Partizipation und Museum: Spannend und spannungsreich zugleich
Abstract
Zu Partizipation im Museumswesen wurde bisher nur wenig wissenschaftlich fundiert gearbeitet. Gerade aber wenn man Museumspartizipation nicht als simples ‚Mitmachen‘ (miss)versteht, eröffnet sich ein weites Feld, das in seiner Vielschichtigkeit an Bedingungen, Einflussfaktoren und Facetten nur schwer zu durchdringen ist. Der Text gewährt Einblick in ein mehrjähriges, qualitatives Forschungsprojekt zur Theorie und Praxis kooperativer Ausstellungsprojekte und Beteiligungsangebote in Museen. Die im Artikel angerissenen Aspekte sind: Gründe für die momentane ‚Partizipationskonjunktur‘, Argumentationslinien von Befürworter*innen und Kritiker*innen, Definition von Partizipation aus museologischer Perspektive, Partizipation im Modell, unmittelbare Effekte von Partizipation für Museum und Besucher*innen sowie mögliche Auswirkungen auf das ‚System Museum‘ in der Zukunft. Der Artikel eignet sich vor allem als Einstieg in die Thematik bzw. für diejenigen, die sich einen ersten Überblick verschaffen möchten. Er nennt ausgewählte Forschungsergebnisse und vermittelt einen Eindruck von der Breite des Feldes, ohne die genannten Aspekte in ihrer Tiefe zu behandeln.
Partizipation ist in den letzten Jahren zu einem zunehmend wichtigen Schlagwort avanciert – auch und vor allem, wenn es darum geht, mit dem Begriff des „partizipativen Museums“ (Gesser/Handschin u.a. 2012) einen Gegenpol zum Status quo zu markieren. Allerdings bleiben dabei meistens sowohl das Begriffsverständnis von Partizipation als auch die Ausgangslage im Dunkeln. Ziel meiner Dissertation Partizipation und Museum (2017) war es daher, wesentliche Erkenntnis- und Forschungslücken der Theorie wie auch der Praxis zu schließen und so eine verlässliche Diskussionsgrundlage und Basis für weitergehende Forschung zu schaffen. In diesem Text möchte ich einen knappen Einblick in meine Arbeit geben.
Indirekt kann die derzeitige Konjunktur von Partizipation darauf zurückgeführt werden, dass die Bedeutung der Institution Museum für weite Teile der Gesellschaft zunehmend schwindet: Lautete die Schätzung bisher, dass lediglich 5-10 Prozent der Bevölkerung zur musealen Stammbesucherschaft zählen, so kommt das Statistische Bundesamt aktuell gerade einmal noch auf einen Wert von 1,5 Prozent (z.B. Scheytt/Sievers 2010 u. Statistisches Bundesamt 2016:23). Dies hat neben Faktoren wie dem demografischen Wandel oder einem veränderten Freizeit- und Konsumverhalten sicher auch damit zu tun, dass – wie Birgit Mandel gezeigt hat – Museen mehrheitlich mit Anstrengung und Lebensferne konnotiert werden; auch geben viele Menschen an, nicht in Museen zu gehen, weil sie dort keine Möglichkeiten zu Eigenaktivität oder zu sozialer Interaktion hätten (Mandel 2008:78).
Hier setzt eine von vielen Argumentationslinien für Partizipation an: Eben weil Partizipation Eigenaktivität und Lebensweltbezug, Erlebnis und soziale Interaktion verheiße, könne man damit die Institution Museum wieder attraktiver machen und bisher unterrepräsentierten Gruppen die Möglichkeit der (Selbst-)Repräsentation geben, was vielleicht sogar zu Emanzipation oder Empowerment führen könne.
Kritiker*innen argumentieren dagegen u. a., dass Partizipation – insbesondere wenn marginalisierte Gruppen wie etwa Migrant*innen angesprochen werden – nur eine scheinbare Beteiligung verspreche; die Partizipierenden müssten nämlich nach den Spielregeln der Institution agieren und dürften nur in unwesentlichen Punkten mitbestimmen. Partizipationskritiker*innen nehmen hier also Bezug auf Stimmen wie Tony Bennett (2009) oder Carol Duncan (1995), die im Museum vor allem ein „civilizing ritual“ sehen.
In meiner Dissertation habe ich diese und weitere Argumentationslinien ausführlich analysiert und historisch bzw. ideologisch kontextualisiert. Dabei wurde deutlich, wie weit die Vorstellungen von Partizipation selbst dann noch auseinander gehen, wenn bereits Einigung darüber besteht, dass Partizipation eine wirklich aktive, körperlich-tätige Teil-Nahme meint (immerhin umfasst die Auslegungsbereite des Begriffs auch solche Positionen, die darunter eine eher passive Teil-Habe meinen, d. h. bereits die bloße Möglichkeit als Rezipient*in kulturelle Angebote zu nutzen als Partizipation verstehen).
Eckpunkte meiner Definition von Partizipation
Ein Teilziel meiner Arbeit war es darum, eine möglichst prägnante Definition für eine spezifisch museologische Auffassung von Partizipation herzuleiten – auch, weil nur so weitere Forschung möglich wird.
Die Eckpunkte dieser Definition lauten in aller Kürze wie folgt: Bei Partizipation handelt es sich um intentionale und unmittelbare Kontaktsituationen und Austauschprozesse (hier widerspreche ich z. B. Irit Rogoff [1999:109], die auch „unbewusste Strategien der Selbstinszenierung“ als Partizipation wertet). Den Ausgangspunkt bilden zwar asymmetrische Macht- und Hierarchieverhältnisse, die jedoch idealerweise im Partizipationsprozess eingeebnet werden sollen (was den Unterschied zu „kollektiver Praxis“ [Kravagna 1998:30] markiert). Partizipation beruht daher grundsätzlich für beide Seiten auf Freiwilligkeit, Offenheit und dem ernsthaften Interesse am Gegenüber. Der Partizipationsvorgang ist als Prozess angelegt, der Raum für ergebnisoffene Handlungsspielräume lässt, sodass das Agieren aller Teilnehmenden ‚echte‘ und dauerhafte Veränderungen bewirkt (dies markiert den wesentlichen Unterschied zu hands on-Stationen oder interaktiven Medienangeboten). Bei sinnvoller Partizipation müssen die Partizipierenden vom Museum also als Subjekte und ‚echte‘ Akteur*innen gesehen werden. Insofern setzen ernsthafte Partizipationsangebote eine selbstreflexive Grundhaltung auf Museumsseite voraus, die nicht auf dem historisch gewachsenen Deutungsmonopol und Autoritätsanspruch beharrt.
Es versteht sich von selbst, dass es eine große Herausforderung darstellt, dieser Idealdefinition in der praktischen Umsetzung gerecht zu werden – auch, weil jeder Museumstyp, jedes einzelne Haus, jede ‚Zielgruppe‘ und jede Situation höchst individuell sind und ganz spezifische Bedingungen mit sich bringen. Zudem handelt es sich bei Partizipation nicht um ein simples ‚Mitmachen‘, sondern um einen Beteiligungsprozess, der in seiner Vielschichtigkeit an Einflussfaktoren und Bedingungen auf den ersten Blick kaum zu durchschauen und nur bedingt zu steuern ist und über dessen Ausprägung sich wohl auch die wenigsten Akteur*innen voll bewusst sind. Daher wollte ich ein theoretisches Analyse- und Beschreibungsinstrument entwickeln, das Museumspartizipation – vor allem in Form partizipativer Ausstellungsprojekte – beschreibbar und durchschaubar macht, und zwar unabhängig von einer bestimmten Museumssparte, einem Projektthema o. ä.
Das entwickelte Dimensionenmodell: Analyse- und Beschreibungswerkzeug sowie praxisorientierte Planungs- und Reflexionshilfe
In dem von mir entwickelten Dimensionenmodell beschränke ich mich deshalb auch nicht auf Teilaspekte von Partizipation, sondern habe versucht, alle relevanten Größen zu erfassen, die bei jedem musealen Partizipationsformat in irgendeiner Weise wirksam sind und in ihrem Zusammenspiel das jeweilige Angebot charakterisieren. Die von mir identifizierten Dimensionen (die im Modell jeweils weiter in zahlreiche Binnenaspekte differenziert werden) sind: Beteiligung, Akteure, Ausstellungsgegenstand, Raum, Zeit/Prozess, Kommunikation und Interaktion, Zielsetzungen und Selbstverständnis.
Ohne das Modell hier weiter erläutern bzw. abbilden zu können, sei darauf hingewiesen, dass es diese Wirkgrößen zueinander in Beziehung setzt, ohne damit automatisch eine bestimmte Reihenfolge oder Hierarchie zu implizieren (wie es beispielsweise prozessuale Partiztipationsmodelle tun). Dies war mir wichtig, weil sich in der Anwendung des Modells auf sehr unterschiedliche partizipative Projekte im Rahmen ausführlicher Fallstudien zeigte, dass es das Zusammenspiel und die gegenseitige Bedingtheit der Dimensionen und ihrer Binnenfaktoren sind, die Partizipation in der Praxis auszeichnen.
Da das Dimensionenmodell u. a. verschiedene Grundformen an Projekttypen, basale Interaktionsprinzipien, Funktionalitäten sowie Stoßrichtungen aufzeigt und Bedingungen des Mitsammelns, Mitforschens, Mitbewahrens und Mitvermittelns (inklusive des Mitausstellens) deutlich macht, eignet es sich nicht nur als Analyse- und Beschreibungswerkzeug, sondern deduktiv durchaus auch als konkrete Planungs- und Reflexionshilfe für die Praxis; in diesem Fall können die Dimensionen mit ihren Unterkategorien gewissermaßen als ‚Stellschrauben‘ verstanden werden, mit denen man ein geplantes Partizipationsvorhaben auf die Belange und Bedingungen in der eigenen Institution zuschneiden kann.
Im Modell findet auch Berücksichtigung, dass es sich im Museum nicht um einen Austauschprozess handelt, an dem lediglich zwei ‚Parteien‘ beteiligt sind, sondern drei. Für Museen ist es elementar, auch die späteren Besucher*innen im Blick zu haben, die die Ergebnisse des Partizipationsprojekts rezipieren (oder gar weitergestalten) sollen. Somit ergibt sich eine ‚doppelte Fürsorgepflicht‘ für Museen: Den Partizipierenden sowie den späteren Rezipierenden gegenüber.
Insofern habe ich, neben anderen praxisrelevanten Aspekten, auch die Frage in den Blick genommen, ob partizipativ generierte Inhalte für Außenstehende überhaupt attraktiv sind. Schließlich wird immer wieder geltend gemacht, dass die ‚Partizipationsprodukte‘ lediglich für die ‚Macher*innen‘ selbst von Interesse seien (Reijnders/Rooijakkers/Verreyke 2014:57). Die Ergebnisse meiner Fallstudien zeigen, dass dies nicht so sein muss. Im Gegenteil besitzen partizipativ generierte Inhalte durchaus großes Potenzial, auch diejenigen anzusprechen, die bisher (noch) nicht zu den Museumsgänger*innen zählten: Da die Inhalte oftmals aktueller, ‚lebensweltnäher‘, emotionaler sowie heterogener als von Museumskurator*innen erarbeitete sind, können sie eine breitere ‚Zielgruppe‘ ansprechen und vielfältigere Zugänge bieten. Erkenntnisse aus der Lern- und Motivationsforschung stützen dies (vgl. Piontek 2017: Kap. VII.6).
Jedoch bietet Partizipation nicht ‚nur‘ einen Mehrwert für Teilnehmer*innen und spätere Rezipient*innen, sondern auch für die Museen selbst: Unter anderem, weil Alltagsroutinen gebrochen und Mitarbeiter*innen neue Impulse jenseits eingefahrener Denkmuster erhalten können, was dafür sensibilisieren kann, wie verengt der eigene Blick doch teilweise ist. In einer meiner Fallstudien ging dies sogar so weit, dass sich ein Museumsobjekt als ‚Publikumsliebling‘ erwies, das niemals zuvor ausgestellt gewesen war, weil die Kurator*innen es schlicht nie als ‚ausstellungswürdig‘ oder ‚sehenswert‘ für ihr Publikum eingeschätzt hatten.
Ein anderer Synergieeffekt – gerade bei Projekten mit gesellschaftlichen Randgruppen – kann darin bestehen, dass Teilnehmende zu Keyworker*innen und Multiplikator*innen werden, die sehr viel tiefer in eine Community wirken können, als es Museumsleuten möglich ist. Nicht zu unterschätzen ist aber beispielsweise auch die sich entwickelnde Identifikation und die persönliche Bindung ehemaliger Teilnehmer*innen nach einem geglückten Projekt an ‚ihr‘ Museum und der damit verbundene positive Imagewandel der Institution. Da Teilnehmende selbst einen ‚Blick hinter die Kulissen‘ eines Museumsbetriebes werfen konnten, steigt auch das Bewusstsein dafür, welche anspruchsvollen Aufgaben Museumsmitarbeiter*innen täglich erfüllen und welche gesellschaftliche Rolle Museen als Spiegel und Motor des gesellschaftlichen Selbstverständnisses spielen können.
Partizipation bedeutet Herausforderung und Wandel für das System
Abgesehen von solchen konkret-praxisbezogenen Ergebnissen stand bei alledem jedoch auch die übergeordnete Frage im Raum, ob Partizipation langfristig denn tatsächlich einen anderen modus operandi der Institution Museum impliziert (genau dies ist es ja, worum es denjenigen geht, die sich das „partizipative Museum“ als Gegenmodell zum ‚herkömmlichen‘ Museum wünschen). Hier impliziert meine Arbeit, dass ernst gemeinte Partizipationsangebote immer in irgendeiner Weise das bestehende System Museum herausfordern, da Partizipation Grenzen verwischt und zentrale Funktionslogiken der Institution Museum erschüttert. So kann man z. B. einen tendenziellen Wandel des Ding- und Themenverständnisses attestieren, da bei Partizipation vor allem die individuelle Bedeutungsdimension und weniger die kollektive Bedeutsamkeit ausschlaggebend dafür werden, ob eine Sache oder ein Thema ausstellungswürdig wird oder nicht. Statt ‚großer‘ Geschichte und linearer Narrationslogik, forcieren partizipative Museumsangebote somit eher ein Netz aus vielen, kleinen Geschichten. In der Tendenz geht damit auch eine Versinnlichung, eine Emotionalisierung des Museums einher. Das Präsentierte soll dementsprechend bei den späteren Betrachter*innen keine gutgläubig-affirmative Besichtigungsgebärde evozieren, sondern bewirken, dass diese zu den Inhalten Stellung beziehen. Insofern kann Partizipation dazu beitragen, dass sich die Institution Museum von einer primär erklärenden hin zu einer eher fragenstellenden, fragenaufwerfenden Institution entwickelt. Vom „Ort der Setzung bestimmter Weltsichten“ (Baur 2012: 141) würde sich damit die gesellschaftliche Funktion des Museums hin zu einem „diskursive[n] Ort der Verhandlung von Kultur und Geschichte“ (Muttenthaler 2002: 5) verschieben. Das hieße, dass Museen (wieder) zu einem politischen Ort würden, an dem Vielstimmigkeit, Diskussion und damit auch Kontroversen ihren Platz hätten.