Architektur und Design
Thema und Begriffe
Architektur und Design sind Sparten der sogenannten „angewandten Künste“. Sie sind hier in einem Artikel zusammengefasst, da beide die von Menschen gestaltete Umwelt zentral betreffen: von der Einbettung der Autobahn in die Landschaft bis zum I-Phone, von der Zimmereinrichtung bis zur Mode. Menschen formen ihre Umgebung dabei nicht nur nach funktionalen sondern ganz wesentlich auch nach ästhetischen Gesichtspunkten und nach Bedeutungsaspekten. Sie schaffen Zeichen.
Architektur zieht eine Grenze zwischen außen und innen, durch die architektonische Hülle entsteht ein geschützter Raum für den Menschen. Menschen sind heute die meiste Zeit von Architektur umgeben, die einen enormen Einfluss auf ihr Empfinden, ihre Wahrnehmung und ihr Weltverständnis hat. Die Qualität des gestalteten Lebensumfeldes hat dabei eine nicht zu unterschätzende gesellschaftspolitische Dimension, von der Organisation der Stadträume bis zum Corporate Design, vom Markencharakter bis zur Formierung von Menschenströmen. Design wiederum ist ein Sammelbegriff für alle bewusst gestalteten Eigenschaften eines realen oder virtuellen Objektes, einer Dienstleistung oder Marke. Die heutige ökonomische und bedeutungsstiftende Aufwertung des Produktdesigns hat die vergleichsweise bescheidenen Dimensionen des traditionellen Handwerks längst verlassen. Für Life-Style, für die Ästhetisierung des Alltags, für das Design unserer Lebenswelt stehen längst große, gut ausgestattete Think- und Design-Tanks zur Verfügung, die als Trendscouts die Erwartungen, Stimmungen und Werte der KonsumentInnen antizipieren (vgl. Welsch 1993:7ff.).
Und auch Bildung wird dann zu Kultureller Bildung, wenn sie diese Gestaltung, diese ästhetische Formung der eigenen Umgebung (von der Schminke über die Kleidung und Einrichtung bis hin zur Landschaftsarchitektur) produktiv wie rezeptiv thematisiert.
Historische Dimension
Formale Bildungskonzepte und Schulfächer haben die Gegenstandsbereiche Architektur und Design sehr spät als bedeutende entdeckt. Bis zur „Visuellen Kommunikation“ innerhalb der Kunstpädagogik in den 1970er Jahren, die zumindest das Mediendesign in den Blick nahm, war ein pädagogischer und gesellschaftsbildender Anspruch, wenn überhaupt, in den Künsten selbst aufgehoben. Dabei waren offensichtlich vor allem jene künstlerischen Positionen besonders gut geeignet, die einen ganzheitlichen, kunstspartenübergreifenden und lebensorientierten Gestaltungswillen als Anliegen hatten. Dazu zählen etwa die Arts-and-Crafts-Bewegung, der Jugendstil, die Reformbewegung um 1900, der Werkbund, das Bauhaus, die Ulmer Hochschule für Gestaltung oder die Pop-Künste in den 1960ern. All diesen war die Trennung von Kunst und Leben zum Problem geworden, eine Trennung, an der die ProtagonistInnen als Zerrissene litten. Wobei sie Kunst als moderne, ernst zu nehmende Kunst mit Wahrheitsanspruch und Leben als zeitgenössisches Leben im kapitalistischen Kontext verstanden. Beim Versuch der Überwindung dieser Kluft entwickelten sie Ansätze, die der Kunst – zunächst meist noch als Kunsthandwerk verstanden – eine neue Aufgabe gab: die künstlerische Durchdringung und Gestaltung des alltäglichen zeitgenössischen Lebens. Ein solches Konzept musste dabei natürlich immer den „Abnehmer“ mitdenken. Kunst wurde so (auch) zur Bildung. Das Spektrum der Ansätze war dabei naturgemäß sehr breit: von individualistischen bis zu gesamtgesellschaftlichen Lösungen, von konservierenden bis zu zukunftsorientierten Konzepten, von der Geschmacksbildung für „Ungebildete“ bis zur Organisation von alltäglichen Arbeitsprozessen.
Ein wunderbares Beispiel ist die Kolonie „Monte Verità“ im Tessin, die Anziehungspunkt für LebensreformerInnen aller Art auf der Suche nach neuen Lebens- und Kunstkonzepten war: VegetarierInnen, AnarchistInnen, Textil- und AlkoholabstinenzlerInnen ebenso wie TänzerInnen, TheosophInnen, OkkultistInnen, SpiritistInnen, SexualreformerInnen, KünstlerInnen und LebenskünstlerInnen. Hermann Hesse oder Max Weber hielten sich ebenso dort auf wie Rudolf Steiner oder Erich Mühsam. Gestaltung war dabei immer auch Bildung des Menschen, Bildung seines Geistes wie seines Körpers, seiner Sexualität wie seiner Kunst, seiner Gebäude wie seiner Objekte.
Zwanzig Jahre später entdeckte das Bauhaus eine zuvor nicht gesehene soziale Verpflichtung von Gestaltung. Die ernüchternde Erfahrung des Ersten Weltkriegs hatte zu einer intensiven Reflexion der Rolle von Kunst, Bildung und Gestaltung in der sich nun immer stärker durchsetzenden Industriegesellschaft geführt. Im Zentrum des Bauhauses stand die Gestaltung einer modernen Alltagswelt, die ein menschenwürdiges Leben für alle zum Ziel hatte. Die GestalterInnen beschäftigten sich mit Arbeitsabläufen in der Küche oder in Fabriken ebenso wie mit neuesten Materialien im Design oder Fragen der Preisgestaltung. Dass die Menschen, die diese Räume und Objekte nutzen sollten, erst herangezogen, herangebildet werden mussten, stand auf einem anderen Blatt.
Dass Architektur und Design Gegenstände schulischer Bildung wurden, ist wesentlich der Relativierung und Ausweitung des Bildungskanons Ende der 1960er Jahre zu verdanken. In Folge der Popart wie der Studentenunruhen kritisierten junge KunstpädagogInnen den bestehenden Kunstunterricht als wirklichkeitsfremd und ideologisch. Sie forderten eine zeitgenössische Orientierung, d.h. die Beschäftigung mit Werbung, Comics sowie den Massenmedien. Unter der Bezeichnung „Visuelle Kommunikation“ wurde so die Bildende Kunst als Leitfigur entthront. Die SchülerInnen sollten nun vor allem die Alltagsästhetik als visuell gestaltete Kommunikation untersuchen und sie auch herstellen. Die heutige kunstpädagogische Orientierung an einem breiten „Bild“-Begriff, der selbstverständlich Architektur und Design umfasst (KMK 2005:4), fußt auf diesem Ansatz.
Aktuelle Situation – Stand der Praxis
Für Architektur und Designbildung gibt es viele „Anbieter“. Viele Schularten haben in den Lehrplänen der Bundesländer entsprechende Themenstellungen verankert, etwa im Kunst-, Geografie-, Sozialkunde-, Deutsch- oder Wirtschaftsunterricht. Bemühungen, ein eigenes Fach zu etablieren, waren und sind jedoch zum Scheitern verurteilt. Designzentren und Architektenkammern bieten – vor allem in Zusammenarbeit mit kommunalen oder LandesBildungsadministrationen – verstärkt Fortbildungen für Lehrkräfte an, da es für diese so gut wie keine Qualifizierung im Rahmen der Ausbildung gibt. Auf regionaler und örtlicher Ebene hat sich mittlerweile eine vielfältige Szene privater Initiativen von ArchitektInnen und VermittlerInnen gebildet, die entsprechende Angebote entwickeln. Als Standard setzender Akteur im Feld muss die Wüstenrot-Stiftung genannt werden, die nicht nur entsprechende, die Praxis unterstützende Publikationen anbietet, sondern auch mit einer Stiftungsprofessur für Architekturkommunikation am Karlsruher Institut für Technologie zukunftsorientierte, wegweisende Schritte unternimmt. All diese Bemühungen sind noch jung, Architektur und Design sind als wichtige, zentrale, ja zukunftssteuernde Themen immer noch zu wenig in den Köpfen angekommen, wie öffentliche Debatten und gestalterische Praxen zeigen. Ob sich diese Themen in der zunehmenden Diversifizierung von Bildungsinhalten als zwei unter vielen behaupten können, bzw. – etwa unter dem Schlagwort „Nachhaltige Entwicklung“ – den ihnen gebührenden Rang bekommen werden, werden die nächsten Jahre erweisen.
Stand der Konzeptentwicklung
Aktuelle Konzepte gehen davon aus, dass es nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern auch ein Grundrecht des Menschen ist, den individuellen und gemeinschaftlichen Lebensraum produktiv mitzugestalten, da seine eigenen sozialen Befindlichkeiten, aber auch seine individuellen Entwicklungsmöglichkeiten stark an diese „Objekte“ und „Räume“ gebunden sind, die ihn und sein Verhalten prägen.
Deshalb müssen Kinder, Jugendliche und Erwachsene nicht nur Kenntnisse über Design und Architektur besitzen, sie müssen, um an aktuelle Kompetenzdiskussionen anzuschließen, darüber hinaus Fähigkeiten und Fertigkeiten besitzen, ihre Wahrnehmung für Objekte und Raumkörper sowie deren Qualitäten immer wieder zu schärfen, urteilsfähig zu werden, um so – auf der Ebene von Haltung – einen respektvollen Umgang mit der gestalteten Umwelt zu entwickeln sowie gestalterisch Verantwortung zu übernehmen. Das heißt, dass es nicht nur um die „Vermittlung“ von Design und Architektur (verstanden als Rezeption von Architektur und als Zugewinn an Wissen), sondern immer auch um Gestaltung (Produktion) geht. Dabei endet der Gestaltungsprozess nicht in einer spielerischen Entwurfspraxis, nicht bei Skizzen und Modellen, sondern bei der konkreten Intervention in die Umwelt, wenn Ideen und Entwürfe in reale Design- und Bauprojekte einfließen und wenigstens zum Teil realisiert werden. Hier kann es auch um die temporäre Umsetzung von Konzepten, um „Umwidmungen“ bzw. intervenierende Nutzungen im öffentlichen Raum gehen (siehe Marion Thuswald „Urbanes Lernen – Kulturelle Bildung in städtischen öffentlichen Räumen“).
Authentizität in diesem Sinne bedeutet auch die Rückkopplung an konkrete Gestaltungs- und Bauaufgaben, die Notwendigkeit der Abstimmung und Konsensbildung, die Kooperation und Beratung durch professionelle ExpertInnen (z.B. Kommunikations- und IndustriedesignerInnen, ArchitektInnen, Stadt- und LandschaftsplanerInnen). Auf diese Weise wird Schule wie außerschulische Projektarbeit als geschützter „Raum“, in dem normalerweise rein modellhaft gearbeitet wird, aufgebrochen.
Ausblick: Künftige Aufgabenfelder und Herausforderungen
Die Komplexität wie die Relevanz der Gegenstände Architektur und Design machen deutlich, dass Kulturelle Bildung nur dann adäquat agieren kann, wenn sie sich zugleich als politische Bildung und als Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) versteht, sie hat also notwendigerweise inter-, ja transdisziplinären und immer auch politischen Charakter. Die dialektische Grundfigur ist dabei relativ einfach: Menschen bilden die Umwelt. Und: Umwelt bildet die Menschen. Versteht man Architektur und Design in diesem Sinne als Kommunikation, muss Kulturelle Bildung also auch immer sowohl rezeptive wie produktive Ansätze (in gegenseitiger Durchdringung) verfolgen.
Und die TeilnehmerInnen an Bildungsprozessen müssen Wissen generieren, Fertigkeiten und Fähigkeiten ausbilden und Werthaltungen entwickeln (kompetenzorientierter Ansatz), ein Leben lang und in allen Bildungskontexten, informellen, formalen wie nonformalen. Eine besondere Herausforderung spielt dabei eine grundsätzliche Rolle: Im Begriff der Design- oder Architekturvermittlung, der heute vorrangig gebraucht wird, kommt ein wichtiger Aspekt zu kurz, der in der unmittelbaren Bedeutung dieser Bereiche für den Menschen begründet ist. Vermittlung ist immer Vermittlung von etwas, wobei das „etwas“ zunächst meist als gegeben und statisch gesetzt erscheint. Dem widerspricht jedoch der produktivpraktische Ansatz Kultureller Bildung ebenso wie die gesellschaftliche Dimension des Gegenstands. Kulturelle Bildung in den Bereichen Architektur und Design ist immer auch Befähigung zur Teilhabe, durchaus in dem Sinne wie dieser Begriff von der OECD definiert wird. Und das dürfte auch die wichtigste Herausforderung für Theorie und Praxis sein. Noch gibt es zu wenig überzeugende Modelle, wie Partizipation gelingt (siehe Larissa von Schwanenflügel/Andreas Walther „Partizipation und Teilhabe“). Noch gibt es zu wenig Theorien über Voraussetzungen, Strukturen, Prozesse und Ergebnisse von Partizipation. Noch gibt es kaum ModeratorInnen, die diese Partizipationsprozesse steuern können.
In Anlehnung an die Empfehlungen zur Kooperation von Schulen und Museen (dmb 2012:64) könnte man dennoch – im Hinblick auf die Schule – formulieren, dass jeder Schüler, der die Schule verlässt, mindestens einmal in seiner Schulzeit an einem Vorhaben beteiligt gewesen sein muss, das solche Partizipation bei der Gestaltung von Architektur und Design erfahrbar macht.