Ressourcen Kultureller Bildung in Europa
Das Thema Kulturelle Bildung hat in den letzten Jahren im öffentlichen Diskurs zwischen Bildungs- und Kulturpolitik eine neue Aufmerksamkeit gefunden. Diese Tendenz ist nicht allein im deutschsprachigen Raum zu beobachten, sondern ebenso in einer Reihe anderer europäischer Länder. So erfreulich dieser Bedeutungszuwachs erscheint, so zeigen doch die Auswirkungen der europaweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, dass der Sektor Kulturelle Bildung nach wie vor fragil ist.
Ein anschauliches Beispiel ist die Situation in England: Durch die nach dem Regierungswechsel 2010 veranlasste Budgetkürzung des Arts Council England um 30 % kam es zu einem Kahlschlag im Bereich der öffentlichen Kunst- und Kulturförderung. In der Folge wurde das während der Regierung Blair zu einem auch international anerkannten Vorzeigemodell entwickelte Programm „Creative Partnerships“ durch Entzug der Fördergelder zu einem Auslaufmodell degradiert (Arts Council England 2011). Besonders bemerkenswert dabei ist der Umstand, dass die Entscheidungen entgegen einer Reihe von positiven Befunden der Wirkungsforschung getroffen wurden, die Creative Partnerships allesamt nachweisbare Erfolge, sei es im Bereich der learning skills, social integration oder employability attestierten.
Im europäischen Vergleich zeigt sich unmittelbar, dass die meisten Programme im Bereich Kultureller Bildung auf nur schwachen Entscheidungsgrundlagen beruhen. Ihre Implementierung folgt nicht datenbasierten Verfahren, wie dies in anderen Politikfeldern wie Verkehr, Gesundheit oder Umwelt der Fall ist. Dieser Umstand führt zur Frage, ob man angesichts der Vielfalt der individuellen Akteure, die jeweils unterschiedliche Ziele mit unterschiedlichen Methoden in unterschiedlichen institutionellen Zusammenhängen verfolgen, überhaupt von so etwas wie einem gemeinsamen Sektor sprechen kann. In der Regel beschränken sich die Akteure auf ihren jeweiligen Bezugsrahmen und damit auf ihre Institution und/oder ihre Sparte. Die Folge ist eine weitgehende Unklarheit über die jeweilige Ressourcenlage, mit der bestimmte Wirkungen erzielt werden sollen. Entsprechend bleibt mit Ausnahme einzelner Leuchtturmprojekte die zentrale Frage, was mit welchen Mitteln erreicht werden soll, unbeantwortbar. Da ist es nur folgerichtig, dass die Auswirkungen von Erhöhungen oder Kürzungen den Spekulationen von Insidern überlassen bleiben, die notgedrungen zu keinerlei neuen Handlungsoptionen führen.
Dieser spezifische „blinde Fleck“ bildete den Ausgangspunkt für das Projekt „European Arts Education Fact Finding Mission“. Im Versuch, der fehlenden Transparenz und unklaren Informationslage zu den eingesetzten Mitteln im Bereich Kultureller Bildung entgegenzuwirken, verfolgte dieses europäische Kooperationsprojekt das Ziel, mit Hilfe einer Ressourcen bezogenen Strukturierung des Bereichs die professionellen Grundlagen für PraktikerInnen ebenso wie für EntscheidungsträgerInnen zu verbessern und darüber hinaus die Grundlagen für eine europäische Vergleichbarkeit zu legen. Das von EDUCULT aus Wien geleitete Projekt wurde 2010 in Kooperation mit Forschungseinrichtungen aus England, Deutschland, den Niederlanden und Spanien durchgeführt. Projektziel war, Strukturierungsvorschläge zu den Inputfaktoren im Bereich Kultureller Bildung als notwendige Voraussetzung für künftige Datenerhebungen vorzunehmen.
Im Fokus standen Maßnahmen Kultureller Bildung im außerschulischen Kontext. Kooperationen zwischen dem Bildungs- und Kultursektor wurden somit in erster Linie aus der Perspektive der Kultureinrichtungen betrachtet (Educult 2011).
Definitionen Kultureller Bildung im europäischen Vergleich
Bei unseren Recherchen stellte sich bald heraus, dass die fehlende Ressourcentransparenz zuallererst dem Mangel einer gemeinsamen Definition geschuldet ist. Kulturelle Bildung, die in der, im Rahmen des Projektes notwendig gewordenen Verkehrssprache Englisch nur sehr ungenügend in „arts education“ übersetzt werden kann, erweist sich bei näherer Betrachtung rasch als ein nach mehreren Richtungen offen interpretierbares Feld. Und so galt es einerseits, den Bereich von Nicht-Bildungsaktivitäten wie Audience Development und andere Marketingmaßnahmen abzugrenzen; andererseits verlangten begriffliche Kontexte in den einzelnen Ländern eine Ausweitung der Definition. So wurden in England diesbezügliche Aktivitäten in den letzten Jahren zunehmend unter dem Begriff creative education verhandelt, während sich das spanische Pendant auf die professionelle künstlerische Ausbildung bezieht, obwohl auch hier Kultureinrichtungen einen Bildungsauftrag wahrnehmen (ebd.:24ff.).
Zum Begriff der Ressourcen
Aus ökonomischer Sicht werden Ressourcen als Produktionsfaktoren oder Input verstanden, d.h. als materielle und immaterielle Elemente, die durch einen Prozess einen Output (ein Produkt) erzeugen. Während man in der klassischen Ökonomie wie bei Adam Smith (Smith 1776) oder David Ricardo (Ricardo 1817) zwischen Land, Kapital und Arbeit unterschied, nehmen neuere Modelle eine systemtheoretische Perspektive ein und fokussieren auf den Prozess (Gutenberg 1959) oder das Produkt (Barney 1991:99ff.).
Damit verbundene Verschiebungen von Mikro-, zu Meso- und Makroperspektive gehen einher mit der Identifizierung unterschiedlicher Ressourcenkategorien und deren Abgrenzung zur gegebenen Umwelt. So stellte sich die Aufgabe, für zukünftige quantitative Datenerhebungen vergleichbare Kategorien auf der Mikro- und der Makroebene zu entwickeln.
Um für den Bereich der Kulturellen Bildung relevante Ressourcenkategorien zu identifizieren, erschien uns die Sicht der handelnden Akteure als entscheidend. Anhand von 21 explorativen qualitativen Interviews mit VertreterInnen von Kultureinrichtungen aller Sparten, wurden die entscheidenden Ressourcendimensionen im Rahmen der „European Arts Education Fact Finding Mission“ entwickelt (Educult 2011:54ff.). Sie reichen von der Infrastruktur bis zu organisatorischen Rahmenbedingungen.
Infrastruktur als zentrale und zugleich besonders intransparente Ressource
Die historisch gewachsene Infrastruktur für Kulturelle Bildung in Europa, vom Musik- und Kunstschulwesen bis hin zu öffentlichen Kultureinrichtungen, verweist auf langjährige Traditionen und damit verbundene routinisierte Ressourcenzuweisungen. Diese historisch gewachsene Automatik ist möglicherweise der Grund dafür, dass der Transparenz im Bereich der eingesetzten Mittel bislang nur wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Dabei sind gerade die öffentlich geförderten Kultureinrichtungen neben den Schulen zentrale Instrumente, um kulturelle Bildungsprogramme durchzuführen. Auffallend ist, dass sich im europäischen Vergleich große Unterschiede sowohl qualitativ als auch quantitativ festmachen lassen.
Das Forschungsinteresse der Fact Finding Mission war darauf gerichtet, sich nicht auf die (meist zeitlich begrenzten) Projekte und Initiativen – die im Vergleich der gesamten Infrastruktur zumeist nur einen Bruchteil der Gesamtressourcen ausmachen – zu beschränken. Für Erhebungen der anteilsmäßigen Leistungen der Kulturinstitutionen erschien uns stattdessen die Erfassung des gesamten Sektors die einzig zielführende Methode. Auch Programme, die von privaten und intermediären Einrichtungen getragen werden, galt es einzubeziehen. Ein erster Praxisversuch wird zur Zeit vom Deutschen Zentrum für Kulturforschung im Rahmen des Projektes „mapping“ in vier deutschen Bundesländern vorgenommen.
Finanzielle Ressourcen
„Money makes the world go round…“, doch bei genauerer Betrachtung bereiten die Versuche, in Kultureinrichtungen Budgetdaten für Kulturelle Bildung zu erheben, große Schwierigkeiten. Weder bestehen innerhalb zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften einheitliche Richtlinien, wie Ressourcen für Kulturelle Bildung in den Budgets der Kultureinrichtungen abgebildet werden sollen, noch gibt es internationale Bemühungen, solche Schemata aufzubauen.
Human Resources
Die wohl zentrale Ressource für Kulturelle Bildung ist das handelnde Personal. Die professionelle Betreuung durch VermittlerInnen oder PädagogInnen ist entscheidend für einen zielgruppengerechten Zugang zu Kultureller Bildung.
Entscheidend erschien uns die Darstellung der Personalkosten, die in der Regel den Großteil der kulturellen Bildungsausgaben umfassen. Zurzeit herrschen entsprechend den unterschiedlichen Anstellungsverhältnissen von freien und festen MitarbeiterInnen völlig unbezogene Darstellungen und Zurechnungen zu den Budgets in Kulturinstitutionen vor.
Für künftige Verbesserungen der Datenlage sind sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien zu berücksichtigen. Aus der Perspektive der Beschäftigten können Schlüsse im Hinblick auf das Arbeitsumfeld getroffen werden. Die in der Regel sehr bescheidenen Einkommen, das weitgehende Fehlen fester Arbeitszeiten oder der Mangel an Aufstiegschancen sind nur einige Indikatoren, die laut der European Arts Education Fact Finding Mission auf prekäre Realitäten hinweisen.
Entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung im Bereich Kultureller Bildung ist eine zunehmende Professionalisierung des Sektors. Entsprechend wird zu eruieren sein, über welche Qualifikationen wird verfügt, und/oder welcher Aus- und Fortbildungsbedarf besteht.
Organisatorische Ressourcen
Der organisatorische Rahmen innerhalb und die Vernetzung außerhalb der Kultureinrichtungen haben entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsbedingungen und damit die Qualität Kultureller Bildung.
Große Kultureinrichtungen verfügen meist über eine eigene Abteilung für Kulturelle Bildung (meist als education department, Vermittlungsabteilung etc. bezeichnet). In dem Zusammenhang wurde als wesentliche Ressource der Grad der Eigenständigkeit in Personal-, Budget- oder Programmangelegenheiten genannt. Kleinere Institutionen haben hingegen oft erst gar nicht die Kapazitäten, eigene Bildungsabteilungen zu führen. Meist firmieren entsprechende Angebote als Teilbereiche des Marketings oder der operativen Leitung. Bei der organisatorischen Gliederung ist es von Bedeutung, ob Kulturelle Bildung einen strategischen Schwerpunkt der Organisation bildet oder nicht.
Die organisatorische Vernetzung außerhalb der Organisation hat neben dem Wissenstransfer zunehmend die Funktion, politisches Gewicht zu erzeugen. Da sich bestehende Verbände aus den jeweiligen (pädagogischen) Traditionen der Kunstsparten gebildet haben, verfügen übergreifende Vernetzungsinitiativen bislang nur selten über eine entsprechende kulturpolitische Durchsetzungskraft.
Wissen als Ressource
Auf europäischer Ebene gibt es Versuche, Wissen über den Bereich Kulturelle Bildung zu bündeln und öffentlich verfügbar zu machen. Anzuführen sind in diesem Zusammenhang die Community of knowledge on Arts and Cultural Education in Europe (ComACE), die Informationsplattform culturalpolicies.net, koordiniert von EricArts und die Open Method of Coordination (OMC) Working Group on Synergies between Culture and Education.
Die ComACE-Initiative umfasst unter anderem ein Glossar, das erstmals ein gemeinsames Begriffsinstrumentarium über Sprachen und Traditionen einzelner europäischer Länder hinweg beinhaltet. Nachdem Beiträge aus Belgien, den Niederlanden, Frankreich und Österreich erstellt wurden, ist die Initiative ins Stocken geraten (ComACE 2011).
In der Arbeitsgruppe OMC Working Group on Synergies between Culture and Education waren ExpertInnnen aus den EU-Mitgliedsstaaten vertreten, die von den jeweiligen Behörden entsandt wurden. Die Arbeitsgruppe informierte sowohl ihre Nationalstaaten über ihre Ergebnisse und Empfehlungen als auch die Europäischen Kommission, den Europarat und das Europäische Parlament (Lauret/Marie 2010).
Culturalpolicies.net wurde im Auftrag des Europarates von EricArts entwickelt. Die Plattform verfügt über ein Netzwerk von nationalen ExpertInnen, die mit der Erstellung der jeweiligen Länderprofile beauftragt sind. Bisher sind 42 Länder mit ihren kulturpolitischen Profilen vertreten. Seit 2010 wird auch eine Rubrik „arts education“ mit Daten aus den teilnehmenden Ländern angeboten. Die Plattform eignet sich in ihrer Systematik für einen internationalen Vergleich in Europa und darüber hinaus (Culturalpolicies.net 2011) (siehe Christine Merkel „Internationale Entwicklungen für Kulturelle Bildung“).
Was den Bereich Wissenstransfer betrifft, gibt es noch Entwicklungsbedarf, auf den bestehenden Initiativen aufzubauen. Erleichtern würde dies etwa eine eigene Förderschiene für die Kulturelle Bildung im Kulturprogramm der Europäischen Union (EACEA 2011).
Herausforderungen zukünftiger Datenerhebungen
Bisherige Kulturstatistiken erfassen durch ihre Systematik den Bereich Kultureller Bildung als Querschnittsmaterie nicht oder nicht vollständig. Erschwerend kommt dazu, dass in diesen Statistiken nur öffentliche Ausgaben erfasst werden, die dem vermehrten Auftreten privater und zivilgesellschaftlicher Akteure (etwa Stiftungen) und gemischten Finanzierungsformen nicht gerecht werden (UNESCO 2009; Hofecker 2003:17f.).
Die Konjunktur Kultureller Bildung basiert weitestgehend auf der Finanzierung von Projekten und Programmen. Selten ist in diesen Fällen eine nicht terminisierte Grundfinanzierung vorgesehen. Dies birgt die Gefahr, wie der Fall England verdeutlicht, bisherige Errungenschaften durch Haushalts- und Finanzkrisen oder Politikwechsel wieder zu verlieren.
Nur durch die strategische Integration Kultureller Bildung in den Kultur- und Bildungssektor können eine nachhaltige Entwicklung und zunehmende Professionalisierung vorangetrieben werden. Erste Schritte zur Transparentmachung der Ressourcen sind die Voraussetzung für jede Form von evidence based policy.
Neben quantitativen Kennzahlen, die Aufschluss über Größe und Dynamik des Sektors geben können, erscheint uns auch eine weitere qualitative Beforschung von besonderer Bedeutung, um die Realitäten der Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse adäquat zu erfassen. Aufgrund dieser Erkenntnis wurde von EDUCULT das „European Arts Education Monitoring System“ initiiert, das den Fokus auf die Human Ressources für Kulturelle Bildung legt und unter anderem mit dem Zentrum für Kulturforschung in Deutschland kooperiert (AEMS 2011).