Die Smartness, die Schule, die Sinne: Kulturelle Bildung und Digitalisierung

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von Frank Jebe

Erscheinungsjahr: 2019

Peer Reviewed

Abstract

Der digitale Wandel und damit einhergehende Widersprüche werden anhand der Erkenntnisse der Denkschriften des Rates für Kulturelle Bildung aus unterschiedlichen Perspektiven dargelegt. Die vielfältigen Optionen, die gerade für Kinder und Jugendliche dabei entstehen, werden aufgeführt und konkrete Aufträge für Schule und Kulturelle Bildung benannt.

Im Verhältnis zur ungeklärten Frage, wie die Digitalisierung flächendeckend Einzug in die Schulen halten soll, hat sich der Begriff „digitale Bildung“ außerordentlich schnell etabliert. Dieser Begriff ist nicht nur umstritten (vgl. Rittelmeyer 2018:7), sondern wird vorrangig in einer sehr technisch geprägten Debatte verwendet (Bitkom 2018:5), die um die Schule kreist. Kulturelle Bildung wird in diesen Kontexten kaum thematisiert, obwohl sie gerade bei dem Thema „Digitalisierung“ einige Entwicklungsmöglichkeiten verspricht. Mehr noch: Man kann die Digitalisierung weder hinreichend erklären noch verstehen, wenn man ihre soziale und kulturelle Dimension nicht berücksichtigt (Rat für Kulturelle Bildung 2019a; Jörissen 2019a; Stalder 2017). Zumal eine reine Fixierung auf die Unterhaltungselektronik der Erwachsenen – so nannte Steve Jobs die Smartphones und Tablets von Apple – nicht wirklich etwas Neues in der Schule hervorbringen wird (vgl. Lankau 2018). Den Fokus auf die kulturelle Dimension der Digitalisierung zu legen, ist aber auch insofern von Bedeutung, weil sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene ganz selbstverständlich mit digitalen Geräten umgeben, sich in digitalen Welten bewegen und Bilder, Sounds sowie Remixes als kreatives Arbeitsmaterial nutzen. Wenn also wesentliche Entwicklungen der Digitalisierung mit neuen Ausdrucks- und Ästhetisierungsformen einhergehen, dann sollten diese Transformationen auch mit Mitteln der Kulturellen Bildung adäquat aufgefasst werden (vgl. Jörissen 2017).

Digitaler Wandel und Widersprüche 

So zutreffend die nachvollziehbare Einordnung zum digitalen Wandel ist, dass die Digitalisierung tiefgreifende Transformationsprozesse in allen Gesellschaftsbereichen herbeiführt, wird hier doch auch das Dilemma deutlich, die rasante Entwicklung der Digitalisierung überhaupt angemessen beurteilen zu können. Vergegenwärtigt man sich, dass kurz vor der Jahrtausendwende erst rund sechs Prozent aller Deutschen das Internet gelegentlich nutzten (Stalder 2017:92), dass vor gerade einmal zehn Jahren die Smartphones ihren Siegeszug antraten und der Mensch schon immer Zeit benötigte, sich an technische Neuheiten zu gewöhnen, verwundert es kaum, dass der Umgang mit den digitalen Errungenschaften noch klärungsbedürftig ist. Zwar wächst im Lichte der digitalen Erfolgsgeschichte die Zahl der Umfragen und Studien zur Digitalisierung (Bertelsmann Stiftung 2017, Initiative D21 2016, Deutsche Telekom Stiftung 2013), jedoch ist das Wissen darüber, wie folgenreich die Transformationen der damit einhergehenden Praktiken und Strukturen auf ökonomischer, sozialer, politischer und kultureller Ebene sind, noch begrenzt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Umgang mit den digitalen Phänomenen von einigen Widersprüchen geprägt ist, die den digitalen Wandel an Kultur- und Bildungsinstitutionen erschweren. Einige dieser Widersprüche, die der Rat für Kulturelle Bildung in der Denkschrift ALLES IMMER SMART. Kulturelle Bildung, Digitalisierung, Schule benennt, sollen im Folgenden kurz ausgeführt werden.

Ohnmacht in der Allmacht. 

Mit der Digitalisierung scheint es so, als überkommen den Menschen die sintflutartigen Datenströme wie eine Naturgewalt. Als hätten die digitalen Medien es allein vermocht, eine vermeintlich stabile Gesellschaftsordnung umzuwälzen. Felix Stalder mahnt hier: „Wer die Maschinen in dieser Art als zentrale Akteure darstellt, verkennt, dass die technologische Entwicklung nur dort entstehen konnte, wo entsprechende menschliche Nachfragen, Bedarfe und Nutzungsideen bestehen oder erzeugt werden konnten. Die gegenwärtigen Formen und Folgen der Digitalisierung trafen also auf bereits laufende gesellschaftliche Transformationsprozesse“ (Stalder 2017:21).

Alles ist da. 

Wenn alles da ist, dann ist alles gut. So scheint es zumindest. Führt man sich nämlich vor Augen, wie viel Wissen jederzeit für praktisch jedermann im Internet zur Verfügung gestellt wird, könnte man meinen, dass wir in paradiesischen Zeiten leben. So wird auch immer wieder postuliert, dass herkömmliche Lernformen und die Rolle der Lehrer*innen überholt seien, da man nur das Wissen der Welt anzapfen müsse. Allerdings findet nur etwas Eintritt in die digitale Welt, was datafizierbar, konvertierbar oder scannbar ist und was nicht gegen die Normen der Plattformen oder den Datenschutz verstößt. Trifft das nicht zu, finden Gegenstände und Inhalte dort nicht statt. Was im Internet zu finden ist, wird vielerorts von Großkonzernen verwaltet und das bedeutet: Man muss optimiert werden. Gefunden zu werden kostet Geld und Abhängigkeit. Und schließlich hinken viele Kulturinstitutionen bei der „Digitalisierung“ ihrer Gegenstände stark hinterher (Euler 2017) – auch weil die Rechtslage überaus komplex ist. 

Unmündigkeit der Freiheit. 

Die Botschaft der Technologiebranche lautet, dass jeder die Vorzüge des technologischen Fortschritts nutzen kann, ohne sich mit den Einzelheiten beschäftigen zu müssen. So vertrauen wir digitalen Geräten, die wir weder in ihrer Komplexität erfassen noch deren Algorithmen sichtbar sind. Die daraus resultierende Formel „Vertrauen statt verstehen“ konfligiert mit dem Versprechen, dass die Digitalisierung uns durch den Zugang zur Welt doch freier machen soll. Damit wird die klassische, aus der Aufklärung stammende Vorstellung eines mündigen und handlungsfähigen Subjekts ins Widersinnige geführt. Auf ein weiteres Phänomen macht Hanno Rauterberg aufmerksam, der eine Krise der Kunstfreiheit aufziehen sieht (Rauterberg 2018). So werden aufgrund veritabler Entrüstungswellen auf den Social-Media-Kanälen zunehmend Ausstellungen verhindert, Theaterstücke abgesetzt oder Filme umgeschnitten (ebd.:12).

Alles, was umsonst ist, kostet was. Und was etwas kostet, ist umsonst. 

Dass im Internet ein breites Angebot kostenloser Inhalte und Produkte bereitsteht, ist ein Grundversprechen dieser schrankenlosen Freiheit. Aber viele Angebote sind nur scheinbar umsonst – wir wissen, dass wir mit den Daten über unsere Person, unsere Suchbewegungen und unsere Präferenzen bezahlen und diese Daten bares Geld wert sind. Im Internet gilt auch der Umkehrschluss: Was etwas kostet, ist umsonst. Und zwar dann, wenn wir uns beispielsweise den Künstler*innen und ihrem geistigen Eigentum zuwenden. Einerseits geraten Künstler*innen immer mehr zum Vorbild als unerschöpfliche Quelle kreativer Produkte (Ullrich 2016:50). Andererseits wird der Umgang mit ebendiesen künstlerischen Produkten selten so geringgeschätzt wie heute. So scheint all das, was im Netz ist, zur freien Verfügung zu stehen. Das steht im Widerspruch mit den „klassischen“ akademischen Ausbildungswegen der Kunst- und Musikhochschulen. Hier tüfteln die Künstler*innen an der „einen Idee“, die in der Kunst als Lebensgrundlage reichen muss. 

Alles immer smart. 

Nach Smart House, Smart Industries, Smart Cities, Smart Places, Smart Countries, Smart Gardening oder Smart Fridges verwundert es kaum, dass auch die Smartschool und der Classroommanager hoch im Kurs stehen. Ohne Zweifel sind smarte Anwendungen hilfreich, praxistauglich – und bequem. Allerdings besteht die Gefahr, dass der Komplexitätsgrad von Bildungsprozessen mit dem Leichtigkeitsversprechen der „Smartness“ simplifiziert wird. Wenn Musik- oder Foto-Apps eigenständige kulturelle und künstlerische Deutungs- und Gestaltungsversuche ersetzen, sind nicht nur gelungene Endprodukte zu erwarten, sondern auch Klischees der Weltdeutung zu befürchten. Mit der Gelingensgöttin „Smartness“ entstehen dann irreführende Vereinfachungen, wenn nicht sogar neue Leichtigkeitslügen (Noltze 2010). Das betrifft insbesondere künstlerische Herangehensweisen und kulturelle Aktivitäten, die häufig alles andere als einfach beziehungsweise smart sind. So wünschenswert es ist, dass eine Anwendung wie „Stop-Motion-Studio“ Kindern und Jugendlichen unmittelbare Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, so problematisch ist es, wenn der künstlerische Zufall oder das Risiko des Scheiterns von vornherein verdrängt werden.

Diese Beispiele führen uns vor Augen, dass die Ausgangslage der Schulen für eine praxisorientierte und bildungstheoretische Auseinandersetzung mit der Digitalisierung vielschichtig ist. Weil die Digitalisierung Kontexte, Inhalte, Herangehensweisen und Formen verändert, führt das auch zu einer Reflexion über kulturelle Prozesse, ästhetische Werkzeuge und Materialität, die sowohl sinnlich als auch produktiv exploriert und erfahren werden können – eine überaus wichtige Ergänzung zum rein kognitiven Zugang in der Schule (vgl. Jörissen 2019b:68).                                                                                                                        

Digitalisierung als kultureller Prozess

An dieser Stelle setzt die zentrale These der Denkschrift des Rates für Kulturelle Bildung an. Der Rat stellt in der Schrift heraus, dass die Digitalisierung auch ein kultureller Prozess ist. Das lässt sich an unterschiedlichen Beispielen verdeutlichen: 

  • Erstens bringt die Digitalisierung eine Reihe neuartiger Entwicklungen hervor, die materiell nicht sichtbar sind, sondern infrastrukturell bedingt sind. In diese Infrastruktur, die selbst in hohem Maße unsichtbar bleibt, hat sich unsere Kultur in ihrer ganzen Breite und Tiefe eingeschrieben. 
  • Zweitens lassen sich die Besonderheiten digitaler Innovationen in ihrer Verschränkung mit der gesellschaftlichen Entwicklung nur als komplexe kulturelle (bzw. kulturhistorische) Übersetzungsprozesse angemessen verstehen. So lässt sich nicht nur auf die kulturhistorischen Wurzeln der Digitalität verweisen (Stalder 2017; Jörissen 2016a), sondern auch auf die verschiedenen Kunstsparten, die sich seit Jahrzehnten enorm intensiv mit Digitalität in all ihren Spielarten auseinandergesetzt, sie exploriert, adaptiert, kritisiert, dekonstruiert und umgeschrieben haben. Die Bedeutung der Digitalität in der Kunst lässt sich seit den 1960ern an einer Vielzahl von Ausstellungen, Festivals und Biennalen herausstellen (Grau 2001). 
  • Drittens ist zu beachten, dass sich die Digitalisierung durch eine Orientierung am Design, eine Dominanz audiovisueller Komponenten, durch bildhafte Inszenierungen und theatrale Darbietungen auszeichnet. Das zeigt sich beispielsweise an der Beliebtheit von Fotodiensten und Videoplattformen, die maßgeblich Retro-Ästhetiken und Remix-Kulturen etablierten. 
  • Und viertens bringt die Digitalisierung ihre eigenen Ästhetiken, Räume und Materialitäten ins Spiel. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Kulturelle Bildung wie kein anderer Bildungsbereich aufgefordert ist, die zentralen Momente von Digitalisierung pädagogisch zugänglich zu machen. Denn Kulturelle Bildung bietet die Chance, die abstrakten globalen Zusammenhänge von Digitalisierung in der konkreten Praxis künstlerischer Tätigkeit allseitig erfahrbar, ihre Komplexität sinnlich zugänglich zu machen. Sowohl im produktiven als auch im kritischen Interesse spielen daher kulturelle Bildungsprozesse eine Schlüsselrolle für die gesellschaftliche Gestaltung der digitalen Zukunft. 

In der Denkschrift des Rates sind unter der Perspektive von kulturellen Bildungsangeboten folgende Anregungen für die Schulen aufgeführt:

  • Erlebnisse im digitalen Erfahrungsraum machen. 
    Für den digitalen Wandel der Schulen ist es wesentlich, dass sich der digitale Erfahrungsraum enorm ausgeweitet hat. Video- und Fotoplattformen gelten als digitale Kulturorte (Rat für Kulturelle Bildung 2019b), die als Leitmedium für die Jugendlichen fungieren. Auf ihren Kanälen und Plattformen wurden Remixes, Samples und Mash-ups als digitale Kultur derart etabliert, dass sich die Bedingungen künstlerischer Produktion und Rezeption fundamental verändert haben. Weitere Potenziale des digitalen Erlebnisraumes werden durch die Audiovisualisierung von Wissen eröffnet. Diese Formen autodidaktischer Bildung gehören längst zum außerschulischen Alltagsleben von Schüler*innen. Der Architektur römischer Bäder kann durch 3D-Rekonstruktionen nachgespürt werden. Schüler*innen können mit Virtual-Reality-Brillen das Sonnensystem erkunden und durch die Ringe des Saturn fliegen. Mithilfe von Augmented Reality kann man bei Bibliotheksführungen direkt in die Bücher eintauchen. Sprachassistenten vermitteln das literarische Werk in der Muttersprache des Autors. 
     
  • Erfahrungen mit digitaler Materialität fördern. 
    Die Digitalisierung bringt nicht nur neue Raumerfahrungen, sondern auch spezifische Stoffe und Produkte hervor. Es ist die digitale Materialität, die weitreichende und neuartige Gestaltungsmöglichkeiten für die Schule bereithält. Bei der Produktion von und im Umgang mit digitaler Materialität sind zwei Herangehensweisen zu beachten: Zum einen entsteht neues Material, wenn mit Programmen, mit digitalen Geräten, wie 3-D-Druckern, DJ-Konsolen, Platinen oder Design-Tablets, künstlerische Produktionsprozesse befördert werden. Hierzu zählen auch prothetische Technologien, die durch die Erweiterung von Körpern und Sinnen die Produktion digitaler Materialität. Zweitens befördert die Digitalisierung einen veränderten Umgang mit den vorhandenen Bildern, Songs und Filmen. Diese werden als Vorrat, Rohstoff und eben digitales Material (Meyer 2013:27) betrachtet. Denn dieser audiovisuelle Rohstoff liegt in einer hochgradig offenen, manipulierbaren Form des Digitalen vor und ist prädestiniert für Reproduktionen, Dekontextualisierungen, Remixes und Mash-ups, kurz für ästhetische Umdeutungen (Jörissen 2016b:63).
     
  • Neue Wege der Vermittlung beschreiten. 
    Die neuen Formen der Wissensverbreitung und -aufbereitung gehören zu den Erfolgsgeschichten der Digitalisierung. Das Potenzial der Digitalisierung entfaltet sich insbesondere in Form von konziser Wissensaufbereitung. Erklärvideos, Tutorials oder Digitorials weisen eine große Spannbreite auf. Die Nutzung von Erklärvideos belegt die Studie Jugend/YouTube/Kulturelle Bildung. Horizont 2019 des Rates für Kulturelle Bildung. Nahezu die Hälfte der Schüler*innen hält YouTube-Videos für schulische Belange für wichtig bis sehr wichtig. YouTube-Videos sind bei dieser Gruppe vor allem zur Wiederholung von Inhalten aus dem Unterricht (73 Prozent), die nicht verstanden wurden, sowie für Hausaufgaben/Hausarbeiten (70 Prozent) wichtig bis sehr wichtig. Hohe Bedeutung haben YouTube-Videos auch für die Vertiefung des Wissens und für die Vorbereitung auf Prüfungen. 45 Prozent derjenigen Jugendlichen, die YouTube-Videos für schulische Belange für wichtig bis sehr wichtig halten, nutzen die Videos auch zur Vor- und Nachbereitung des Musik-, Kunst- und Theaterunterrichts (Rat für Kulturelle Bildung 2019b:8). In der Befragung benennen die Jugendlichen die Vorteile von Webvideos im Vergleich zum Unterricht deutlich. Vorteile sehen sie in der ständigen Verfügbarkeit, in der Art und Weise, wie die Inhalte dort präsentiert werden sowie in der Gewährleistung beliebig vieler Wiederholungen. Berücksichtigt die Schule diese Entwicklung, dann könnten Räume für neue Formen kultureller Praktiken eröffnet und veränderte Lerngewohnheiten in die schulische Praxis integrieret werden. Die Schule kann zudem ihre Bedeutung in den Aufgabenbereichen Medienbildung, Informationsbewertung und Urteilsfähigkeit hervorheben, denn die Angebote und Suchoptionen im Netz sind nicht immer frei von kommerziellen Interessen.
     
  • Mit Verknüpfungen Aha-Erlebnisse schaffen. 
    Die Digitalisierung ermöglicht das Auswählen, Zusammenführen und die Bearbeitung von bestehenden Bildern und Klängen zu neuen Sinn- und Handlungszusammenhängen. Das ist zu einer grundlegenden Kulturaktivität vieler Kinder und Jugendlicher geworden. Kulturelle Bildung kann und muss dazu beitragen, diese Produktionsform der Remixe, der Collagen und der hochgradig offenen, manipulierbaren Formen der digitalen Reproduktion und Dekontextualisierung sowohl zu fördern als auch zu hinterfragen. Die virtuellen Räume eignen sich idealerweise dafür, das Sehen zu schulen und eine assoziative Kunstbetrachtung zu fördern. Ganz im Sinne des Bilder-Kosmologen Aby Warburg können Referenzen und Nachbarschaften entdeckt und entwickelt werden, die in den ‚realen‘ Kultureinrichtungen – nicht zuletzt aufgrund von räumlichen Begrenzungen und Entfernungen – undenkbar wären. In der digitalen Welt wird anschaulich, inwiefern thematische und strukturelle Verwandtschaften in den Künsten über die Jahrhunderte, Stile und Länder hinweg bestehen, die bisher in Schulbüchern, allein des zweidimensionalen Mediums, wegen häufig vereinfachend als lineare Zusammenhänge veranschaulicht werden. Die durch die Digitalisierung bedingte Referenzialität und die dadurch entstandene Vernetzung enthält partizipative Elemente und begreift die Schüler*innen als Co-Produzent*innen. Das ermöglicht dann auch neue Partizipationsformen.

Digitaler Wandel an Schulen 

Mit Blick auf das Tagungsthema „Optimize me! Kulturelle Bildung und Digitalisierung“ und die damit einhergehende Frage, wie eine zeitgemäße Kulturelle Bildung aussehen sollte, um aktuelle gesellschaftliche Wandlungsprozesse aktiv mitzugestalten, sei abschließend auf Folgendes hingewiesen. Aus Sicht des Rates liegt eine zentrale Aufgabe darin, den Grundsatz – dass das Lehren und Lernen in der digitalen Welt dem Primat des Pädagogischen folgt (KMK 2016:4) – zu stärken. In der Konsequenz können die Schulen nur dem Pull-Prinzip folgen, keineswegs einer Push-Logik. Konkret heißt das, dass die Frage nach dem pädagogisch sinnvollen Angebot immer Vorrang haben muss vor der Frage nach der dafür benötigten technischen Ausstattung. Die Macht und die ökonomischen Interessen der Schwergewichte der Tech-Industrie, ihre Produkte unter anderem in den Kitas und Schulen zu platzieren, sind nicht zu unterschätzen. Ein handlungsfähiger und keineswegs smarter Staat steht angesichts der Veränderungen in der Verantwortung den Bildungsauftrag zu präzisieren (vgl. Schupp 2019:82). Da die Schulen die digitalen Räume, Infrastrukturen und Angebote nicht allein bereitstellen können, ist die verstärkte Einbeziehung von Akteuren Kultureller Bildung und die Ausweitung von Kooperationen mit außerschulischen Kulturinstitutionen wichtig. Neben den technischen und informatischen Grundkenntnissen könnten auch die kulturellen, ästhetischen, sinnlichen und referenziellen Bedingungen der Digitalisierung thematisiert werden. 

Dass einige der Kulturinstitutionen über einen bedeutsamen Erfahrungsschatz zum digitalen Wandel verfügen, von dem die Schulen profitieren können, zeigte bereits die Studie des Rates Bibliotheken/Digitalisierung/Kulturelle Bildung. Horizont 2018. Die bundesweite Umfrage verdeutlicht, dass der digitale Wandel der Bibliotheken tendenziell das Nebeneinander sowie die Vermischung analoger und digitaler Angebote Kultureller Bildung befördert. Und da auch völlig neue Inhalte und Formate entstehen, sehen die Bibliotheksleitungen die Notwendigkeit, neue Wege der Kulturvermittlung zu entwickeln. Florian Höllerer ordnet die Befunde der Studie folgendermaßen ein: „Dem Ineinander von neuen und alten Medien, das aus der Befragung der Bibliotheksleitungen spricht, ging ein langer Prozess voraus. In den abgewogenen Antworten spiegeln sich Jahre des Umbruchs, befördert durch Konzepte, die die Bibliotheken für sich erarbeiteten […], und grundiert vor allem von einer ausgeprägten Kultur der Diskussion, der Selbstkritik und der Experimentierfreude“ (Höllerer 2018:38). Wenn man dieser Überlegung folgt, dass es nicht die Tablets sind, die das Neue hervorbringen, kann wirklich Spannendes entstehen. Und vielleicht muss man dabei nicht einmal smart sein. Unter diesen Voraussetzungen kann Entscheidendes zum Aufbau einer Kultur der Digitalität in den Schulen beigetragen werden.

Verwendete Literatur

  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2017): Monitor Digitale Bildung. Berufliche Ausbildung im digitalen Zeitalter. Gütersloh: Selbstverlag.
  • Bitkom (2018): Digitale Bildung – Handlungsempfehlungen für den Bildungsstandort Deutschland. Berlin: Selbstverlag.
  • Deutsche Telekom Stiftung (2013): Digitale Medien im Unterricht. Möglichkeiten und Grenzen. Online verfügbar unter: https://www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_studies/Digitale_Medien_2013.pdf (letzter Zugriff: 16.07.2019).
  • Euler, Ellen (2017): Wir erleben in Europa einen kulturellen Stillstand. Online verfügbar unter: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/republica-ellen-euler-sieht-kulturellen-stillstand-in-europa-15004621.html (letzter Zugriff: 16.07.2019).
  • Grau, Oliver (2001): Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. Visuelle Strategien. Berlin - Bonn: Dietrich Reimer.
  • Höllerer, Florian (2018): Digital-Analog-Wandler: Bibliotheken auf neuen Wegen. In: Rat für Kulturelle Bildung (Hrsg.): Bibliotheken/Digitalisierung/Kulturelle Bildung: Horizont 2018. Essen: Selbstverlag.
  • Initiative D21 (2016): Sonderstudie Schule digital. Lehrwelt, Lernwelt, Lebenswelt: Digitale Bildung im Dreieck SchülerInnen-Eltern-Lehrkräfte. Online verfügbar unter: https://initiatived21.de/app/uploads/2017/01/d21_schule_digital2016.pdf (letzter Zugriff: 16.07.2019).
  • Jörissen, Benjamin (2019a): Digital/kulturelle Bildung. Plädoyer für eine Pädagogik der ästhetischen Reflexion digitaler Kultur. https://www.kubi-online.de/artikel/digital-kulturelle-bildung-plaedoyer-paedagogik-aesthetischen-reflexion-digitaler-kultur (letzter Zugriff: 16.07.2019).
  • Jörissen, Benjamin (2019b): Sinne, Künste und das Künstliche – neue Materialitäten des Digitalen. In: Rat für Kulturelle Bildung: Alles immer smart. Kulturelle Bildung, Digitalisierung, Schule. Essen: Selbstverlag. 67-70.
  • Jörissen, Benjamin (2017): Die Bedeutung kultureller Bildung im Zeitalter der Digitalisierung. Online verfügbar unter: https://www.fau.de/2017/02/news/nachgefragt/nachgefragt-gesellschaft-im-umbruch/ (letzter Zugriff: 17.10.2019).
  • Jörissen, Benjamin (2016a): ‚Digitale Bildung‘ und die Genealogie digitaler Kultur: historiographische Skizzen. In: MedienPädagogik, Themenheft Nr. 25, 2016.
  • Jörissen, Benjamin (2016b): Digital/kulturelle Bildung. Plädoyer für eine Pädagogik der ästhetischen Reflexion digitaler Kultur. In: Torsten Meyer, Julia Dick, Peter Moormann und Julia Ziegenbein (Hrsg.): where the magic happens. Bildung nach der Entgrenzung der Künste. München: kopaed.
  • Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) (2016): Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz, Selbstverlag.
  • Lankau, Ralf (2018): Offline lernt man vieles besser, FAZ vom 08.08.2018. Online verfügbar unter: http://starkevolksschulesg.ch/wp-content/uploads/FAZ-8.8.2018.pdf (letzter Zugriff: 17.10.2019).
  • Meyer, Torsten (2013): Next Art Education, Kunstpädagogische Positionen. Band 29. Selbstverlag.
  • Noltze, Holger (2010): Die Leichtigkeitslüge. Über Musik, Medien und Komplexität, Hamburg: edition Körber-Stiftung.             
  • Rat für Kulturelle Bildung (2018): Bibliotheken/Digitalisierung/Kulturelle Bildung. Horizont 2018. Essen. Selbstverlag.
  • Rat für Kulturelle Bildung (2019a): Alles immer smart. Kulturelle Bildung, Digitalisierung, Schule. Essen: Selbstverlag.
  • Rat für Kulturelle Bildung (2019b): Jugend/YouTube/Kulturelle Bildung. Horizont 2019. Essen: Selbstverlag.
  • Rittelmeyer, Christian (2018): Digitale Bildung – ein Widerspruch. Oberhausen: Athena.
  • Schupp, Jürgen (2019): Smart nation versus Selbstbestimmung. In: Rat für Kulturelle Bildung: Alles immer smart. Kulturelle Bildung, Digitalisierung, Schule. Essen: Selbstverlag. S. 81-83.
  • Ullrich, Wolfgang (2016): Der kreative Mensch. Streit um eine Idee. Salzburg/Wien: Residenz.

Anmerkungen

Der vorliegende Text fasst den Vortrag im Rahmen der kubi-online Tagung Optimize me! Digitalisierung und Kulturelle Bildung an der Bundesakademie für Kulturelle Bildung (ba)  Wolfenbüttel zusammen und basiert auf den Ausführungen der Publikationen ALLES IMMER SMART. Kulturelle Bildung, Digitalisierung, Schule, Bibliotheken/Digitalisierung/Kulturelle Bildung. Horizont 2018 und Jugend/YouTube/Kulturelle Bildung. Horizont 2019 des Rates für Kulturelle Bildung.      

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Frank Jebe (2019): Die Smartness, die Schule, die Sinne: Kulturelle Bildung und Digitalisierung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/artikel/smartness-schule-sinne-kulturelle-bildung-digitalisierung (letzter Zugriff am 16.07.2024).

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Dieser Artikel wurde dauerhaft referenzier- und zitierbar gesichert unter https://doi.org/10.25529/92552.529.

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