Verständnis und Kategorisierung Kultureller Bildung. Eine quantitative Erhebung in der Europäischen Metropolregion Nürnberg
Abstract
Hintergrund: Bis dato befassen sich die meisten Forschungsvorhaben im Bereich der KB mit Wirkungsforschung, wobei Nachweise von Wirkungen durch KB aufgrund von komplexen und auch multikausalen Wirkzusammenhängen nicht vorbehaltlos zu erbringen sind. Forschung im Bereich der Kulturellen Bildung (KB), die dazu beiträgt, den Begriff KB, die zugrundeliegende Theorie, den Praxisbereich und auch die Angebote von KB zu verstehen und einzuordnen, ist hingegen eher rar. Die Potenziale der KB unterstreichen jedoch den Bedarf der Weiterentwicklung und theoretisch-methodischen Fundierung der KB. Es wird also Forschung gebraucht, die einen Beitrag zur evidenzbasierten Qualitätsverbesserung und -sicherung leistet. Mit der vorliegenden Erhebung bei wichtigen Akteur:innen der KB soll das Verständnis von KB in der Europäischen Metropolregion Nürnberg (EMN) abgebildet werden.
Methodik: Es wurde eine quantitative Querschnittsstudie in Form einer Online-Befragung durchgeführt, und es bestand die Möglichkeit der Beantwortung der Fragen via paper+pencil. Es wurden vorrangig quantitative Daten erhoben, in geringem Ausmaß auch qualitative Daten in Form von Antwortmöglichkeiten unter Sonstiges und Freitextfragen. Eine Orientierung bezüglich zentraler inhaltlicher Aussagen und daraus entwickelter Kategorien gab eine qualitative Vorstudie (siehe: Hamani et al. 2023).
Ergebnisse: Die Stichprobe bestand aus 73 Akteur:innen im Bereich der KB in der EMN. Die Ergebnisse wurden deskriptivstatistisch ausgewertet. Die qualitativen Antworten in den Feldern Sonstiges und zu den Freitextfragen wurden in induktiv gebildete Kategorien eingeordnet. Auch wurden explorative Analysen durchgeführt.
Diskussion und Fazit: Die vielschichtigen Erkenntnisse aus der Befragung unterstreichen die Komplexität von KB und verdichten sich bezüglich mancher Handlungs- und Inhaltsdimensionen. Hierfür hat die Studie Kategorisierungsmöglichkeiten entwickelt und durch handelnde Akteur:innen gewichten lassen.
Einleitung
Während in den 1950er und 1960er Jahren noch von musischer Erziehung gesprochen wurde, wurde in den 1970er und 1980er Jahren in Westdeutschland gegen dieses Kulturverständnis rebelliert und der Leitspruch Kultur für alle und von allen geprägt. Der Begriff KB kam auf und auch das aktuelle Verständnis von KB hat seinen historischen Ursprung aus diesem Jahrzehnt. Zum ersten Mal stand die Teilhabe an der Kultur im Zentrum und die KB wurde politisch. In dieser Zeit entstanden viele soziokulturelle Zentren, denn die Entdeckung der eigenen Phantasie und Gestaltungskraft sollte durch eine Demokratisierung von Kultur erreicht werden
In den 1980er und 1990er Jahren begann dann eine Professionalisierung, Institutionen und Studiengänge entstanden. Mit Beginn des neuen Jahrtausends wurde der KB mit neuem, auch verstärktem politischem Interesse begegnet. Die hinter den Erwartungen zurückgebliebenen Ergebnisse der PISA-Studie regten eine kritische Überprüfung der Bildung und eine stärkere Fokussierung auf Fragen der Teilhabe und der Gerechtigkeit an
Seitdem haben sich Gegenstand und Bedeutung der KB weiterentwickelt, die KB ist wieder stärker in das politische und gesellschaftliche Bewusstsein gerückt
Die diesem Ergebnisbericht zugrunde liegende wissenschaftliche Erhebung fokussiert das Verständnis von KB – speziell in der EMN – und will damit vor allem zum Verständnis des Begriffsfeldes Kulturelle Bildung beitragen. Im Rahmen dieser Publikation wird der Begriff Verständnis, wie folgt definiert: Verständnis wird als Verstehen eines Sachverhalts nicht nur im Sinne einer Aneignung, sondern möglichst einer Durchdringung ebendessen aufgefasst
Hintergrund und Forschungsstand
Zum aktuellen Zeitpunkt fehlt es noch immer an einer einheitlichen Begriffsbestimmung von KB
Nach der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. beschreibt KB Bildungsprozesse, die die kulturelle Partizipation stärken. KB wird als Teil der Bildung verstanden, die künstlerische und/oder ästhetische Bildung beinhaltet, an sich aber weitaus mehr ist
Ein Definitionsversuch, der KB ebenfalls als Teilbereich der Bildung einordnet, findet sich bei Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss, wo unter KB „die ästhetisch-expressive Dimension der Bildung des Subjektes“ verstanden wird
Hildegard Bockhorst et al. sprechen in ihrem Handbuch Kulturelle Bildung in der Einführung der Herausgeber:innen von einem „Universum Kulturelle Bildung“, dessen Definition „in einer kollektiven und theoriefundierenden wie auch praxisdifferenzierenden Bestandsaufnahme Kultureller Bildung“ liege
Insgesamt scheint es notwendig, solche Forschung im Bereich der KB zu betreiben, die dazu beiträgt, den Begriff KB, die zugrundeliegende Theorie, den Praxisbereich und auch die Angebote von KB zu verstehen und einzuordnen
Erkenntnisinteresse
Vor diesem Hintergrund möchte das Forum Kultur der EMN in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Coburg das Verständnis des Begriffsfeldes Kulturelle Bildung differenzieren und damit operationalisierbarer machen. Die Perspektive von Akteur:innen der KB in der EMN soll im Hinblick auf das Verständnis des Begriffsfeldes Kulturelle Bildung erforscht werden. Hierbei stehen Zusammenhänge und die Abgrenzung von Kultur, Bildung und KB sowie die Kategorisierung und die Operationalisierung zentraler Konzepte im Fokus der Betrachtungen. Dies soll einen Beitrag zur Ermöglichung zukünftiger differenzierterer Wirkungsforschung von KB leisten. Somit lauten die wissenschaftlichen Fragestellungen: Wie hängen Kultur, Bildung und KB zusammen? Inwiefern sind sie gegeneinander abzugrenzen? Wie kann das Begriffsfeld KB differenziert und damit operationalisierbarer gemacht werden?
Methodik
Wissenschaftliche Herangehensweise
Am Modellort Coburg (Stadt und Land) wurde unter Projektleitung von Prof. Dr. Michael Heinrich eine qualitative Vorstudie unter dem Titel Kulturelle Bildung – eine Analyse von aktueller Lage und Entwicklungspotenzialen aus Perspektive der Akteure von Hochkultur und Kultureller Bildung in der EMN am Modellort Coburg durchgeführt (Datenerhebung: August bis Dezember 2020)
Studiendesign
Bei dieser Befragung handelte es sich um eine quantitative Querschnittsstudie, für die eine Online-Befragung mit dem Tool QuestorPro (hierbei handelt es sich um ein Umfragetool der Firma Blubbsoft GmbH, das von der Hochschule Coburg zur Verfügung gestellt wird) durchgeführt wurde. Auch bestand die Möglichkeit der Beantwortung der Fragen via paper+pencil. Es wurden vorrangig quantitative Daten erhoben, in geringem Ausmaß auch qualitative Daten in Form von Antwortmöglichkeiten unter Sonstiges und Freitextfragen.
Datenerhebung
Zur Erhebung der Daten wurde ein quantitativer Fragebogen auf Grundlage der qualitativen Teilstudie erstellt, der aus sechs Teilen bestand. Der optionale Fragebogenteil sechs bildet die Grundlage für die Datenerhebung im Rahmen dieser Publikation. Wo sich in der Diskussion dieser Teilstudie neue Erkenntnisse zeigten, wurden die Fragestellungen und Kategorien differenziert und modifiziert. Der Fragebogen setzt sich zusammen aus Multiple-Choice-Fragen, Ratingfragen mit Likert-Typ-Items sowie zwei Freitextfragen. Für ausgewählte Fragen wurde die Möglichkeit gegeben, unter Sonstiges qualitative Angaben einzugeben. So sollte die Möglichkeit geschaffen werden, ggf. fehlende Antwortmöglichkeiten zu ergänzen oder auch Erläuterungen und Anmerkungen zu den eigenen Antworten oder auch zur Fragestellung an sich einzufügen. Des Weiteren wurde für jede Frage die Option, die Angabe zu verweigern, eingeräumt. Der Fragebogen war der letzte, optionale Abschnitt einer Erhebung zu Bedarfen und Potenzialen der KB in der EMN (Weiß et al. 2023).
Stichprobe
Die Erhebung wurde unter Expert:innen und Akteur:innen im Feld der KB und Kultur innerhalb der EMN, die zum Befragungszeitpunkt in einer Gebietskörperschaft innerhalb der EMN in einem Verantwortungsbereich von KB (Kulturverwaltung, Kultureinrichtung, Politik, Kulturvermittlung und Kunst-/Kulturschaffende) tätig waren, durchgeführt, um deren professionelles Erfahrungswissen zu erfassen. Hierbei wurde bewusst keine engere Eingrenzung der zur KB im Sinne der zur Umfrage gehörenden Felder vorgenommen, da möglichst heterogene Facetten und Perspektiven einbezogen werden sollten.
Datenanalyse
Für die Auswertung der anhand der Online-Befragung erhobenen Daten liegt ein Kodierleitfaden vor, anhand dessen die aus QuestorPro exportierten Rohdaten kodiert wurden. Anschließend wurden die Daten mit IBM® SPSS® (Version 29) statistisch analysiert und ausgewertet. Dabei wurden fehlende Angaben differenziert und mit jeweils eigenem Wertelabel nach keine Angabe (aktiv wählbare Antwortoption), keine Antwort (bei fehlender Angabe zu einer Frage) und nicht auswertbar bei analogen Fragebogen (wenn nicht lesbar oder inkonsistent) kodiert.
Die qualitativen Antworten in den Feldern Sonstiges und zu den Freitextfragen wurden in induktiv gebildete Kategorien eingeordnet. Im abschließenden Feedbackfeld hinterlassene Anmerkungen betreffs des Inhalts der Erhebung wurden den aus der Fragestellung deduktiv abgeleiteten Kategorien zugeordnet. Methodenbezogene Kritik zum Erhebungsinstrument wurde in induktiv gebildete Kategorien untergliedert. Des Weiteren wurden Antworten dann mehrfach codiert, wenn sie mehrere Inhaltsaspekte enthielten, die verschiedenen Kategorien zuzuordnen waren.
Post-hoc-Reklassifikation von Variablen
Bei der Auswertung der qualitativen Daten in den Freitextfeldern wurde festgestellt, dass bei der Frage nach dem Verantwortungsbereich der Befragten im Bereich der KB unter Sonstiges Angaben gemacht worden waren, die einer der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten zuzuordnen waren. Bspw. wurde Bildungsträger manuell eingetragen, was jedoch der vorhandenen Auswahlkategorie Kulturvermittlung zuzuordnen ist. Deshalb sowie zur Qualitätssicherung der Auswertung wurde bei dieser Frage eine Post-hoc-Reklassifikation (PHR) der Variablen vorgenommen. Danach wurden die Daten erneut ausgewertet. Die qualitativen Angaben unter Sonstiges wurden somit soweit möglich den feststehenden Antwortkategorien zugeordnet und der Datensatz entsprechend angepasst.
Ergebnisse
Im Folgenden werden die Ergebnisse mit der Korrektur durch die Post-hoc-Reklassifikation berichtet. Bei den Fragen, die als Likert-Items zu beantworten waren, wird der Mittelwert (M) als nuanciertes Maß zentraler Tendenz berichtet. Für die deskriptivstatistische Auswertung wird die Angabe des M als exakteres Maß für eine bessere Differenzierung als vertretbar angesehen. Auch erfolgten keine weiterführenden inferenzstatistischen Auswertungen unter Annahme quasi-metrischen Skalenniveaus. Alle Freitextantworten und Angaben unter Sonstiges sind bei den Autor:innen auf Anfrage einsehbar. Die Zitate wurden buchstäblich übernommen und Schreibweisen nicht ausgebessert, möglicherweise personenidentifizierende Angaben anonymisiert. Bei der Kategorisierung der Antworten wurden die Ober- und Unterkategorien induktiv gebildet. Es ist zu beachten, dass einzelne inhaltliche Aspekte derselben Freitexteingabe mehreren Kategorien zugeordnet worden sein können.
Abbruchquote
Von insgesamt 333 Aufrufen des Links zur Gesamtbefragung betrug die Anzahl der vollständig online ausgefüllten Rückläufe 117. Via paper+pencil wurden drei Fragebögen zur Auswertung eingereicht. Während des Konsistenzchecks fielen vier online-Rückläufe auf, die bis einschließlich Frageblock fünf komplett ausgefüllt und im optionalen Zusatz-Frageblock sechs abgebrochen worden waren. Diese wurden in die Auswertung des Hauptfragebogens eingeschlossen. Die finale Stichprobe für den Fragebogenteil sechs bestand aus 73 Rückläufen. Die Stellen des Abbruchs begonnener Fragebögen waren divers, so dass kein eindeutiges Muster abzulesen war.
Beschreibung der Stichprobe
Die Stichprobe bestand aus 73 Akteur:innen im Bereich der KB in der EMN.
Die Frage, in welcher Gebietskörperschaft die Teilnehmenden zum Befragungszeitpunkt tätig waren, wurde anhand einer Freitexteingabe abgefragt (siehe Abbildung 1). So waren Mehrfacheingaben bzw. -zuordnungen möglich. Die Angaben wurden nach der Auswertung quantifiziert. Ein Stadtname beinhaltet hierbei alle Nennungen zu Stadt und Landkreis. Nürnberg war die Gebietskörperschaft, die am häufigsten von den Studienteilnehmenden als Tätigkeitsort angegeben wurde (21 von 73), gefolgt von Coburg (15 von 73) und Erlangen (neun von 73).
Sonstige Nennungen beinhalteten Stadt (1x), Kreisfreie Stadt (2x), Bund (2x), Gemeinde (1x), Rentner:in (1x). Die Studienteilnehmenden waren über den Verteiler der EMN, direkte Ansprache durch die Autor:innen sowie potenziell über Schneeballeffekte (Weiterleitung der Umfrage durch Teilnehmende) rekrutiert worden. Im Einladungsschreiben wie auch in der Frage wurde eindeutig auf die Verortung innerhalb der EMN verwiesen. Die Datensätze wurden daher in die Auswertung einbezogen. Die Städte außerhalb der EMN, die als Gebietskörperschaft genannt wurden, waren Berlin, Cottbus und Spielberg. Sie waren sämtlich Bestandteile von Mehrfachnennungen in Verbindung mit Tätigkeitsorten innerhalb der EMN; die betreffenden Datensätze wurden daher in der Stichprobe belassen. Der Verantwortungsbereich von KB, in dem die Befragten aktuell tätig waren, lag mit 41,1 % in der Kulturverwaltung, 39,7 % in Kultureinrichtungen, 38,4 % in der Kulturvermittlung, mit 24,7 % in der Kunst-/Kulturschaffung, mit 6,8 % in der Politik und 5,5 % in Sonstigem. Bei dieser Abfrage waren Mehrfachantworten möglich (M.m.) und die Angaben sind in Prozent der Fälle berichtet. So betrug die Anzahl insgesamt gegebener Antworten (bei n = 73) 114. Unter Sonstiges wurde als kontinuierliches Hobby, fördernde Stiftung, Stiftung/ Kulturanbieter und Vereinsvorsitzender genannt. Das Säulendiagramm in Abbildung 2 zeigt, welche Verantwortungsbereiche von einer Person gleichzeitig angegeben wurden.
Deskriptivstatistische Ergebnisse
Alle Antworten wurden deskriptivstatistisch ausgewertet. Die Fragen waren stets auf das eigene konkrete Wirkungsfeld des/der Befragten bezogen.
Verhältnis und Abgrenzung zwischen KB und Kultur
Etwas mehr als ein Drittel der Befragten (34,9 %, Items b und c) wählten zur Beschreibung des Verhältnisses von KB und Kultur zueinander, dass KB ergänzend-komplementär zu Kultur sei. Noch weiter verbreitet war die Auffassung, dass KB Teil von Kultur sei; dieser Ansicht waren 42,4 % der Teilnehmenden. Geringere Zustimmung zeigte sich zu der Auffassung, dass Kultur ein Teil von KB sei. Kongruent dominierte innerhalb dieser drei Felder die grundsätzliche Zuschreibung, dass KB eher didaktisch-vermittelnde, reflexive bzw. hinführende Aspekte beschreibt und Kultur sich eher auf gelebte Praxis bezieht, wobei allerdings auch die umgekehrte Auffassung durchaus vertreten war. Eine Minderheit von 6,1 % sah KB und Kultur als kaum abgrenzbare, beinahe vollständig überlappende Konstrukte an (siehe Abbildung 3).
Vergleich und Abgrenzung zwischen KB und Bildung
Die Frage, welche Besonderheiten KB im Vergleich zur allgemeinen Bildung auszeichnen, beantworteten je Item wiederum unterschiedlich viele Befragte, da für den gesamten optionalen Frageblock sechs die Möglichkeit der Enthaltung oder Antwortverweigerung eingeräumt wurde (n = 68 – 73). Die größte Zustimmung (M = 3,13) erhielt die Aussage, dass KB die Ebene der Bildung ist, die die Teilhabe an soziokulturellen Ausdrucksformen und Austauschprozessen ermöglicht und damit das Wohlbefinden von Menschen maßgeblich prägt. Am wenigsten Zustimmung (M = 0,93) fand die Besonderheit: KB ist nicht unmittelbar existenzsichernd bzw. beruflich notwendig; d.h., reguläre Bildung ist existentiell für Individuum und Gesellschaft, KB lediglich wünschenswert.
Unter Sonstiges wurden bei dieser Frage fünf Antworten in den induktiv gebildeten Kategorien KB als Oberbegriff, KB gleichberechtigt zu Bildung, Unterschiede zwischen KB und Bildung und Hinweise zur Fragestellung gegeben (siehe Tabelle 1).
Mögliche Beschreibungskategorien von KB
Auch die Items der Frage: „Welche qualitativen Unterscheidungskriterien von Kultureller Bildung (KB) könnten – je nach spezifischen Umständen – nützlich sein, um KB kontextbezogen und bedürfnisgerecht ausrichten zu können (etwa für schulische Bildung, Jugendarbeit, soziale Arbeit, therapeutische Kontexte, Erwachsenenbildung etc.)?“, die nach Art einer Kompetenzzieltaxonomie (Anderson et al., 2001) konzipiert worden war, wurden von jeweils unterschiedlich vielen Personen (n = 49 – 59) beantwortet, da die Möglichkeit zur Enthaltung oder Antwortverweigerung bestand (siehe Abbildung 4). Das Unterscheidungskriterium Zielgruppenschwerpunkt erhielt mit 91,5 % die größte Zustimmung, während das Kriterium Persönlichkeitsdimensionen mit 38,3 % die geringste Zustimmung erhielt.
Die unter Sonstiges gegebenen vier Antworten wurden in die gebildeten Kategorien Kritik an Kategorisierung und Kritik an Fragestellung eingeordnet. Zusätzlich zur Antwortoption a) nach Art der Beteiligung wurden die Teilnehmer:innen gefragt, welche der genannten (und ggf. weiteren) Spannungsfelder zur Einteilung von KB-Angeboten nach Art der Beteiligung sinnvoll wären. Hier fanden 86,7 % (n = 60, M.m.; Anzahl insgesamt gegebener Antworten: 83; Angabe in Prozent der Fälle) das Spannungsfeld „betrachtend, reflektierend“ ↔ „teilnehmend, interaktiv, performativ“ zur Einteilung sinnvoll, die Hälfte der Befragten (50,0 %) das Spannungsfeld „selbständig/einzeln agierend“ ↔ „sozial eingebunden agierend“. Unter Sonstiges wurde eine Angabe gemacht: „Spannungsfeld ergebnisorientiert ↔ prozessorientiert; Spannungsfeld angeleitet/autoritär ↔ selbstorganisiert/partizipativ“.
Zur Antwortoption b) nach evtl. notwendigen Voraussetzungen wurde zusätzlich gefragt, welche der genannten (und ggf. weiteren) Kategorien zur Einteilung von KB-Angeboten nach notwendigen Voraussetzungen sinnvoll wären. Die Kategorie Sprachkenntnisse wählten 69,0 % der Befragten (n = 58; M.m.; Anzahl insgesamt gegebener Antworten: 123; Angabe in Prozent der Fälle), Kenntnisse kultureller Praktiken 67,2 % und Grad körperlicher Mobilität/gesundheitliche Einschränkungen 60,3 %. Sonstige Angaben, die in die induktiv gebildeten Antwortkategorien (eine Freitext-Eingabe kann mehrere Kategorien enthalten) Alter, Inklusion und Teilhabe sowie Informationsvermittlung eingeordnet wurden, machten 15,5 % (n = 8). Zusätzlich zur Antwortoption c) nach Persönlichkeitsdimension wurde gefragt, welche der genannten (und ggf. weiteren) Spannungsfelder zur Unterscheidung von KB-Angeboten nach angesprochenem Persönlichkeitsprofil sinnvoll sein könnten. Das Spannungsfeld „rational, kognitiv, intellektuell, analytisch" ↔ „emotional, affektiv, verkörpert, synergetisch" wählten 54,9 % der Befragten (n = 51; M.m.; Anzahl insgesamt gegebener Antworten: 96; Angabe in Prozent der Fälle), 66,7 % das Spannungsfeld „experimentierfreudig, offen, extravertiert" ↔ „vorsichtig, strukturaffin, gewissenhaft, introvertiert“ und 56,9 % das Spannungsfeld „anregend, aktivierend“ ↔ „beruhigend, entspannend“. Unter Sonstiges machten 9,8 % (n = 4) Angaben, die in die induktiv gebildeten Antwortkategorien (eine Freitext-Eingabe kann mehrere Kategorien enthalten) Feedback und Kritik an Antwortmöglichkeiten eingeordnet wurden.
Zur Antwortoption d) nach Zielgruppenschwerpunkt wurde zusätzlich gefragt, welche der genannten (und ggf. weiteren) Kategorien zur Unterscheidung von KB-Angeboten nach angesprochener Zielgruppe sinnvoll seien. Die Kategorie Kleinkinder, Vorschulkinder wählten 80,0 % der Befragten (n = 65; M.m.; Anzahl insgesamt gegebener Antworten: 309; Angabe in Prozent der Fälle), Schulkinder, Schüler:innen, Heranwachsende 87,7 %, Studierende 53,8 %, Berufstätige 49,2 %, Senior:innen sowie Interkulturell jeweils 66,2 %, Bildungsbenachteiligte 58,5 % und 13,8 % (n = 8) machten sonstige Angaben. Diese wurden in die gebildeten Kategorien junge Erwachsene/Familien, geschlechtsspezifisch, Menschen mit Beeinträchtigungen, Kritik/Feedback bzgl. Antwortmöglichkeiten und Sonstiges eingeordnet. Zusätzlich zur Antwortoption e) nach subjektiv-motivationalen Bedürfnisschwerpunkten wurde die Frage gestellt, welche der genannten (und ggf. weiteren) Kategorien zur Unterscheidung von KB-Angeboten nach subjektiv-motivationalen Bedürfnisschwerpunkten sinnvoll wären. Hier wählten 77,2 % der Befragten (n = 57; M.m.; Anzahl insgesamt gegebener Antworten: 392; Angabe in Prozent der Fälle; siehe Abbildung 5) die Kategorie thematisch-fachliches Interesse, Neugierde, Wissensdurst, 71,9 % Begeisterung, Leidenschaft, Emotion (etwa durch Storytelling, Identifikation, Empathie), 50,9 % Erfahrung im virtuellen/digitalen/medialen Raum, 61,4 % körperlich-sensuelle Erfahrung, 64,9 % Dialog, Diskussion, dialektische Auseinandersetzung, 68,4 % Begegnung, Beziehung, Bindung, 71,9 % Selbstwahrnehmung, Reflexion, Achtsamkeit, Imagination, 86,0 % Kreativität, Selbstwirksamkeit, 66,7 % Vertrautheit, Lebensweltorientierung, Niedrigschwelligkeit und 64,9 % die Kategorie Neuartigkeit, Originalität, Fremdheit, Herausforderung. Unter Sonstiges äußerten sich 3,5 % (n = 2) der Befragten, deren Antworten in die gebildeten Kategorien Begabung und Kritik an Antwortmöglichkeiten eingeordnet wurden.
Schließlich wurde zur Antwortoption f) nach Kompetenzschwerpunkt zusätzlich gefragt, welche der genannten (und ggf. weiteren) Kategorien zur Unterscheidung von KB-Angeboten nach Kompetenzschwerpunkt sinnvoll sein könnten. Die Kategorie Lernen, Wissenserwerb, Kategorienbildung wählten 67,3 % der Befragten (n = 52, M.m.; Anzahl insgesamt gegebener Antworten: 387; Angabe in Prozent der Fälle; siehe Abbildung 6), 53,8 % wählten Aufmerksamkeit, Konzentration, 48,1 % Erinnerung, Gedächtnis, 42,3 % Logik, Kombination, Problemlösung, 51,9 % sensomotorische Koordination, 63,5 % Wahrnehmung, Differenzierungsvermögen, 50,0 % Abstraktions- und Transfervermögen, 59,6 % Reflexionsvermögen, dialektische Kompetenz, 73,1 % Kommunikation, soziale Interaktion, Sprache, Ausdruck, 69,2 % Empathie, Konflikt-, Dialogfähigkeit, 40,4 % Durchsetzungs-, Überzeugungs-, Führungskompetenz, 53,8 % technische und Medienkompetenz sowie 65,4 % wählten die Kategorie handwerklich-manuell-gestalterische Kompetenz. Sonstige Angaben machten 5,8 % der Befragten (n = 2), die in die gebildeten Antwortkategorien Ganzheitlichkeit und Kritik an Antwortmöglichkeiten eingeordnet wurden.
Interpretation und Diskussion
Limitationen
Bei der Einordnung und Interpretation der erhobenen Daten sind einige Limitationen zu beachten. Zum einen hat der Fragebogen keinen Pretest außerhalb der Arbeitsgruppe durchlaufen. Ein Pretest unter ausgewählten Adressat:innen der Befragung wäre vorteilhaft gewesen, um die Verständlichkeit, Ausfülldauer und Akzeptanz des Fragebogens vor der ersten Verwendung zu ermitteln. Zum anderen waren unter den beantworteten Fragebögen Rückläufer mit Tätigkeitsort außerhalb der EMN oder unklarer räumlicher Verortung. Wenngleich alle Teilnehmenden, die einen Tätigkeitsort außerhalb der EMN angaben, auch mindestens einen Tätigkeitsort innerhalb der EMN nannten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Antwortverhalten nicht von Erfahrungen und Gegebenheiten an den Dienstorten außerhalb der EMN beeinflusst war. Weiterhin wurden einige Angaben ohne Spezifizierung des genauen Ortes getätigt (Stadt (1x), Kreisfreie Stadt (2x), Bund (2x)).
Die Studienteilnehmenden waren über den Verteiler der EMN, direkte Ansprache durch die Autor:innen sowie potenziell über Schneeballeffekte (Weiterleitung der Umfrage durch Teilnehmende) rekrutiert worden. Im Einladungsschreiben wie auch in der Überschrift der Frage nach der Gebietskörperschaft wurde eindeutig auf die Verortung innerhalb der EMN verwiesen. Daher waren die Antwortenden mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der EMN verortet. Aus diesem Grund wurde im Sinne einer inklusiveren Ergebnisabbildung entschieden, alle kompletten Datensätze in die Auswertung einzubeziehen. Das uneinheitliche Format bei den Angaben zur Gebietskörperschaft hätte mit einem genaueren Hinweis auf das Eingabeformat oder einer vordefinierten Auswahlliste umgangen werden können. In Folgebefragungen, vor allem, wenn der Fokus auf repräsentativen Befragungen für ein räumliches Gebiet bzw. einen Teilbereich der KB liegt, sollten die Einschlusskriterien zu Beginn des Fragebogens klar (ja/nein-Format, Auswahlliste; keine Freitexteingabe) abgefragt und die Beteiligung nur nach Bestätigung der Erfüllung dieser Kriterien freigegeben werden.
Für die vorliegende Befragung lag die Rekrutierung einer repräsentativen Stichprobe nicht im Fokus. Vielmehr sollte mit der Befragung erst eine explorative Annäherung an ein Begriffsverständnis von KB stattfinden, weshalb zu Gunsten einer möglichst heterogenen Stichprobe – auch zur Aufdeckung ggf. übersehener Aspekte und Perspektiven - auf eine vorgreifende randscharfe Definition der Grundgesamtheit verzichtet worden war. So war die Eingrenzung der mit der Befragung adressierten Personen weich gefasst als Expert:innen und Akteur:innen, die zum Befragungszeitpunkt in einer Gebietskörperschaft innerhalb der EMN und in einem Verantwortungsbereich (Kulturverwaltung, Kultureinrichtung, Politik, Kulturvermittlung und Kunst-/Kulturschaffende) von KB tätig waren. Auf diese Weise sollte eine Teilnahme für alle Interessierten, sie sich selbst in diesem Feld verorteten, ermöglicht werden. Die Herstellung einer für das Gebiet der EMN repräsentative Stichprobe aus dem vorliegenden Datensatz wäre aus den genannten Gründen auch mit einem Ausschluss aller Teilnehmenden mit unklarem Tätigkeitsort nicht möglich gewesen.
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Art der Fragestellungen das Antwortverhalten beeinflusst haben kann. Bei auf mehrstufigen Likert-Skalen zu beantwortende Fragen (bspw. stimme nicht zu bis stimme völlig zu) liegt im Antwortverhalten häufig eine Tendenz zur Mitte vor
Schließlich ist ebenfalls zu beachten, dass das Antwortverhalten durch die soziale Erwünschtheit (Social Desirability Bias) beeinflusst sein kann, was ebenfalls zu Verzerrungen führt
Bezüglich des Fragebogens ergaben sich aus dem Feedback wertvolle Hinweise. Die sprachliche Fassung wurde als anspruchsvoll und teilweise zu kompliziert wahrgenommen. In Fragebogenteil sechs wurden Verständnisschwierigkeiten bzw. Unklarheiten bezüglich der Fragestellung, fehlende oder aus Sicht der Teilnehmenden nicht zutreffende bzw. nachteilige Antwortoptionen angemerkt. Dies unterstreicht den Pilot-Charakter der Befragung. Diese ersten Ergebnisse und festgestellten Verteilungen, insbesondere im Bereich der Kategorisierung, sollten ausschließlich als erste Hinweise für eine vertiefende methodenentwickelnde Arbeit aufgefasst werden. Insgesamt ist festzustellen, dass diese Erhebung keine repräsentativen Ergebnisse liefert, jedoch ein interessantes Schlaglicht auf das Verständnis, die Bedeutung, die Potenziale und die Bedarfe von KB im Wirkungskreis der EMN wirft und einen spannenden ersten Einblick in die Verwendung kategorisierender und quantifizierender Items zur Beschreibung der KB gewährt.
Einordnung und Interpretation
Die Rücklaufquote kann aufgrund der potenziellen Weiterleitung des Umfragelinks durch Studienteilnehmende sowie der Unterstützung bei der Verteilung durch Kolleg:innen der Autor:innen nicht exakt bestimmt werden. Ausgehend von der Anzahl an Kontaktaufnahmen via E-Mail über den Verteiler der EMN und die in die Auswertung eingeschlossenen Teilnehmenden an der Online-Befragung läge eine näherungsweise (leicht überschätzte) Rücklaufquote mit 46,79 % (Berechnung: (124 * 100) / 265) im durchschnittlichen Bereich, der mit einem Wert von 44 % bei Online-Befragungen im bildungsbezogenen Feld angegeben wird
Das Verhältnis von KB und Kultur zueinander abzugrenzen und eine mögliche Begriffsbestimmung für KB abzuleiten war bereits ein Ziel der qualitativen Erhebung von Nadja Hamani et al.
„Bezüglich einer möglichen Abgrenzung der KB von Kultur, beschrieben einige Befragte Kultur als umfassender und weniger zielgerichtet als KB: ‚Na ja Kultur ist der größere Begriff und also der weit gestecktere Begriff, KB kann Kultur ja nur zum Teil abbilden würde ich sagen.‘ (AO19:123f.) Doppelt so viele Befragte erklärten, dass eine Abgrenzung beider Begrifflichkeiten nicht, beziehungsweise kaum möglich war. Auch eine Abgrenzung von Bildung und KB war gemäß mehrerer Interviewpartner*innen schwierig, da die Begriffe fließende Grenzen hätten. Weitere Akteur*innen beschrieben Bildung als reinen Erwerb und die Verarbeitung von Wissen, wohingegen KB umfassender sei und auch Transfer und Reflexionsleistung beinhalte: ‚Okay, also Bildung ist natürlich für mich, ist der Erwerb von Wissen und der Umgang mit dem Wissen und die KB ist nochmal vielleicht […] nochmal ein Stückle mehr drauf ja.‘ (AL21:100-105) Andere Befragte sahen Bildung wiederum als einen Überbegriff Kultureller Bildung.“
Auch in dieser Teilstudie zeigt sich kein Konsens hinsichtlich des Verhältnisses von KB und Kultur. Für eine Begriffsbestimmung ergeben sich damit nur erste Anhaltspunkte und Impulse. Keine der vorgeschlagenen abgrenzenden Definitionen fand eine Mehrheit. Die beiden dominierenden Auffassungen sehen KB als einen Teil von Kultur (42,4 %) oder beide Konstrukte als einander komplementär ergänzend (34,9 %). Dieser Befund weist große Ähnlichkeiten mit der oben zitierten Definition des BMBF von KB auf
Demgegenüber fand das Verständnis von Kultur als Teil von KB nur wenig Zustimmung. Hinsichtlich der attribuierten kennzeichnenden Merkmale dominierte die Zuschreibung, dass KB eher didaktisch-vermittelnde, reflexive bzw. hinführende Aspekte beschreibt und Kultur sich eher auf gelebte Praxis bezieht; allerdings war auch die umgekehrte Auffassung durchaus vertreten.
Eine präzisere Positionierung des Feldes KB im Verhältnis zur Bildung, aber auch zur Kultur ist aus dieser Teilstudie insgesamt kaum abzuleiten, und so bleibt KB ein Projektionsfeld divergierender Zuschreibungen, die allerdings durch die explizite Fragestellung deutlicher zutage treten. Im Diskurs zur KB gibt es widersprüchliche Erwartungshaltungen: Was kreative Freiräume und eine Zurückweisung von Operationalisierungsbestrebungen betrifft, wird KB in den Autonomiekontext von Kultur und Kunst gestellt; die Ressourcenverantwortung hingegen wird in der Regel bei der öffentlichen Hand gesehen, ohne aber inhaltliche Mitsprache zu akzeptieren. Dahinter kann ein Zielkonflikt vermutet werden:
Einerseits steht das Feld KB dem Feld Bildung in wichtigen Aspekten nahezu komplementär gegenüber: Während Bildung überwiegend als Vermittlung von alltags- und berufsrelevanten Fertigkeiten und Fähigkeiten beschrieben und praktiziert wird (etwa Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2025), stehen bei KB die ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung, der schöpferisch-kreative Eigenausdruck und die fluide Integration verschiedener gesellschaftlicher Teilgruppen im Vordergrund. Daher kann eine Kategorisierung von KB vielen Akteur:innen aus der Praxis und aus der Theoriebildung zunächst als der KB wesensfremder Versuch erscheinen, den Wert der Überkategorialität und den schöpferischen und sozialen Freiraum des Feldes als essentielle Faktoren liberalen individuellen und gesellschaftlichen Lebens einzuschränken, für nutzfunktionale und ökonomische Zielsetzungen zu vereinnahmen und damit zentrale Stützen intrinsischer Motivation und Salutogenese einer stets partikularinteressengeleiteten Leistungsorientierung zu opfern.
Andererseits setzt die Tatsache, dass zentrale Bereiche der KB von öffentlicher Hand getragen werden und immer stärkere Verteilungskämpfe um die schrumpfenden Mittel den öffentlichen Diskurs prägen, zahlreiche Akteur:innen der KB unter steigenden Legitimierungsdruck
Der Fragenkomplex Mögliche Beschreibungskategorien von KB stellte innerhalb dieser Teilstudie einen Versuch dar, sinnvolle und praxisnahe Kategorisierungsoptionen für die zahlreichen Funktionsbereiche der KB anzubieten, die der zentralen Forderung der Bologna-Reform nach Kompetenzorientierung folgen und das Feld der KB gerade für Schulen gegenüber den disziplinären Fächern argumentierbarer und operationalisierbarer macht. Dies ist umso dringlicher, als die herausragende Bedeutung schulischer Umfelder auch durch diese Studie klar bestätigt wird (Weiß et al. 2023). Ein weiterer Hintergrund für das Aufgreifen des Kategorienproblems war die Erwägung, dass die zunehmende soziokulturelle und sonstige Diversität der Gesellschaft nicht nur integrativer Bemühungen, sondern auch dazu komplementärer spezifischer Bildungsmaßnahmen (etwa im Bereich der Sprachkompetenz) bedürfe, um die Werte Diversität und Inklusivität gleichermaßen mit Leben zu füllen. Soziale Teilhabe auf Augenhöhe benötigt gemeinsame implizite und explizite Rezeptions- und Artikulationskonsense, und KB scheint aufgrund ihrer ganzheitlichen Persönlichkeitsausrichtung optimal geeignet, entsprechende kommunikative Synchronisierungsprozesse zu unterstützen. Spezifische Bildungsmaßnahmen brauchen wiederum Kriterien ihrer Angemessenheit, und diese Kriterien können nur durch die Passung von Interventionsprozessen zu psychologischen Bedürfnissen entwickelt werden. Das Profil solcher psychologischen Bedürfnisse ist zwar individuell sehr fluid, bildet aber bei ähnlich situierten Zielgruppen auch kollektive Muster aus. Es scheint also sehr wohl möglich, Tendenzkategorien der Angemessenheit und Bedürfnispassung von Bildungsprozessen zu entwickeln, solange der psychologische Tatbestand der Interdependenz und Fluidität verschiedener individueller und kollektiver Entwicklungsprozesse im Blick bleibt.
Von den vorgeschlagenen qualitativen Unterscheidungskriterien von KB wird eine Kategorisierung nach Zielgruppenschwerpunkten als am Nützlichsten bewertet. Dies erscheint kaum überraschend, da viele Angebote von KB ja ohnehin schon im Kontext spezifischer sozialer Umfelder angeboten werden, die häufig implizit auch Häufungen oder Defizite bestimmter Kompetenzen beinhalten. Was die Bedeutung einzelner Zielgruppen betrifft, stehen Kinder und Jugendliche mit Abstand an erster Stelle, gefolgt von interkulturellem Publikum, Senior:innen und Bildungsbenachteiligten. Diese Hierarchisierung weist auf die Bereitschaft der Proband:innen hin, kindlichen und jugendlichen Prägungen und soziokulturell eingebettetem Lernen in Kongruenz mit wissenschaftlichen Erkenntnissen herausragende Bedeutung zuzubilligen. Eine weitere von Proband:innen stark unterstützte Dimension qualitativer Unterscheidung, die Art der Beteiligung, wird angesichts absehbarer Trends eine immer stärkere Bedeutung erlangen, nämlich im meistgewählten Spannungsfeld betrachtend, reflektierend vs. teilnehmend, interaktiv, performativ: Die leiblich-soziale Aktivität innerhalb aller Lebensvollzüge ist aufgrund der zunehmenden Digitalisierung (Home Office, Distanzunterricht, soziale Netzwerke, Streamingdienste etc.) und durch den digitalen Innovationsschub der Corona-Krise stark zurückgegangen
Die vorgeschlagenen Kategorisierungen für eine Erfassung von notwendigen Voraussetzungen für die Teilnahme an KB-Angeboten wurden mit durchschnittlich 64 % unterstützt, davon am meisten die Kriterien der Kenntnisse von Sprache und kulturellen Praktiken. Dieses Ergebnis zeigt, dass beide Kriterien in der Lebenswelt der Akteur:innen mit ihren konkreten Herausforderungen, etwa in der Ansprache und Einbeziehung kulturell heterogener Zielgruppen, eine große Rolle spielen, und dass das Integrationspotential von KB hoch ist, allerdings auch seinerseits gewisser Bildungsvoraussetzungen bedarf. Der klassische Inklusivitätsgedanke der Berücksichtigung gesundheitlicher Einschränkungen ist ebenfalls deutlich repräsentiert.
Wenn KB auch in Zeiten rigider Sparmaßnahmen überleben soll, muss sie zulassen, in irgendeiner Form an ihrem eigenen Anspruch gemessen zu werden. Für diese Entwicklung hat die Studie Kategorisierungsmöglichkeiten entwickelt und durch handelnde Akteur:innen gewichten lassen. Bei aller Notwendigkeit der Operationalisierung muss der zentrale Wert der Kultur und der KB, nämlich das Verbindende sichtbar zu machen, als wichtigstes Potential für die Gesellschaft in den Fokus gestellt werden. Dieter Rossmeissl
„Kultur ist mehr als nur Bildung. Und Bildung ist mehr als nur Kultur. Aber ohne Kulturelle Bildung können beide nicht dauerhaft existieren. Bildung ohne Kultur ist der Weg in die asoziale Leistungsgesellschaft, Kultur aber wird erst nachhaltig durch Bildung.“
Erkenntnisgewinn und Ausblick
Zusammenhang und Abgrenzung von Kultur, Bildung und KB sowie Differenzierung und Operationalisierung des Begriffsfelds KB
Innerhalb der EMN liegt ein heterogenes Verständnis von Kultur, Bildung und KB vor. Am weitesten verbreitet, jedoch nicht von einer Mehrheit getragen, sind die auch in der Sachliteratur vorhandene Auffassung von KB als Teil von Bildung (vgl. auch Reinwand-Weiss 2014; Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. 2022) und das Verständnis, dass KB eher didaktisch-vermittelnd, reflexiv und hinführend ist, während Kultur sich eher auf eine gelebte Praxis bezieht.
Allgemein bewegt sich das Selbstverständnis von KB zwischen dem inhaltlichen und medialen Autonomie- und Liberalitätsanspruch künstlerischer Tätigkeit und dem Anspruch der Bildung auf öffentliche Förderung, wie sie grundgesetzlich in der Rechtszusicherung von Bildung manifestiert ist. Mit dem Liberalitätsanspruch verbunden ist ein feststellbares Unbehagen, Kategorisierungen des Feldes der Kultur und der KB in Betracht zu ziehen. In der rassismuskritischen Diskursforschung etwa wird thematisiert: „Mit […] der „Zielgruppenbeschreibung entlang von Differenzkategorien werden Zugehörigkeitsordnungen aufgegriffen, welche bestimmte Subjekte an den ‚Rand‘ der Gesellschaft verweisen und sie als defizitär und bildungsfern positionieren.“
Durch den Aspekt der fast ausschließlichen Abhängigkeit von öffentlicher Förderung geraten Kultur und KB allerdings unter immer größeren Legitimierungsdruck und sehen sich zunehmend Forderungen nach Effizienz- oder Relevanznachweisen ausgesetzt, die immer weniger durch Verweise auf tradierte Bedeutungspositionen oder auf den Liberalitätsanspruch beschwichtigt werden können. Vielleicht ist es diesem Druck geschuldet, dass die Proband:innen der Studie die naheliegende Möglichkeit, den didaktischen Leitbegriff der Kompetenzorientierung
Wie sieht nun aber ein adäquater Umgang mit der festgestellten heterogenen Begriffsauffassung aus? Die vorliegende nicht-repräsentative, regionale Erhebung kann und möchte freilich nicht für sich beanspruchen, ein fixes Begriffs- und Kategoriensystem festzulegen, sie kann aber pragmatische und logisch konsistente Vorschläge machen, wie über solche Kategorien nachgedacht werden kann.
Zunächst einmal ist das Feststellen von Dissens- und Konsensgraden über die Definition und Abgrenzung der Begrifflichkeiten und über geeignete Dimensionen ein wichtiger Schritt. Die Ergebnisse mahnen an, im Diskurs wie auch der Forschung zu Kultur und KB zunächst und immer wieder eine Verständigung über die Begriffsverwendung im jeweiligen Kontext anzustreben, um Missverständnissen aufgrund unterschiedlicher zugrundeliegender Auffassungen vorzubeugen. Hier gibt es längst differenzierte Überlegungen
Weitere Systematisierung und Wirkforschung sollten also auf eine sich neugierig annähernde, stetig hinterfragende, entwicklungsoffen Kategorien und Beschreibungen entwickelnde und offerierende Herangehensweise setzen und dabei jedem Anspruch an Deutungshoheit konsequent entsagen. Aus einem solchen Prozess können durchaus unterschiedliche Systematiken zur Erfassung zentraler Konzepte entstehen, die einander komplementär ergänzen und so ein wichtiger Beitrag zur fundierten Reflexion aktueller Entwicklungen und deren Auswirkung sowie zur Ableitung bedarfsadressierender Maßnahmen sein können.
Aktuelle Projekte und deren Ergebnisse zeigen, dass systematisierende Forschung im Bereich der KB zumindest theoretisch denkbar ist. So hatte bspw. das Projekt InKuBi – Indikatoren für kulturelle Bildung des Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, das Ende 2022 abgeschlossen wurde, das Ziel, zum ersten Mal ein indikatorengestütztes Berichtssystem zu entwickeln, „mit dem das Themenfeld der kulturellen Bildung in Deutschland aus systemischer Perspektive empirisch beobachtet und beschrieben werden kann“
Der konkreten Zusammenarbeit von Forschungsträgern mit kommunalen Kultur- und Bildungsträgern, aber auch mit der Politik kommt hierbei eine zentrale Bedeutung zu. Ohne strukturelle Re-Implementierung von theoretischen und empirisch gesammelten Erkenntnissen in die gesellschaftlich und verwaltungsorganisatorisch gelebte Praxis muss Forschung zur KB letztlich selbstreferentiell bleiben. Wenn Angebote von KB hingegen in Hinblick auf Zielgruppenbedürfnisse konkret, strukturiert und individuell beschreibbar werden (etwa durch Passungsprofile von Angeboten, die eine Antizipation von Zielgruppenresonanz und -akzeptanz ermöglichen), werden sie deutlich handhabbarer im politischen und medialen Raum: Sie können transparenter in verschiedene Ressortverantwortlichkeiten eingeordnet werden und zielgerichteter an Zielgruppen kommuniziert werden, was bei der raschen Transformation von Mediennutzungsgewohnheiten zukünftig eine immer größere Rolle für den Erfolg eines KB-Angebots spielen wird. Da KB zunehmend unter dem Sparzwang der öffentlichen Haushalte zu leiden hat, haben Argumente der Passgenauigkeit und Effizienz im Sinne erwartbarer Resonanz und sozialer Integrationskraft auch einen starken ökonomischen Aspekt, der der Aufrechterhaltung des KB-Angebots in Deutschland sehr dienlich sein könnte.