Der rechtliche Rahmen Kultureller Bildung
Abstract
Seit der Aufklärung bildet Normativität ein Feld unterschiedlicher Diskurse und Praktiken, die verschiedene Ansatzpunkte, Ziele, Reichweiten und Methoden haben. Besonders herausfordernd wird der Normativitätsdiskurs in der Kulturellen Bildung, die als ein heterogenes pädagogisches Feld unterschiedliche Referenzen zur Gesellschaft, Politik, Ökonomie, Natur und Ästhetik aufweist. Entstanden ist ein Spannungsfeld unterschiedlicher Normativitäten, die einer Aushandlung bedürfen und dabei affirmiert, aber auch verändert werden können.
Dieser Beitrag aus der Veröffentlichung „Normativität der Kulturellen Bildung“ (2022), herausgegeben von Susanne Keuchel und Jörg Zirfas, setzt sich mit einer spezifischen Perspektive auf Normativität auseinander: der rechtlichen Rahmung und den gesellschaftspolitischen Entwicklungen aufgrund von Normen und Werten in der Kulturellen Bildung, von den Menschenrechten über das Bildungsrecht bis hin zum Jugendrecht des Kinder- und Jugendplans des Bundes.
Annäherungen an das Recht
Menschen können ihr Leben nur gemeinschaftlich bewältigen. „Gemeinschaft“ bedeutet hierbei beides: Sie ist zum einen die Bedingung für die Möglichkeit individuellen Lebens, sie bedeutet aber andererseits auch, dass Regeln des Zusammenlebens beachtet werden müssen:
„In einer ersten Annäherung stellt sich ‚R.‘ [Recht; Anm. d. A.] als Relationsbegriff dar, der Handlungen – oder auch Zustände – in Beziehung zu einem Maßstab setzt. Gemessen an diesem Maßstab erweisen sich die Bezugsgegenstände dann als ‚dem R. entsprechend‘ oder ‚nicht dem R. entsprechend‘ (unrecht). Da es mehrere Bezugspunkte normativer Art gibt, an denen Handlungen oder Zustände gemessen und bewertet werden können, ergibt sich stets die Frage der Abgrenzung des R. gegenüber andersartigen Bewertungsmaßstäben (wie zum Beispiel Ethik, Moral, Sitte usw.).“ (Herberger 1992: 222)
Das Recht – und damit die Gesetze, in denen sich das Recht in modernen Gesellschaften artikuliert – hat also einen Doppelcharakter: der Ermöglichung einer Lebensgestaltung in Freiheit und gleichzeitig ihrer Begrenzung. Dies drückt sich auch in üblichen Funktionsbeschreibungen des Rechts aus. So spricht man von einer grundlegenden sozialen Ordnungsaufgabe, und dies in allen Bereichen der Gesellschaft. Die zentrale Aufgabe kann darin gesehen werden, ein friedliches Zusammenleben zu sichern und die gesellschaftliche Ordnung aufrechtzuerhalten. In der modernen Gesellschaft ist es der Staat, der aufgrund des ihm zugesprochenen Gewaltmonopols hierfür in der Verantwortung ist. Jürgen Habermas (1992: 51) spricht unter Bezug auf Immanuel Kant von einem „rechtlich geordneten Egoismus“:
„Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ (Kant 1979: 337)
Das Recht hat also einen Zwangscharakter, was heißt, dass man es nicht der Freiwilligkeit oder der Tugend Einzelner überlässt, ob festgelegte Regeln eingehalten werden oder nicht. Ähnlich wie in der Pädagogik kann auch in diesem Fall die kantische Formulierung von der „Freiheit bei dem Zwange“ angeführt werden, die prägnant den dialektischen Charakter von beidem, der Pädagogik und des Rechts, zum Ausdruck bringt. Diese grundsätzliche und nicht aufzuhebende Spannung des Rechts zwischen Ermöglichung und Begrenzung findet sich auch in jedem Einzelgesetz, das im Hinblick auf Kulturelle Bildung relevant ist.
Doch welche Gesetze sind dies?
Eine erste Antwort auf diese Frage klingt banal, hat aber weitreichende Folgen (ich beziehe mich zunächst auf Deutschland): Kulturelle Bildung spielt sich nicht in einem rechtsfreien Raum ab, sondern findet innerhalb der deutschen Rechtsordnung statt. Eine erste entscheidende Antwort auf die Frage nach rechtlichen Rahmenbedingungen besteht daher darin, dass alle durch Gesetze, Verordnungen oder Erlasse festgelegten Verhaltensnormen auch in der kulturellen Bildungsarbeit gelten. Dies gilt für die Ansprüche, die jede einzelne Person in einem Rechtsstaat gegenüber anderen und gegenüber den Strukturen des Staats hat, es gilt aber auch für seine Verpflichtungen, die sie erfüllen muss.
Wenn es sich bei kultureller Bildungsarbeit nicht um reine Selbstbildungsprozesse handelt, die jede*r für sich selbst organisiert, sondern um angeleitete Prozesse, die zudem in einem institutionellen Rahmen stattfinden, dann werden bestimmte Bereiche der gesetzlichen Ordnung besonders relevant. Man muss sich nur einmal verdeutlichen, wo und mit wem kulturelle Bildungsprozesse stattfinden. Man denke etwa an Bildungseinrichtungen wie Kindertageseinrichtungen, Jugendkunst- oder Musikschulen, an Schulen und Volkshochschulen sowie an entsprechende Bildungsangebote von Kultureinrichtungen. Man denke an Aktivitäten im Bereich der Jugendarbeit, also etwa an Jugendkulturzentren, Kirchen, Parteien, Jugendhäuser und Jugendverbände. Es gibt spezifische gesetzliche Regelungen im Hinblick auf bestimmte Zielgruppen (also etwa Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderung, alte Menschen). Für viele der genannten Arbeitsfelder gibt es Gesetze, in denen Kulturelle Bildung explizit erwähnt wird (Kinder- und Jugendhilfegesetz, Schulgesetze der Länder, Weiterbildungsgesetze etc.). Für die Institutionen wie Bildungs- und Kultureinrichtungen gelten zudem die besonderen Regelungen aller Einrichtungen mit Publikumsverkehr (Gewerbeordnung, Feuerschutz, Sanitäreinrichtungen etc.). Die Fachkräfte, die kulturelle Bildungsprozesse anleiten, stehen zudem in einem arbeitsvertraglichen Verhältnis mit ihren Arbeitgebern (als Angestellte, Beamt*innen, Werkvertragspartner*innen, Honorarkräfte o. Ä.), was wiederum mit einem Bündel rechtlicher Regelungen verbunden ist. In der pädagogischen Arbeit gelten zudem besondere Schutzrechte, die zu beachten sind (etwa Persönlichkeitsrechte, Jugendschutz, Regelungen der Aufsichtspflicht etc.).
Alle gesetzlichen Regelungen finden auf nationalstaatlicher Ebene ihre Begründung in der Verfassung, also in unserem Grundgesetz. In einem Rechtsstaat werden Regelungen auf ihre Einhaltung kontrolliert, Personen können vor unabhängigen Gerichten Klage erheben oder müssen bei Verstößen entsprechende Sanktionen hinnehmen. Gesetzliche Regelungen sichern Ansprüche der Einzelnen (etwa im Rahmen des Sozialgesetzbuchs), erheben allerdings auch Forderungen im Hinblick auf das Verhalten der Einzelnen. In jedem Fall zeigt sich der oben angesprochene dialektischen Charakter von Ermöglichung und Begrenzung.
Den (normativen) Regelung des Grundgesetzes und damit auch den Einzelgesetzen liegt ein bestimmtes Menschenbild zugrunde, das Rudolf Wiethölter (1970: 63, H. i. O.) wie folgt (kritisch-distanziert) beschreibt:
„Das Menschenbild unserer Rechtsordnung, so wie man es aus Äußerungen seiner Verwalter zusammenfassen kann, stellt sich dar als die freie und verantwortliche, in Gemeinschaft lebende, vom unbedingten Sittengesetz gebundene Persönlichkeit. Bei näherem Zusehen erweist sich dieses Menschenbild als die von der ‚christlich-abendländischen‘ Moral vor allem katholischer Konfessionsrichtung gebundene sittlich autonome intelligible Person I. Kants und als durch ‚Anmut und Würde‘ geprägte ‚schöne-erhabene Seele‘ Schillers.“
Das Problem bei dieser Beschreibung des Menschenbilds besteht darin, dass es bei einer Gemeinschaft von Menschen, die sich einer hohen Tugend verpflichtet fühlen, kaum notwendig wäre, ein solch dicht gesponnenes Netz rechtlicher Regelungen zu entwickeln, wie wir es in Deutschland haben. Frühe Theoretiker der modernen Gesellschaft, wie etwa Thomas Hobbes, legten daher ihren Konzeptionen eine negative Anthropologie zugrunde und forderten einen starken Staat („Leviathan“), der in der Lage ist, die nicht so tugendhaften Menschen zur Not auch mit Zwang zu zivilisieren und zu domestizieren. Das Recht und die Gesetze haben eben immer auch die Funktion der Sozialdisziplinierung, so wie es Funktionsbeschreibungen formulieren. Ein Beispiel für eine solche Funktionsbeschreibung stammt von dem Rechtshistoriker Uwe Wesel (vgl. 1997: 49), der vier wesentliche Funktionen von (modernem) Recht unterscheidet: eine Ordnungsfunktion, eine Gerechtigkeitsfunktion, eine Herrschaftsfunktion und eine Herrschaftskontrollfunktion. Diese Funktionen werden von der Rechtsordnung insgesamt und nicht notwendigerweise von jedem Einzelgesetz erfüllt, weswegen man fragen kann, inwieweit jedes im Bereich der kulturellen Bildungsarbeit relevante Gesetz diese Funktionen – und welche – erfüllt.
Auch wenn es sich bei den obigen Ausführungen um bloß kursorische Annäherungen an das komplexe Phänomen des Rechts handelt, lassen sich doch einige relevante Schlussfolgerungen ziehen. So ist das Recht nur eines von verschiedenen Ordnungssystemen, an denen sich die Menschen orientieren können und müssen. Es gibt zudem Sitten und Bräuche, Gewohnheiten und weltanschauliche Überzeugungen, die neben dem System des Rechts Handlungen orientieren, wobei auch Gewohnheitsrecht vor Gericht anerkannt wird (es gibt sogar Völkergewohnheitsrecht). Man wird über Recht nicht sprechen können, ohne zugleich auch über Politik zu sprechen. Denn zum einen wird unser politisches System durch Recht und Gesetz abgesichert und in Gang gehalten, zum anderen ist es die politische Ordnung, die auch die rechtliche Ordnung gestaltet. Man kann zudem eine erste Systematik in die Vielzahl rechtlicher Regelungen, denen auch die kulturelle Bildungsarbeit unterworfen ist, erreichen, wenn man nach den spezifischen gesetzlichen Regelungen in den einzelnen gesellschaftlichen Feldern (nämlich den Subsystemen Wirtschaft, Politik, Gemeinschaft und Kultur) fragt. So findet man im Bereich der Wirtschaft das Wirtschafts- und Vertragsrecht, das Arbeitsrecht oder die Regelungen des Geldwesens. Im Bereich der Politik findet sich das Wahlrecht, das Verfassungsrecht, das Steuerrecht und überhaupt die Regelung über die Verfahren in unserer politischen Ordnung. Im Bereich des Sozialen sind es etwa das gesamte Sozialrecht (niedergelegt im Sozialgesetzbuch – SGB, einschließlich des Kinder- und Jugendhilferechts), das Familienrecht, das Straf- und Zivilrecht sowie die unterschiedlichen Antidiskriminierungsgesetze.
Da Kulturelle Bildung mit den unterschiedlichsten Medien arbeitet (etwa mit den Künsten oder mit technischen Medien), sind auch die Regelungen in diesen Feldern zu berücksichtigen: Fragen des Urheberrechts, des Persönlichkeitsschutzes, der informationellen Selbstbestimmung sowie des Datenschutzes. Man kann zu diesem Feld auch die besonderen Regelungen zur sozialen Absicherung von Fachkräften in diesem Feld zählen, etwa die Einrichtung einer Künstlersozialkasse. In Nordrhein-Westfalen ist zurzeit sogar ein Kulturgesetzbuch geplant, das u. a. Regelungen für einen Mindestlohn im Kulturbereich enthalten soll.
In einer rechtsstaatlichen demokratischen parlamentarischen Ordnung spielt zudem der Prozess der Entstehung und Begründung gesetzlicher Regelungen eine entscheidende Rolle für ihre Akzeptanz. Dies betrifft zum einen die Verfahren der Entwicklung, Verabschiedung und Durchsetzung von Gesetzen, es betrifft zum anderen die inhaltliche Begründung. Hierbei kann man einen hierarchischen Aufbau in der Begründungslogik feststellen: Verordnungen und Anweisungen der Behörden brauchen in einem Rechtsstaat eine gesetzliche Grundlage. Gesetze wiederum müssen mit den Landesverfassungen und dem Grundgesetz vereinbar sein, das Grundgesetz wiederum bezieht sich in Artikel 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“) und in der Formulierung der Grundrechte wesentlich auf menschenrechtliche Konventionen, die im Kontext der Vereinten Nationen und des Europarates verabschiedet und die in Deutschland ratifiziert wurden (siehe die Zusammenstellung in BPB 2005, in der sich alle genannten internationalen Rechtstexte finden).
Menschenrechte als universelle Basis rechtlicher Ordnungen
Auf den ersten Blick scheint der Bezug auf Menschenrechte, gerade wenn es um Fragen der Bildung geht, unmittelbar einleuchtend zu sein. Denn im Art. 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen in Paris verabschiedet wurde, heißt es lapidar: „Jeder hat das Recht auf Bildung.“ Abs. 2 desselben Artikels lautet:
„Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein.“
Im Hinblick auf Kulturelle Bildung ist zudem Art. 27 relevant, in dem es heißt:
„Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.“
Menschenrechte in diesem Verständnis genügen einem mehrfachen Universalitätsanspruch: Sie gelten für alle, sie gelten immer, sie gelten alle gleichzeitig und sie gelten ohne Ausnahme. Die Basis dieser und anderer Aussagen ist Art. 1:
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ (Zur Geschichte und den einschlägigen Diskursen siehe etwa Bielefeld 1998; BPB 2007 oder Fuchs 2021a: Teil 1.)
Die Plausibilität dieser Aussagen und Forderungen wird verstärkt, wenn man an den historischen Hintergrund denkt: Es waren der Zivilisationsbruch im Zweiten Weltkrieg und insgesamt die Unrechtserfahrungen, die insbesondere mit der Entstehung der modernen Gesellschaft und den Krisen der Moderne verbunden waren und in denen die Verletzlichkeit des Menschen – und seine offensichtliche Neigung, andere zu verletzen – deutlich wurden. In diesem Zusammenhang entstand auch das Menschenbild, das der Allgemeinen Erklärung zugrunde liegt: eine angeborene Würde, gleiche und unveräußerliche Rechte, Vernunft und Gewissen (so die Präambel und Art. 1).
Bei näherem Hinsehen ergeben sich allerdings einige Probleme und Kontroversen. So war man sich von Anfang an des Problems bewusst, dass diese Allgemeine Erklärung keine Rechtsverbindlichkeit hat, sodass der Wunsch nach einer völkerrechtlich verbindlichen Konvention entstand. Insbesondere Eleanore Roosevelt setzte sich dafür ein. Es dauerte allerdings fast 20 Jahre, bis man sich auf entsprechende Texte geeinigt hat, die dann von der Vollversammlung der Vereinten Nationen im Jahre 1966 verabschiedet wurden. Es dauerte weitere zehn Jahre, nämlich bis zum Jahr 1976, bis die verabschiedeten Texte in Kraft gesetzt werden konnten, weil erst dann die notwendige Mindestzahl an Staaten erreicht war, die den Konventionen beitreten mussten. Es waren zudem zwei Konventionen, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Denn die in der Allgemeinen Erklärung noch zusammengefassten Rechte waren in zwei Bereiche unterteilt, nämlich zum einen in die Schutzrechte der Einzelnen, auf der Basis der Verletzlichkeit des Menschen, zusammen mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte). Zum anderen waren in dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (in dem sich auch die oben genannten Rechte auf Bildung und kulturelle Teilhabe finden) Anspruchsrechte der Einzelnen formuliert. Die damalige politische Zweiteilung der Welt fand sich auch in der unterschiedlichen Akzeptanz beider Pakte wieder: Während der Westen den Schutz des Individuums, vor allen Dingen gegenüber staatlichen Eingriffen, favorisierte, stand im Osten die soziale Absicherung des zweiten Pakts im Vordergrund.
Im Zuge der Dekolonialisierungsprozesse nach dem Zweiten Weltkrieg ergab sich eine kritische Debatte darüber, inwieweit Werthaltungen und (individualistisches) Menschenbild einen universalistischen Anspruch erheben können oder ob es sich nicht vielmehr um eine eurozentrische oder westliche Sichtweise handelt, die in den verschiedenen Regelungen zum Ausdruck kommen (zum Eurozentrismus vgl. Fuchs 2021b). Insbesondere reklamierte man das (Gruppen-)Recht auf Entwicklung, so wie es 1986 bereits zu einem unveräußerlichen Menschenrecht erklärt und im Jahr 1993 auf der Wiener Menschenrechtskonferenz verbindlich bestätigt wurde. Eine Rolle spielt auch die Frage nach dem Ursprung der Grundideen der Menschenrechtserklärungen. Zweifellos spielten die Virginia Bill of Rights, die Unabhängigkeitserklärung englischer Kolonien in Nordamerika und schließlich die Erklärung der Bürger- und Menschenrechte im Rahmen der Französischen Revolution eine wichtige Rolle. Seither gibt es eine kontroverse Debatte über den Anspruch auf Universalität. Im Rahmen philosophiegeschichtlicher Untersuchungen hat man festgestellt, dass Grundelemente der Menschenrechtserklärungen, wie etwa Selbstbestimmung oder Freiheit, eine Tradition in vielen Kulturen der Welt haben, sodass in Europa und im Westen lediglich eine explizite Ausformulierung und Theoretisierung stattgefunden hat (vgl. Menke/Pollmann 2007 sowie Kimmerle 2002).
Die philosophische Diskussion über solche Grundlagenfragen wird sicherlich noch weiter gehen. Differenzen in der Auslegung der Menschenrechte zeigen sich zudem im Vergleich der unterschiedlichen regionalen Erklärungen (etwa die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Islam aus dem Jahr 1981, die Arabische Charta der Menschenrechte aus dem Jahr 1994, die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten aus dem Jahre 1950). Menschenrechte sind allerdings nicht bloß ein Thema für philosophische Grundlagenerwägungen, sondern sie sind auch politische Dokumente und rechtliche Regelungen, sodass sie den Spielregeln der Begründung, Auslegung und Durchsetzung in diesen beiden Feldern unterworfen sind. Ebenso wie das Grundgesetz immer wieder durch das Bundesverfassungsgericht interpretiert wird, gibt es inzwischen auch internationale Gerichtshöfe, die Verstöße gegen bestimmte Menschenrechte verhandeln (vgl. Pollmann/Lohmann 2012).
Wichtige Instrumente im politischen Umgang mit den Menschenrechten auf nationaler und internationaler Ebene sind Staatenberichte, in denen die Regierungen Rechenschaft über die Umsetzung der jeweiligen Konventionen ablegen müssen. Diese Berichte werden oft von zivilgesellschaftlichen Organisationen in ihrer politischen Arbeit benutzt. Ein Beispiel ist etwa die National Coalition Deutschland zur Kinderrechtskonvention. Zudem gibt es das Institut für Menschenrechte sowie international agierende Organisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch, jeweils mit nationalen Niederlassungen.
Kulturelle Bildung ist in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Thema in der UNESCO, der für Bildung, Wissenschaft und Kultur zuständigen Unterorganisation der Vereinten Nationen, geworden. Es gab inzwischen zwei Weltkongresse zur Kulturellen Bildung, auf denen eine „Roadmap“ erarbeitet und verabschiedet wurde. Im Rahmen der UNESCO ist die Rede von dem Menschenrecht auf Kulturelle Bildung, wobei Kulturelle Bildung explizit in keiner Menschenrechtskonvention erwähnt wird, aber die oben genannten Menschenrechte auf Bildung und auf kulturelle Teilhabe miteinander verknüpft werden (vgl. DUK 2010). Im Rahmen der UNESCO wurde auch die Konvention zur kulturellen Vielfalt entwickelt, die primär die Funktion hatte, eine verbindliche Rechtssetzung durch die Welthandelsorganisation (das GATS-Abkommen) zu verhindern. Denn es ging um die völlige Kommerzialisierung von Bildung, Medienbereich und Kultur (vgl. ebd. 2005). Zwar wird aus diesen multilateralen Vereinbarungen und Verträgen kein bindendes Recht, doch lassen sich diese internationalen Regelsysteme als Referenzsysteme für eine nationale Politikgestaltung und Interessenvertretung nutzen.
Grundgesetz
Deutschland ist Mitglied der Europäischen Union (EU), was in rechtlicher und politischer Hinsicht bedeutet, dass bestimmte Zuständigkeiten und Kompetenzen, die normalerweise in den Kontext nationaler Souveränität gehören, nunmehr an die Zuständigkeit der EU abgegeben worden sind. Dazu gehört im Kulturbereich etwa das Urheberrecht. Daher ergibt sich immer wieder ein Spannungsverhältnis zwischen der nationalen und europäischen Ebene, wobei es zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen etwa zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof kommen kann. Trotz dieser Differenzen in Einzelfällen kann man jedoch von einer grundsätzlichen Übereinstimmung des Grundgesetzes etwa mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgehen. Insbesondere betrifft das den Katalog der Grundrechte, so wie sie in den Artikeln 1 bis 19 des Grundgesetzes niedergelegt sind. Kernbegriff ist der Begriff der Menschenwürde (Art. 1 Grundgesetz), wobei man die in den folgenden Artikeln formulierten Grundrechte als Ausdifferenzierung dieses komplexen Begriffs verstehen kann (vgl. Wetz 2005, 2014 sowie Bieri 2013 und umfassend Gröschner/Kapust/Lembcke 2013). Grundrechte sind identisch mit den Menschenrechten, sie sind deren Umwandlung in positives Recht, sodass deren Geschichte identisch ist mit der Geschichte der Menschenrechte (vgl. BPB 2013).
Pädagogisch relevant sind alle Grundrechte, insbesondere sind es die Schutzrechte in Bezug auf die körperliche und geistige Integrität. Es geht allerdings auch um Teilnahme- und Teilhaberechte, wobei neben den Grundrechten auch Art. 20 im Grundgesetz berücksichtigt werden muss. Denn in diesem Artikel ist davon die Rede, dass die Bundesrepublik Deutschland „ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ ist. Wichtig ist im Kontext der Kulturellen Bildung das Attribut „sozial“, weil dies – etwa im Gegensatz zu einem liberalen Staat – die verfassungsmäßige Grundlage für den Ausbau des Sozialstaats ist, der absichern soll, dass jeder Mensch in Deutschland ein menschenwürdiges Leben führen kann („Daseinsfürsorge“).
Zu dem Begriff der Menschenwürde und seiner inhaltlichen Füllung gibt es eine ausgedehnte Diskussion, etwa den Hinweis auf eine frühe explizite Erwähnung während der Renaissance (Pico della Mirandola):
„Man kann sagen, es gibt fast ebenso viele Würdeinterpretationen, wie es philosophische Lehren und Strömungen gibt, und der Vielgestaltigkeit der damit verbundenen Menschenbilder sind keine Grenzen gesetzt. Ebenso ist die Würdeidee nicht ausschließlich abendländischer Herkunft, wie man annehmen könnte; sie kommt gleichfalls in der frühen chinesischen Kultur, dem Konfuzianismus vor, besonders in der Lehre Mengzis.“ (Wetz 2005: 14)
Immerhin dürfte es eine gewisse Einigkeit darüber geben, dass die Sicherstellung des Lebens, also der Schutz der körperlichen und geistigen Integrität, grundlegend ist, dass aber auch die Erfüllung sozialer und kultureller Bedürfnisse zu einem menschenwürdigen Leben gehört (vgl. etwa Nussbaum 1992). Es geht um die Selbstzweckhaftigkeit des Menschen (so Kant), die wiederum auf unterschiedliche Weise begründet werden kann. Verstöße gegen Grundrechte sind in jedem Fall Verstöße gegen das Prinzip der Menschenwürde, sodass es erstaunt, wie viele Verstöße regelmäßig registriert werden können (vgl. die jährlich vorgelegten Grundrechtereporte im Fischer-Verlag). Vor diesem Hintergrund schlägt Franz Josef Wetz (vgl. 2005) vor, das Prinzip der Menschenwürde als Gestaltungsauftrag – und nicht etwa als empirische Beschreibung – anzusehen. Vor dem Hintergrund eines anthropologischen Ansatzes, so wie er etwa von Martha Nussbaum (vgl. 1992) entwickelt worden ist, lässt sich daraus nicht bloß ein Arbeitsauftrag für das Bildungssystem ableiten, sondern es gibt speziell auch eine Begründung für kulturelle Bildungsarbeit, wenn man etwa zeigen kann, dass eine künstlerische Praxis notwendigerweise zu einem menschgemäßen Leben gehört (vgl. Fuchs 2011).
Im Folgenden werfe ich exemplarisch einen Blick auf die Rechtssituation in der Jugend- und Schulpolitik.
Bildungsrecht
Internationale Regelungen in Fragen der Bildung sind zwar nicht unwichtig, sie haben allerdings keine rechtliche Bindekraft auf nationaler Ebene und sind im Gegensatz zu Gesetzen nicht einklagbar. Dies gilt bereits bei dem Menschenrecht auf Bildung, das in den unterschiedlichsten menschenrechtlichen Konventionen niedergelegt ist. Es gilt auch bei den kulturbezogenen Konventionen im Rahmen der UNESCO, etwa der erwähnten Konvention zur kulturellen Vielfalt. Immerhin sind die in diesen und anderen Texten zu findenden Aussagen zu Bildung und Kultur wichtige Argumentationshilfen in der politischen Auseinandersetzung für eine bessere Kulturelle Bildung.
Dies gilt auch für Programme wie „Education for All“ oder Erklärungen zu „Millenniumszielen“ der Vereinten Nationen, bei denen es um die weltweite Senkung der Analphabet*innen-Rate geht. Ziel zwei der Milleniumsziele lautet: „Primarschulbildung für alle.“ Die Namensgebung orientierte sich an dem tschechischen Barockphilosophen Jan Komensky (Comenius) mit seiner immer noch revolutionären Forderung: „Bildung für alle.“ Auch Aussagen wie etwa die der Lissabon-Erklärung der Europäischen Union, dass man Europa zu dem weltweit stärksten wissensbasierten Raum machen wolle, sind (bloß) politische Willenserklärungen ohne verpflichtende Bindekraft. Einflussreich sind internationale Vergleichsstudien wie etwa PISA, aber dies auch nur auf der Basis einer freiwilligen Teilnahme der beteiligten Länder. Kulturelle Bildung spielt hierbei höchstens über die Thematisierung von Sprache eine Rolle.
Auf nationaler Ebene ist zunächst das Grundgesetz darauf zu überprüfen, inwieweit Bildungsfragen dort überhaupt thematisiert werden. Explizit ist von einem Menschenrecht auf Bildung nicht die Rede, aber der in Art. 1 verwendete Begriff der Menschenwürde schließt eine umfassende Entwicklung der Persönlichkeit ein. Im Hinblick auf Heranwachsende ist Artikel 6.2 des Grundgesetzes relevant: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Es wird allerdings sofort einschränkend hinzugefügt: „Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Wichtig ist auch Art. 7.1 des Grundgesetzes: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“ Kritisiert wird allerdings, dass die in den Menschenrechtskonventionen vorgesehene Beteiligung von Kindern und Jugendlichen kaum berücksichtigt wird (vgl. Wrase 2013). Seit Jahren gibt es zudem die Forderung, dass ein Staatsziel Kultur in das Grundgesetz aufgenommen wird. Ein Grund dafür besteht darin, dass man damit eine Rechtsgrundlage für die Kulturförderung – insbesondere auf kommunaler Ebene – schaffen will. In Zeiten knapper Kassen wird nämlich immer wieder von zum Sparen gezwungenen Kämmerer*innen auf die fehlende Rechtsgrundlage der Kulturförderung hingewiesen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang zudem, dass der Bund aufgrund des föderalen Prinzips unserer politischen Ordnung (Art. 20 Grundgesetz) nur diejenigen Kompetenzen hat, die ihm das Grundgesetz explizit zuweist. Kultur und Bildung gehören nicht dazu, sondern sie gehören in die Zuständigkeit der Länder („Bildungs- und Kulturhoheit der Länder“). Immerhin haben sich die Länder auf Bundesebene zu einer freiwilligen Arbeitsgemeinschaft, der Kultusministerkonferenz (KMK), zusammengeschlossen, die allerdings kein Verfassungsorgan ist (vgl. Rürup 2016 sowie insgesamt zu den Rahmenbedingungen den Sammelband Fuchs/Braun 2017). Ihre Beschlüsse werden nur dann bindend, wenn sie in das jeweilige Landesrecht (Gesetze, Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften) aufgenommen wurden. Zwar gibt es auf Bundesebene ein für Bildungsfragen vom Namen her zuständiges Ministerium (Bundesministerium für Bildung und Forschung – BMBF), doch stehen die dort beschlossenen Maßnahmen oder Projekte unter der kritischen Überwachung der Bundesländer. Auch das Staatsministerium für Kultur und Medien (im Bundeskanzleramt) war von Anfang an umstritten und muss seine Aktivitäten sorgsam mit den Ländern abgleichen. Dies gilt auch und insbesondere für Projekte im Bereich der Kulturellen Bildung und dies vor allem dann, wenn es um Projekte im Kontext der Schule geht. In den vergangenen Jahren betraf dies etwa das Projekt „Kultur macht stark“, bei dem das BMBF sehr lange Zeit benötigte, um eine Form praktischer Umsetzung zu finden, die den Prinzipien des Grundgesetzes entspricht, zumal vor einigen Jahren ein Kooperationsverbot in das Grundgesetz aufgenommen wurde, das eine unmittelbare Finanzierung von Bildungsmaßnahmen durch den Bund verbietet.
Einen guten Überblick über die Gesamtheit des Bildungsrechts gibt der Deutsche Bildungsserver (Stichwort „Bildungsrecht“), der die folgenden Abteilungen nennt: Grundgesetz und Landesverfassungen; rechtliche Grundlagen im Elementarbereich; Schulrecht; Hochschulrecht; Berufsbildungsrecht; Weiterbildungsrecht und Erwachsenenbildungsrecht; Multimedia und Recht. Unter dem Stichwort „Schulrecht“ gelangt man zu dem Bildungsportal des entsprechenden Bundeslands, bei dem (hier exemplarisch: Bildungsportal NRW) die folgende Aufteilung zu finden ist: Schulgesetz, Verordnungen, Ausbildungs- und Prüfungsordnungen aller Schulformen, Erlasse, Privatschulrecht und Schulfahrten. Dies bedeutet, dass das Schulgesetz (in Verbindung mit der Landesverfassung) das Fundament des Schulrechts ist, wobei es durch eine Vielzahl von Verordnungen und Erlassen, die aus der Schulverwaltung auf den unterschiedlichen Ebenen (Land, Bezirk, Kommune bzw. Landkreis) kommen, bis ins Detail geregelt wird.
Wenn man kritisch von „Verrechtlichung“ spricht, so gilt dies insbesondere für das Schulwesen. Man muss sich nur einmal die 133 Paragrafen des Schulgesetzes Nordrhein-Westfalen anschauen, das ausgehend von der Formulierung grundsätzlicher Bildungs- und Erziehungsziele (§§ 1 und 2) alle Dimensionen des schulischen Lebens behandelt (Aufbau und Struktur des Schulwesens, Regelung des Schuljahrs und der Unterrichtszeiten, Unterrichtsinhalte, Unterrichtspflicht, Frage der Leistungsbewertung, der Ordnungsmaßnahmen, der Trägerschaft und vieles mehr. Konkretisiert wird das Schulgesetz durch Erlasse und Schulvorschriften, so wie sie in der Bereinigten amtlichen Sammlung der Schulvorschriften NRW (BASS) zusammengefasst sind und ständig aktualisiert werden. In gedruckter Form hat die BASS auf dünnstem Papier und in kleinster Druckschrift den Umfang eines Telefonbuchs einer größeren Großstadt.
Da die Schule eine staatliche Veranstaltung ist bzw. unter staatlicher Aufsicht steht, unterliegen alle Streitfragen der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nicht unwichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die pädagogischen Fachkräfte in der Schule entweder Beamt*innen oder Angestellte im öffentlichen Dienst sind, was weitreichende arbeitsrechtliche und disziplinarische Folgen hat.
Im Hinblick auf Kulturelle Bildung sind insbesondere die folgenden Paragrafen des Schulgesetzes bedeutsam:
Paragraf 1 formuliert das Recht auf Bildung und individuelle Förderung entsprechend den Fähigkeiten und Neigungen der jungen Menschen. Im Hinblick auf Bildungs- und Erziehungsziele (§ 2) bezieht sich das Gesetz grundsätzlich auf Art. 7 der Landesverfassung:
„Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung. Die Jugend soll erzogen werden im Geist der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und zur Friedensgesinnung.“
Es werden in Paragraf 2.6 u. a. folgende Lernziele genannt, die gerade im Bereich der Kulturellen Bildung bedeutungsvoll sind: selbstständiges und eigenverantwortliches Handeln; die Fähigkeit, persönliche Entscheidungen zu treffen; vorurteilsfrei Menschen unterschiedlicher Herkunft zu begegnen; mit Medien verantwortungsbewusst und sicher umzugehen. Insbesondere ist es das siebte Lernziel, das relevant ist: „die eigene Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Ausdrucksfähigkeit sowie musisch-künstlerische Fähigkeiten zu entfalten“.
Wichtig ist auch Paragraf 5: „Öffnung von Schule, Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern“. Insbesondere werden als mögliche Kooperationspartner Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe, der Religionsgemeinschaften und andere Partner genannt. Schulen sind aufgefordert, sich ein Schulprogramm zu geben, was insbesondere eine kulturelle Profilierung der Schule einschließt (vgl. Fuchs 2017a). Paragraf 29 („Unterrichtsvorgaben“) benennt die Vorgaben für den Unterricht (Richtlinien, Rahmenvorgaben, Lehrpläne), in denen Ziele und Inhalte sowie die erwarteten Lernergebnisse festgelegt werden. Kulturelle Bildung spielt hierbei eine Rolle, weil künstlerische Schulfächer (eigenständig sind Musik und Kunsterziehung, Tanz wird im Rahmen des Sports erwähnt, zudem haben Literatur und in Grenzen auch Theater einen festen Platz). Im Vergleich zu früheren Zeiten hat die heutige Schule einen großen Gestaltungsspielraum, was insbesondere ein kulturelles Bildungsangebot innerhalb und außerhalb des Unterrichts ermöglicht (Konzept einer „Kulturschule“). Dies wird auch dadurch deutlich, dass im Referenzrahmen Schulqualität NRW (sowie in anderen Ländern) Kulturelle Bildung im Rahmen der Schulentwicklung und der Schulkultur explizit erwähnt wird.
Jugendrecht
Im Kontext des Jugendrechts spielt insbesondere das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG, SGB VIII) eine wichtige Rolle. Daneben gibt es spezifische Schutzgesetze sowie jugendbezogene Teile des Bürgerlichen Gesetzbuchs, etwa im Rahmen des Familienrechts. Für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen gelten zudem besondere Regelungen (vgl. Merkt 2019). Das Kinder- und Jugendhilfegesetz löste 1990/1991 das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) ab, das historisch bis auf das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt (1924) zurückgeführt werden kann. Es zeigt in klassischer Weise den eingangs beschriebenen Doppelcharakter gesetzlicher Regelungen, nämlich zum einen zu ermöglichen, zum anderen aber auch zu begrenzen und zu disziplinieren.
In seinen Ursprüngen ist das Jugendhilfegesetz Teil der entstehenden öffentlichen Fürsorge- und Sozialpolitik, die wiederum mit der Entstehung der sozialen Frage im 19. Jahrhundert zusammenhängt. Es ging um Pathologien der entstehenden industriellen Moderne, wobei man sich insbesondere Sorge um den sozialen Zusammenhang und die Integration der Heranwachsenden machte. Zwar gab es in der Erziehungswissenschaft schon früh sozialpädagogische Ansätze, doch war das Element der Kontrolle und Disziplinierung in der Anfangszeit dieser politischen Bemühungen sehr stark.
Auch das heutige Kinder- und Jugendhilfegesetz führt zum einen wichtige Bildungsprinzipien für die außerschulische Jugendarbeit an, es regelt aber auch disziplinarische Maßnahmen der Vormundschaft, also solche Eingriffe in das familiäre Leben, mit denen das vom Grundgesetz als Grundrecht beschriebene Elternrecht auf Erziehung tangiert oder sogar außer Kraft gesetzt wird.
Im Hinblick auf Kulturelle Bildung ist insbesondere Paragraf 11 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes relevant, in dem es heißt: „Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen.“ Insbesondere wird in Abschnitt drei dieses Paragrafen explizit Kulturelle Bildung als anerkannte Form der Jugendarbeit (und damit als förderungswürdig) benannt. Basis dieses Paragrafen ist Paragraf 1: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“
Offensichtlich sind die Bildungs- und Erziehungsziele dieselben wie im Schulgesetz, was allerdings wenig verwunderlich ist, da die verfassungsrechtlichen Grundlagen dieselben sind und insbesondere das dahinterstehende Menschenbild übereinstimmt. Relevant ist das Kinder- und Jugendhilfegesetz, weil es auch ein Leistungsgesetz ist, was bedeutet, dass auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene Haushaltstitel bereitgestellt werden müssen. Auf Bundesebene ist der Kinder- und Jugendplan (KJP) des Bundes ein Teilbereich des Haushalts des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ 2012: 7). In den Richtlinien zum KJP heißt es:
„Kulturelle Bildung soll Kinder und Jugendliche befähigen, sich mit Kunst, Kultur und Alltag phantasievoll auseinander zu setzen. Sie soll das gestalterisch-ästhetische Handeln in den Bereichen Bildende Kunst, Film, Fotografie, Literatur, elektronische Medien, Musik, Rhythmik, Spiel, Tanz, Theater, Video u. a. fördern. Kulturelle Bildung soll die Wahrnehmungsfähigkeit für komplexe soziale Zusammenhänge entwickeln, das Urteilsvermögen junger Menschen stärken und sie zur aktiven und verantwortlichen Mitgestaltung der Gesellschaft ermutigen.“
Diese Ausführungen zeigen, dass der Bund unstrittig im Bereich der Jugendpolitik eine Kompetenz und Förderberechtigung hat. Auch auf der Ebene der Länder und der Kommunen gibt es entsprechende gesetzliche Regelungen der Jugendförderung, verbunden mit Haushaltstiteln. So steht (exemplarisch) der Kinder- und Jugendförderplan des Landes Nordrhein-Westfalen 2018 bis 2022 unter dem Motto „Kinder und Jugendliche stark machen – gemeinsame Zukunft gestalten“. Basis ist das Ausführungsgesetz zum KJHG. In den Richtlinien (Ziffer 1.15) zur kulturellen Jugendarbeit heißt es:
„Die Auseinandersetzung mit kulturellen Themen, Mitteln und Formen eröffnet jungen Menschen die Möglichkeit, ästhetische Erfahrungen zu machen und sich mit ihrem eigenen kulturellen Selbstverständnis und dem von anderen auseinanderzusetzen. Dies dient zum einen der Entwicklung der Persönlichkeit, zum anderen der Entwicklung von Verständnis und Akzeptanz anderer Vorstellungen und kultureller Praxen. Auch eröffnet kulturelle Jugendarbeit den Zugang zu eher traditionellen gesellschaftlichen Beständen von Kunst und Kultur.“
Ebenso wie im Bereich der Kultur- und Bildungspolitik gibt es auch in der Jugendpolitik einen Zusammenschluss der Jugendministerien der Länder (Jugendministerkonferenz – JMK). Auch diese Konferenz hat Positionspapiere zur Kulturellen Bildung verfasst, die eine Relevanz als Referenzpapiere in der Praxis, aber keine rechtliche Bindekraft haben. Ein wichtiges Spezifikum der Jugendpolitik besteht – hier im deutlichen Unterschied zur Schulpolitik – darin, dass eine Beteiligung sowohl der betroffenen Kinder und Jugendlichen, aber auch der Trägerorganisationen an den Beratungen zur Weiterentwicklung vorgesehen ist. Auf der Bundesebene ist das Bundesjugendkuratorium das Beratungsorgan der Bundesregierung (auf der Basis von § 83 KJHG) mit Expert*innen aus der Wissenschaft, den Trägern und der Praxis der Jugendhilfe.
Erhebliche Mittel stellt der Bund auch im Bereich der Kindertagesbetreuung (Gutes Kita-Gesetz) den Ländern auf der Basis einer vertraglichen Regelung zwischen Bund und jeweiligem Land zur Verfügung. Kulturelle Bildung, also Spiel und ästhetisch-künstlerische Praxis spielen in diesem Feld traditionell eine große Rolle.
Schlussbemerkung
Recht und Gesetz geben Sicherheit. Beides engt allerdings auch ein. Dies gilt umso mehr, je differenzierter und lückenloser Regelungen geplant werden. Die Erfüllung der vorgegebenen Kriterien – etwa bei Förderanträgen – erfordert zudem Zeit. Oft sind Regelungen für einen bestimmten Bereich, eine spezielle Fragestellung oder Zielgruppe vorgesehen, sodass interdisziplinäres Arbeiten erschwert wird. Auch die grundsätzlich vorgesehene Einklagbarkeit von Rechtsansprüchen erfordert Ressourcen, die nur selten vorhanden sind. Manche Ansätze – gerade in den aktuellen Schulgesetzen – wären durchaus hilfreich in der Praxis, doch werden nicht immer die erforderlichen Mittel bereitgestellt. Gesetzestexte lesen sich zudem gerade in den Zielformulierungen vollmundig, sodass der Herrschaftscharakter des Rechts übersehen werden kann. Man sollte daher immer auch die Forschungsergebnisse von Helmut Fend (2006) berücksichtigen, der gesellschaftliche Funktionen von Schule identifiziert hat (und die in ähnlicher Form auch für die Jugendarbeit gelten dürften), nämlich eine Qualifikations-, eine Legitimations-, eine Allokations- und Selektions- sowie eine Enkulturationsfunktion. Der Staat, so sagte es einmal lapidar Ernst Cassirer, formt immer die Menschen, die er zur Erhaltung des jeweiligen politischen Systems benötigt. Man muss sich daher überlegen, ob und wie klassische Ziele einer emanzipatorischen Pädagogik erreicht werden können (vgl. Fuchs/Braun 2017). In jedem Fall bedeutet es, dass Politik und Pädagogik zwei Seiten derselben Medaille sind (Fuchs 2017a).