Varianten kennt. Welche konstitutiven Merkmale liegen trotz dieser Vielfalt vor? Exemplarisch sollen zunächst Tagungen zu diesem Thema als Einstieg dienen, um anschließend zwei Beziehungslinien zwischen BesucherInnen und dem Museum zu analysieren: die Außenbeziehung mit dem Ziel der Publikumsgewinnung und den dafür vorliegenden Instrumenten, die Binnenstruktur mit dem Ziel der Objekterschließung für Ausstellungsgäste und die dafür zu Grunde liegenden Vermittlungsmodi.
Besucherorientierung und Museumsboom als Tagungsthema
Aus museumspädagogischer Perspektive stand der Begriff der Besucherorientierung insbesondere auf der Bonner Tagung des Bundesverbands Museumspädagogik (BVMP) zum Thema „Event zieht– Inhalt bindet“ mit der zentralen Frage zur Diskussion: „Kann oder muss ‚Eventkultur’ für die Besucherorientierung der Museen nutzbar gemacht werden? Oder laufen die Museen damit lediglich einem Trend nach, um die Besucherzahlen zu halten und Marktanteile zu sichern?“ (Dennert/Commandeur 2004:9) „Eventkultur“ und Marktanteile spiegelten seinerzeit neue Konzepte im museumspädagogischen Diskurs, der vor dem Hintergrund der Debatte des „Erlebnismuseums“ (Deutscher Museumsbund 1998) die Frage zu beantworten suchte, welche Funktion der Vermittlung durch die „betriebswirtschaftliche Wende“ (Noschka-Roos 2012:163ff.) zukommen kann: Selbstkritisch wurde auf dieser Tagung u.a. an das nun überholte „Lernort“-Verständnis erinnert (Kallinich 2004:71ff.) und vor allem die besondere Aufgabe des Museums als erlebnisorientierter Lernort im Netz des Lebenslangen Lernens betont (Nahrstedt 2004:29ff.). Auch der von Nahrstedt skizzierte wachsende Freizeitmarkt, in dem die ohnehin boomende Zahl der Museen mit anderen Freizeitorten konkurriert, stellte die Museen vor die Frage, welche Rolle sie in der „Erlebnisgesellschaft“ übernehmen sollen. Ökonomische, gesellschafts- wie kulturpolitische Faktoren bilden für diese Fragen den damals drängenden Hintergrund, den insbesondere Schuck-Wersig/Wersig aufzeigten (Schuck-Wersig/Wersig 1996), und erklären die Programmatik der Tagung: „Genau deshalb thematisieren wir als MuseumspädagogInnen das Spannungsverhältnis zwischen Inhalt und Event, und nicht weil wir uns als Marketingabteilung des Museumsbetriebs verstehen, denn– um es zu wiederholen– die Bedürfnisse und Forderungen von BesucherInnen stehen im Mittelpunkt der museumspädagogischen Arbeit.“ (Dennert/Commandeur 2004:10).
Aus Besucherforschungsperspektive richtete bereits 1995 dasselbe Haus eine internationale Tagung aus, mit zahlreichen Beiträgen über die Herausforderungen der Zukunft in der Beziehung von Museum und BesucherInnen. Diese gelegte Spur zwischen den beiden Tagungen ist aufschlussreich, weil sie zu zentralen Punkten des Konzepts der Besucherorientierung führt: Zum einen weist sie zunächst auf die Voraussetzung hin, die Visitors’ Bill of Rights gewissermaßen als Hausphilosophie zu übernehmen (Schäfer 2003) und atmosphärische, mentale wie räumliche Maßnahmen für das Museumspublikum als integral zu erachten. Zum andern zeigten die Beiträge auf der Tagung, welche systematisch relevanten Aspekte für ein besucherorientiertes Konzept zu beachten sind (Haus der Geschichte 1996): Neben internationalen Gästen kamen mit Heiner Treinen, Hans-Joachim Klein sowie Volker Kirchberg Doyens der hiesigen Besucherforschung zu Wort, die unterschiedliche Perspektiven in der Gestaltung der Beziehung zwischen Besucher und Museum– der Besucherorientierung– aufzeigten:
Mit der Analyse der noch gegenwärtig aktuellen Herausforderungen für Museen– die Konkurrenz- und Vernetzungsherausforderung, die Event-Herausforderung, die demografische Herausforderung, die Vermarktungsherausforderung, die Medienherausforderung und die heute insbesondere durch die digitale Herausforderung zu ergänzen ist– betonte Hans-Joachim Klein (ebd.:72ff.) insbesondere die Außen- respektive Museumsperspektive.
Gewissermaßen aus der gleichen Perspektive stellte Volker Kirchberg (ebd.:176ff.) Methoden der Sozialforschung für das Museumsmarketing vor, indem er für die Analyse und Gewinnung der BesucherInnen resp. Nicht-BesucherInnen Modelle sogenannter Erlebnismilieus einbezog, u.a. die Typologien von Schulzes „Erlebnisgesellschaft“ (Schulze 1992, 2005).
Eine gänzlich andere Perspektive– die Binnen- respektive Vermittlungsperspektive– wählte Heiner Treinen (ebd.:60ff.), der aus kommunikationstheoretischer Sicht die Frage untersuchte, was es bedeutet, wenn für AusstellungsbesucherInnen eigene Alltagstheorien oder Vorannahmen in der Objektwahrnehmung konstitutiv sind. Welche Rolle können vor diesem Hintergrund zusätzliche mediale Interpretationshilfen einnehmen? Nur ein Argumentationsstrang soll herausgegriffen werden: Auf Grund der strukturell, ähnlich den Massenmedien asymmetrischen Kommunikationssituation oder des Top-Down-Modus nimmt Treinen zum einen an, dass „die bestehende Kluft zwischen Gestaltungsabsichten und Besucherorientierungen durch Nutzung zusätzlicher Medien“ nicht geschlossen werden kann (ebd.:68), sieht im direkten zwischenmenschlichen Austausch eine effizientere Kommunikationsform und– bricht eine Lanze für Dilettanten, als einem wie bei Lichtwark positiv zu besetzenden Begriff: „Der heutige pejorative Unterton ist durch die Vorherrschaft hoch spezialisierter Experten zustande gekommen, die übrigens dabei übersehen, dass für eine Vielfalt interessanter Kulturbereiche außerhalb des eigenen engen Fachgebiets sie selbst als Dilettanten wirken– und diese dienen als Ferment, als Ko-Produzenten museumsbezogener Öffentlichkeit in sozialen Netzwerken; in Langzeitperspektive sind Dilettanten aller Spielarten unverzichtbar für die Tradierung und Entfaltung kultureller Wertbereiche.“ (ebd.:66).
Mit dem nur knappen Rückblick treten einige Merkmale der Besucherorientierung hervor, die zum einen die strukturelle (Museums)Beziehung zum Publikum (Museum und Gesellschaft respektive Markt und Herausforderungen) sowie zum andern die (Vermittlungs)Beziehung in der Bildungsarbeit des Museums betreffen. Seitdem wurden sowohl die Programme und Maßnahmen zur Publikumsgewinnung weiter ausgebaut und differenziert, als auch die Rolle der Bildungs- und Vermittlungsarbeit in ihrer Beziehung zum BesucherInnen reflektiert und in den Modellen erweitert.
Besucherorientierung– Maßnahmen zur Publikumsgewinnung
Gegenwärtig liegen verschiedene Strategien vor, um ein größeres und neues Publikum zu gewinnen, die je nach Modell sozialwissenschaftliche Instrumentarien nutzen, um nähere Auskünfte über das Kulturpublikum (Glogner-Pilz/Flöhl 2011) oder über das Sonderausstellungspublikum (Wegner 2015) zu erhalten. Viele Ansätze sind ökonomisch, bildungspolitisch oder kulturpädagogisch motiviert und es liegen ebenso gemischte Motive vor (Reussner 2010). Ökonomisch kann beispielsweise bedeuten, dass im Sinne des Benchmarking das Alleinstellungsmerkmal bestimmter Museen analysiert und strategisch in Öffentlichkeitsmaßnahmen überführt wird, um höhere Besuchszahlen zu generieren (Günter 2000).
Neben diesem marktwirtschaftlichen Wettbewerbskonzept existieren Instrumente des Kulturmanagements für das Museum als einem kulturpädagogischen Handlungsfeld, in dem die Kulturelle Bildung als zentral für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung erachtet wird: „Zum einen hinsichtlich ihrer Integrationswirkungen, zum anderen angesichts eines wachsenden Bedarfs an Menschen, die nicht nur über kognitive Bildung verfügen, sondern kreativ, innovativ und eigenständig denken und handeln können.“ (Mandel 2008). Instrumente des Kulturmarketings haben die Funktion sowohl „zum einen... die vorgegebenen bzw. selbst gesteckten inhaltlichen, künstlerischen und kulturellen Zielsetzungen so gut wie möglich zu realisieren, und zum anderen (soll) der anvisierte Interessentenkreis so weit wie möglich erreicht werden“ (Klein 2008).
Diese sehr allgemeine Definition umfasst Audience-Development-Ansätze wie Outreach-Programme, deren Ziel darin liegt, Schwellenängste von Nicht-BesucherInnen zu überwinden und das Museum für neue Zielgruppen zu öffnen. Das Motto der 1970er-Jahre „Kultur für alle“ wird gewissermaßen vom Kopf auf die Füße gestellt: Auf soziale Unterschiede hinsichtlich der Motive und Barrieren zum Museumsbesuch wiesen bereits Strukturdaten in dieser Zeit hin (Bourdieu/Darbel 1969 und 2006), denen zunächst jedoch keine so große kulturpolitische Bedeutung beigemessen wurde. Klein (Klein 2008) zitiert als Beispiel Hilmar Hoffmann, einen der maßgeblichen Wegbereiter für die Öffnung der Museen: „In den 14 Jahren, in denen ich aktiv an der Frankfurter Kulturpolitik beteiligt war, haben wir nie ernsthaft Wirkungsforschung betrieben– nicht nur, weil wir keine Zeit oder kein Geld gehabt hätten, sondern auch, weil es ein so brennendes Interesse daran nicht gab. Kulturpolitik hatte ihr Programm und war von dessen Qualität und Bedeutung so überzeugt, dass eine empirische Nachfrage nicht notwendig schien. Pragmatische Kulturpolitik mit programmatischen Elementen, wie sie ,Kultur für alle’ war, interessierte sich wenig für Wirkungsforschung, weil sie sich auf die Botschaft der Künste verließ, und weil sie, positiv gewendet, an die Mündigkeit der Nutzer appellierte, die allmählich ihre ,wahren Bedürfnisse’ entdecken würden. Beziehungen zwischen Künsten und Nutzern herzustellen, das war die Aufgabe, deren Gelingen nicht gemessen werden konnte.“ Zur Relativierung des von Armin Klein übernommenen Hoffmann-Zitats ist allerdings kurz anzumerken, dass damals wie heute selbst ein vorhandenes Interesse für Wirkungsforschung vor einer komplexen interdisziplinären Aufgabenstellung steht. Theoretisch wie forschungsmethodisch sind heute allenfalls erste interessante Lösungsansätze zu erkennen (siehe dazu Noschka-Roos/Lewalter 2013), in der Zeit Hoffmanns hätten sie aufgrund des damaligen Forschungsstandes nur auf wenige Dimensionen reduziert werden können. Insbesondere mit der später erfolgten konstruktivistischen Wende und der „visitor oriented perspective“ (Falk/Dierking 1992; Falk 2010; Hein 1995) wurde für die Besucherforschung zumindest ein heuristischer Rahmen geliefert, um Forschungsbefunde über das jeweils individuelle hochkomplexe Zusammenspiel in der Vielfalt sozialer, kognitiver, emotionaler oder sinnlicher Faktoren einordnen und diskutieren zu können.
Empirisch-systematisch überprüfen lässt sich mit Hilfe der Audience-Development-Strategien oder des Outreach-Ansatzes, inwieweit durch eine gezielte Ansprache museumsferne Milieus erreicht und durch geeignete Programme zur kulturellen Teilhabe motiviert werden können. Solche Strategien und Konzepte treten aktuell insbesondere durch das Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ in den Vordergrund, dessen Ziel es ist, durch einen breiten Ausbau an außerschulischen Angeboten der Kulturellen Bildung allen Kindern und Jugendlichen Bildungschancen zu eröffnen. Mit diesem neuen bildungspolitischen Konzept der Besucherorientierung ist die Bildungs- und Vermittlungsarbeit der Museen je nach lokalem Bündnis im Schnittfeld von Sozial-, Kultur- und Schulpolitik verortet und in Kooperationsprojekten tätig, für die die jeweiligen Partner ihre Kompetenzen und Erfahrungen einbringen (Herber-Fries 2015). Ähnliche Kooperationen und Vernetzungen– mit einem anderen wichtigen Schwerpunkt der Besucherorientierung– zeigen Inklusionsprojekte (Deutscher Museumsbund 2013) oder Projekte in Zusammenarbeit mit ausländischen Mitbürgern (Deutscher Museumsbund 2015).
Insgesamt sollte somit skizziert werden, wie sich in der Entwicklung und Ausdifferenzierung des Konzepts der Besucherorientierung gesellschaftliche Erwartungen niederschlagen: Die Beziehung zwischen Museum und Publikum war (und ist) eine andere in Modellen der Erlebnisgesellschaft als in Modellen, die die transformativen und globalen Herausforderungen fokussieren. Einen zudem wichtigen und an anderer Stelle zu thematisierenden Punkt stellen soziale Medien dar, die die Austauschbeziehung zwischen Museum und Publikum noch vielfältiger und– gezielter respektive personalisierter gestalten lassen. Bei dieser sich entwickelnden Vielfalt an Beziehungsmustern liegen in vielen Fällen nicht sich ausschließende, sondern sich ergänzende Beziehungen vor, wie folgend für die Bildungs- und Vermittlungsaufgabe zu zeigen sein wird.
Besucherorientierung in der Bildungs- und Vermittlungsaufgabe
Insbesondere vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung der Museen als öffentliche Foren zur Verhandlung gesellschaftlich relevanter Themen rückt in der Quadriga der Museumsaufgaben Sammeln, Forschen, Bewahren und Ausstellen/Vermitteln die Vermittlungsfunktion verstärkt in den Fokus museologischer und museumspädagogischer Reflexionen (Macdonald 2006). Zahlreiche kulturpädagogische Initiativen entdecken das Museum als einen außerschulischen „Lernort“ oder besser als einen Ort des Austauschs und der Diskussion: Die ästhetische wie haptische Vielfalt der Objekte, Themen und Präsentationen erlaubt in ihrem hohen Differenzierungsgrad je individuelle Einstiege. Es ist aus museologischer Perspektive ein Feld des freiwilligen und selbstgesteuerten Lernens respektive Entdeckens (Fayet 2005), aus lernpsychologischer Sicht ein Feld, in dem nicht nicht gelernt wird (Prenzel 2009), oder kommunikationstheoretisch in den Wahrnehmungsakten durch eigene Vorkenntnisse und Interessen gesteuert (s. o. Treinen).
Top-down und/oder bottum-up?
Museumspädagogische (personale) Angebote bieten die Möglichkeit eines strukturierten Zugangs in der Vielfalt der Möglichkeiten. Dabei lassen sich unterschiedliche Vermittlungsmodi unterscheiden, die extrem formuliert, von didaktisch zugeschnittenen Angeboten für Nichtkenner bis zum Dialog auf Augenhöhe mit Besucherinnen und Besuchern als Partnern reichen. Die Ursache liegt zum Teil in dem jeweiligen Vermittlungsgegenstand begründet, sie drücken aber ebenso den Beziehungsduktus zum Publikum aus: Ist es Laie, Kunde oder Partner? Folgend sollen rückblickend kurz die unterschiedlichen– mitunter impliziten– Charakteristika vorgestellt werden, die an anderer Stelle ebenso beschrieben und hier weiter ausgebaut sind (Noschka-Roos 2012).
Mit der Öffnung der Museen ist eine Abkehr vom Musentempel hin zum Lernort kennzeichnend, ein Wandel vom Fachduktus zum Vermittlungsduktus: Eine fachsystematisch konzipierte, objektorientierte Ausstellung für Experten, die an Erläuterungsmaterial allenfalls Beschriftungen benötigt, wird durch Programme, Saalblätter u.ä. zum Lernort. Eine fachlich konzipierte Sammlung museumspädagogisch zu übersetzen, bedeutete in manchen Fällen, sich des Systems der Einbahnstraßendidaktik oder der Top-down-Methode zu bedienen. Als Zielpublikum fungierte im Sinne des demokratischen Programms „Kultur für alle“ theoretisch die Öffentlichkeit, doch faktisch bildeten vor allem Schüler und Kinder sowie zum Teil Touristen das Hauptzielpublikum; die Anschaulichkeit der Objekte bildete die Grundlage für das Programm.
Für das Erlebnismuseum, als Leitbegriff der folgenden Etappe, ist der Wandel vom Vermittlungsduktus zum Dienstleistungsduktus kennzeichnend: Er beinhaltet die stärker ökonomische Reflexion der Austauschbeziehungen zwischen Museen einerseits und den BesucherInnen andererseits, wie bereits gezeigt werden konnte, und rückt BesucherInnen quasi als KundInnen/NutzerInnen mit ihren Wünschen, Interessen und Neigungen ins Blickfeld. Parallel dazu (und manchmal auch zusammenhängend) werden Ausstellungen entwickelt, die mit Inszenierungen im Sinne eines ganzheitlichen Erlebnisses arbeiten; statt der Darstellung von Fachsystematiken der Sammlungen treten kontextualisierte, themenorientierte Ausstellungen in den Vordergrund. In der Bildungsarbeit der Museen erfolgte ergänzend zu den Schulprogrammen verstärkt ein zielgruppenorientierter Ausbau an Materialien und Programmen; neue Formate wie beispielsweise die „Lange Nacht der Museen“, „Theatertage in Museen“ usw. sind ebenso charakteristisch wie der Besucherservice mit Restaurants u.ä.
Partizipation und Selbstreflexion
Gegenwärtig weisen zahlreiche Diskurse auf einen neuen Beziehungsmodus hin, der als ein Wandel vom Dienstleistungsduktus zum Austauschduktus bezeichnet werden könnte: Zur Begründung greifen kultur- wie medientheoretische Motive ineinander. So analysiert beispielsweise Torsten Meyer auf der Tagung des Bundesverbands Museumspädagogik (BVMP) in Weimar, 2014, den Curatorial Turn, ausgelöst durch den medienkulturellen Wandel und die dadurch möglichen Austauschoptionen: Sinn ist nicht mehr das kulturelle Erbe zu pflegen und sich um die Tradition zu sorgen, sondern gewissermaßen den Diskurs zu pflegen, Diskussionen anzuregen (Torsten Meyer 2015).
Zu einem ähnlichen Ergebnis führt die Argumentation von Carmen Mörsch (Mörsch 2009), die nach der documenta 12 für die Konzepte der Kunstvermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation unterscheidet. Ihre Ausführungen zu den affirmativen und reproduktiven Diskursen zeigen in den Merkmalen Parallelen zu den bisher vorgestellten Konzepten des Musentempels, des Lernorts– und weniger– des Erlebnisorts. Im dekonstruktiven Diskurs wird das Museum als autoritative Instanz schließlich kritisch hinterfragt und im transformativen Diskurs als veränderbare lernende Organisation vorgestellt. „Die mit diesem Diskurs verbundenen Praktiken arbeiten gegen eine kategoriale und hierarchische Unterscheidung zwischen kuratorischer Arbeit und Vermittlung. Grundlegend ist, dass sie die Funktionen der Institution in Zusammenarbeit mit dem Publikum nicht nur offenlegen oder kritisieren, sondern ergänzen und erweitern.“ (ebd.:11).
Die spannende Diskussion sowie die Konsequenzen, die daraus für die Institution selbst wie für die Programme folgt, können hier nicht nachgezeichnet werden. Für die Diskussion zur Besucherorientierung ist an dieser Stelle zentral: Die bisher getrennten Museums- und Vermittlungsperspektiven greifen ineinander, sie werden subjektorientiert konzipiert, die distanziert-objektivierende Beziehung zwischen Museum und Öffentlichkeit wird hinterfragt und durch eine partizipatorische Praxis zu überwinden gesucht. Die optionale Vielfalt der Perspektiven von Objekten wird produktiv gewendet. Die Partizipation, der Austausch zur gemeinsamen (V)ermittlung steht im Fokus; vor diesem Hintergrund fungiert das Museum als gemeinsamer öffentlicher Ort, als Experimentierfeld; ebenso übernehmen Besucherbefragungen eine neue Funktion: Sie dienen nicht nur zur Analyse des Publikums und seiner Interessen oder zum Abbau kommunikativer Barrieren, sie dienen vor allem dazu, diesen Austausch zu fördern (Kamel/Gerbich 2014).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass alle vier skizzierten, idealtypisch getrennten Beziehungsmodi notwendig zu beachtende, konstitutive Elemente für eine besucherorientierte Vermittlungs- und Bildungsarbeit im Museum enthalten. Sie sind mit unterschiedlichem Gewicht und je nach Aufgabe, Position und Möglichkeiten in der Praxis vorzufinden: Die zu Beginn dominante Expertenbetonung der Sammlung entspricht der Faszination und Einmaligkeit der Objekte, die nach wie vor viele BesucherInnen motivieren, in Museen zu gehen und zu den zentralen Erinnerungsinhalten zählen (Falk/Dierking 2008; Treinen 1998). Der Vermittlungsauftrag, der sich in der Diskussion des Museums als Lern- oder Bildungsort in der zweiten Etappe artikulierte, gilt inzwischen vielen als selbstverständliche und gleichberechtigte Funktion; sie ist der Bildung und nicht dem Markt verpflichtet. Der mehr empirisch begründete und vielleicht weniger idealisierte Blick öffnete sich in der dritten Etappe, in der BesucherInnen als PartnerInnen mit Rücksicht auf ihre Wünsche oder Interessen Beachtung finden. Respekt, Partizipation und selbstkritische Reflexion betont der gegenwärtige Diskurs, der mit einem ausgeprägt subjektorientierten Blick arbeitet sowie neue Kommunikations- und Austauschformen zwischen Besucher und Museum durch die sozialen Medien nennt.
Anknüpfend an die kommunikationstheoretische Analyse von Treinen (s.o.) bleibt abschließend zu fragen: Schlägt mit den sozialen Medien und dem neuen Diskurs– im positiv gemeinten, ursprünglichen Sinne– die Stunde der DilettantInnen? Eine der Antworten wird sein, dass sie in der Realität in allen vier Vermittlungsmodi zu finden sind: Im inspirierenden, dialogorientierten Expertenvortrag ebenso wie in subjektorientierten Programmen zur eigenständigen und Interesse weckenden Erschließung eines Themas oder in den eingangs skizzierten Projekten der ästhetischen Forschung und von Citizen Science, die transformativen Charakter tragen (können). Denn zusätzlich zu den idealtypisch getrennten Beziehungsmodi interagieren im (V)ermittlungsfeld weitere Faktoren wie die jeweiligen Themen oder Gegenstände, die darauf bezogenen Interessen und ausgelösten Interaktionsprozesse, um nur einige zu nennen. Die produktive Spannung zwischen Museum und Publikum bleibt, bedingt durch die Themenbreite der Ausstellungen, des jeweils neuen Handlungsspektrums und des darin enthaltenen Spielraums, der immer wieder neu durchdacht und gestaltet wird.