Transformation DDR >> BRD: Perspektiven Kultureller Bildung

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von Birgit Wolf

Erscheinungsjahr: 2023

Peer Reviewed

Abstract

Mit der Wiedervereinigung 1990 fand ein Wechsel von den zentralistischen DDR-Strukturen auf die pluralistischen Strukturen der föderalen BRD sowie vom sozialistischen ins kapitalistische System, von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft statt. In den fünf neuen Bundesländern fand eine grundlegende Transformation in allen Bereichen statt: rechtlich, strukturell, finanziell, ökonomisch, politisch. Diese gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen wirkten sich auch auf die Bereiche Kultur, Jugend und Bildung, die Kernbereiche der Kulturellen Bildung aus. Die Dynamiken der Transformation werden am Beispiel der Musikschulen und Pionierhäuser sowie dem jugendpolitischen Programm zum Aus- und Aufbau von Trägern der freien Jugendhilfe in den neuen Bundesländern dargestellt.

Vom Aufbruch in der DDR, der zur Wiedervereinigung wurde

Der Herbst 1989 bedeutete für einige in der DDR einen Aufbruch. Sie wollten eine andere DDR, eine „freiheitliche, sozialistische Alternative zur Bundesrepublik“ (Jochheim/Bundeszentrale für politische Bildung 2014) schaffen. Andere wollten die DDR erhalten, so wie sie war. Wiederum andere forderten ein vereintes Deutschland.

Helmut Kohl hatte dem Deutschen Bundestag bereits am 28. November 1989 einen Zehn-Punkte-Plan zu einem wiedervereinten Deutschland unterbreitet. Im Wahlkampf zur ersten freien Volkskammer versprach er Blühende Landschaften. Am 18. März 1990 stimmte die Mehrheit für Helmut Kohl, für die Allianz für Deutschland, ein Zusammenschluss der DDR-Blockpartei Christlich-Demokratische Union, der Deutschen Sozialen Union und des Demokratischen Aufbruchs. Schlagartig endete die Aufbruchsstimmung. Die Weichen waren auf Wiedervereinigung gestellt.

Nach dieser Wahl überschlugen sich die Ereignisse: Am 1. Juli 1990 wurde in der DDR die Deutsche Mark eingeführt. Zeitgleich trat das Treuhandgesetz in Kraft. Die neu gegründete Treuhandanstalt übernahm es, „über 12.000 Volkseigene Betriebe zu privatisieren. Etwa 3.000 Unternehmen werden stillgelegt. Darüber hinaus ist die Treuhandanstalt für rund 30.000 Einzelhandelsgeschäfte, Hotels und Gaststätten, landwirtschaftliche Nutzflächen und Liegenschaften verantwortlich“ (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) gewesen.

Volkskammer und Bundestag stimmten am 20. September 1990 für den Vertrag zwischen der BRD und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands, kurz Einigungsvertrag, der am 3. Oktober 1990 von den Regierenden der DDR und BRD ratifiziert wurde. An diesem Tag trat die DDR der BRD bei und aus 14 Bezirken entstanden fünf neue Bundesländer: Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen sowie das geeinte Berlin.

In den neuen Bundesländern wurden mit dem Einigungsvertrag sowohl die bundesdeutschen Strukturen und Finanzierungsmodelle als auch Organisationsformen sowie die politischen und rechtlichen Entscheidungsmechanismen eingeführt. Innerhalb von vier Monaten vollzog sich der Wechsel von den zentralistischen DDR-Strukturen auf die pluralistischen Strukturen der föderalen BRD sowie vom sozialistischen ins kapitalistische System, von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft.

Kunst, Kultur und kulturelle Teilhabe in der DDR

Den 16,675 Millionen Einwohner*innen, die 1988 in der DDR lebten, standen u.a. 741 Museen, 213 Theater, darunter 22 Puppentheater, 10 Kabaretts, 808 Filmtheater, 6.817 hauptamtlich und 7.382 nebenberuflich geleitete Bibliotheken sowie 1.838 Kultur- und Klubhäuser zur Verfügung. In 7.368 Interessengemeinschaften des künstlerischen Volksschaffens und Freundeskreise der Kunst engagierten sich 131.100 Mitglieder (vgl. Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1989:375 ff). Die kulturelle Jugendarbeit erreichte junge Menschen insbesondere in den Klubs. 1989 gab es „in der DDR 9.528 Jugendklubeinrichtungen mit 498.645 Plätzen“ (Groschopp 1993:22), die in Trägerschaft teils des Staates (Abteilung Kultur des Rates des Bezirkes, Kreises oder Stadt), teils der (staatlichen) Betriebe, Handelsorganisationen oder Genossenschaften oder teils der Abteilung Volksbildung des Kreises oder Stadt waren.

1968 wurde die Förderung von Kunst und Kultur und deren Vermittlung ebenso wie die Förderung von Körperkultur (Körperertüchtigung; Gesamtheit der Bestrebungen zur Pflege und Entwicklung des Körpers), Sport, Tourismus und Alltagskultur, der sozialistischen Lebensweise in der Verfassung der DDR verankert und somit formal zur Staatsaufgabe – langfristig geplant und systematisch ausgebaut. Der Artikel 18 lautete:

„(1) Die sozialistische Nationalkultur gehört zu den Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft. Die Deutsche Demokratische Republik fördert und schützt die sozialistische Kultur, die dem Frieden, dem Humanismus und der Entwicklung der sozialistischen Menschengemeinschaft dient. […] Die sozialistische Gesellschaft fördert das kulturvolle Leben der Werktätigen, pflegt alle humanistischen Werte des nationalen Kulturerbes und der Weltkultur und entwickelt die sozialistische Nationalkultur als Sache des ganzen Volkes.
(2) Die Förderung der Künste, der künstlerischen Interessen und Fähigkeiten aller Werktätigen und die Verbreitung künstlerischer Werke und Leistungen sind Obliegenheiten des Staates und aller gesellschaftlichen Kräfte. Das künstlerische Schaffen beruht auf einer engen Verbindung der Kulturschaffenden mit dem Leben des Volkes.
(3) Körperkultur, Sport und Touristik als Elemente der sozialistischen Kultur dienen der allseitigen körperlichen und geistigen Entwicklung der Bürger.“
(Verfassung der DDR 1968)

In vier Jahrzehnten hatte die DDR ein engmaschiges Netz an Kultureinrichtungen aufgebaut. Bildung für alle sollte unabhängig von der sozialen Herkunft und dem Wohnort möglich sein.

Um die Finanzierung der Kulturinstitutionen ebenso wie der neben- und ehrenamtlich organisierten Kulturarbeit in Filmklubs, Amateurtheater- und Amateurtanzensembles, Chören und Orchestern, Kabaretts und Zirkeln Schreibender Arbeiter (siehe: Rüdiger Bernhardt „Schreibende Arbeiter und ihre Zirkel – Erwartungen, Praxis und Ergebnisse“) brauchte man sich nicht zu sorgen: Das Ministerium für Kultur, der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), die Freie Deutsche Jugend (FDJ), der Kulturbund und andere gesellschaftliche Organisationen unterstützten die Kulturarbeit sowohl finanziell als auch personell. Zudem musste jeder Betrieb 3% der Lohnmittel für Kultur- und Sozialarbeit einsetzen.

Die Erziehung zur allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit war in der DDR eng verbunden mit der Vermittlung der sozialistischen Kultur an die junge Generation. Der sozialistisch denkende und handelnde Mensch sollte als Subjekt mit

  • „der Fähigkeit zur schöpferisch-produktiven körperlichen und geistigen Tätigkeit,
  • einer sozialistischem politisch-moralischen Grundhaltung und Konsequenz des Denkens und Verhaltens in allen Lebensbereichen,
  • dem Vermögen und Bedürfnis, sozialistischer Gemeinschafsbeziehungen herzustellen,
  • dem Streben nach Bildung, nach kulturell-künstlerischem Ausdruck“ (Kulturpolitisches Wörterbuch 1970:358) erzogen werden.

Das Recht auf (Kulturelle) Bildung stand allen zu, unabhängig von Alter, Herkunft und Wohnort. Insbesondere besaßen die Künste „eine große Bedeutung für die charakteristische, moralische, intellektuelle, politische und vor allem ästhetischer Erziehung und Bildung der jungen Generation“ (Kulturpolitisches Wörterbuch 1970:257). An alle wurde daher der Anspruch gestellt, sich rezeptiv und produktiv mit Kunst und Kultur zu befassen. Retrospektiv wird das auch so wahrgenommen: „Das kulturelle Unterhaltungsangebot in der DDR war immens: Die Arbeitsgemeinschaften in den Schulen und Musikschulen, die Tanzschulen, die Zirkel für bildende Kunst und Technik etc. betreuten Schüler und Erwachsene.“ (Heidi Graf in Mandel/Wolf 2020:109). 

Trotz der zentralistischen Steuerung kann man nicht von DER Kulturpolitik in der DDR sprechen.

„Es hatte sich eine Praxis eingebürgert, als Zielstellung der künstlerischen (bzw. kulturellen) Arbeit Ziele anzugeben, die den staatlich erwarteten entsprachen, ohne sich aber wirklich daran zu halten. Die Administrationen waren zu täuschen, und der einzelne konnte durchaus sein individuelles Konzept verwirklichen. An dieser Praxis von Konzeption und Unterlaufen derselben in der DDR wird deutlich, daß es eine in sich geschlossene staatliche Kultur so nicht gegeben hat. Es gab immer auch einen individuell nutzbaren Gestaltungsspielraum.“ (Hametner/Prautzsch 1993:330)

„Förderung und Kontrolle entsprachen den zwei Seiten einer Medaille.“ (ebd.:334) Denn Kunst und Kultur dienten der Erziehung der sozialistischen Persönlichkeit und der politischen Propaganda. Zur Kulturpolitik der DDR zählten aber auch Zensur, Auftritts- und Berufsverbote sowie ideologische Engstirnigkeit: Der Staat versuchte, das Kunst- und Kulturleben zu bestimmen und zu kontrollieren. Und die DDR-Bürger*innen lernten zwischen den Zeilen zu lesen, die Künste in ihrer Mehrdeutigkeit wahrzunehmen.

Zu den Orten der (außerschulischen) Kinder- und Jugendkulturarbeit zählten Pionierpaläste und -häuser, FDJ-Klubs, Kinder- und Jugendtheater, Schülerfreizeitzentren, Kulturhäuser ebenso wie die Strukturen des künstlerischen Laienschaffens mit Mal- und Zeichenzirkeln oder Fanfarenzügen – in  Zuständigkeit der Ministerien für Kultur und Volksbildung beziehungsweise des Pionierverbandes, der FDJ oder der Betriebe. Kinder und Jugendliche konnten sich vielseitig, ihrer Neigung entsprechend künstlerisch ausprobieren und produzieren und standen dabei zwischen Förderung und Kontrolle. Schüler*innen wurden „regelmäßig mit der sozialistischen Theater- und Konzertkultur vertraut gemacht; ganze Schulklassen haben Lessings Nathan, der Weise oder Brechts Mutter Courage gesehen, nahmen auch langatmige Klavierkonzerte oder seichte Operettenstoffe ergeben hin“ (Wolf 2014:116). Das endete zumeist 1990.

Kultur als (Ver-)Bindemittel

Mit der Wiedervereinigung trafen nicht nur zwei bis dahin verfeindete Systeme aufeinander. In den über 40 Jahren der Teilung hatten sich in der DDR eine unterschiedliche Identität, andere Werte, Strukturen und auch eine eigene Kultur herausgebildet (siehe: Birgit Mandel „Kulturelle Teilhabe in der DDR: Ziele, Programme und Wirkungen staatlicher Kulturvermittlung“). In der DDR wurde im kollektiven Geist erzogen und der Nische gelebt, in der ein Zusammengehörigkeitsgefühl die Menschen verband.

In den Jahren der Teilung galt die Pflege der deutschen Kultur als eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation. Kultur sollte auch „im Prozess der staatlichen Einheit der Deutschen auf dem Weg zur europäischen Einigung einen eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag“ (Einigungsvertrag Artikel 35 (1)) leisten. Der Artikel 35 des Einigungsvertrages legte den Erhalt der kulturellen Substanz und die „übergangsweise Förderung der kulturellen Infrastruktur, einzelner kultureller Maßnahmen und Einrichtungen“ (ebd.:5) aus Bundesmitteln fest. Damit veränderte sich zugleich die föderale Bundesrepublik: Erstmals übernahm der Bund in den neuen Bundesländern Aufgaben zur Förderung von Kunst und Kultur, die bis dato im Bereich der Kulturhoheit der Länder bzw. Kommunen lagen. Ein neues Kapitel der deutschen Kulturpolitik begann.

Im teilweise zermürbenden Prozess der deutsch-deutschen Veränderungen sollte Kultur zum Aufbau-Mittel für die Ostdeutschen und als (Ver-)Binde-Mittel für die Westdeutschen werden. Der Bund unterstützte die neuen Bundesländer und Kommunen mit „wesentlichen Mitteln aus dem Fonds Deutsche Einheit, dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost und der Kommunalen Investitionspauschale“ (Neunter Jugendbericht 1994:V). 1991 stellte allein der Bundesjugendplan den „Trägern der freien Jugendhilfe zusätzlich 47 Mio. DM für ihre Arbeit in den und für die neuen Bundesländer“ (ebd:VI) zur Verfügung. Diese gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen wirkten sich auf Kultur, Jugend und Bildung – die Kernbereiche der Kulturellen Bildung – aus.

Ostdeutsche Perspektiven auf die Wiedervereinigung

In einem nie erahnten Tempo vollzogen sich in den neuen Bundesländern „tiefgreifendste Umbrüche in allen, wirklich allen Lebensbereichen. Und angesichts der sich verschärfenden ökonomischen und sozialen Probleme machte sich dort – so schnell nach der Euphorie – Unsicherheit, bei einigen sogar eine Katerstimmung breit“ (Thierse 2010:19). Soziale wie berufliche Strukturen brachen weg. Großbetriebe wurden geschlossen, Ausbildungen nicht anerkannt. Das sich „seiner Tradition beraubte Arbeitermilieu Ostdeutschlands“ (Bude 2012:18) gibt sich teils bis heute dem stummen Zwang der Verhältnisse hin.

Ostdeutsche, insbesondere Jugendliche, fühlten sich nicht gefragt und empfanden das Eins-zu-eins-Überstülpen der westdeutschen Strukturen auf die ostdeutschen Bedingungen oft als Deklassierung. Während die ältere Generation in den Vorruhestand verabschiedet wurde, verloren viele jungen Menschen ihren Berufsabschluss, ihre Arbeit und somit ein Stück ihrer Identität. Viele Jugendliche suchten nach neuen Lebensperspektiven und fühlten sich dabei allein gelassen.

Statt Test the West entstand zu Beginn der 1990er Jahre in der Jugendkultur durch den „ersatzlosen Wegfall der gewohnten Alltagskultur von der ehemals schon spärlichen Kneipenkultur über Freizeitstätten und kulturelle Jugendeinrichtungen bis hin zu Spielstätten für Rockbands und -musiker ein Vakuum, das durch die ostdeutschen Tempel der Hochkultur nicht kompensiert werden“ (Wicke 1993:100) konnte. Es prägten sich „jugendspezifische Kulturformen aus, die auf die Erosion des Wertesystems, auf soziale Desintegration, auf Sinn- und Identitätsverlust mit der Produktion kultureller Zusammenhänge reagieren, in denen trotzig ein Stück DDR weiterzuleben scheint“ (ebd.:99). Ein anderer Teil nutzte die neuen Freiheiten, um ihre (Lebens-)Träume zu verwirklichen und gründete Gruppen der freien Szene ebenso wie Vereine. Ein weiterer Teil, vor allem junge Frauen, zog in die alten Bundesländer.

Ostdeutsche Jugendliche lebten in einer „faktisch schlechteren Lebenssituation gegenüber den Gleichaltrigen in den alten Bundesländern. [Anm.: Zudem wiesen ihnen die] westlichen Aufbauhilfen die Position der Hilfsbedürftigen zu“ (Neunter Jugendbericht 1994:574). „38% der 21- bis 24-jährigen [Anm.: ostdeutschen Jugendlichen bezogen 1994 Gelder aus dem staatlichen Unterstützungssystem wie der Sozialhilfe,] während dies nur für 6% der entsprechenden Altersgruppe in den alten Bundesländern“ (ebd.:38) relevant war.

In den ersten vier Jahren nach der Wiedervereinigung „verließen fast 1,4 Mio. Bürger ihre ostdeutschen Herkunftsländer“ (Martens/ Bundeszentrale für politische Bildung 2020). Das waren überwiegend gut ausgebildete, junge Frauen. 30 Jahre später sind die Folgen schrumpfende Kommunen sowie ein hoher Anteil männlicher, weniger gebildeter und ungebundener Männer. Der Mangel an gebärfähigen Frauen hat zur Folge, dass in weiten Gebieten Ostdeutschlands „jede Generation um ein Drittel kleiner sein wird als die vorige“ (Bude 2012:18).

Aus- und Aufbau der Strukturen Kultureller Bildung

Mit dem Zusammenbruch der staatlichen Finanzierung und dem Systemwechsel entstand 1990 ein Vakuum. Zum einen mussten die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, zum anderen die demokratischen und pluralistischen Strukturen der Kultur- und Jugendarbeit aufgebaut werden. Zugleich galt es den verunsicherten DDR-Mitarbeiter*innen eine mögliche Zukunft aufzuzeigen, für sie Fort- und Weiterbildungsangebote zu schaffen und diese zu finanzieren.

Der Dach- und Fachverband der kulturellen Jugendbildung, die Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (BKJ), und deren Mitglieder hatten das Gebot der Stunde erkannt. Das erste deutsch-deutsche Fachforum Kulturelle Jugendbildung fand am 9. Mai 1990 im Freizeit- und Erholungszentrum (FEZ) Berlin statt. In der Erklärung der Teilnehmenden an den Bundestag, die Länderregierungen und die Volkskammer hieß es:

„In Anbetracht der grundlegenden Veränderungen unserer gesellschaftlichen Entwicklung sind wir besorgt darüber, dass die Förderung der Jugendkulturarbeit wirtschaftlichen Sachzwängen und Prioritätensetzungen zum Opfer fällt, anstatt das bewährte Strukturen erhalten, neue Basisprojekte unterstützt und die Kooperationen der Träger in Ost und West wirksam gefördert werden.“ (Bockhorst 1990a:6)

Die Teilnehmenden aus der DDR verabschiedeten das Positionspapier Kulturelle Jugendbildung stärken! mit der Botschaft:

Der Mensch lebt nicht von Brot allein. Die Einheit der beiden deutschen Staaten muss von der kulturellen Bildung insbesondere der jungen Generation begleitet werden, soll die Einigung nicht über die Köpfe und Herzen der Menschen hinweg gehen.“ (Bockhorst 1990b:15)

Sie setzten sich ein für die strukturelle und finanzielle Unterstützung der DDR-Einrichtungen kultureller Kinder- und Jugendbildung wie Kulturhäuser, Musikschulen, Schülerfreizeitzentren, Jugendklubs sowie FDJ- und Pionierhäuser und darüber hinaus für den Erhalt der Volkskunstzirkel, Arbeitsgemeinschaften des künstlerischen Amateurschaffens und der Kulturkabinette.

Wie prekär die Situation der DDR-Kulturschaffenden war, verdeutlichen folgende Stimmen der Tagung Die Einheit und ihre Folgen der BKJ am 19. Oktober 1990.

  • „Als die Einheit nicht mehr zu verhindern war, waren alle Ebenen gezwungen, sich an den westlichen Modellen zu orientieren, sich über die Modelle zu informieren und zwangsläufig sich den BRD-Modellen anzupassen bzw. die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Selbstredend ein Prozess, der eher mit Frust verbunden war und ist als mit Aufbruchsstimmung.“ Nilson Kirchner, Netzwerk SpielKultur Prenzlauer Berg (Kirchner 1990:29)
  • „Wir sind innerhalb kürzester Zeit in die Lage versetzt worden, unsere eigenen Interessen und Vorstellungen selbst in die Hand nehmen zu können, aber auch zu müssen. [...] Wir können nicht gutheißen, dass mit finanziellen Versprechungen, die schon erpresserischen Charakter haben, Mitgliederwerbungen für Bundesverbände betrieben werden. Wir bitten also darum, lassen Sie den Amateurverbänden in der ehemaligen DDR die erforderliche Zeit, sich weiter zu konsolidieren, machen Sie Ihre Hilfe und Zusammenarbeit nicht davon abhängig, ob eine Erklärung zum Anschluss oder Beitritt erfolgt.“ Gerlinde Hennig, Verbände des künstlerischen Amateurschaffens (Hennig 1990:27)
  • „Schätzungsweise die Hälfte der früher über 200 Filmklubs der DDR hat vor diesen Bedingungen kapituliert.“ Reinhold T. Schöffel, Interessenverband Filmkommunikation e.V. (Schöffel 1990:23)

Das Statement des Deutschen Städtetags lautete auf dieser Tagung: „Die Förderung der kulturellen Jugendbildung in den Kommunen hängt damit wesentlich von den Finanzzuweisungen des Bundes und der Länder ab. [...] Die für die Stadtpolitik Verantwortlichen müssen eine wichtige Aufgabe darin erkennen, dass die für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sehr wesentlichen Angebote der kulturellen Bildung in ausreichendem Maße gefördert werden.“ (Scheytt 1990:33).

Aus- und Aufbau von Träger der freien Jugendhilfe in den neuen Bundesländern: Sicht der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung

Im Einigungsvertrag regelte der Artikel 32 den Auf- und Ausbau der freien Jugendhilfe und deren Förderung im Rahmen der gesetzlichen Zuständigkeiten.

Fünf bundesdeutsche Dachverbände – Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe, Deutscher Sportjugend, Deutscher Bundesjugendring, Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (BKJ) und eine gemeinsame Initiative der Träger der politischen Bildung – hatten im Oktober 1990 das Memorandum Jugendarbeit in der ehemaligen DDR verfasst. Infolgedessen bewilligte das Bundesministerium für Frauen und Jugend von Ende 1991 bis Ende 1994 das jugendpolitische Programm zum Aus- und Aufbau von Trägern der freien Jugendhilfe in den neuen Bundesländern (AFT-Programm), das von 70 hauptamtlichen Tutor*innen umgesetzt wurde.

Neben der BKJ partizipierten vier Mitgliedsverbände – Bundesarbeitsgemeinschaft Spiel und Theater, Jeunesses Musicales Deutschland, Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der BRD sowie Bundesverband der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen – vom 3-jährigen AFT-Programm. Dieses diente sowohl dem Aufbau der Infrastruktur als auch der Qualifizierung haupt-, neben- und ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen der Jugendarbeit.

Die Tutor*innen leisteten vor allem Praxis-, Politik- und Strukturberatung für die seit 1990 entstandenen Landesverbände in den Sparten Kultureller Bildung. Anfänglich überwogen der Beratungs- und Fortbildungsbedarf der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen, die Einarbeitung in das Verbandsmanagement sowie die rechtlichen und finanziellen Grundlagen.

Das AFT-Programm ermöglichte u.a. den Aufbau der Strukturen der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (LKJ). 1992 entstanden die Landesvereinigungen Kulturelle Jugendbildung Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen. Im Mai 1994 wurde die LKJ Sachsen-Anhalt sowie im Juni 1994 die LKJ Brandenburg gegründet. In Hessen, Bayern, Hamburg und dem Saarland war dies zu dieser Zeit noch nicht erreicht worden.

Als Standortbestimmung galt 1993 die Tagung Woher-Wohin? Kinder- und Jugendkulturarbeit in Ostdeutschland. Deutlich wurde, dass „der Transformationsprozess in Ostdeutschland, der Prozess der Entstaatlichung von Jugend- und Kulturarbeit noch lange nicht abgeschlossen ist und es noch vieler Anstrengungen aller Verantwortlichen in Praxis und Verwaltung bedarf, um die nötige Infrastruktur auszubauen und zu stabilisieren“ (BKJ 1994:19; siehe: Werner Thole „Straße oder Jugendclub: Reaktivierung der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit in den neuen Bundesländern“).

Das unmittelbar folgende Modellprojekt Entwicklung und Erprobungen von Weiterbildungsmaßnahmen für MitarbeiterInnen der Kinder- und Jugendkulturarbeit in den neuen Bundesländern – bewilligt vom 1. Oktober 1994 bis 31. März 1997 – diente der

  • Weiterentwicklung „tragfähiger Konzepte für eine gemeinsame Interessenvertretung und Vernetzung auf Landesebene,
  • Konzeption und Begleitung von Fortbildungsvorhaben,
  • logistische und fachliche Unterstützung von Modellvorhaben und landesweiten Projekten“ (Prautzsch 1994:8).

Ab 1995 verschlechterten sich die Rahmenbedingungen der Kulturellen Bildung u.a. durch das Auslaufen von Transferleistungen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen-Programmen. Der Geburtenknick in den neuen Bundesländern, der 1990 eine Halbierung der Geburtenzahlen zur Folge hatte, erreichte die Akteure der Kinder- und Jugendkulturarbeit. Der Legitimationsdruck der Träger nahm zu. Mit der dritten Phase, dem 3-jährigen Modellprojekt MachArt – Lernen für die kulturelle Bildung, versuchte die BKJ diese Kluft mittels innovativer, kulturpädagogischer, berufsbegleitender Fortbildungsreihen, Werkstatt-Tagungen und Werkstätten zu schließen (vgl. Wolf 2014:113).

Transformation konkret: Am Beispiel der Musikschulen und Pionierhäuser

Der im Herbst 1989 beginnende Transformationsprozess wird folgend anhand von zwei außerschulischen Einrichtungen Kultureller Bildung exemplarisch beschrieben, den Musikschulen und den Pionierhäusern.

Musikschulen

Zu Beginn der 1920er Jahre entstanden aus dem musikalischen Bereich der Jugendbewegung, der Jugendmusikbewegung, die Musikschulen in Hamburg und in Berlin, „um für breite Bevölkerungsschichten ein Angebot für die musisch-kulturelle Bildung zu haben“ (Stock 2005:271).

Durch die Betonung deutscher (Volks-)Musik fand die Jugendmusikbewegung nach 1933 bei den Nationalsozialist*innen Unterstützung. Die Reichsjugendführung forcierte die Gründung der Jugend- und Volksmusikschulen mit dem Ziel, möglichst allen Jugendlichen einen qualifizierten, preisgünstigen Musikunterricht anbieten zu können. Ab 1938 wurden die Musikschulen für Jugend und Volk errichtet, um eine einheitliche außerschulische Musikerziehung der Jugend und die musikalische Schulung der Erwachsenen im ganzen Reich sicherzustellen. Die Vielfalt der kommunalen, staatlichen oder privaten Einrichtungen für die musikalische Laienausbildung wurde somit beendet, die Strukturen wurden gleichgeschaltet. Die Zahl der Musikschulen wuchs schnell. Existierten im Sommer 1938 zehn Musikschulen, waren es 1939 bereits 66 mit insgesamt ca. 700 Lehrkräften und 15.580 Schüler*innen. 1942 stieg die Zahl auf ungefähr 120 Musikschulen an und lag 1944 bei ca. 160. Diese Musikschulen bildeten nach 1945 den Grundstein für die Musikschulen in öffentlicher Trägerschaft in der DDR wie auch in der BRD (vgl. Wolf 2014:26).

Nach der Kapitulation Deutschlands nahm die Musikschule Berlin-Neukölln 1945 ihren Unterricht wieder auf. 1953 existieren in Berlin „zehn Volksmusikschulen mit 7.000 Schülern“ (Musikschule Neukölln). 1948 eröffnete die 1940 gegründete Städtische Musikschule Hamm wieder. Zwölf wiedergegründete Musikschulen in Nordrhein-Westfalen schlossen sich 1952 zum Verband der Jugend- und Volksmusikschulen zusammen, dem heutigen Verband deutscher Musikschulen.

In der sowjetischen Besatzungszone wurden 1947 zehn Musikschulen wiedereröffnet. Durch die „Verordnung über Volksmusikschulen erfolgte ab 1955 der Ausbau kommunaler Volksmusikschulen mit hauptamtlichen Lehrkräften“ (Stock 2005:271) in der DDR. Diese standen im Sinne der Breitenarbeit allen sozialen Schichten und allen Altersstufen als Ausbildungs-, Freizeit- und Begegnungsstätte zur Verfügung. Die Offenheit wandelte sich zu Beginn der 1960er Jahre. Die Musikschulen bekamen den Auftrag der „Absicherung des Musikernachwuchses für die unverhältnismäßige hohe Zahl von 88 (!) Orchestern“ (Marckardt 1993:114), die 1989 in der DDR existierten. Daher stand in den folgenden Jahrzehnten die musikalische Elite-Ausbildung von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund. „An der Erfüllung dieser Aufgaben wurden die Musikschulen gemessen.“ (ebd.) Jedoch nahmen weniger als 10% der Schüler*innen das Musikstudium auf.

Musikschulen genossen in der DDR einen hohen gesellschaftlichen Rang. Die Vergütung der Musikschullehrer*innen war gleichgestellt mit Lehrer*innen der allgemeinbildenden Schulen. Unter der zentralistischen Führung des Kulturministeriums stehend regelten die Richtlinien für die Musikschulen die inhaltlichen und organisatorischen Belange. Die Zahl Musikschüler*innen war nach oben begrenzt, die Wartelisten lang. „Die Einnahmen erbrachten in der Regel 7% der Kosten, den Rest trug diskussionslos der Staat.“ (Oehme 1993:108) Dennoch konnte jede Musikschule ihr eigenes Profil, ihren eigenen Stil entsprechenden den Lehrenden und den regionalen Besonderheiten – wie die Pflege der Blasmusik im Erzgebirge – entwickeln. 1989 bestanden fast „230 staatliche Musikschulen (124) und Musikunterrichtskabinette (104)“ (Marckardt 1993:113).

Ab Herbst 1989 erfolgte der Aufbau des Musikschulverbandes der DDR sowie der Landesverbände, „um in Vorbereitung eines deutsch-deutschen Zusammenschlusses vergleichbare und verfügbare Gremien zu haben“ (ebd.). 778 westdeutsche Musikschulen waren Mitglied im Verband deutscher Musikschulen, nach dem Beitritt des Musikschulverbandes der DDR im November 1990 zählte dieser über 1000 (vgl. Verband deutscher Musikschulen). Die staatlichen Musikschulen der DDR wurden mit der Wiedervereinigung zumeist in kommunale Trägerschaft übernommen. Neue Unterrichtsformen wie verstärktes Gemeinschaftsmuszieren oder Bereiche wie „Rock/Pop/Jazz, Rhythmik/Percussion/Eurythmie“ (Marckardt 1993:112) und Angebote wie Musikalische Früherziehung führten dazu, dass sich die Zahl der Schüler*innen in den Nachwendejahren „verdoppel[te]n, mancherorts sogar verdreifach[t]en“ (ebd.:115). Erweitertet wurden die Angebote für junge Menschen und geöffnet „für Senioren, für Behinderte und von Behinderung Bedrohte sowie für Bürger ausländischer Herkunft“ (ebd:112). Musikschulen wurden und sind Orte der musikalischen Bildung und der Begegnung mit Musik der Kommunen.

Pionierhäuser

Pionierhäuser und Pionierpaläste entstanden nach sowjetischem Vorbild in der DDR. Der erste Pionierpalast eröffnete 1952 im Dresdner Schloß Albrechtsberg seine Tore. Die meisten dieser Häuser wurden in den 1950er Jahren gegründet. Als größtes seiner Art wurde 1979 der Pionierpalast Ernst Thälmann in Berlin-Wuhlheide eröffnet. „1983 gab es 142 Pionierhäuser“ (Wikipedia Pionierhaus) in den Groß- und Mittelstädten.

Die Pionierhäuser zählten zu den Orten außerschulischer Bildung und waren der Volksbildung zugeordnet. Die waren wichtige Orte der Freizeitgestaltung: Allen Kindern und Jugendlichen offerierten sie kostenfrei sportliche, künstlerische und kulturelle Angebote. Das konnten Arbeitsgemeinschaften für bildnerisches und plastisches Gestalten, Theater, Tanz, Musik, Textilgestaltung, Fotografie und Film, aber auch Arbeitsgemeinschaften Junger Kosmonauten, Junger Feuerwehrmänner oder Junger Geografen sein. Sie dienten „der Gestaltung einer sinnvollen Schülerfreizeit im Rahmen des einheitlichen sozialistischen Bildungs- und Erziehungsprozesses“ (Hametner/Prautzsch 1993:333) und nahmen sowohl erzieherische als auch ideologische Aufgaben wahr.

Insbesondere künstlerisch-kulturelle Werkstätten und Kurse boten Kindern und Jugendlichen Freiräume, „in den man Erfahrungen mit dem Ich-Sein machen konnte, Pausen vom Wir, vom Kollektiv, den festumrissenen Zielen und den ewigen Erfolgen. Hinterfragen, zweifeln, ausprobieren, neugierig sein auf Ungewohntes und bisher Verborgenes, lustvolles Erleben und Genießen ohne vordergründigen Nutzen. [...] So absurd es klingt, die Pionierorganisation selbst war Träger vieler Aktionen, Werkstätten und Veranstaltungen, die eher den kritischen als den angepassten Schüler förderten. Dies war sicher nicht beabsichtigt.“ (Seeger 1993:299)

1990 waren Pionierhäuser „Orte kultureller Jugendbildung, deren flächendeckende Struktur verloren zu gehen scheint. Das FEZ [Anm.: Freizeit- und Erholungszentrum] betreibt seit einiger Zeit verstärkt Zielgruppenarbeit, z.B. für Behinderte und Kindergartenkinder sowie offene Angebote“ (Charlier 1990:38).

Das Los der Pionierhäuser nach 1990 war sehr verschieden. Vielerorts wurden sie geschlossen. Anderenorts­­­­­­­ kamen sie in kommunale Trägerschaft oder wurden in freie Trägerschaft überführt. Allerorts mussten sie Federn lassen. Der Pionierpalast in der Wuhlheide wurde das FEZ und ist Europas größtes gemeinnütziges Kinder-, Jugend- und Freizeitzentrum. Eine kommunale JugendKunstschule wurde der Pionierpalast in Dresden, die nun im Torhaus des Schlosses Albrechtsberg beheimatet ist.

Pionierhäuser, Kulturhäuser und Jugendklubs profilierten sich nach der Wende u.a. zu soziokulturellen Zentren, Schülerfreizeittreffs oder Jugendkunstschulen. Seit 1991 konnte der 1983 gegründete Bundesverband der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen (BJkE) im Rahmen des AFT-Programms diese Einrichtungen konkret beim Organisationsaufbau und -entwicklung ebenso wie beim Aufbau der landesweiten Strukturen unterstützen. 1994 existierten „über 118“ (Schnellen 1994:24) dieser Einrichtungen in den neuen Bundesländern ebenso wie fünf neugegründete Landesverbände.

Resultat: Zehn Jahre AFT-Programm

Der Zehnte Kinder- und Jugendbericht 1998 konstatierte, dass die „Umgestaltung der Kulturarbeit der DDR – von einer staatlich zentralen in eine föderale, mit pluralistischer Trägerstruktur und Praxisvielfalt ausgestattet –, die in vielen Regionen über eine gut ausgestattete Infrastruktur verfügte, nur ansatzweise gelungen ist; ein Zusammenbruch der kulturellen Infrastruktur konnte nur teilweise verhindert werden. Es ist die angespannte Haushaltslage der ostdeutschen Kommunen, die es den Jugendbehörden schwer macht, ihrer Förderzuständigkeit für die Kinder- und Jugendkulturarbeit nachzukommen.“ (Zehnter Kinder- und Jugendbericht 1998:223)

Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung endeten die Programme zum Aus- und Aufbau der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern. In dieser Zeit wurde dank staatlicher Förderung u.a. die Implementierung der Kulturellen Bildung in den Landesjugendplänen, der Aufbau der LKJ-Strukturen und die Etablierung von Landesstrukturen der Fachverbände Kultureller Bildung erreicht.

Im Rückblick ist festzustellen: Die Wiedervereinigung war für alle Neuland. Den Beteiligten fehlten die Erfahrungen beim Umstellen von zentralistischen auf pluralistische Strukturen. „Hinzu kam der Zeitdruck, so dass im Gegensatz zur BRD keine Verbandsstrukturen wachsen konnten.“ (Fuchs 1990:23) Bundesdeutsche Vereinsstrukturen wurden entweder eins zu eins übernommen oder eigenständige DDR-Verbände wurden in den bundesdeutschen Fachverband integriert. Doch teilweise lagen 1990 die ost- wie westdeutschen Bedürfnisse und Probleme nahe beieinander: Die Kinder- und Jugendkulturarbeit stand auch in einigen Bereichen der alten Bundesländer auf wackligen Beinen. Der Kampf um den Erhalt der fünf kommunalen Kinder- und Jugendtheater der DDR war ebenso ein Kampf für die finanzielle Unterstützung der westdeutschen Kinder- und Jugendtheater. So stärkte das AFT-Programm u.a. die ost- und die westdeutsche Kinder- und Jugendtheaterszene.

Verpasst wurde hingegen die Integration der Szene der Puppenspieler*innen in die Strukturen Kultureller Bildung. Diese Szene konnte 22 feste Spielstätten mit Ensembles sowie den Studiengang Puppenspiel an der Staatlichen Schauspielschule Ernst Busch vorweisen. Ferner hatten die Trickfilmer*innen sich mit ihren Animationsfilmen und dem Sandmann ein großes Publikum geschaffen. 1992 wurde das DEFA-Trickfilm-Studio in Dresden abgewickelt. Für die BKJ hätte die Unterstützung dieser ostdeutschen Strukturen auch zu einer Aufwertung der westdeutschen, freien Szene und zur Erweiterung des eigenen Spektrums führen können.

Die Projekte zum Aufbau der Strukturen und zur Qualifizierung der Mitarbeiter*innen des Arbeitsfeldes orientierten sich an den Bedürfnissen der ostdeutschen Akteure. Doch der Wissens-Transfer folgte meist nur in West-Ost-Richtung. Die Akteure und Verbände der Kulturellen Bildung in der BRD hätten vom hohen Stellenwert der Kinder- und Jugendkulturarbeit in der DDR und von Selbstverständnis der Zusammenarbeit von Bildungs- und Kultureinrichtungen profitieren können. Das (Selbst-)Verständnis der einrichtungsübergreifenden Kooperationen und die Wirkung (Kultureller) Bildung auf Kinder und Jugendliche wie auch Erzieher*innen, Lehrer*innen und Eltern (siehe: Birgit Wolf „Kulturvermittlung in der DDR zwischen Auftrag und Wirklichkeit“) wäre ein (Erfahrungs-)Schatz, der auch den westdeutschen Bundesländern Impulse geschenkte hätte. Seit 2000 befördern mannigfaltige (Modell-)Projekte diese Kooperationen zwischen Kultur- und Bildungseinrichtungen.

Anstöße für die Gegenwart

Ob Staatsziel Kultur, Kultur in ländlichen Räumen, der Anspruch „Kultur für alle“ oder der weite Kulturbegriff und die damit verbundene Förderung von Hoch- und Breitenkultur ebenso die ressortübergreifende Anerkennung und Förderung künstlerisch-kultureller Kinder- und Jugendbildung als gesellschaftlich wichtige Aufgabe: Seit Jahrzehnten werden diese Themenfelder in der Bundesrepublik diskutiert bzw. mittels (Modell-)Projekten diverse Ansätze erprobt, ohne dass es jedoch zu wesentlichen Fortschritten für Stellung und Anerkennung der Personen, die Kunst und Kultur tatsächlich schaffen, oder für die breite Förderung und Nutzung von Kultur gekommen wäre. Was in der DDR Usus war, wird nun mit unterschiedlicher Vehemenz in den Bundesländern forciert: Der Ausbau der Kindertagesstätten und die Einrichtung von Ganztagsschulen mit künstlerisch-kulturellen Angeboten ebenso wie Kooperationen zwischen Bildungs- und Kultureinrichtungen in lokalen Bildungslandschaften sowie Strategien und (Kultur- und Bildungs-)Konzepte für ländliche Räume.

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Birgit Wolf (2023): Transformation DDR >> BRD: Perspektiven Kultureller Bildung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/artikel/transformation-ddr-brd-perspektiven-kultureller-bildung (letzter Zugriff am 16.07.2024).

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