Zivilgesellschaftliche Akteure in der Kulturellen Bildung
Einleitung und Begriffsbestimmung
Angebote Kultureller Bildung in Deutschland sind ganz unterschiedlicher Art, doch eines ist vielen gemeinsam: Ohne das Engagement und die Unterstützung der Zivilgesellschaft könnten die Projekte, Initiativen und Gruppen in dieser Vielfalt nicht existieren. Der Begriff „Zivilgesellschaft“ beschreibt das dritte große Aktionsfeld neben dem Staat und dem Markt, in dem sich jedes Individuum bewegt (siehe Norbert Sievers „Kulturelle Bildung zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft“). Deshalb wird dieser Bereich häufig als der „Dritte Sektor“ bezeichnet (Strachwitz 2009). Als Akteure der Zivilgesellschaft handeln sowohl die einzelnen Individuen, die sich engagieren, als auch Vereine, Verbände, Stiftungen, Unternehmen und Kirchen, die dieses Engagement generieren, unterstützen und auf politischer Ebene die Interessen ihres Bereichs vertreten.
Im ersten Teil dieses Beitrags soll die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements in der Kulturellen Bildung genauer ausgeführt werden. Im zweiten Teil wird auf institutionelle Akteure, deren Geschichte und Aufgaben eingegangen. Der letzte Teil spricht aktuelle Herausforderungen an.
Das Potential von zivilgesellschaftlichem Engagement in der Kulturellen Bildung
BürgerInnen, die Zeit, Ideen, Kreativität oder materielle Ressourcen oft über Jahre freiwillig investieren, sind die Basis zivilgesellschaftlichen Engagements. Viele Kultureinrichtungen und Institutionen, die Kulturelle Bildung anbieten, sind durch Engagement der BürgerInnen und ihre Selbstorganisation entstanden, erst später wurden sie von der öffentlichen Hand unterstützt oder übernommen (Wagner/Witt 2003:1).
Die „Reichweite der Zivilgesellschaft“ umfasst laut des dritten Hauptberichts des Freiwilligensurveys des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) alle Menschen, die in Vereinen, Organisationen, Gruppen oder öffentlichen Einrichtungen aktiv waren oder sind, d.h. alle diejenigen, die etwa Veranstaltungen besuchen oder einer Mannschaft angehören. Dies waren 2009 71 % der Gesamtbevölkerung. Davon unterscheidet der Bericht das „freiwillige Engagement“, das nur die BürgerInnen fasst, die bestimmte Aufgaben, Arbeiten oder Funktionen längerfristig übernommen haben. 2009 haben sich 36 % der Bevölkerung freiwillig engagiert (Gensicke/Geiss 2010:5). Im Kultur- und Musikbereich beträgt die Engagementquote 5,2 % der Gesamtbevölkerung. Damit bildet er einen großen Engagementbereich hinter Sport, Schule oder den Kirchen (Gensicke/Geiss 2010:7).
Engagement, gleich in welchem Bereich, hat indessen nicht nur infrastrukturbildenden Wert. Wer sich ehrenamtlich engagiert, übernimmt Verantwortung und trägt zur Gestaltung seines sozialen und gesellschaftlichen Umfelds bei. Er wird zum aktiven, partizipierenden Mitglied einer Gesellschaft. Der mündige Bürger ist das Ziel von politischer Bildung und grundlegende Basis für eine lebendige Demokratie. Mündigkeit meint, dass Menschen urteils- und handlungsfähige Subjekte sein sollen, „die politische Fragen und Probleme kompetent […] beurteilen und sich in öffentlichen Angelegenheiten […] engagieren“ (GPJE 2004:9). Denn Demokratie erschöpft sich nicht in der Beteiligung an Wahlen und am politischen Repräsentativsystem, auch wenn dies wichtig ist, sondern fordert eine umfassendere Teilhabe. Diese schließt ein, dass Mitgestaltungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten, mit denen BürgerInnen direkt die sie betreffenden Dinge beeinflussen können, erhalten und ausgebaut werden müssen. Dass BürgerInnen bereit sind, sich einzubringen und ihr Mitbestimmungsrecht einfordern, hat beispielsweise die Diskussion um „Stuttgart 21“ deutlich gezeigt.
Als aktiv werden aber nach den oben erwähnten Zahlen des dritten Freiwilligensurveys nur zwei Drittel der Gesellschaft bezeichnet. Wer und wo ist das Drittel, das die „Reichweite der Zivilgesellschaft“ nicht erfasst? „Der Bildungsstatus spielt […] inzwischen die größte Rolle für die Frage, ob eine Person sich freiwillig engagiert“, stellen Picot und Gensicke für den 2. Freiwilligensurvey fest (Gensicke/Picot/Geiss 2006:257). Gerade soziales und politisches Engagement ist bei politik- und bildungsfernen Menschen geringer als bei BürgerInnen aus der gut gebildeten Mittelschicht. Politische Bildung muss deshalb versuchen, gerade die benachteiligten Gruppen anzusprechen, um eine soziale Spaltung der Gesellschaft zu vermindern; dazu ist ein „Instrumentarium nötig, das der Heterogenität und Diversität der Gesellschaft angemessen ist“ (Geisler 2012).
Besonders die Kulturelle Bildung bietet hier Möglichkeiten, junge Menschen zu aktivieren, die ansonsten wenig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, da sie Zugänge bieten kann, die an die Lebenswelt der Jugendlichen anknüpfen. Dabei ist die Kulturelle Bildung nicht als bloße Methode zu sehen, um Menschen an gesellschaftliche Themen heranzuführen, vielmehr ist der inkludierende Aspekt ihr entscheidendes Charakteristikum: Kulturelle und ästhetische Bildung stellt, wie auch die Kunst, routinierte (Ein-)Ordnungen in Frage und regt dazu an, die Welt aus der Perspektive eines anderen zu betrachten – beispielsweise wenn ein Jugendlicher in einem Theaterspiel eine Rolle spielt, bei der die gespielte Person andere Werte und Einstellungen vertritt als er selbst. „Jugendkultureller Selbstausdruck, die motivierende und mobilisierende, scheinbar nutzfreie Funktion von Kunst, ihre kommunikativen Eigenschaften und ihre offenen Aussagen, ohne eindeutige Interpretationsmechanismen, erlauben Suchbewegungen und schaffen Proberäume“ (Geisler 2012). Diese Probe- (und Frei-)Räume sind wichtig und müssen in ihrer Vielfalt, die von Tanz und Theater über Graffiti bis zu Computerspielen und dem Web 2.0 reicht, anerkannt werden, da in ihnen eine Kreativität zum Ausdruck kommt, die Zeichen von Subjektivität und Handlungsfähigkeit ist. Diese Räume schafft Kulturelle Bildung, die in diesem Sinne zugleich auch politische Bildung ist.
Institutionelle Akteure der Zivilgesellschaft
Rahmenbedingungen, Strukturen und Unterstützung für dieses zivilgesellschaftliche Engagement schaffen, neben dem Staat und den Kommunen, Akteure des Dritten Sektors. Im Folgenden seien einige der wichtigsten im Feld der Kulturellen Bildung kurz skizziert.
Verbände und Vereine
In der Kulturpolitik vertritt der Kulturausschuss des Deutschen Städtetages die kulturellen Interessen aller kreisfreien und der meisten kreisangehörigen Städte und arbeitet Empfehlungen, Bestandsaufnahmen, Arbeitshilfen, Hinweise und Materialien für die KulturverwalterInnen vor Ort aus (Klein 2005:163). Der kommunale Raum ist in der Kulturellen Bildung von zentraler Bedeutung, da hier Veränderungen unmittelbar wirksam werden und sich Probleme direkt zeigen, wie eine zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft. Hier gilt es, anzusetzen und den Kommunen Instrumente an die Hand zu geben, mit denen sie Engagement und Partizipation im Bereich Kultureller Bildung fördern können, gleichzeitig sollten sie aber auch qualitätssichernd und vernetzend wirken. Beispiel eines solchen Instruments ist der Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung, der seit 2008 befristete Kooperationsprojekte sowie strukturbildende Projekte von stadtweiter Bedeutung und Projekte in den Bezirken fördert. Dabei steht den teilweise ehrenamtlich arbeitenden Projektträgern ein Team von ProjektmanagerInnen und WissenschaftlerInnen für organisatorische, technische, administrative, rechtliche oder finanzielle Fragen unterstützend zur Seite.
Ein weiterer wichtiger Verband, der Deutsche Kulturrat e.V., wurde 1981 als politisch unabhängige Arbeitsgemeinschaft kultur- und medienpolitischer Organisationen und Institutionen von bundesweiter Bedeutung gegründet. 1995 wurde die Arbeitsgemeinschaft in einen gemeinnützigen Verein umgewandelt. Der „Dachverband der Dachverbände“ vertritt die vielfältigen Interessen des gesamten Kultursektors auf Länder- und Bundesebene und bei der Europäischen Union. Mitglieder des Deutschen Kulturrates sind die Spitzenverbände der einzelnen Kultur-Sparten, wie beispielsweise der Deutsche Musikrat, der Rat für Darstellende Kunst oder der Rat für Soziokultur und kulturelle Bildung, die wiederum Verbände repräsentieren (für einen vollständigen Überblick vgl. Klein 2005:164f.). Wie schon auf Mitgliedsebene erkennbar, ist Kulturelle Bildung für den Deutschen Kulturrat ein zentrales Thema. Neben Stellungnahmen und Publikationen, wie etwa den Konzeptionen Kulturelle Bildung I-III, gibt er zu seiner regelmäßig erscheinenden Zeitung „politik und kultur“ die Beilage „kultur. kompetenz. bildung“ heraus, die sich mit Fragestellungen der Kulturellen Bildung beschäftigt.
Der zentrale Akteur im Feld der Kulturellen Bildung ist die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. (BKJ). Sie ist als „nationaler Zusammenschluss von bundeszentralen Fachorganisationen und landesweiten Dachverbänden für alle Künste und kulturpädagogischen Arbeitsfelder“ (BKJ 2011a:5) Mitgliedsorganisation des Deutschen Kulturrates. Die BKJ hat sich zum Ziel gesetzt, „Kulturarbeit als zivilgesellschaftlichen Akteur zu stärken“ (BKJ 2011a:45).
2011 feierte sie das zehnjährige Bestehen des „Freiwilligen Sozialen Jahres Kultur“, ein vom Bund gefördertes Angebot der BKJ und dem Verbund an einzelnen Trägern, bei dem junge Menschen ein Jahr lang freiwillig in Vollzeit in einer kulturellen Einrichtung mitarbeiten. Bis April 2011 hatte die BKJ drei Jahre lang den Wettbewerb „PlusPunkt KULTUR“ ausgeschrieben, mit dem Engagement und Projekte junger Menschen im Kulturbereich gefördert wurden.
Die erwähnten Verbände fungieren als Dachorganisationen für weitere Verbände, unter denen die eigentlichen Träger und Vereine stehen, die die Arbeit an der Basis organisieren und in denen zivilgesellschaftliches Engagement stattfindet.
Unternehmen und Stiftungen
Private Unternehmen engagieren sich immer häufiger im Kulturbereich, meist über Spenden, Sponsoring oder Stiftungsmittel. Im Gegensatz zum Spenden ist das Sponsoring mit einer Gegenleistung des Geförderten verbunden, etwa der Nennung des Sponsors. 32 % der unternehmerischen Kulturförderung findet in der Kulturellen Bildung statt, 2008 hat ein Unternehmen durchschnittlich ca. 200.000 Euro pro Jahr dafür ausgegeben. Besonders intensiv engagieren sich sehr große Unternehmen (Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft 2010:13ff.).
Neben dem kontinuierlichen Engagement der öffentlichen Stiftungen ist gerade bei den privaten Stiftungen das Interesse und das Engagement im Bereich der Kulturellen Bildung in den letzten Jahren massiv gestiegen – zu nennen sind hier z.B. die Robert-Bosch-Stiftung mit dem „Kulturmanager“-Programm, die Deutsche-Bank-Stiftung mit ihrer Unterstützung des „Kinder-zum-Olymp“-Wettbewerbs und die Stiftung Mercator, aktuell mit dem „Kultur-Agenten-Programm für kreative Schulen“. Das Engagement der großen Stiftungen bringt für die Kulturelle Bildung einen Aufschwung, trotzdem sollte man nicht vergessen, dass projektorientierte Förderung durch Stiftungen befristet und interessegeleitet ist und deshalb nötige Struktur-Bildung auf staatlicher Ebene nicht ersetzen kann (siehe Hans Fleisch „Förderung der Kulturellen Bildung durch Stiftungen“).
Kirchen
Seit Jahrhunderten sind die Kirchen wichtige Träger kultureller Angebote – sie gehörten zu wichtigen Auftraggebern für KünstlerInnen, auch wenn gerade diese sich häufig kritisch mit ihnen auseinander setzen. Im Bereich der Kulturellen Bildung ist zivilgesellschaftliches Engagement für die Kirchen entscheidend: Die vielfältigen Angebote im Bereich der Kirchenmusik oder der Bibliotheksarbeit werden fast ausschließlich durch ehrenamtliches Engagement getragen. Darüber hinaus schaffen die Kirchen vor allem im Bereich der kulturellen Jugendarbeit Angebote; Spiel- und Theaterarbeit gehören genauso dazu wie Chöre, musikalische Früherziehung oder Fahrten zu Ausstellungen oder Museen. Die katholischen und evangelischen Akademien begleiten Kunst und Kultur diskursiv und bringen sich in die Kulturpolitik ein (Fuchs/Schulz/Zimmermann 2005:91f.).
Aktuelle Herausforderungen
Unsere Gesellschaft ist nicht nur von sozialer Spaltung bedroht, sondern auch von Schrumpfung und Überalterung (siehe Karl Ermert „Demografischer Wandel und Kulturelle Bildung in Deutschland”). Etwa die Hälfte aller 413 deutschen Kreise verliert Bevölkerung. Von wirtschaftlichem Wachstum und neuen Arbeitsplätzen profitieren vor allem urbane Räume, weshalb die ohnehin kleiner werdende junge Generation dorthin abwandert. Infolgedessen fehlt es in ländlichen Regionen nicht nur an Steuer- und GebührenzahlerInnen, NutzerInnen der kommunalen Infrastruktur und KundInnen für lokale Dienstleister, sondern auch an Nachwuchs für Vereine und Menschen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren (Berlin-Institut 2011:102). Eine weitere Herausforderung ist die Zusammensetzung der Bevölkerung: Ein Fünftel (bei den unter 10-Jährigen jeder Dritte) hat einen Migrationshintergrund, ist also aus dem Ausland zugewandert oder hat mindestens einen zugewanderten Elternteil. Viele MigrantInnen sind zwar gut integriert, doch in bestimmten Stadtvierteln bilden sich Parallelgesellschaften; der jungen Generation fehlen Bildung und berufliche Perspektiven (Berlin-Institut 2011:6) Daneben gibt es weitere gesellschaftliche Bruchlinien wie die Spaltung in Jung und Alt, Stadt- und Landbevölkerung, bildungsaffin und bildungsfern. Gerade an diesen Stellen kann Kulturelle Bildung, wie im ersten Teil ausgeführt, integrierend und aktivierend wirken – auch wenn sie natürlich kein Allheilmittel ist.
Doch wie kann die eingangs erwähnte vielfältige kulturelle Infrastruktur erhalten werden, wenn der Kulturetat gekürzt wird und gerade die Kommunen, in denen der Handlungsbedarf am größten ist, erhebliche Probleme haben, ihre Aufgaben mit geringer finanzieller Ausstattung zu erfüllen?
Angesichts dieser Lage haben politische Debatten um eine Ausweitung und Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements seit einigen Jahren Konjunktur. Der engagierte Bürger, aber auch die Wirtschaft soll einspringen, wo klamme Kassen Bund, Land und Kommunen zu Kürzungen zwingen. De facto haben die Gründung von Landes- und Bundesnetzwerken für Engagierte, die Ehrenamtsbörsen, Konferenzen, Freiwilligentage und Seminare zur Schulung von Freiwilligen noch nicht dazu geführt, dass das ehrenamtliche Engagement gestiegen ist. Gleichwohl ist der Teil der Bevölkerung angestiegen, der sich zwar noch nicht engagiert, sich aber in Zukunft engagieren will (Gensicke/Geiss 2010:5ff.). Hier ist die Politik gefragt, gerade für die Gruppe der älteren, motivierten Menschen, die zahlenmäßig noch ansteigt, oft gut gebildet und gesundheitlich fit ist, Strukturen zu schaffen, in denen sich Engagement entwickeln kann. Die Europäische Union hat hier bereits ein Zeichen gesetzt und 2012 zum „Jahr des aktiven Alterns” ausgerufen. Denn so wünschenswert eine engagierte, partizipierende Zivilgesellschaft ist; sie enthebt den Staat nicht der Verantwortung, strukturbildend zu wirken und Rahmenbedingungen für Kulturelle Bildung zu schaffen, ohne durch zu strikte Steuerungsvorgaben Kreativität und Motivation zu bremsen. Und auch die politische Bildung ist in der Pflicht, (jugend-)kulturelle Ansätze in ihre Arbeit zu integrieren, um Bildungs- und Engagementchancen für breite Gesellschaftsschichten offen zu halten.