Vom Wissen des Körpers und seinen Bildungspotenzialen im Sport und im Tanz
Abstract
Der Tanz hat Einzug in die Schule erhalten, nimmt als pädagogisches Handlungsfeld dort jedoch bis heute nur eine marginale Position ein. Dies - so meine These - weil der Tanz bzw. die Tanzpädagogik von einem Körperwissen ausgeht, das sich weder sportwissenschaftlich noch sportpädagogisch-praktisch ‚disziplinieren‘ lässt. Die Ambivalenz des Körperwissens zeigt sich hier besonders: Das im Körper liegende Wissen kann durch Bewegungen hervorgeholt werden und neue, un- oder außergewöhnliche Erfahrungen eröffnen; es kann gleichermaßen als einverleibtes Gewohnheitswissen solche Erfahrungen auch be- und verhindern. Hier zeigt sich sein bewahrendes wie erneuerndes Potenzial.
Diesen Zusammenhang und damit verbundene Bildungspotenziale bzw. -grenzen möchte ich im Folgenden herausarbeiten, indem ich erstens aus körpersoziologischer Sicht den Körper als Speicher und Träger von Wissen darlege (Meuser 2004) und herausarbeite, wie dieses Wissen als eine Art stumme oder „stille Pädagogik“ (Bourdieu 1997:128) quasi im Hintergrund wirkt, zweitens auf den aktiven Beitrag des Körpers an der Hervorbringung von Wissen eingehe und damit den Körper nicht nur als Speicher und Träger von Wissen, sondern auch als Agens auslege, ihn darüber hinaus drittens als Reflexions- und Erkenntnisorgan kennzeichne, an dem sich Lernen vollzieht und schließlich viertens an Beispielen aus dem Sport und dem Tanz diese Reflexivität anschaulich mache und Bildungspotenziale aufzeige.
„Die Abspaltung des Denkens und Fühlens von den Bewegungen des Körpers muss in einem zwangvollen Lernprozess geübt werden und kann nicht vollständig gelingen, weil unser Denken an unsere Körper gebunden ist. Tänzer haben das schon immer gewusst. Nun folgt ihnen die Wissenschaft in dieser Erkenntnis“ (Völckers 2007:11).
Dass sich im Tanz ein Wissen des Körpers zeigt, davon gehen Tänzer und Tänzerinnen und solche, die sich mit Tanz beschäftigen, offensichtlich immer schon aus. 2006 trafen sich unter dem programmatischen Kongressthema „Wissen in Bewegung“ in Berlin Tanzpraktiker*innen, Künstler*innen, Choreograf*innen, Kultur-, Theater-, Sozial- oder Erziehungswissenschaftler*innen, um sich in neuen Formaten wie Lecture-Performances und Demonstrations, Laboratorien oder Salons über Tanz als Wissensform auszutauschen (Gehm/Husemann/von Wilcke 2007). Dieses Wissen verweist auf ein anderes Wissen, das neben dem an Sprache gebundenen Wissen existiert und eine andere Aneignung von Wissen und Erkenntnis, eine „andere Vernunft“ (Franke 2003:29) zu versprechen scheint. Im Tanz - so Brandstetter (2007) – könne dieses Wissen sichtbar werden.
Es zeigt sich auch im Sport. Der Körper weiß genau wann er wie den Tennisball nehmen muss, um einen besonderen Effet zu erwirken; er weiß, was er tun muss, um im Lauf die Hürde zu überwinden. Würde der Sportler darüber nachdenken, ob er den Schläger mehr öffnen oder besser schließen soll, oder wann er das sog. Nachziehbein anheben soll, hätte er schon „verspielt“ (Gebauer/Wulf 1998: 64). Von einem expliziten Wissen des Körpers wird im Sport allerdings selten gesprochen. Eher von Fertigkeiten und Automatismen, die durch Üben und Trainieren erworben werden, um sie wie im Schlaf vollziehen zu können (Näheres dazu in Klinge 2016).
In pädagogischen Kontexten, in denen im und durch Sport oder Tanz die Aneignung von Wissen vornehmlich praktisch, nicht-sprachlich erfolgt, geht es um mehr als den durch Wiederholung angeeigneten Bewegungsvollzug. Hier geht es auch um personale, soziale und materiale Erfahrungen, die mit dem Bewegungsvollzug, der körperlichen Auseinandersetzung mit sich und der Welt verbunden sind. Solche Erfahrungen schlagen sich als ein Wissen nieder, das das Wahrnehmen, Denken und Handeln des Menschen beeinflusst und auch nachhaltig prägen kann. Sportpädagogische Überlegungen, die den Körper und die Bewegung – und weniger den Sport als kulturelle Objektivation und historische Realisierungsform möglicher Bewegungen (Prohl 1999:183) – als Medium von Erfahrungen in den Mittelpunkt stellen, setzen hier an (z. B. die bildungs- und bewegungstheoretisch fundierten Ansätze von Beckers 2007, Bietz/ Laging/Roscher 2005, Franke 2005, Prohl 1999). Die Tanzpädagogik, die keine eigenständige wissenschaftliche Disziplin ist, sondern sich eher als pädagogisches Handlungsfeld etabliert hat und wissenschaftssystematisch zwischen allgemeiner Pädagogik, Kunst- und Theaterpädagogik, Sport- und Bewegungspädagogik zu verorten ist, nimmt für sich den Begriff der ästhetischen Erfahrung in Anspruch. Dabei orientiert sie sich an der Leitidee der Ästhetischen Erziehung sowie Kunst- und Bildungstheorien (Fritsch 1989). Mit der Einbindung von Tanz in die Curricula des Schulsports im Laufe der 1970er Jahre hat der Tanz als pädagogisches Handlungsfeld Einzug in die Schule erhalten, nimmt dort jedoch bis heute nur eine marginale Position ein. Dies - so meine These - weil der Tanz bzw. die Tanzpädagogik von einem Körperwissen ausgeht, das sich weder sportwissenschaftlich noch sportpädagogisch-praktisch ‚disziplinieren‘ lässt. Die Ambivalenz des Körperwissens zeigt sich hier besonders: das im Körper liegendes Wissen kann durch Bewegungen hervorgeholt werden und neue, un- oder außergewöhnliche Erfahrungen eröffnen; es kann gleichermaßen als einverleibtes Gewohnheitswissen solche Erfahrungen auch be- und verhindern. Hier zeigt sich sein bewahrendes wie erneuerndes Potenzial.
Diesen Zusammenhang und damit verbundene Bildungspotenziale bzw. -grenzen möchte ich im Folgenden herausarbeiten, indem ich erstens aus körpersoziologischer Sicht den Körper als Speicher und Träger von Wissen darlege (Meuser 2004) und herausarbeite, wie dieses Wissen als eine Art stumme oder „stille Pädagogik“ (Bourdieu 1997:128) quasi im Hintergrund wirkt, zweitens auf den aktiven Beitrag des Körpers an der Hervorbringung von Wissen eingehe und damit den Körper nicht nur als Speicher und Träger von Wissen, sondern auch als Agens auslege, ihn darüber hinaus drittens als Reflexions- und Erkenntnisorgan kennzeichne, an dem sich Lernen vollzieht und schließlich viertens an Beispielen aus dem Sport und dem Tanz diese Reflexivität anschaulich mache und Bildungspotenziale aufzeige.
Der Körper als Speicher und Träger von Wissen
Wo vom Wissen des Körpers oder Körperwissen die Rede ist, da wird auch vom Erfahrungswissen oder praktischen Wissen, vom impliziten oder einverleibten Wissen gesprochen. Betont wird eine andere Wissensform, die nicht von Rationalität und Sprache dominiert wird, sondern von den Erfahrungen, die sich in den Lebenswelten der Akteur*innen, in ihren Praxen versammelt haben und als sedimentierte Erfahrungen im Körper niederschlagen. Solches Erfahrungs- oder praktisches Wissen (Bourdieu 1997) äußert sich in Routinehandlungen des Alltags wie des Sports, in denen nicht sichtbare Regeln wie selbstverständlich befolgt werden. In ihnen zeigen sich die legitimen Umgangsweisen mit dem Körper, nämlich sich so zu verhalten, wie es den gesellschaftlichen Erwartungen und kulturellen Vorstellungen entspricht. ([1] Bourdieu führt 1994 den Begriff des „legitimen Körpers“ ein und bezeichnet damit den dominanten Geschmack einer Gesellschaft, Kultur oder sozialen Klasse, der als Maßstab für den jeweils richtigen, angemessenen Umgang mit dem Körper gilt. Die Vorstellungen von einem „durch kostspielige Ausrüstungen und strenge Disziplin kultivierten Körper, einen schlanken, muskulösen, zu jeder Jahreszeit sonnengebräunten und von den Stigmata des Alterns befreiten Körper“ (Bröskamp 1994:150) können dabei als derzeit legitime Körper betrachtet werden.)
Durch Beobachtung, mimetisches Angleichen an die Bewegungs- und Handlungsvollzüge anderer lagern sich die Strukturen des Sozialen im Körperlichen ab und bilden die Schemata des Wahrnehmens, Denkens und Handelns aus – Bourdieu spricht von der „Inkorporierung sozialer Strukturen“ (Bourdieu 1997:126) und der Funktion des Körpers als „Gedächtnisstütze“ (1997:126). Das Wissen des Körpers ist in dieser kultursoziologischen Perspektive als ein habituelles, inkorporiertes Erfahrungswissen zu verstehen, das handlungsbezogene, sinnliche Erfahrungen umfasst, die man hat und die man macht (vgl. auch Meuser 2004; Hirschauer 2008).
Bourdieu hat seine Habitustheorie u.a. mit Beobachtungen aus dem Sport angereichert und anschaulich gemacht (Bourdieu 1994, 1997, 2001). Der Sport erweist sich demnach als ein Feld, in dem die Einübung des Körpers in die kulturellen Muster und sozialen Gebrauchsweisen des Körpers besonders gut gelingen kann. Hier werden nicht nur die sportspezifischen Bewegungsfertigkeiten und -fähigkeiten gelernt, sondern mit ihnen die sozialen Muster und Normen, die diesen Techniken zugrunde liegen. Die spezifische Ausstattung der Sporträume, Hallen und Plätze samt ihrer Anordnung von Geräten unterstützt diesen impliziten Charakter des Einübens in den ‚richtigen‘ Umgang mit dem Körper und der Bewegung. Lernen im Sport erfolgt vornehmlich innerhalb solcher festgelegten, vorstrukturierten und vorstrukturierenden Räume. Während die Einverleibung dieser Spielregeln die Teilnahme am Sport, an der Gemeinschaft und an der sozialen Welt erst ermöglicht, werden gleichzeitig mit ihr andere Möglichkeiten des Umgangs mit dem Körper, andere Perspektiven ausgegrenzt.
Der Körper hat damit eine vor-strukturierende Funktion, die das Lernen steuert und zwar in einer „stummen, von Körper zu Körper erfolgenden Kommunikation“ (Gebauer/Wulf 1998:51). Denken Sie einmal an die Laufbahn in einem Stadion oder einer Sporthalle und die Bewegungen, v.a. Bewegungsrichtungen, die hier typisch sind. Die Menschen laufen links herum, nicht kreuz quer und v.a. nicht rechts herum. Dieser leichtathletische Linkskreis ist auch typisch für den Beginn von Sport-, Trainings- oder Spielstunden: Ohne dass dazu aufgefordert wird, ist die Laufrichtung klar - das macht man eben so.
Diese heimliche Macht der Praxis zeigt sich in einer gewissen Hartnäckigkeit und Beharrungstendenz von Gewohnheiten. Lernen im Sinne einer Um- oder Neudeutung bislang gültiger Wahrnehmungs- und Orientierungsmuster (Meyer-Drawe 1982) wird hier nicht angestiftet, sondern eher verhindert. In diesen Räumen des Sports bildet sich ein fachspezifischer Habitus heraus, der vor allem von den Erfahrungen der Praxis des Sports geprägt ist. Als heimliches Körperwissen manifestiert es sich hinter den Potenzialen, die die Begegnung mit Körper und Bewegung für die Auseinandersetzung des Subjekts mit sich und der Welt bieten. Es erzeugt eine gewisse Resistenz gegenüber Reflexionen und Veränderungen mitgebrachter Einstellungen. Diese Diskrepanz ist auch zwischen sportpädagogischer Theorie und sportpädagogischen Praxis festzustellen – eine besondere Spezifik des Faches. Die Praxis des Sports, die einverleibten sportiven Muster und Wissensformen unterlaufen damit die besonderen Erfahrungen, die dem Sport von Sportpädagogen immer wieder zugeschrieben werden - wie z.B. seine prinzipielle Offenheit, die Erfahrbarkeit von Authentizität, die vielfältigen Interaktionen sowie ästhetischer Ausdrucksmöglichkeiten (Neuber 2011:145).
Schaut man sich einmal eine andere Anordnung sportpraktischen Tuns an, dann erhält man eine Ahnung davon, wie vertraute Muster nicht mehr so ohne weiteres funktionieren und andere Bewegungsmöglichkeiten und Perspektiven eröffnen.
Der Körper als Agens und Produzent von Wissen
Das Potenzial des Körpers als Agens und Produzent von neuem Wissen zeigt sich hier. Es lässt den Schluss zu, dass der Kreislauf heimlicher, unterirdischer Wirkungen praktischen Wissens durchbrochen und die Potenziale des Körpers konstruktiv genutzt werden können. Der späte Bourdieu (2001) hat diese Umkehrungsmöglichkeiten v.a. im Sport, in der Musik und im Tanz gesehen:
„Im Gegensatz zu den scholastischen Welten verlangen bestimmte Universen wie die des Sports, der Musik oder des Tanzes ein praktisches Mitwirken des Körpers und somit die Mobilisierung einer körperlichen »Intelligenz«, die eine Veränderung, ja Umkehrung der gültigen Hierarchien herbeiführen kann.“ (Bourdieu 2001:185)
Hier kommt der Körper als sinnlicher Leib, handelndes Medium und Werkzeug in Kommunikations- und Interaktionsbeziehungen ins Spiel. Er ist nicht mehr nur passives Objekt und Träger sozialer Strukturen, sondern selbst aktiv beteiligt an der Hervorbringung und Gestaltung von neuen Ordnungen. Sozial- und kulturwissenschaftliche Ansätze verschmelzen hier mit phänomenologischen Denktraditionen und verweisen auf die leibliche Dimension und Fundierung von Lernen.
Der Körper als Reflexions- und Erkenntnisorgan
Die Chancen einer Mobilisierung des Körperwissens sind im Feld des Sports und des Tanzes gegeben. Einverleibtes, stummes Wissen wird mit Hilfe der Sinne aufgestöbert, in Bewegung gesetzt, mit den Möglichkeiten des Körpers aktualisiert. Er ist dabei nicht nur Gegenstand reflexiver Auseinandersetzungen, sondern wird selber zum Reflexionsorgan. Franke (2005) spricht von reflexiver Körpererfahrung und verweist auf den „Erkenntnischarakter des Sinnlichen“ (2005:192). Am Körper, im praktischen Tun wird sinnlich nachvollziehbar, wie charakteristische Körperroutinen verlaufen, sie sich entwickelt haben und welche Sicherheiten, aber auch Einschränkungen sie mit sich bringen. Mit den Mitteln des Körpers ist eine Art kinästhetische Empathie verbunden, ein empathisches Verstehen, noch bevor Sprache das Verstandene artikulieren kann.
Um das implizite Wissen für Lern- und Bildungsprozesse zugänglich machen zu können, sind Irritationen des Habitus, der Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten notwendig. Erst in der Distanzierung, der Erfahrung von Differenz wird Reflexion möglich, werden Bildungs- und Erkenntnisprozesse in Gang gesetzt (Schürmann 2008:54f.). Anlässe oder Anstöße reflexiver Körpererfahrungen setzen damit an Praktiken des Körpers an, indem der Prozess der Erzeugung und Hervorbringung des Körperwissens aufgegriffen und als Zugang konstruktiv genutzt wird.
Praktiken, die sich von der Wahrnehmung leiten lassen, Differenzen oder Widerstände erspüren und nicht überwinden wollen, eröffnen solche Zugänge und initiieren ästhetische Prozesse. Der Pädagoge Gottfried Bräuer formuliert sie als „generative Prinzipien“ (1989:52), die im Bereich der Kunst, im Schauspiel, Tanz, in Prosa, Poesie, Film oder Architektur wie auch im kindlichen Spiel besonders am Werk sind. Konkret nennt er sechs Prinzipien: das Ausgrenzen und Ordnen, Rhythmisieren, Kontrastieren und Polarisieren, Sich-Ausdrücken, Verändern und Verfremden sowie das Finden (1988:52 ff.). Die Tanz- und Sportpädagogin Ursula Fritsch nimmt den Gedankengang für die tanzdidaktische Theoriebildung auf und spricht von „Übungen für den Erwerb ästhetischen Artikulierens“ (1989:11).
Reflexionsformen des Körpers
Solche Übungen oder Modi der Hervorbringung ästhetischer Erfahrungen bezeichne ich als Reflexionsformen des Körpers: sie liefern verschiedene, nicht immer trennscharfe Anlässe und Zugänge zum Lernen und Verstehen mit dem Körper. Dazu greife ich hier in Anlehnung an die Bräuers Prinzipien (1988) die Wiederholung, die Nachahmung, das Spielen und die Verfremdung auf.
Wiederholen
Wiederholen ist ein Noch-einmal-Tun, das nicht zur selben Zeit stattfindet. Einverleibtes Wissen kann aufgestöbert, durch bestimmte Körperhaltungen aus den Spuren des Gewohnten hervorgeholt werden, wie ein Geruch, der an eine vergangene Situation erinnert. Es wird das „in die Gegenwart zurück(geholt), was schon einmal da war und nie vollständig verschwunden ist, weil es in den Körpern der Subjekte vorhanden bleibt“ (Gebauer 2002:135). Moshé Feldenkrais (1996), Physiker und Judolehrer, hat mit dem Prinzip der Wiederholung gearbeitet, indem er in seinen Übungen und der nach ihm benannten Methode die Aufmerksamkeit auf den Bewegungsvollzug – in langsamer, zeitlupenartiger Ausführung – richtet, wodurch z.B. unnötige Kraftanstrengungen in den eigenen Bewegungsmustern spürbar werden. Die Wiederholung macht Bewegungen für Empfindungen durchlässig, „die Aufmerksamkeit für das, was sich in, an oder mit den verschiedenen Sinnen ereignet“ (Mollenhauer 1988:41) wird gesteigert. Im Wiederholen können „Kenntnis und Wissen über die Beschaffenheit und Ordnung der Dinge“ (Ehni, 1985:17) verknüpft werden oder in dem Beispiel von Feldenkrais muskuläre und knöcherne Verbindungen wahrgenommen und erkannt werden.
Nachahmen
Sich-ähnlich-Machen, Anpassen, Nachahmen oder Nachmachen verweist auf das grundsätzlich mimetische Vermögen des Menschen, über Nachahmung zu lernen und sich zu entwickeln (Gebauer/Wulf 1998). Im Prozess des Nachahmens wird das Fremde zum Eigenen, der Unterschied zwischen dem Vertrauten und dem Anderen, Fremden bewusst. Das vermeintlich Unbekannte wird bekannt gemacht, mit der Folge, dass „ich das Vorbild anders ‚lese‘ als vorher“, schreibt der Sportpädagoge Funke-Wieneke (2008:120).
Mollenhauer (1988) hat drei Stufen bzw. Dimensionen der mimetischen Bezugnahme herausgearbeitet, die sich nach dem Grad der Veränderung der Vorlage unterscheiden, und sie als „Selbstbildungsbemühungen“ (1988:70) bezeichnet. Das imitierendes Nachgestalten, das Umgestalten und das neu Gestalten. Damit hebt er die reflexive und konstruktive Mitarbeit des Akteurs im Prozess der Nachahmung hervor. Die mimetische Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten der aktuellen wie historischen Kontexte ist von daher auch immer eine reflexive. Ein Beispiel dafür ist die Vermessung von Räumen und typischen Geräte-Anordnungen des Sports mit den Mitteln des Körpers: mit Hilfe der Arme, Beine oder des gesamten Körpers die Länge einer Wand- oder Torseite oder die Umrisse und Freiflächen eines Sportgeräts vermessen. Räume und Artefakte werden in der mimetischen Nach- oder auch Umgestaltung im Körper präsent und verweisen auf ihre impliziten, stummen Aufforderungen und impliziten Bildungswirkungen.
Spielen
Als vom „‘Ernst des Lebens‘ entlasteter Raum“ (Alkemeyer 2012:118) bietet das Spielen im Sport und im Tanz ein besonders geeignetes Feld für ästhetische Erfahrungen. In der Sphäre von Zweckfreiheit können sinnliche Erlebnisse und Erfahrungen erprobt und vertieft werden. Das Spielen bildet die Basis dafür, andere Wirklichkeiten, „neue Assoziations- und Beziehungsordnungen“ (Sutton-Smith 1987:89) zu erfahren, Veränderungen wahrzunehmen und das Kunstförmige von der sozialen Wirklichkeit zu unterscheiden. Sanktionen sind nicht zu befürchten, Um- und Irrwege erlaubt, Verunsicherungen und Grenzerfahrungen möglich wie Zufälliges und vermeintlich Fehlerhaftes ausdrücklich erwünscht sind.
Der zeitgenössische Tanz ist in diesem Sinne Spielen. In der bewussten Brechung mit vorhandenen Formen und Traditionen sucht er nach neuen, ungewohnten Bewegungswegen und -qualitäten (Odenthal 2005; Clavadetscher/Rosiny 2007; Diehl/Lampert 2011). Er bietet damit vielfältige Gelegenheiten für die Entgrenzung bestehender Ordnungen, die Erprobung neuer Möglichkeitsräume und die Entdeckung bislang unbekannter Themen. In der Improvisation, dem Spiel mit der Bewegung, dem Körper im Raum, in der Zeit werden diese Möglichkeiten ästhetisch erforscht und erprobt.
Die spielerische Auseinandersetzung mit der Bewegung im Tanz, die grundsätzlich auch im Sport möglich ist, liefert das „Experimentier- und Lernfeld des Handelns unter Unsicherheit“ (Alkemeyer 2012:118), in dem die Widerständigkeit, die in den Dingen liegt, wahrgenommen werden kann. Neue Qualitäten des Miteinanders oder Gegeneinanders, des Artistischen oder Artifiziellen, des Kraftvollen oder Kämpferischen treten neben etablierte Formen von Bewegung – ob im klassischen Ballett, Gesellschaftstanz oder im Sport.
Verfremden
Schließlich ist die Verfremdung ein weiteres Prinzip zur Erzeugung von Aufmerksamkeit. Mit dem Verfremdungs-Effekt sollen Irritationen provoziert, Widerstände aufgeladen und Neugierde am Unbekannten ausgelöst werden. Statt des schnellen Einordnens und Erledigens, des leichten Wiedererkennens und konventionellen Blicks – so der Schulpädagoge Horst Rumpf (1987) – ist das Verfremden des Vertrauten ein Verfahren der erschwerten Form – ein Begriff, den Rumpf von dem russischen Formalisten Viktor Sklovskij übernommen hat. Es ist ein Verfahren, das die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert. Die Wahrnehmung soll erschwert werden, um Wahrnehmungsgewohnheiten zu ‚entautomatisieren‘: schnelle Bewegungen in Zeitlupe, Alltagsbewegungen in Zeitraffer oder Bewegungen aus gewohnter Umgebung an ungewöhnlichen Orten ausführen. Ziel ist es, zu provozieren, Erfahrungen „gegen den Sog der Erledigung, Beherrschung, Zurücklegung“ (Rumpf 1987:152) wieder zu ermöglichen. Das Bewegungstheater, Darstellende Spiel, der Tanz bieten solche Verfahren der Entroutinisierung. Bekanntes, Selbstverständliches wird somit als etwas Gemachtes bewusst.
Bildungspotenziale von Sport und Tanz
Während sich zum einen am Körper die Muster des Sozialen in Form von Gewohnheiten, Routinehandlungen und Selbstverständlichkeiten niederschlagen und eine gewisse Hartnäckigkeit gegenüber Veränderungen aufweisen und damit möglichen Bildungsprozessen entgegenstehen, können zum anderen solche Selbstverständlichkeiten am Leitfaden des Körpers auch wieder irritiert und verflüssigt werden und zu neuen, ungewöhnlichen Erfahrungen führen. Dass sich der Sport im Vergleich zum Tanz solchen Experimenten eher entgegenstellt, kann als Beleg der Bourdieuschen These der Inkorporierung des Sozialen ausgelegt werden. In seiner zeitgenössischen Ausprägung setzt der Tanz ganz bewusst an diesem inkorporierten Wissen an, indem er nach den individuellen körperlichen Voraussetzungen und Gegebenheiten sucht, sinnliche Hierarchien und gängige Körperkonzepte in Frage stellt und damit Ressourcen freisetzt. Diese Potenziale des Umlernens, der Re-Organisation und Neu-Befähigung des Wahrnehmens, Empfindens, Denkens, Erkennens und Beurteilens sind grundsätzlich auch im Sport angelegt, aber - so sollte deutlich geworden sein - schwerer zu erreichen.