Die Transformation zu einer ökologischen Kulturpolitik ... weit über einen Technologiewandel hinaus

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von Sylvia Amann

Erscheinungsjahr: 2021

Abstract

Die ökologische Transformation, der Grüne Deal, der Klimaschutz sind in aller Munde – auch im Kultursektor. Allerdings besteht eine große Divergenz zwischen den zahlreichen und vielfältigen Bekenntnissen zur Ökologie und tatsächlichen Umsetzungsschritten. Die bisherige kulturpolitische Umsetzung bleibt Großteils an der Oberfläche des Themas stecken. Debatten zu Wertesystemen und kulturellen Rechten, die Potenziale der Einbindung aller Bürger*innen und die thematischen Fokussierungen der Ökologisierung mit Kunst und Kultur kratzen nur an der Oberfläche dieses zentralen Politikfeldes. Green Events und „grüne“ Kulturinfrastrukturen sind äußerst fragmentarisch realisiert. Kulturpolitische Rahmenbedingungen und Förderprogramme müssen den ökologischen Erfordernissen und Möglichkeiten dringend angepasst werden. Auch Kulturverwaltungen haben diesbezüglich eine Vorbildfunktion. Fünf Leitsätze sollten den Weg zu einer ökologischen Kulturpolitik begleiten. Mehrere Praxiseinblicke verdeutlichen, wie eine erfolgreiche ökologische Kulturpolitik kulturelle Diversität und Bio-Diversität als Einheit verstehen und gestalten kann.

Wertesystem eines Öko-Kultur-Politik-Systems

Aus welchen Bausteinen besteht ein Öko-Kultur-Politik-System ist eine grundlegende Frage zur Entwicklung dieses Politikfeldes. Generell sollten Kulturpolitiken aus der sogenannte Governance – ihrem Entwicklungs- und Abwicklungsmechanismus und Kontext – bestehen. Sie beinhalten darüber hinaus einen thematischen Rahmen, den praktischen und so weit wie möglich motivierenden Kontext der Umsetzung und als transversales Element einen (Weiter-)Bildungs- und Forschungsbereich. Diesbezüglich unterscheidet sich eine ökologische Kulturpolitik primär nicht von beispielsweise dem Politikfeld Innovation. Ein systematischer Vorschlag für die Governance von innovations-orientierter Kulturpolitik wurde beispielsweise im Rahmen des EU-Creative Flip Projekts erarbeitet (Amann/De Voldere/Fraioli,/Heinsius 2021).

Wertesystem einer ökologischen Kulturpolitik
© Amann /De Voldere/Fraioli/Heinsius 2021

Ein maßgeblicher Unterschied zu einer ökologischen Kulturpolitik liegt darin, dass sich die Innovationspolitik im existierenden Wertekanon wie u.a. der Konsumorientierung und der bestehenden Haltung zur Ressourcennutzung bewegt.

Die ökologische Kulturpolitik geht über eine „klassische“ Innovationspolitik hinaus. Sie müsste sich im Klaren werden, welche Aktivitäten eine (allfällige auch intensive) Ressourcennutzung für Gesellschaft und/oder Wirtschaft noch rechtfertigen. Die dahinter schwerer wiegende Frage besteht darin, welche – auch kulturellen und künstlerischen Aktivitäten – eine intensive Ressourcennutzung nicht mehr rechtfertigen und damit allfällig auch nicht mehr von öffentlicher Kulturförderung profitieren sollen bzw. sogar ordnungspolitisch eingeschränkt werden. Besonders anschaulich wird das im Hinblick auf internationalen Kulturaustausch und eine der zentralen Fragen, wer zur Kulturzusammenarbeit noch nach Fernost oder Afrika fliegen soll dürfen bzw. welche Kulturschaffenden für welche Aktivitäten aus den außereuropäischen Ländern noch nach Europe kommen sollen?

Ressourceneinsatz für alle Handlungsalternativen kritisch beleuchten

Die Alternativen aus der digitalen Welt sind im Hinblick auf Ressourcenverwendung nicht viel schonender (BBC 2020). Und wiegen die Mehrwerte, wie Begegnung, künstlerische Inspiration, interkontinentale Solidarität und Verständnis für globale Zusammengehörigkeit mehr als der verursachte CO2-Ausstoß? Und wie wirken sich diese Entscheidungen auf die kulturellen Rechte und gleichberechtigte Teilhabe sowie den Zugang zu Absatzmärkten für Kreativleistungen weltweit aus?  

Eine ähnliche Diskussion kann auch im Hinblick auf neue Kulturbauten geführt werden, um ein zweites Beispiel anzuführen. Welche Kulturbauten rechtfertigen eine weitere Versiegelung von (kultivierbarem) Boden? Argumentiert könnte diesbezüglich auch werden, dass die Architektur im Sinne des ökologischen Bauens gerade auch an Kulturbauten anschaulich darstellen könnte, wie ressourcenminimierende Bauprojekte umgesetzt werden. Die EU-Initiative New European Bauhaus (Europäische Kommission 2021) bewegt sich u.a. auf dieser Argumentationslinie. Argumentationslinien sind aber noch keine wertebasierten Referenzrahmen und diese sind weder gesamtgesellschaftlich noch gesamtwirtschaftlich noch für einen künftigen ökologischen Kulturbetrieb ausreichend debattiert und definiert. Sie müssten auch ökologisierte kulturelle Rechte umfassen wie beispielsweise nachhaltige Mobilität zur kulturellen Teilhabe.

Bürger*innen-Kulturpolitik vs. Besucher*innen-Kulturpolitik

Teilhabe ist diesbezüglich ein Schlüsselelement für eine erfolgreiche ökologische Kulturpolitik und damit stellt sich die Frage, wen ein solches Politikfeld adressieren soll. Die „traditionelle“ Kulturpolitik spricht in der Regel von Besucher*innen und Nicht-Besucher*innen. Diesbezüglich wurde umfassend in das sog. Audience Development und Kulturvermittlung investiert, u.a. im Bereich der EU-Ebene im Förderprogramm Creative Europe 2014-2020 (Europäische Kommission 2014). Dieser löbliche Ansatz mit einem primären Fokus auf Besucher*innen scheint aber für eine ökologische Kulturpolitik zu kurz gegriffen.

Eine bessere Zielgruppe sind die Bürger*innen bzw. Bewohner*innen eines bestimmten Territoriums und damit ein territorial spezifischer Ansatz, da die ökologische Transformation einen Kulturwandel der sowohl transversal – alle gesellschaftlichen Akteur*innen sind betroffen – als auch ortspezifisch (z. B. die Gefahr von Waldbränden ist geographisch ungleich verteilt) – fordert. Der gesellschaftliche Wandel muss breit getragen werden und soll nicht auf Besucher*innen von Kulturveranstaltungen und entsprechender Vermittlungsprogramme beschränkt bleiben. Dieser Ansatz ermöglicht darüber hinaus die Einbindung von Schulen in Kulturaktivitäten innerhalb und außerhalb von Kultureinrichtungen nicht „nur“ über die fachspezifischen Bereiche des Kunst- oder Geschichtsunterrichts, sondern beispielsweise auch über die naturwissenschaftlichen Materien und den Bereich der politischen Bildung.

Kultur für eine erfolgreiche Transformation

Ein Wandel ist außerdem niemals eine technische, technologische oder wirtschaftliche Fragestellung allein und muss deshalb kulturell beispielsweise durch Diskurs, aber auch experimentell begleitet werden. Die Kultursektoren und die Kunst sind prädestiniert, mit ihren Mitteln der Ästhetik und des Kulturerbes diesen Kulturwandel zu begleiten. Ein anschauliches Beispiel stellt die Vorplatzgestaltung des Haupteingangs des estnischen Nationalmuseums in Tartu dar (Estonian National Museum Tartu, 2016), die großteils auf natürliche Wiesen statt dem erwartbaren Rasen setzt. Dieses Beispiel hat sowohl eine ästhetische Dimension (welche Art von Grünanlage wird als attraktiv bzw. schön empfunden?) und hat das Potenzial alltägliches Handeln (z. B. kann es eine positive Anerkennung geben, wenn auf das Rasenmähen im privaten Garten zugunsten der Biodiversität und der Verringerung des CO2-Ausstosses verzichtet wird?) zu verändern. Ein weiteres Beispiel ist die 2018 Taipei Biennale, die zum Thema “Post-Nature: a Museum as Ecosystem” eine Ausstellung gemeinsam mit indigenen Aktivist*innen zur Bedrohung für und Veränderung der traditionellen Siedlungsgebiete umgesetzt hat. Bewusstseinsprozesse sollten ausgelöst werden, dass mit der Zerstörung der Umwelt auch der Verlust der kulturellen und sprachlichen Praxis einhergehen (Taipei Biennial 2018). Kulturelle Diversität und Bio-Diversität würden bei einem solchen Ansatz als Einheit verstanden.

Ökologische Kulturpolitik auf lokaler Ebene – ein Praxisbeispiel

Ökologische Kulturpolitik müsste sich demnach allen Bürger*innen öffnen. Dafür wären neue Unterstützungsmechanismen notwendig und auch eine neue Art der Governance. Sie müsste dafür sorgen, dass es einen breiten inhaltlichen Diskurs gibt, der für einen Großteil der Bevölkerung zugänglich, erfahrbar und aktiv mitgestaltbar ist. Integrative, cross-sektorale Kultur- und Stadtteilpolitiken könnten u. a. diesbezüglich interessante Referenzansätze für nationale und EU-Kulturpolitik darstellen. Ein diesbezüglich vielversprechendes Modell setzt beispielsweise die Stadt Halandri in Griechenland seit dem Jahr 2020 um, das die Zugänglichmachung eines wichtigen antiken Erbes mit einem partizipativen Ansatz mit der lokalen Bevölkerung im Themenfeld Gemeingut Wasser kombiniert.

Die gängige Praxis der ökologischen und kulturellen Entwicklung in vielen Städten und Regionen ist nach wie vor davon geprägt, dass Vorhaben separat in eigenen thematischen Silos konzipiert und umgesetzt werden. Beispiele, wie jenes in Halandri, zeigen Potenziale für neue Wege der Politikgestaltung und der Umsetzung auf. Durch eine gemeinsame Planung von Vorhaben im Bereich des Kulturerbes mit den Anliegen und Träger*innen ökologischer Fragestellungen entsteht eine breitere und integrativere Perspektive. Synergien werden geschaffen im Hinblick auf die Finanzierung von Projekten. Noch wesentlicher ist allerdings der breitere Diskurs und die Partizipation: Das kulturelle Erbe – im Fall von Halandri ein antikes Aquädukt – kann eine neue Bedeutung im Hinblick auf die Lösung von aktuellen ökologischen Fragestellungen erhalten. Gleichzeitig ermöglicht ein solcher Projektansatz die Einbindung von Bevölkerungsschichten, die sich allfällig bisher gar nicht für kulturelles Erbe interessiert haben. Auch für den Bildungsbereich stellen solch integrative Vorhaben eine Möglichkeit dar, neues Interesse und im besten Fall auch Engagement für Kultur und Ökologie bei Schüler*innen zu wecken.

Stereotypen überwinden und Fokus verbreitern

Dieses Aufbrechen von sektoralen Betrachtungsweisen und die massive Intensivierung der cross-sektoralen Zusammenarbeit sind deshalb gerade für eine ökologische Kulturpolitik und die diesbezüglichen Unterstützungsmaßnahmen unerlässlich. Welchen Themenfelder sind in einem solchen cross-sektoralen Ansatz für eine ökologische Kulturpolitik besonders relevant?

Ökologische Kulturpolitik sollte sich weg von eingefahrenen Vorstellungen und Stereotypen bewegen. Dies wird besonders deutlich im Hinblick auf die Natur oder auch den als ökologisch intakt empfundenen sogenannten ländlichen Raum (Amann 2018). Eine neue ökologische Kulturpolitik wäre demnach auch wichtig im Hinblick auf einen Diskurs, der über die technischen Anpassungen hinausgeht. Aktivitäten und Projekte wie Green Events (Bundesministerium für Umwelt 2021), Green Screens (INTERREG EUROPE 2017), Green Museums (NEMO 2021) sind erprobt und diesbezüglich kann man sich auf Referenzpraxen beziehen und rasch einer breiten Umsetzung zuführen. Gerade die Schwerpunktsetzungen in den EU-Regionalförderungen im Hinblick auf den europäischen Green Deal sind ideal, die „technische“ Ökologisierung des Kultursektors voranzutreiben und beispielsweise Green Museums zum State-of-the-Art zu machen.

Mensch-Natur-Beziehung als Schwerpunktthema

Eine ökologische Kulturpolitik sollte sich stärker auf die breiteren und grundlegenderen Debatten konzentrieren, wie u. a. auf die Mensch-Natur-Beziehung. Gerne wird die Natur in Opposition zur Kultur gesetzt oder anders herum argumentiert, das Ideal der intakten Natur beschworen, die durch menschliche Eingriffe und Aktivitäten nicht weiter zerstört (oder gestaltet) werden darf. Interessante weiterführende Überlegungen des französischen Philosophen Baptiste Morizot umfassen das Selbstverständnis des Menschen, der sich wiederum als integraler Teil der Natur begreifen sollte. Aus der Opposition Mensch-Natur würde dadurch ein „Wir“ (wieder) entstehen (Morizot 2020). Weiter sollte das Verständnis entwickelt werden, dass die allergrößten Grünflächen, die uns umgeben, nicht unberührte Natur, sondern menschengeschaffene Kulturlandschaften sind – und das seit Jahrtausenden. Das betrifft beispielsweise die europäischen Bergalmen genauso wie die verwilderten Rinderweiden, in denen manche der bekanntesten afrikanische Nationalparks entstanden sind (Pearce 2016).

Ökologische Alltagskultur unterstützen – eine Bildungsaufgabe

Ein weiteres thematisches Feld mit hoher Relevanz für eine ökologische Kulturpolitik ist der gesamte Bereich der Alltagskultur. Beispielsweise das ÖKOLOG-Netzwerk des österreichischen Bildungsministeriums (Bundesministerium für Bildung 2021) möchte Schulen und Lehrer*innen auf ihrem Weg in eine neue ökologische Alltagskultur unterstützen – eine sehr positive Initiative, da sie Schüler*innen die Ökologie als transversale Aufgabe in allen Lebensbereichen vermittelt. Es beteiligen sich über 600 Schulen an diesem Programm. Die Bildungsangebote der Initiative decken breit die verschiedensten ökologischen Fragestellungen und Ansatzpunkte ab, die in Schulen umgesetzt werden können. Die Verknüpfung mit der kulturellen und künstlerischen Dimension des Wandels bleibt allerdings noch sehr eingeschränkt in den Angeboten der Plattform sichtbar. Die Plattform widmet sich u. a. dem Themenfeld des Upcyclings. Dennoch müsste man den Kulturwandel breiter denken und beispielsweise neben den bereits weit bekannten Design-orientierten Upcycling-Initiativen auch Angebote u. a. im Hinblick auf das Kulturerbe und Handwerkstechniken stärker mitdenken.

Leitsätze einer ökologischen Kulturpolitik

Eine neue Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert muss eine ökologische Kulturpolitik sein. Alle Politikfelder müssen den ökologischen Erfordernissen und den Rahmenbedingungen durch den Klimawandel angepasst werden. Das betrifft das gesamte Kultur-Öko-System entlang der Wertschöpfungsketten gleichermaßen wie beim Schutz des kulturellen Erbes als auch die Grundlagen des Zusammenlebens und Wirtschaftens generell – eine zutiefst kulturelle Frage. Und wie die US-amerikanische Autorin Naomi Klein bereits 2015 treffend formuliert hatte „This changes everything“.  

Für Entscheider*innen im Kulturbereich würde es demnach zu kurz greifen, beispielsweise ein einziges Förderprogramm für grünen Wandel aufzulegen, sondern es müssen das gesamte Fördersystem und alle Unterstützungsmaßnahmen ökologischen Anforderungen angepasst werden. Die Aufbauprogramme, die in der Europäischen Union für die Kultursektoren zur Überwindung der Folgen der Pandemiebekämpfung seit 2021 zur Verfügung gestellt werden, sind ein zentraler Ansatzpunkt für die Finanzierung der Umsetzung einer ökologischen Kulturpolitik. Diese muss allerdings weit über die Großteils bis dato vorgestellten ökologischen Investitionen in die Kulturinfrastruktur hinausgehen (Amann/De Voldere/Fraioli/Heinsius 2021) und rasch breite Aktionspläne entwickeln und umsetzen.

Konkretes Handeln für eine ökologische Kulturpolitik ist dringend im Hinblick auf die Vorgaben zum Klimaschutz und der Biodiversität sowie zum Erhalt der kulturellen Errungenschaften aus der Vergangenheit sowie des Kulturerbes. Fünf Leitsätze sollten, so Sylvia Amann,  das diesbezügliche Handeln der Kulturpolitik und -verwaltung bestimmen:

WERTE
Ökologische Kulturpolitik stellt den existierenden Wertekanon in Frage. Sie ist deshalb ein politisches Unterfangen und verlangt von Kulturverwaltungen und -politik Bereitschaft für Visionen und Experiment.

BREITE
Ökologische Kulturpolitik muss sich den Bürger*innen in ihrer Gesamtheit stellen, um zum notwendigen Wandel beizutragen. Die Orientierung auf Besucher*innen greift zu kurz. Das territoriale Umfeld ist wesentlich und maßgeblich.

INHALTE
Ökologische Kulturpolitik geht über einen Technologiewandel hinaus. Sie hat eine zentrale Rolle Rahmenbedingungen zu schaffen, die Debatten und demokratischen Zugang zu ökologisch-relevanten Themen ermöglichen.

NATUR
Ökologische Kulturpolitik sollte zentrale Themen für die Ökologisierung aufgreifen. Dazu gehört der integrative Ansatz der Mensch-Natur-Beziehung und die Überwindung diesbezüglicher stereotypischer Argumentarien und Handlungsweisen.

JETZT
Ökologische Kulturpolitik muss umgehend handeln. Die Umsetzung beinhaltet die Ökologisierung der Kultur-Öko-Systeme mit technischen Vorgaben, modernisierte Förderprogrammen und Unterstützungsmaßnahmen und eine Vorbildfunktion der Kulturverwaltung.