Die UN-Nachhaltigkeitsziele im Kontext der globalen Kulturellen Bildung
Abstract
Die Sustainable Development Goals (SDGs) wurden von den Vereinten Nationen in der Agenda 2030 als weltweite Entwicklungsziele formuliert. Die 17 Nachhaltigkeitsziele bieten eine Vielfalt an Themen, welche für die Gestaltung einer zukünftigen Gesellschaft eine große Rolle spielen. Die deutsche Bildungslandschaft nimmt sich dieser Zielsetzungen immer häufiger als inhaltliche Schwerpunkte an indem sie, bspw. in der entwicklungspolitischen Bildung, als inhaltlicher Bezugsrahmen eingesetzt werden. Dabei steht nicht die Umsetzung eines Ziels, sondern die Aufklärung über die globalen Zusammenhänge im Vordergrund.
Als entwicklungspolitische Agenda stehen die SDGs in der Kritik sich nur oberflächig mit den weltweitern Problematiken auseinander zu setzen und die Komplexität nicht fassen zu können. Aus bildungstheoretischer Perspektive bieten sie jedoch einen guten Ansatz, um Thematiken aufzugreifen und vertiefen zu können.
Auch die Kulturelle Bildung kann davon profitieren, die SDGs als inhaltliche Komponente in ihre Praxis einzubauen. Besonders mit dem Blick auf Kooperationen zwischen Jugendkultureinrichtungen aus dem Globalen Süden birgt die Betrachtung eines Themas aus zwei Perspektiven das Potential, zwischenmenschliches Lernen zu fördern und Vorurteile abzubauen. Die BKJ unterstützt Träger*innen dabei, Projekte im Rahmen der Förderlinie weltwärts Begegnungen umzusetzen. Hier kommen Jugendgruppen aus Deutschland und einem Land des Globalen Südens zusammen und beschäftigen sich gemeinsam mit einem bestimmten SDG. Die Vielfalt der Träger*innen spiegelt sich auch in den Ergebnissen wieder. Tanz, Theater, Zirkus und Urban Arts dienen als Zugang für die Jugendlichen, um sich mit den SDGs auseinanderzusetzen.
Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) sind derzeit in aller Munde. Als Grundlage für Modelle der nachhaltigen Entwicklung müssen sie dabei nicht selten als Zukunftsvision herhalten. Der Anspruch an die UN-Mitgliedsstaaten ist dabei hoch, denn diese erwarten durch die gemeinsam formulierten Entwicklungsziele nichts Geringeres als die „Förderung nachhaltigen Friedens und Wohlstands […] zum Schutz unseres Planeten“ (vgl. Vereinten Nationen:o.S.).
Auch im Bildungskontext der Kulturellen Bildung werden diese Ziele immer häufiger als thematischer Bezugspunkt eingesetzt und nehmen zunehmend Einfluss auf Bildungskonzepte und Diskurse (siehe: Bianca Fischer „Kulturelle Bildung für nachhaltige Entwicklung“ und auch Ute Stoltenberg „Kultur als Dimension eines Bildungskonzepts für eine nachhaltige Entwicklung“). Dabei liegt nicht zwingend auf der Hand, was diese Sustainable Development Goals (SDGs) wirklich sind, in welchem Kontext sie sich verorten und wie, wo und von wem sie angewendet werden sollen. Der folgende Artikel möchte einen Blick auf die SDGs aus bildungstheoretischer und konzeptioneller Sicht werfen und erkunden, ob und wie diese in der Kulturellen Bildung und vor allem im internationalen Bereich eingesetzt werden können.
Die SDGs: Potenzial und Kritik
Die 17 Nachhaltigkeitsziele wurden 2015 von den 193 UN-Mitgliedstaaten mit der Intention, die sozialen wie ökologischen Schieflagen auf globaler Ebene zu bekämpfen, im Rahmen der Entwicklungsagenda 2030 beschlossen. Sie lösen die sogenannten Millennium Development Goals (MDGs) ab, welche in der Kritik standen, mit ihren acht Unterzielen nicht konkret genug zu werden und auf einem linearen Verständnis von Entwicklung zu basieren (vgl. Debiel 2018:5ff.). Beide Zielformulierungen sind im entwicklungspolitischem Kontext zu betrachten und legen normative Ziele fest, welche innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erreicht werden sollen und deren Erfolg über Indikatoren bestimmt werden kann.
Die SDGs nehmen mit 17 Zielen und insgesamt 169 Unterzielen sowohl die klassischen Felder der Entwicklungspolitik (Armut, Hunger, Gesundheit) als auch globale Problemlagen wie Umweltschutz, Klima und saubere Energie in den Fokus (siehe: Ernst Wagner „Zum spannungsreichen Verhältnis von BNE und Kultureller Bildung"). Ein wichtiger Ansatz ist dabei, dass die entsprechenden Zielsetzungen nicht nur für die Länder des Globalen Südens, sondern auch für die des Globalen Nordens gelten, sodass jedes Land spezifische Indikatoren anwenden kann, um die eigene Entwicklung zu beurteilen. Sie haben also den Anspruch, das Paradigma des Geber-Nehmer-Verhältnisses aufzulösen und stattdessen Problemlagen ganzheitlich zu betrachten und lokale sowie globale Handlungsansätze zu entwickeln. In der Kritik stehen sie dabei u. a., weil die unterzeichnenden Länder nicht zu einer Einhaltung der Ziele verpflichtet werden und eine Bekenntnis somit eher auf dem Papier besteht, als dass bisher klare nationale Aktionspläne entwickelt wurden. Darüber hinaus scheint eine Auflösung des Geber-Nehmer-Verhältnisses − besonders unter der Betrachtung des geschichtlichen (post)kolonialen Kontextes vieler Länder des Globalen Südens – utopisch, da hierfür eine Anerkennung als gleichberechtigte (Handels-)Partner und somit der gleichberechtigte Zugang zum globalen Markt und die Streichung aller Schulden notwendig wären. Aram Ziai benennt die SDGs aus diesem Grund als ein nächstes Trostpflaster eines Ungleichheit produzierenden globalen Kapitalismus, bei dem ein Lernen vom Globalen Süden im Sinne anderer Wissens- und Gesellschaftsformen nach wie vor nicht stattfindet (vgl. Ziai 2018).
Aufgrund des ambitionierten Plans der Agenda 2030 als „Transformationsagenda“ (vgl. UN – Generalversammlung) und der Verbindung von unterschiedlichen Themenkomplexen kommt ihr jedoch wesentlich mehr Aufmerksamkeit zu, als dies bei auf einzelne Sektoren beschränkte Debatten der Fall ist. Die Zusammenfassung der einzelnen Teilbereiche in die 17 Ziele kann somit einerseits als eine Bündelung von Kräften und Ressourcen, andererseits aber auch als eine schwammige Zusammenfassung von Themen gesehen werden, welchen dadurch ihr Alleinstellungsmerkmal und damit auch oft die Grundlage zur finanziellen Unterstützung genommen wird.
Bildungsansätze zu den SDGs und ihre Perspektiven
Obwohl die UN-Nachhaltigkeitsziele einen ganz klaren entwicklungspolitischen Fokus haben, spielen sie eine immer größere Rolle im Bildungskontext, sowohl im schulischen, als auch im außerschulischem Bereich. Bildungskonzepte wie das Globale Lernen oder die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) beziehen sich in ihrer Themensetzung immer häufiger auf diese. Beide Bildungskonzepte setzen sich mit sozial-ökologischen Ungleichheiten auseinander und suchen Wege, alternative Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Das „Globale Lernen“ gibt als Konzeptansatz mit den Grundsätzen „Erkennen, Bewerten, Handeln“ einen Lerndreischritt vor, welcher den Teilnehmer*innen die Komplexität des eigenen Handelns bzw. Konsumverhaltens in einer globalisierten Welt sowie Alternativen dazu aufzeigen soll. Dabei verbinden sich soziale mit ökologischen Fragen. Das Konzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ soll zum zukunftsfähigen Handeln befähigen (vgl. ) und legt den Fokus eher auf Nachhaltigkeit im Sinne der Weltgesellschaft und betont die Rolle der Teilnehmer*innen als selbstermächtigte Zukunftsgestalter*innen. In beiden Ansätzen werden die einzelnen Ziele und Unterziele der SDGs als Aufhänger für Aufklärung in und Beschäftigung mit einem entsprechenden Schwerpunktthema genutzt. Der Anspruch besteht also nicht darin, innerhalb eines Bildungsprogramms für die Umsetzung eines Ziels zu sorgen, sondern über dieses aufzuklären und den Teilnehmer*innen aufzuzeigen, welche Handlungsmöglichkeiten wer wo und wie hat.
In den vergangenen Jahren haben Bildungsprogramme, Projekte, Fördermaßnahmen, Materialien und Methoden zu den SDGs eine besondere Aufmerksamkeit erhalten. Dies ist sicherlich auch dem Umstand zu verdanken, dass – v. a. in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit – Projekte mit diesem Schwerpunkt eine höhere Fördermöglichkeit erhalten haben. So legt bspw. ein Großteil der Angebote der staatlichen Serviceagentur Engagement Global einen Fokus auf die SDGs (ebd.).
Während also auf der einen Seite viele neue Fördermöglichkeiten in der deutschen Bildungslandschaft entstehen, wird auf der anderen Seite die Kritik laut, dass die tatsächliche Umsetzung auf staatlicher Ebene zu langsam voranschreitet (vgl. CorA 2019). Vielen Staaten wird dabei vorgeworfen, dass sie den Fokus zu sehr auf die Bewerbung und Kommunikation sowie den Verkauf des „Produktes“ SDG legen, anstatt tiefgreifende Debatten zu führen und Rahmenbedingungen zu ändern, welche den Weg zur Erreichung dieser ebnen würden (vgl. Staudt 2019).
Mit Bezug zur Bildungsarbeit wird darüber hinaus immer wieder bemängelt, dass sich Angebote nur auf ein Ziel (bspw. SDG 5 „Geschlechtergerechtigkeit“) beziehen und somit ein „Silo-Denken“ fördern (vgl. Wals 2019), wo ein Zusammendenken mit anderen Zielen notwendig wäre, um die tatsächliche Komplexität von Problemlagen zu erfassen. Arjen Wals (2019) macht deutlich, dass diese Beschränkung oft mehr schadet als hilft, da Zusammenhänge und Beziehungen nicht hergestellt und erkannt werden und dies die Ziele teilweise gegeneinander ausspielt. Wichtig sei es v. a., das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren, um so zu erkennen, dass auch in Veränderungsprozessen ein großes Lernpotenzial liegt (vgl. Wals 2019).
Dass eine ganzheitliche Betrachtung der Agenda 2030 häufig nicht möglich ist, begründet sich nicht selten in dem Umstand, dass Fördermittel nur unter der Auflage der Fokussierung auf ein bestimmtes Ziel bereitgestellt werden. Zum selben Zeitpunkt profitiert die Bildungslandschaft von der Zusammenfassung der vielfältigen Themenfelder unter den 17 Zielen und der einfachen Formulierung dieser. Hintergrundrecherche und Methodensammlungen werden so einfacher.
Kulturelle Bildung zwischen Agenda-Setting und Bildungskonzepten
Während normative Bildungskonzepte wie das Globale Lernen davon profitieren, mit einer klaren Zielsetzung zu arbeiten, liegt die Stärke der Kulturellen Bildung in ihrer Prozess- und Teilnehmenden-Orientierung. Der partizipative Anteil ist in den meisten Fällen wesentlich höher als im Bereich Globales Lernen/BNE und ermöglicht den Teilnehmer*innen die Gestaltung des Prozesses weit über die kreative Arbeit hinaus. So scheint es auf den ersten Blick konträr, die Prozessorientierung mit der Zielorientierung zusammen zu denken und die SDGs als ein mögliches Ausgangsszenario für Projekte der Kulturellen Bildung zu sehen.
Auf den zweiten Blick jedoch bieten die SDGs die Möglichkeit, globale Thematiken lebensweltorientiert zu betrachten und somit auch den Alltag und die Interessenfelder junger Menschen widerzuspiegeln (siehe: Braun-Wanke/Ebel „Gute Praxis im Porträt: Analyse und Empfehlungen gelebter Bildungsarbeit an der Schnittstelle Kultureller Bildung und BNE"). Richten wir uns an dem Gedankengang Arjen Wals aus und betrachten v. a. das Lernpotenzial, welches in dem Veränderungsprozess liegt, welchen wir auf dem Weg zu einem gesetzten Ziel durchlaufen, bewegen wir uns schnell im Bereich des sogenannten Transformativen Lernens (vgl. Wals 2019). Dieser Ansatz setzt auf zukunftsorientierte Bildung im Sinne eines Erlernens von Fähigkeiten, die zu eigenständigem Denken und Handeln in Umbruchgesellschaften befähigen. Es geht also um den Suchprozess als Gegenstand der Bildungsarbeit. Während im Globalen Lernen die 17 Ziele häufig als normative Setzung betrachtet werden, fokussiert das Transformative Lernen auf den Weg dorthin und die dadurch entstehenden Unsicherheiten und neu entdeckten Stärken.
Kulturelle Bildung hat das Potenzial, das Transformative Lernen durch die eigenen methodischen Ansätze zu bereichern und zu unterstützen (siehe: Kulturelle Bildung ist Koproduktion >> Außerschulische und schulische Kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche wirksam entfalten – eigenständig und gemeinsam. Positionspapier der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung). Die Prinzipien der Kulturellen Bildung wie Eigenständigkeit, Freiwilligkeit und Prozessorientierung der Teilnehmer*innen tragen ebenso zur Bildung von zukunftsfähigen Fähigkeiten bei wie ein kreatives Denken und Handeln. Die SDGs können hier wichtige Ausgangsimpulse liefern und bieten eine gute inhaltliche Grundlage, um Interessen von jungen Menschen zu vertiefen, auf bereits existierende Prozesse hinzuweisen und sich intensiv mit einzelnen Themenfeldern auseinanderzusetzen. Umgekehrt bergen sie jedoch auch die Gefahr, dass eine Auseinandersetzung nur zu bestimmten Themen aus einer sehr speziellen Blickrichtung stattfindet. Daher sollten die Themen nicht vor Beginn eines kreativen Arbeitsprozesses feststehen, sondern − umgekehrt − von den Teilnehmer*innen selbst definiert werden.
Die Auseinandersetzung mit den SDGs im Bereich der Kulturellen Bildung findet derzeit einerseits über die Annäherung an die Themenbereiche anhand von künstlerischen Methoden statt, so dass bspw. Tanz- und Theaterübungen eingesetzt werden, um sich einem Thema zu nähern. Hier verbinden sich Kulturelle Bildung und SDGs in einem diskursiven Gestaltungsprozess. Die Kunstform kann jedoch auch als „Vertonung“ der vorher stattgefundenen Auseinandersetzung eingesetzt werden. Die Teilnehmer*innen können sich auf diese Weise thematisch mit einem bestimmten Ziel auseinandersetzen und diese Auseinandersetzung dann in ihre Performances übertragen.
Die Begegnung der jungen Schauspieler*innen des Jugendtheater in Konstanz und des Vereins Hope Human Rights e.V. mit der Schule für modernen Tanz aus Dar es Salam Tansania, MuDa Africa, verdeutlich, wie die Beschäftigung mit dem Ziel 4 „Hochwertige Bildung“ aussehen kann (siehe Video: We are all equal but different).
Neben Inputs und Sessions unter Nutzung verschiedener Methoden, tauschen die Teilnehmer*innen ihre Erfahrungen aus, besuchen kulturelle Bildungsstätten in beiden Ländern und reflektieren das Erlebte. In einem von den Jugendlichen entwickelten Tanztheater-Stück bringen sie ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema direkt auf die Bühne. Das Ziel dieses Projektes ist es also nicht, unter Druck ein Stück zu kreieren, sondern aus den eigenen Erfahrungen heraus eine Präsentation zu erarbeiten, sozusagen als Bei-Produkt. (Für mehr Informationen und Beispiele vieler weiterer Projekte vgl. die Website von Hope Human Rights e.V.)
Doch wie auch immer die Projekte Kultureller Bildung konzipiert sind, eines gilt gleichermaßen für alle: Nachhaltigkeitsthemen wie Umweltschutz, lebenswerte Städte und andere sind für junge Menschen von höchster Relevanz. Die Themenwelt rund um die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele bietet sich deshalb für die Kulturelle Bildungsarbeit besonders an – insbesondere, da sie die derzeit größten globalen Herausforderungen umfassen, die v. a. junge Menschen betreffen und betreffen werden.
Globale Perspektiven und Jugendliche als Expert*innen
Zukunftsweisend für Akteur*innen der Kulturellen Bildung ist die Verknüpfung mit weiteren politischen Feldern wie bspw. der Entwicklungszusammenarbeit.
Internationale Kooperationen und Partnerschaften spielen in der entwicklungspolitischen Agenda eine tragende Rolle, sodass auch die Förderung von globalen Begegnungen unter dem Gesichtspunkt der SDGs wichtiger Bestandteil ist. Ein Aufenthalt in einem Land des Globalen Südens oder des Globalen Nordens kann dabei den eigenen Horizont für das Verständnis der globalen Dimension der SDGs öffnen, zum Verstehen globaler Zusammenhänge beitragen und dabei helfen, in diesem Rahmen die eigenen Handlungs- und Einflussmöglichkeiten zu kennen und realistisch einschätzen zu können.
Der Blick kann so über den Tellerrand der deutschen Kulturellen Bildungslandschaft hinausgehen. Hierzu ein Beispiel: Die LKJ Baden-Württemberg hat sich mit der Tanzanian Youth Coaliation zusammengeschlossen und eine Jugendbegegnung organisiert, bei der die jungen Menschen sich filmisch mit dem SDG 9 „Innovationen und Infrastuktur“ auseinandergesetzt haben. Herausgekommen sind drei Filme, welche jeweils einen Themenschwerpunkt aus beiden Perspektiven beleuchtet. Hier der entstandene Film zum Thema Mobilität:
Die Betrachtungsweise ein und desselben Themas aus so unterschiedlichen Blickwinkeln öffnet vielen (jungen) Menschen die Augen für die eigenen Lebensrealitäten und damit verknüpfte globale Zusammenhänge. Das gemeinsame Erarbeiten einer Produktion oder Präsentation trägt dabei häufiger zum interkulturellem Verständnis bei als jeder Universitätskurs. Kulturelle Bildung kann zudem für junge Menschen in globalen Begegnungsprojekten Anknüpfungspunkte schaffen, die ihnen vorher nicht bewusst waren. Sie werden dabei als Expert*innen in ihrer Ausdrucksform wahrgenommen und sind Spezialist*innen, wenn es um die Alltagserfahrungen mit Blick auf ein bestimmtes SDG geht. Auf diese Art findet ein Austausch statt, der es jungen Menschen ermöglicht, voneinander zu lernen und eine Brücke zwischen ihnen zu schlagen, wie es das nachfolgende Video dokumentiert. 9427 ).
Praktische Umsetzung als Herausforderung
Durch die Förderung von Engagement Global in der Förderlinie weltwärts Begegnungen werden vielfältige Begegnungen realisiert. Die BKJ begleitet als strategischer Partner in ihrem Projekt jugend.kultur.austausch global Träger*innen der Kulturellen Bildung sowohl bei der Antragsstellung als auch im Qualifizierungsprozess für diese Praxis.
Für die Träger ist es wichtig zu beachten, dass die Gestaltung eines solchen Projektes bereits im Antragsprozess beginnt. So ist es beispielsweise besonders wichtig, alle beteiligten Partner*innen bereits bei der Auswahl des SDGs mit einzubeziehen. Auf diese Weise kann die schwierige Brücke zwischen Antragslogik, in welcher Detailpläne sowie die Fokussierung auf ein bestimmtes SDG bereits festgelegt sein müssen, und dem Anspruch an Partizipation geschlagen werden.
Bei globalen Begegnungen besteht die besondere Herausforderung darin, neben den Jugendlichen, auch die Partner*innen im Globalen Süden mit zu beteiligen, um ein gleichwertiges Projekt sowie gegenseitige Verantwortungsübernahme zu ermöglichen.
In der Durchführung der Projekte hat es sich bewährt den Jugendlichen ausreichend Zeit einzuräumen sich mit den SDGs auseinander zu setzen und auf kreative Weise einen Zugang zu finden. Besonders wichtig ist es, sich wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass die Kulturelle Bildung keinesfalls auf die Umsetzung der Ziele hinwirkt, sondern die SDGs als Bildungsgrundlage nutzt und somit ihr bereits bestehendes pädagogisches Konzept inhaltlich erweitert.
Wissensabfrage und die Einordnung in richtig und falsch können hier nicht an erster Stelle stehen. Stattdessen sollten die Jugendlichen darin bestärkt werden, Neugierde zu entwickeln. Die Hilfestellung sollte darin bestehen, die sperrigen Texte der Vereinten Nationen gemeinsam nicht nur in eine eigene Sprache, sondern auch auf die eigenen Kontexte zu übersetzen: Wo betrifft mich dieses Problem? Welche Missstände kann ich in meinem direkten Umfeld erkennen, die auf ein bestimmtes SDG als Lösungsstrategie hinweisen? Kann ich mir andere Lösungen dafür vorstellen? Wie werden ähnliche Problemlagen in den unterschiedlichen Partner*innen Kontexten gehandhabt? Welche Rolle spielen sie für die Menschen vor Ort? Auf einer großen Entdeckungsreise durch den eigenen Alltag, oder eben den Alltag der anderen, kann all diesen Fragen nachgegangen werden.
In der Praxis wurden solche „Forschungsreisen“ beispielsweise über gemeinsame filmische Reportagen und die vorherige Arbeit am Drehbuch realisiert (vgl. Video der LKJ Baden-Württemberg); ebenso wie die Auseinandersetzung mit Armut und Vorurteilen über die Körperarbeit und den Ausdruck im Tanz stattgefunden hat (vgl. Cactus Junges Theater, Münster).
Auch in Zeiten einer globalen Pandemie, in denen ein realer Austausch zwischen Ländern und Jugendgruppen schwierig ist, sind viele Gruppen weiterhin in Kontakt. Dabei spielt nicht nur die Frage nach der jeweiligen Situation vor Ort oder der Umgang mit dieser eine Rolle. Auch hier wird sich digital vernetzt und über Videotutorials, homestories und Live-Chats ein kreativer Austausch gestaltet, der es ermöglicht, einen Einblick in die Realitäten der anderen zu bekommen und sich gleichzeitig inhaltlich auszutauschen bzw. kreativ auszudrücken.
Trotz aller Kritik an den SDGs in ihrer Formulierung und Umsetzung als Entwicklungsagenda kann demnach festgehalten werden, dass sie – besonders für globale Begegnungsformate in der Kulturellen Bildung – eine starke Grundlage für einen gemeinsamen Auseinandersetzungsprozess bieten. Die Grundsätze der Prozess- und Teilnehmenden-Orientierung der Kulturellen Bildung bieten dabei die perfekte Voraussetzung, sich im Sinne des Transformativen Lernens auf den Suchprozess und den eigenen Alltag zu fokussieren.