Architektur und Vermittlung
Es ist nur ein Kinderspiel, und doch steckt – wie bei jedem guten Spiel – mehr dahinter als nur ein kurzweiliger Zeitvertreib während einer nicht enden wollenden Autofahrt: „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ heißt das Fragespiel. Wer dabei gewinnen will, muss hinsehen und wahrnehmen. Und auch wenn es vom Wahrnehmen noch weit ist bis zum Erkennen und Wissen: Der erste Schritt ist mit dem genauen Hinschauen getan. Ganz spielerisch also kommt man dem Goetheschen Satz: „Man sieht nur, was man weiß“ mit dem Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“, nahe.
Architektur kann das Leben verändern
Dass man ohne Architektur nicht auskommt, wusste bereits der 1933 verstorbene Architekt und Architekturtheoretiker Adolf Loos. Denn man kann die Architektur nun einmal nicht weglegen wie ein Buch oder ausschalten wie einen Film. „Literatur und Schreiben“, so der Essayist und Autor des Buchs „Glück und Architektur“ Alain de Botton in einem Interview, das am 29./30.1.2011 in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war, „kann ganz viele Menschen ein kleines bisschen verändern, aber Architektur kann das Leben ganz elementar verändern“. Es müsste daher selbstverständlich sein, sich mit der Architektur intensiv und so früh wie möglich zu beschäftigen. Sie also zu sehen und wahrzunehmen als das, was sie ist: Unsere gestaltete Umwelt, die Einfluss hat auf unser Leben, auf Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeit und die Möglichkeiten, dieses miteinander zu verbinden. Die aber auch und vor allem unser Wohlbefinden positiv oder negativ beeinflusst.
Doch die Architektur ist kein Thema, nicht in den Kindergärten, nicht in den Schulen. Auch wenn der Journalist Michael Mönninger vor einigen Jahren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von der Architektur als Leitkultur unserer Zeit sprach: Im Alltag, jenseits von dem weltweit und medial omnipräsenten architektonischen Spektakel ambitionierter Prada-Filialen, Formel-eins-Rennstrecken oder den weltweit höchsten Häusern ist diese Botschaft nie angekommen. Der Schulalltag macht hier keine Ausnahme.
Material zur Architekturvermittlung
Dabei gibt es inzwischen anregende Schulbücher zum Thema Architektur und preisgekrönte Sachbücher für Kinder und Jugendliche. Es gibt Architektur-Projekte, die teilweise gemeinsam mit den Kultusministerien in Klassen aller Jahrgangsstufen und Schulformen durchgeführt werden.
Als Partner der bayerischen Klima-Allianz hat beispielsweise die Bayerische Architektenkammer Unterrichtsmaterialien für einen Projekttag entwickelt, an dem SchülerInnen ihr Schulhaus gemeinsam mit ArchitektInnen energetisch untersuchen. Diese Unterlagen werden kostenlos angeboten und auch das Honorar des Architekten wird dabei von der Kammer getragen. Eine Handreichung für LehrerInnen und ArchitektInnen, die gemeinsam das Projekt „Erlebnis Denkmal“ durchführen, das sich vor allem in den dritten Klassen anbietet, wurde 2010 allen bayerischen Grundschulen seitens des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zur Verfügung gestellt, auch hier übernimmt die Bayerische Architektenkammer die Vergütung der ArchitektInnen, die das Projekt begleiten.
Es gibt zahlreiche ArchitektInnen überall in Deutschland, die an Schulen gehen und dort gemeinsam mit den Lehrkräften arbeiten, ohne dass den Schulen hierfür Kosten entstehen. Und es gibt Lehrerfortbildungen, die den PädagogInnen Wissen und Anregungen für den Unterricht geben. Stetig sind in den letzten Jahren die Anstrengungen – inhaltlich und auch finanziell – der Länderarchitektenkammern gestiegen, das Thema Architektur für Schulen und Kindergärten aufzuarbeiten und an Schulen und Kindergärten zu vermitteln. Doch das ist keine Garantie, dass jedes Kind im Laufe seiner Schulkarriere sich sehenden, erkennenden und wissenden Auges mit Architektur beschäftigt.
Architektur im Lehrplan
Auch an den Lehrplänen liegt das nicht: Schon in der Grundschule, bietet sich eine Auseinandersetzung mit Architektur an – in vielen Fächern und darüber hinaus in allen Jahrgangsstufen und das auch jenseits der nahe liegenden Überschneidungen beim Thema Geometrie oder beim Erlernen von Größen. Der Gewinn ist enorm, wenn man die abstrakten Themenfelder „Raumerfahrung und Raumvorstellung“ oder „Flächen und Körperformen“, „Orientierung mit der Karte“ oder „Schulhaus und Schulgelände“ lebendig, das heißt, an konkreten Beispielen, mit Mitteln der Architektur im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar macht.
Es spricht also nichts dagegen, sich mit Kindern und Jugendlichen in Kindergarten und Schule mit der Architektur zu beschäftigen, sondern alles dafür. Denn unsere geplante und gebaute Umwelt geht uns alle an, wir entkommen ihr nicht und – mehr noch – wir müssen Verantwortung für sie übernehmen. Denn nicht für die Schule lernen die Kinder, sondern fürs Leben.